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Schmierstoff + Schmierung
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expert verlag Tübingen
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2022
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Das Wiederaufleben von Polyalkylenglykolen (PAGs) für Wasserstoffverbrennungsmotoren

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2022
Mathias Woydt
Elektrisch betriebene Fahrzeuge mit Lithium-Ionen-Batterien oder Brennstoffzellen sind der von der Politik favorisierte Mainstream.
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Dr. Mathias Woydt Dr. Mathias Woydt ist geschäftsführender Gesellschafter von MATRI- LUB Materials | Tribology | Lubrication, mit 36 Jahren Berufserfahrung in der Tribologie, Schmierungstechnik und Werkstoffwissenschaft. Er ist Träger des ASTM Award of Excellence und STLE Fellow sowie Mitglied im Vorstand der Ges. f. Tribologie e. V. Schmierstoff + Schmierung · 3. Jahrgang · 1/ 2022 14 FacHartiKEl FacHartiKEl Das Wiederaufleben von Polyalkylenglykolen (PAGs) für Wasserstoffverbrennungsmotoren Dr. Mathias Woydt-- MATRILUB, Berlin Elektrisch betriebene Fahrzeuge mit Lithium-Ionen-Batterien oder Brennstoffzellen sind der von der Politik favorisierte Mainstream. Solche grünen Technologien erfordern laut dem jüngsten Bericht der Internationalen Energieagentur vom Mai 2021 [1] bestimmte Ressourcen in erheblichen Mengen mit begrenzter, globaler Verfügbarkeit. Die Kritikalität dieser spezifischen Ressourcen wird die Marktdurchdringung „grüner“ Technologien nach oben begrenzen. Insofern muss für die CO 2 -neutrale oder -arme Mobilität die innermotorische Verbrennung von Wasserstoff neben seiner Nutzung in Brennstoffzellen mit in Betracht gezogen werden. Der BMW Hydrogen 7 V12 Clean Energy und der MAZDA RX-8 Hydrogen RE (Wankel) waren in den 2000er Jahren sehr weit entwickelte Fahrzeuge. Jüngst keimte das Interesse bei Nutzfahrzeugen wieder auf, wie bei M.A.N. und CUMMINS, wobei 2021 ein erster TOYOTA Corolla mit einem Wasserstoffverbrennungsmotor (3-Zyl., 1,6 L Turbo) seine Runden auf einer Rennstrecke in Japan drehte. Abriss zur Geschichte von PAG-Schmiermitteln Die Industrialisierung von Polyglykolen begann Ende der 1920er Jahre durch Union Carbide (US 1,633,927) und I.G. Farben (US 1,921,378). Die U. S. Air Force akkumulierte von März 1944 an bis August 1945 in den Flugzeugen P-38, P-47, P-51 und B-25 mehr als 200.000 Flugstunden [2]. Folgende Erfahrungen wurden gemacht: a. Kaltstart bei -40 °C möglich, b. keine Schlammbildung und freie Ölkühler, c. keine Ablagerungen auf Kolben, d. verlängerte Ölwechselintervalle, e. saubere Motoren. ELF entwickelte 1973 für Renault die Marke „13.000 tours” bzw. „HVS529” (Huiles pour Voitures de Sports, 15 Schmierstoff + Schmierung · 3. Jahrgang · 1/ 2022 Fachartikel-|-Das Wiederaufleben von Polyalkylenglykolen (PAGs) SAE 15W-50) [3] mit einem vollformulierten Motorenöl auf Polyglykolbasis (siehe Abbildung 1). Über die nachfolgenden Jahrzehnte verwendeten Formel-1- Rennställe immer wieder PAGs. Damals rechtfertigten das funktionale Profil von Polyglykolen