eJournals Schmierstoff + Schmierung 4/3

Schmierstoff + Schmierung
sus
2699-3244
expert verlag Tübingen
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2023
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Der Weg zum richtigen Turbinenöl

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Rüdiger Krethe
Das Wort Turbine stammt vom lateinischen Wort „turbare“ ab, was „sich drehen“ bedeutet. Turbinen sind Strömungskraftmaschinen. Sie wandeln die einem strömenden Medium innewohnende „Bewegungsenergie“ in rotierende Bewegungen um. Die Rotordrehzahl kann in dem einen Turbinentyp überschaubar sein, in einem anderen leicht einige 10.000 Umdrehungen pro Minute betragen.
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7 Schmierstoff + Schmierung · 4. Jahrgang · 3/ 2023 FacHartiKEl Der Weg zum richtigen Turbinenöl Rüdiger Krethe, OilDoc GmbH Das Wort Turbine stammt vom lateinischen Wort „turbare“ ab, was „sich drehen“ bedeutet. Turbinen sind Strömungskraftmaschinen. Sie wandeln die einem strömenden Medium innewohnende „Bewegungsenergie“ in rotierende Bewegungen um. Die Rotordrehzahl kann in dem einen Turbinentyp überschaubar sein, in einem anderen leicht einige 10.000 Umdrehungen pro Minute betragen. Den allermeisten sind Turbinen vor allem aus Kraftwerken zur Erzeugung elektrischer Energie oder als Antrieb von Flugzeugen bekannt. Doch in der Chemischen Industrie und anderen Produktionszweigen dienen sie hauptsächlich als Antriebsmaschine für Maschinen „im XXL-Format“, z. B. Pumpen oder Turbokompressoren, deren Leistung im Megawatt-Bereich angesiedelt ist. Während die mittlere Lebensdauer eines PKW in der EU ca. 10 Jahre beträgt, sind für Turbinen 50 Jahre und mehr keine Seltenheit. Dementsprechend groß ist ihre Vielfalt an Bauformen, Größen und technologischen Standards. Auch Turbinen wurden und werden stetig leistungsfähiger, dabei effizienter und smarter im Betrieb. Turbinen werden in folgende Gruppen eingeteilt (Tabelle 1). Rüdiger Krethe Rüdiger Krethe ist Geschäftsführer der OilDoc GmbH, der Akademie für Weiterbildung rund um Schmierstoffanwendung, Ölanalysen und proaktive Instandhaltung. Nach seinem Studium des Maschinenbaus und der Tribotechnik war er im Produktmanagement für Industrieöle einer Mineralölgesellschaft tätig. Anschließend leitete er 15 Jahre das Diagnose-Team von OELCHECK. Seit mehr als 30 Jahren gibt Rüdiger Krethe als IHK-zertifizierter Trainer in Seminaren sein Know-how zu Tribologie, Schmierstoffen und Ölanalysen erfolgreich weiter. Außerdem ist er seit der ersten Ausgabe aktives Mitglied des Redaktionsteams der Schmierstoff+Schmierung. Schmierstoff + Schmierung · 4. Jahrgang · 3/ 2023 8 Fachartikel | Der Weg zum richtigen Turbinenöl Das Öl: Schmierung und Steuerung Dem Öl kommen zwei grundsätzliche Aufgaben zu: > Schmieren > Steuern Einerseits sind die Lagerungen der Rotoren, die Lager und Verzahnungen etwaiger Getriebe zu schmieren. Je nach Turbinentyp und konstruktiver Gestaltung können beide Aufgaben durch einen gemeinsamen oder getrennte Ölkreisläufe abgedeckt werden. In der Peripherie kommen Generatorlager und ggf. Nebenantriebs-Getriebe oder -Hydrauliken dazu. Zur Steuerung der Prozesse werden angesichts der zu realisierenden Kräfte und Momente in der Regel Hydrauliksysteme genutzt. Beispielsweise geht es um die Verstellung von Großarmaturen, die über