eJournals Schmierstoff + Schmierung 5/3

Schmierstoff + Schmierung
sus
2699-3244
expert verlag Tübingen
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2024
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20 Minuten mit ... Dr. Silvio Risse

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Elisabeth Götze
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Schmierstoff + Schmierung · 5. Jahrgang · 3/ 2024 24 20 MInuten MIt … 20 Minuten mit … Dr. Silvio Risse In einem exklusiven Interview mit Elisabeth Götze,VSI sprach Dr. Silvio Risse, Engineering Direktor bei KBB Kompressorenbau Bannewitz GmbH, zu den aktuellen Trends, Anforderungen und Herausforderungen in der Entwicklung und Anwendung von Hochleistungs-Abgasturboladern. Das Gespräch fokussiert sich insbesondere auf den Einsatz neuer Kraftstoffe wie Wasserstoff und Methanol/ Ammoniak und deren Wechselwirkungen mit Schmierstoffen. KBB Kompressorenbau Bannewitz GmbH (KBB) wurde vor über 75 Jahren gegründet und hat sich seit den 1950er Jahren auf die Entwicklung und Produktion von Hochleistungs-Abgasturboladern spezialisiert. Mit einem Leistungsbereich von 500 kW bis 6 Megawatt werden die Turbolader weltweit in stationären Anlagen zur Stromerzeugung sowie in Großmotoren im Marine- und Schiffsbau eingesetzt. Am einzigen Produktionsstandort in Bannewitz bei Dresden werden die Turbolader kontinuierlich unter den neuesten Herausforderungen im hauseigenen Prüfstand getestet und stetig weiterentwickelt. Dr. Silvio Risse ist seit 2011 bei KBB und seit 2019 als Engineering Direktor verantwortlich für die Entwicklung, Konstruktion und Prozessprüfung der Turbolader sowie für den permanenten Kundenkontakt. Seine Expertise und Erfahrung machen ihn zu einem maßgeblichen Experten auf diesem Gebiet. Die letzten Jahre waren überaus herausfordernd. Welche aktuellen Trends und Innovationen sehen Sie im Bereich der Turbolader? Leistungssteigerung der Abgasturbolader zur Leistungssteigerung der Großmotoren war schon immer ein Thema bei der Entwicklung. In den letzten 10- 15 Jahren wurde aber das Thema Emissionsreduzierung v. a. durch die Einführung der IMO II/ III-Anforderungen in der Marine immer mehr präsent. Erste Abgasnachbehandlungssysteme zur Stickoxidreduzierung wurden eingeführt und für innermotorische Emissionsreduzierungen der Ladedruck weiter angehoben. Seit 2-3 Jahren liegt der Fokus ganz klar auch auf Emissionsreduzierung durch komplexere Abgasnachbehandlungssysteme ähnlich wie im Automotive-Bereich. Die direkte Interaktion von Abgasnachbehandlungssystem und Abgasturbolader erfordert zusätzliche Berücksichtigung bei Neuentwicklungen. Ein weiterer Trend, der sich abzeichnet, ist der Einsatz neuer Kraftstoffe wie Methanol, Ammoniak und Wasserstoff. Diese Kraftstoffe erfordern Anpassungen an unseren Produkten, da sie mit neuen Herausforderungen hinsichtlich der Schmierung und der Materialverträglichkeit verbunden sind. Zum Beispiel kann Methanol und Ammoniak korrosiv wirken und erhebliche Schäden an Kupferlegierungen verursachen, die in unseren Lagermaterialien verwendet werden. Welche spezifischen Herausforderungen treten bei der Schmierung von hybriden Hochleistungs-Abgasturboladern auf? Die Schmierung hybrider Hochleistungs-Abgasturbolader ist besonders anspruchsvoll, da die neuen Kraftstoffe und die höheren Betriebsdrücke und -temperaturen die Anforderungen an Schmierstoffe erheblich verändern können. Methanol, Ammoniak oder die Bestandteile deren Verbrennung, können direkt mit dem Schmierstoff in Verbindung treten und dadurch Dr. Silvio Risse Dr.-Ing. Silvio Risse ist seit 2019 Technischer Direktor bei der Kompressorenbau Bannewitz GmbH (KBB) und verantwortlich für die Entwicklung, Konstruktion, Anpassung und Tests von Abgasturboladern für mittelschnelllaufender Großmotoren. Seit 2010 arbeitet er bei KBB mit dem Schwerpunkt Entwicklung, Abstimmung und Überwachung von ein- und mehrstufigen Aufladesystemen für große Verbrennungsmotoren. 25 Schmierstoff + Schmierung · 5. Jahrgang · 3/ 2024 20 Minuten mit …-|-Dr. Silvio Risse dessen Eigenschaften beeinflussen. Dies stellt uns vor die Frage, ob neue Schmierstoffspezifikationen notwendig sind oder ob bestehende Spezifikationen ausreichen. Ein zentraler Punkt, der uns beschäftigt, ist die Stabilität der Schmierstoffe unter den veränderten Betriebsbedingungen. Parameter wie Viskosität, Oxidationsstabilität und die Interaktion mit den verwendeten Materialien sind von hoher Bedeutung. Eine umfassende Grundlagenforschung ist erforderlich, um die Langlebigkeit und Effizienz der Schmierstoffe sicherzustellen. Ein Lagerausfall wäre katastrophal für einen Abgasturbolader, daher ist es essenziell, dass die Schmierstoffe ihre schützenden Eigenschaften auch unter extremen Bedingungen behalten. Dafür betreiben wir aktuell enorme