eJournals Schmierstoff + Schmierung 3/2

Schmierstoff + Schmierung
sus
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expert verlag Tübingen
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Schmierstoff + Schmierung · 3. Jahrgang · 2/ 2022 28 20 MInuten MIt … 20 Minuten mit … Gordon Appelles Wie viele Ölwechsel an einer Windturbine hat Ihr Unternehmen bisher etwa durchgeführt? Wir haben in den letzten 20 Jahren mehr als 20.000 Ölwechsel an Windkraftanlagen in ganz Europa durchgeführt. Wie lange dauert der Ölwechsel an einem Hauptgetriebe bzw. einer Hydraulikanlage einer Windturbine? Das ist je Anlagentyp unterschiedlich. Im Schnitt dauert ein Getriebeölwechsel bei einem Ölvolumen von ca. 500 Liter etwa 3 Stunden. Ein Hydraulikölwechsel mit hydraulischer Flügelverstellung dauert ca. 2,5 Stunden. Windkraftanlagen erreichen immer höhere Leistungsklassen. Es ist zu erwarten, dass auch die Getriebegröße und damit die zu wechselnden Ölmengen ansteigen. Wo liegen die Ölmengen in großen Windkraftanlagen heute? Die größten Windkraftanlagen, an denen wir zurzeit Getriebeölwechsel durchführen, haben ein Ölvolumen von ca. 1000 Liter. Ölwechsel an einem Hauptgetriebe einer Windkraftanlage: Worin sehen Sie dabei die größten technischen Herausforderungen? Die größte Herausforderung liegt in den stetig steigenden Nabenhöhen (Höhe des Turms) der Windkraftanlagen. Unsere Spezial-LKW sind mit bis zu 180 m langen Hochdruckschläuchen ausgerüstet. Bei derartigen Längen bzw. Höhen wird es immer schwieriger, das hochviskose Getriebeöl nach oben ins Getriebe zu pumpen. Eine weitere Herausforderung ist es, das Getriebe oder die Hydraulikstation bestmöglich zu entleeren, d. h. vom gebrauchten Öl zu befreien. Die dafür vorgesehenen Ablasspunkte sind oft nicht am tiefsten Punkt. Des Weiteren befinden sich Restmengen in den Getriebetaschen sowie im Kühl- und Filtersystem. Gordon Appelles Gordon Appelles, C&D Ölservice GmbH, Geschäftsleitung, Disposition Das Unternehmen C&D Ölservice GmbH wurde im Jahr 2000 von den beiden Geschäftsführern Jens Dreessen und Peter Claußen mit Sitz in Oldenswort gegründet. Um Getriebe- oder Hydraulikölwechsel an Windkraftanlagen durchzuführen, wurden spezielle Service-Lkw selbst entwickelt und nach Vorgabe gebaut. Über die Jahre wurden die Technik, Verfahren und Abläufe immer weiter entwickelt und verbessert und auf die Bedürfnisse der neu hinzugekommenen Anlagenhersteller angepasst. C&D ist mittlerweile europaweit unterwegs und macht auch über die Hälfte seines Umsatzes im europäischen Ausland. 2018 wurde der Firmensitz von Oldenswort nach Husum verlegt. Mit dem Wechsel nach Husum hat sich C&D Ölservice noch weitere Geschäftszweige aufgebaut, wie z. B. den Verkauf von Wartungsmaterialien (Öle, Fette und Filter) sowie den Verkauf von Geokunststoffen. Des Weiteren hat C&D Ölservice die Technik auf den Service-Lkw weiter ausgebaut, so dass mittlerweile auch Kühlwasserwechsel an den Windkraftanlagen durchgeführt werden. Heute schätzen Anlagenhersteller und Betreibergesellschaften sowie diverse Anlagenbetreiber in Europa den Service und die verbundene Qualität. 29 Schmierstoff + Schmierung · 3. Jahrgang · 2/ 2022 20 Minuten mit …-|-Gordon Appelles Ist eine Spülung des Getriebes aus Ihrer Sicht notwendig? Bei Sortenerhalt und regelmäßigen (rechtzeitigen) Ölwechseln ist eine Spülung des Getriebes nicht notwendig. Ist jedoch eine Vermischung mit einem anderen Schmierstoff oder eine andere Verunreinigung vorhanden, ist eine Spülung des Getriebes auf jeden Fall sinnvoll. In den letzten Jahren ist es zum Sport geworden, die Öle so lange wie möglich laufen zu lassen. Viele schauen auf ihre regelmäßigen Ölprobenanalysen, beobachten einen sich zunehmend verschlechternden Ölzustand, reagieren jedoch oft zu spät. Das hat zur Folge, dass sich signifikante Ablagerungen und Verschmutzungen im Getriebe bilden, die in der Regel sehr schlecht zu entfernen sind. Erst die neue Ölfüllung löst die Verunreinigungen über mehrere Wochen an, verunreinigt das neue Öl und lässt es schneller altern. Die Windkraftindustrie fordert eine hohe Ölreinheit. Wie stellen Sie die geforderte Ölreinheit sicher? Vor einigen Jahren war es in der Regel notwendig, die angelieferten Frischöle zu filtrieren. Mittlerweile wird von den Ölherstellern die geforderte Ölreinheit eingehalten. Bei der Lieferung von Frischölen wird je Charge eine Probe gezogen, analysiert und ggf. freigegeben oder gesperrt. Bei jedem Ölwechsel von C&D ist die Nachverfolgbarkeit je Charge gewährleistet. Bei dem