eJournals Schmierstoff + Schmierung 3/4

Schmierstoff + Schmierung
sus
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expert verlag Tübingen
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Metallbearbeitungsflüssigkeiten im Wandel der Zeit

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Joachim Schulz
sus340006
Schmierstoff + Schmierung · 3. Jahrgang · 4/ 2022 6 FacHartiKEl FacHartiKEl Metallbearbeitungsflüssigkeiten im Wandel der Zeit Prof. Dr. Joachim Schulz Einführung Den meisten Menschen ist heute bewusst, dass fast alle Arten menschlicher Aktivitäten die Umwelt beeinträchtigen, wenn nicht gar gefährden. Auch die Endlichkeit der fossilen Rohstoffe unserer Erde ist zumindest einer Mehrheit bekannt. Bei der Einschätzung der Qualität eines Produktes fließt daher mehr und mehr dessen Umwelt- und Humanverträglichkeit ein. Daneben muss natürlich die technische Funktion gewährleistet sein. Ein Produkt ist demnach von hoher Qualität, wenn es über seinen gesamten Lebenszyklus hinweg die folgenden Kriterien erfüllt: > Nützlichkeit, > Verträglichkeit für Mensch und Umwelt, > minimaler Verbrauch an Energie und Stoffen, > Recyclingfähigkeit. Ziel der Schmierstoffindustrie muss es daher sein, Schmierstoffe und Bearbeitungsflüssigkeiten zur Verfügung zu stellen, die ein hohes Leistungsniveau und öko-toxikologische Unbedenklichkeit in sich vereinigen. Das immer stärker gestiegene Umweltbewusstsein unserer Gesellschaft und die daraus resultierenden Umweltfaktoren haben zu Veränderungen im Kühlschmierstoff bereich geführt. Zusätzlich hat der Gesetzgeber auch in diesem Bereich neue Gesetze erlassen, die sich auf den Einsatz von Metallbearbeitungsflüssigkeiten auswirken (z. B. Kreislaufwirtschaftsgesetz, Abwasserverordnungen). Werden Kühlschmierstoffe für Zerspanung bzw. Umformung hinsichtlich ihrer Funktionalität betrachtet, so ist festzustellen, dass besonders neue Innovationen in den Bereichen Maschinentechnologie, Werkzeuge/ Werkstoffe und Bearbeitungsverfahren zu Veränderungen der Kühlschmierstoffzusammensetzung geführt haben und auch noch weiterführen werden. Dies ist verständlich, da die modernen Bearbeitungsmaschinen kombiniert mit neuer Werkzeugtechnologie und die geforderten hohen Bearbeitungs- Prof. Dr. Joachim Schulz Prof. Dr. Joachim Schulz startete 1991 als Entwickler von Schmierstoffen in der Mineralöl-Industrie. 2001 wechselte er dann zu einer Farbengesellschaft. Ab 2004 war er verantwortlich für die Entwicklung von Schmierstoffen für die Umformung beim größten mittelständischen Schmierstoffhersteller. Seit Januar 2022 leitet er die Abteilung Umformung der ML Lubrication. Seit zwölf Jahren ist er Dozent für das Fachgebiet Tribologie von Schmierstoffen an der Universität Bremen. Weiterhin leitet er seit acht Jahren den gemeinsamen Additiv-Ausschuss der UNITI und des VSI. Auch verschiedene Veranstaltungen der UNITI, GFT und der Technischen Akademie Esslingen werden von ihm aktiv mitgestaltet. Fragen können gern an den Autor direkt gestellt werden: Joachim.Schulz@ml-lubrication.com. 7 Schmierstoff + Schmierung · 3. Jahrgang · 4/ 2022 qualitäten der Werkstücke oftmals einen für den Anwendungsfall „maßgeschneiderten“ Kühlschmierstoff benötigen. Diese Spezialisierung lässt sich auch auf die Werkstoffe übertragen. Der Trend hin zu immer leichteren Materialien, die durch Gewichtsreduzierung einen Beitrag zur Energieeinsparung und somit zum Umweltschutz leisten, ist unverkennbar. Für