Grundlagenforschung und konzipieren neue Konzepte, um immer einen Schritt voraus zu sein. Die Turbolader müssen geprüft und inspiziert werden, wobei der Zeitaufwand hier bei 2-3 Jahren liegt, um Flexibilität bei gleichzeitiger Stabilität zu gewährleisten. Das ist natürlich kritisch und bedarf, dass wir in Vorleistung gehen müssen, da es bisher keine Langzeiterfahrungen gibt - wir reden hier von maximal 1000 Stunden. Wir arbeiten daran, diese Versuche auch in großem Maßstab umzusetzen, um einen „Motorlaufzyklus“ von mindestens 50.000-60.000 Stunden zu erleben. Dabei beobachten wir Veränderungen in der Ölzusammensetzung, Wassereinlagerungen, Ölalterung und Partikelablagerungen, die chemische Veränderungen oder Korrosion im Motor aufzeigen könnten. Diese Themen waren bisher kein Standard, da die bisherigen Kraft- und Schmierstoffe über Jahrzehnte aufeinander abgestimmt wurden - diese Zeit haben wir jetzt nicht. Wie entwickeln sich die Anforderungen an Schmierstoffe für Abgasturbolader in Hochleistungsmotoren weiter, und welche Rolle spielen dabei neue Werkstoffe? Die Anforderungen an Schmierstoffe für Abgasturbolader in Hochleistungsmotoren steigen kontinuierlich aufgrund der strengeren Emissionsvorschriften und der Notwendigkeit höherer Effizienz. Neue Kraftstoffe bringen höhere Drücke und Temperaturen mit sich, was neue Ölzusammensetzungen und eine komplette Neugenerierung der Alterungsbeständigkeit der Schmierstoffe erfordert. Ein weiterer Diskussionspunkt ist, ob die Methanolblasenbildung, die durch den Motor gezogen werden und verschäumt, die Viskosität des Öls beim Abgasturbolader kritisch beeinflusst . Dies kann sofort die Rotordynamik ändern, daher weisen wir die Motorenhersteller darauf hin und tauschen uns regelmäßig zu diesen Themen aus. Bei Wasserstoff wird aktuell stark diskutiert, inwieweit das Thema Öl und Schmierstoffe Einfluss auf die Selbstentflammung hat. Auch bei den Experten für stationäre Gasmotoren ist dies ein sensibles und großes Thema. Langzeiterfahrungen fehlen jedoch, und umfassende Tests sind notwendig, um die Lebensdauer und die Effizienz der Schmierstoffe sicherzustellen. Neue Materialien spielen ebenfalls eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung dieser Herausforderungen. Spezielle Beschichtungen und Legierungen, die widerstandsfähiger gegen ggf. aufkommende chemischen Angriffe durch neue Kraftstoffe sind, könnten entwickelt werden. Ein wichtiges Thema in der heutigen Zeit ist die Nachhaltigkeit. Welche Rolle nehmen nach Ihrer Einschätzung Re-Refining-Produkte ein und welche politischen sowie regulatorischen Herausforderungen gibt es und wie gehen Sie bei KBB damit um? Nachhaltigkeit spielt für uns bei KBB eine zentrale Rolle. Vollsynthetische Schmierstoffe stehen dabei klar im Fokus, da sie die besten Leistungsparameter bieten. Sie ermöglichen eine hohe Effizienz und Langlebigkeit, was besonders wichtig ist, um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden. Gleichzeitig gewinnen Re-Refining-Produkte an Bedeutung, da sie Ressourcen schonen und zur Reduzierung der Umweltbelastung beitragen. Allerdings müssen auch sie die hohen Leistungsparameter erfüllen, die unsere Kunden erwarten. Politische und regulatorische Herausforderungen sind nicht zu unterschätzen. Die Gesetzgebung und Vorschriften zur Emissionsreduzierung treiben die Entwicklung neuer Technologien voran. Unsere Kunden, insbesondere im asiatischen Markt, haben bereits jetzt einen großen Bedarf an Motoren, die mit fossilen und neuen, nachhaltigen Kraftstoffen betrieben werden können und werden in relevanten Größenordnungen bereits ausgeliefert. Die Motorenhersteller investieren dafür erhebliche Ressourcen, um in kürzester Zeit leistungsfähige und emissionsarme Motoren zu entwickeln und auszuliefern. Dies erfordert schnelle und effiziente Lösungen, vor allem auch, dass die Verfügbarkeit neuer Kraftstoffe schnellstmöglich gewährleistet ist. Dafür benötigen wir natürlich die politische Unterstützung sowie eine intensive Zusammenarbeit zwischen Motoren-, Turbolader- und Schmierstoffherstellern, auch um fundierte Daten zu gewinnen und die neuen Herausforderungen zu bewältigen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Zukunft der Hochleistungs-Abgasturbolader sowohl große Chancen als auch erhebliche Herausforderungen bietet. Die Anpassung an neue Kraftstoffe, die Bewältigung höherer thermischer und mechanischer Belastungen und die Entwicklung fortschrittlicher Schmierstoffe und Materialien werden die Schlüssel zum Erfolg sein. Nur durch intensive Forschung, innovative Technologien und enge Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure können wir diese Herausforderungen meistern und die Effizienz und Nachhaltigkeit unserer Systeme weiter verbessern. »« Eingangsabbildung: © istock.com/ Comeback Images