Schmierstoff + Schmierung
sus
2699-3244
expert verlag Tübingen
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Nikolaus Geiler
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Schmierstoff + Schmierung · 5. Jahrgang · 1/ 2024 26 20 MInuTen MIT … 20 Minuten mit … Nikolaus Geiler Wie und wann sind Sie auf das Problem mit Benzotriazol (BTA) und anderen Spurenstoffen aufmerksam geworden? Ich war über zwei Jahrzehnte hinweg einer der Delegierten der Umweltverbände in der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins (IKSR). Und in der IKSR war Benzotriazol schon vor vielen Jahren ein Thema, weil Benzotriazol zu den Top Ten der Mikroverunreinigungen im Rhein gehört. Die Wasserversorger, die entlang des Rheins - oder auch in Berlin - Uferfiltrat zu Trinkwasser auf bereiten, haben mit Benzotriazol ein Problem: Die biologisch schwer abbaubare Substanz lässt sich mit den üblichen Aufbereitungsverfahren nur mit schlechtem Wirkungsgrad aus dem Uferfiltrat entfernen Auf Mikroverunreinigungen bin ich das erste Mal schon 1968 aufmerksam geworden: Damals hatte ich als Schüler im „Industriekurier“ (einem Vorläufer des heutigen „Handelsblattes“) eine kleine Notiz gelesen: Forellenmännchen, die man in Käfigen in die Themse ausgesetzt hatte, zeigten Anzeichen einer Verweiblichung. Man hatte die Geschlechtsänderung auf die damals aufkommende „Antibabypille“ zurückgeführt. Die synthetischen Östrogene in der „Pille“ wurden im Großraum London von Hundertausenden Frauen ausgeschieden - und gelangten wegen fehlender Kläranlagen „ungefiltert“ in die Themse. Das Thema fand ich so spannend, dass ich überlegte, nicht das Rundfunkingenieurfach, sondern Limnologie (Binnengewässerkunde) zu studieren. Welche anderen Stoffe gibt es noch, die im Rahmen der Spurenstoffstrategie untersucht werden? Neben den synthetischen Östrogenen gibt es noch eine Vielzahl weiterer Mikroverunreinigungen, die selbst in geringsten Konzentrationen (Nanogramm pro Liter) hormonelle Wirkungen aufweisen. Hinsichtlich von Pharmawirkstoffen geht man davon aus, dass etwa 300 Arzneimittelinhaltsstoffe schwer abbaubar sind und zumindest potenziell die Gewässerökologie beeinträchtigen könnten. Bei den Industriechemikalien zählen spätestens seit den 90er-Jahren die per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS) zu den Mikroverunreinigungen, die sich nicht nur in Bächen und Flüssen, sondern lokal auch schon im Grundwasser nachweisen lassen. Der kleinste und mobilste Vertreter der unheiligen PFAS-Familie ist das Trifluoracetat (TFA). Die Substanz ist mittlerweile ubiquitär nachweisbar, also beispielsweise auch schon in Biobier und Biowein. Das ist darauf zurückzuführen, dass TFA inzwischen im Regenwasser allgegenwärtig ist und damit auch den Weg in die Gerste bzw. in die Weintraube findet. Im Rahmen der Spurenstoffstrategie hatte man „zum Auftakt“ zunächst einmal nur drei Substanzen ausgewählt, um an „Runden Tischen“ mit allen je- Nikolaus Geiler Nikolaus Geiler (71 Jahre) war seit Abschluss seines Limnologie- Studiums in den 80er-Jahren freiberuflich tätig im Bereich der Wasserwirtschaft - als Gutachter, Wissenschaftsjournalist, als Ausbilder für betrieblichliche Gewässerschutzbeauftragte an den DEKRA-Akademien Freiburg und Villingen sowie als Lehrbeauftragter für Wasserrecht an der Uni Freiburg. Darüber hinaus engagierte sich Nikolaus Geiler in den Umweltverbänden immer dann, wenn es um „Wasserfragen“ ging. Geiler gibt weiterhin den BBU-WASSER- RUNDBRIEF heraus, der mittlerweile in über 1200 Ausgaben über das aktuelle Gesehen in der Wasserwirtschaft und in der Gewässerschutzpolitik informiert. 