den Kühlschmierstoff ergeben sich daraus Veränderungen, da die Zerspanung von Aluminiumlegierungen und vielleicht in Zukunft von Magnesiumlegierungen andere Anforderungen stellt, als die Bearbeitung von Guß und Stahl. Auch die Einführung hoch- und höherfester Materialien erfordert neue Konzepte. Der Einsatz von Kühlschmierstoffen ist mit deren Wirtschaftlichkeit eng verknüpft. Die Forderung lautet hier, mit möglichst geringen Kosten ein optimales Ergebnis zu erreichen. Dabei ist zwischen den eigentlichen Kühlschmierstoffkosten und den Prozesskosten zu unterscheiden. Die Umsetzung von vielen Anforderungen an Kühlschmierstoffe wird, realistisch gesehen, zu einer Erhöhung der Kühlschmierstoffkosten führen. Dies muss aber nicht zwangsläufig mit ökonomischen Nachteilen verbunden sein. Die Einsparung eines Reinigungsprozesses oder eine günstigere Hautverträglichkeit mit einem geringeren Krankenstand führen zu enormen Einsparungen. Dies ist aus den reinen Produktkosten nicht erkennbar. Leider sind solche ganzheitlichen Betrachtungen der Problematik bisher noch nicht allzu weit verbreitet. Toxikologisch-arbeitsmedizinische Aspekte und ökologische Forderungen werden weiterhin einen stark zunehmenden Einfluss auf die Entwicklung, den Einsatz und die Entsorgung von Kühlschmierstoffen haben. Durch die Gesetzgebung sind sowohl national als auch international (EU-Gesetzgebung) weiterhin strengere Auflagen zu erwarten. Ein anderer Aspekt ist die Nachhaltigkeit von Prozessen. Die Gesellschaft für Tribologie hat 2021 hierzu eine Studie veröffentlicht. Hieraus soll folgender Abschnitt zitiert werden: „Nachhaltigkeit ist eines der wichtigsten globalen Ziele für die heutige Gesellschaft und für die Zukunft. Eine längere Haltbarkeit und Funktionsfähigkeit einer Maschine durch den Verschleißschutz der darin integrierten Komponenten führt dazu, dass für dieselbe Produktions-, Transport- oder anderen Leistungen weniger Ersatzmaschinen eingespart werden können. Dadurch sinkt der Bedarf der für die Herstellung notwendigen Materialien, Primärenergie und Arbeitsleistungen sowie der damit verbundenen Emissionen. In der Technosphäre der Kreislaufwirtschaft bedeutet das, dass eine intensivere Nutzung von Materialien in den Gebrauchsprodukten realisiert wird. Die durch geringeren Verschleiß erhöhte Produktlebensdauer leistet also einen wichtigen Beitrag, das Wirtschaftswachstum vom Materialverbrauch zu entkoppeln.“ Die Metallbearbeitung (Zerspanung und Umformung) umfasst eine Vielzahl von Verfahren, mit denen eine sehr große Zahl verschiedenster Legierungen bearbeitet wird. Demgegenüber steht eine relativ kleine Auswahl von Stoffen, die in der Metallbearbeitung als Additive für Schmierstoffe (Metallbearbeitungsflüssigkeiten) einsetzbar sind. Zwar geht die Kombinationsmöglichkeit gegen unendlich, doch haben sich in der Praxis einige Grundprinzipien bei der Formulierung von Rezepturen durchgesetzt, die sich nur durch verschiedene Konzentrationen und auf die Bearbeitungsverfahren abgestimmte „Spezialadditive“ unterscheiden. Allen gemein ist, dass es zu einer, wie auch immer gearteten Wechselwirkung zwischen Additiv und Metalloberfläche kommen muss, damit ein für die Metallbearbeitung günstiger Effekt eintreten kann. Günstiger Effekt heißt: Verlängerung der Werkzeugstandzeiten, Verbesserung der Oberflächenqualitäten der bearbeiteten Werkstücke und Verhinderung von Eigenschaften, die die Lebensdauer der bearbeiteten Werkstücke