Ventile, Leitschaufeln etc. die Volumenströme steuern, um Turbinen zu regeln, an- oder abzufahren. In Windkraftanlagen werden die Rotorblätter in den Wind hinein- oder auch hinausgedreht oder gar die gesamte auf dem Turm befindliche „Nascelle“ gedreht sowie Bremsen hydraulisch betätigt. Je nach Drehzahl des Rotors und des eingesetzten Generatortyps müssen Getriebe eingesetzt werden oder auch nicht. Die Vielzahl der verschiedenen Typen und deren teilweise sehr speziellen Schmieranforderungen können an dieser Stelle nicht behandelt werden. Es ist leicht nachzuvollziehen, dass der sich beispielsweise mit 10.000 Umdrehungen pro Minuten (oder mehr) drehende Rotor einer Dampfturbine andere Anforderungen an die Lagerung und das Schmieröl stellt als ein sich mit 100 Umdrehungen pro Minute drehender Rotor einer Kaplanturbine oder gar die Rotorlagerschmierung einer Windturbine. Tiefer einsteigen in das Thema können Sie z. B. in den Seminaren der OilDoc-Akademie in Brannenburg. Hier finden regelmäßig Seminare zu den Themen Schmierung und Ölüberwachung von Turbinen, Turbokompressoren, Windkraftanlagen und seit neuem auch speziell Wasserturbinen statt. Ölauswahl - das Prinzip In einer der Ausgabe 01/ 2022 der „Schmierstoff und Schmierung“ wurde bereits der generelle Weg beschrieben, das richtige Motorenöl fürs Fahrzeug zu finden und dabei auf ein System neutraler, herstellerübergreifender Öl-Klassifikationen und die OEM- Freigaben der Fahrzeughersteller verwiesen. Prinzipiell ist das für eine ganze Reihe industrieller Anwendungen vergleichbar, so auch für Turbinenöle in Dampf- oder Gasturbinen: > Die allgemeinen Anforderungen sind in DIN-, EN-, ISO- oder ASTM-Standards beschrieben. > Die spezifischen Anforderungen bestimmter Turbinen regelt der Turbinenhersteller mit Freigaben, Werknormen oder Richtlinien. > Die Gewährleistung der Turbinenhersteller ist in der Regel mit dem Einsatz dieser OEM-spezifizierten bzw. freigegebenen Öle verbunden. Mit dem OEM-spezifizierten Motorenöl ist - im Gegensatz zum Turbinenöl (! ) - zusätzlich folgendes festgelegt: Kategorie Antriebsquelle Einsatzgebiet Dampfturbine Der bei der Erhitzung von Wasser entstehende, stark expandierende Wasserdampf. Energiequelle: Kohle, Gas, Kernenergie, Abfälle und nachwachsende Rohstoffe. Herzstück thermischer Kraftwerke und Antriebsquelle im XXL-Format. Leistungen von wenigen MW bis einigen Hundert MW pro Turbine. Gesamt-Wirkungsgrad ca. 40 %. Gasturbine Die stark expandierenden Verbrennungsgase. Energiequelle: Gase oder flüssige Kraftstoffe wie Kerosin, biogene oder synthetische E-Fuels Einsatz in Gaskraftwerken oder auch „GuD“-Kraftwerken. Triebwerke in Schiff- und Luftfahrt (Kraftstoff Kerosin) und der Industrie. Leistungen von wenigen MW bis einigen Hundert MW. Gesamt-Wirkungsgrad ca. 40 %. Wasserturbine Energiequelle: Bewegungsenergie des Wassers. Lauf- (Fluss-), Speicher- oder Pumpspeicher-Kraftwerke. Natürliche, erneuerbare Energiequelle. Überwiegend zur Energieerzeugung, früher vermehrt Antrieb von Maschinen. Energieerzeugung kann auch Nebenprodukt der Hochwasser-Regulierung sein. Leistungen von < 1 MW (Kleinkraftwerke) bis zu einigen Hundert MW pro Turbine. Gesamt-Wirkungsgrad bis zu 90 %. Windturbine Bewegungsenergie der Luft (Wind). Natürliche, erneuerbare Energiequelle. Energieerzeugung an Land (onshore) und auf dem Meer (offshore). Leistungen bis