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Schmierstoff + Schmierung
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expert verlag Tübingen
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Gastvortrag auf der Mitgliederversammlung des VSI

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Thomas Willner
Zu seiner Mitgliederversammlung lädt der VSI traditionell hochkarätige Referenten ein, die über Themen aus Politik und Wirtschaft referieren. Diesmal hielt Prof. Dr.-Ing. Thomas Willner, Lehrstuhlinhaber für Verfahrenstechnik / Chemical Engineering an der HAW Hamburg den Gastvortrag zum Thema „E-Mobilität: Weg aus der Klimakrise oder in die Sackgasse?“ Wir dokumentieren hier die zentralen Aussagen dieses Vortrages.
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25 Schmierstoff + Schmierung · 2. Jahrgang · 4/ 2021 FACHARTIKEL Gastvortrag auf der Mitgliederversammlung des VSI Prof. Dr.-Ing. Thomas Willner Zu seiner Mitgliederversammlung lädt der VSI traditionell hochkarätige Referenten ein, die über Themen aus Politik und Wirtschaft referieren. Diesmal hielt Prof. Dr.-Ing. Thomas Willner, Lehrstuhlinhaber für Verfahrenstechnik / Chemical Engineering an der HAW Hamburg den Gastvortrag zum Thema „E-Mobilität: Weg aus der Klimakrise oder in die Sackgasse? “ Wir dokumentieren hier die zentralen Aussagen dieses Vortrages. Einleitend betonte Prof. Willner: „Es geht um Klimaschutz, also um unsere Zukunft auf diesem Planeten! “ Klimawandel ist ein naturphysikalisches Phänomen. Schon Francis Bacon bemerkte: „Wer die Natur beherrschen will, muss ihr gehorchen”. Daraus folgt: Wer den Klimawandel beherrschen will, muss die Naturgesetze beachten und diese sind nicht politisch verhandelbar. In den Beratungsgremien der Bundesregierung erkennt er ein Problem bei der technischen Umsetzungskompetenz, „es mangelt dort an Ingenieurinnen und Ingenieuren, die dafür ausgebildet sind, technische Lösungen auf Basis der Naturgesetze erfolgreich zu realisieren“, so der Vorwurf von Prof. Willner. Zweifellos muss gehandelt werden: Im Sonderbericht SR15 des IPCC vom Oktober 2018 zum 1,5-Grad- Ziel wurde das globale CO 2 -Emissionsbudget ab Beginn 2018 für eine 66 %ige Wahrscheinlichkeit, das 1,5-Grad-Ziel zu halten, mit 420 Gt CO 2 angegeben. Prof. Dr.-Ing. Thomas Willner Professor für Verfahrenstechnik an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Fakultät Life Sciences, Department Verfahrenstechnik. Studium der Verfahrenstechnik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. 5 Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Thermische Verfahrenstechnik der TU Hamburg. Promotion auf dem Gebiet der thermochemischen Umwandlung von Holz in flüssige Energieträger. 5 Jahre Entwicklungsingenieur bei ThyssenKrupp in Hamburg im Maschinen- und Anlagenbau für den Bereich Speiseöltechnologie. Schmierstoff + Schmierung · 2. Jahrgang · 4/ 2021 26 Fachartikel | Gastvortrag auf der Mitgliederversammlung des VSI Die jährlichen globalen CO 2 -Emissionen liegen mit leicht steigender Tendenz (abgesehen vom Corona-Jahr 2020) bei rund 40 Gt. Demnach sind ab Mitte 2021 noch 280 Gt CO 2 „übrig“, um das 1,5-Grad-Ziel zu halten. Wenn die Menschheit weiter keine Maßnahmen ergreift, ist das Budget in 7 Jahren aufgebraucht. In der folgenden Abbildung, die den Verlauf der jährlichen CO 2 -Emissionen über der Zeitachse in Jahreszahlen darstellt, entspricht das Fehlen von Maßnahmen der waagerechten roten Linie als „no-action“-Szenario. Sollte es gelingen, ohne Verzug CO 2 - Emissionen zu reduzieren und ungefähr einer linearen Ideallinie bis auf Null-Emission zu folgen (grüne Linie als „correct-action“-Szenario) würde sich die verfügbare Zeit bis 2035 verdoppeln, und man hätte am Ende das Ziel „Null-Emission“ tatsächlich erreicht. Damit ist das von