Schmierstoff + Schmierung
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20 Minuten mit ... Iris Zerfaß, Vorstand der FRAGOL AG, Fokus: Nachhaltigkeit und Zukunftssicherheit in der Schmierstofflogistik
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Schmierstoff + Schmierung · 6. Jahrgang · 3/ 2025 24 20 MInuten MIt … Iris Zerfaß, Vorstand der FRAGOL AG Fokus: Nachhaltigkeit und Zukunftssicherheit in der Schmierstofflogistik VSI: Frau Zerfaß, Ihr Unternehmen ist seit über 60 Jahren am Markt und arbeitet mit fünf verschiedenen Partnern in Deutschland und Frankreich. Wie begegnen Sie den aktuellen Herausforderungen in der Logistik? Iris Zerfaß: Unsere Logistikstrategie basiert auf einem klaren Prinzip: Wir konzentrieren uns auf unsere Kernkompetenzen - die Entwicklung hochwertiger Produkte, den spezialisierten Vertrieb sowie die sichere und rechtskonforme Produktbereitstellung. Für alle logistischen Leistungen - von Produktion über Lagerhaltung und Abfüllung bis hin zum Versand - arbeiten wir mit ausgewählten, langjährigen Partnern zusammen. Diese arbeitsteilige Struktur sichert uns nicht nur Agilität und Resilienz, sondern erlaubt uns auch, unsere Ressourcen gezielt dort einzusetzen, wo sie den größten Mehrwert schaffen. Digitalisierung spielt dabei eine zentrale Rolle - insbesondere zur Steigerung von Effizienz, Nachverfolgbarkeit und Transparenz entlang der gesamten Lieferkette. Gerade im Bereich der Wärmeträgerflüssigkeiten hat eine zuverlässige Logistikstruktur eine enorm wichtige Bedeutung. Unsere Wärmeträgerflüssigkeiten werden weltweit in Maschinen und Anlagen verwendet und in geschlossenen Systemen eingesetzt. Dort verbleiben sie über oftmals sehr lange Zeiträume. Ohne die vollständige Befüllung könnte eine Anlage häufig gar nicht erst in Betrieb genommen werden. Käme es bei einer Erstbefüllung zu verspäteten oder unvollständigen Lieferungen, könnte die Anlage nicht wie geplant in Betrieb genommen werden - das würde unmittelbar zu Produktionsausfällen und teils erheblichen wirtschaftlichen Folgen für unsere Kunden und Partner führen. Deshalb hat absolute Termintreue für uns höchste Priorität. Wir stimmen unsere Lieferprozesse eng mit dem Logistiker und dem Kunden ab, planen vorausschauend und halten auch kurzfristig Kapazitäten vor. Zusätzlich haben wir ein strukturiertes Notfallmanagement etabliert, das es uns ermöglicht, auf ungeplante Anforderungen flexibel und schnell zu reagieren. Nachhaltigkeit ist dabei selbstverständlich ein zentrales Ziel. In der Praxis geraten wir hier jedoch immer wieder in ein Spannungsfeld mit regulatorischen Vorgaben. So schließen Halal-Zertifizierungen den Einsatz recycelter Verpackungen grundsätzlich aus, und auch bei Gefahrgütern sind ökologische Alternativen oft nicht zulässig. Trotzdem suchen wir aktiv nach Lösungen, um unsere Prozesse unter Be- FRAGOL - Spezialist für Wärmeträgerflüssigkeiten und Industrieschmierstoffe Die FRAGOL AG mit Sitz in Mülheim an der Ruhr ist ein mittelständisches Familienunternehmen mit rund 36 Mitarbeitenden und klarer Fokussierung auf zwei Geschäftsbereiche: Wärmeträgerflüssigkeiten/ Thermalöle sowie Industrieschmierstoffe - letztere insbesondere für sensible Anwendungen in der Lebensmittelproduktion. Das Portfolio umfasst auch maßgeschneiderte Toll- Blending-Lösungen, tiefgehendes Know-how im Bereich Produktsicherheit und regulatorischer Anforderungen sowie ein internationales Vertriebsnetz. Seit 2025 ist FRAGOL mit einer eigenen Tochtergesellschaft in den USA vertreten, um Lieferketten zu diversifizieren und näher am Kunden zu agieren. FRAGOL verfolgt eine konsequente Lean-Asset-Strategie: Produktion, Lagerung und Logistik erfolgen über spezialisierte Partner - mit hohem Anspruch an Qualität, Sicherheit und Flexibilität. Mit einem der umfassendsten Produktportfolios in Europa deckt FRAGOL Wärmeträgerlösungen für Temperaturbereiche von -140 °C bis +450 °C ab - inklusive synthetischer Spezialitäten, Silikonöl- oder Alkylbenzol-basierte Medien. 