Schmierstoff + Schmierung
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expert verlag Tübingen
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Das richtige Motorenöl finden: Die Qual der Wahl?
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Rüdiger Krethe
Ein Ölwechsel inklusive Service wird heute für Pkws überwiegend in der Profi-Werkstatt durchgeführt. So gibt es nicht nur das richtige Öl, sondern auch den gesetzlichen Auflagen und dem Umweltschutz wird hier automatisch Rechnung getragen.
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7 Schmierstoff + Schmierung · 3. Jahrgang · 1/ 2022 FacHartiKEl Das richtige Motorenöl finden: Die Qual der Wahl? Rüdiger Krethe, OilDoc GmbH Ein Ölwechsel inklusive Service wird heute für Pkws überwiegend in der Profi-Werkstatt durchgeführt. So gibt es nicht nur das richtige Öl, sondern auch den gesetzlichen Auflagen und dem Umweltschutz wird hier automatisch Rechnung getragen. Trotzdem geschieht es irgendwann: Eine Warn- Leuchte teilt mit, dass der Ölstand zu niedrig ist! Wenn dann gerade ein Fachgeschäft für Kfz-Zubehör oder Baumarkt in der Nähe ist, kann schnell Abhilfe geschaffen werden. Doch der Blick in das Regal offenbart eine Vielzahl unterschiedlicher Motorenöle (Abb. 1): Abb. 1: Ein Blick ins Motorenöl-Regal (OilDoc) Mit der Frage nach dem richtigen Öl ist ein Laie angesichts dieses großen Angebots schnell überfordert: > Welches Öl ist das richtige? > Welches Öl ist aktuell eigentlich in meinem Motor eingefüllt? Rüdiger Krethe Rüdiger Krethe ist Geschäftsführer der OilDoc GmbH, der Akademie für Weiterbildung rund um Schmierstoffanwendung, Ölanalysen und proaktive Instandhaltung. Nach seinem Studium des Maschinenbaus und der Tribotechnik war er im Produktmanagement für Industrieöle einer Mineralölgesellschaft tätig. Anschließend leitete er 15 Jahre das Diagnose-Team von OEL- CHECK. Seit mehr als 30 Jahren gibt Rüdiger Krethe als IHK-zertifizierter Trainer in Seminaren sein Know-how zu Tribologie, Schmierstoffen und Ölanalysen erfolgreich weiter. Außerdem ist er seit der ersten Ausgabe aktives Mitglied des Redaktionsteams der Schmierstoff+Schmierung. Schmierstoff + Schmierung · 3. Jahrgang · 1/ 2022 8 Fachartikel | Das richtige Motorenöl finden: Die Qual der Wahl > Wenn es „mein“ Öl nicht gibt: Darf ich überhaupt das Öl eines anderen Herstellers zum Nachfüllen verwenden? Sollte man deshalb den niedrigen Ölstand einfach ignorieren und weiterfahren - vielleicht sogar bis zum nächsten Service? Keine gute Idee! Nachfolgend ein kleiner Wegweiser für den Fall der Fälle. Warum es so viele unterschiedliche Motorenöl-Typen gibt Motorenöle sind technische Multitalente. Sie schmieren verschiedenste Bauelemente unter schwierigen Bedingungen, ob nun Gleitlager, Kolbenringe, Zylinderwandung, Nockenwelle, Ventile, Steuerketten oder auch den Turbolader. Souverän beherrschen sie sowohl den Kaltstart, das Stop-and-Go im Stadtverkehr und versagen auch unter Dauerstress auf der Autobahnfahrt nicht. Sie neutralisieren Verbrennungsgase, halten den Motorkreislauf sauber, schützen vor Korrosion und sind selbst beim Kraftstoffsparen aktiv. Während es in Daimlers „Motorwagen Nr. 1“ mit seiner knappen 1 Pferdestärke aus 1 Liter Hubraum recht beschaulich, trotzdem laut und abgasträchtig, daher ging, bringt es heute ein Turbomotor mit vergleichbar großem Hubraum locker auf die mehr als hundertfache