Transforming cities
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2366-7281
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expert verlag Tübingen
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Digitalisierung versus Lebensqualität Big Data | Green Digital Charter | Kritische Infrastrukturen | Privatheit | Sharing-Systeme 1 · 2016 Was macht Städte smart? URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN ISSN 2366-7281 Transforming Cities 1·2016 Crossmediale Publikation für Fachleute und interessierte urbane Menschen • Online-Wissensplattform • Regelmäßiger Newsletter • E-Paper / Print-Ausgabe mit Fachartikeln für Abonnenten Die Online-Plattform informiert über Städte im Wandel, über die Herausforderungen von Urbanisierung und Genderisierung, über Auswirkungen und Lösungen. Das Fachmagazin „Transforming Cities“ nimmt diese Themen auf und vertieft sie in Form fundierter Fach- und Wissenschafts-Beiträge. Als Leser angesprochen sind gleichermaßen Kommunen und Unternehmen, Planer und Ingenieure, Wissenschaftler und Studierende. Urbane Systeme im Wandel Lesen Sie selbst! T RIALOG P UBLISHERS | www.trialog.de Wasser in der Stadt als Lebensmittel und als Naturelement Am 13. Mai 2016 erscheint die nächste Ausgabe von Transforming Cities mit dem Themenschwerpunkt Gewinnung, Aufbereitung und Verteilung von Trinkwasser Abwasserbehandlung, Wertstoffrecycling Regenwasserbewirtschaftung und Hochwasserschutz Urbane Wasserflächen als Lebensraum und zur Klimaregulierung ... sowie weitere Beiträge zu Energie, Stadtplanung, Infrastruktur, Mobilität,... 1 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, zweifellos unterliegen urbane Lebensräume seit jeher dem Wandel. In unseren Zeiten allerdings scheint sich das Tempo dieser Transformationen dramatisch zu steigern. Zunehmend komplexere ökologische, ökonomische und demografische Prozesse führen dazu, dass Bürger, Verwaltungen und Planer mit neuen, oft unlösbar erscheinenden Aufgaben konfrontiert sind. Das neue Fachmagazin „Transforming Cities“ thematisiert diese Herausforderungen. Als crossmediale Publikation wendet es sich an die Entscheider in Verwaltungen und Stadtwerken, an Planungs- und Konstruktionsbüros, Hochschulen und Institute sowie Unternehmen und Organisationen. Während die gleichnamige Online-Wissensplattform seit einem knappen Jahr mit ausgewählten, branchenübergreifenden Informationen zahlreiche Stammleser gewonnen hat, setzt das Fachmagazin auf ganzheitliche Analyse und die tiefgreifende Aufbereitung von Kernthemen. Autorinnen und Autoren aus Wissenschaft und Praxis, Experten ihrer Fachbereiche, greifen in ihren Beiträgen die zahlreichen Aspekte auf, die zum Gelingen urbanen Wandels beitragen können. Sie beleuchten innovative Ansätze beim effizienten Umgang mit Energie und Ressourcen, beschreiben den Erhalt und Ausbau städtischer Infrastruktur, berichten über umweltschonende Formen urbaner Mobilität, informieren über innovative Lösungen zur Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) und die Digitalisierung städtischer Funktionen und beschäftigen sich mit Theorie und Praxis zu der Frage, wie sich eine lebenswerte Stadt gestalten lässt. Was aber macht - vor dem Hintergrund der beschriebenen Herausforderungen - eine lebenswerte Stadt überhaupt aus? Bringt die sogenannte „Smart City“ die Lösung der Probleme? Und was bedeutet dieser allgegenwärtige Begriff eigentlich, wenn er nicht bloßes Buzzword bleiben soll? In dieser ersten Ausgabe „Transforming Cities“ finden Sie deshalb einen Überblick über Zeitgeist und Begrifflichkeiten, aktuelle Projekte und Lösungsansätze rund um den Begriff „Smart City“. Aus unterschiedlichen Perspektiven nähern sich unsere Autoren den verschiedenen Aspekten, wägen Effizienz und Kongruenz, Vernetzung und Individualität gegeneinander ab, beschreiben Chancen und Risiken der wachsenden Digitalisierung. Aber lesen Sie selbst! Ich hoffe sehr, wir können mit dieser ersten Ausgabe Ihr Interesse für die spannenden Themen rund um urbane Transformation und für unser Magazin wecken - und Sie auch für die Zukunft als Leser gewinnen. Ihre Christine Ziegler Christine Zieggggggggggggggggggggggggggggggggggggggggler Redaktionsleitung „Transforming Cities“ Urbaner Wandel im Fokus: Die erste Ausgabe „Transforming Cities“ 2 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES INHALT 1 · 2016 PRAXIS + PROJEKTE 4 Kriterien für Smartness Eindrücke aus dem Morgenstadt City Lab Tiflis Constanze Heydkamp Alyssa Weskamp 8 Urbane Evolution in einer alpinen Stadtlandschaft Beiträge zur Analyse der Transformation am Beispiel Innsbruck-Nordwest - Teil 1 Heinz Dörr Gerhard Fritz Regina Hatheier-Stampfl Yvonne Toifl 12 Gebäude clever und nachhaltig betreiben Die Stadt Fürth rüstet Neu- und Bestandsbauten zu „Smart buildings“ um Christine Lippert Daniela Hilpert THEMA Smart Cities 15 Vision Morgenstadt Innovations-Partnerschaften für nachhaltige Stadtentwicklung Wilhelm Bauer 16 Was macht Städte smart? Im Interview: Prof. Dipl.-Ing. Martin zur Nedden, Wissenschaftlicher Direktor und Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Urbanistik (difu) 18 Städte brauchen Innovationen - aber welche? Digitalisierung und Smart Cities als Herausforderung für die Stadtentwicklung Stephan Reiß-Schmidt 21 Wir brauchen lernende Städte für die digitale Zukunft Peter Jakubowski 26 Smart gleich nutzergerecht? Die Smart City psychologisch betrachtet Antje Flade 30 Smart Cities - Verheißung oder Bedrohung? Andreas Kossak 36 Die Vision von einer smarten Stadt Warum digitale Technologien allein unsere Städte nicht transformieren werden Jan Garde Kathrin Konrad Dirk Wittowsky 41 Die „Green Digital Charter“ in der Praxis Erfahrungen und Instrumente aus einem europäischen Projekt für „intelligente Städte“ Andreas Blum Sandra Behnisch Seite 4 Seite 21 Seite 26 © Constanze Heydkamp © Peter Jakubowski © pixabay 3 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES INHALT 1 · 2016 46 Künstliche Intelligenz für die Stadt von morgen Erprobung und Erforschung von Technologien im interdisziplinären SmartCity Living Lab des DFKI Martin Memmel Andreas Dengel Didier Stricker Paul Lukowicz 51 Smart Cities im Kontext der Digitalisierung Herausforderungen bei Überwachung und Schutz Kritischer Infrastruktur in Smart Cities Peter Fey FORSCHUNG + WISSENSCHAFT 56 Rapid Planning Nachhaltiges Infrastruktur-, Umwelt- und Ressourcen- Management für hoch dynamische Metropolregionen Michael Peterek Yaman Hebbo Olga Korovina Ulrike Reichhardt 61 Nach dem Auto Multimodalität? Problematisierung eines neuen Paradigmas Sören Groth 66 Seewassernutzung zu Heiz- und Kühlzwecken Ungenutzte Potentiale und Hemmnisse einer sinnvollen Nutzung Benno Rothstein Henriette Kammer Gerald Steil FOKUS 71 Aktuelle Förderrichtlinien des BMBF Zukünftige Sicherheit in urbanen Räumen 72 Studieren für die Städte der Zukunft Fachbereich Architektur, Bauingenieurwesen, Geomatik der Frankfurt UAS bildet Fachkräfte aus, die Städte von morgen planen, bauen und strukturieren PRODUKTE + LÖSUNGEN 76 Mehr Lebensraum auf dem Dach Höhere Lebensqualität durch multifunktionale Flachdach-Nutzung Gunter Mann 78 Transformation der digitalen Welt ins Fahrzeug Intelligentes Parken als erster Schritt im hochautomatisierten Fahren Alexander Süssemilch Elina Schäfer Heiko Herchet IMPRESSUM Herausgeber: T RIALOG P UBLISHERS Eberhard Buhl, M.A. | Marschnerstraße 87 | 81245 München Telefon: +49 89 889518.71 | eberhard.buhl@trialog.de Verlagsort: München | ISSN 2366-7281 (print) Redaktionsleitung: Dipl.-Ing. arch. Christine Ziegler VDI Telefon: +49 89 889518.72 | Telefax: +49 89 889518.75 christine.ziegler@transforming-cities.de anzeigen@transforming-cities.de Telefon: +49 89 889518.74 | Telefax: +49 89 889518.75 vertrieb@transforming-cities.de Telefon: +49 89 889518.76 | Telefax: +49 89 889518.75 Druckerei: Kollin Mediengesellschaft mbH, Neudrossenfeld Umschlagbild: ClipDealer www.transforming-cities.de/ agb Seite 36 Seite 41 Seite 56 © pixabay © pixabay © Michael Peterek 4 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Smart Cities Im Zuge der Erkenntnis, dass seit 2008 erstmals mehr Menschen weltweit in Städten als auf dem Land leben, dreht sich seither nahezu alles um die „Stadt der Zukunft“. Wie können wir unseren zukünftigen Lebensraum lebenswert gestalten und gleichzeitig dafür sorgen, dass er möglichst geringe negative Auswirkungen auf die Umwelt hat? Unterschiedliche Konzepte setzen sich seither mit dieser Fragestellung auseinander. Eine Zukunft, die vor dem Hintergrund der weltweit voranschreitenden Digitalisierung nahe liegt, ist die Smart City als eine von modernen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) geprägte Lebensumwelt, welche durch die Vernetzung von Informationen Effizienzgewinne, Nachhaltigkeit und Komfort verspricht. Eine einheitliche Definition für diese Zukunft fehlt bis heute, weshalb weiterhin häufig ein technologiezentriertes Verständnis als einzige Gemeinsamkeit in der Diskussion um Smart City Lösungen zugrunde liegt. Daher mangelt es auch an definierten Kriterien, welche eine Stadt erfüllen sollte, ehe sie gewisse Lösungen zielversprechend einsetzen kann. In diesem Beitrag werden Eindrücke aus dem Morgenstadt City Lab Tiflis vermittelt. Dabei wird auf eine Lücke in der Diskussion Kriterien für Smartness Eindrücke aus dem Morgenstadt City Lab Tiflis Morgenstadt City Lab, urbane Mobilität, Smart City, Entwicklungsland, Kompetenzaufbau, Kontinuität Constanze Heydkamp, Alyssa Weskamp Der Beitrag vermittelt Eindrücke aus dem City Lab Tiflis, das 2015 im Rahmen der Morgenstadt-Initiative stattfand. Anhand von IKT-orientierten Projektbeispielen aus dem Verkehrsbereich der georgischen Hauptstadt Tiflis werden exemplarisch vier Herausforderungen beim Smart City Konzept für Städte in Entwicklungsländern aufgezeigt: Regeltreue, strategischer Kompetenzaufbau, Usability und Kontinuität. Diese sowie weitere Herausforderungen könnten zukünftig in einem Kriterienkatalog berücksichtigt werden, dessen Erfüllung als Voraussetzung für die Implementierung von Smart City-Projekten dient. Friedensbrücke über die Mtkwari in Tiflis. © pixabay 5 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Smart Cities um Smart Cities und ihre Potenziale für Städte in Entwicklungsländern hingewiesen. Anhand der Verkehrssituation vor Ort wird dargelegt, mit welchen Herausforderungen sich die Hauptstadt Georgiens aktuell konfrontiert sieht, inwiefern moderne IKT bereits erfolgreich eingesetzt wird und an welchen Schnittstellen Hindernisse bestehen, die nicht allein mit einer smarten urbanen Umwelt beantwortet werden können, sondern die Menschen fordern. Das Morgenstadt City Lab Tiflis Im Jahr 2012 rief die Fraunhofer- Gesellschaft die Morgenstadt- Initiative ins Leben (www. morgenstadt.de). In einem Innovationsnetzwerk arbeiten hier Industrieunternehmen gemeinsam mit Städten und Forschungseinrichtungen daran, die Städte der Zukunft zu gestalten. In einer ersten Projektphase wurden in diesem Rahmen Berlin, Freiburg, New York City, Kopenhagen, Singapur und Tokio als Vorreiterstädte im Sinne der Nachhaltigkeit anhand von Best-Practice- Beispielen untersucht. Auf Basis der gewonnenen Ergebnisse wurde ein Analyse- Framework entwickelt, das seit 2015 in der zweiten Projektphase in Prag, Lissabon, Chemnitz und Tiflis eingesetzt wird. Mithilfe der Morgenstadt-Methodik wird für diese vier Städte jeweils eine Nachhaltigkeits-Roadmap entwickelt, welche den Weg in die Zukunft unterstützen soll. Finanziell wird das Morgenstadt City Lab Tiflis aus Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) im Rahmen der Deutschen Finanziellen Zusammenarbeit mit Georgien sowie durch einen Eigenbeitrag der Stadt Tiflis getragen. Die Stadt in eine Smart City zu wandeln, ist auch Ziel des derzeitigen Bürgermeisters von Tiflis. Die Verbesserung der Verkehrssituation spielt dabei eine herausragende Rolle. Tiflis, die Hauptstadt Georgiens, blickt zurück auf 1500 Jahre Stadtgeschichte - und verfügt heute über 1,1 Mio. Einwohner, etwa 385 000 Autos und rund 30 000 Parkplätze. Seit der Unabhängigkeit ist das südkaukasische Land ein Drehkreuz für Gebrauchtwagen aus Europa, den USA und Japan geworden, und die jährliche Wachstumsrate an zugelassenen Pkw beträgt 8 %. Knapp die Hälfte der Fahrzeuge ist mehr als zehn Jahre alt - und einen TÜV gibt es nicht mehr. Katalysatoren? Fehlanzeige. Tiflis erstickt in Stau und Abgasen, Alternativen zum privaten Pkw fehlen - der Verkehr wird deshalb als größter Hebel zur Verbesserung der Lebensqualität angesehen. Smart City-Experten denken hier sicherlich sofort an Lösungen wie intelligente Verkehrsleitsysteme à la Singapur oder eine elektrifizierte Taxiflotte wie in London. Doch zwei Wochen Vor-Ort-Recherche und rund 60 Interviews mit Verwaltern und Politikern, Denkern und Machern der Hauptstadt Georgiens haben für das untersuchende Morgenstadt-Team ein neues Licht auf die Grenzen der Universallösung Smart City geworfen. Die Hindernisse, die im Rahmen dieses Artikels mithilfe von Projektbeispielen aus Tiflis veranschaulicht werden, sind Regeltreue, strategischer Kompetenz- Aufbau, Usability und Kontinuität. Regeltreue Im Jahr 2012 wurde in Tiflis eine Verkehrsmanagement zentrale eingerichtet, mit der sich nicht nur 137 der 217 Ampeln in der Hauptstadt aus der Ferne steuern, sondern zudem Verkehrsdelikte per Videoaufnahme erfassen lassen. In einem Pilotprojekt mit 19 Kreuzungen im Distrikt Vake konnten dadurch Staus um 20 % reduziert werden, was in den kommenden drei Jahren mit der Integration aller Ampeln auf die gesamte Stadt skaliert werden soll. Die hohe Zahl der Verkehrsdelikte bewirkt allerdings, dass nur ein Bruchteil davon verfolgt werden kann - sodass zahlreiche Vergehen zwar gesehen werden, aber konsequenzenlos bleiben. Diese Verstöße reichen von Geschwindigkeitsüberschreitungen bis hin zu Auffahrunfällen. In diesem Zusammenhang gibt es aktuell z.B. eine Kampagne, welche die Auswirkungen einer nicht ordnungsgemäß ausgeführten Rettungsgasse in Notfallsituationen zeigt. Ein erstes Pilotprojekt zur Erfassung von Stadtansichten von Tiflis. Bild oben: © Constanze Heydkamp Bild unten: © Alyssa Weskamp 6 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Smart Cities Rotlichtverstößen mittels Blitzer wird derzeit ebenfalls umgesetzt. Das Einhalten der Regeln wird von den Experten vor Ort als besonders problematisch angesehen: Höhere Geldbußen werden in diesem Zusammenhang als einzige zielführende Maßnahme angesehen. Strategischer Kompetenzaufbau Tiflis profitiert von zahlreichen internationalen Kooperationsprojekten: Die Generation von neuem Wissen über die Stadt ist dabei sehr wertvoll für Georgiens Hauptstadt. Eine Vielzahl Studien wird jährlich von unterschiedlichsten Organisationen erstellt. Häufig wird hierzu moderne Hard- oder Software eingesetzt, die gelegentlich auch nach dem Ende der Projektlaufzeit in Tiflis verbleibt. Die methodische Vorgehensweise oder Bedienungshinweise bleiben teils Privileg der externen Fachexpertise und gehen häufig nicht in den aktiven Wissensschatz der städtischen Mitarbeiter oder georgischen Projektpartner über. Im Rahmen eines vergangenen Projekts wurde beispielsweise eine Verkehrsfluss-Simulationssoftware beschafft und eingesetzt. Mit dem Ende des Projekts ging das Wissen über die Anwendung der Software jedoch verloren, da eine Übertragung des Anwendungswissens offenbar nicht Bestandteil des Projekts war. Weder beherrscht heute einer der städtischen Angestellten das Programm, noch konnte eine neue Stelle aufgrund fehlender Expertise besetzt werden. Aufgrund des Mangels an Datenpflege ist das Simulationsmodell mittlerweile veraltet, eine Aktualisierung dringend notwendig. Der Bau von Klärwerken in Südasien oder Brunnen in Afrika hat in der Vergangenheit bereits ähnliche Problematiken aufgezeigt. Dies zeigt, was die Entwicklungszusammenarbeit schon lange vor der Digitalisierung plagte: Noch immer reicht nicht allein die technische Lösung, mag sie noch so makellos sein. Diese Erkenntnis scheint bislang allerdings keinen Eingang in das Ausbildungsprogramm gefunden zu haben. Nach Angabe der Experten fehlt weiterhin eine dringend notwendige universitäre Ausbildung im Bereich der Verkehrsplanung in Georgien, welche ebenfalls anwendungsbezogen gestaltet ist und den Gebrauch moderner Informations- und Kommunikationstechnologien einschließt. Usability Beim Einsatz neuer Technologien wird stets das Thema Usability diskutiert, welches die Einfachheit und Nutzbarkeit einer Lösung untersucht. Es liegt dabei die These zugrunde, dass Lösungen, die kompliziert in der Bedienung sind, weniger gern und somit weniger häufig genutzt werden. Ein erfolgreiches Praxisbeispiel aus Tiflis ist die Agentur „Public Service Hall“, die 2011 von der georgischen Regierung installiert wurde und die Kommunalverwaltung revolutionierte. Dafür erhielt sie 2012 den UN Public Service Award. Mit dem One-Stop-Shop- Prinzip können seitdem Bürger in immer mehr georgischen Städten innerhalb eines Tages den größten Teil ihrer Amtsgänge unter einem Dach erledigen - unter anderem dank zentralisierter Datenverwaltung. Seit 2012 ist die Public Service Hall in Tiflis geöffnet und wird intensiv genutzt, um etwa Ausweise, Heirats- und Geburtsurkunden zu erhalten und Grundbesitzeintragungen durchzuführen. Die Gliederung der Schalter in „Self- Service“, „Quick Service“ und „Long Service“ (für Prozesse, die über fünf Minuten dauern) verkürzt die Wartezeiten erheblich. Dabei muss sowohl die Usability für den Bürger als Endnutzer als auch den städtischen Mitarbeiter berücksichtigt werden, der im Arbeitsalltag mit den neuen Lösungen umgehen muss. Ein robustes Backend und geregelte Prozesse sind ebenfalls notwendig für den Erfolg des Projekts. Kontinuität Während in Deutschland vor allem der lange Zeitraum zwischen Plan und Umsetzung zu Zerwürfnissen zwischen Politik und Bürgern führt, wenn Jahrzehnte alte Planung mit dem Zeitgeist kollidiert, ist es in Entwicklungsländern die häufige Strategieänderung durch Personalwechsel in den Führungsebenen, welche die Realisierung von Projekten verhindert. Dabei stellte sich in der ersten Phase der Morgenstadt-Initiative heraus, dass die kontinuierliche Verfolgung übergeordneter Nachhaltigkeitsziele über die Amtszeit einzelner Seilbahn über den Dächern von Tiflis. © Constanze Heydkamp 7 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Smart Cities Politiker hinaus ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist. Dies setzt allerdings einen Konsens über die Bedeutung von Nachhaltigkeit für die Stadt ebenso voraus wie eine Kultur, in der die Verdienste anderer Parteien anerkannt werden. Als gutes Praxisbeispiel ist in diesem Kontext die Stadt Freiburg im Breisgau zu nennen. Ganz im Gegensatz besteht in Tiflis aktuell vielmehr die Sicherheit, dass ein politischer Nachfolger eine 180-Grad-Wendung vollziehen wird, statt sinnvolle Ideen und Projekte fortzuführen. So wurde im Jahr 2013 nach dreijähriger Arbeit mit Unterstützung von Weltbank und Cities Alliance die umfangreiche Stadtentwicklungsstrategie „Tbilisi 2030“ vorgestellt - nur um von der neu gewählten Kommunalverwaltung im Juni 2014 ad acta gelegt zu werden. Etliche Studien und „Action Plans“ wurden bereits erstellt, unter anderem für Fahrradwege, die Verlegung des Hauptbahnhofs, Logistikzentren und die Wiedereinführung der Tram. In Ermangelung übergeordneter Zielsetzungen und eines kontinuierlichen institutionellen Gedächtnisses ist die konsequente Umsetzung ambitionierter öffentlicher Projekte jedoch selten, obwohl internationale Fördergelder in vielen Feldern zur Verfügung stehen. Voraussetzungen für Smart City Lösungen in Entwicklungsländern Die eingangs benannte Lücke in der Diskussion um Smart Cities und ihre Potenziale für Entwicklungsländer spiegelt sich in den herrschenden Rahmenbedingungen vor Ort wieder. Sie beeinflussen, ob die Ziele des Smart City-Ansatzes für Effizienzsteigerung, Nachhaltigkeit und Komfort durch die eingesetzten Lösungen tatsächlich erreicht werden können. In den vorangegangenen Abschnitten wurden beispielhaft die vier Herausforderungen Regeltreue, strategischer Kompetenzaufbau, Usability und Kontinuität zur Diskussion gestellt und anhand von konkreten Projekten veranschaulicht, wie diese den Erfolg einer smarten Lösung beeinflussen. Anhand der Erkenntnisse aus dem Morgenstadt City Lab Tiflis kristallisiert sich heraus, dass in Entwicklungsländern Digitalisierung und Smart City-Technologien dann besonders sinnvoll erscheinen, wenn zunächst Grundbedürfnisse der Stadtbevölkerung adressiert werden, da diese über lange Zeit relativ stabil bleiben. Hierzu zählen alle Prozesse, die alltäglich von einer großen Gruppe an Personen genutzt werden und durch smarte Lösungen zur tatsächlichen Vereinfachung des Prozesses für alle Nutzer führen wenn die Bevölkerung bei der Konzeption und Umsetzung der Lösungen einbezogen wird, sodass ein Commitment ihrerseits zur Erfüllung der Ziele vorhanden ist, welche unter anderem beispielsweise freiwillige Standards einschließen können wenn Projekte in einer integrierten Gesamtstrategie verankert sind, die den sozioökonomischen Kontext berücksichtigt, und somit keine „zusammenhangslosen“ Projekte entstehen wenn eine objektive Erfolgskontrolle jener Projekte stattfindet, die dabei unterstützen, die smarten Lösungen nachvollziehbar und effektiv zu kommunizieren wenn Skalierbarkeit mitgedacht wird - schließlich müssen Lösungen oft vielfach umgesetzt werden (z.B. Straßenleuchten, ÖPNV-Haltestellen, sanierte Gebäude), damit sie im urbanen Maßstab Wirkung zeigen w e n n (s oz io -) ö ko n o mi s c h e Umsetzungsvoraussetzungen und Replizierbarkeit als bedeutsamere Kriterien angesehen werden als technische Machbarkeit Unter diesen Voraussetzungen - wobei diese Liste keinen Vollständigkeitsanspruch erhebt - können die Versprechungen der Smart City gerade dort zu einer signifikanten Steigerung der Lebensqualität beitragen, wo diese besonders steigerungsbedürftig ist: nahe an den Menschen und ihrem Lebensalltag. Zusammenfassung Es gibt also durchaus Kriterien, die den Erfolg von Smart City-Lösungen negativ beeinflussen und demnach künftig die Voraussetzungen für die Implementierung von Projekten bestimmen könnten. Vier Kriterien wurden anhand der Erkenntnisse aus dem Morgenstadt City Lab Tiflis aufgestellt und mit Projektbeispielen vor Ort begründet. Als Folgerung daraus wurden abschließend weitere Kriterien angedacht und zur Diskussion gestellt. Constanze Heydkamp Wissenschaftliche Mitarbeiterin Competence Team Urban Systems Engineering, Institut für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement der Universität Stuttgart Kontakt: constanze.heydkamp@iat.uni-stuttgart.de Alyssa Weskamp, Projektmanagerin Team Green City Development Drees & Sommer Advanced Building Technologies GmbH, Stuttgart Kontakt: alyssa.weskamp@dreso.com AUTORINNEN 8 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Hötting-West ist seit Jahrzehnten ein expandierender Stadtteil im Westen Innsbrucks und stellt einen Hoffnungsraum für die Erfüllung der ambitionierten Stadtentwicklungsziele dar. Deshalb wurden die künftig noch offen stehenden Entwicklungsmöglichkeiten eingehend untersucht. Zu diesem Zweck erfolgte eine Kooperationsvereinbarung zwischen der Stadt Innsbruck und der Prisma - Zentrum für Standort- und Regionalentwicklung GmbH zur Gebietsentwicklung. Als erster Schritt wurde eine umfassende Bestandsanalyse an das Team des Mitautors Heinz Dörr (arp) vergeben. Darüber wird im vorliegenden Artikel berichtet. Auf dieser Grundlage erfolgten sodann eine Potenzialanalyse für das Gesamtgebiet sowie konkretisierende