27 Schmierstoff + Schmierung · 5. Jahrgang · 1/ 2024 20 Minuten mit …-|-Nikolaus Geiler weils involvierten Akteuren („Stakeholdern“) über Minderungsstrategien zu beraten. Neben Benzotriazol waren das die jodierten Röntgenkontrastmittel und Diclofenac (der in Voltaren enthaltene Wirkstoff). Welche Probleme sehen Sie in den Spurenstoffen allgemein und beim BTA im Besonderen? Allen schwer abbaubaren Mikroverunreinigungen ist gemeinsam, dass sie in den herkömmlichen Kläranlagen nur unzureichend bis gar nicht eliminiert werden können. Teilweise scheitern auch die üblichen Trinkwasserauf bereitungstechniken an diesen Stoffen, sodass sie bis ins Trinkwasser „durchbrechen“. Im Hinblick auf die Gewässerökologie ist es problematisch, dass beispielsweise Diclofenac den Fischen buchstäblich „auf die Nieren schlägt“ und andere Pharmawirkstoffe beispielsweise das Paarungsverhalten von gewässerbewohnenden Organismen negativ beeinflussen können. Beim schwer abbaubaren Benzotriazol liegt das Problem darin, dass beispielsweise die Trinkwasserkonsumenten in Berlin nicht sonderlich begeistert sind, wenn sie erfahren, dass im Berliner Trinkwasser schon Spuren von Benzotriazol nachweisbar sind. Im Nanogrammbereich gilt Benzotriazol zwar nicht als gesundheitsschädlich - aber die „trinkwasserfremde“ Substanz will niemand täglich im Tee oder im Kaffee „genießen“. Wie und warum wurde der „Runde Tisch“ gegründet? Wegen des Primats des freien Warenverkehrs in der EU gibt es kaum Möglichkeiten, nationale Stoffreglementierungen - geschweige denn Stoffverbote - durchzusetzen. Das Bundesumweltministerium hatte deshalb im Jahr 2020 eine „Freiwilligkeitsstrategie“ eingeschlagen: An den Runden Tischen sollte am Beispiel von zunächst drei exemplarischen Mikroverunreinigungen unter Beweis gestellt werden, dass die interessierten Kreise in der Lage wären, sich im Konsens auf Minderungsstrategien zu einigen. An den drei Runden Tischen zu Diclofenac, zu den Röntgenkontrastmitteln und zu Benzotriazol engagierten sich u. a. VertreterInnen der Wasserversorger und der Kläranlagenbetreiber, der Behörden, des Bundesumweltministeriums und des Umweltbundesamtes sowie des Fraunhoferinstitus für System- und Innovationsforschung (als wissenschaftlicher Begleiter und Organisator). Bei den Röntgenkontrastmitteln und bei Diclofenac waren selbstverständlich auch die Hersteller zugegen. Da Benzotriazol zu 100 Prozent aus Asien importiert wird, fehlten am Runden Tisch Benzotriazol die Hersteller. Dafür waren prominent die Inverkehrbringer (beispielsweise Castrol Germany GmbH) vertreten. Welche Lösungen für das Spurenstoffproblem (vor allem bei dem Einsatz von BTA) in der Metallbearbeitung sehen Sie? Im Verlauf der Sitzungen des Runden Tisches Benzotriazol habe auch ich als Vertreter der Umweltverbände eingesehen, dass - anders als bei Maschinengeschirrspülmitteln - in der Metallbe- und -verarbeitung auf Benzotriazol nicht gänzlich verzichtet werden kann. Für den Korrosionsschutz bei der Bearbeitung von Kupfer und Buntmetallen muss aber zumindest das Motto gelten: „So viel wie nötig, so wenig wie möglich! “ Ferner gilt es, bei der Aufarbeitung von Kühlschmierstoffen den „Schlupf “ - also die Verlustrate - weiter zu reduzieren. Die Durchsetzung des Minimierungsgebotes muss auch bei den Chemisch- Physikalischen Behandlungsanlagen durchgesetzt werden, in denen Benzotriazol-haltige Flüssigkeiten entsorgt und/ oder wieder aufgearbeitet werden. Der Runde Tisch war sich einig, dass bei Anwendern, Aufarbeitern und Entsorgern von Benzotriazol-haltigen Betriebsstoffen vor allem das Bewusstsein für die Gewässer- und Trinkwasser-Relevanz von Benzotriazol geschärft werden sollte. Obwohl im Rahmen der „Energiewende“ vermehrt kupferhaltige Werkstoffe bearbeitet werden müssen, sollte dies die Bemühungen zur Minimierung des Einsatzes von Benzotriazol keinesfalls konterkarrieren. Bei der Erfolgskontrolle dieser Bemühungen kommt vor allem den Wasserversorgern und den Wasserbehörden eine wesentliche Rolle zu: Der Erfolg würde sich darin manifestieren, dass die Konzentrationen und Frachten von Benzotriazol im Rhein und in der Spree in möglichst kurzer Zeit möglichst signifikant zurückgehen - zum Wohle nicht nur der dortigen TrinkwasserkonsumentInnen. »« Eingangsabbildung: © istock.com/ Comeback Images