in Verbindungen mit offenen Fragen zur Mischbarkeit mit Kohlenwasserstoffen und zur Dichtungsverträglichkeit nicht die zusätzlichen Kosten. Die Wirkzusammenhängen zwischen einer Polyglykolformulierung und Elastomeren sind heute verstanden. Abb. 1: Fotos der Gebinde vom ELF 13000 Tours (Design der Gebinde: Roger Tallon) Die Entwicklung von polyglykolbasierten Motorenölen wurde seit Mitte der 1990er Jahre im Sinne einer metall-, asche- und polymerfreien Strategie im Wesentlichen von automobilen OEMs vorangetrieben (FR 2 792 325, US 6,194,359, DE 10 2005 011 776, US 8,357,644) [4,5]. Die Motivationen leiteten sich aus den Bestrebungen zur Kraftstoffverbrauchssenkung ab, und weil das Motorenöl keine negativen Auswirkungen auf die Haltbarkeit von Partikelfiltern und Katalysatoren haben sollte [6]. Die dort verwendeten Formulierungen erfüllten zusätzlich die Kriterien für umweltfreundliche Schmierstoffe bzw. für Bioschmierstoffe. Schmierstoffprodukte auf Basis von Polyglykolen decken das gesamte Anwendungsspektrum ab, wobei sie nur in bestimmten Bereichen über Marktanteile verfügen. Traditionsgemäß werden PAGs in schwerentflammbaren Hydraulikölen eingesetzt. Weiterhin gibt es homologierte Anwendungen in Gasturbinen und Getrieben in Windturbinen, wie insbesondere in Schnecken- und Industriegetrieben sowie Kompressoren nebst Kühlschmierstoffen. Wärmeträgerflüssigkeiten und Klimaanlagen sowie Bohrlochfluide stellen weitere Anwendungen dar. Eintrag von Wasser Motoröle auf Kohlenwasserstoffund/ oder Esterbasis leiden unter den Folgen von Wassereinträgen in Schmierstoffe, welche bei der Verbrennung von Wasserstoff entstehen und unweigerlich ins Kurbelgehäuse eingetragen werden, wodurch sich deren Ölwechselintervalle verkürzen. Dies erfordert ein Grundöl mit intrinsischer Wasserlöslichkeit. Polyalkylenglykole bilden diese wasserlösenden bis hin zur wasserlöslichen Eigenschaft ab. Wasser im Schmierstoff, egal ob gelöst oder dispergiert, fördert Korrosion, wobei zu berücksichtigen ist, dass dieser Umstand bei wasserbasierten Kühlschmierstoffen und schwerentflammbaren Hydraulikölen durch Additive gut gelöst ist und diese Kenntnisse auch für PAG-Motorenöle bestehen. PAGs sind naturgemäß hydrolysebeständig. Gegenüber einer Dispergierung von Wasser ist das Korrosionspotenzial durch die Lösung des Wassers in PAGs gemindert, aber präsent. Hervorzuheben ist auch, dass PAGs über eine außergewöhnliche Viskositätstoleranz gegenüber Wassereinträgen bis zu 40 % verfügen und praktisch bis zu einem Eintrag von 10 % Wasser kein Viskositätsabfall eintritt. Tests mit Pendelrollenlager haben gezeigt, dass deren Lebensdauer bei PAG in ISO VG220 mit 2 % Wasser im Vergleich zu Mineralöl und PAO deutlich länger ist [7]. In einem zweijährigen Feldversuch in 2-MW-Windturbinen an Land mit Planetengetrieben blieb die Viskosität eines PAGs in ISO 320 stabil (< ±7 %) und der Gehalt an Abriebmetallen unter 20 ppm [8]. Hannover / Wedemark, BAB 7 ebeling-logistik.de Weil wir‘s können. Sondergenehmigungen Alle Alle Dienstleistungen Über 20 Jahre Gefahrgut-Logistik • 120.000 Palettenstellplätze, davon 50.000 gefahrstofftauglich • 450 Mitarbeiter an 3 Standorten • 150 eigene Fahrzeuge • Zertifizierter Entsorgungsfachbetrieb • Inhabergeführt, direkter Kontakt DE-ÖKO-007 Anzeige Schmierstoff + Schmierung · 3. Jahrgang · 1/ 2022 16 Fachartikel | Das Wiederaufleben von Polyalkylenglykolen (PAGs) Struktureigenschaften der PAGs PAGs sind ausnahmslos petrochemische, synthetische Schmierstoffe und dies erklärt auch das Preisniveau, das oberhalb der Mineralöle liegt. PAGs werden aus „Einzelbausteinen“ bzw. Monomeren polymerisiert (siehe Abbildung 2). Der Sauerstoff, der in jedem Monomer der Hauptkette von PAGs vorhanden ist, bestimmt dessen intrinsische Eigenschaften als Grundöl, wie hohe Viskositätsindizes, niedrige NOACK-Verdampfung, rußfreie Verbrennung, sehr gute Hochdruckeigenschaften, hohe Wärmekapazitäten usw., wodurch metall-, asche- und polymerfreie Motorölformulierungen ermöglicht werden, welche die funktionalen Vorteile unterstützen, wie z. B. verbesserte Kraftstoffeinsparung oder keine nachteiligen Auswirkungen auf Abgasnachbehandlungseinrichtungen. Die Sauerstoffpolaritäten definieren die intrinsische Wasserlöslichkeit, welche von einer vollständigen Wasserlöslichkeit der Polyethylenglykole (PEG) bzw. der meisten Polyalkylenglykolen reicht hin zu den wasserlösenden Fähigkeiten der Polypropylenenglykolen (PPG). Abb. 3: Wirkung der high-temperature high shear Viskosität (HTHS) und der Polyglykole auf den Kraftstoffverbrauch (Daten: links für Lkws in [10]; rechts für Pkws aus DE 10 2005 011 776) Abb. 2: Illustrationen von gängigen PAG-Molekülen (rot: Sauerstoffatome) Wirkung der HTHS Wirkung der Polyglykole Wirkung der HTHS Wirkung der Polyglykole Schmierstoff + Schmierung · 3. Jahrgang · 1/ 2022 18 Fachartikel | Das Wiederaufleben von Polyalkylenglykolen (PAGs) Reibungsminderung durch PAGs Reibungsminderungen bedeuten in jeder mechanischen Anwendung Einsparungen an Antriebsenergie bzw. geminderten Energie-/ Kraftstoffverbrauch oder längere Reichweiten. Polyglykol-basierte Formulierungen zeigten in quasi jedem historischen Benchmark zur Schmierfähigkeit verschiedener Grundöltypen in hochkonzentrierten Wälzkontakten und in Motoren (siehe Abbildung 3) mehr oder weniger die niedrigsten Reibungsverluste. Dafür zeichnet im Wesentlichen die Sauerstoffpolarität in jedem Monomer verantwortlich, welche die Adsorption an Oberflächen fördert und somit die Reibungszahlen unter Misch-/ Grenzreibung senken. Je nach molekularem Auf bau und Viskositätslage, wobei letztere proportional zur Molmasse ist, bewegen sich die Viskositätsindices der Grundöle zwischen 170-250. Folglich kann auf Viskositätsindexverbesserer verzichtet werden. Durch die flachen Viskositäts-Temperatur-Kurven leiten sich die Kraftstoffverbrauchsvorteile bei niedrigen und tiefen Öltemperaturen sowie transienten Fahr-/ Nutzungsprofilen ab. Die Kraftstoff-Energieeinsparung wird also durch deren Viskositäts- und Reibungseigenschaften erzielt [9]. Biogene Rohstoffe Nachhaltigkeitsanforderungen werden zunehmend nachgefragt und prägen die Produktentwicklung. Heute können die häufigsten Bausteine von PAGs, wie n-Butanol, Ethylenoxid und Propylenoxid, aus