derzeit 15 MW. Gesamt-Wirkungsgrad ca. 50 %. Tabelle 1: Turbinen und ihre Einsatzgebiete 9 Schmierstoff + Schmierung · 4. Jahrgang · 3/ 2023 Fachartikel-|-Der Weg zum richtigen Turbinenöl > Mit der Freigabe des Motorenöls ist in der Regel auch das Ölwechselintervall fixiert. > Außer der regelmäßigen Kontrolle und der ggf. notwendigen Korrektur des Ölstandes fallen keine notwendigen Arbeiten an. > Mit Longlife-Ölen werden Ölwechselintervalle von 30.000 Kilometern erreicht bzw. von 2 Jahren (was zuerst eintritt). > Der in einer Fachwerkstatt durchgeführte Ölwechsel ist innerhalb weniger Stunden erledigt. Für Privatpersonen bedeutet das aufgrund der meist überschaubaren Jahresfahrleistung, das Öl alle 2 Jahre zu wechseln. Mit dem OEM-spezifizierten Turbinenöl ist das Ölwechselintervall in der Regel nicht vorgegeben, d. h. stunden- oder zeitbasiert limitiert. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Wenn die wesentlichen Unterschiede beider technischen Systeme und vor allem die tatsächlichen Gegebenheiten des Betriebes berücksichtigt werden: > Dampfturbinen selbst des gleichen Typs unterscheiden sich nicht selten in Details, die der Kundenanwendung angepasst wurden. Eine Turbine „von der Stange“ gibt es praktisch nicht. > Ein Ölwechselintervall von 30.000 km sind, mit dem Maßstab einer industriellen Dauerlauf-Anwendung gemessen, gerade mal 600 Stunden, d. h. weniger als 1 Monat. > Wirtschaftliche Ölwechselintervalle müssen angesichts der erheblichen Stillstands-Kosten eines Ölwechsels um ein Vielfaches länger sein. Selbst die 10-fache Ölstandzeit wäre nicht genug (bei der die prognostizierte Lebensdauer des PKW längst überschritten wäre). > Die Betriebsbedingungen der auf stabilen Dauerbetrieb ausgelegten Turbinen sind durch netzregulatorische Maßnahmen mit zunehmenden Stopps und nachfolgendem Wiederanfahren alles andere als stabil. > Alle Aspekte des Langzeitbetriebes lassen sich nicht durch Einzeltests und Prüfstands-Untersuchungen abbilden. Die OEM-Freigabe prüft die prinzipielle Einsetzbarkeit des Turbinenöls, jedoch sind weder die Einsatzbedingungen, Standzeiten als auch die für lange Laufzeiten erforderlichen Ölpflegekonzepte standardisierbar. Ein den PKW-Motorenölen vergleichbar detailliertes Konzept der Ölfreigabeprüfung und -Spezifizierung zu realisieren, ist technisch und wirtschaftlich nicht umsetzbar. Die Konsequenz Ein ausfallsicherer Betrieb von Turbinen und ein wirtschaftliches Ölwechselintervall sind nur mit Hilfe einer regelmäßigen, professionellen Ölüberwachung und einem darauf abgestimmten Ölpflege- Konzept realisierbar. Dabei sollte bewusst sein, dass die Kosten für das Turbinenöl beim Ölwechsel angesichts der hohen Produktionsausfallkosten nur von untergeordneter Bedeutung sind. In den letzten Jahren hat sich herauskristallisiert, dass alterungsbedingte Ablagerungen („Varnish“ = Lackbildung auf den metallischen Oberflächen) die Hauptursache für ölbedingte Störungen im Turbinenbetrieb sind. Die Gründe sind vielfältig, lassen sich jedoch auf drei hauptsächliche Faktoren zurückführen: > Erhöhte Anforderungen an Turbinenöle durch stark leistungs- und effizienzgesteigerte Turbinentypen. > Notwendigkeit neuer Turbinenöl-Technologien, um diesen Anforderungen zu begegnen. > Herausfordernde Betriebsbedingungen durch deutlich mehr Stopps und Re-Starts. Abbildung 1 verdeutlicht, wie