Planungen für eine erste Umsetzungsetappe am Talboden und am Harterhofplateau. Soll dieser Stadtraum gefasst werden, kann man sich am nördlichen Inn-Ufer, der Mittenwaldbahn und am Flughafengelände orientieren. Den zentralen Kern bildet der Stadtteil Hötting-West, den westlichen Stadtabschluss das Siedlungsgebiet von Kranebitten, an dessen östlicher Flanke sich die Agrarflächen des Harterhofes befinden (Bild 1). Örtliches Raumordnungskonzept ÖROKO´25 für Innsbruck Der Tiroler Zentralraum gehört zu den wirtschaftlichen und demographischen „Boom-Regionen“ Österreichs. Innsbruck ist - nach einer Phase der Stagnation der Bevölkerungsentwicklung - die relativ zur Bevölkerungszahl am schnellsten wachsende Landeshauptstadt Österreichs. Dem gerade in Diskussion befindlichen Vorentwurf der Fortschreibung des Örtlichen Raumordnungskonzeptes (ÖROKO´25), gemeint ist ein übergeordneter Stadtentwicklungsplan mit Planungshorizont bis zum Jahre 2025, liegt u.a. eine Prognose der Statistik Austria zugrunde (Hanika A. 2013: Bevölkerungs- und Haushaltsprognose 2013 bis 2025 für Innsbruck. Überarbeitete Fassung gemäß Neudurchrechnung auf Basis der revidierten Bevölkerungszahlen laut Registerzählung vom 31.10.2011, Statistik Austria Urbane Evolution in einer alpinen Stadtlandschaft Beiträge zur Analyse der Transformation am Beispiel Innsbruck-Nordwest - Teil 1 Landschaftswerte, Naturgefahren, Siedlungsmuster, Zentralitäten, Anknüpfungen, Mobilitätsmilieus Heinz Dörr, Gerhard Fritz, Regina Hatheier-Stampfl, Yvonne Toifl Die nordwestliche Stadtlandschaft der Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck bietet eine einmalige Annäherung von alpiner Bergumrahmung und hochurbaner Siedlungsentwicklung, noch dazu im Umfeld des internationalen Flughafens. Diese Voraussetzungen stellten von Anbeginn der dortigen Stadtentwicklung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Nachfolge der landwirtschaftlichen Nutzungen die Raumplanung vor vielfältige Herausforderungen für einen gedeihlichen Transformationsprozess. Genug Gründe, um im Rahmen der strategischen Stadtentwicklungsplanung die Ausformungen der urbanen Anreicherungen in ihren Effekten und ihrem Handlungsbedarf mit zeitgemäßen Mitteln zu erfassen. Bild 1: Die Stadtlandschaft im Nordwesten der Landeshauptstadt Innsbruck Orthofoto: Land Tirol (2009) 9 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum im Auftrag der Stadt Innsbruck), der zufolge die Stadt bis 2025 von derzeit etwa 150 000 EinwohnerInnen (ständig anwesende Bevölkerung, davon circa 130 000 mit Hauptwohnsitz) auf 162 000 anwachsen wird. Darüber hinaus hat sich der Trend zur Suburbanisierung umgekehrt; der herrschende Trend ist die Zuwanderung in die Zentralorte und in die Innenstädte. Vor allem die nächste Generation der urbanen Mittelschicht bevorzugt urban-zentrales Wohnen, möglichst ohne eigenes Auto. Demographischer Wandel als Entwicklungstreiber Da sich, nach einer Phase deutlich sinkender Haushaltsgrößen infolge der demographischen Entwicklung, die durchschnittliche Haushaltsgröße bei knapp zwei Personen eingependelt zu haben scheint, wird mit einer Zunahme um gut 6 000 Haushalte gerechnet (Hanika A. 2013: ebenda). Die dem ÖROKO´25 zugrunde gelegte Flächenbedarfsprognose (Amt für Stadtplanung, Stadtentwicklung und Integration) geht daher von der Notwendigkeit der Schaffung von netto ca. 6 500 bis 7 000 Wohnungen in den nächsten zehn Jahren aus, brutto, das ist inklusive Abbruch und Neubau, sogar von rund 7 000 bis 9 000. Die alpine Topographie und die Flächenknappheit sind dabei eine riesige Herausforderung. Um das politisch breit getragene raumordnerische Leitziel, nämlich die Erhaltung des Charakters der Stadt als kompakte „alpin-urbane“ Stadt in einer wunderbaren Natur- und Kulturlandschaft, die großteils fußläufig als Naherholungsgebiet erreichbar ist (Bild 2), zu gewährleisten, soll der Wohnflächenbedarf auf Bauflächen gedeckt werden, die zu 50 % durch Umnutzung und Nachverdichtung, zu weiteren 25 % durch Mobilisierung von bereits gewidmetem, aber noch nicht konsumiertem Bauland und höchstens 25 % durch Umwidmung von Freiland in Bauland geschaffen werden. Dieses Ziel ist realistisch, denn bereits in der letzten ÖROKO- Periode von 2002 bis heute wurden über 70 % der Neubauwohnungen durch Umnutzungen und durch Nachverdichtungen realisiert. Dafür gibt es in anderen Stadtteilen bedeutende Verdichtungsreserven, wie in den im ländlichen Stil des Nationalsozialismus errichteten „Südtiroler Siedlungen“, die in den 40er-Jahren für die Südtiroler „Optanten“, die sich im Zuge der faschistischen Aussiedlungspolitik in Innsbruck niederließen, errichtet wurden. Hier haben städtebauliche Wettbewerbe gezeigt, dass unter Wahrung der Qualität dieser Siedlungen mit starker Durchgrünung und prägenden Innenhof-Sequenzen die Wohnnutzfläche verdoppelt werden kann, noch dazu in einer mittlerweile innenstadtnahen Lage mit bester ÖV-Anbindung und sinnvoller Erweiterung vorhandener Infrastrukturausstattung. Besondere städtebauliche Entwicklungsgebiete Dennoch, maßvolle Stadterweiterung wird unumgänglich sein. Auch mit urbanen Dichten wird es neues Wohnbauland im Ausmaß von etwa 15 - 18 ha geben müssen. Stadterweiterungen werden im ÖROKO´25 in Form von „BE- Gebieten“ (besonderen städtebaulichen Entwicklungsgebieten) festgelegt. Dies sind Flächen, die gesamthaft geplant und „in einem Guss“ entwickelt werden sollen, wobei die Umsetzung allenfalls in Etappen erfolgen wird. D.h. auch, dass die Umwidmung erst erfolgt, wenn zumindest ein Großteil der Grundstücke bereits zur Verfügung steht und eine baldige Bebauung absehbar ist. Eines der wichtigsten und vom Zeitplan aktuellsten Entwicklungsgebiete liegt im Nordwesten der Stadt, zwischen dem relativ jungen Stadtteil Hötting West, dem Areal des Campus Technik der Universität Innsbruck und dem ziemlich feinkörnigen Stadtteil Kranebitten auf bisher vorwiegend landwirtschaftlich genutzten Flächen (Bild 3). Um die Aufgabe dieser zusammenhängenden Ackerbauflächen zu rechtfertigen, ist eine entsprechend dichte Verbauung erforderlich. Das Areal erstreckt sich entlang der Trasse der in Planung befindlichen Straßen-/ Regionalbahn (Völs - Kernstadt Innsbruck - Rum), die innerstädtisch die laut einer Erhebung der Innsbrucker Verkehrsbetriebe mit rund 35 000 Fahrgästen/ Tag an der Kapazitätsgrenze angelangte Buslinie-O ersetzen und das Rückgrat des ÖV in der Stadt bilden wird. Sie wird sich im Gebiet in zwei Äste verzweigen und damit einen Großteil des Einzugsbereiches sehr kurzwegig erschließen. Mit 26 % Anteil am städtischen Modal Split hat der ÖV mit dem MIV gleichgezogen und weist starke Wachstumsraten auf. Insgesamt werden 74 % aller innerstädtischen Wege zu Fuß, mit dem Rad oder dem ÖV erledigt (Mobilitätsuntersuchung im Auftrag der Innsbrucker Verkehrsbetriebe 2015). Daher fiel auch die Entscheidung, die radiale Bild 2: Naherholungsraum im Umfeld der Peerhofsiedlung in Hötting West Foto: H. Dörr 10 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Verkehrsachse Kranebitter Allee zu gleichen Teilen für den Schienennahverkehr mit Busmitbenützung siedlungszugewandt herzustellen und für den MIV die Verkehrsstraße zweistreifig zu belassen und entlang dem Flughafengelände (deshalb die gekappte Straßenbeleuchtung) neu anzulegen (Bild 4). Das Gebiet wird vom Auwald des Lohbachs, der entlang einer Terrassenkante von den Hangwässern gespeist wird, durchzogen. Diese wohnungsnahe Grünachse bildet keineswegs eine „Restfläche“, sondern soll Dominante des künftigen Städtebaus sein (Bild 5). Gemäß der städtebaulichen Studie „Innsbruck Hötting West - Entwicklungsraum 1“ des interdisziplinären Expertenteams Kuëss Riepl Riepl Architekten / Rosinak & Partner Ziviltechniker GmbH / DND Landschaftsplanung Z T KG / Wasser und Umwelt DI Forstenlechner (2015) soll ein „Stadt-Anger“ im Westen den neuen Stadtteil von Kranebitten sicht- und spürbar trennen. Angestrebt werden circa 1500 neue Wohnungen (1000 am Talboden und 500 am Harterhofplateau) samt der erforderlichen Infrastruktur und circa 700 - 1 000 Arbeitsplätze, vorwiegend im universitätsaffinen Dienstleistungsbereich, also typischerweise emissionsarme und mit Wohnnutzung gut mischbare Arbeitsplätze. Zu beachten ist aber bei der städtebaulichen Konzeption und der künftigen Nutzung und Bebauung unter anderem die Minimierung der Lärmbelastung wegen des nahen Flughafens und der Autobahn am südlichen Innufer. Ebenso müssen im Talboden der hohe Grundwasserstand bei den Baugründungen sowie die notwendigen Retentionsflächen berücksichtigt werden, und das Luftfahrtgesetz zieht einen gewissen Deckel bei den Bauhöhen ein. Die gesamthafte Planung und Entwicklung bis zu einem städtebaulichen Masterplan erfolgte in einem intensiven kooperativen Planungsprozess und wurde auf der Grundlage eines vom Gemeinderat beschlossenen Kooperationsvertrages zwischen der Stadt Innsbruck und dem Developer Prisma - Zentrum für Standort und Regionalentwicklung GmbH (der auch den größten Grundeigentümer im Entwicklungsgebiet vertritt) federführend an das genannte interdisziplinäre Expertenteam vergeben. Der städtebauliche Masterplan für eine erste Entwicklungsetappe am Talboden und auf dem angrenzenden Harterhofplateau durchlief gerade die letzten Diskussions- und Abstimmungsrunden und soll im Frühjahr 2016 fertig gestellt und beschlossen werden. Momentaufnahme der Siedlungstransformation Die vielfältigen Herausforderungen, die das in Frage stehende Stadtgebiet an die PlanerInnen und an die EntscheidungsträgerInnen stellt, haben nach einer umfassenden Aufnahme der diffizilen Rahmenbedingungen und nach einer Interpretation des Standes der Siedlungstransformation verlangt. Um den Gestaltungs- und Handlungsbedarf für die weitere Stadtentwicklung zu ergründen, wurde daher im Vorfeld der Entwicklungsplanung gemeinsam von der Stadt Innsbruck und Prisma eine GISgestützte Bestandsaufnahme an ein externes Stadtplanungsbüro (arp) vergeben, das vor zwei Jahrzehnten mit einer ähnlichen Aufgabe im Gebiet bereits betraut gewesen ist. So war für den Auftragnehmer auch ein „Vorgefühl“ für die zwischenzeitlich abgelaufene Siedlungstransformation gegeben. Derartige GIS- Bearbeitungen sind Standard und werden durch die Möglichkeiten, die Welt durch Google Earth zu betrachten, noch ergänzt. Aber das stellt auch eine Verlockung dar, sich der Feldarbeit vor Ort zu entziehen und sich ex-post auf stichprobenartige Verifizierungen zu beschränken. Die Fülle der heutzutage vorliegenden Grundlagendokumente zu den verschiedensten stadtlandschaftlichen Themen normativer und empfehlender Art integrativ zusammenzuführen und sie mit einer Momentaufnahme der Stadtentwicklung zu verknüpfen, ist eine große Herausforderung und erfordert interdisziplinäres Einfühlungsvermögen. Das gilt PPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXIIIIIIIIIIIIIIIIIISSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSS +++++++++++++++++++++++++++++ PPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRROOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJ St St St St St St St SSSt St St St St St St St St St SStt St SSt St St SSt St St St SSt St St St SSt Stt SSt St SSt St St St St St Sttt Sttt SStt SS ad aad aad ad ad ad ad ad ad addd ad add ad ad add add add ad ad ad ad ad ad ad ad ad aaaad aad ad aaaaaaad aaaaaaaaaaaa tr tr ttr tr tttr tr tr r tr tr tr tttr tttr tr ttr tr ttr rr tr ttr tr tt au au aaau au au au au au au au au auu au auu aaau au aaaaaau aaau aaau au au aa mmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmm JJJJJJJEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKTTTTTTTTTTTTTTTTTTEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEE JJJJJJJ Bild 3: (links) Ackerbauflächen im Talboden als Entwicklungsstandort an der künftigen Regionalstraßenbahn Foto: H. Dörr Bild 4: (Mitte) Neubau der ÖV- und IV- Trasse entlang der Kranebitter Allee Foto: H. Dörr Bild 5: (rechts) Der Lohbach-Zug als wohnnahe Grünachse und raumgliedernde Geländestufe Foto: Y. Toifl Bilder 6-7: Alter Weiler und neue Bauwerke in schwieriger Erschließungssituation am Gufeltalweg Fotos: H. Dörr 11 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum umso mehr, wenn das betrachtete Stadtgebiet eine hohe Vielfalt an Strukturen mit unterschiedlichen Dynamiken auf beengtem Raum aufweist. Als Erstes wurde eine Begehung mit kartographischer Aufnahme auf Basis einer Naturstandskarte gestartet. Diese wurde mit einer fotographische Dokumentation und Videobefahrungen verbunden, die vor allem manche schwierigen topographischen Verhältnisse verbildlichten, aber auch Auffälligkeiten in der Benutzung des öffentlichen Raumes aufzeigten. Mit dieser Vorgangsweise wurde eben nicht nur auf eine quantitative Flächenauswertung durch GIS abgezielt, sondern eine qualitative Entdeckungsreise unternommen, wobei sich auch situative Kontakte mit der Bewohnerschaft ergaben. Siedlungstopographische Gegebenheiten Die naturräumlichen Gegebenheiten schaffen am Fuß der Nordkette, einem bis auf 2500 m Seehöhe aufragenden Kalkgebirge mit Wildbächen und potenziellen Lawinenstrichen, auf kleinem Siedlungsraum vielfältige Ausgangslagen und Erschließungsbedingungen für die Siedlungsentwicklung. Topographisch lassen sich der Talboden, der mit hohen Grundwasserständen und temporären Überflutungen durch Regen- und Hangwässer zu kämpfen hat, die sanften, dem Berghang vorgelagerten Schwemmkegel und Hangterrassen mit Neigungen zwischen 6 und 14°, die, wenn man von der Fluglärmbelastung absieht, sehr attraktive Wohnstandorte abgeben, und schließlich die noch weitgehend bewaldeten Steilhangbereiche, in die hangaufwärts schon einige Siedlungsspitzen mit Neigungen bis zu 24° hinaufgewachsen sind, unterscheiden. Jagdhütten und vereinzelte Sommerhäuser haben aber schon vor vielen Jahrzehnten diese Entwicklung in den Schutzwaldgürtel hinein eingeleitet. Die Erschließung bleibt in den Hangbereichen schwierig und kann erst recht großstädtische Standards, wie eine Erschließung im Umweltverbund (vernetzte Fuß-, Rad- und ÖV-Erschließung), kaum erfüllen (Bild 6-7). Nicht zuletzt ist die Zugänglichkeit für Notfall- Einsatzfahrzeuge nur bedingt möglich. Die Stellplätze müssen vielfach in den Berg gebaut werden. Da kann die Bauplatzherstellung schon exorbitant teuer werden. Was sich dann auch sozial als Gentrification auswirkt und ein ausgesprochen automobiles Milieu erzeugt. Die Situierung der Stellplätze zum Wegenetz bestimmt oftmals die Repräsentation der Wohngebäude zum öffentlichen Raum. Das hat für die Stadtplanenden einen gewissen Signalcharakter, wenn die bauliche Abwendung vom öffentlichen Raum und die Abschottung von Gruppen der Wohnbevölkerung in einem Siedlungsgebiet offensichtlich werden. Die ursprünglich agrarisch geprägten Hof- und Weilerstrukturen sind nur mehr rudimentär im alten Gebäudebestand erkennbar, wirken aber in der Parzellenstruktur und im engen Erschließungsnetz nach (Bild 6-7). Wo es irgendwie ging, wurden die alten Wegeverläufe sukzessive zu Erschließungsstraßen aufgewertet. Dem stehen die klaren urbanistischen Konzepte des Geschoßwohnbaus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegenüber, die weitgehend homogene, übersichtliche Wohnquartiere mit ihrer zeitgenössischen funktionalen Ausstattung mit Grünanlagen und zentralen Diensten darstellen und dem Augenschein nach funktionieren. Der Expositionsvorteil der Sonnseite wird durch die Lärmquelle Flugverkehr beeinträchtigt (Bilder 8-10). Die Abtreppung des Siedlungsraumes schafft reizvolle Blickbeziehungen in den Talraum bis zu den Berggipfeln im Süden. PPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIISSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSS ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ PPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPPRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRROOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJJEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTTEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEE St St St St St St St SSt St St St SSt St St SSt St St Stt SSt SSSt St SSt SSSSSt St St SSSSt St St St Stt St St St Sttttt Stt St St St Sttt St St St SSt St Stt Stt St St St Stt SSt St SSSStt St SSStt SSt St St St St Sttt SSt SStt SSt St Stttt Sttt Stttt SSt SSttttttt Sttttt SS aad ad ad ad ad ad ad ad ad ad ad aad ad ad ad ad aad ad ad ad ad ad ad aad aad ad ad ad ad ad ad ad ad aad ad ad ad ad ad aaadd ad ad addd aad ad addd ad aad ad ad ad ad ad ad ad ad ad ad ad ad ad ad ad ad ad aaad ad add aaddd ad ad ad ad ad aad aaddd add add ad adddd ad aaddd ad add addd ad ad a tr ttttr tr tr tr tr tr tr tr tr tr tr rrr tr tr tr tr tr tr ttr tr tr r tr tr tr tr tttr tr tr tttr tr ttr r tr tr r tr rr tr rr tr ttr tr tr rr ttrr tr tr ttr ttr tr tttt au au au au aau au aaau au au au au au au aau au au au au au auu au au au au au au auu aauuu au au au au auu au au auuuu au au au au auu au auu aauuuu aauu au aaaauu auu au aaauu auuuuu aaau auummmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmm XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII Bilder 8-10: Im Blick und Gegenblick Flughafen - Stadtteil Allerheiligen - Flughafen - Universitätscampus Fotos: H. Dörr AUTOR I NNEN Dr. Dipl.-Ing. Heinz Dörr Ingenieurkonsulent für Raumplanung und Raumordnung arp-planning.consulting.research Kontakt: heinz.doerr@arp.co.at Mag. Gerhard Fritz Amtsführender Stadtrat für Stadtentwicklung, Stadtplanung und Integration der Landeshauptstadt Innsbruck Kontakt: gerhard.fritz@magibk.at Mag. Regina Hatheier-Stampfl Universität Salzburg Interfakultärer Fachbereich Geoinformatik - Z_GIS Kontakt: regina.hatheier-stampfl@sbg.ac.at Yvonne Toifl Raumplanerin arp-planning.consulting.research Kontakt: yvonne.toifl@arp.co.at Fortsetzung in Ausgabe 2/ 2016 12 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur · Energie · Kommunikation In der Industrie sind die Begriffe „Digitalisierung“ und „smart“ bereits etabliert, seit längerem breiten sie sich auch in weitere Lebensbereiche aus. Das Buzz- Word „Smart City“ wird derzeit geradezu inflationär gebraucht. Die Schwierigkeit liegt jedoch bereits in der Definition der Begrifflichkeit „smart“. Eine „smarte Stadt“ öffnet sich für clevere und neuartige Technologien und Aktionen und prüft, Gebäude clever und nachhaltig betreiben Die Stadt Fürth in Bayern rüstet Neu- und Bestandsbauten zu „Smart Buildings“ um Facility Management, berufsbegleitender Masterstudiengang, Verbund Ingenieur Qualifizierung gGmbH, Bauen im Bestand Christine Lippert, Daniela Hilpert Digitalisierung hält in Produktion und Industrie unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ Einzug, sie prägt aber in wachsendem Maße auch Lebensbereiche wie Beruf, Arbeit und Wohnen. Die Folge: Arbeitsplätze, Infrastruktur oder auch Gebäude werden zunehmend „smart“. Auch die Stadt Fürth in Bayern setzt mithilfe neuer Technologien auf cleveren und nachhaltigen Einsatz von Ressourcen und finanziellen Mitteln beim Gebäudebetrieb. Um die vielen Bestandsgebäude an den neuesten Stand der Technik anzupassen und zu betreiben, ist Fachwissen gefragt. Der berufsbegleitende Studiengang Facility Management in Nürnberg bildet hier Fachpersonal weiter. an welcher Stelle und in welcher Form sich diese sinnvoll einsetzen lassen. Entscheidend sind dabei immer die Fragen nach dem langfristigen Vorteil für den Nutzer und die Stadt und dem dafür notwendigen Einsatz von Ressourcen, sowohl ökologisch als auch monetär. Städte dürfen sich jedoch nicht an gerade aktuellen, kurzlebigen Trends orientieren. Eine dauerhafte Weiterentwicklung funktioniert nur mit einem mindestens mittelfristigen, besser langfristigen Ziel, das allen Bewohnern und Nutzern einer Stadt einen Mehrwert bietet. Stadt Fürth - Kein Trendsetter, aber smarter Investor „In Sachen Digitalisierung sind wir als Stadt Fürth sicher nicht der Trendsetter“, sagt Christine Lippert, technische Amtsleiterin der Gebäudewirtschaft der Bild 1: Das Rathaus in Fürth als Vorzeigeobjekt eines smarten Gebäudes: Seit mehr als fünf Jahren wird das Rathaus mit Abwärme aus Abwasser beheizt. © Stadt Fürth 13 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur · Energie · Kommunikation Stadt Fürth. „Bei den städtischen Gebäuden sind wir jedoch bereits auf einem guten Weg.