eJournals Schmierstoff + Schmierung 4/1

Schmierstoff + Schmierung
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20 Minuten mit ... Prof. Dr. Joachim Schulz

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Schmierstoff + Schmierung · 4. Jahrgang · 1/ 2023 32 20 MInuTEn MIT … 20 Minuten mit … Prof. Dr. Joachim Schulz Nachhaltigkeit ist eines der Themen im alltäglichen Leben, das omnipräsent ist und die Forschung und Entwicklung nach alternativen Rohstoffen vorantreibt. Auch in der Schmierstoffindustrie ist Nachhaltigkeit eine von vielen Herausforderungen, die unsere Unternehmen vor eine massive Transformation stellen.Forscher, Formulierer, Hersteller von Inhaltsstoffen und Endverbraucher von Schmierstoffen sind an nachhaltigeren Schmierstoffen interessiert, insbesondere an Bioschmierstoffen und Zusatzstoffen für diese. Die Unternehmen suchen vor allem nach Additiven für Bioschmierstoffe, die eine bessere Leistung und eine bessere Bio- und Oxidationsstabilität bieten, aber es ist noch mehr Forschung erforderlich. Die Nachfrage des verarbeitenden Gewerbes und staatliche Vorschriften, die biologisch erneuerbare Endprodukte vorschreiben, werden die Hersteller von Additiven und Schmierstoffen dazu veranlassen, sich um die Entwicklung und Förderung dieser Art von Produkten zu bemühen. Nachhaltigkeit, erneuerbare Ressourcen und ein geringerer CO 2 -Fußabdruck sind in vielen Bereichen die aktuellen Markttreiber, und Bioschmierstoffe können zur Erreichung dieser Ziele beitragen. Die Industrie benötigt Bioschmierstoffe für den direkten Gebrauch (z. B. Lebensmittel, Meeresumwelt), und es besteht eine ständige Nachfrage nach umweltfreundlicheren Lösungen für Hydraulikflüssigkeiten, Metallbearbeitungsflüssigkeiten und Umformflüssigkeiten, neben anderen Branchen. Anwender und Hersteller dieser Flüssigkeiten sehen sich wachsenden Leistungsanforderungen und gleichzeitig strengeren Vorschriften und Verboten gegenüber. Ein Beispiel für mögliche Verbote ist die CLP-Verordnung (Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung) der Europäischen Union (EU). In Anbetracht dieser Bedenken müssen die Forscher einen genaueren Blick auf Alternativen werfen. Bioschmierstoffe sind vielversprechend, aber es ist unklar, wie gut sich das bisherige Wissen über Schmierstoffformulierungen auf diesen Bereich übertragen lässt. Die meisten Additive sind auf fossile Rohstoffe abgestimmt. Die nächste Herausforderung besteht darin, das ideale Additivpaket für wasserlösliche Bioschmierstoffe zu finden und die chemischen Mechanismen von Additiven in diesen Flüssigkeiten zu verstehen. Wir haben hierzu mit Professor Dr. Joachim Schulz, Wissenschaftler bei der ML Lubrication GmbH in Schweinfurt, Deutschland gesprochen und er stellt heraus, dass zuerst die Definitionen sowohl für nachhaltige Schmierstoffe als auch für Bioschmierstoffe geklärt werden müssen. Herr Prof. Schulz, was genau meinen Sie mit Klärung der Definitionen? Der Begriff ‚Bio‘ ist nicht geschützt oder gut definiert. Viele Leute, auch in der Schmierstoffindustrie, ver- Prof. Dr. Joachim Schulz Prof. Dr. Joachim Schulz startete 1991 als Entwickler von Schmierstoffen in der Mineralöl-Industrie. 