25 Schmierstoff + Schmierung · 6. Jahrgang · 3/ 2025 20 Minuten mit …-|-Iris Zerfaß - Fokus: Nachhaltigkeit und Zukunftssicherheit rücksichtigung aller Vorschriften möglichst ressourcenschonend zu gestalten. VSI: Welche Herausforderungen sehen Sie aktuell bei der Regulatorik - insbesondere bei REACH und im Spannungsfeld zur Nachhaltigkeit? Iris Zerfaß: Die europäische Chemikalienverordnung REACH stellt für uns nach wie vor eine der größten Herausforderungen dar - mit spürbar negativen Folgen für den gesamten Wirtschaftsstandort. Was ursprünglich als Instrument zur Erhöhung der Produktsicherheit gedacht war, hat sich zu einem kaum noch beherrschbaren bürokratischen Konstrukt entwickelt. Immer mehr Stoffe werden neu eingestuft, in Risikokategorien verschoben oder ganz verboten - selbst dann, wenn diese seit Jahrzehnten sicher verwendet werden. Die Folge: Die Produktentwicklung wird massiv eingeschränkt, etablierte Formulierungen müssen zum Teil vom Markt genommen werden, weil Hersteller die Registrierung aus Kostengründen zurückziehen. Das ist, bildlich gesprochen, als würde man beauftragt, einen exzellenten Kuchen zu backen - und Jahr für Jahr werden einem drei von zehn Zutaten entzogen. Am Ende bleiben nur noch Wasser, Mehl und Zucker - und daraus soll man dann ein Spitzenprodukt kreieren. Für anwendungsorientierte Spezialisten wie uns ist das kaum noch nachvollziehbar - es geht um die Existenzfähigkeit ganzer Produktgruppen, aber auch um den produzierenden Wirtschaftsstandort Europa. Erschwerend kommt hinzu, dass sich dieses System weltweit in Form nationaler REACH-Pendants multipliziert: Korea, Türkei, Großbritannien, Kalifornien - um nur einige zu nennen. Für mittelständische Unternehmen bedeutet das einen dramatischen Anstieg an Dokumentations-, Melde- und Prüfpflichten. Die Vielzahl der Vorschriften ist weder zeitlich noch wirtschaftlich in vollem Umfang umsetzbar - und führt in der Konsequenz dazu, dass bestimmte Märkte schlicht nicht mehr beliefert werden können. Das ist nicht nur frustrierend, sondern auch volkswirtschaftlich alarmierend. Gleichzeitig bleibt Nachhaltigkeit für uns ein klares Ziel. Wir verfügen über ausgereifte, umweltverträglichere Rezepturen - viele davon sind fertig entwickelt. Die Umsetzung scheitert jedoch häufig an regulatorischen Vorgaben. Bei Halal-zertifizierten Produkten zum Beispiel sind recycelte Verpackungen strikt untersagt. Und auch bei Gefahrgütern machen rechtliche Rahmenbedingungen den Einsatz nachhaltiger Verpackungslösungen nahezu unmöglich. Wir wären längst weiter, wenn die rechtlichen Bedingungen die technologische Entwicklung nicht ausbremsen würden. Besonders irritierend ist, dass durch diese regulatorischen Vorgaben mittlerweile ganze Länder vom Belieferungskreis ausgeschlossen sind - nicht etwa aus technischen oder logistischen Gründen, sondern schlicht aufgrund der Komplexität und Inkompatibilität der Vorschriften. Für ein international agierendes Unternehmen bedeutet das nicht nur erhebliche Einschränkungen, sondern stellt auch die grundsätzliche Frage, wie offen und zukunftsfähig globale Märkte unter solchen Bedingungen überhaupt noch gestaltet werden können. VSI: Wie digital und automatisiert ist Ihre Logistik aufgestellt? Und wie gehen Sie mit dem Spannungsfeld rund um nachhaltige Verpackungen um? Iris Zerfaß: Unsere Logistikprozesse sind heute vollständig digital abgebildet - von der Produktionsbeauftragung über die Lagersteuerung bis hin zur Versandabwicklung. Die Kommunikation mit unseren Logistikpartnern erfolgt über SQL-basierte Schnittstellen, die uns eine durchgängige Datentransparenz und Echtzeitverfügbarkeit ermöglichen. Das schafft nicht nur Sicherheit in der Planung, sondern erhöht auch die Effizienz und Reaktionsgeschwindigkeit im Tagesgeschäft. Durch den Echtzeitzugriff auf Produktions- und Lagerdaten stellen wir zudem sicher, dass ausschließlich bedarfsgerecht produziert wird - ressourcenschonend, marktgerecht und ohne unnötige Vorhaltung. Künstliche Intelligenz ist für uns zur Datenanalyse ein interessantes Thema - perspektivisch sehen wir Potenzial in der Auswertung der Analysen und Produktoptimierung. Was das Thema Nachhaltigkeit betrifft, erleben wir im Bereich Verpackung einen permanenten Zielkonflikt zwischen regulatorischem Anspruch und betrieblicher Realität. Wir wären in vielen