Ölwechsel mit unserem Spezial-LKW wird bei der Befüllung des Getriebes das Öl über das Pumpensystem zusätzlich gefiltert. Alle Welt redet heute von Nachhaltigkeit. Sicher ist Nachhaltigkeit mehr als nur „Bio“. Trotzdem die Frage: Ist der Einsatz von Bio-Schmierstoffen in der Windkraft-Industrie ein Thema? Bio-Öle haben sich in der Windkraft nicht durchgesetzt, da diese nicht als leistungsfähig genug angesehen werden, z. B. zu geringe Standzeiten haben. Die heute eingesetzten Schmierstoffe setzen eher auf längere Standzeiten. Daraus resultieren weniger Ölwechsel je Lebensdauer der Windkraftanlage, was ebenfalls nachhaltig und zugleich kosteneffektiv ist. Eine steigende Anzahl von Windturbinen wird heute offshore aufgestellt, d. h. praktisch mitten im Meer. Sind Sie auch für diesen Fall gerüstet? Ja, die C&D Ölservice GmbH hat die benötigte Technik, um Ölwechsel offshore durchzuführen. Wenn Sie sich von Ihren Auftraggebern etwas wünschen dürfen, was wäre das? Eine windparkweise Auftragsvergabe würde erhebliche Kosteneinsparungen mit sich bringen und allen Beteiligten das Leben leichter machen. Und von den Herstellern der Windkraftanlagen, aus rein technischer Sicht? Uns würde es sehr helfen, Windkraftanlagen wartungsfreundlicher zu bauen. Etwas mehr Platz beispielsweise, um den Wechsel des Getriebeölfilters ohne Verrenkungen, professionell und sicher durchführen zu können. Was ist derzeit für Sie als Dienstleister einer Schlüsselindustrie die größte Herausforderung? Die Arbeit im Windpark ist eine sehr interessante Tätigkeit in einer Hightech-Branche. Sie erfordert qualifiziertes Personal, das sich zugleich mit der Reisetätigkeit anfreunden kann. Das zu finden, ist heute eine Herausforderung. Wenn Sie sich dafür interessieren: Bewerbungen werden gerne entgegengenommen. Herr Appelles, die Redaktion von „Schmierstoff + Schmierung“ wünscht Ihnen auch weiterhin viel Erfolg, persönlich alles Gute und zunftgemäß „immer einige µm Schmierfilm zwischen den entscheidenden Teilen“. »« Eingangsabbildung: © istock.com/ Comeback Images Dr. Ferdinand Wikidal … ist Ingenieur und Experte für die Verzahnung und Wälzlagerung in Getrieben. Nach dem Studium promovierte er an der FZG der TU München und arbeitete in der Getriebeentwicklung für die A. Friedrich Flender AG. Später war Dr. Wikidal als Gutachter für Industriegetriebe (Windkraft und andere Bereiche) im Allianz Zentrum für Technik, AZT tätig. Seit 2008 ist er als freiberuflicher Gutachter für Getriebe- und Wälzlagerschäden tätig (www.gearconsult.de). Schmierstoff + Schmierung · 3. Jahrgang · 2/ 2022 30 FaQs Was sind WEC-Schäden? Dr. Ferdinand Wikidal „In einem Seminar zur Schmierung von Industriegetrieben fiel das Schlagwort ‚WEC‘ als eine besondere Form von Wälzlagerschäden. Was verbirgt sich dahinter? “ Der Schadenstyp WEC („white etching cracks“) beschreibt Schäden an Wälzlagern, bei denen im angeätzten Gefügeschliff weiße, nicht anätzbare Bereiche nachweisbar sind. Obwohl derartige Gefügeveränderungen auch bei sehr hohen Belastungen auftreten, entstehen WEC-Schäden schon bei moderaten Beanspruchungen im Bereich oder unterhalb der üblichen Ermüdungsgrenze des Werkstoffs nach relativ kurzen Laufzeiten. Das makroskopische Schadensbild entspricht bei Kugellagern meist einem Pittingschaden, wie er auch bei starker Überlastung des Lagers auftreten würde (Abb. 1). Dieses Schadensbild wird auch als „white structure flaking“ bezeichnet. Insbesondere bei Rollenlagern treten WEC-Schäden auch in Form von axialen Rissen auf. Bereits in den 1990er Jahren wurde dieses Schadensbild in Japan im Zusammenhang mit Wälzlagerschäden in Nebenaggregaten im Automotive-Bereich beschrieben [1]. Aufgrund von zahlreichen, vorzeitigen Lagerausfällen vor allem in Windkraftgetrieben wurde die Forschung zu diesem Thema seit ca. 10 Jahren intensiviert und es hat sich die Bezeichnung WEC durchgesetzt. Aus den Untersuchungsergebnissen lassen sich folgende potentielle Einflüsse auf die Bildung von WEC-Schäden ableiten: > Mischreibungsbedingungen, (negativer) Schlupf, > Vibrationen, (axiale) Schwingungen, > Stromdurchgang, > reduzierte Werkstofffestigkeit durch eindiffundierten Wasserstoff, > Lagertemperatur (> 100 °C), > Schmierstoff (allerdings noch widersprüchliche Aussagen zur Art der Additivierung), > oberflächennahe, nichtmetallische Einschlüsse. Bisher werden im Wesentlichen zwei Schadensmechanismen diskutiert [2]. In der ersten Hypothese wird davon ausgegangen, dass sich zunächst durch Mischreibung und Schlupf in Verbindung mit nicht- FaQs