im Betrieb erfolgreich darauf reagiert wurde. Die Turbine und der Betrieb geben die Anforderungen vor. Der Anwender kann durch die Auswahl des Turbinenöls, orientiert an der OEM-Freigabe und möglichst Markterfahrungen bzw. Referenzen mit dem Öl Standzeit und Ablagerungsneigung erheblich beeinflussen. Alle Gegebenheiten lassen sich jedoch in keiner OEM-Freigabe berücksichtigen und die Betriebsbedingungen können individuell sehr verschieden sein. Deshalb ist die regelmäßige Kontrolle des Ölzustan- Jetzt beraten lassen: +49 (0)171 30 97 246 | Ihr persönlicher Ansprechpartner: Michael. M. Cornelius CJC® Ölpflegesysteme und Condition Monitoring Systeme Ölwechsel-Intervalle maximieren | Wartungskosten minimieren | Maschinenzuverlässigkeit erhöhen • Hydraulik- und Schmierölfilter • Varnish-Filter • Wasserabscheider • Kraftstoffreinigungsanlagen • Kühlschmierstoff-Filter • Härteöl- und Thermalölfilter Das Synonym für Ölpflege Proaktiv Instandhalten Mehr erfahren: www.cjc.de/ oelpflegesysteme www.cjc.de | oel@cjc.de | Karberg & Hennemann GmbH & Co. KG | Marlowring 5 | 22525 Hamburg Anzeige Schmierstoff + Schmierung · 4. Jahrgang · 3/ 2023 10 Fachartikel | Der Weg zum richtigen Turbinenöl des wichtig. Deshalb sind Ölanalysen im Betrieb von Turbinen seit Jahrzehnten etabliert. Angesichts der veränderten Marktsituation sollten sie neben den klassischen Parametern auch speziell entwickelte Prüfmethoden beinhalten, wie die Überwachung des Additivabbaus (FT-IR, RULER) und der Ablagerungsneigung (MPC-Test). Je früher Herausforderungen erkannt werden, umso mehr Zeit bleibt, um durch gezielte Ölpflege- Maßnahmen darauf zu reagieren. Doch nicht nur das: Umso weniger stark ist der Betrieb davon beeinträchtigt und umso wirtschaftlicher können die Maßnahmen gestaltet werden. Professionelle Ölanalyse-Laboratorien bieten deshalb zur Turbinenölüberwachung gezielt Analyse- Sets an, die den neuen Gegebenheiten Rechnung tragen. Auch für den Bereich der Ölwechsel an Großsystemen und der Systempflege haben sich inzwischen professionelle Dienstleister auf diese Herausforderungen eingestellt. Entscheidend: Das richtige Öl- und Service-Konzept Es ist für den Turbinenbetreiber damit nicht einfacher geworden das optimale Turbinenöl zu finden. Anders als im PKW-Bereich ist es kein Sofort-Ergebnis anhand von wenigen Buchstaben und Zahlen auf der Ölflasche, sondern ein Weg zum richtigen Gesamtkonzept: > Das richtige Öl unter Berücksichtigung der individuellen Betriebs- und Umgebungsbedingungen > Die professionelle, auf moderne Turbinen- und Hydrauliköle ausgerichtete Ölüberwachung > Die auf die Gegebenheiten und Analysenergebnisse basierende Öl- und Systempflege Erst die Praxis zeigt, wie erfolgreich diese drei Bereiche aufeinander abgestimmt sind. Lesen Sie dazu nochmal die Ausgabe 2/ 2022 der „Schmierstoff und Schmierung“. Sie enthält Beiträge zu den einzelnen Bereichen. Alle vergangenen Ausgaben finden Sie kostenfrei zum Download unter https: / / elibrary.narr.digital/ journal/ sus. Übrigens: „Kunst kommt von Können“ - Profis verweisen deshalb zu Recht auf Referenzen, um ihre langjährigen Erfahrungen und erfolgreiche Umsetzung ihrer Konzepte nachzuweisen. »« Eingangsabbildung: © Filipp - stock.adobe.com Abb. 2: Laborbericht zur einer Turbinenölanalyse (© OELCHECK GmbH) Abb. 1: Dreieck des zuverlässigen Turbinenbetriebes (© OilDoc GmbH)