beeinträchtigen. Das Zusammenspiel von Basisflüssigkeiten und abgestimmten Additiven ist der Erfolgsfaktor schlechthin. Nicht der Verzicht auf Schmierstoffe kann das Ziel sein, vielmehr sollten durch eine stetige Verbesserung der Schmierstoffe optimale Lösungen, sowohl in ökonomischer als auch in ökologischer Hinsicht, erarbeitet werden. Interesse? www.narr.de Anzeige Schmierstoff + Schmierung · 3. Jahrgang · 4/ 2022 8 Fachartikel | Metallbearbeitungsflüssigkeiten im Wandel der Zeit Moderne wassermischbare Produkte Die Zusammensetzung von Kühlschmierstoffen hat sich in Deutschland in den letzten 30 Jahren stark verändert, da für die Auswahl der Einzelkomponenten zunehmend toxikologische und ökologische Gesichtspunkte und neue Gesetze und Verordnungen, nicht zuletzt REACH und die Einschränkung von Bioziden und Borsäurederivaten, eine Rolle spielen. Neu entwickelte Additive ermöglichten es, die aminfreien Kühlschmierstoffe, die schon seit langem bekannt sind, mit einem Korrosionsschutz und einer Biostabilität auszustatten, die Borsäure/ Amin-Produkten gleichwertig sind. Dies musste als Durchbruch auf dem Kühlschmierstoff-Gebiet gewertet werden, da darüber hinaus auch die Borsäure eliminiert und durch eine andere bakteriostatische Grundausstattung ersetzt werden konnte. Ein neuer Weg ist der Einsatz von alternativen Aminen, die neben dem Korrosionsschutz auch antimikrobielle Eigenschaften haben. Mineralöl ist bei wassermischbaren KSS ein Hauptbestandteil, doch dazu später. Zurzeit werden esterölbasische KSS als „umwelt- und arbeitsfreundliche Alternativen“ verstärkt gefordert. Synthetische Ester können auf Basis nachwachsender Rohstoffe hergestellt werden und liefern einen Beitrag zur CO 2 - Einsparung. Allerdings ist die Quelle der Rohstoffe zu beachten, da lange Transportwege die reale CO 2 -Bilanz nicht gerade positiv beeinflussen. Für die Kühlschmierstoff-Bestandteile lassen sich folgende Trends ableiten: Es werden nur noch Rohstoffe eingesetzt, die toxikologisch und allergologisch getestet und bewertet sind. > Die aminfreien Kühlschmierstoffe werden bedingt durch die Gesetzgebung und die günstigere Hautverträglichkeit weiter an Bedeutung gewinnen. > Bei aminhaltigen Kühlschmierstoffen wird der Anteil von Monoethanolamin zurückgehen und durch alternative Amine ersetzt werden. > Der Einsatz von Bakteriziden und Fungiziden wird zunehmend erschwert werden (neue EU-Biozidrichtlinie). > Neue Grundöle werden an Bedeutung gewinnen. Digitale Kühlschmierstoff-Überwachungs- und Pflegesysteme werden stärker an Bedeutung gewinnen, da durch eine optimale Pflege die Standzeiten verlängert werden und dadurch ökologische und ökonomische Vorteile entstehen. Nichtwassermischbare Kühlschmierstoffe Der Einsatz von nichtwassermischbaren Kühlschmierstoffen hat eine lange Tradition. Zwischenzeitlich betrachtet, wurden diese Produkte durch die Entwicklung emulgierfähiger Kühlschmierstoffe zurückgedrängt, weil hochproduktive Werkzeugmaschinen und Transferstraßen eine hohe Kühlleistung und ein hervorragendes Spülvermögen verlangten. Ein Hauptmerkmal von nichtwassermischbaren Kühlschmierstoffen ist neben der Additivierung, die über die Leistungsfähigkeit des Öls entscheidet, die Viskosität. Von dieser hängt das Kühl- und Spülverhalten der Bearbeitungsflüssigkeit in entscheidendem Maße ab. Ebenso die Filtrationsgeschwindigkeit und damit die Ölmenge, die in einer bestimmten Zeit pro bestimmter Filterfläche filtriert