“ Die Stadt wird zunehmend attraktiver, sowohl für die Ansiedelung von Gewerbe- und Forschungsinstituten als auch für die Wohnnutzung. Ähnlich wie in vielen Städten hängt das Wachstum jedoch stark von der Verfügbarkeit freier Grundstücke ab. Derzeit ist das Angebot an Baugrund allerdings gering. Daher sind und bleiben auch Bestandsbauten sehr attraktiv. Dieser positive Wachstumstrend bietet eine gute Gelegenheit, die Investitionen zukunftsorientiert in Richtung Smart City auszurichten. Fürth versucht bei neuen und bestehenden Gebäuden zunehmend, regenerative Energien zu nutzen. Was die „clevere“ Nutzung von Energie angeht, ist das Fürther Rathaus zu einem Vorzeigeobjekt geworden: Es wird bereits seit fünf Jahren mit der Abwärme aus Abwasser beheizt (Bild 1). Die Wärme wird dem Abwasser über 70 Wärmetauscher- Elemente entzogen. Dabei erfüllen die Wärmetauscher zwei Funktionen: Sie entziehen dem Abwasser die Wärmeenergie und trennen das saubere Wasser im Wärmepumpenkreislauf von dem schmutzigen Abwasser im Kanal. Die dem Abwasser entzogene Wärme wird einer bivalenten Wärmepumpe (Wasser-Wasser- Wärmepumpe) zugeführt. Diese Wärmepumpe übernimmt die Grundlast, konventionelle Heizkessel den Spitzenbedarf. Die Maßnahme wurde in Eigenplanung der Gebäudewirtschaft der Stadt Fürth geplant und umgesetzt. Im Durchschnitt können so jährlich Heizkosten in Höhe von rund 25 000 EUR eingespart, der Primärenergieverbrauch um 65 % und der CO 2 -Ausstoß um rund 130 t reduziert werden. Von Standortwahl bis WLAN - Schulen stehen im Fokus Das Amt für Gebäudewirtschaft ist für alle Gebäude, Brunnen, Denkmäler, Kunstwerke und technischen Anlagen im Besitz der Stadt Fürth verantwortlich, ein Arbeitsschwerpunkt von Amtsleiterin Lippert liegt im t Bereich der Schulen. In zahlreichen Schulkomplexen müssen Generalsanierungen durchgeführt oder Schulen komplett neu gebaut werden. Bei Neubauten stehen alle Möglichkeiten offen, die Fragestellungen und Lösungsansätze einer Smart City bereits in der Konzeptfindungsphase der Maßnahmen zu berücksichtigen (Bild 2). Das beginnt bereits bei der Standortwahl (Stadtentwicklung) und zieht sich über „smarte Verkehrssteuerung“ (Infrastruktur) und technische Ausstattung (Energie, Nachhaltigkeit und Barrierefreiheit) bis in die einzelnen Klassenräume (Digitalisierung). WLAN beispielsweise kann nach Abstimmung der Datenschutzfragen nun auch in Schulen realisiert werden. Auch im Zuge aktuell laufender Sanierungen werden mehrere Schulen mit WLAN ausgestattet. Die Lehrer können so die neuen Medien umfangreich nutzen und Digitalisierung auch im Klassenzimmer erlebbar machen. Zum Schutz der Schüler im Falle eines Amoklaufes gibt es außerdem ein mittelfristiges Umsetzungsprogramm, nach dem jedes Jahr eine weitere Schule mit einer Amokanlage ausgestattet wird. Diese Anlagen bestehen im Wesentlichen aus Handmeldern, die im Fall einer Bedrohung betätigt werden, und einer Sprachansage, die nach Betätigen der Handmelder auslöst. Mit dieser eindeutigen Mitteilung wissen Schüler und Lehrer, was organisatorisch zu tun ist. Die Alarmierung der Polizei erfolgt durch die Schulleitung. Sowohl bei einer Alarmierung als auch bei einer Störung werden die Gebäudewirtschaft der Stadt Fürth, die Schulleitung und die Hausmeister über SMS benachrichtigt. Bild 2: Auf dem Weg zum Smart Building: Die Mittelschule Otto-Seeling- Schule in Fürth wurde im August 2010 fertiggestellt und mit innovativer Technik ausgestattet. © Stadt Fürth 14 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur · Energie · Kommunikation Ziele definieren und nachhaltig Investieren Die Entwicklung einer Stadt und die Investitionen in diese orientieren sich an ihren Bewohnern und Nutzern. Die Herausforderung dabei: Bürger und Stadtverwaltung entwickeln anhand eigener Bedürfnisse Konzepte und Ideen, die nicht kanalisiert in ganz unterschiedliche - beziehungsweise zu viele verschiedene - Richtungen gehen und oft nicht finanzierbar sind. Ein Beispiel für ein solches Konzept ist das „Urban Gardening“. Finden sich langfristig keine privaten „Kümmerer“ dieser zum Gartenbau genutzten städtischen Flächen, fallen die Aufgaben des Betriebs oder die Kosten zurück auf die Stadtverwaltung. Und spätestens zu diesem Zeitpunkt muss man sich die Frage stellen: Welchen Nutzen hatte diese Investition? Wäre es nicht „ökologischer“ gewesen, die Finanzmittel in bereits vorhandene und dauerhaft geschützte Bereiche wie Hochwasser- und Überschwemmungsschutz oder die notwendige Sanierung bestehender Grünanlagen zu investieren? Hier beginnt bereits Nachhaltigkeit. Fachwissen als Grundlage für dauerhaft erfolgreiches Gebäudemanagement Architekten stecken sehr viel Engagement in die Planung überwiegend neuer Gebäude. Nach der Übergabe an den Nutzer ist ihre Arbeit meist abgeschlossen. Jedes Gebäude hat jedoch ein „Leben nach der Übergabe“. Und der zukünftige Schwerpunkt der Bautätigkeit wird im Bestand liegen. Bisher achten leider noch zu wenige Architekten darauf, dass das Augenmerk neben städtebaulichen und architektonischen Gesichtspunkten vor allem bereits vor der Planung auf die Bedürfnisse der Nutzer und späteren Betreiber gelegt werden sollte. Die Kunst des Architekten und Fachplaners besteht darin, Gebäude zu errichten bzw. umzubauen, die den Bedürfnissen des Nutzers gerecht werden und dennoch architektonische und städtebauliche Qualität besitzen. Bei der Auswahl der technischen Komponenten und Anlagen muss bereits bei der ersten Energiekonzeptfindung bekannt sein, wer die technischen Anlagen im Betrieb betreut. Die zunehmende Technisierung erfordert qualifiziertes Personal. Werden die Anlagen nicht optimal betrieben, ist das Ziel einer nachhaltigen Planung verfehlt. Am Beispiel der Abwärmenutzung des Rathauses lässt sich dies zeigen. Hier war es notwendig, die bivalente Wärmepumpe und den konventionellen Heizkessel auf den Betrieb abzustimmen. Die ortsnahe Beobachtung und Steuerung der Anlagen durch einen geschulten Hausmeister kann hier viele teure Handwerkerstunden ersetzen. Deshalb ist es wichtig, dass alle Beteiligten so früh wie möglich den späteren jahrzehntelangen Betrieb gemeinsam abstimmen. Weiterbildung für Bau-Experten Dem Thema „Lebenszyklus“ hat sich der Weiterbildungsstudiengang „Facility Management“ von Verbund Ingenieur Qualifizierung gGmbH (Verbund IQ) und der Technischen Hochschule Nürnberg verschrieben. „Die Offenheit gegenüber neuen Technologien, die Ausrichtung am Lebenszyklus der Gebäude und an den unterschiedlichen Nutzern hat mir geholfen, die unterschiedlichen Fragestellungen des Gebäudemanagements in der jeweiligen Situation diskutieren zu können“, begründet Lippert ihre Studienwahl. t Der berufsbegleitende Masterstudiengang schafft in drei Semestern das technische, betriebswirtschaftliche und methodische Fundament, um Immobilien über ihren Lebenszyklus hinweg effizient zu betreiben. Neben dem hohen Praxisbezug hat der Amtsleiterin besonders der Austausch mit den Kommilitonen gefallen, „von denen jeder ein sehr unterschiedliches Fachwissen mitbrachte, angefangen von Betriebswirten über Architekten bis hin zu Maschinenbau- und Elektroingenieuren. So sind Kontakte und Einblicke in neue Bereiche entstanden, die mir die Notwendigkeit für stetige Offenheit für Neues verdeutlicht haben“. Informationen zum berufsbegleitenden Masterstudiengang Facility Management unter: http: / / www.verbund-iq.de/ master/ master-facility-management/ oder direkt bei Carsten Schmidhuber, Bildungsberater bei Verbund IQ, carsten.schmidhuber@verbund-iq.de. rr INFORMATION Daniela Hilpert Kaltwasser Kommunikation, Nürnberg Kontakt: dhi@kaltwasser.de AUTORINNEN Dipl.-Ing. (FH) Christine Lippert Technische Amtsleiterin der Gebäudewirtschaft der Stadt Fürth und Amtsleiterin der Bauordnungsbehörde Kontakt: christine.lippert@fuerth.de THEMA Smart Cities 15 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES Vision Morgenstadt Innovationspartnerschaften für nachhaltige Stadtentwicklung Städte und Gemeinden in Deutschland und Europa sind in Zeiten von Urbanisierung, Klimawandel und Digitalisierung vielschichtigen globalen Veränderungsprozessen ausgesetzt. Trends und Entwicklungsprozesse sind zunehmend volatil, hochgradig unsicher und komplex. Die Rahmenbedingungen, unter denen Politik und Stadtverwaltungen heute Entscheidungen treffen müssen, haben sich grundlegend verändert. Es geht heute nicht mehr darum, Städte zu verwalten. Wir müssen Stadtentwicklung proaktiv gestalten. Was sind die größten Herausforderungen der Städte von morgen und wie können wir diese bewältigen? Die jüngsten Terroranschläge in Paris haben uns gezeigt: Städte stehen heute stärker denn je vor der Herausforderung, Sicherheit zu gewährleisten und gleichzeitig ein offenes und freies Leben zu ermöglichen. Zunehmend wird die Realität in unseren Städten durch kurzfristige Ereignisse bestimmt. Wer hätte vor einem Jahr damit gerechnet, dass die größte Herausforderung für Deutschlands Kommunen 2015 die Flüchtlingsfrage wird? Heute müssen unsere Städte in kürzester Zeit Strukturen schaffen, die uns noch viele Jahre in die Zukunft begleiten werden. Hinzu kommen herausfordernde Klimaziele: Die Bundesregierung verfolgt das Ziel, die Emissionen deutschlandweit bis 2020 um 40 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 zu reduzieren. Mittels gezielter Maßnahmen wie zum Beispiel geringerer Energieverbrauch durch energetische Sanierung und bessere Dämmung sollen insgesamt zwischen 62 und 78 Mio. Tonnen Kohlendioxid eingespart werden. Wir müssen also heute sehr rasch die Grundlagen dafür legen, dass die großen Stadtsysteme Energie, Gebäude, Verkehr und Wasser bis 2050 keine klimawirksamen Emissionen mehr produzieren. Es ist vor allem die Digitalisierung, die uns in den kommenden Jahrzehnten ungeahnte Möglichkeiten für die Bewältigung unserer Probleme in den Städten bietet. Viele urbane Prozesse - von der Logistik bis zur Entsorgung - werden sich durch die Digitalisierung stark ändern. Dabei verändern sich auch Wertschöpfungsketten fundamental. Das Internet of Things und die Smart City gehen einher mit einer Shared Economy. Hierin liegt ein enormes Potenzial für die Erreichung von städtischen Nachhaltigkeitszielen. Autonome Fahrzeuge werden unsere individuelle Mobilität radikal verändern und gleichzeitig den urbanen Raum aufwerten, da viel weniger Parkraum benötigt wird. Um solche Potenziale zu heben, müssen Städte zukünftig existierende Infrastrukturen öffnen und es Unternehmen ermöglichen, neue Produkte und Dienstleistungen in „Reallaboren“ zu entwickeln und zu testen. Denn nur wenn lokale Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft in die aktive Gestaltung unserer Städte eingebunden werden, kann der Wandel hin zu einem neuen Paradigma gelingen. Wenn wir alle hier nur kurz angerissenen Herausforderungen zusammen sehen, ist der Weg klar. Städtische Innovationsprozesse müssen alle Bereiche umfassen: von der Technologie über die Gesellschaft bis hin zur Regulierung und Finanzierung - und sie müssen alle Akteure einbinden. Deshalb benötigen wir neue Innovationspartnerschaften, die die Lösungen der Zukunft vorausdenken, ausprobieren und weiterentwickeln und die sowohl Stadtverwaltungen als auch Unternehmen dabei unterstützen, urbane Innovationsprozesse in Gang zu setzen und am Laufen zu halten. Gemeinsam mit Vorreitern aus der Wirtschaft und Städten sowie 11 Fraunhofer-Instituten erarbeitet das Fraunhofer IAO daher im Rahmen der Morgenstadt-Initiative Innovationen für die Städte von morgen. Durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit können neue Konzepte und Lösungen für relevante Fragestellungen in den Städten der Zukunft erforscht werden. Herausragende Projekte wie Morgenstadt: City Insights, TRIANGULUM und Smart Urban Services sind hieraus bereits entstanden und werden die Forschungslandschaft in den nächsten Jahren mit gestalten. Ich lade Sie herzlich ein, sich uns in diesem Prozess anzuschließen - nur über neue Partnerschaften werden wir in Deutschland und Europa Städte als Motor für eine nachhaltige Entwicklung erreichen. Prof. Dr.-Ing. Wilhelm Bauer, Institutsleiter Fraunhofer IAO und IAT Universität Stuttgart. © Fraunhofer IAO 16 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES INTERVIEW Smart Cities Der Begriff „Smart Cities“ scheint für ein Patentrezept zu stehen, mit dem sich Städte zukunftstauglich machen lassen. Was genau ist damit gemeint? Tatsächlich steht derzeit die Digitalisierung im Vordergrund der Diskussion um „Smart Cities“. Eine allgemein gültige Definition gibt es auch noch nicht. Umfassende Definitionsansätze sehen sie als ein Ganzes aus mehreren Elementen: smart economy, smart governance, smart mobility, smart environment, smart people, smart living. Macht der Einsatz digitaler Technologien Städte tatsächlich „intelligenter“ ? Digitalisierung ist eines aus einer Reihe von Elementen, um Städte zukunftsfähig zu gestalten. Wesentlicher bei der Stadtentwicklung sind aber die Prinzipien der Nachhaltigkeit. Bei deren Umsetzung kann Digitalisierung helfen, zum Beispiel durch Effizienzgewinne. Doch in manchen Bereichen zeigt sich die Ambivalenz der digitalen Welt. So kann beispielsweise der Online-Handel durchaus bei entsprechender Weiterentwicklung dazu beitragen, Probleme in der Nahversorgung etwa für ältere Mitbürger oder in ländlichen Gebieten, wo es überhaupt keine Läden mehr gibt, zu mindern durch neue Versorgungsstrukturen über das Internet. Aber die Kehrseite der Medaille ist, dass der stationäre Einzelhandel, der schon längere Zeit unter dem Strukturwandel leidet, nun auch noch Konkurrenz aus dem Internet erhält und so in seiner Funktion als Nahversorger weiter geschwächt wird. Dabei sind die Läden um die Ecke von zentraler Bedeutung für eine belebte, vitale, multifunktionale Stadt. Insofern muss man bei all diesen Entwicklungen immer die Vor- und die Nachteile betrachten. Der öffentliche Sektor ist aufgefordert, durch entsprechende Rahmenbedingungen sicherzustellen, dass das Allgemeinwohl gewahrt bleibt. Aus Gründen des Ressourcenschutzes und effizienterer Energienutzung ist es sicher sinnvoll - vielleicht sogar notwendig - digitale Technik einzusetzen. Wird dabei die Anfälligkeit von Datensicherheit unterschätzt? Es besteht die Gefahr, dass durch die zunehmende Erfassung von Daten aller Lebenssituationen der Bürger immer transparenter wird. Smart Homes bieten zwar viele Ansätze möglicher Effizienzgewinne durch Energieeinsparung, doch in der Konsequenz werden die Nutzerdaten immer detaillierter erhoben, gespeichert und ausgewertet. Handys lassen sich orten, Bewegungsprofile erstellen, Freizeitaktivitäten analysieren - im Grunde genommen kann der gesamte Tagesablauf über solche Datenflüsse abgebildet werden. Was macht Städte smart? Nichts bleibt, wie es war. Viele Faktoren - etwa die zunehmende Urbanisierung, eine älter werdende Gesellschaft, Herausforderungen durch den Klimawandel und nicht zuletzt neue Spielregeln einer globalisierten Welt - verändern unsere gewohnten Lebenswelten. Wie aber wird dieser Wandel auf gewachsene Stadtstrukturen wirken, welche Anpassungsstrategien sollen gewählt werden. Besteht die Lösung darin, Städte „smart“ zu machen - also verschiedene Funktionen wie Ver- und Entsorgung, Mobilität und Gebäudemanagement, Gesundheitsversorgung und Verwaltung mit digitalen Technologien auszustatten und in Kommunikationssystemen zu vernetzen? Über diese Themen sprach Prof. Dipl.-Ing. Martin zur Nedden, Wissenschaftlicher Direktor und Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Urbanistik (difu) im Interview mit Christine Ziegler. Prof. Dipl.-Ing. Martin zur Nedden, Wissenschaftlicher Direktor und Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Urbanistik (difu). © Difu 17 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES INTERVIEW Smart Cities Im Zuge dieser Entwicklung wird es wohl immer schwerer, sich der großflächigen Erfassung persönlicher Daten zu entziehen…? Im Prinzip ist das so. Auch hier sehe ich die öffentliche Hand in der Verantwortung, einen Missbrauch zu verhindern. Wo bleiben die Menschen, die keine allzu hohe Affinität zu Kommunikationstechnologien haben? Hier gibt es mindestens zwei Gruppen: Einmal die Gruppe, die ihre digitale Kommunikation auf das Unumgängliche reduziert, um das eigene Privatleben zu schützen. Und dann eine Bevölkerungsgruppe, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht in der Lage ist, die neuen Technologien zu nutzen. Fällt diese zweite Gruppe damit komplett aus dem Spiel? Die Gefahr besteht. Auch hier muss die Öffentliche Hand gewährleisten, dass diese Bevölkerungsgruppe die Möglichkeit hat, sowohl am täglichen Leben in einer stärker digitalisierten Welt teilzunehmen als auch ihre Belange in die politische Diskussion einzubringen. Formen der Bürgerbeteiligung im Internet gewinnen zunehmend an Bedeutung, werden aber von sozial schwächeren Schichten tendenziell weniger wahrgenommen. Die Berücksichtigung sozialer Belange ist von zentraler Bedeutung für eine nachhaltige Stadtentwicklung. Sind es also die sozialen Konzepte und Impulse, die Städte wirklich smart machen? Wenn man „smart“ im umfassenden Sinn versteht, sind sie zumindest unverzichtbare Elemente. Dort, wo sich Bürger einbringen, um auf die gesellschaftliche Entwicklung Einfluss zu nehmen, entstehen viele neue spannende Projekte: im Bereich des Wohnungsmarktes neue Formen von Bauherrengemeinschaften, kleine Genossenschaften, Car-Sharing oder das Projekt „Leerstandsmelder“, aber auch Fahrgemeinschaften, Flüchtlings-Apps und vieles andere mehr - Aktivitäten, die übrigens zunehmend mittels digitaler Medien organisiert werden. Nachdem vor einigen Jahren viele alte plüschmöblierte Cafés in den Innenstädten zugemacht hatten, gibt es heute wieder eine vielfältige Café-Kultur... ...allerdings teilweise erst nach einer Zwischenphase mit Bankfilialen an diesen Stellen. Diese werden nun ihrerseits im Zuge der Digitalisierung reduziert. Eine vielfältige attraktive Gastronomie gehört zum urbanen Leben und leistet einen Beitrag zur Belebung der Erdgeschosszonen, die, unter anderem durch die Strukturveränderungen im Einzelhandel, von Leerstand und damit Verödung bedroht sind. Sie sind aber ein wichtiges städtisches Element, das unserer Aufmerksamkeit bedarf. Als Gelenk zwischen privatem Raum - dem Haus - und öffentlichem Raum - der Straße - erfüllen sie eine wichtige Funktion auch im Hinblick auf die soziale Kontrolle des öffentlichen Raumes. Wir müssen uns bemühen, diese Zonen weiter funktionsfähig zu halten. Schaut man sich die Auswirkungen der Urbanisierung weltweit an, leben wir hierzulande eigentlich auf der Insel der Glückseligen... ...ja, zumindest leiden wir auf vergleichsweise hohem Niveau. Das ist ein Ergebnis der in Europa über Jahrtausende gewachsenen Erkenntnis, dass man Städte planen und Stadtentwicklung steuern muss. Ideen zur Idealstadt gibt es seit der Antike. Bereits die Griechen haben Städte nach bestimmten Prinzipien geplant. Die im Zusammenhang mit der industriellen Revolution entstandenen Probleme in den Städten haben noch einmal die Bedeutung einer Steuerung der Entwicklung durch die Öffentliche Hand verdeutlicht. Das gilt sowohl für die bauliche Entwicklung als auch die Gewährleistung stabiler sozialer Verhältnisse. Auch im Hinblick auf Klimawandel und Klimaanpassung ist eine planvolle Entwicklung unverzichtbar. Nur sie wird die nachhaltige Stadtentwicklung gewährleisten. Welches sind aus Ihrer Sicht die notwendigen Instrumente, um zu einer wirklich nachhaltigen Stadtentwicklung - gerade auch im Sinne der Bürger - zu kommen? Der Instrumentenkasten ist groß, es würde zu weit führen, ins Detail zu gehen. Es gibt auch keine Patentrezepte, jede Stadt ist besonders. Wichtig sind integrierte Konzepte als Handlungsgrundlage, bei deren Erstellung die Belange von Ökologie, Ökonomie und die sozialen Belange sowie der Erhalt des kulturellen Erbes miteinander sorgfältig abgewogen werden - ganz in der Tradition europäischer Städte. Sind solche Prozesse angesichts der drängenden Probleme nicht zu langwierig? Nein, solche Prozesse kann man zügig durchführen. Das schließt auch nicht aus, in bestimmten Situationen wie z.B. aktuell im Hinblick auf die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylsuchenden kurzfristig zu handeln. Aber ungeachtet dessen kann es auch manchmal durchaus sinnvoll sein, noch einmal inne zu halten, intensiv nachzudenken und sich die lateinische Weisheit vor Augen zu führen: „Was du auch tust, tu es klug und bedenke das Ende“. 18 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities Stadt - ein komplexes System Städte sind komplexe räumliche, ökologische, technische, soziale und politische Systeme. Jede Stadt ist anders, hat ihre Eigenlogik. Städtebauer, Architekten und Ingenieure haben in den letzten hundert Jahren immer wieder nach Patentlösungen, nach Standardisierung gesucht - one size fits all. Und sie sind damit meistens gescheitert. Das spricht nicht gegen die Suche nach (auch) technischen Innovationen, die dieses komplexe System nutzergerechter machen. Aber es spricht gegen die Unterschätzung von Komplexität und physischer Remanenz (immerhin sind rund 90 % der Stadt 2030 heute schon gebaut). Es spricht vor allem gegen die Unterschätzung sozialer Wirkungen technischer Innovationen, deren Effizienzgewinne durch Rebound-Effekte rasch zunichte gemacht werden können. Was nützt eine ressourceneffiziente Wärmeversorgung, wenn Komfortbedürfnisse und veränderte Haushaltsstrukturen zum Wachstum der Wohnfläche und damit des Wärmebedarfs pro Person führen? Herausforderungen Wissen und Innovation werden vor allem in Metropolregionen und Städten generiert, denn dort werden die notwendige Vielfalt und die kritische Masse erreicht. Räumliche Nähe und soziale wie bauliche Dichte schaffen optimale Bedingungen, um vor allem das nicht kodifizierbare Wissen - tacit knowledge - auszutauschen. Eine fortschreitende Urbanisierung schafft also die Voraussetzungen für Innovation, stellt die Städte aber auch vor vielfältige Herausforderungen: Globalisierung: Finanzsystem, Wissensgesellschaft Klimawandel: Klimaschutz durch erneuerbare Energien, Energieeffizienz - Klimaanpassung von Siedlung und Infrastruktur Demografischer Wandel: EU-Binnenwanderung, Flüchtlinge - wachsende und schrumpfende/ alternde Städte und Regionen Digitalisierung: IKT, Vernetzung / „Internet der Dinge“ Soziale und räumliche Polarisierung: Bildungs- / Einkommensarmut - „prekäre Stadtquartiere“ Soziale Wohnraumversorgung: Erhalt / Neubau von Wohnungen als kommunale Daseinsvorsorge Mobilität: stadt- und umweltverträglich gestalten Innenentwicklung: Flächeninanspruchnahme reduzieren. Technische, gesellschaftliche und räumliche Veränderungen haben sich in den letzten Jahrzehnten erheblich beschleunigt - und werden sich wahrscheinlich weiter beschleunigen. Disruptive Innovationen, die einen Bruch mit vorher bestehenden Technologien oder Organisationsstrukturen bedeuten, nehmen gegenüber evolutionären Veränderungen zu. Darauf muss das System Stadt, muss die Stadtentwicklungsplanung sich einstellen. Hinzu kommt: Zukünftige Entwicklungen sind immer weniger Städte brauchen Innovationen - aber welche? Digitalisierung und Smart Cities als Herausforderungen für die Stadtentwicklung Stadtentwicklung, Smart Cities, Innovation, Urbanisierung Stephan Reiß-Schmidt Der Begriff Smart Cities ist in aller Munde - als angebliches Patentrezept für ressourcenschonende, lebenswerte, transparent verwaltete Städte - oder sogar als neues Leitbild der Stadtentwicklung. So sehen es die Einen, die hier neue Märkte für Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) oder neue digitale Servicetools vermuten. Andere sind da skeptischer: Lassen sich die ökologischen und sozialen Herausforderungen der Urbanisierung wirklich durch mehr Daten, mehr digitale Vernetzung, mehr selbstfahrende Autos und mehr Online-Shopping lösen? 19 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities vorhersehbar und damit planbar. Städte stehen vor der Frage, mit welchen Strategien sie unerwartete Entwicklungen auffangen und die soziale Stabilität, das Funktionieren der Infrastruktur und die Sicherheit ihrer Bevölkerung trotzdem sicherstellen können. Resilienz, das heißt Anpassbarkeit, Belastbarkeit, Reaktions- und Widerstandsfähigkeit und damit robuste Raum- und Infrastrukturen werden immer wichtiger. Stadtentwicklung als politischer Prozess In der nachhaltigen Stadtentwicklung geht es um das Gemeinwohl und damit um ein gesellschaftlich akzeptiertes Gleichgewicht zwischen ökonomischer Prosperität, sozial-räumlicher Integration und Umwelt- und Lebensqualität (Bild 1). Eindimensionale Optimierungsstrategien bringen das komplexe System Stadt aus der Balance, verfehlen die soziale Gerechtigkeit oder andere wichtige Dimensionen einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Rahmenbedingung für zukunftsfähige Strategien ist die Erkenntnis, dass Stadtentwicklung nicht top-down gesteuert werden kann, sondern ein kooperativer und diskursiver Prozess ist. Viele Akteure wirken daran mit, nicht nur aus Politik und Verwaltung, sondern aus der Wirtschaft, der Wissenschaft und vor allem aus der Zivilgesellschaft. Bürgerinnen und Bürger sind als Wählerinnen und Wähler die oberste Entscheidungsinstanz der demokratischen Stadtgesellschaft. Sie delegieren Macht auf Zeit an gewählte Repräsentantinnen und Repräsentanten in Parlamenten und Gemeinderäten und organisieren ihre Interessen in Vereinen, Parteien, Verbänden, Initiativen. Demokratische Stadtentwicklung ist ein permanenter Diskurs zwischen den Akteuren um zu konkretisieren, welche Ziele, Strategien und Projekte zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort dem Gemeinwohl am besten entsprechen. Diesem Prozess des Informationsaustauschs, der Prüfung, Diskussion und Entscheidung müssen sich auch technologische Innovationen, muss sich auch das Konzept Smart Cities stellen. Smart Cities und urbane Innovationen - Chancen und Risiken Digitale Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) sind mit Chancen und Risiken verbunden, die erkannt, diskutiert und sorgfältig abgewogen werden müssen. Chancen: Steigerung von Ressourceneffizienz und Wirtschaftlichkeit Echtzeit- und Zweiwege-Kommunikation Transparenz - Open Data Sharing - Co-Produktion - Prosuming Mehrfach- / Mischnutzung - Urbane Produktion - „Micro Factories“ Intermodale, bedarfsgerechte Mobilität. Risiken: Beschleunigung des Wandels - Disruptive Entwicklungen Over-Engineering - Technik- und Anbieterabhängigkeit - Kostenrisiken Verlust demokratischer Kontrolle - Machtkonzentration Verlust der Privatsphäre - Identitätsverlust Sozio-kulturelle Polarisierung - Digital Divide - ungleiche Chancen Gefährdung von Stadt(teil)zentren durch Online- Einzelhandel. Integrierte kommunale Innovationspolitik - Stadt als lernendes System Was können und sollten Städte tun, um sich den Herausforderungen der Digitalisierung zu stellen und ihre Chancen zu nutzen? Ziel ist eine integrierte kommunale Innovationspolitik, die IKT in soziale, kulturelle und räumliche Leitbilder, Strategien und Prozesse der Stadtentwicklung einbettet. Nur wenn sich digitale Innovationen am Gemeinwohl orientieren erzielen sie über das wirtschaftliche Geschäftsmodell hinaus eine positive „Stadtrendite“. Im Bild 1: Handlungsrahmen nachhaltiger Stadtentwicklung Quelle: Deutscher Städtetag (2015), Positionspapier Integrierte Stadtentwicklungsplanung und Stadtentwicklungs- Management. Ökonomische Prosperität Schaffung / Sicherung von Arbeitsplätzen und Einkommen durch Qualifizierung, Kreativitäts- und Innovationsförderung ... Partizipation Mitgestaltung der eigenen Lebensumwelt, demokratische Mitbestimmung Soziale und räumliche Integration Sicherung von sozialem Miteinander, gesellschaftlicher Durchlässigkeit und räumlichem Ausgleich durch Wohnungspolitik, Bildungs- und Kulturangebote ... Umwelt- und Lebensqualität Sicherung der ökologischen und ästhetischen Qualität der Stadt als Lebensraum durch Klimaschutz und Grünpolitik, Baukultur und Innenentwicklung ... 