eJournals Schmierstoff + Schmierung 3/4

Schmierstoff + Schmierung
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expert verlag Tübingen
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2022
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Kühlschmierstoffe: Werden sie immer gefährlicher?

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2022
Stephan Baumgärtel
In den letzten Jahren tauchen vermehrt Gefahrensymbole auf Schmierstoffgebinden, vor allem bei Kühlschmierstoffen (KSS), auf. Dazu zählen meist das „Ausrufezeichen“ (GHS07), aber auch der „explodierende Körper“ (GHS08). Viele Anwender stellen sich daher die Frage: Wie gefährlich sind KSS? Was muss ich beachten? Wir versuchen hier, einige Antworten zu geben.
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Dr. Stephan Baumgärtel > Studium der Chemie an der Universität Frankfurt/ M., Promotion zum Dr. phil. nat. > F&E und Anwendungstechnik Metallbearbeitung und Industrieschmierstoffe für Mobil Oil und ExxonMobil im In- und Ausland > Abteilungsleiter beim Verband Schmierstoff-Industrie e.V., seit 2010 Verbandsgeschäftsführer Schmierstoff + Schmierung · 3. Jahrgang · 4/ 2022 26 FaQs Kühlschmierstoffe: Werden sie immer gefährlicher? Dr. Stephan Baumgärtel, Verband Schmierstoff - Industrie e. V. In den letzten Jahren tauchen vermehrt Gefahrensymbole auf Schmierstoffgebinden, vor allem bei Kühlschmierstoffen (KSS), auf. Dazu zählen meist das „Ausrufezeichen“ (GHS07), aber auch der „explodierende Körper“ (GHS08). Viele Anwender stellen sich daher die Frage: Wie gefährlich sind KSS? Was muss ich beachten? Wir versuchen hier, einige Antworten zu geben. KSS werden aus Chemikalien (genauer: Additiven und Grundölen) hergestellt. In den letzten zwanzig Jahren haben sich die rechtlichen Vorgaben des Chemikaliensektors erheblich verändert. Die deutliche und immer weiter gehende Verschärfung des Chemikalienrechts dient dem Ziel, Schaden von Mensch und Umwelt fernzuhalten. Daher sind heute zahlreiche Vorschriften zu beachten, die einerseits die Auswahl an Chemikalien und Chemikalienanbietern stark einschränkt und andererseits zusätzliche, hochqualifizierte Spezialisten voraussetzen, um die gesetzlichen Bestimmungen zu Arbeits- und Umweltschutz zu erfüllen. Ein erstes Beispiel ist die Kennzeichnung von dünnflüssigen Ölen mit dem „explodierenden Körper“-Symbol und dem Satz „Kann bei Verschlucken und Eindringen in die Atemwege tödlich sein.“, (Satznummer „H304“). Das Symbol ist das gleiche wie bei krebserzeugenden Stoffen. Aber: Liegt hier wirklich ein gravierendes Arbeitsschutzproblem vor? Der Kehlkopf am Rachenausgang trennt beim Schlucken den Luftweg vom Speiseweg. Dabei verschließt der sogenannte Kehldeckel des Kehlkopfs den Eingang zum Kehlkopf und verhindert so das Eindringen von Speisen (auch von Erbrochenem) und von Flüssigkeiten in die Luftröhre (welche am Kehlkopf beginnt). Dies geschieht recht wirksam bei den üblichen Speisen und bei wässrigen Flüssigkeiten. Besondere Flüssigkeiten wie z. B. dünnflüssige Öle werden jedoch durch den verschlossenen Kehlkopf nur ungenügend zurückgehalten. Wenn daher solche Flüssigkeiten beim Trinken oder beim Erbrechen in die Luftröhre und damit in die Lunge gelangen (wie wenn man sich „verschlucken“ würde), so spricht man von Aspiration. Die Aspiration solcher Flüssigkeiten kann zu sehr gefährlichen „chemischen“ Lungenentzündungen führen. Bekannt geworden sind vor allem FaQs 27 Schmierstoff + Schmierung · 3. Jahrgang · 4/ 2022 FAQs-|-Kühlschmierstoffe: Werden sie immer gefährlicher? Fälle, bei denen Kinder Lampenöl getrunken haben, wobei viele leider tödlich ausgingen. Daher tritt eine Gefährdung nur ein, wenn jemand vorsätzlich den dünnflüssigen Schmierstoff trinkt. Es ist bei diesen Schmierstoffen deshalb primär die Verwechslungsgefahr mit Getränken auszuschließen - daher kein Abfüllen in Getränkeflaschen oder Ähnliches! Eine weitere wichtige Regulierung ist die „REACH“-Verordnung, die seit 2006 in Kraft ist. Sie zwingt jeden Chemikalienhersteller seine Produkte auf Gefährlichkeit für Mensch und Umwelt zu testen und zwar auch dann, wenn diese gar nicht oder nur in geringer Menge mit Mensch und Umwelt in Kontakt kommen. Durch diese Tests werden immer mehr Chemikalien als Gefahrstoff identifiziert und entsprechend gekennzeichnet. Auch Schmierstoffe werden (bei gleichbleibender Rezeptur) immer gefährlicher. Ein viel zitiertes Beispiel ist die Borsäure. Borsäure wurde in KSS weithin als Universaladditiv verwendet, da es guten Korrosionsschutz bei hoher Stabilität und Haltbarkeit bietet. Durch die Kennzeichnung als Gefahrstoff („Reproduktionstoxisch“) sind viele Anwender