2001 wechselte er dann zu einer Farbengesellschaft. Ab 2004 war er verantwortlich für die Entwicklung von Schmierstoffen für die Umformung beim größten mittelständischen Schmierstoffhersteller. Seit Januar 2022 leitet er die Abteilung Umformung der ML Lubrication. Seit zwölf Jahren ist er Dozent für das Fachgebiet Tribologie von Schmierstoffen an der Universität Bremen. Weiterhin leitet er seit acht Jahren den gemeinsamen Additiv-Ausschuss der UNITI und des VSI. Auch verschiedene Veranstaltungen der UNITI, GFT und der Technischen Akademie Esslingen werden von ihm aktiv mitgestaltet. Fragen können gern an den Autor direkt gestellt werden: Joachim.Schulz@ml-lubrication.com. 33 Schmierstoff + Schmierung · 4. Jahrgang · 1/ 2023 20 Minuten mit …-|-Prof. Dr. Joachim Schulz wenden diese Begriffe uneinheitlich und verwirren damit die Menschen. Können Sie das näher spezifizieren? Ein Beispiel ist der Begriff umweltverträglicher Schmierstoff oder Bioschmierstoff . Heißt das, die Flüssigkeit ist biologisch abbaubar, ungiftig, basiert auf Pflanzenöl oder enthält nur natürliche Inhaltsstoffe? Können Sie Beispiele anhand von Definitionen für den Begriff „Bio“ nennen? Hierzu gibt es einige. Diese wurden in ähnlicher Form auch schon in entsprechenden Seminaren der UNITI genannt. Nachhaltig ist ein weiterer Begriff, der oft auf verwirrende Weise verwendet wird. > Biologisch abbaubar und biobasiert: Das Material ist erneuerbar und biologisch leicht abbaubar (z. B. Pflanzenöl). > Biologisch abbaubar: Das Material zersetzt sich zwar auf natürliche Weise, basiert aber nicht unbedingt auf erneuerbaren Rohstoffen (z. B. Diisotridecyladipat). > Biobasiert: Das Material ist erneuerbar, aber nicht unbedingt biologisch abbaubar (z. B. Kohlenwasserstoffe aus einem Biomass-to-Liquid [BTL]-Prozess). > Biokompatibel: Das Material ist weder erneuerbar noch biologisch abbaubar (z. B. Weißöl für lebensmittelverträgliche Schmierstoffe). Herr Prof. Schulz, was kann man unter dem Begriff „nachhaltig“ im Sinne von Handel und Marketing verstehen? Ich frage mich, ob damit nur die Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen in reiner Form gemeint ist, oder ob auch verarbeitete nachwachsende Rohstoffe unter diesen Begriff fallen können. Ich stelle außerdem in Frage, ob biologisch abbaubare oder erneuerbare Materialien eine Rolle bei der Nachhaltigkeit spielen können, wenn die Materialien vollständig recycelt werden. Was genau meinen Sie damit? Nehmen wir Bioschmierstoffe: Derzeit basieren etwa 70 % der Schmierstoffe auf Mineralöl, mit 350.000 Tonnen weltweit im Jahr 2019, wobei weniger als 1 % des gesamten Schmierstoffmarktes Bioschmierstoffe sind. Bei den eingesetzten Biowerkstoffen handelt es sich um verschiedene Pflanzenöle oder tierische Fette, z. B. Rohstoffe u. a. Raps-, Palm-, Sonnenblumen-, Rizinus- und Sojaöl sowie Rindertalg. Anzeige Max L. J. Wolf Projektarbeit bei kleineren und mittleren Vorhaben Orientierung schaffen für die Praxis mit dem Projektmanagement-Kompass! expertverlag.de Schmierstoff + Schmierung · 4. Jahrgang · 1/ 2023 34 20 Minuten mit … | Prof. Dr. Joachim Schulz Die Pflanzenöle können entweder in ihrer nativen Form verwendet oder durch chemische Prozesse in synthetische Ester umgewandelt werden, je nach Bedarf für bestimmte Anwendungen. Wie sieht es mit der Verwendung von Additiven in Bezug auf nachhaltige Schmierstoffe aus? Die Verwendung biobasierter Additive ist nichts Neues, da es sie schon seit Jahrzehnten gibt. Beispiele hatte ich eben genannt. Die Art der Additive, die für Schmierstoffe im Allgemeinen und für Bioschmierstoffe im Besonderen wichtig sind, hängt von der Anwendung des Schmierstoffs ab. Für Metallbearbeitungsflüssigkeiten z. B. ist ein hoher Gehalt an Antiverschleiß- (AW) und Hochdruckadditiven (EP) erforderlich. Da die Schmiereigenschaften von Bioschmierstoffen in der Regel besser sind als die von Schmierstoffen auf Ölbasis, benötigen sie weniger Additive zur Unterstützung der Schmiereigenschaften. Gibt es auch Einschränkungen im Bereich der Wechselwirkung mit Additiven und Bioschmierstoffen? Ja, die gibt es. Bioschmierstoffe neigen stärker zu Oxidation und Hydrolyse und erfordern