Leistung. Und das bei erheblich niedrigerem Verbrauch, unter Einhaltung moderner Umweltstandards, deutlich längeren Ölwechselintervallen und einer um ein Vielfaches höheren Motor- Standzeit. So verwundert es nicht, dass es im Jahr 1910, sozusagen in einer der ersten Motoröl-Spezifikationen lapidar hieß: „Es muss auch bei Kälte im Winter noch bequem aus der Kanne fließen (…) und einen hohen Schlüpfrigkeitsgrad haben“. Heute wird für jede neue Motorengeneration ein spezielles Motorenöl entwickelt. Dabei gibt es eine ganze Reihe an Kennwerten und spezifischen Motortests zu erfüllen, bevor ein Öl spezifiziert und freigegeben wird. Auf diese Weise beschreiben eine Kombination neutraler, herstellerübergreifender Klassifikationen, Spezifikationen und herstellerbezogene Freigaben die für den jeweiligen Motor notwendige Ölqualität. Die richtige Viskosität Die wichtigste physikalische Einzelkenngröße eines Schmieröls ist seine Viskosität. Sie steht für die Fähigkeit eines Öls, einen hydrodynamischen Schmierfilm auszubilden und verändert sich unter anderem mit der Temperatur. Unter Berücksichtigung des Temperatureinflusses definiert die SAE die weltweit SAE- Klasse Tieftemperatur-Viskositäten Hochtemperatur-Viskositäten max. scheinbare Viskosität in mPa⋅s bei °C max. Grenzpumptemp. in °C Kinematische Viskosität bei 100 °C in mm 2 / s HTHS Viskosität in mPa⋅s bei 150°C min min max OW 6200 bei -35 60.000 bei -40 3,8 - - 5W 6600 bei -30 60.000 bei -35 3,8 - - 10W 7000 bei -25 60.000 bei -30 4,1 - - 15W 7000 bei -20 60.000 bei -25 5,6 - - 20W 9500 bei -15 60.000 bei -20 5,6 - - 25W 13000 bei -10 60.000 bei -15 9,3 - - 8 - - 4,0 <6,1 1,7 12 - - 5,0 <7,1 2,0 16 - - 6,1 <8,2 2,3 20 - - 6,9 <9,3 2,6 30 - - 9,3 <12,5 2,9 40 - - 12,5 <16,3 3,5 1 40 - - 12,5 <16,3 3,7 2 50 - - 16,3 <21,5 3,7 60 - - 21,9 <26,1 3,7 (1): OW-40, 5W-40 und 10W-40, (2): 15W-40, 20W-40, 25W-40, 40 Tab. 1: SAE-Klassen gemäß SAE J 300 Lubricants for your success Zeller+Gmelin GmbH & Co. KG Schlossstraße 20 · 73054 Eislingen/ Fils · Germany info@zeller-gmelin.de · www.zeller-gmelin.de EXPERTLY DONE. + Wassermischbare und nicht-wassermischbare Kühlschmierstoffe + Schmierstoffe für die Umformung + Industrieöle + Hochleistungsindustriefette + Korrosionsschutzmittel + Motoren-, Hydraulik- und Getriebeöle + Bioschmierstoffe + Sägekettenöle Schmierstoff + Schmierung · 3. Jahrgang · 1/ 2022 10 Fachartikel | Das richtige Motorenöl finden: Die Qual der Wahl angewandten Viskositätsklassen für Motorenöle (Tab. 1). Die Angabe der SAE-Viskositätsklasse fehlt auf keinem Datenblatt und keiner Verkaufsverpackung eines Motorenöls. In Pkws sind heute Mehrbereichsöle Standard. Dabei handelt es sich um Motorenöle, die sowohl den Anforderungen einer Winter-(„W“)-Klasse genügen als auch denen einer Sommerklasse. Die im Motor zu verwendende SAE-Klasse wird vom Motorenbzw. Fahrzeughersteller in Abhängigkeit von den klimatischen Bedingungen definiert, sie ist Auswahlkriterium Nr. 1. Die Viskosität kann auch innerhalb einer Hersteller-(OEM)-Freigabe definiert sein, ohne sie explizit zu nennen. Herstellerübergreifende Ölspezifikation oder Freigabe des Motorenbzw. Fahrzeugherstellers Das Grundöl allein ist nicht in der Lage, die Anforderungen moderner Motoren zu erfüllen. Deshalb enthält ein Motorenöl eine ganze Reihe von leistungssteigernden Zusatzstoffen - den Additiven. Die Erfüllung einiger physikalisch-chemischer