20 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities Dipl.-Ing. Stephan Reiß-Schmidt Stadtdirektor Mitglied DASL / ISOCARP / SRL Leiter der Hauptabteilung Stadtentwicklungsplanung im Referat für Stadtplanung und Bauordnung der Landeshauptstadt München, Vorsitzender der Fachkommission Stadtentwicklungsplanung des Deutschen Städtetages Kontakt: stephan.reiss-schmidt@muenchen.de Interesse der Chancengerechtigkeit müssen digitale Bildung und Technikzugang durch Partizipation und Empowerment breit verankert werden. Spezifische IKT-Konzepte für öffentliche Verwaltung und kommunale Daseinsvorsorge müssen so designt werden, dass sie zur Stärkung der lokalen Demokratie und der kommunalen Selbstverwaltung beitragen - und nicht zur Privatisierung und Ökonomisierung der kommunalen Daseinsvorsorge. Um gerade in sozial benachteiligten Teilräumen Identität zu stiften, Teilhabe zu verbessern und soziale und räumliche Resilienz zu entwickeln, gilt es, Stadtentwicklung stärker zu dezentralisieren und Quartiere als Planungs- und Handlungsräume zu stärken. Die Städte brauchen mehr soziale, technikunterstützte Innovationen. Innovationspolitik in diesem Sinn ist ein gesellschaftlicher und politischer Prozess, kein Algorithmus. Deshalb erfordert eine integrierte kommunale Innovationspolitik den Mut zu Experimenten, zum Beispiel in wissenschaftlich begleiteten Reallaboren. So wird Stadt zum lernenden System. „Der Deutsche Städtetag empfiehlt seinen Mitgliedsstädten, insbesondere die Digitalisierung und die damit einhergehenden fundamentalen Veränderungen der Stadtentwicklung, ihrer Kommunikationsprozesse und ihrer politisch-administrativen Steuerung in ihre Stadtentwicklungskonzepte einzubeziehen. Die fortschreitende Digitalisierung verändert nicht nur private und gesellschaftliche Kommunikationsprozesse (zum Beispiel W-LAN im öffentlichen Raum, Partizipation über soziale Medien), die Verwendung öffentlicher Daten (beispielsweise Open GeoData) oder die Produktion und Steuerung städtischer Infrastrukturen in den Bereichen Datenkommunikation (Glasfaser-/ Breitbandnetze), Gebäude (zum Beispiel effiziente Steuerung der Gebäudetechnik), Mobilität, Zentrenstruktur und Einzelhandel (Erosion des stationären Einzelhandelsnetzes durch Online-Handel) oder Energie- und Wasserversorgung (zum Beispiel Smart Grids, Smart Metering). Sie wirkt sich auch auf die Rollenverteilung zwischen privaten Daten- und Dienstanbietern, den Bürgerinnen und Bürgern als Konsumenten und der öffentlichen Planung und Daseinsvorsorge unmittelbar aus. Neue digitale Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) müssen in den stadtentwicklungspolitischen, sozialen und räumlichen Zusammenhang eingebunden werden. Damit können die Chancen der Digitalisierung für eine nachhaltige Stadtentwicklung genutzt und Risiken für Datenschutz und Datensicherheit, für das sozialräumliche Gleichgewicht und für die Versorgungssicherheit und Qualität der Daseinsvorsorge begrenzt werden. Dadurch kann auch einer durch die „technologische Hintertür“ kommenden zweiten Welle der Privatisierung der kommunalen Daseinsvorsorge begegnet werden.“ Deutscher Städtetag (2015): Positionspapier Integrierte Stadtentwicklungsplanung und Stadtentwicklungsmanagement. INFORMATION Ausblick In Anbetracht der auf die Städte zukommenden Herausforderungen erfüllt das Leitbild der kompakten, nutzungsgemischten, sozial und kulturell integrierenden europäischen Stadt auch im 21. Jahrhundert die Anforderungen an eine nachhaltige, sozial gerechte Stadtentwicklung am besten. Das bedeutet nicht, technikfeindlich zu sein oder die Potenziale der Digitalisierung für eine nachhaltige Stadtentwicklung zu ignorieren, zum Beispiel in Bereichen wie stadtverträgliche Mobilität, Energieeffizienz, Sicherheit oder bürgerfreundliche Serviceangebote der Stadtverwaltung. Digitale Technologien haben zur Bewältigung dieser Herausforderungen aber eine dienende Funktion; das Konzept Smart Cities eignet sich nicht als Patentrezept oder gar als Leitbild der Stadtentwicklung. Die notwendige Debatte über eine produktive Rolle des Konzeptes Smart Cities in der integrierten Stadtentwicklungsplanung steht noch am Anfang. Offene Fragen gibt es genug, um nicht nur im Gespräch zu bleiben, sondern durch Forschung in Reallaboren mehr Klarheit über die Rolle technologischer Innovationen im gesellschaftlichen Transformationsprozess der Städte zu gewinnen. Fragestellungen, die zu vertiefen lohnend wäre, sind etwa: Wie kann der Primat gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse und demokratischer politischer Entscheidungen auf kommunaler Ebene gewahrt werden? Wie kann Chancengerechtigkeit beim Zugang zu digitalen Technologien erreicht werden? Wie kann kulturelle und soziale Integrität und Identität von Städten und Regionen gewahrt werden? Wie kann die Stadtgesellschaft mit Beschleunigung und Unsicherheit sozial verträglich umgehen? Wie können langfristige Finanzierbarkeit, Anbieterunabhängigkeit und Resilienz für technische Systeme und für die Stadtentwicklung insgesamt gewährleistet werden? AUTOR 21 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities Wir brauchen lernende Städte für die digitale Zukunft Stadtentwicklung, Smart Cities, Lernende Stadt, Akteure der Stadtentwicklung Peter Jakubowski Der Hype um Smart Cities ist allein schon deshalb bemerkenswert, weil er zumindest in Deutschland lange ohne Beteiligung der Städte selbst und der planenden und stadtforschenden Professionen stattgefunden hat. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) hat daher ein Forschungs- Cluster zu Smart Cities initiiert. Dabei geht es um strukturierte Analysen zu denkbaren Ausprägungen von Smart Cities und darum, ob und wie die öffentliche Seite der Stadtentwicklung heute Leitplanken auf dem Weg zu Smart Cities formulieren kann. Im Mittelpunkt steht ein Projekt, in dem Eckpunkte für eine Smart City-Charta formuliert werden sollen. Das Projekt wird mit seinen Schwerpunkten skizziert und im Fazit werden Merkposten dazu formuliert, was heute zu Beginn der Entwicklung für die Stadtentwicklung(spolitik) auf dem Weg zu Smart Cities zu bedenken ist. Senden Datenströme neue Signale in die Stadtentwicklung? © Peter Jakubowski 22 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities Ausgangslage Digitalisierung allen Ortes - auch die Stadtentwicklung kommt an den Fragen, die der Smart City- Slogan aufwirft, seit einiger Zeit nicht mehr vorbei. Dabei ist der Hype um Smart Cities allein schon deshalb bemerkenswert, weil er zumindest in Deutschland lange ohne Beteiligung der Städte selbst und der planenden und stadtforschenden Professionen stattgefunden hat. Nun ist es nicht so, dass in deutschen Städten in Planung, Verwaltung und Steuerung noch keine digitalen Technologien eingesetzt würden: Verkehrsleitsysteme, E-Government, Ver- und Entsorgungsinfrastrukturen und alles, was sich um Internet oder mobile Kommunikation und Smart-Phone-Nutzung dreht, sind bereits Teil unseres Stadtalltags. Es wird nur noch nicht Smart City genannt, weil noch bestimmte Schritte fehlen: die tendenziell zentralisierte Vernetzung von Datenströmen und von Services der Stadt, die Implementierung von datengestützten und automatisierten Steuerungs- oder Management-Tools für die Städte und der Übergang in ein „Open-Data-Zeitalter“ für Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft. Dies sind alles Aspekte einer möglichen, aus ökonomischer Sicht nicht unwahrscheinlichen Zentralisierungstendenz in einer digitalen Zukunft, die die moderne Stadtentwicklung allerdings aus guten Gründen ablehnt. Schaut man genauer hin, findet man aber im Bereich der praktischen dezentralen, eher informellen Stadtentwicklung schon eine Menge Projekte mit digitaler Unterstützung wie zum Beispiel Crowdfunding-Projekte, FabLabs oder andere Internet-Lernorte. [1] Entwickelt sich die Digitalisierung der Städte nun also stetig und automatisch und in die richtige Richtung? Dies anzunehmen, wäre ein grober Fehler, da die großen Entwicklungsschübe der Digitalisierung uns erst noch bevorstehen und nach Ratti das Bei triebssystem unserer Städte grundlegend ändern werden [2]. Wenn die Bürgerinnen und Bürger einer Stadt über ihre Kommunikation und ihren gesamten digitalen Lifestyle zu Smart Citizens würden, wenn sich Akteursnetzwerke veränderten und die Machtstrukturen heutiger Städte stärker durch global agierende Player der Datenökonomie geprägt würden, könnten sich Themen, Prozesse und Qualitäten der Stadtentwicklung massiv verändern - ob zum Guten oder zum Schlechten, scheint heute noch eher eine Glaubensals eine Wissensfrage zu sein. Wobei gerade im Bereich der erhofften positiven Automatismen Vorsicht geboten ist. So zeigen beispielsweise empirische Studien zum Thema der digitalen Spaltung, dass hier ohne einen massiven Kompetenzaufbau in der Zivilgesellschaft Ausgrenzung eher zuals abnehmen dürfte [3]. Frank Schirrmacher sieht den einzelnen Menschen im Zeitalter r der Digitalisierung der Bedrohung einer fundamentalen Verwandlung ausgesetzt [4]: Auf der Jagd nach Informationen und unter dem Druck eines sich ständig ändernden, niemals verifizierbaren Informationsumfeldes geraten wir in ein krank machendes Hamsterrad des Multitasking. Und in diesem Hamsterrad verlieren wir - so Schirrmacher - zunehmend r an Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit und letztlich an Problemlösungskapazität. Für Schirrmacher droht uns eine Verwandlung, wie r sie Franz Kafkas Gregor Samsa erfahren hat (Bild 1), der eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, sich zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt sah und hilflos auf seinem panzerartigen harten Rücken lag [5]. Und diese Verwandlung geht vermutlich in uns allen vor. Wir können bald jederzeit auf große Teile des Menschheitswissens zugreifen. Durch unseren digitalen Life- und Workstyle produzieren wir ständig riesige Datenmengen, die nur noch von Maschinen verarbeitet werden können. Das Wissen darüber, im Prinzip immer alles wissen zu können, und die Jagd nach diesem unerreichbaren Informationsideal führen zu massiven Erschöpfungszuständen aller Beteiligten, zu Oberflächlichkeit und oft zu Scheinlösungen. Wir liegen auf dem Rücken, und das Gewicht des Rucksacks voller Daten und Informationen lässt uns hektisch und hilflos mit den Armen und Beinen im Ziellosen rudern. Wenn wir Schirrmachers Sorgen ernst nehmen, müssen wir uns sofort auch Gedanken um die digitale Stadt der Zukunft machen. Dazu bedarf es einer breiten Forschung, die sich mit den Chancen und Risiken einer Digitalisierung unserer Städte aus- Bild 1: Gregor Samsa vor den Toren der Stadt. ©-Franka Jakubowski 23 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities einandersetzt. Sie muss Zukunftsforschung in dem Sinne sein, dass sie deutlich über den Tellerrand des heutigen Alltags der Stadtentwicklung hinausschaut. Sie muss zudem die vielfältigen Facetten der Digitalisierung in ihren Auswirkungen auf das soziale, ökonomische und politische Beziehungsgeflecht in den Städten der Zukunft analysieren. Das BBSR hat daher ein Forschungs-Cluster zu Smart Cities (Bild- 2) initiiert [6]. Dabei geht es um strukturierte Analysen zu denkbaren Ausprägungen von Smart Cities und darum, ob und wie die öffentliche Seite der Stadtentwicklung heute Leitplanken auf dem Weg zu Smart Cities formulieren kann. Neues ExWoSt-Vorhaben: Smart Cities - Entwicklung eines stadtentwicklungspolitischen Handlungsrahmens In einem wichtigen Cluster-Vorhaben wird untersucht, welche Auswirkungen die Digitalisierung auf die künftige Stadtentwicklung haben kann, welche Chancen sich bieten und welche Risiken für die Entwicklung unserer Städte bestehen oder entstehen können. Auf Basis von wissenschaftlichen Expertisen und unter Einbindung eines interdisziplinären Arbeitskreises aus Wissenschaft, Wirtschaft und kommunaler Praxis werden Leitplanken für die künftige Entwicklung von Smart Cities abgeleitet [7]. Im Ergebnis sollen Eckpunkte für eine „Smart City- Charta für Deutschland“ entwickelt werden [8]. Kern des Vorhabens ist es, langfristig technologisch mögliche und aus Sicht der Stadtentwicklung als wünschenswert angesehene Bausteine für Smart Cities in Deutschland zu identifizieren, um darauf aufbauend strategische Pfade zur Vorbereitung dieser städtischen Zukunft gestalten zu können. Der Zielhorizont der Analysen liegt zwischen 2030 und 2040. Mit anderen Worten: Es wird über Zukünfte diskutiert, die für viele von uns heute so weit in der Zukunft liegen, wie das Jahr 2015 in den 90er-Jahren ferne Zukunft war. Es geht um einen Zukunfts-Diskurs jenseits des Tagesgeschäftes, in dem zuerst das technisch Mögliche betrachtet und abgewogen wird, um darauf aufbauend Eckpunkte für die Stadtentwicklung abzuleiten [9]. Dieser Zukunftsdiskurs für die Stadtentwicklung erfolgt in enger Abstimmung mit den Akteuren und Zielen der Nationalen Stadtentwicklungspolitik und den Grundlagen der europäischen Stadtentwicklung wie sie unter anderem in der Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt und dem Memorandum „Städtische Energien“ festgehalten sind [10]. Im Vorhaben werden folgende Themenkomplexe mit großer Bedeutung für die künftige Stadtentwicklung in Deutschland betrachtet: Welche Perspektiven neuer Formen der Berücksichtigung von Bürgerpräferenzen und Bürger- Know-how durch neue digitale Technologien und Analysemethoden ergeben sich für die Urban Governance von übermorgen? In diesem Themenfeld sind sowohl heute schon beobacht- und für die Zukunft weiterentwickelbare Ansätze einer Stadtentwicklung von unten zu untersuchen (z.B. Crowdsourcing, Sharing-Ansätze zur Stärkung von Nachbarschaften), aber auch umfassende Bewertungssysteme für städtische Dienstleistungen, ein aktivierendes Empowerment oder eine durch Datenanalysen und IuK-Technologien gestützte „Top-Down-Aktivierung“ bürgerschaftlichen Engagements. Ziel ist es, neue technisch „getriebene“ Ansätze zu entdecken und deren breite, quasi „standardmäßige Anwendbarkeit“ zu beurteilen. Inwieweit können durch den digitalen Strukturwandel und eine breite Datafizierung der Stadt neue und tragfähige Säulen der Stadtökonomie entstehen? Zur Einordnung der Aufgabe sei ein Beispiel aus Chicago skizziert: Chicago startete 2011 eine Initiative zum Aufbau einer Open-Data- Ökonomie. Neben dem massiven Ausbau des High-Speed-Internet in allen Bereichen des städtischen Lebens verfolgt Chicago die Strategie, die eigenen kommunalen Dienstleistungen unter anderem dadurch zu verbessern, dass es aus dem gesamten kommunalen Datenaufkommen so viel wie möglich als „Rohmaterial“ für Entwickler und Entwicklungen zur Verfügung stellt, um somit die Daten-Ökonomie zum neuen Pfeiler der Stadtwirtschaft zu machen. Hierzu werden auch umfassend datensammelnde Sensoren im Stadtgebiet verteilt, die in kurzen wiederkehrenden Intervallen gigantische Datenmengen generieren und in Echtzeit für Forschung und Entwicklung zur Verfügung stellen. Diese Smart-City-Strategie kann man auch als aktive digitale Angebotspolitik verstehen. Chicago investiert in die Datafizierung Bild-2: Forschungs- Cluster zu Smart Cities im BBSR. © BBSR, Bonn, 2015. 24 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities seiner Stadt und schafft so eine kostenlos nutzbare innovative Rohstoffbasis für völlig neue Wertschöpfungsbereiche [9]. In Ansätzen kann man in London, aber auch in Hamburg oder Berlin ähnliche Ideen erkennen. Darüber hinaus sollen weitere technikgetriebene Trends aus dem Bereich „Industrie 4.0“ (beispielsweise 3D-Druck) in die Betrachtungen einbezogen werden. Welche Einflüsse können eine breite Digitalisierung und die Nutzung von Big Data-Analysen und -Instrumenten [10] auf Akteure, Interessen und Macht-Asymmetrien in unseren Städten haben? Datengestützte Dienstleistungen und Steuerungsansätze für die Stadt können die Bedeutung neuer Akteure in der Stadtentwicklung nach sich ziehen. Das können die heute diskutierten Unternehmen wie Google, Yahoo, Apple oder Uber sein, aber auch andere Konstellationen der Datenökonomie, an die wir heute noch nicht denken. Im Big Data-Bereich soll unter anderem das Feld der Predictive Analytics näher untersucht werden, das beispielsweise in der vorsorgenden Polizeiarbeit schon heute zunehmend an Bedeutung gewinnt. Datenanalysen im großen Stil machen über massenhafte Korrelationsanalysen Vorhersagen in beinahe allen Bereichen unseres Lebens möglich. Außerdem haben Empfehlungssysteme schon heute eine große Bedeutung in der Wirtschaft und könnten auch für die Stadtentwicklung an Bedeutung gewinnen. Hier ist noch völlig unklar, welche Auswirkungen sich für das städtische Akteursgefüge ergeben können. Welche Ausprägungen und Auswirkungen kann eine digitale Spaltung der Stadtgesellschaft von übermorgen haben? Wie kann man diesen Tendenzen entgegenwirken und welche Akteure sollten dies tun? Die alleinige Konzentration auf digitale Systeme in zentralen Bereichen des städtischen Zusammenlebens kann zu neuen Formen von Segregation, Stadt- und Politikverdrossenheit und weiteren Problemen der Stadtgesellschaft führen. Wie wahrscheinlich sind solche Entwicklungen? Welche Akteure können diesen Entwicklungen mit welchen Maßnahmen entgegenwirken? Sind technologisch bedingte „Spaltungen“ in Stadtgesellschaften ein neues Phänomen? Wenn nicht, was kann man aus bisherigen Erfahrungen für eine vorausschauende Politik der Digitalisierung unserer Städte lernen? (Bild-3). Am Projektende soll eine Verständigung auf Eckpunkte für eine „Smart City-Charta“ stehen. Städte und Stadtentwicklung(spolitik) erhalten eine hörbare Stimme in der Debatte, um den Fachdiskurs qualifiziert und umsetzungsorientiert zu erweitern. Fazit: Offenheit und Lernfähigkeit für die digitale Stadtzukunft Saskia Sassen hat gefordert, die neuen „Technologien zu urbanisieren“, sie also in den Dienst einer guten Stadtentwicklung zu stellen. Das wiederum bedeutet zunächst einmal, dass die Smart City-Diskussion, die derzeit noch vorrangig technologiedominiert und aus dem Blickwinkel der Erschließung neuer Märkte geführt wird, einen handfesten Stadtentwicklungsbezug benötigt. Die Zielsetzungen einer integrierten und nachhaltigen Stadtentwicklungspolitik sind in die Diskussion einzubringen und die Interessen weiterer Beteiligter zu ergänzen. Gegenwärtig krankt die Diskussion um die Digitalisierung der Städte auch daran, dass die Zivilgesellschaft beinahe nicht vorkommt [13]. Folgende weitere Punkte sind außerdem zu beachten: Gute Konzepte für Smart Cities müssen verinnerlichen, dass die Digitalisierung der Städte aus dem baulichen, soziostrukturellen und verwaltungstechnischen Bestand erfolgt. Es geht nicht um die Installation gänzlich neuer Systeme auf einen Schlag. Es sind Prozesse zu organisieren, die einen längerfristigen Weg beschreiben. Die Innovationsgeschwindigkeit wird in der Wirtschaft weiterhin hoch sein, während neue Technologien den öffentlichen Teil der Stadt in kleinen Schritten erreichen; das heißt, öffentliche Akteure werden häufiger mit suboptimalen Lösungen und Technologien arbeiten. Bild 3: Wir müssen auch weiter über die Maschinen bestimmen können. © pixabay.com 25 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities Akzeptanz und Nutzung neuer digitaler Technologien werden sich im Zeitablauf heterogen entwickeln; da die öffentliche Seite der Stadtentwicklung aber letztlich niemanden ausgrenzen darf, sind für den Übergang digitale und analoge Systeme und Services parallel nötig. Diese Doppelstrukturen begrenzen den Effizienzgewinn von Investitionen in digitale Systeme. Schnelligkeit und Effizienz digitaler Technologien führen auch zu Ausgrenzung, Anpassungsstress bis hin zur Verweigerung in bestimmten Milieus der Stadtgesellschaft. Fragen zur digitalen Spaltung ergeben sich auch im interkommunalen Wettbewerb und im Verhältnis zwischen ländlichen Räumen und städtisch geprägten Agglomerationen (Bild-4). Der Weg zur digitalen Stadt ist also noch lang und eher beschwerlich. Die Stadtentwicklung muss sich der Herausforderung der Digitalisierung stellen, sie muss die vorliegenden Konzepte kritisch hinterfragen und dann aus ihrer Perspektive aktiv weiterentwickeln. Dazu bedarf es einer angemessenen Offenheit auch gegenüber digitalen Phantasien oder Visionen und einer der Technik zugewandten Lernfähigkeit und -willigkeit, um den digitalen Wandel samt seiner neuen und bekannten Akteure in die Aktivitäten der Stadtentwicklung(spolitik) einzubeziehen. QUELLEN [1] Ein optimistisches Zukunftsszenario zeichnen Haury, Stephanie / Willinger, Stephan (2015): Die informelle Stadt des 21. Jahrhunderts. X-Town 2025 - Ein Szenario, in: Informationen zur Raumentwicklung (IzR) Heft 3/ 2015, S. 233-244. [2] Vgl. Ratti, Carlo (2014): The sense-able city, in: The European, 21.03.2014, im Internet unter www.theeuropean-magazine.com/ carlo-ratti- -2/ 8251-ma king-our-cities-smarter, Zugriff am 23.11.2015. [3] Vgl. hierzu van Dijk, Jan A. G. M. (2005): The Deepening Divide Inequality in the Information Society, Thousand Oaks, London, New Dehli oder van Deursen, Alexander J.A.M. / van Dijk, Jan A.G.M. (2014): The digital divide shifts to differences in usage, in: new media & society 2014, S. 507-526. [4] Schon 2011 zeigt Frank Schirrmacher diese Entwicklung auf. Vgl. Schirrmacher, Frank (2011): Payback, k 2. A, München. [5] Vgl. Kafka, Franz (1912): Die Verwandlung, in: Franz Kafka, Erzählungen, herausgegeben von Max Brod, Lizenzausgabe, S. Fischer Verlag, 1986, S. 57-107. [6] Vgl. auch Jakubowski, Peter (2014): Auf dem Weg zu r Smart Cities - Stadtzukünfte mit neuen Technologien, BBSR-Analysen KOMPAKT, 4/ 2104, Bonn sowie Jakubowski, Peter / Kaufmann, Andreas (2014): Smart Cities - wird es schon wieder nichts mit Utopia, in: PlanerIn Mai 2014, S. 30-32. [7] Die wichtigen Handlungsfelder des Klima- und Ressourcenschutzes, die in der Smart City-Diskussion bereits heute breiten Raum einnehmen, werden in diesem Vorhaben nicht mit einer eigenständigen Expertise abgedeckt. Eine thematische Einbindung wird über die Beteiligung der Nationalen Plattform „Zukunftsstadt“ am Arbeitskreis „Smart Cities“ gesichert: www.nationale-plattform-zukunftsstadt.de [8] Vgl. auch die Projektdarstellung des BBSR im Internet unter: www.bbsr.bund.de/ BBSR/ DE/ FP/ ExWoSt/ Studien/ 2015/ SmartCities/ SmartCities_node.html [9] Vgl. auch Petrin, Julian (2015): Aufwachen, die Zukunft ist schon da, in: RaumPlanung, 181 / 5-2015, S. 35-39. [10] Vgl. hierzu im Internet http: / / www.nationale-stadt entwicklungspolitik.de/ NSP/ DE/ Home/ home_node. html. Die Nationale Stadtentwicklungspolitik. [11] Vgl. Goldsmith, Stephen; Crawford, Susan (2014): The Responsive City, San Francisco sowie Schweitzer, Eva (2016): Smart Cities International: Strategien, Strukturen und Pilotvorhaben, BBSR-Sonderveröffentlichung, Bonn, im Erscheinen. [12] Vgl. hierzu Meyer-Schönberger, Viktor / Cukier, Kenneth (2013): Big Data - Die Revolution, die unser Leben verändern wird, München. [13] Vgl. auch von Lojewski, Hilmar/ Munzinger, Timo (2013): Smart Cities und das Leitbild der europäischen Stadt, in: Städtetag aktuell 9/ 2013, S. 10-11. Bild 4: Smart Citizens? © pixabay.com Dr. Peter Jakubowski, Dipl.