Fällen bereit, auf umweltfreundlichere Alternativen umzusteigen - jedoch lassen Vorgaben im Lebensmittelbereich wie bei den Halal-Regularien dies nicht zu. So dürfen wir im Bereich Halal-zertifizierter Lebensmittelschmierstoffe keine Recycling-Gebinde einsetzen. Unsere oberste Priorität lautet: Produktsicherheit und Qualität - auch wenn dies mitunter bedeutet, dass wir an Grenzen stoßen, die von den aktuellen Vorgaben der Verpackungsverordnung nicht ausreichend berücksichtigt werden. Besonders bedauerlich ist, dass Nachhaltigkeit in unserer Branche häufig eindimensional bewertet wird. Wir berechnen den Product Carbon Footprint unserer Produkte auf Basis der eingesetzten Rohstoffe - was jedoch in der Bewertungspraxis oft zu kurz greift. Wärmeträgerflüssigkeiten zeichnen sich durch eine sehr lange Einsatzdauer in geschlossenen Systemen aus. In der Regel verbleiben sie über viele Jahre ohne Austausch im Prozess - das ist in der Summe ein erheblicher Nachhaltigkeitsvorteil. Leider wird dieser Aspekt bislang weder auf regulatorischer Ebene noch in vielen kundenseitigen Bewertungen adäquat berücksichtigt. Schmierstoff + Schmierung · 6. Jahrgang · 3/ 2025 26 20 Minuten mit … | Iris Zerfaß - Fokus: Nachhaltigkeit und Zukunftssicherheit VSI: Und global betrachtet - wie widerstandsfähig ist Ihre Lieferkette aufgestellt, und wie gehen Sie mit geopolitischen Krisen um? Iris Zerfaß: Momentan ist unsere Versorgungslage stabil, auch rohstoffseitig sehen wir derzeit keine akuten Engpässe. Dennoch beobachten wir geopolitische Entwicklungen sehr aufmerksam - insbesondere potenzielle Eskalationen im Nahen Osten und auf kritischen Transportwegen wie der Straße von Hormus. Eine Blockade solcher strategisch bedeutenden Routen könnte globale Lieferströme abrupt unterbrechen - mit unmittelbaren Auswirkungen auf Versorgungssicherheit und Lieferzeiten. Um diesem Risiko strukturell zu begegnen, setzen wir gezielt auf regionale Diversifikation. Ein zentrales Element dabei ist unsere im Jahr 2025 gegründete Tochtergesellschaft in den USA. Mit ihr haben wir eine lokale Infrastruktur geschaffen, die es uns ermöglicht, amerikanische Kunden schnell, flexibel und unabhängig von transatlantischen Transportwegen zu bedienen - inklusive dezentraler Lagerhaltung durch etablierte Partner. Diese Investition hat unsere Resilienz deutlich erhöht und ist Teil einer langfristig angelegten internationalen Absicherungsstrategie. Auch den asiatischen Markt behalten wir strategisch im Blick. Langfristig beobachten wir die weiteren Entwicklungen, um unsere globale Aufstellung noch robuster und standortunabhängiger zu gestalten. VSI: Ein Blick auf Ihre Produkte: Was sind aktuelle Entwicklungsschwerpunkte? Iris Zerfaß: Wir arbeiten kontinuierlich an der Weiterentwicklung unserer Wärmeträgerflüssigkeiten, insbesondere mit Blick auf Nachhaltigkeit. Technisch sind diese Systeme hochkomplex, weil sie extreme Temperaturbereiche zuverlässig abdecken müssen. Der Einsatz biobasierter Grundöle aus nachwachsenden Rohstoffen ist aktuell in diesem Segment nicht umsetzbar - die notwendige thermische und oxidative Stabilität fehlt. Wir sehen jedoch Potenzial in synthetisch hergestellten Grundölen, die zukünftig eine Alternative darstellen könnten. Daneben entwickeln wir unser Dienstleistungsmodell weiter: Immer mehr OEMs lagern ihre Schmierstoffversorgung aus - aus haftungsrechtlichen und regulatorischen Gründen. Wir bieten hier neutrale, maßgeschneiderte Logistiklösungen inklusive Etikettierung, Lagerung und Versand. VSI: Was wünschen Sie sich von politischen Entscheidungsträgern? Iris Zerfaß: Wir wünschen uns verlässliche, praxisorientierte Rahmenbedingungen, die Innovation und unternehmerisches Handeln ermöglichen - und nicht durch überbordende Bürokratie behindern. Gerade im Vergleich zur unbürokratischen und lösungsorientierten Gründung unserer US-Tochter zeigt sich, wie groß die Hürden in Europa mittlerweile geworden sind. Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Tragfähigkeit schließen sich nicht aus - aber sie benötigen realistische, finanzierbare und handhabbare gesetzliche Grundlagen. »« Eingangsabbildung: © istock.com/ Comeback Images