Kennwerte ist zwar Grundvoraussetzung für die Eignung als Motorenöl. Ob ein Motorenöl die sehr komplexen Anforderungen tatsächlich erfüllt, kann nur anhand motorischer Prüfstands-Versuche nachgewiesen werden. Grundlegende Anforderungen an Motorenöle Tab. 3: Übersicht der ACEA-Ölsequenzen 2021 institution Bedeutung ACEA Association des Constructeurs Européens d’Automobiles, Europäischer Automobilhersteller-Verband. Herausgeber der ACEA-Motorenöl-Sequenzen API American Petroleum Institut, Verband der amerikanischen Öl- und Erdgasindustrie. Herausgeber der SAE-Viskositätsklassen sowie neutraler Motorenöl- und Getriebeöl-Klassifizierung ILSAC International Lubricants Standardization and Approval Committee, Internationales Komitee für die Standardisierung und Freigabe von Schmierstoffen, Namensgeber der an die API-Klassifizierung angelehnten ILSAC-Motorenölspezifikationen (Schwerpunkt: asiatischer Raum) JASO Japanese Automotive Standards Organization, Japanische Organisation für automotive Standards. Teil der japanische Society of Automotive Engineers. Herausgeber diverser Schmieröl- und anderer Spezifikationen Tab. 2: Herausgeber herstellerübergreifender Ölklassifikationen und Spezifikationen www.oestgroup.com FORSCHUNG ENTWICKLUNG mit modernster Labortechnologie EFFIZIENTE PRODUKTION als vielseitiger Systemlieferant FLEXIBLE DISTRIBUTION mit servicestarker Logistik EINFACH. SCHNELL. KOMFORTABEL. DER NEUE B2B-WEBSHOP VON OEST. shop.oest.de Schmierstoff + Schmierung · 3. Jahrgang · 1/ 2022 12 Fachartikel | Das richtige Motorenöl finden: Die Qual der Wahl werden deshalb in herstellerübergreifenden Ölspezifikationen definiert. Die wichtigsten Institutionen sind in Tabelle 2 aufgeführt. In der Regel wird bei Motorenölen zwischen Diesel- und Ottomotoren in Pkw und Dieselmotoren in Nutzfahrzeugen unterschieden. Neue Motoren-Generationen erhalten neue Ölsequenzen innerhalb ihrer Klasse. Frühere Ölsequenzen verlieren irgendwann ihre Gültigkeit. Als Beispiel sollen hier die ACEA-Ölsequenzen dienen (Tab. 3). Die Sequenzen der Kategorien „A“ und „B“ sind für Ottomotoren und leichte Dieselmotoren gültig, die der Kategorie „C“ für Otto- und leichte Dieselmotoren mit Systemen zur Abgasnachbehandlung, z. B. speziellen Katalysatoren oder Partikelfiltern. Schmieröle für Nutzfahrzeug-Dieselmotoren werden in der Kategorie „E“ sequenziert. In diesen Ölsequenzen werden die generellen Anforderungen an Motorenöle der jeweiligen Kategorie spezifiziert. Es mag für den Laien komisch klingen, dass die Fahrzeugbzw. Motorenhersteller, die im ACEA vertreten sind, im Rahmen ihrer hersteller- und modellbezogenen Ölfreigaben zusätzliche Anforderungen definieren und prüfen. Gerade diese Kombination der übergreifenden und speziellen Anforderungen macht das System jedoch flexibel und wirtschaftlich. So muss nicht jeder Motorenhersteller auch grundlegende Eigenschaften definieren und prüfen, sondern kann auf den ACEA-Sequenzen auf bauen. Es steht ihm jedoch frei, beispielsweise zusätzlich bestimmte Materialkompatibilitäten zu prüfen oder spezielle Eigenschaften, die Hersteller A für seine Motoren als wichtig erachtet, Hersteller B jedoch nicht. Damit besitzen Hersteller-Freigaben, im Englischen „OEM- Approval“ genannt, eine höhere Priorität bei der Produktauswahl als herstellerübergreifende Ölspezifikationen. Tabelle 4 zeigt beispielhaft eine Auswahl europäischer Hersteller-Freigaben. Und