-Volkswirt Leiter Referat „Digitale Stadt, Risikovorsorge und Verkehr“, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, Bonn Kontakt: Peter.Jakubowski@BBR.Bund.de AUTOR 26 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities Ist smart gleich nutzergerecht? Die Smart City psychologisch betrachtet Nutzergerecht, Smart City, Umweltaneignung, Privatheit Antje Flade Die Leitvorstellungen zur Stadtgestaltung sind vielfältig, sie kreisen um Fragen der Ökologie, der Verbesserung der Infrastruktur, des Verkehrs, der Digitalisierung städtischer Funktionen und der Lebensqualität der Städter. Unklar ist indessen, ob alle diese Leitvorstellungen kompatibel sind und nicht die Verwirklichung des einen die Umsetzung des anderen ausschließt. Ein zentrales Thema ist die Umwandlung der nicht immer reibungslos funktionierenden Stadt in eine effiziente Smart City. Zugleich denkt man jedoch darüber nach, inwieweit Städte lebenswert sind und ob die Stadtgestaltung dazu beiträgt, dass sie lebenswert bleiben. Doch sind die Leitbilder der Smart City und der lebenswerten Stadt kompatibel? Inwieweit ist die hocheffiziente smarte Stadt auch eine lebenswerte Stadt? Diesen Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden. Die smarte Stadt Die smarte Stadt oder Smart City wird als Zukunftsmodell der Stadt herausgestellt. Es ist die komplett vernetzte, sensorengesteuerte, hoch effiziente und reibungslos funktionierende Stadt. Sie ist ein Erzeugnis der Digitalisierung, dem die volle Aufmerksamkeit gewiss ist. Das Wort „smart“ ist klug gewählt, denn es ruft positive Assoziationen wie hübsch, apart und intelligent hervor. Angesichts dieser positiven Konnotationen ist dessen weite Verwendung nicht verwunderlich. Smart ist inzwischen vieles, nicht nur die Stadt oder das kleine Auto, das in Lücken passt, es sind Dinge wie die Smart Watch, das Smart Home und das Smart Phone. Oberstes Ziel der Smart City ist Effizienz. So soll der Umgang mit Energie und Ressourcen effizienter vonstatten gehen und die städtische Infrastruktur leistungsfähiger werden. Informations- und Kommunikationstechnologien werden eingesetzt, um städtische Funktionen zu digitalisieren und Abläufe zu optimieren. Digitale Zählersysteme werden verwendet, um Verbräuche zu regulieren, Überlastungen und Ausfälle zu identifizieren, Verkehrsstaus zu prognostizieren und zu verhindern und Informationen aus Sicherheitskameras zu verarbeiten. Ohne Digitalisierung könnte kein stadtweites Car-Sharing betrieben werden und kein kommunales Fahrradverleihsystem funktionieren. Der erste Eindruck ist, dass die Smart City alle Wünsche erfüllt (Bild 1). Bild-1: Führt die zunehmende Digitalisierung städtischer Funktionen auch zu mehr Lebensqualität? © pixabay 27 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities Die lebenswerte Stadt Die Stadt ist nicht nur der Hintergrund, vor dem sich das Leben abspielt, sondern sie beeinflusst den Alltag des Menschen, das heißt, wie er lebt, was er erlebt, welche Fähigkeiten er entwickelt, ob er sich wohl und sicher fühlt, was er anstrebt und wie kreativ er sein kann. Eine lebenswerte Stadt bietet dem Menschen optimale Existenz-, Entwicklungs- und Entfaltungsbedingungen. Ein umweltpsychologisches Konzept, das sich anbietet, um die globale Zielvorstellung der lebenswerten Stadt differenzierter anzugehen, ist die Mensch-Umwelt-Passung beziehungsweise Person-Umwelt-Kongruenz [1]. Die unterschiedlichen Formen des Zusammenpassens werden als funktionale, kognitive, emotionale und motivationale Kongruenz bezeichnet. Funktionalität im Sinne einer ergonomischen Kongruenz zielt darauf, Objekte und Räume nach den Anforderungen, Bewegungsabläufen und körperlichen Maßen zu bemessen. Beispiele sind die Treppe, die ergonomisch kongruent ist, wenn die Treppenstufen weder zu flach noch zu hoch sind (Bild 2), oder die Fahrbahnbreite, die zu einer bestimmten Fahrgeschwindigkeit passt, oder ein Radweg, der nicht kongruent ist, wenn er uneben und holprig ist. Die kognitive Kongruenz wird durch lesbare räumliche Strukturen gefördert, die es erleichtern, Stadträume mental abzubilden. Landmarken und Wege spielen dabei eine wichtige Rolle. Emotionale Kongruenz ist gegeben, wenn man sich in einem Raum wohl fühlt, wenn dessen Atmosphäre stimmig ist, wenn man sich im öffentlichen Raum der Stadt sicher fühlt. Die Installation von Videokameras an Bushaltestellen und auf Bahnsteigen zielt beispielsweise auf eine vermehrte emotionale Kongruenz ab: Die Fahrgäste sollen sich sicherer fühlen. Motivational kongruent sind Stadträume, die neugierig machen und zur Erkundung anregen. Man probiert zum Beispiel einen anderen Weg aus oder nutzt ein anderes als das gewohnte Verkehrsmittel, wobei man neue Erfahrungen macht und die Stadt anders erlebt. Stadträume sind nutzergerecht, wenn sie in funktionaler, kognitiver, emotionaler und motivationaler Hinsicht zu den Menschen in der Stadt passen. Smart gleich nutzergerecht? Die Leitbilder der Smart City und der lebenswerten Stadt sind auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt: die Smart City auf der Makroebene von Politik, Wirtschaft und Technik, die lebenswerte Stadt bezieht sich auf die Individualebene. Schon wegen der unterschiedlichen Ebenen sind „smart“ und „nutzergerecht“ nicht synonym. Auch die Zielvorstellungen sind unterschiedlich: Die smarte Stadt ist auf Effizienz ausgerichtet, die lebenswerte Stadt auf Kongruenz. Die Passung zwischen Mensch und Stadtraum ist Kennzeichen der lebenswerten Stadt. Ob Stadträume bezogen auf den Menschen in der Stadt funktional sind, indem Haltestellen mit Bänken ausgestattet sind, ob sie lesbar sind und man sich leicht darin orientieren kann, indem markante Gebäude als Landmarken fungieren, ob die U-Bahn in den Abend- und Nachtstunden als Angstraum erlebt wird und ob die Stadt dem Menschen motivierende Anregungen bietet und Gelegenheiten, seinen Interessen nachzugehen und seine Absichten zu verwirklichen, stellt sich in der Smart City nicht. Und schließlich ist auch die Gewichtung unterschiedlich: Die Dynamik der sich auf der Makroebene abspielenden Stadtgestaltung zieht das öffentliche und mediale Interesse auf sich und nimmt die gesamte Aufmerksamkeit so sehr in Anspruch, dass die Individualebene aus dem Blickfeld gerät. „Smart“ ist zu einem dominierenden Begriff geworden, während das Wort „nutzergerecht“ etwas antiquiert daher kommt. Der Vorrang der Makroebene ist jedoch nicht verwunderlich, denn in einer Stadt mit Hunderttausenden bis zu mehreren Millionen Einwohnern scheinen Fragen, wie der einzelne Mensch die Stadt erlebt, ob er dort glücklich ist und sich entfalten kann, kaum relevant zu sein. Auch als Akteur ist der einzelne Mensch im städtischen Kontext eher unbedeutend. Er kann die Stadtentwicklung als einzelner Bürger nicht beeinflussen. Die Chance, dass sie etwas bewirken, haben Aktionen der Stadtbewohner nur dann, wenn sie institutionell gestützt werden oder sie in größerer Zahl in nicht zu übersehenden Gruppierungen wie etwa bei einer Critical Mass auftreten. Die Critical Mass ist eine Aktion, bei der zum Beispiel zahlreiche Bild 2: Ergonomisch kongruente Treppenstufen sind weder zu hoch noch zu flach. ©-pixabay 28 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities Radfahrer zusammen kommen, um mit gemeinsamen Fahrten durch die Stadt auf die Belange von Radfahrern aufmerksam zu machen und dadurch eine Verbesserung der Infrastruktur für den Radverkehr zu erreichen [2]. Die Begriffe smart und nutzergerecht können somit nicht gleichgesetzt werden, das heißt, eine Smart City ist nicht automatisch auch eine lebenswerte Stadt. Es gibt jedoch Überschneidungen, weil funktionale Kongruenz und Effizienz zusammenhängen und weil sich Entscheidungen zur Stadtgestaltung auf der Makroebene auf die Individualebene auswirken. Funktionale Kongruenz bedeutet zugleich auch Effizienz. Ziel ist in beiden Fällen die Optimierung der Interaktionen zwischen Mensch und Umwelt. Ein anschauliches Beispiel ist die 6,5 qm große Frankfurter Küche, die von der Architektin Grete Schütte-Lihotzky in den 1920er Jahren im Rahmen der Wohnungsbauprogramme für das Existenzminimum entwickelt wurde: Sie gestaltete die Küche als Funktionsraum. Die Arbeiten in der Küche sollten effizient - wie am Fließband - ablaufen. Im Unterschied zur nach wie vor beliebten Wohnküche beziehungsweise dem Wohnraum mit integrierter Küche fehlt der Funktionsküche jedoch die emotionale Kongruenz, ablesbar daran, wie gern und lange man sich in einem Raum aufhält. Die auf die Individualebene ausstrahlenden Effekte der Makroebene können sowohl positiv als auch negativ sein. Beispiele für positive Effekte sind die digital gesteuerte Überwachung von Stadträumen zur Bekämpfung und Prävention von Kriminalität, durch die zugleich auch Unsicherheitsgefühle beseitigt werden, und die Verfügbarkeit von WLAN allerorts, so dass man die Gelegenheit hat, sich jederzeit unaufwändig Informationen zu beschaffen und online zu kommunizieren. Ein aus psychologischer Sicht negativ zu bewertender Effekt der Smart City ist die Entpersönlichung. Wenn die Person am Schalter, die Fahrkarten oder Briefmarken verkauft oder eine sonstige Dienstleistung erbringt, durch Automaten ersetzt wird, entfallen die personalkostenträchtigen und deshalb nicht effizienten Face-to-Face-Kontakte. Gleiches gilt für Sicherheitspersonal in manchen öffentlichen Räumen, wenn es durch Videokameras und Notrufsäulen ersetzt wird. Einsparung von Personalkosten fördert zwar die Effizienz, doch zugleich wird der Stadtraum ärmer an sozialen Interaktionen und interpersonalen Kontakten. Er büßt an emotionaler Kongruenz ein. Gravierende negative Effekte entstehen dadurch, dass Computer Aufgaben übernehmen, die den Menschen zwar vordergründig entlasten, ihn jedoch letztlich kognitiv und motivational verkümmern lassen. Das Smart Phone, das heute für die meisten Menschen zur persönlichen Ausstattung gehört, wird nicht nur benutzt, um emotionale Leere zu vermeiden und sich nicht einsam und verloren zu fühlen, indem man mit den anderen in ständiger Verbindung ist, sondern auch, um Passungen herzustellen. Der mit dem Smart Phone ausgestattete Mensch hat es nicht mehr nötig, sich lernend die Umwelt kognitiv aneignen. Er muss die diversen Landmarken, Wege und zentralen Plätze als raumstrukturelle Elemente nicht mehr genau anschauen, sich merken und für die Erstellung einer kognitiven Karte zunutze machen. Er kann sich auf sein Smart Phone verlassen, das ihn - mit welchem Verkehrsmittel auch immer - auf einer optimalen Route zu jedem Zielort führt. Ein übermäßiger Gebrauch des Smart Phone als Navigator und Hersteller von Kongruenzen kann jedoch dazu führen, dass das Interesse schwindet, die Umwelt zu erkunden und sie sich kognitiv zu eigen zu machen. Fähigkeiten, die einmal wichtig waren, werden verzichtbar, wenn smarte Geräte Aufgaben übernehmen, für die diese Fähigkeiten einstmals gebraucht wurden. Dann kommt es auch nicht mehr darauf an, ob Stadträume so gestaltet sind, dass sie gut lesbar sind. Ein viel diskutiertes aktuelles Thema ist der Verlust der Privatsphäre im Zuge der Digitalisierung. Privatheit ermöglicht Autonomie, was Privatheit so wertvoll macht. Seine Privatsphäre schwindet dahin, wenn ein Mensch überwacht und ausgespäht wird, wobei es weniger um die Überwachung durch Videokameras geht, sondern vor allem um das Sammeln, Auswerten und Nutzen persönlicher Daten, die den Menschen bloß stellen und ihn vorhersagbar und beeinflussbar machen. In der Smart City sind die Menschen mit einem Smart Phone unterwegs, das ihnen Entscheidungen abnimmt und sie auf bestimmte Bahnen lenkt. „The danger is that these mechanisms diminish the diversity of things to which one is exposed, potentially leading to an unintentional and relatively invisible isolation from new experiences“ [3]. Der Mensch mit Smart Phone muss sich nicht mehr anstrengen, eine kognitive Karte herzustellen, die ihm hilft, Zielorte ohne Umwege und Irrwege zu erreichen. Der Nachteil ist, dass er an Kompetenz einbüßt. Zufälliges, Neues und Überraschendes wird auf den Wegen und Plätzen der hoch effizienten Smart City nicht mehr erlebt, in der alles reibungslos vonstatten geht. Es gibt nichts zu erkunden und nichts Neues mehr, das zu entdecken motivieren würde. 29 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities Bild 3: Touristen ziehen Städte mit Atmosphäre den Smart Cities vor. © pixabay.com Das Fazit lautet, dass die Smart City dazu beiträgt, die funktionale Kongruenz zu verbessern und städtische Funktionen zu perfektionieren, doch der lebenswerten Stadt, in der es insbesondere auch auf eine kognitive, emotionale und motivationale Kongruenz ankommt, wird in der Smart City nicht Genüge getan. Die besuchenswerte Stadt Das Leitbild der lebenswerten Stadt bezieht sich in erster Linie auf diejenigen, die dort leben. Eine weitere Gruppe, für die eine nutzergerechte Stadtgestaltung nicht unwichtig ist, sind die Pendler, die nicht in der Stadt wohnen, aber dort arbeiten. Für sie ist vor allem funktionale Kongruenz wichtig, indem sie beispielsweise ohne großen Zeitaufwand ihren Arbeitsplatz erreichen, solange sie noch keine Mobile Workers sind. Eine dritte Gruppe sind die Stadtbesucher. Touristen kommen nicht in die Smart City, sondern in Städte mit urbanem Flair, in denen sie Nicht-Alltägliches zu sehen bekommen (Bild 3). Die Atmosphäre eines Raums oder einer Stadt ist etwas Umgebendes und Ganzheitliches, das sich nicht auf einzelne Raummerkmale oder Elemente zurückführen lässt. Stadträume wie zum Beispiel die Ramblas in Barcelona werden als ganzheitliches Ambiente erlebt, wobei es sein mag, dass man bei einer späteren detaillierten Erkundung auch auf einzelne Hausfassaden achtet. Außer ihrem urbanen Flair sind Pull-Faktoren, die eine Stadt besuchenswert machen, bestimmte Gebäude, Plätze und Stadtumbauprojekte, die wegen ihrer Einzigartigkeit beeindrucken, des Weiteren Events, mit denen man nicht nur potentielle Investoren, sondern auch Touristen anziehen möchte. Sie bieten den Stadtbesuchern Atmosphärisches und Noch-nicht-Erlebtes, was der emotionalen und motivationalen Kongruenz förderlich ist. In der Smart City, für die das Kriterium der Effizienz ausschlaggebend ist, sind die psychologischen Formen der Mensch-Umwelt-Kongruenz ohne Relevanz. Besucht werden indessen Städte, die als lustvoll und anregend erlebt werden. Ausblick Abschließend sei auf das interdisziplinär angelegte Buch „Stadt und Gesellschaft im Fokus aktueller Stadtforschung. Konzepte - Herausforderungen - Perspektiven“ hingewiesen [4], in dem sich Experten aus verschiedenen Fachrichtungen mit aktuellen Fragen zur Stadt befassen. An dieser interdisziplinären Zusammenschau lässt sich dreierlei erkennen: Erstens, welche Themen und Fragen zur Stadtgestaltung und Stadtentwicklung die Scientific Community für relevant hält, wobei auch die Smart City nicht fehlt, zweitens die Erkenntnis, dass die Theorien und Analysen einer Fachrichtung allein nicht ausreichen, um die Stadtentwicklung in ihrer Gesamtheit zu beschreiben und zu erklären, und drittens die Feststellung, dass sich das Leitbild der lebenswerten Stadt nur verwirklichen lässt, wenn im Zuge der Stadtgestaltung auch die Individualebene einbezogen wird, man also nicht auf die Makroebene und das Effizienz-Kriterium allein fixiert bleibt im Glauben, damit auch eine lebenswerte Stadt geschaffen zu haben. LITERATUR [1] Fuhrer, U. (1996): Person-Umwelt-Kongruenz. In: L. Kruse, C. F. Graumann & E.-D. Lantermann (Hrsg.). Ökologische Psychologie. Ein Handbuch in Schlüsselbegriffen (S. 143-153). München: Psychologie Verlags Union. [2] Vgl. Flade, A. (2013): Der rastlose Mensch. Konzepte und Erkenntnisse der Mobilitätspsychologie. Wiesbaden: Springer VS Verlag. [3] Gosling, S. D. & Mason, W. (2015): Internet research in psychology. Annual Review of Psychology, 66, S. 882. [4] Flade, A. (Hrsg.) (2015): Stadt und Gesellschaft im Fokus aktueller Stadtforschung. Konzepte - Herausforderungen - Perspektiven. Wiesbaden: Springer VS Verlag. Dr. Antje Flade, Diplom-Psychologin Angewandte Wohn- und Mobilitätsforschung (AWMF), Hamburg Kontakt: awmf-hh@web.de AUTORIN 30 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities Ausgangslage Die verschiedenen Auffassungen zum Begriff „Smart Cities“ werden durch eine Reihe beispielhafter Zitate deutlich: „Smart City ist ein Sammelbegriff für technische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Innovationen mit dem Ziel, das städtische Leben nachhaltiger und lebenswerter zu gestalten und gleichzeitig Lösungen für urbane Herausforderungen wie Luftverschmutzung, demographischen Wandel oder Bevölkerungswachstum zu entwickeln“ [2]. „Die hoch entwickelte Smart City kann ein Internet of Things and Services sein: Die gesamte städtische Umgebung ist dabei mit Sensoren versehen, die sämtliche Daten in der Cloud verfügbar machen. So entsteht eine permanente Interaktion zwischen Stadtbewohnern und der sie umgebenden Technologie. Die Stadtbewohner werden so Teil der technischen Infrastruktur einer Stadt“ [2]. „In der Smart City ist der öffentliche Raum nicht mehr nur der physische Raum, sondern ein integrierter Raum, der die virtuelle und reale Welt einschließt. Es entsteht eine integrierte, real-digitale Urbanität. Ein Teil des öffentlichen Lebens wird dabei auch in digitalen Netzwerken stattfinden“ [2]. „Smart City ist der Begriff, der (alle)… Aspekte des digitalen Stadtlebens zusammen fasst… hierzu gehören nicht nur das tägliche Leben (Smart Home) und der Verkehr (Smart Traffic), sondern schlicht alle Lebensbereiche … Durch Vernetzung, intelligente Technik und übergreifende Strategien haben Städte die Möglichkeiten in der Hand, den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts hinsichtlich Nachhaltigkeit, Energie, Mobilität und Gesundheit zu begegnen … und damit eine höhere Lebensqualität für alle zu schaffen“ [3]. „Bürgermeister Scholz … (will), dass in Hamburg neben den Bürgern bald Dinge miteinander sprechen. Egal ob Brücken, Schiffe, Autos, Ampeln, Parkplätze oder Straßenlampen: Sie alle sollen über das Internet oder andere Systeme miteinander verbunden sein. Sensoren messen, Rechner denken und Menschen profitieren - so lautet der Dreiklang der Smart-City-Fans“ [4]. „Die Smart City ist eine informierte, vernetzte, mobile, sichere und nachhaltige Stadt“ [5]. „Smart City-Hype: Die Verdummung der Städte? Innovative Technologien sollen Städte effizienter, nachhaltiger und lebenswerter machen. Doch hinter dem Smart City-Ansatz stecken handfeste Konzerninteressen - und ein gerüttelt Maß an Technologiegläubigkeit. Grund genug, über Risiken und Nebenwirkungen durchoptimierter (und -kontrollierter) Städte nachzudenken“ [1]. „Hochglanzbroschüren und Internetauftritt zeigen städtische Räume, wie man sie aus Science- Fiction-Filmen kennt. Sie mögen effizienter, ordentlicher und vielleicht auch ‚nachhaltiger’ sein, lassen gleichzeitig aber auch viele jener Dinge vermissen, die Städte lebenswert machen… viele jener Attribute, die häufig unter dem Schlagwort Urbanität subsummiert werden, tauchen in ihnen gar nicht auf“ [1]. „Von den Stadtbewohnern ist in den Konzepten der Tech-Konzerne wenig zu lesen. Sie kommen allenfalls am Rande vor, als Konsumenten, deren Gewohnheiten von technischen Systemen beobachtet und gegängelt werden“ [2]. Smart Cities - Verheißung oder Bedrohung? Stadtentwicklungspolitik, Stadtkonzepte, Verkehrsplanung, Digitalisierung, Datensicherheit Andreas Kossak Seit Jahren wird die Diskussion um die Zukunft praktisch aller Lebensbereiche zunehmend mit dem Begriff „Smart“ in Verbindung gebracht. Das reicht vom „Smart Home“ bis zum „Smart Planet“. Ein zentraler Komplex in diesem Zusammenhang sind die „Smart Cities“. Städte wetteifern darum, wer die smarteste ist oder sein wird. Berlin erklärt sich bereits zur künftigen „Welthauptstadt für Smart-City- Themen“ [1]. Dabei ist das Verständnis davon, was unter dem Begriff zu verstehen ist, nach wie vor sehr unterschiedlich; die publizierten Definitionen und Ziel-Beschreibungen unterscheiden sich beträchtlich. 