werden kann. Je geringer die Viskosität, desto besser die Kühl- und Spülwirkung und desto günstiger das Filtrierverhalten. Spezifische Wärmekapazität und Wärmeleitfähigkeit von Ölen (auch von sehr niedrigviskosen) sind natürlich deutlich geringer als von Wasser, bei niedrigviskosen Produkten aber günstiger als bei höher viskosen Qualitäten. Moderne Fertigungsverfahren bedingen den Einsatz von möglichst niedrigviskosen Schneidölen. Niedrige Viskosität ist neben der oben erwähnten hohen Kühl- und Spülleistung, gleichzusetzen mit Abb. 1: Schnittstellen 9 Schmierstoff + Schmierung · 3. Jahrgang · 4/ 2022 Fachartikel-|-Metallbearbeitungsflüssigkeiten im Wandel der Zeit kurzer Sedimentationszeit für Abrieb, geringen Ausschleppverlusten (niedrigviskose Öle sind leichter von Spänen abzutrennen), hoher Filterleistung und gutem Luftabscheidevermögen. Niedrige Viskosität bedeutet aber leider auch erhöhte Öldampf- und Ölnebelbildung sowie niedrige Flammpunkte. Daraus ergibt sich die Forderung nach emissionsarmen Kühlschmierstoffen niedriger Viskosität bei möglichst hohem Flammpunkt, geringer Ölnebelbildung und niedriger Verdampfung. Hydrocrack (HC) -Öle und GTL-Öle erfüllen diese Anforderungen. Ein weiterer Vorteil von mineralölbasierten Kühlschmierstoffen ist die Recyclingfähigkeit. Damit können die Schmierstoffe der stofflichen Wiederverwertung zugeführt werden. Die modernen Aufarbeitungstechniken führen zu hervorragenden Grundölen, die bei Ihrer Produktion bis zu 40 % weniger CO 2 erzeugen als ein Erstraffinat in vergleichbarer Viskosität. Kompatible Produktfamilien Viele Schmierstoffprobleme beruhen auf Unverträglichkeiten (Inkompatibilitäten) der einzelnen Schmierstofftypen untereinander. Diese Probleme treten nicht durchweg, sondern nur an den Schnittstellen (Abb. 1) auf, an denen es zu Vermischungen kommen kann. Alle Schmierstoffe, die zu einer Produktfamilie gehören, sind so in ihrer Additivierung aufeinander abgestimmt, dass es im Fall einer Vermischung auf oder an der Werkzeugmaschine zu keinen bzw. nur sehr geringen Problemen für die einzelne Flüssigkeit führt. Die Flüssigkeitsbasis einer Familie ist für alle „Familienmitglieder“ die gleiche, z. B. Mineralöl oder Ester. Unterschiede gibt es naturgemäß hinsichtlich der Viskositäten. Ein Bearbeitungsöl sollte sicherlich niedrigviskoser als ein Hydraulik- oder gar ein Bettbahnöl sein. Und eben diese Viskositätsunterschiede bedingen, dass die Viskosität der einzelnen Produkte von Zeit zu Zeit überprüft werden muss, wie bei konventionellen Produkten. Minimalmengenschmierung Für einen Kompromiss zwischen Ökologie, Arbeitshygiene, Betriebswirtschaft und Forderungen an Bearbeitungsqualität, Produktivität und Effektivität gibt es ein breites Spektrum von technologischen Lösungen. Eine Möglichkeit ist die Minimalmengenschmierung mit Hochleistungssprühschmierstoffen. Hauptfunktion der Minimalmengenschmierstoffe ist natürlich die Schmierung. Die Kühlfunktion ist wegen der geringen zur Anwendung kommenden Substanzmengen (20-40 ml/ h) gering. Durch geeignete Additive sind die Bearbeitungstemperaturen aber wesentlich geringer als bei der Trockenbearbeitung, da durch eine verbesserte Schmierung die Reibung zwischen Werkzeug und Werkstück stark vermindert ist. Auch bei Umformvorgängen tragen die geringen Mengen an Schmierstoff, ca. 1-5 g/ m², zur Entlastung der Kostenrechnung bei. In die Entfettungsanlagen gelangen wesentlich weniger Schmiermittel pro Zeiteinheit