wie ist es mit meinem Motor? Ausgangspunkt ist das Betriebshandbuch oder die auf anderem Wege kommunizierte Empfehlung des Motorenbzw. Fahrzeugherstellers. Im Betriebshandbuch gibt das in der Regel am Ende enthaltene alphabetische Register, andernfalls das Inhaltsverzeichnis, Aufschluss darüber, wo in dem Handbuch die ent- Hersteller Normen bzw. Freigaben BMW BMW-Normen, z. B. „BMW Longlife-14 FE+“, gültig für bestimmte Motoren in BMW-Fahrzeugen Ford Werknormen, z. B. „WSS-M2C 948-B“, gültig für bestimmte Motoren in Ford- Motoren/ Fahrzeugen General Motors GM dexos TM -Spezifikationen, z. B. GM dexos TM 2, gültig für bestimmte Motoren/ Fahrzeuge der GM-Gruppe Mercedes-Benz Blätter der Betriebsvorschriften, z. B. „MB BV 229.31“, gültig für (bestimmte) Motoren/ Fahrzeuge von Mercedes Benz Volkswagen Werknormen, z. B. „VW 50400“, gültig für (bestimmte) Motoren/ Fahrzeuge der VW-Gruppe Tab. 4: Beispiele von Herstellerfreigaben für PKW-Motorenöle Abb. 2: Beispiel für die Angaben auf dem Etikett eines Motorenöl-Gebindes (OilDoc) 13 Schmierstoff + Schmierung · 3. Jahrgang · 1/ 2022 Fachartikel-|-Das richtige Motorenöl finden: Die Qual der Wahl sprechenden Informationen zu finden sind. Steht dort beispielsweise: „SAE 5W-30, VW-Norm 50700“, so kann meist anhand der Angaben auf dem Etikett des Motorenölgebindes geprüft werden, ob das Öl diese Freigabe besitzt oder nicht. Der folgende Teil eines solchen Etiketts ist im Abb. 2 dargestellt. Die Freigabe des Motoren-/ Fahrzeugherstellers ist also wichtig. Wenn dieser auch den Einsatz von Ölen erlaubt, die bestimmte ACEA-Sequenzen erfüllen, so kann auf diese abgehoben werden. In Notfällen erlauben es einige Motorenhersteller, z. B. Audi, für einmalige Nachfüllungen bei Nichtverfügbarkeit freigegebener Öle bestimmte Mengen nicht freigegebener Öle zu verwenden, wenn diese die Anforderungen bestimmter ACEA-Sequenzen erfüllen. Darüber hat in jedem Fall das Betriebshandbuch das letzte Wort. In einem Fachgeschäft sollte ein entsprechend geschulter Mitarbeiter Hilfe leisten können. Ein Kontrollblick auf das Gebinde schadet jedoch nicht. Weitere Hilfsmittel sind Smartphone-Apps der Ölhersteller oder Ölfinder auf den Internet-Portalen der Ölhersteller. „Power-User“ können auch auf veröffentlichte Betriebsvorschriften zurückgreifen, wie sie beispielsweise von Mercedes Benz sowohl als App als auch im Internet verfügbar sind. Noch ein kleiner Tipp Sicher ist es empfehlenswert, immer dieselbe Ölsorte nachzufüllen. Öle gleicher OEM-Freigabe und Viskosität sind jedoch auch zum Nachfüllen verwendbar, egal ob sie von einem anderen Ölhersteller stammen. Also bei niedrigem Ölstand besser gleich handeln! Wenn Ihnen diese technischen Details zu viel sind, geht es ja auch anders: Einfach stets 1 Liter des „richtigen“ Öls im Kofferraum parat haben - z. B. beim Ölwechsel-Service direkt vom Autohaus oder vom Ölhändler Ihres Vertrauens. Wenn Sie noch tiefer in die richtige Schmierstoffauswahl für Verbrennungsmotoren einsteigen wollen, empfiehlt sich der Besuch des OilDoc Seminars „Schmierung und Ölüberwachung für Verbrennungsmotoren“ vom 22.-23. 09. 2022. Eine Teilnahme ist vor Ort in der OilDoc-Akademie oder über Live-Video- Stream möglich. »« Eingangsabbildung: © Tricky Shark - stock.adobe.com Eine Zeitschrift des Verband Schmierstoff-Industrie e. V. JETZT ONLINE LESEN! www.sus.expert SCHMIERSTOFF SCHMIERUNG Anzeige