31 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities Eine Klassifizierung der „10 smartesten Städte in Europa“ basiert auf den Antworten auf die Frage „welche europäischen Städte tun die innovativsten Dinge in den Bereichen Infrastruktur, Technologie und Unternehmergeist? “ [6]. So diffus wie die Diskussion um das Thema, so ambivalent ist bemerkenswerter Weise auch das Spektrum der Bedeutungen, die laut Wörterbuch mit dem englischen Begriff „Smart“ in Verbindung stehen [7]: Klug, gescheit, schmuck, tüchtig, schlau, gerissen, unverschämt, Schmerzen, Kummer, leiden / büßen müssen. Smart City als finales Leitbild der Städte? Die „Smart City“ wird von den Verfechtern als zentrales Leitbild für die künftige Gestaltung der Städte propagiert. Damit sollen die bisherigen Leitbilder abgelöst, bestenfalls integriert und mit digitalen Lösungen für die Probleme der Zukunft verknüpft werden. Das betrifft insbesondere folgende Leitbilder der jüngeren Vergangenheit: Autogerechte Stadt (Bild 1) Menschengerechte Stadt, Umweltgerechte Stadt Nachhaltige Stadt Unmittelbar nach Ende des zweiten Weltkrieges begann in Deutschland der „Wiederaufbau“. Der Ansatz dafür reichte von der Wiederherstellung der zerstörten Gebäude bis hin dazu, die Zerstörungen als „Chance“ zu nutzen, völlig neue Stadtstrukturen zu entwickeln. Im Vordergrund stand dabei zunächst das Prinzip der „gegliederten und aufgelockerten Bebauung“. Hamburg ist dafür ein interessantes Beispiel. Dort war trotz beträchtlicher Bombardements die Raumstruktur der Innenstadt weitgehend erhalten geblieben. Gleichwohl hat der seinerzeitige Oberbaudirektor Otto Meyer-Ottens im Jahr 1949 für die Stadt ein „Bebauungsschema“ vorgestellt, in dessen Mittelpunkt ein „City-Band“ stand, bestehend aus Hochhaus-Scheiben in lockerer Reihung. Bis auf die Hauptkirchen und das Rathaus waren in dem Schema alle alten Gebäude und Bild 1: Das Leitbild einer autogerechten Stadt hatte schwerwiegende Eingriffe in die Substanz von Städten zur Folge. © pixabay 32 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities Raumstrukturen verschwunden (Bild 2; [8]). Das Konzept wurde glücklicher Weise von der Bürgerschaft abgelehnt. Mit Beginn der Phase einer sogenannten „stürmischen Entwicklung des Kraftverkehrs“ Mitte der 1950er Jahre kam auf die Städte eine neue Bedrohung zu - in Form des Leitbildes „autogerechte Stadt“. Bis die horrenden Nachteile hinreichend erkannt und offensichtlich geworden waren, wurde im Zuge von Stadtumbauten in Verfolgung des betreffenden Leitbildes mehr städtische Bausubstanz zerstört als durch die Bombardements des zweiten Weltkrieges. Der Leiter des Hamburger Tiefbauamtes, Otto Sill, sah in diesem Zusammenhang schon vorauseilend seine große Stunde gekommen. Sein Lösungskonzept: ein Netz sechsspuriger, 40 Meter breiter Stadtautobahnen von 140 km Länge - einschließlich Untertunnelung der Außenalster und Überbauung eines innerstädtischen Kanals in bester Wohnlage [9]. Auch dieses Konzept stieß bei Politik und Landesplanung glücklicher Weise nicht auf Zustimmung. Seinerzeit wurde von einem Sättigungsgrad der privaten Motorisierung von unter 200 Pkw je 1000 Einwohner ausgegangen. Heute sind es etwa 600 Pkw je 1000 Einwohner. Als erste „Gegenbewegung“ gegen die „autogerechte Stadt“ empfahl die vom Bund eingesetzte „Kommission Gemeindeverkehr“ (1961/ 64) ein Umsteuern nach dem Prinzip „Vorrang für den ÖPNV“. In dieser Hinsicht handelte Hamburg damals exemplarisch. Anstatt dem zunehmenden Druck des Automobilverkehrs auf die Innenstadt durch Ausbau der Straßen und Schaffung zusätzlichen Parkraums nachzugeben, wurde das Parkraumangebot im Zentrum reduziert. Nach Chicago (1955) und London (1958), wurde um 1960 das weltweit dritte Park-and- Ride-System in Verbindung mit dem ÖPNV eingerichtet. Das Stadtschnellbahnnetz wurde erweitert, im Jahr 1965 der weltweit erste ÖPNV-Verkehrsverbund gegründet [9]. Die besorgte Diskussion um den Zustand der Städte verdichtete sich gleichwohl in der Folge auf nationaler Ebene. Zu den Schlüsselveröffentlichungen in diesem Zusammenhang gehörten: Gerd Albers: Was wird aus der Stadt? (1972) Alexander Mitscherlich: Die Unwirtlichkeit der Städte (1972) Paulhans Peters: Stadt für Menschen (1973) Ulrich Conrads: Umwelt Stadt. Argumente und Lehrbeispiele für eine humane Architektur. (1974) Conrads forderte: „Jenseits der Nutzung von Arealen und der Unterbringung von Menschen müssen Werte wieder entdeckt werden, die weder messbar noch ökonomisch auswertbar sind: Stadtarchitektur als sinnliches Erlebnis und Gehäuse für Begegnungen“ [10]. Der Physiker Karl Steinbuch verlangte in seinem Standardwerk „Mensch, Technik, Zukunft - Probleme von morgen“ (1971) explizit mit Bezug auf die „Bereiche Städtebau und Raumplanung, Umweltschutz, Informatik, Massenkommunikation, Automatisierung und Ausbildung“, „aus sachverständiger Einsicht in die Probleme unserer Zeit, die Verwirklichung humaner Ziele“ abzuleiten [11]. Trotz der beträchtlichen Unterschiede gegenüber den Bedingungen deutscher und europäischer Städte kamen maßgebliche Impulse für das Verständnis sowie die gebotenen Zielsysteme des Städtebaus und der Stadtgestaltung bemerkenswerter Weise aus den USA; das gilt vor allem für die Schriften: Kevin Lynch: Das Bild der Stadt (1960) Jane Jacobs: Tod und Leben großer amerikanischer Städte (1961) Beide Werke erschienen schon wenig später in deutscher Sprache. Kevin Lynch hat insbesondere die Auseinandersetzung mit den relevanten Wahrnehmungsebenen der Stadtgestalt und damit auch mit den Maßstäben für deren Bewertung angeregt [12]: Orientierung Stimulans Abwechslung Äußere Erscheinung Soziale Brauchbarkeit Identität Identifikation Historische Bezüge Sie sollten auch für die Zukunft als Maßstäbe gelten, unabhängig davon, wie „smart“ Städte sind oder sein wollen. In den Visionen der Verfechter der Digitalisierung der Städte und des Lebens in solchen Städten kommen die betreffenden Kriterien nur am Rande oder gar nicht vor. Bild 2: Der Hamburger Oberbaudirektor Otto Meyer- Ottens stellte im Jahr 1949 ein Bebauungsschema für die Stadt vor, in dessen Mittelpunkt ein „City-Band“ aus Hochhaus- Scheiben stand. © Egbert Kossak [8] 33 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities Bild 3: Sogenannte „Smombies“ nutzen digitale Medien so ekzessiv, dass sie sich aus der realen Welt auskoppeln und in der virtuellen Welt verlieren. © pixabay Gegenwärtige Herausforderungen Aufgrund der sich immer stärker abzeichnenden Auswirkungen der nicht zuletzt in den Städten verursachten Luftverschmutzung, des nicht unmaßgeblich darauf zurückzuführenden Klimawandels und der Verknappung von Ressourcen kamen die Zielsetzungen im Sinne einer „umweltgerechten“ und „nachhaltigen“ Stadt zum Aufgabenkatalog der Stadtentwicklung hinzu. Re-Urbanisierung und demographischer Wandel schufen neue zusätzliche und veränderte Herausforderungen - in jüngster Zeit nun auch die Migration und die Bedrohung durch den Terrorismus. Dem müssen sich die Städte zweifellos stellen. Dabei können digitale Medien vielfältige wertvolle Lösungsbeiträge liefern. Das darf aber nicht bedeuten, dass die „klassischen“ und auch in Zukunft grundsätzlich unverändert gültigen primären Qualitäten und Merkmale der Urbanität sowie des urbanen Lebens in Frage gestellt oder gar abgelöst werden. In den eingangs zitierten Passagen finden sich Formulierungen, die sehr treffend die Probleme und Missverständnisse in diesem Zusammenhang kennzeichnen. Immerhin werden in einigen Materialien, die sich mit „Smart Cities“ beschäftigen, durchaus auch Komponenten angesprochen, die dem „traditionellen“ Verständnis von Urbanität, Stadtgestaltung und Städtebau zuzuordnen sind. Das geschieht allerdings meist eher unsystematisch und selektiv. Ein Beispiel ist das Ranking der „10 Smartest Cities in Europe“ [6]. In der Reihenfolge der Erst-Nennung sind das die Komponenten: Grüne Stadt Hohe Lebensqualität Herausragende Architektur Belebte/ lebhafte Straßen Fantastische Museenlandschaft Moderne Stadtentwicklung Attraktivität für Kreative Moderne Stadterneuerung Lebendige Kulturszene Interessante Architektur Zoos, Opernhäuser, Symphonieorchester Schöne Straßen in der historischen Altstadt Einzigartiger Mix von Kreativität und hoher Lebensqualität Kernprobleme des „Smart-City“-Ansatzes Soziale, psychische, gesundheitliche Implikationen der Digitalisierung Das Jugendwort 2015 lautet „Smombie“, das ist eine Kombination aus Smart Phone und Zombie; es steht für die totale Auskopplung aus der wirklichen Welt und das völlige Versinken in einer virtuellen Welt durch exzessive Nutzung der digitalen Medien (Bild 3). Dieses Verhalten beschränkt sich allerdings zunehmend nicht nur auf Jugendliche. Auf Fuß- und Radwegen hat der in der urbanen Wirklichkeit lebende Städter immer häufiger Schwierigkeiten, das Geh- und Fahrverhalten entgegenkommender Fußgänger oder Radfahrer, die „entrückt“ auf ihre Kommunikationsgeräte starren, abzuschätzen, um ihnen ausweichen zu können. Da vielfach die Ohren zusätzlich mit Kopfhörern von der Umwelt abgeschirmt sind, helfen auch keine Ansprache und kein Klingelsignal. Gelegentlich ist das Smart Phone dabei unter absurden Verrenkungen zwischen Ohr und Schulter geklemmt, weil mit den Händen das Gepäck oder der Kinderwagen gehandhabt werden muss. Mobbing im Internet ist inzwischen zu einem gravierenden Problem der jungen Generation geworden. Welche psychischen Konsequenzen die exzessive Nutzung der digitalen Medien hat, ist bisher kaum untersucht. Das gilt auch für die zahllosen brutalen Kriegs-, Zerstörungs- und Kampfsport-Spiele. Mit einer umfassenden Digitalisierung und Vernetzung von Menschen, Sachen und Umwelt nimmt der Elektro-Smog rapide zu. Dessen Einfluss auf die Gesundheit und die Gehirnfunktionen ist bisher kaum erforscht. Erste Studien dazu weisen jedenfalls eher auf deutlich nachteilige und gesundheitsschädliche Wirkungen als auf die Vertretbarkeit ihrer Ausblendung. Sogar orthopädische Probleme aufgrund körperlicher Fehlhaltungen und Verkrampfungen beim Konsum der Angebote des Internets treten bereits zunehmend auf. Wahrung der Privatsphäre / Datensicherheit Die „Wahrung der Privatsphäre“ ist eine der Komponenten, die regelmäßig im Zusammenhang mit der Digitalisierung diskutiert werden. In „Smart Cities“ soll sie angeblich sichergestellt werden. Vor dem Hintergrund der bereits heute fast flächendeckenden Nutzung von Mobiltelefonen und Navigations- 34 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities Bild 4: Lassen sich die Daten der Smart Citizens wirklich schützen? © pixabay geräten, die jederzeit problemlos geortet und gehackt werden können, erweist sich der betreffende Anspruch als substanzlos. Die Vernetzung der Städter im Rahmen der „Smart City“ soll um ein Vielfaches intensiver sein; eine gesicherte Wahrung der Privatsphäre ist dann praktisch ausgeschlossen (Bild 4). Ein bezeichnendes Beispiel für den gegenwärtigen Umgang mit dem Thema bietet auch in diesem Fall die Stadt Hamburg. „Wer in Hamburg eine Straftat begeht, sollte das nicht am Hafen tun. Den überwachen 150 Kameras. Doch der ‚Smart Port ’ ist erst der Anfang. Die amerikanische Technikfirma Cisco will aus der Stadt eine ‚Smart City ’ machen … Wer nachfragt, wie persönliche Daten in einer vernetzten Stadt geschützt werden sollen, bekommt eine erstaunliche Antwort. Bei der Planung des Projekts Smart City, sagt (der oberste Hamburger) Datenschützer Caspar, sei er bisher nicht einbezorr gen worden“ [4]. Sicherheit (Safety and Security) Zu den besonders anspruchsvollen Komponenten der „Smart City“ gehört das autonome Fahren mit Automobilen. Nach Überzeugung der Verfechter wird es bis spätestens 2030 auch in den Städten realisiert sein. MIT-Professor Davis Mindell, US-Experte auf dem Gebiet der Automation im Verkehrswesen hat in einer aktuellen Veröffentlichung als Voraussetzung für eine „volle Automatisierung“ im Straßenverkehr benannt, alle Automobile müssten sämtliche Hindernisse in der unmittelbaren Umgebung rechtzeitig und korrekt identifizieren können, über jederzeit perfekt aktualisierte Straßenkarten verfügen, mit einer Software ausgestattet sein, die absolut einwandfrei funktioniert. Mindells Fazit: „Es ist völlig unrealistisch, dies zu erwarten“ [13]. Das gilt zweifellos nicht für alle Bereiche einer „Smart City“ - aber für eine Vielzahl. Deshalb sollten Schwachstellen, mögliche negative Auswirkungen, die Grenzen der Vertretbarkeit und der tatsächliche Beitrag aller digitalen Komponenten geprüft werden. Die Erfahrungen insbesondere aus jüngster Zeit mit der Tätigkeit von Geheimdiensten und Hacker-Organisationen sowie dem weltweiten (Cyber-)Terrorismus sollten Anlass genug sein, zu erkennen, dass es in der Realität auch in Zukunft keine Datensicherheit gibt und die digitale Welt in hohem Maße anfällig für Manipulationen ist und bleibt. Smarte Stadtentwicklungspolitik? Bereits 1972 schloss der renommierte Städtebau- Professor Gerd Albers seine Veröffentlichung mit dem Titel „Was wird aus der Stadt? “ mit der These, dass die „wichtigen Entscheidungen für die Zukunft der Stadt auf politischer, nicht auf technischer Ebene fallen werden“ [14]. Das gilt heute unverändert - auch und insbesondere für die Frage, welches Ausmaß die Digitalisierung annehmen soll bzw. wie dies politisch und ethisch vertretbar ist. Angesichts der vielfältigen und beträchtlichen neuen Herausforderungen, vor denen Städte stehen, steht zu befürchten, dass die klassischen Gesichtspunkte und Regeln des Städtebaus, der Stadtentwicklung, der Stadtgestaltung und der Bürgerbeteiligung unter deren Druck auf der Strecke bleiben. Erste Anzeichen dafür sind bereits erkennbar - in Form örtlicher Außerkraftsetzung von Baurecht, Lockerung des Denkmalschutzes oder des Schutzes von Grünflächen. Es wird sorgfältig zu prüfen sein, ob - und gegebenenfalls inwieweit - die veränderten Anforderungen das traditionelle „Gesicht der Stadt verändern“ [15] sowie städtebauliche und stadtgestalterische Grundprinzipien in Frage stellen müssen. Fazit, Schlussfolgerungen Das Label „Smart City“ beherrscht seit Jahren fast inflationär Diskussionen um die Zukunft unserer Städte und die Bemühungen von kommunalen Politikern und Verwaltungen, diesbezüglich führend zu sein oder zu werden. Dabei gibt es bis heute keine auch nur einigermaßen einvernehmliche Definition dieses Begriffs. Überwiegend wird das Thema beherrscht von den Verfechtern einer maximalen Digitalisierung aller Lebensbereiche. Damit wird das Wesen von qualitätvoller Urbanität jedoch eher konterkariert als bereichert. Die implizierten beträchtlichen Bedrohungen eines humanen Lebens in den Städten werden bisher weitgehend verdrängt bzw. unterschlagen. Digitalisierung kann in vielen Bereichen ohne Zweifel wertvolle Beiträge liefern; das diesbezügliche Potenzial sollte „sachverständig“ 35 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities unter dem Gesichtspunkt der „Verwirklichung humaner Ziele“ [11] ausgelotet und gegebenenfalls ausgeschöpft werden. Vor diesem Hintergrund erscheint es dringend erforderlich, zeitgemäße Leitbilder und Orientierungsrahmen für den Städtebau, die Stadtentwicklung und die Stadtgestaltung zu entwickeln. Die Digitalisierung darf dabei jedenfalls nicht dominieren; sie muss eine dienende Rolle spielen und auf diejenigen Bereiche beschränkt und konzentriert werden, in denen sie tatsächlich zu einer Bereicherung des städtischen Lebens sowie einer Schonung der Umwelt und der Ressourcen beiträgt - ohne konterkarierende Nebenwirkungen. LITERATUR [1] Novy, J.: Smart City-Hype: Die Verdummung der Städte; Carta, 11. 02. 2016 [2] Anonymus: Smart Cities - Zwischen Anspruch und Wirklichkeit; Wikia, Stand 20. 10. 2015 [3] Stadt Düsseldorf: Smart City - einfach leben in der Zukunft - Digitale Stadt Düsseldorf; Düsseldorf 20. 05. 2015 [4] Läsker, C.: Die Hansestadt, die alles weiß; Süddeutsche.de digital, 14. 05. 2014 [5] Anonymus: Zukunft ist jetzt; ict-smart-cities-center.com, Stand 29. 10. 2015 [6] Cohen, B.: The 10 smartest cities in Europe; Stand 29. 10. 2015 [7] Schöffler/ Weis: Englisch-Deutsch Wörterbuch; Klett- Verlag 1980 [8] Kossak, E.: 1100 Jahre Stadtbild Hamburg; Dölling und Galitz Verlag 2012 [9] Kossak, A.: Ausgewählte Meilensteine der Hamburger Verkehrspolitik; DER NAHVERKEHR, 11/ 2012 [10] Conrads, U.: Umwelt Stadt - Argumente und Lehrbeispiele für eine humane Architektur; rororo Sachbuch 1974 [11] Steinbuch, K.: Mensch Technik Zukunft - Probleme von Morgen; rororo Sachbuch 1972 [12] Lynch, K.: Das Bild der Stadt; Bauwelt Fundamente 16, Bertelsmann Fachverlag 1968 [13] Poole, B.: Some new thoughts on autonomous vehicles; Surface Transportation Innovations, November 2015 [14] Albers, G.: Was wird aus der Stadt? Aktuelle Fragen der Stadtplanung; Serie Piper, München 1972 [15] Anonymus: Dorothee Stapelfeld baut auf; Welt am Sonntag, 22. 11. 2015 Dr.-Ing. Andreas Kossak, Kossak Forschung & Beratung, Hamburg Kontakt: drkossak@aol.com AUTOR Studierende lesen Transforming Cities als ePaper ein Jahr lang kostenlos. Anschließend zum Vorzugspreis. www.transforming-cities.de Wer´s früher liest, ist länger schlau TranCit StudiAbo 36 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities Die Vision von einer smarten Stadt Warum digitale Technologien allein unsere Städte nicht transformieren werden Transformation, Stadtraum, Verkehrsinfrastruktur, Smart Cities, Mobilitätsverhalten, Informations- und Kommunikationstechnologien Jan Garde, Kathrin Konrad, Dirk Wittowsky Das Leben in der „smarten“ Stadt der Zukunft ist geprägt durch eine Vielzahl innovativer Technologien - auch als Taktgeber für einen gesellschaftlichen Wandel. Mit dem Konzept der „Smart City“ soll eine effizientere urbane Mobilität ermöglicht werden. Eine zunehmende Digitalisierung wird ohne Frage sowohl den Zugang zu Informationen als auch zu Mobilitätssystemen verbessern. Intelligente Leit- und Steuerungssysteme können die Verkehrsströme effizient im Netz verteilen. Aber wie kann sich das Mobilitätsverhalten der BewohnerInnen unserer Städte in Raum und Zeit ändern, wenn die Verkehrsinfrastruktur weiter so autogerecht bleibt, wie sie in vielen Städten bis heute vorhanden ist? Zu positiven Effekten auf die Lebens- und Aufenthaltsqualität führt das Konzept der Vernetzung und Leistungseffizienz nicht per se. Dies kann nur gelingen, wenn die digitale Transformation mit einer baulich-physischen Anpassung unserer Stadträume sowie der Veränderung des Mobilitätsverhaltens einhergeht. Sind die Menschen bereit, ihr Verhalten und ihre bisherigen Strukturen und Denkmodelle zu verändern? © pixabay 37 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities Einzellösungen zu integrierten Technologie- und Serviceangeboten, um unseren Alltag zu organisieren und zu optimieren. Unsere Mobilität soll leiser, sicherer und komfortabler werden, wir sollen flexibler, effizienter und zuverlässiger an unser Ziel gelangen und die Reisezeit anderweitig gewinnbringend nutzen können. Verkehrssysteme und innovative Mobilitätsdienstleistungen bzw. Apps sollen unsere Mobilitätsbedürfnisse antizipieren, lern- und anpassungsfähig sein und unsere Mobilität nachhaltig im Verkehrsnetz steuern. Tausende von Sensoren, Datenbanken und Algorithmen bilden die Grundlage für eine allumfassende Informationsbasis und Vernetzung aller Verkehrssysteme und Mobilitätsformen. In Sekundenschnelle können wir individuelle Empfehlungen über alternative Mobilitätsangebote oder Routen auf dem Smartphone erhalten und flexibel auf Staus im Stadtverkehr oder Verspätungen im öffentlichen Nahverkehr reagieren. Als mobile Sensoren werden die Bürgerinnen und Bürger in Zukunft die Qualität und Aktualität der Daten erhöhen und damit Teil des vernetzten Systems sein. Moderne Städte sind auch in Zukunft Treiber für innovative und smarte Lösungen. Durch technologische Entwicklungen soll auf die Herausforderungen in den kommenden Jahren wie zum Beispiel Urbanisierung, Wettbewerbsfähigkeit oder Energiewende proaktiv reagiert werden. Innerhalb dieser umfangreichen urbanen Transformationen werden die Städte an vielen Stellen umgebaut, angepasst oder zurückgebaut (siehe Bild 1). Das betrifft die Verkehrsflächen und den Stadtraum ebenso wie das Nutzungsgefüge und die Dichte. Die Stadt wird sich mehr und mehr anpassen müssen an neue Formen der Mobilität und damit auch an die veränderten Erwartungen, die Bürger und Bürgerinnen an Stadt- Der digitale Fortschritt der letzten Jahre ist schon heute deutlich wahrnehmbar und wirkt sich auf nahezu alle Lebensbereiche aus. Vor allem Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) sollen eine zentrale Rolle bei der Entwicklung zukünftiger Stadt- und Verkehrsentwicklungskonzepte einnehmen. Über die möglichen Wechselwirkungen zwischen IKT und urbanen Räumen, Verkehrssystemen sowie dem Mobilitätsverhalten wird zurzeit jedoch kontrovers debattiert. Mit dem Konzept der Smart City soll die Vision von einer Stadt entstehen, in der in Zukunft intelligente Lösungen aus unterschiedlichen Bereichen miteinander vernetzt werden - dies betrifft u. a. die Energiesysteme, Ver- und Entsorgungssysteme, soziale und medizinische Infrastrukturen, aber vor allem auch unsere Verkehrssysteme [1]. Mit modernster und vernetzter IKT werden in der Smart City systematisch nachhaltige Prozesse und Dienstleistungen eingesetzt und erprobt, um durch intelligente Stadt- und Verkehrssysteme die Ressourceneffizienz und die Lebensqualität sowie Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe zu verbessern. Dazu gehört auch, negative Folgen des Verkehrs durch Lärm und Emissionen abzuschwächen sowie die Resilienz des urbanen Raumes zu erhöhen [2]. Der Verkehrssektor spielte bisher bei der angedachten Transformation zumeist eine unzureichende Rolle in dem vielfach propagierten Smart City-Konzept. Darin wird zwar die Vernetzung von Energie und Mobilität groß geschrieben, aber in der Praxis ist ein ganzheitlicher Ansatz weiterhin kaum zu erkennen. An eine smarte Stadt und an smarte Verkehrssysteme sind zahlreiche Hoffnungen geknüpft: Urbane Räume der Zukunft sind intelligent, ressourcenschonend und lebenswert. IKT verknüpfen Bild 1: Die digitale und vernetzte Stadt © robu_s/ fotolia.com 38 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities raum und Lebensqualität stellen. Die Veränderungen bestehender Organisationsformen und Verkehrssysteme sind jedoch wie jeder Strukturwandel mit Konflikten verbunden. Beispielsweise sind Nutzungskonkurrenzen um knappe Ressourcen wie Raum und Flächen sowie die Exklusion bestimmter Personengruppen von innovativen Mobilitätsformen zu erwarten. Die smarte Stadt braucht eine smarte Verkehrsinfrastruktur Der Weg zu einer smarten Stadt samt smarter Mobilität umfasst nicht nur die vielversprechenden zukunftsorientierten Entwicklungen im Bereich innovativer Technologien, Mobilitätsdienstleistungen und neuer Verkehrssysteme. Letztlich ist die Ist-Situation der Städte und des Verkehrs das nicht mehr zeitgemäße Fundament von vorgestern für Stadt und Mobilität von übermorgen. Einer Studie des Umweltbundesamtes zufolge empfinden immer mehr Menschen in den Städten den Autoverkehr als belastend [3], 82 % der Befragten fordern gar eine fußgänger-, fahrrad- und nahverkehrsfreundliche Stadtplanung. Für die Transformation zur smarten Stadt ist neben technologischen Neuentwicklungen und einer umfangreichen Sensorik auch ein grundsätzliches politisches Umdenken auf allen Ebenen erforderlich, ein Loslösen von den autoorientierten Denkmustern der letzten Jahrzehnte. Wie schwer dies fällt, zeigt sich heute beispielsweise im Kleinen, wenn über die Aufteilung einer Straße oder sonstigen Fläche auf die verschiedenen Verkehrsträger und Nutzungen diskutiert wird, und im Großen, wenn man die Bundes- und Landesinvestitionen der letzten Jahre etwa für Autobahnen und öffentlichen Verkehr betrachtet. Überwunden werden müssen aber genauso die in Beton und Asphalt gegossenen Konsequenzen dieser Denkmuster, die in den zahlreichen autogerechten Städten mündeten, mit denen wir heute zu tun haben. Die Kostenintensität eines Umbaus unserer Städte - weg von der dominierenden Autogerechtigkeit hin zu einer smarten, multimodalen, nachhaltigen Mobilität - dürfte eben diese wohl zu einer langwierigen Aufgabe machen. Die heute vorhandenen Siedlungs- und Verkehrsinfrastrukturen haben Fakten geschaffen, die nicht einfach zu negieren sind. Der Spielraum für bauliche Veränderungen ist vergleichsweise gering - so wird davon ausgegangen, dass die Städte im Jahre 2050 in baulich-physischer Hinsicht heute schon zu etwa 80 % existieren [3]. Smarte Mobilität für die smarte Stadt Dass Sensoren Echtzeitdaten erfassen, ist klare Voraussetzung für eine effiziente Steuerung und Organisation des urbanen Raumes. Intelligente Technologien unterstützen personalisierte und passgenaue Lösungen für die individuellen Mobilitätsbedürfnisse und erweitern die Wahlmöglichkeiten. Ziel ist es, lernfähige, intelligente Verkehrslenkungs- und Verkehrssteuerungssysteme zu entwickeln, um die Leistungsfähigkeit und die Sicherheit zu erhöhen und in Abhängigkeit von der aktuellen Verkehrssituation Maßnahmen und Empfehlungen situationsangepasst einzuleiten. Schon heute sorgen unter anderem Fahrradverleihsysteme und Carsharingangebote wie car2go oder DriveNow, verschiedene Formen des privaten Carsharing bzw. Carpooling oder auch dynamische Ridesharing Angebote wie die Mitfahrzentrale flinc für einen fließenden Übergang zwischen Individualverkehr und öffentlichen Mobilitätsformen. Will die Smart City diese Entwicklungen aufgreifen, gilt es, bestehende rechtliche Hürden zu überwinden und neue, innovative Dienstleistungen zuzulassen bzw. zu fördern. Besonders deutlich wird dies derzeit am Beispiel der unsicheren Rechtslage bezüglich der Taxi-Konkurrenz Uber. In der Smart City sollen in Zukunft auch selbstfahrende, elektrisch angetriebene Pkw untereinander und mit der Infrastruktur kommunizieren können (Car-to-X-Kommunikation) und so zum Beispiel Unfälle gänzlich vermeiden. Auch die Bürger und Bürgerinnen sollen Teil des Kommunikationsnetzes mit individuellen Datenaustausch werden, um ganz neue Nutzungs- und Erlebnismöglichkeiten in den urbanen Raum zu installieren. In Carsharing- Systemen stehen die Autos generell auch anderen Nutzern zur Verfügung. Nach der Nutzung suchen sich die Autos eigenständig einen Stellplatz und werden - sofern sie nicht gleich wieder genutzt werden - in der Zwischenzeit aufgeladen. So oder so ähnlich könnte das Auto in Zukunft funktionieren. Welche Bild 2: Wie beeinflusst die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnik die Mobilität junger Menschen? © Eigene Darstellung; n = 786 IuK-Nutzungen mit Auswirkungen auf Wege 17% 9% 44% 30% Ein Weg wurde ersetzt Ein Weg wurde auf einen anderen Tag