als bei konventioneller Schmierung. Dadurch verlängert sich die Standzeit der Reinigungsbäder ganz enorm, was sich sehr positiv auf die Entsorgungskosten auswirkt. Die geringen Mengen Minimalmengenschmierstoff verdampfen oder verdunsten natürlicherweise schneller als konventionelle Kühlschmierstoffe, gelangen somit schneller in die Umwelt. Daher ist ein ganz wichtiger Aspekt, schon bei der Konzipierung und Formulierung von Minimalmengenschmierstoffen darauf zu achten, dass nur biologisch abbaubare und gesundheitlich unbedenkliche Substanzen zur Anwendung gelangen. Ein nicht zu unterschätzender Aspekt bei der Minimalmengenschmierung ist die Applikationstechnik. Die Auf bringung kann automatisch und vor allem berührungsfrei erfolgen. Sind größere Flächen zu befetten, z. B. bei Umformoperationen, ist sicher eine Sprühnebelschmierung zu bevorzugen. Diese sollte allerdings in gekapselten Anlagen erfolgen, zum einen wegen der Umweltbelastung, zum anderen wegen des Brand- und Explosionsschutzes, da Aerosole mit Luft unter Umständen sehr zündfähige Gemische bilden können. Tendenzen in der Umformung Neben der Einführung von höherfestem Materialien im Automobilbau und der damit verbundenen Forderung nach leistungsfähigeren Schmierstoffen gab und gibt es zwei weitere Herausforderungen in der Umformung. Das ist zum einen die Kaltmassivumformung ohne Konversionsschicht und zum anderen der komplette Ersatz von Chlorparaffinen bei der Umformung von rostfreien Stählen. Für die Kaltmassivumformung ist es gelungen einen Schmierstoff zu entwickeln, der auch höchste Anforderungen erfüllt, ohne dass eine Konversionsschicht aufwändig auf die umzuformenden Teile aufgebracht werden muss. Auch der vollständige Ersatz von Chlorparaffinen wurde durch Anwendung neuer Theorien (s. nächster Abschnitt) möglich. Allerdings sind die modernen chlorfreien Öle teurer als die chlorhaltigen Öle. Es erscheint allerdings sinnvoll das Argument, dass chlorfreie Öle teurer als chlorhaltige sind, nur auf den reinen Einstandspreis der Produkte zu beziehen. Bei einer sorgfältigen Prozesskostenrechnung, Einbeziehung aller relevanten Kosten (Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie Entsorgungskosten) ist dieses Argument nur noch schwer nachvollziehbar. Schmierstoff + Schmierung · 3. Jahrgang · 4/ 2022 10 Fachartikel | Metallbearbeitungsflüssigkeiten im Wandel der Zeit Maßgeschneiderte Additivierung Neben der optimalen Auswahl der Basisflüssigkeit ist für die Leistungsfähigkeit eines Schmierstoffs natürlich die Additivierung von entscheidender Bedeutung. Das Thema beschäftigte schon ganze Generationen von Wissenschaftlern und Entwicklern von Schmierstoffen zur Metallbearbeitung. In den letzten Jahren ist es gelungen, weitere Indizien in erdrückendem Umfang zu sammeln, die die bereits 2010 veröffentlichte Theorie von reinen Adsorptionsschichten bei der Wechselwirkung von Schmierstoff-Additiven mit Metalloberflächen untermauern. Die Oberflächen der verschiedenen Metalle bzw. deren Legierungen sind in ihrer chemischen Konstitution sehr unterschiedlich. Wer das leugnet, ignoriert ebenso die Erfahrungen aus der Praxis wie die Literatur aus der Korrosions-Forschung der vergangenen drei Jahrzehnte. Letzteres ist leider auch in vielen wissenschaftlichen Veröffentlichungen der Fall. Darum sei hier zuerst noch einmal mit Nachdruck erwähnt, dass es, mit Ausnahme von Gold und Platin, in der normalen Erdatmosphäre keine rein metallischen