der Politik angesetzte Zieljahr 2050 bzw. 2045 für die Klimaneutralität (1,5-Grad- Ziel) überholt. Das Zieljahr müsste jedes Jahr neu angepasst werden, denn mit jedem Jahr des Wartens („no-action”-Szenario) kommt uns das Ziel-Jahr im linearen „correct-action”-Szenario um jeweils ein Jahr entgegen: Heute ist 2035 das Zieljahr für die Klimaneutralität, aber falls wir nichts tun, wäre nächstes Jahr das Zieljahr bereits 2034 usw. Klimaschutzmaßnahmen: Welche Kriterien müssen erfüllt sein? Zusammenfassend ergeben sich aus der dargelegten Mathematik des Klimaschutzes mindestens drei Kriterien, welche alle Klimaschutzmaßnahmen unabhängig vom Einsatzbereich erfüllen müssen, um physikalisch effektiv zu sein. Im Folgenden werden diese drei Kriterien am Beispiel des Verkehrssektors im Hinblick auf die Bewertung der derzeit diskutierten Maßnahmen „Elektromobilität“ und „alternative Kraftstoffe“ untersucht: 1. Keine Verzögerung der Reduktion von Treibhausgasen (THG): Bei der E-Mobilität kommt es bei der Einführung zu einer starken Verzögerung: Die THG-Emissionen werden über viele Jahre gegenüber dem Status quo erhöht statt reduziert insbesondere infolge des Zusatzaufwandes beim Batteriebau und zusätzlichen Kohlestromverbrauchs durch Ladevorgänge. Hinzu kommen der Aufwand für den Auf bau neuer Infrastruktur und das Batterierecycling. Außerdem wird nichts für die große bestehende Flotte geleistet (1,4 Mrd. Autos weltweit). Bei alternativen Kraftstoffen hingegen käme es zur sofortigen THG-Reduktion in der bestehenden Flotte. 2. Keine THG-Verlagerung: Beim Bau von E-Fahrzeugen gibt es einen sehr großen Export von THG- Emissionen in andere Länder und Sektoren (z. B. Industriesektor für Batteriebau und Infrastrukturauf bau sowie Energiesektor für Stromproduktion), anders als bei der Nutzung von alternativen Kraftstoffen mit bestehender Mobilitätstechnik und Infrastruktur. 3. Schnelle globale Ausbreitung der erfolgreichen Technologien zur THG-Vermeidung: Internationale Zusammenarbeit ist der Schlüssel für Klimaschutz! China setzt langfristig auf Verbrenner wie auch große Flächenländer und arme Länder. Strombasierte Kraftstoffe (E-Fuels) könnten die internationale Kooperation in Schwung bringen und hier sofort zur Klimaneutralität beitragen. E-Fuels, hergestellt aus Strom + CO 2 , könnten aus Ländern mit Überschuss an erneuerbarer Energie (EE) importiert werden, eine Chance für viele arme, aber sonnen- und windreiche Länder der Welt. E-Fuels können auch mit minimalem Strombedarf aus Abfall hergestellt werden: Viele Länder „ersticken” im Müll und Plastik und auch im Meer schwimmen große Mengen herum. Aber nicht nur arme Länder sind hier zu berücksichtigen, auch für Öl und Gas fördernde Länder könnte der Umstieg auf die Produktion von E-Fuels das dringend benötigte Motiv werden, die fossilen Rohstoffe in der Erde zu lassen. Fazit: Die E-Mobilität erfüllt kein einziges dieser drei Kriterien für Klimaschutz. Die Hauptgründe sind die enormen CO 2 -Emissionen beim Bau der Autos („Batterie-CO 2 -Rucksack”), der nach wie vor hohe Kohlestromanteil im Netz sowie die Erhöhung der CO 2 -Emissionen beim Auf bau neuer Infrastruktur (Ladesäulen) und erhöhter Recyclingaufwand (Batterien). Hinzu kommen zunehmende Schäden an Umwelt und Menschen in den Rohstoffländern durch den Rohstoffabbau. Nachhaltige, alternative Kraftstoffe können hingegen alle drei Kriterien für Klimaschutz erfüllen, wie Prof. Willner in seinem Vortrag betonte. Mit alternativen Kraftstoffen ist die ganze Breite der klimaneutralen Varianten gemeint: 1. „1. Generation-Biokraftstoffe“: Nebenprodukt der Futtermittel- und Proteinproduktion 2. „2. Generation-Biokraftstoffe“: aus biogenen Abfällen und Reststoffen 3. Kraftstoffe aus nicht biogenen Abfällen (z. B. Plastikabfälle) 27 Schmierstoff + Schmierung · 2. Jahrgang · 4/ 2021 Fachartikel-|-Gastvortrag auf der Mitgliederversammlung des VSI 4. Kraftstoffe aus CO 2 + H 2 auf EE-Strombasis (E-Fuels) 5. Hocheffiziente Kombinationen (Hybrid-E-Fuels): zum Beispiel abfallbasierte E-Fuels Ein weiteres Problem bei der Bewertung von E-Autos ist, dass die CO 2 -Belastung des Ladestroms für Batteriefahrzeuge oft falsch angesetzt wird: Alle Studien pro E-Mobilität rechnen mit dem Strommix (Durchschnittswerte für CO 2 je KWh). Dies ist laut Prof. Willner falsch, da mit fossilem Regelstrom (auch Grenzstrom oder Marginalstrom genannt) gerechnet werden muss, denn E-Autos erhöhen als zusätzliche Verbraucher den fossilen Stromanteil im Netz, da nur die fossilen Stromerzeuger für den zusätzlichen Verbrauch hochgefahren werden. Solar- und Windkraft speisen jederzeit das Maximum ein und die Kernkraftwerke fahren gleichmäßig für die Grundlast, so dass die zusätzliche Nachfrage durch E-Autos mit fossilem Regelstrom bedient werden muss. Bei der richtigen Berechnung mit fossilem Regelstrom ist die CO 2 - Belastung des Ladestroms in Deutschland mehr als doppelt so hoch wie bei der falschen Berechnung über den Strommix. Um Missverständnissen vorzubeugen, muss an dieser Stelle betont werden, dass die E-Mobilität die oben beschriebenen drei notwendigen Kriterien für Klimaschutz unabhängig von diesem Rechenfehler nicht erfüllt. Prof. Willner stellte daher fest, dass E-Mobilität als Klimaschutzmaßnahme ausscheidet, zumal die Instrumente zu deren Einführung fragwürdig seien. Übertriebene einseitige Förderung der E-Mobilität sei nicht zielführend. So werden bis zu 20.000 € Förderung pro E-Auto aus Steuergeldern (Prämie und Steuervorteile) geschätzt. Des Weiteren werden E-Autos bei der EU-Flottengrenzwertregelung für die Automobilindustrie mit Null-CO 2 -Emission angerechnet, alternative Kraftstoffe dagegen gar nicht. Außerdem haben alternative Kraftstoffe kaum Steuervorteile gegenüber fossilen Kraftstoffen. Die Folgen dieser einseitigen Förderung sind laut Prof. Willner der sinnlose Verlust von mehreren 100.000 Jobs im mittelständischen Auto-Zulieferbereich und eine vollkommene Rohstoffabhängigkeit von China, da China zwischen 40 und 80 % der wichtigen Rohstoffe (Kupfer, Nickel, Kobalt, Lithium und seltene Erden) kontrolliert. Auch im Hinblick auf die Umsetzung der Energiewende in Deutschland wäre die einseitige Förderung der E-Mobilität ein strategischer Fehler. Die Energiewende im Verkehr (Verkehrswende) darf nicht losgelöst vom gesamten Energiesystem betrachtet werden: Im Jahr 2020 waren nur 16,8 % des Primärenergieverbrauchs (PEV) aus erneuerbaren Energien (EE) und nur 5 % des PEV stammen von Wind- und Photovoltaikanlagen (der Rest ist Wasserkraft und Biomasse). Rund 70 % (! ) des PEV sind Energieimporte (meist Kohle, Öl und Gas). Deutschland wird also Energieimportland bleiben. Daher sind auch hier für den Energietransport über weite Strecken flüssige „grüne Moleküle“ am besten geeignet, zumal die Infrastruktur (Tankstellen, Pipelines etc.) existiert. Wenn Deutschland ohnehin in großem Maßstab „grüne Moleküle“ importieren muss, braucht es für deren effiziente Verwendung im Lande langfristig stromunabhängige Verbrennungssysteme (Motoren, Öl- und Gasheizungen). Das überraschende Fazit: Verbrennungsmotoren und -heizungen werden auf Dauer die wichtigste Säule der Energiewende sein. Der Stromsektor muss ohnehin entlastet werden, sonst würde der erneuerbare Strom zum Flaschenhals der Energiewende. Als Fazit betonte Prof. Willner, dass nur alternative Kraftstoffe einen zügigen und effektiven Weg weisen, die CO 2 -Emissionen rasch und global zu senken. E-Mobilität leistet hier keinen Beitrag und ist sogar in weiten Teilen kontraproduktiv. »« Eingangsabbildung © nblxer - stock.adobe.com Interesse? www.narr.de Anzeige