verschoben Ein zusätzlicher Weg wurde zurückgelegt Ein Weg wurde modifiziert 39 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities Rolle diese geteilte Mobilität aber tatsächlich als Teil eines Gesamtmobilitätssystems spielen kann, bleibt abzuwarten. Es lässt sich festhalten: Der Mobilitätsmarkt ist geprägt von einer sehr dynamischen Entwicklung und Erprobungsphase (living-lab). In der Konsequenz können diese Entwicklungen einen erheblichen Beitrag dazu leisten, Stadtbewohner in Zukunft zu einer Veränderung ihres Mobilitätsverhaltens zu bewegen. Nur wenn dies gelingt und folglich weniger private Autos in der Stadt unterwegs sind, kann mehr Raum für andere Nutzungen und so ein echter Mehrwert für die Innenstädte entstehen. Dies wäre sicher eine wichtige Voraussetzung, sofern Städte wirklich smart werden möchten. Auswirkungen der Digitalisierung auf die urbane Mobilität Ob und inwiefern die physische Mobilität, also zurückgelegte Wege, und die virtuelle Mobilität im Sinne der Bewegung im Internet als virtueller Raum zusammenhängen, wird seit den 1980er Jahren diskutiert. Angefangen bei den vollends überschätzten Einsparpotenzialen von Telearbeit und Videokonferenzen bis hin zu den Spekulationen über die soziale und kommunikative Isolation junger Menschen, die die Welt und ihre Freunde nur noch auf Displays von Smartphone oder Tablet sehen. Wie komplex der Zusammenhang von Informations- und Kommunikationstechnik, also Internet, Smartphone und Co., mit der physischen Mobilität ist, zeigen erste Ergebnisse des am Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung durchgeführten Projektes U.Move 2.0, in dem das diesbezügliche Verhalten jüngerer Menschen analysiert wird. Neben der Modifikation (z. B. spätere Abfahrt, alternative Route zur Stauumfahrung) von Wegen, werden reale Aktivitäten wie das Treffen mit Freunden und damit verbundene Wege, durch virtuelle Kommunikation ersetzt. Zum anderen - und in größerem Umfang - werden jedoch zusätzliche Wege zurückgelegt (siehe Bild 2). Das breite Informationsangebot schafft neue Gelegenheiten und Flexibilität, sowohl bezüglich der Aktivitäten als auch der Routen- und Verkehrsmittelwahl. Außerdem fließen virtuelle und physische Mobilität junger Menschen deutlich ineinander: Auf rund 44 % aller Wege werden mobile Endgeräte genutzt, auf Wegen mit öffentlichen Verkehrsmitteln sogar auf jedem zweiten Weg. Die Flexibilisierung der Mobilität durch die Loslösung realer Aktivitäten von Zeit und Raum, aber auch die zeit- und raumunabhängige Nutzung von Smartphone und Co. stellen eine Herausforderung für die smarte Stadt dar. Mobilität wird zeitlich wie räumlich diffuser und spontaner, weshalb Verkehrssysteme und -informationen sowie auch Prognoseinstrumente immer anpassungsfähiger sein müssen. Außerdem scheint die anderweitige Nutzung von Reisezeiten eine immer wichtigere Rolle zu spielen, was ebenfalls eine neue Anforderung an Verkehrssysteme darstellt - selbstfahrende Fahrzeuge werden dies verstärken. Neues stadtplanerisches Leitbild oder nur ein neues Geschäftsfeld? Ob das Konzept der Smart City jedoch als stadtplanerisches Leitbild umsetzbar und die Realisierung der Potenziale von neuen Technologien erfolgreich ist, bleibt abzuwarten. Das Thema Smart City ist mittlerweile ein Milliardengeschäft mit hohen Erwartungen an urbane IKT, das von der Politik durch umfangreiche Fördermittel angekurbelt wird. Dabei bleibt die Frage offen, was dieses Geschäft antreibt und was es nützen kann. Wird es getrieben durch die vage Hoffnung, technologischer Fortschritt könne die verkehrlichen und städtebaulichen Probleme der letzten Jahrzehnte lösen? Rational gesehen möchte Deutschland sich als Know-how-Träger und Anbieter für Smart City-Technologien am Weltmarkt etablieren - wie auch in der Vergangenheit im Bereich der Verkehrstelematik. Ist aber nicht generell ein Umdenken der Entscheidungsträger viel grundlegender für eine effizientere Gestaltung unserer Mobilität und Basis dafür, dass innovative Technologien ihre Effizienzwirkung überhaupt entfalten können? Was können innovative Mobilitätsangebote leisten, wenn unsere Städte, Infrastrukturen und Verkehrssysteme weiterhin die Autoorientierung der letzten Jahrzehnte vorgeben? Sind Bürgerinnen und Bürger smart genug? Digitalisierung und technologische Innovationen sind ohne Zweifel unverzichtbar und ein wichtiger Baustein und Treiber auf dem Weg zur Smart City, doch brauchen sie die entsprechenden Rahmenbedingungen, um auch auf Akzeptanz zu treffen und den erhofften Nutzen zu haben. Sind aber auch die Menschen bereit, ihr Verhalten und ihre bisherigen Strukturen und Denkmodelle zu verändern? Ohne smarte Menschen werden auch smarte Stadt und smarte Mobilität eine Vision bleiben. Trotz der heute schon vielfältig bestehenden, alternativen Mobilitätsformen und teilweise schon attraktiv vernetzten Angebote werden sich kurzfristig keine signifikanten Mobilitätsveränderungen einstellen. Städte mit großem Handlungsdruck oder großem Innovationspotenzial werden zunächst das Smart 40 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities City-Konzept für sich entdecken. Die Nutzerakzeptanz und das Aufbrechen verfestigter Routinen werden entscheidende Faktoren für den nachhaltigen Erfolg der urbanen Mobilität in der Smart City sein. Moderne Kommunikationskonzepte und innovative Partizipationsprozesse müssen somit versuchen, alle Menschen für eine Mobilitätswende emotional mitzunehmen. Dabei ist es zentral, die Bürger und Bürgerinnen zu beteiligen und zum „Erleben“ und „Leben“ in der digitalen Welt von morgen zu motivieren. Was sind zentrale zivilgesellschaftliche Fragestellungen und auch Kompetenzen? Hier müssen sensible Themen wie Angst vor dem Kontrollverlust über persönliche Daten und der Verletzlichkeit der Stadt bei einem Totalsystemausfall diskutiert werden. Der Weg in die Smart City von morgen ist technologisch nicht mehr weit entfernt, jedoch erhöht die Vernetzung von Energie, Mobilität und weiteren Ebenen wie Gesundheit, Sicherheit oder aktiver Partizipation auch die Komplexität für die Bevölkerung. QUELLEN [1] Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) (2014): Auf dem Weg zu Smart Cities. BBSR- Analysen Kompakt 04/ 2014. [2] VDE Verband der Elektrotechnik (2014): Die Deutsche Normungs-Roadmap Smart City, Version 1.0, Frankfurt, 04/ 2014. [3] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) (2015): Umweltbewusstsein in Deutschland 2014. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage. [4] Siedentop, Stefan; Lentz, Sebastian (2015): Leben in der Stadt der Zukunft. Miteinander, bezahlbar und grün? In: Nachrichten der ARL 1/ 2015, S.6-8. [5] Monheim, Heiner (2015): Moderne I+K Technologien - r eine Chance für die Finanzierung und Steuerung des Verkehrs. Verkehrszeichen 2/ 2015, S. 26-32. Dr.-Ing. Dirk Wittowsky Leiter der Forschungsgruppe Alltagsmobilität und Verkehrssysteme, ILS-Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH, Dortmund Kontakt: dirk.wittowsky@ils-forschung.de Jan Garde Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Alltagsmobilität und Verkehrssysteme, ILS-Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH, Dortmund Kontakt: jan.garde@ils-forschung.de Dr.-Ing. Kathrin Konrad Stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe Alltagsmobilität und Verkehrssysteme, ILS-Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH, Dortmund Kontakt: kathrin.konrad@ils-forschung.de AUTOREN Fachmedien für r die gesamte ÖPNV-Brranche gesamte ÖPNV Br nline Print · Digital · On www.busundbahn.de 41 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities Bringen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT ) mehr Energie-Effizienz in Städten? © pixabay.com Die „Green Digital Charter“ in der Praxis Erfahrungen und Instrumente aus einem europäischen Projekt für „intelligente Städte“ Green Digital Charter, Informations- und Kommunikationstechnologien, Energieeffizienz, Smart City, Stadtentwicklung Andreas Blum, Sandra Behnisch Mit der Unterzeichnung der „Green Digital Charter“ (GDC) verpflichten sich europäische Städte, Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) zu nutzen, um den Klimaschutz voranzubringen und das lokale Ressourcenmanagement für die IKT selbst zu verbessern. Im Rahmen des EU FP7 Projektes NiCE (Networking intelligent Cities for Energy Efficiency) wurden Ansätze und Instrumente entwickelt, um die Umsetzung der Charter zu unterstützen. Der Beitrag gibt einen Überblick zu diesen Instrumenten und zu den Ergebnissen einer Befragung der Unterzeichnerstädte zu Herausforderungen und Erfolgen der Umsetzung. 42 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities Einführung Unsere Städte sind heute mehr denn je mit der Herausforderung konfrontiert, Energieverbräuche und CO 2 -Emissionen zu reduzieren. Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) spielen in diesem Zusammenhang eine wesentliche Rolle. IKT bieten auf der einen Seite wichtige Werkzeuge für eine effizientere Entwicklung, etwa als intelligente Steuerungssysteme für die Straßenbeleuchtung oder die Raumheizung; auf der anderen Seite tragen sie selbst nicht unerheblich zum Energieverbrauch bei. Auf europäischer Ebene wurde deshalb bereits im Jahr 2007 die „Green Digital Charter“-Bewegung initiiert [1]. Mit der Unterzeichnung der Charter verpflichten sich europäische Städte zum einen, innovative IKT-Anwendungen zur Reduzierung von Energieverbräuchen voran zu bringen. Zum anderen soll die Nutzung dieser Technologien selbst energieeffizienter gemacht werden. Aktuell haben 49 Städte die Charter gezeichnet [2] und sind damit zunächst eine politische Selbstverpflichtung eingegangen, die in der Folge schrittweise in konkrete praktische Maßnahmen münden soll. Um die Städte in ihren Bemühungen zu unterstützen, wurde im 7. Forschungsrahmenprogramm der EU das Projekt NiCE (Networking intelligent Cities for Energy Efficiency; [3]) gefördert. Unter der Leitung des Städtenetzwerks Eurocities (www.eu rocities.eu) waren insgesamt vier Forschungs- und Praxispartner [4] sowie fünf „Referenz-Städte“ beteiligt (Bologna, Eindhoven, Linköping, Manchester und Warschau). Im Rahmen des NiCE-Projektes gab es drei grundsätzliche Zielstellungen: Entwicklung eines Werkzeugkastens, um die Städte in verschiedenen Stadien der Umsetzung zu unterstützen Verschiedene zielgerichteten Austausch- und Fortbildungsmaßnahmen zwischen den teilnehmenden Städten Netzwerk- und Promotions-Veranstaltungen, um den Kreis der Green Digital Charter-Unterzeichnerstädte zu vergrößern Insbesondere der Werkzeugkasten ist ein wichtiger Faktor bei der Unterstützung der Städte in der Umsetzung umweltorientierter IKT-Aktivitäten. In diesem Beitrag wird deshalb die Entwicklung eines Handlungsrahmens, das Selbstbewertungs- und Monitoring-Instrument und die Ergebnisse der abschließenden Umfrage unter den Unterzeichner- Städten zu Fortschritten und Herausforderungen bei der Umsetzung der Green Digital Charter vorgestellt. Methodischer Ansatz Als eine EU FP7 „coordination and support action“, war das Projekt grundsätzlich transdisziplinär konzipiert. Neben Experten aus Wissenschaft und IKT- Entwicklung waren insbesondere auch Praktiker aus den Projekt-Städten an der gemeinsamen Entwicklung der Handreichungen und Instrumente beteiligt. Der Austausch und die Zusammenarbeit mit den Praxis-Vertretern erfolgten in einem regelmäßigen Dialog im Rahmen von Workshops, bilateralen Konsultationen und schriftlichem Feedback. Zum Abschluss des Projektes wurde eine telefonische Umfrage zu Fortschritten und Herausforderungen bei der Umsetzung der Green Digital Charter durchgeführt. Die Umfrage erfolgte in Form leitfadengestützter telefonischer Experteninterviews mit den in der Eurocities-Datenbank erfassten IKT-Ansprechpartnern der teilnehmenden Städte. Alle 41 Unterzeichner-Städte (zum Zeitpunkt der Umfrage) wurden kontaktiert, 18 Expertengespräche konnten geführt werden, wobei 13 Interviews den vollen Umfang des Leitfadens abdecken. Ergebnisse Der Handlungsrahmen Eine zentrale Herausforderung war es am Anfang des Projektes zunächst die konkreten Ziele und Ansatzpunkte hinter den eher politisch formulierten Leitsätzen der Charter herauszuarbeiten, zu strukturieren und für eine praktische Umsetzung handhabbar zu machen [5]. Insgesamt wurden aus dem Text 102 konkrete Selbstverpflichtungen zu verschiedenen Aktivitäten abgeleitet, die auf unterschiedliche Arten von Zielen (z. B. strategisch oder praktisch) und Handlungs-Ebenen (z. B. lokal oder städte-übergreifend) ausgerichtet sind. Auf der Grundlage der Auswertung des Charter-Textes, ergänzender Europäischer Strategie-Dokumente und bereits dokumentierter Initiativen und Aktivitäten der teilnehmenden Städte wurde der allgemeine Handlungsrahmen als drei-dimensionale Matrix strukturiert (Bild 1; [6]). Die Dimensionen des Handlungsrahmens sind: 1. Die Anwendungsbereiche (Application areas) für die Städte: Straßenbeleuchtung, umweltfreundliche IKT, Energie, Gebäude und Verkehr. Zusätzlich sind querschnitt-orientierte Anwendungen und „Sonstige“ angesprochen, um den Handlungsrahmen offen zu halten für neue Perspektiven. 2. Die verschiedenen Typen von Aktivitäten (Activity Types), die für die Städte in Frage kommen: Praktische Maßnahmen, Messen und Monitoring, 43 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities Austausch von Wissen und Erfahrung, politische Programme und governance-bezogene Maßnahmen, die ein breites Spektrum gesellschaftlicher Gruppen einschließen. 3. Die verschiedenen Rollen, die IKT-Anwendungen jeweils spielen (Roles of ICT): Innovation/ Substitution herkömmlicher Lösungen, Analyse und Entscheidungsunterstützung, wahrnehmungs- und verhaltensbezogene Anwendungen sowie Effizienzgewinne beim Einsatz von IKT selbst. Der Handlungsrahmen unterstützt zunächst lokale Akteure dabei, sich in dem Handlungsfeld zu orientieren und lokal relevante Ansatzpunkte zu identifizieren. Daneben bietet er die Ordnungsstruktur für die NiCE-Datenbank von Beispielen und Instrumenten, die von teilnehmenden Städten bereitgestellt werden; und last but not least bildet der Handlungsrahmen den Bezugspunkt für die Selbsteinschätzung und das Monitoring von Fortschritten. Selbsteinschätzung und Monitoring Grundsätzlich bietet die GDC ein breites Spektrum von Ideen und Ansatzpunkten für einen umweltorientierten Einsatz von IKT. Allerdings unterscheiden sich die Städte nicht unerheblich hinsichtlich bereits umgesetzter Maßnahmen und Möglichkeiten weiterer zielgerichteter Initiativen. Aus diesem Grund wurde im Rahmen des NiCE-Projektes ein Analyse-Instrument entwickelt, mit dem die teilnehmenden Städte ihre spezifische Situation reflektieren und Ansatzpunkte für weiterführende Maßnahmen identifizieren können. Um das Instrument in der alltäglichen Praxis handhabbar zu machen, wurden in Abstimmung mit den Referenz-Städten die 102 einzelnen Selbstverpflichtungen der Charter in ein Set von 26 „Selbstbewertungs-Fragen“ (Self- Assessment Questions; SAQ) zusammengefasst. Das Selbstbewertungs-Instrument ist als Internet- Anwendung im Rahmen des NiCE Werkzeugkastens [7] implementiert und ermöglicht den Städten eine einfache Abschätzung von Stärken und Schwächen und ein Monitoring von Fortschritten in der weiteren Umsetzung umweltorientierter IKT-Anwendungen. Mit den Selbstbewertungs-Fragen werden zugleich Erläuterungen und Hintergrundinformationen bereitgestellt. Zudem sind mit jeder Frage geeignete Handlungsbeispiele der Best-Practice-Datenbank verknüpft, um unmittelbar Anregungen für Handlungsoptionen zu geben. Wenn alle 26 SAQ bearbeitet wurden, wird der Handlungserfolg als Prozentsatz der erfüllten Charter-Ziele als Gesamtergebnis und untergliedert nach den fünf Aktivitäts-Typen des Handlungsrahmens ausgegeben. Um den eigenen Status Quo auch im Vergleich zu anderen Städten einschätzen zu können, wird das durchschnittliche Ergebnis der jeweils führenden 10 Unterzeichner-Städte dargestellt (benchmarking). Außerdem wird abschließend ein verbales Feedback gegeben, das dazu einlädt, sich für den weiteren Fortschritt Anregungen aus der Datenbank von Handlungsansätzen und Instrumenten zu holen (Bild 2). Im Beispiel der in Bild 2 dargestellten Stadt sind insgesamt etwa die Hälfte (53 %) der Charter-Ziele erfüllt. Die Beispielstadt liegt damit nur ganz knapp unter dem Durchschnitt der führenden 10 Städte, der bei einem Erfüllungsgrad von 54 % liegt. Deutlich wird auch, dass insbesondere praktische Maßnahmen umgesetzt wurden (operational), wohingegen vor allem politische Aktivitäten und der Austausch mit anderen Städten offensichtlich noch weniger Berücksichtigung findet. Dabei ist einschränkend anzumerken, dass die Prozentangaben angesichts des sehr qualitativen Charakters der Formulierungen Bild 1: Der NiCE „Green Digital Action“ Handlungsrahmen [6]. Action Action Innovation/ Substitution Perception / Behavior Analysis / Decision Efficiency Governance Public Lighting Operational Exchange Policies Measurement Activity Types Roles of ICT Others Transport Buildings Energy Cross-domain Green ICT Application Areas Action A Action Action Action Action Measurement Transport Innovation/ Substitution 44 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities der Charter nicht überbewertet werden dürfen. Ziel des Selbstbewertungs-Instrumentes ist es zuallererst, eine tendenzielle Orientierung zu geben. Neben den Selbstbewertungs-Fragen wurden zwei weitere Monitoring-Instrumente implementiert. Dabei geht es zum einen um die Abschätzung der CO 2 -Bilanz des IKT-Betriebes einer Stadt. Zum anderen wird die Übernahme der GDC-Aktivitäten für die Berichtslegung im Rahmen von „Sustainable Energy Action Plans“ des „Covenant of Mayors“ [8] unterstützt, einer weiteren wichtigen Initiative für die Umsetzung einer nachhaltigen städtischen Energiepolitik. Diese beiden Instrumente sind aber nicht Gegenstand dieser Darstellung. Befragung der GDC-Unterzeichnerstädte Im Folgenden werden einige zentrale Ergebnisse der Befragung dargestellt. Für eine umfassende Darstellung siehe [9]. Entwicklungen im Bereich umweltorientierter IKT-Anwendungen Auf die Frage nach der allgemeinen Situation hinsichtlich umweltorientierter IKT-Anwendungen äußerten etwa die Hälfte der teilnehmenden Städte eine positive Sicht und beschrieben ihre Entwicklung als auf gutem Wege. Darüber hinaus wurden zwei grundsätzliche Perspektiven deutlich. Auf der einen Seite eine hauptsächlich politische, auf der anderen eine an praktischen Umsetzungen orientierte Perspektive. Aus politischer Sicht bezogen sich die Befragten auf Selbstverpflichtungen und Strategien, wie eine „Digitale Agenda“ oder eine „IKT-Strategie“, aber auch CO 2 -Minderungsprogramme wurden genannt. Zugleich wurden mit einer noch allgemeineren Perspektive Ziele angeführt wie eine „Smart City“ zu werden oder eine IKT-gestützte, Fachabteilungen übergreifende Entscheidungsfindung zu stärken, um eine integrierte Bearbeitung umweltrelevanter Entscheidungen zu unterstützen. Mit Blick auf konkrete Anwendungen wurden beispielsweise Projekte für eine bessere Energieeffizienz von Gebäuden, intelligente Netze, Elektro-Mobilität, CO 2 -Bilanzierung oder Echtzeit-Verbrauchsanzeigen als Instrument der Bewusstseinsbildung und als Handlungsanreiz genannt. Zugleich wurden auch Entwicklungsschwächen genannt. Verschiedene Experten beschrieben eine Lücke zwischen dem allgemeinen digitalen Fortschritt und der Verknüpfung mit anderen/ allgemeineren Handlungsfeldern der Stadtentwicklung: „Der Wille ist gegeben, aber es brauchte einen besseren Austausch unter den beteiligten Akteuren.“ Im Ergebnis erscheinen IKT-Anwendungen häufig eher als konkreter Lösungsansatz für spezifische Probleme, aber nicht eingebettet in eine allgemeinere und längerfristige Strategie. Mit Blick auf Triebkräfte und Barrieren der Realisierung umweltbezogener IKT-Anwendungen verwiesen die Befragten auf ökonomische und politische Aspekte, die lokale Situation der Umwelt und lokaler Infrastrukturen sowie Fragen der Lebensqualität und des Stadtmarketings. Wesentliche Barrieren wurden im Bereich der Governance gesehen - insbesondere mangelnde Kooperation und Kommunikation - und in Ressourceneinschränkungen durch zu knappe Haushalte sowie in der Folge fehlenden Personals. Ökonomische Aspekte als Treiber wurden angesprochen mit Blick auf mögliche Kosteneinsparungen durch den Einsatz von IKT sowie Möglichkeiten der Umsetzung ambitionierter Pilotprojekte unter Bedingungen wirtschaftlichen Wachstums. Letzteres wurde allerdings insofern auch kritisch diskutiert, als damit eine zumindest teilweise Abhängigkeit des Fortschritts von wirtschaftlicher Prosperität eingeräumt werden muss. Die Mehrzahl der Befragten verwies auf akteurs- und governance-bezogene Treiber der Entwicklung, also Fragen des politischen Aushandlungsprozesses: „Es sind die lokalen Interessengruppen, die letztlich die Entwicklung von IKT-Anwendungen voranbringen müssen.“ Einige Befragte unterstrichen außerdem die Bedeutung lokaler Programme zur Verbesserung der Umwelt oder der Lebensqualität als unterstützend für die Umsetzung umweltbezogener IKT-Anwendungen. Dabei wurde auch ein Bezug hergestellt zum Stadtmarketing unter dem Slogan „Für eine grüne, sichere und intelligente Stadt“. Bild 2: Ergebnis der Selbstbewertung nach Aktivitäts-Typen und als Gesamtergebnis im Vergleich zum Durchschnittsergebnis der führenden 10 Städte (Screenshot; der Zugang ist auf Unterzeichner- Städte beschränkt) Green Digital Progress Taking the temperature of Green Digital activity View your Green Digital process 93% Operational 33% Monitoring 33% Governance 27% Policy 22% Exchange 53% 53% 54% Average Of Top 10 Cities ^ 45 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities Die „Green Digital Charter” - Trigger für umweltorientierte IKT-Anwendungen? Im Rahmen der Interviews wurde explizit auch die Bedeutung der „Green Digital Charter” für einen Fortschritt bei umweltorientierten IKT-Anwendungen angesprochen. Hier muss man feststellen, dass keine eindeutigen Belege für eine herausgehobene Rolle der GDC gewonnen werden konnten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die GDC überhaupt keine Bedeutung hätte. Praktisch alle Teilnehmer der Befragung stellten fest, dass die Unterzeichnung der Charter einen grundsätzlich stimulierenden Einfluss hat. Insbesondere von Seiten der IKT-Praktiker wurde die politische Selbstverpflichtung und damit Aufmerksamkeit als willkommener Rückenwind für die Realisierung laufender oder geplanter Projekte umweltorientierter IKT-Anwendungen hervorgehoben. Ebenso wurde die mit den Charter-Aktivitäten verbundene Einbindung in ein Netzwerk gleichgesinnter Städte und Akteure zum Austausch von Wissen und Erfahrung aber auch als hilfreiche Basis zur Einwerbung von Fördermitteln begrüßt. Eine Einschränkung in dieser Hinsicht, die von einigen Befragten thematisiert wurde, besteht allerdings in der Vielzahl ähnlicher Netzwerke, die es gelegentlich schwierig macht, die unterschiedlichen Engagements miteinander zu vereinbaren: „Es gibt so viele Gelegenheiten, sich zu vernetzen und Informationen zu bekommen.