daher einen höheren Bedarf an Additiven zur Verbesserung der Haltbarkeit/ Stabilität. Der derzeitige Druck, CO 2 -neutral zu werden, ist jedoch auch ein Katalysator für Innovationen, um überlegene Bioadditive und Bioschmierstoffe zu entwickeln, die auf nachhaltigen, lebensmittelneutralen Produktströmen beruhen. Die Additivindustrie hat sich bisher hauptsächlich auf die Entwicklung von Additiven für mineralölbasierte Schmierstoffe konzentriert, so dass die Ansätze für Bioschmierstoffe überdacht werden muss. Wo sehen Sie die größten Hindernisse in Bezug auf die Verwendung von Additiven in Bioschmierstoffen? Die größten Hindernisse für die Verwendung von Bioschmierstoffen stellten in der Vergangenheit die Bio- und Oxidationsstabilität sowie die EP-Verhalten dar. Die Auswahl an biobasierten EP-Additiven ist derzeit begrenzt bis nicht vorhanden. Ein weiteres Hindernis für Bioschmierstoffe ist deren Preis im Vergleich zu den Preisen für Schmierstoffe auf Erdölbasis. Wenn Rohöl billig ist, wird die Innovation gehemmt, vor allem wenn Anreize fehlen. Ferner sind die größten Hindernisse für den Einsatz von Bioschmierstoffen in der Kompatibilität mit bestehenden Additiven, Kupplern und Emulgatoren. Langfristig könnte die Kundennachfrage ein weiteres Problem darstellen, wenn die Kunden nicht bereit sind, Alternativen zu den bestehenden Schmierstoffen in Betracht zu ziehen. Nur die Bereitschaft des Marktes, Alternativen in Betracht zu ziehen, gibt den Anreiz für die kleineren Hersteller, neue Produkte zu entwickeln. Wo sehen Sie Segmente mit dem größten Bioschmierstoff-Potenzial? Für Kettensägenöle, Hydrauliköle, Marineöle, Betontrenn-/ Schalungsöle und Drahtseilschmierstoffe werden Pflanzenöle in ihrer nativen Form verwendet oder sie werden durch chemische Prozesse in synthetische Ester umgewandelt und so für die jeweilige Anwendung modifiziert. Ein weiteres Potential für Bioschmierstoffe sehe ich auch in der Verlustschmierung. Darüber hinaus können und sollten Bioschmierstoffe auch in anderen Anwendungen der Schmierstoffindustrie eingesetzt werden. Der geringere CO 2 - Fußabdruck und die höhere Leistungsdichte von Bioschmierstoffen im Vergleich zu Mineralöl erklären den Wert von Bioschmierstoffen. Zusätzlich sollten Fragen des Recyclings geklärt werden. Alle Schmierstoffe, die in einem System verwendet werden, sollten die gleiche Rohstoff basis haben und vollständig miteinander kompatibel sein, was das Recycling erheblich vereinfachen würde. Außerdem sollte die Additivindustrie mehr biobasierte bzw. biokompatible Additive entwickeln. Wie könnte eine Lösung für eine Entwirrung der Begrifflichkeiten aussehen? Die globale Schmierstoffindustrie braucht eine Standardisierung der Klassifizierung von Bioschmierstoffen und -additiven, verbunden mit einer dokumentierten Geschichte der Herkunft und Nachhaltigkeit jedes Produkts. Diese Standardisierung wird Klarheit schaffen, wenn nur ein kleiner Prozentsatz eines Materials biobasiert ist und dennoch als „grün“ vermarktet wird. Die Verwendung von biobasierten Materialien ist zwar ein Anfang auf dem Weg zu innovativeren Produkten, aber man muss auch den gesamten Kohlenstoff-Fußabdruck berücksichtigen, der von der Wiege bis zur Bahre entsteht. Die beiden deutschen Verbände UNITI/ VSI treiben gemeinsam das Thema bei UEIL voran. Wie sehen Sie die Ausrichtung in die Zukunft? Ich halte ein generelles Umdenken in Industrie und Gesellschaft für notwendig. Wenn die Gesellschaft weiterhin nach „höher, schneller, weiter“ strebt und nur an Gewinnmaximierung denkt, widerspricht dies den Zielen, die man sich für eine nachhaltige Wirtschaft gesetzt hat! »« Eingangsabbildung: © istock.com/ Comeback Images