nachwachsenden Rohstoffen oder biogenen Ressourcen gewonnen werden. Biobutanol ist marktgängig, wie auch aus Bioethanol gewonnenes Bioethylenoxid. Für Biopropylenoxid bietet sich biogenes Glycerin an. Damit genügten PAGs auch der Nachhaltigkeit und fördern die Kreislaufwirtschaft. Folglich haben sie dann einen günstigen CO 2 -Emissionsfaktor. Erste PAG-Sorten aus biogenen Ressourcen wurden am Markt kürzlich angeboten. PAG-basierte Formulierungen können die Öko- No-Tox-Kriterien umweltverträglicher Schmierstoffe erfüllen. Verfügbarkeit Die großtechnischen Anlagenkapazitäten der PAGs übersteigen die Verfügbarkeit der Ester und die PAGs erfüllen alle zukünftigen Mengenattribute für Motoren- und Getriebeöle und sind es wert, im Hinblick auf ihr funktionales Profil, wiederbelebt zu werden. Als Orientierung mögen hier die bekannten, globalen Produktionsmengen (Ressourcenverfügbarkeit) an Ethylenoxid (2019: ~30 Millionen Tonnen) und Propylenoxid (2019: ~11 Millionen Tonnen) nebst derjenigen von n-Butanol dienen. Literaturangaben [1] The Role of Critical Minerals in Clean Energy Transition - World Energy Outlook Special Report- Minerals in Clean Energy Transitions, May 2021, https: / / www. iea.org/ reports/ the-role-of-critical-minerals-in-cleanenergy-transitions [2] C. Kratzer, D. H. Green and D. B. Williams, New synthetic lubricants, SAE Journal (Transactions), vol. 54, No. 5, May, 1946, p. 228-238 [3] N. N., Délai de réflexion avant lancement, Équipe, 07./ 08. April 1973, p. 12 und „Une nouvelle huile de synthèse: l’ELF 13000 tours“, idem, 23. Februar 1973 [4] A. Gangopadhyay et al., Engine Friction and Wear Performances with Polyalkylene Glycol Engine Oils, SAE Technical Paper 2016-01-2271, 2016, doi: 10.4271/ 2016-01- 2271 [5] L. Girard, S. Tung, M. Woydt, D. Bachelder, AUTOMO- TIVE ENGINE LUBRICANTS, In: ASTM MNL37 Fuels and Lubricants Handbook, 2019, Chapter 20, p. 753- 864, ISBN-13: 978-0-8031-7089-6 [6] M. Woydt, No/ Low SAP and Alternative Engine Oil Development and Testing, J. of ASTM Int., 2007, Vol. 4, No. 10, online ISSN 1546-962X or in ASTM STP 1501 “Automotive Lubricants - Testing and Additive Development”, ISBN 978-0-8031-4505-4, eds.: Tung/ Kinker/ Woydt [7] D. Brenner und J. Witzig, Zulässiger Wassergehalt in Getriebeschmierölen, insbesondere Polyglykol-Ölen und der Einfluss auf die Wälzlagerlebensdauer und die Zahnflankentragfähigkeit einsatzgehärteter Stirnräder, FVA-Informationsblatt zum Forschungsvorhaben 488 «Wassergehalt in Ölen» ,09.02.2009 [8] H. Møller, Lubrication selection for the Horns Reef project, 14 th Colloquium Tribology „Lubricants, Materials and Lubrication Engineering“, 13.-15. January 2004, Vol. II, p. 1241-1245, ISBN 3-924813-54-x [9] M. Woydt, Polyglycols as Engine Oils, In: Encyclopedia of Lubricants and Lubrication; Ed.: Theo Mang, Springer, 2014, ISBN 978-3-642-22646-5 [10] S. Merryweather, D. Zweifel and M. Woydt, Polyglycol-based engine oils-Has the industry to adapt to this lubricant class? , Proc. 5 th World Tribology Conference, Torino, Italy, September 8-13, 2013, ISBN 978-88-908185 » « Eingangsabbildung: © AA+W - stock.adobe.com