Oberflächen gibt. Alle anderen Metalle sind entweder rein oxidisch (z. B. rostfreie Stähle, Aluminium, Titan) oder in wechselnden Verhältnissen mit Oxiden bzw. Hydroxiden der entsprechenden Metalle bedeckt. Und genau diese Hydroxide bzw. Oxide sind die Aktionspartner der Additive in den Schmierstoffen. Eine Wechselwirkung mit reinen Metalloberflächen kann daher nicht stattfinden. Im Hochvakuum bzw. absolut wasserfreiem Schutzgas lassen sich selbstverständlich rein metallische Oberflächen erzeugen und dann an diesen auch Versuche durchführen. Das hat dann mit den realen Bedingungen der Schmierstoffwelt nichts zu tun. Unter realen Bedingungen haben Schmierstoffadditive die Möglichkeit mit den oben genannten Oberflächengruppen zu interagieren oder ihre Wirkung in der sie umgebenden Flüssigkeit zu entfalten. Letztgenannte Additive (z. B. Pour Point- oder Viskositätsindex-Verbesserer) wechselwirken aber kaum mit Metalloberflächen. Bei Interaktion mit der Metalloberfläche bleiben also nur drei Möglichkeiten: die Ausbildung von Wasserstoff brücken-Bindungen mit den Wasserstoffatomen der Hydroxid-Gruppen, die ionische Wechselwirkung mit den Metallatomen, die die Hydroxid-Gruppen tragen, und die Adsorption an die Metallatome in oxidischer Bindung. Liegen die unterschiedlich agierenden Moleküle in einem optimalen Verhältnis zueinander vor, entsteht ein synergistischer Effekt, d. h. die beiden Oberflächen in einem tribologischen Kollektiv werden nahezu vollständig bedeckt und so gegeneinander geschützt. Liegen Additive in einem suboptimalen Verhältnis vor (entweder zu wenig bzw. im Überschuss, je nach betrachteter Andockstelle), können die Oberflächen nicht optimal bedeckt werden. Die somit vorhandenen Fehlstellen führen zum Versagen des gesamten Systems. Diese Tatsache kann ohne weiteres auf geeigneten tribologischen Prüfmaschinen nachvollzogen werden. Eine Übertragung in die Praxis stellt, bei Kenntnis des realen tribologischen Kollektivs absolut kein Problem dar. Grundvoraussetzung ist allerdings, dass der Glaube an Reaktionsschichtbildung im Tribo-Kontakt aufgegeben wird. Zusammenfassung Die deutsche metallverarbeitende Industrie steht heute mehr denn je unter internationalem Wettbewerbsdruck. Sie ist gezwungen, die Produktivität ständig zu erhöhen und gleichzeitig alle Anforderungen, die sich aus ökologischen Aspekten und den damit verbundenen Richtlinien und Gesetzen ergeben, zu erfüllen. Sicher wird die Minimalmengenschmierung die überflutende Kühlschmierung nicht aus der Praxis verdrängen. Doch ist sie mehr als eine wertvolle Ergänzung der bisher eingesetzten Verfahren. Durch geringste Verbräuche an Kühlschmiermittel leistet sie einen wesentlichen Beitrag zur Schonung der Umwelt. Durch den gezielten Einsatz von Kühlschmierstoffen mit multifunktionellen Eigenschaften - entweder ein Produkt als Ersatz für verschiedene Schmierstofftypen oder ein Schmierstoff für verschiedene Bearbeitungen - und kompatiblen Produktfamilien ist es möglich, Prozesskosten einzusparen. Nicht der Verzicht auf Kühlschmierstoffe sollte das Ziel sein, sondern der optimale Einsatz dieser Produkte. Dadurch wird die deutsche metallverarbeitende Industrie auch in der Zukunft in der Lage sein, im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Ein kompetenter Kühlschmierstoffhersteller wird gemeinsam mit seinen Kunden nach der ökonomisch und ökologisch optimalen Lösung suchen. »« Eingangsabbildung: © Kadmy - stock.adobe.com