verunsichert und immer mehr Produkte werden ohne Borsäure angeboten. Aber: Was steckt dahinter? Wir nehmen das Element Bor und seine Verbindung als Borsäure täglich aus verschiedenen Quellen auf, zum größten Teil jedoch über die Nahrung. Die Aufnahmemenge kann dabei stark variieren, aber es gelangen durchschnittlich 1,5 mg Bor am Tag über die Nahrung in unseren Körper. Besonders pflanzliche Erzeugnisse sind reich an Bor - wie Trockenobst, Gemüse, Nüsse, Wein und Bier. Auch das Trinkwasser trägt zur täglichen Bor-Aufnahme bei. Für Bor hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) für Erwachsene im Jahr 2004 eine tolerierbare Menge von 10 mg pro Tag abgeleitet, das entspricht etwa 50 mg Borsäure (oder ein kleines Schnapsglas voll KSS-Emulsion). Dennoch: In sehr hohen Dosen (rechnerisch bis zu 12 g/ Tag bei einem Erwachsenen) zeigt Borsäure im Tierversuch u. a. eine Schädigung der Spermien, daher wurde die Borsäure und damit auch viele KSS als gefährlich eingestuft. Diese Wirkung der Borsäure wird nur bei sehr hohen Dosen erreicht, die ein Mensch bestenfalls durch extremen Missbrauch aufnehmen kann. Viele Anwender verzichten dennoch auf borsäurehaltige Produkte. Hier zeigt sich das Problem: Von vielen Stoffen wusste man bestenfalls grob, ob diese gefährlich sind, weil niemand auf die Idee kam, sich diesen Stoffen in großen Mengen auszusetzen. Heute werden praktisch alle Stoffe auf ihre Gefährlichkeit getestet und natürlich findet man einige gefährliche Eigenschaften. Daher findet man auf dem KSS-Gebinde immer öfter Gefahrensymbole. Die Frage ist nur: Nimmt man den Stoff auf, trinkt man den KSS oder badet darin? Wohl eher nicht. Im Sicherheitsdatenblatt findet der Anwender u. a. in den Kapiteln 4, 7 und 8 Hinweise zur sicheren Verwendung. Werden diese beachtet, ist der Umgang mit dem KSS meist problemlos. Es gilt, eine Kennzeichnung zu respektieren, aber immer mit realistischen Bedingungen im Umgang zu vergleichen, dann sind Mensch und Umwelt gut geschützt. Aktuell in der Diskussion ist Benzotriazol (BZT). Dieser Stoff schützt Buntmetallwerkstoffe wie z. B. Kupfer vor anderen Chemikalien, die zu Verfärbungen und Korrosion führen würden und wird in entsprechenden KSS verwendet. Eine andere Verwendung erfolgt in Spülmaschinentabs, wo BZT z. B. das Anlaufen von Silber verhindert. Leider ist BZT gut wasserlöslich und nur schwer biologisch abbaubar. Über das Abwasser gelangt BZT in die Umwelt. Neuere Untersuchungen legen den Verdacht nahe, das BZT auf das Hormonsystem im Menschen wirkt und hier droht eine entsprechende Einstufung mit Gefahrensymbol (wahrscheinlich „GHS08“, der „explodierende Körper“). Nur: Ist das relevant für KSS? Im Gegensatz zu Abwasser aus Spülmaschinen gelangt KSS nicht direkt in die Umwelt, sondert wird fachgerecht entsorgt. Dabei kann auch das BZT entfernt werden. Eine direkte Aufnahme in den Körper wäre nur, wie bei der Borsäure, durch Trinken der KSS-Emulsion, Einatmen großer Mengen KSS-Aerosole oder aber umfangreichen Hautkontakt denkbar, denn BZT ist nur in Mengen von ca. 1 % im KSS-Konzentrat enthalten (KSS-Emulsion dann unter 0,1 %). Auch hier gilt: Werden die Anwender durch das Gefahrensymbol verunsichert? Ein weiteres Beispiel sind Biozide: Wassergemischte Kühlschmierstoffe sind anfällig für Keime aller Art und werden daher oft mit Bioziden konserviert. Biozide werden schon lange reguliert, um die Anwendung sicher zu machen. Die Biozidverordnung legt die Bedingungen fest, welche Biozide wie verwendet werden dürfen. Seit vielen Jahrzehnten werden für die KSS sogenannte Formaldehydabspalter eingesetzt, die natürlich als Biozid zugelassen sind. Formaldehyd ist ein Molekül, welches auch in der Natur oft vorkommt, z. B. in Früchten, Gemüse und Fisch, aber im Verdacht steht, Krebs zu verursachen, vor allem bei sehr hohen Dosen. Wegen des (theoretisch! ) maximalen Formaldehydgehalts bei einer vollständigen Zersetzung werden Formaldehydabspalter als „krebserzeugend“ gekennzeichnet und damit auch das KSS-Konzentrat. Entsprechend vorsichtig sollte damit umgegangen werden. Allerdings ist die Konzentration in der KSS-Emulsion so gering, dass eine Kennzeichnung entfällt und die Verwendung lt. Biozidverordnung sicher ist. Dennoch sind Anwender verunsichert und greifen auf Formulierungen zurück, die ohne Biozide auskommen sollen. (Wie verhindert man dort Keimwachstum? ) Ob dieser Weg der bessere ist, bleibt offen. Fest steht, das von verkeimten KSS definitiv eine hohe Gefährdung für Mensch und Umwelt ausgeht und ein möglichst keimfreier KSS angestrebt werden sollte. »« Eingangsabbildung: © Pixel_ B - stock.adobe.com / vektorisiert - stock.adobe.com