“ Fazit Zusammenfassend kann man aus der Projektarbeit mit den Praxisakteuren und im Ergebnis der Befragung festhalten, dass die „Green Digital Charter“ zunächst eine große Zahl an Ideen, Anknüpfungspunkten und Unterstützung für die Umsetzung umweltorientierter IKT-Anwendungen bereitstellt. Zugleich wurde allerdings auch deutlich, dass für viele Städte die Unterzeichnung der Charter vor allem einen politischen und symbolischen Akt darstellt, der nur in wenigen Fällen durch ein klares Konzept und eine explizite Strategie für eine systematische Realisierung umweltorientierter IKT-Anwendungen unterlegt wird. Diese Wahrnehmung deckt sich mit einer der Kernaussagen der etwa zeitgleich erschienenen „Comparative Study of Smart Cities in Europe and China” (Vergleichende Studie zu Smart Cities in Europa und China; [10]; S. 6; eigene Übersetzung): Demnach bestehen „die meisten „Smart City“-Projekte […] eher in der Umsetzung einer spezifischen Lösung für ein spezifisches Problem […], als dass sie auf eine umfassende Erneuerung der Organisation des urbanen Managements abzielen würden“. QUELLEN UND VERWEISE [1] http: / / w w w.greendigitalcharter.eu/ (zugegriffen 2015-08-27) [2] http: / / www.greendigitalcharter.eu/ signatory-cities (zugegriffen 2015-08-27) [3] http: / / www.greendigitalcharter.eu/ projects/ niceproject (zugegriffen 2015-08-27) [4] http: / / www.greendigitalcharter.eu/ projects/ niceproject/ partners (zugegriffen 2015-08-27) [5] Symons, J. and Wolfram, M., „Towards a Green Digital Charter Action Framework: Framework Foundation”; NiCE Deliverable 2.1, 2011 (ht tp: / / w w w.greendigit alchar ter.eu/ resources/ deliverables; zugegriffen 2015-08-27) [6] Steinhorst, J., Sumner, V., Symons, J., and Wolfram, M.: „Green Digital Action Framework”; NiCE Deliverable 2.2, 2012 (http: / / www.greendigitalcharter.eu/ resources/ deliverables; zugegriffen 2015-08-27) [7] http: / / www.greendigitalcharter.eu/ nice_toolkit/ (zugegriffen 2015-08-27) [8] http: / / w w w.covenantofmayors.eu/ index _en.html (zugegriffen 2015-08-27) [9] Blum, A. and Wille, S.: „GDC Signatory Cities Survey Report”, NiCE Deliverable 2.10, 2014 (http: / / www. greendigit alchar ter.eu/ resources/ deli verables; zugegriffen 2015-08-27) [10] Yanrong, K., Lei, Z., Cai, C., Yuming, G., Hao, L., Ying, C., Whyte, J. and Hart, T.: „Comparative Study of Smart Cities in Europe and China”- White Paper - prepared for Ministry of Industry and Information Technology (MIIT); DG CNECT, EU Commission with China Academy of Telecommunications Research (CATR) 2014 http: / / eu-chinasmartcities.eu/ ? q=node/ 101; (zugegriffen 2015-10-05) Sandra Behnisch Dipl.-Geografin Doktorandin am Leibniz Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR), Forschungsbereich Ressourceneffizienz von Siedlungsstrukturen, Dresden Kontakt: sandra.behnisch@gmx.de Andreas Blum Dipl.-Soziologe Seniorwissenschaftler am Leibniz Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR), Forschungsbereich Ressourceneffizienz von Siedlungsstrukturen, Dresden Kontakt: a.blum@ioer.de AUTOREN 46 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities Das DFKI in Kaiserslautern. © DFKI Künstliche Intelligenz für die Stadt von morgen Erprobung und Erforschung von Technologien im interdisziplinären SmartCity Living Lab des DFKI Künstliche Intelligenz, SmartCity, Partizipation, Big Data, Augmented Reality, Crowdsourcing Andreas Dengel, Martin Memmel, Didier Stricker, Paul Lukowicz Weltweit sind urbane Lebensräume mehr und mehr im Wandel begriffen. Bedingt durch ökologische, ökonomische und demographische Prozesse sind Bürger und Verwaltungen mit neuen Herausforderungen konfrontiert, diesen Wandel konstruktiv und „smart“ zu begleiten. Dabei können auch digitale Werkzeuge eine unterstützende Rolle spielen. Im Rahmen des SmartCity Living Lab am Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz werden in einem interdisziplinären Ansatz Technologien für die Stadt von morgen erforscht und in der Praxis erprobt. 47 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities Das SmartCity Living Lab Das SmartCity Living Lab (SCLL) ist ein interdisziplinäres Forschungsvorhaben des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) zur Entwicklung und Erprobung innovativer Informations- und Kommunikationstechnologien für städtische Lebensräume von morgen. In Zusammenarbeit mit Partnerinstitutionen wird am Standort Kaiserslautern erforscht, wie sich moderne Technologien in urbanen Räumen sinnvoll und systematisch einsetzen lassen, um in verschiedenen Bereichen zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung beizutragen. Das Living Lab bündelt Kompetenzen aus verschiedenen Forschungsbereichen und deren Erfahrungen aus diversen nationalen und internationalen Projekten im Kontext Smart City. Die Möglichkeiten moderner und innovativer Informationstechnologien im städtischen Umfeld werden dabei in interdisziplinärer Zusammenarbeit mit Wissenschaft, Politik und nicht zuletzt den Bürgern erprobt und erforscht. Ziel ist, durch die Partizipation möglichst vieler betroffener Interessensgruppen technische Lösungen für eine nachhaltige, ökologische und soziale Stadtentwicklung zu realisieren, unmittelbar zu erproben und anzuwenden. Leitbild Die Forschungsarbeiten im SCLL basieren auf drei Säulen: Messen und Verstehen, Interagieren und Nutzen, Partizipieren und Gestalten. Entwickelte technische Systeme können dabei sowohl ereignis- (kurzfristig) als auch entwicklungsorientiert (langfristig) arbeiten (siehe Bild 1). Messen und Verstehen Um Probleme und Verbesserungspotentiale in den Prozessen moderner Städte entdecken und verstehen zu können, ist eine systematische Erfassung und Analyse diverser Umwelt- und Mobilitätsdaten oft von entscheidender Bedeutung. So können Algorithmen genutzt werden, die in den gesammelten Daten Zusammenhänge erkennen und in vielen Anwendungsfällen auch entsprechende Handlungsempfehlungen generieren können. Insbesondere im Kontext der Entwicklungen rund um das „Internet der Dinge“ stehen mehr und mehr Daten aus Sensoren etwa in Fahrzeugen, in Kleidung oder in Smartphones zur Verfügung. Die Smart City erzeugt so riesige Datenmengen, die im SCLL mit Hilfe von Technologien aus den Bereichen Big Data und Smart Data Analytics verarbeitet und analysiert werden. Interagieren und Nutzen Technologie allein reicht nie aus - eine Smart City benötigt zuallererst smarte Bürger, die aktiv partizipieren. Wenn diese Bürger ihre gesammelten Erfahrungen aus der Interaktion mit neuen Technologien und ihr Wissen teilen, können Entwickler dieses Feedback nutzen, um Systeme entsprechend zu optimieren und dem gemeinsamen Ziel einer Smart City näherzukommen. Ein solches Feedback kann implizit über Nutzungsdaten zur Verfügung gestellt werden, aber auch explizit etwa in Form von Kommentaren oder Verbesserungsvorschlägen. Partizipieren und Gestalten Wenn eine moderne Stadt den Menschen und seine Lebensqualität in den Fokus ihrer Planungsprozesse stellt, dann müssen attraktive und niedrigschwellige Angebote zur aktiven Mitwirkung an diesen Prozessen angeboten werden. Dabei ist von großer Bedeutung, dass diese Angebote für alle betroffenen Interessensgruppen gleichermaßen genutzt werden können. Ausgewählte Projekte aus dem SCLL Das SCLL realisiert eine Vielzahl von Projekten im urbanen Kontext, von denen im Folgenden eine exemplarische Auswahl präsentiert wird. RADAR - Geodaten vernetzen und nutzbar machen Digitale Inhalte mit räumlicher Information liegen in vielfältiger Form vor. Von Informationen zu Sehenswürdigkeiten oder Veranstaltungen über Mitteilungen von Benutzern in sozialen Netzwerken bis hin zu komplexen Sensordaten über Wetter oder Verkehrsströme sind heute mehr digitale Daten mit Bild 1: Die drei Säulen des SCLL. ©-DFKI 48 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities Bild-2: Räumliche und zeitliche Aggregation und Visualisierung verschiedener Geoinhalte mit RADAR. © DFKI Ortsbezug verfügbar als jemals zuvor. Diese Informationen sind jedoch in der Regel über eine Vielzahl von heterogenen Systemen verteilt, uneinheitlich beschrieben und nicht intuitiv zugreifbar. Mehrwerte ortsbasierter und insbesondere mobiler Dienste erschließen sich aber oft erst dann, wenn es gelingt, Informationen aus verschiedensten Quellen zu kombinieren, vielfältige Interaktions- und Partizipationsmöglichkeiten für Anwender anzubieten und die Informationen in neuen Kontexten nutzbar zu machen. Ziel des RADAR-Projekts (www.radar-project.de) war es, eine solche technische Infrastruktur für räumliche Informationen zu realisieren. Das entstandene, offene Social-Media-System dient dem SCLL als Basis für zahlreiche Anwendungsszenarien und ermöglicht, das enorme kreative Potential von Bürgern zu nutzen. Das RADAR-Projekt Das Projekt RADAR wurde 2010 im Forschungsbereich Wissensmanagement des DFKI in Kaiserslautern initiiert und mit Mitteln der Stiftung Rheinland-Pfalz für Innovation gefördert. RADAR erlaubt die Aggregation potenziell aller Formen von Geodaten in einem webbasierten Social-Media-System. Ein einzelner Inhalt besteht hierbei mindestens aus einer Geokoordinate und er kann mit frei konfigurierbaren Metadaten sowie mit beliebigen multimedialen Inhalten wie Textdokumenten, Videos, Musik oder 3D-Modellen angereichert werden. Auf die im Rahmen des Projekts entwickelte Infrastruktur und die darin verwendeten Inhalte können Anwender über das RADAR-Webinterface mit jedem gängigen Webbrowser zugreifen und dabei Funktionalitäten wie das Erstellen persönlicher Portfolios oder das Taggen, Bewerten und Kommentieren von Inhalten nutzen. Zur Einbindung von Funktionalitäten und Informationen in andere Kontexte und Applikationen steht mit dem RADAR Web Service eine umfangreiche Web- Service-Schnittstelle (REST) zur Verfügung. Mit Hilfe von einfach zu erstellenden Adaptern können verschiedenste Quellen mit räumlichen Informationen in das System integriert werden. Zur Nutzung von Informationen aus RADAR in anderen Kontexten existieren ebenfalls zahlreiche Adapter, beispielsweise zur Nutzung von Geodaten in Augmented-Reality-Browsern wie Junaio, Layar und Wikitude. RADAR Anwendungsszenarien in der Praxis Um die Plattform zu nutzen, kann eine eigene RADAR-Instanz 49 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities Bild 3: „Talking Places“ bietet zusätzliche Informationen zu Objekten im Stadtraum. © DFKI aufgesetzt werden. Es besteht aber auch die Möglichkeit zur Nutzung existierender, öffentlich verfügbarer Installationen. RADAR erlaubt die Organisation von Inhalten und Benutzern in sogenannten Gruppen, die offen und geschlossen sein können. So können auch auf einer einzigen Instanz des Systems verschiedenste Anwendungsszenarien realisiert werden Das schließt sowohl die Anwendung in kontrollierten Umgebungen mit redaktionellen Kontrollmöglichkeiten als auch offene und kollaborative Szenarien mit einer Vielzahl von Partizipationsmöglichkeiten für alle Benutzer mit ein. Die Stadt Kaiserslautern nutzt RADAR seit mehreren Jahren als Plattform für ihren virtuellen Stadtführer. Besucher können so unterwegs beispielsweise Audioinformationen zu Sehenswürdigkeiten abrufen. Des Weiteren wurde RADAR schon mehrmals zur Unterstützung von Veranstaltungen wie der „Langen Nacht der Kultur“ oder der „Nacht, die Wissen schafft“ genutzt. Veranstalter können hier auch selbst Informationen zu ihren Veranstaltungen einspielen. Ein weiterer Anwendungsfall ist der Einsatz von RADAR als Plattform im Rahmen einer der „Bürgerschafft-Wissen“-Projektinitiative in Kaiserslautern. Hier können Bürger mit Hilfe des Systems Orte für Mobilitätsinfrastrukturen wie Car Sharing-Standorte, Ladestationen oder Fahrradparkplätze vorschlagen und bewerten (http: / / mobil-in-kl.de). Als offene und generische Social-Media-Plattform wurde RADAR zudem mehrfach in gemeinsamen Projekten mit dem Fachgebiet „Computergestützt Planungs- und Entwurfsmethoden (CPE) an der TU Kaiserslautern im Umfeld des Forschungsfelds „Urban Sensing“ eingesetzt. Hier werden Informationen mit Hilfe von tragbaren Sensoren oder mobilen Applikationen gesammelt und ausgewertet. Solche Versuche wurden unter anderem mit Unterstützung des DAAD in Kaiserslautern und in Alexandria durchgeführt. Augmented City - Intelligente Informations- und Kommunikationstechnologie für Tourismus und Freizeit Zukünftig können Bürger oder Besucher von Städten zusätzlich zu etablierten Medien wie Zeitungen, Reiseführern oder Smartphones auch über Datenbrillen mit integrierten Eyetrackern Informationen zu Plätzen, Gebäuden oder Veranstaltungen in einer Stadt erhalten. Mit den Entwicklungen aus dem SCLL können allein mit Blicken Informationen zu beliebigen Objekten abgerufen werden. Fixiert eine Person ein Objekt mit den Augen, werden passende Informationen per Ton oder Bild präsentiert. Die Vision dieses „Talking Places“ genannten Projekts ist ein auf Geodaten aufbauendes, allgegenwärtiges Assistenzsystem, das den Menschen selektiv und nebenläufig, je nach Interesse, mit orts- und kontextsensitiven Informationen versorgt. An die Stelle der expliziten Interaktion über ein konventionelles Eingabegerät, beispielsweise ein Touchscreen, rückt die Auswertung der Blickbewegungen und des Blickfokus des Benutzers. Das Projekt Talking Places wurde von der Initiative „Deutschland - Land der Ideen“ als „Ausgezeichneter Ort 2013/ 2014“ geehrt. Crowd Management Systeme - Unterstützung von Großveranstaltungen Wissenschaftler des DFKI arbeiten seit mehreren Jahren an Crowd Management-Systemen, die bereits bei verschiedenen Großveranstaltungen weltweit eingesetzt wurden. Besucherströme werden hierbei in Echtzeit analysiert, um Veranstaltern und Sicherheitskräften wichtige Informationen zur Notfallplanung zu liefern - die richtigen Informationen zur richtigen Zeit am richtigen Ort können darüber entscheiden, welche Ausmaße ein Unglück annehmen kann! Für die Olympischen Spiele 2016 entwickelt das SCLL zusammen mit Partnern eine Technologie, die den Datenaustausch innerhalb einer Menschenmenge auch bei Zusammenbruch der Infrastruktur ermöglicht: Ein Ad-hoc-Netzwerk sorgt dann dafür, dass Mobilfunkgeräte untereinander ein Netz aufbauen und Informationen austauschen können, selbst wenn das offizielle Netz nicht verfügbar ist. Als Grundlage werden mobile Technologien genutzt, 50 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities Bild 4: Visualisierung von Besucherströmen. © DFKI die heutzutage fast jedermann in Form eines Smartphones oder Tablets bei sich trägt. Bisher haben über 100 000 Menschen diese Forschungsarbeit mit ihren anonymisierten Smartphone-Daten bereitwillig unterstützt. 3D-Modelle zur Stadt- und Notfallplanung Eine effiziente Stadtplanung und im Besonderen das Notfall-Management basiert auf der Erfassung und Analyse von Daten über jeden Aspekt einer Stadt. Die Erhebung von 3D-Daten einer Stadt geschieht meist durch manuelle Vermessung der Gebäude und Straßen. Dieser Prozess ist langwierig und in der Regel fehleranfällig. Das DFKI hat ein System entwickelt, das maßstabsgerechte 3D-Szenen automatisch aus Bildern rekonstruiert und diese für ein effizientes Krisenmanagement und eine effektive Stadtplanung zur Verfügung stellt. Smarter Traffic - Mobilität im urbanen Raum Gerade im urbanen Umfeld nimmt das Verkehrsaufkommen weltweit rasant zu. Staus und zähfließender Verkehr sind auch außerhalb der Stoßzeiten in vielen Städten an der Tagesordnung. Das SCLL entwickelt in diesem Bereich verschiedene Verfahren zur Analyse und Simulation von Verkehrsströmen. Ziel ist, den aktuellen Verkehr zu analysieren, Verbesserungspotentiale aufzuzeigen und Strategien für eine effizientere Verkehrsplanung zu entwickeln. Zu diesem Zweck werden verschiedene Technologien angewendet, um Daten aus unterschiedlichen Quellen zu aggregieren und zu analysieren. Neben Straßennetzen werden dabei auch Echtzeitdaten zu Busfahrplänen, verfügbaren Parkplätzen oder aktuellen Staus untersucht. Videotracking-Systeme beobachten kontinuierlich den aktuellen Verkehrsfluss an neuralgischen Punkten, um Erkenntnisse für die Stadtplanung zu gewinnen. Die entwickelten Systeme nutzen öffentliche Verkehrsmittel mit Hilfe moderner Smartphones als Sensoren (beispielsweise Beschleunigungs- oder Kreiselsensoren), um Informationen über Straßenqualität und Verkehrsauslastung zu gewinnen. Smartphone-Apps - wie etwa eine Anwendung zum optimierten Parken in der Stadt - unterstützen die Bürger dabei, kostengünstig und umweltschonend von A nach B zu gelangen. Die Systeme und Technologien des Labors wurden bereits in zahlreichen Projekten erfolgreich getestet und eingesetzt, beispielsweise in der Münchener Allianz Arena oder im Stadtgebiet von Kaiserslautern. Bild 5: Kamerabasierte Echtzeiterfassung von Verkehrssituationen. © DFKI Dr. Martin Memmel Senior Consultant am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, Forschungsgruppe Knowledge Management, Kaiserslautern Kontakt: memmel@dfki.de Prof. Dr. Prof. h.c. Andreas Dengel Wissenschaftlicher Direktor am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, Kaiserslautern Kontakt: andreas.dengel@dfki.de Prof. Dr. Didier Stricker Wissenschaftlicher Direktor am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, Kaiserslautern, Leiter der Forschungsgruppe Augmented Vision Kontakt: didier.stricker@dfki.de Prof. Dr. Paul Lukowicz Wissenschaftlicher Direktor am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, Kaiserslautern, Leiter der Forschungsgruppe Embedded Intelligence Kontakt: paul.lukowicz@dfki.de AUTOREN 51 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities Smart Cities im Kontext der Digitalisierung Herausforderungen bei Überwachung und Schutz Kritischer Infrastruktur in Smart Cities Digitalisierung, Big Data, Sensorik, Smart & Safe City, Kritische Infrastruktur, Metasysteme Peter Fey Die zunehmende Digitalisierung der verschiedenen Lebenswelten begünstigt den Trend zu Smart Cities. Die möglichst umfassende Vernetzung auf horizontaler und vertikaler Ebene ermöglicht das Erkennen und Verifizieren gefährdender Situationen, aber auch die zielorientierte und verzögerungsfreie Reaktion auf kritische Ereignisse. Zugleich stellt sie jedoch die größte Gefahrenquelle dar: Wie lässt sich Kritische Infrastruktur im Kontext von Smart Cities wirksam schützen, wenn aus bislang autarken Strukturen komplexe vernetzte Metasysteme werden? Gefordert sind übergreifende Ansätze - und ein Umdenken aller Beteiligten. Lassen sich Kritische Infrastrukturen in vernetzten Metasystemen schützen? © pixabay.com 52 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities Der Trend zur Urbanisierung wird nicht nur in den asiatischen Regionen, sondern auch im so genannten Westen ungebremst voran schreiten. Im Jahr 2014 lebten laut der UN Population Division bereits 53,6 % der Weltbevölkerung in städtischen Regionen [1]. China ist in Sachen Urbanisierung sicherlich der Spitzenreiter, was Tempo und vor allem die Dimensionen der urbanen Ballungsgebiete anbelangt. Doch auch in Westeuropa schreitet die Verstädterung, wenn auch auf einem bereits hohen Niveau, weiter voran: Im Jahr 2000 betrug der Anteil der städtischen Bevölkerung bereits 75,3 %, bis 2020 soll er auf stolze 80,0 % anwachsen - womit auch Westeuropa im Hinblick auf die zunehmende Urbanisierung vor neuen, nicht unerheblichen Herausforderungen steht. Der Trend zur Urbanisierung verlangt nach neuen Antworten auf die Frage, wie das gesellschaftliche, wirtschaftliche und verwaltungstechnische Miteinander in derartigen Ballungsgebieten zu organisieren ist. Bereits in den frühen 2000er Jahren wurde der Begriff Smart City geprägt. Richtet man den Blick auf die verschiedenen Definitionen, ist rasch zu erkennen, dass es keine einheitliche Nutzung dieses Begriffs gibt. Im Wesentlichen geht es um die intelligente Vernetzung bisher getrennt agierender Systeme (siehe Bild 1) wie das Smart City Council definiert: „Smart Cities have been defined as urban centers that integrate cyber-physical technologies and infrastructure to create environmental and economic efficiency while improving the overall quality of life.”-[2] Der hinter dem Ansatz für Smart Cities stehende Kerngedanke ist geprägt von dem Umstand, dass auch Städte mehr und mehr im Wettbewerb stehen. Um langfristig zu überleben, sind die Ballungszentren auf eine prosperierende örtliche Wirtschaft, ein funktionierendes Gemeinwohl und motivierte und qualifizierte Bürger angewiesen. Der wirtschaftliche Gedanke des Wettbewerbs und das Ziel, möglichst attraktiv zu erscheinen, sind die Triebfedern für den Smart City-Ansatz. Die ISO-Norm 37120 [3] zeugt bereits heute davon, wohin die Reise gehen wird: Anhand von rund 100 Indikatoren wird die soziale, wirtschaftliche und umwelttechnische Performanz von bis heute ca. 250 Städten auf transparente Weise gemessen. Getrieben durch den Megatrend Digitalisierung, soll die Qualität des öffentlichen und des privaten Lebens mit Hilfe von digitalen Technologien nachhaltig gesteigert werden. Intelligente Sensoren und Aktuatoren, Kommunikationsnetzwerke, Rechenzentren und die entsprechende Software werden die Bausteine sein, aus denen sich ein Smart City- Projekt physisch und mit Intelligenz versehen zusammensetzt. Ist die Smart City damit nichts anderes als ein spezifischer Teil des „Internet of Things“ (IoT)? Vordergründig geht es im Kern um eine möglichst vollständige Vernetzung unterschiedlicher Partikular-Systeme oder auch Lebenswelten zu einem System der Systeme bzw. einem Metasystem. Smart City-Projekte sind aktuell weltweit anzutreffen und stellen für viele Unternehmen auch wirtschaftlich ein interessantes Betätigungsfeld dar. Allein China möchte bis 2025 den stolzen Betrag von 320 Mrd. USD investieren, Saudi Arabien immerhin noch 70 Mrd. USD. Bereits bis 2020 sollen Schätzungen zufolge zwischen 100 Mrd. USD und 1000 Mrd. USD weltweit in Smart City-Projekte investiert werden. Dabei wird hinsichtlich des inhaltlichen Reifegrades zwischen sogenannten Smartening Initiatives (Implementierung von Teillösungen), Brown-Field-Projects (im Bestand) und Green-Field- Projects („Grüne Wiese“) unterschieden. Während Green-Field-Projects vor allem in Asien und im Mittleren Osten zu finden sind, trifft man im europäi- Bild 1: Ziele und Barrieren zur Verwirklichung von Smart Cities. © Dr. Wieselhuber& Partner Bild 2: Lösungsspektrum von Smart City- Projekten. © Dr. Wieselhuber& Partner Smart Cities Elemente einer Smart City Health Care Bildung Öffentliche Sicherheit Green City … … Kultur Transport Verwaltung Ziele und Nutzen von Smart Cities Höhere Lebensqualität Bessere Nutzung von Ressourcen Erhöhung der Umweltfreundlichkeit Effiziente Prozesse Allgemein Politische Kurzsichtigkeit Technisch Silodenken Fehlen langfristig angelegter Investitionen Menge der Bandbreite Fehlende Interoperabilität Fehlendes IKT-Knowhow … … Barrieren Smart Districts Green-Field Projects Brown-Field Projects Smartening Initiatives Smart Cities Smart Territories Inhaltlicher Umfang der Lösung Regionaler Umfang der Lösung Chengdu (Sichuan Provinz, China) Amsterdam (Niederlande) Shenshan (Guangdong Provinz, China) Gangnam District Seoul (Südkorea) Santander (Spanien) Hafen + Hafencity Hamburg Masdar City (Abu Dhabi) New Songdo City (Südkorea) Größe der Kreise entspricht dem Projektvolumen 53 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities schen Raum in erster Linie auf Smartening Initiatives und Brown-Field-Projects. Auf der anderen Seite spielt die räumliche Ausdehnung der Vorhaben eine Rolle: So wird zwischen Smart District, Smart Cities und Smart Territories unterschieden (siehe Bild 2). Kritische Infrastruktur - zunehmend wichtig, zunehmend gefährdet Der Begriff der „Kritischen Infrastruktur“ nimmt im Kontext von Smart Cities, der Digitalisierung und des „Internet of Things“ eine zentrale Rolle ein. Laut dem Bundesministerium des Inneren definiert sich dieser wie folgt: „Kritische Infrastrukturen (KRITIS) sind Institutionen und Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden. Kritische Infrastrukturen sind häufig vernetzt und hängen voneinander ab, welches zu Risiken und Kaskadeneffekten führen kann.” [4] Sieht man sich die Elemente der Kritischen Infrastruktur im Einzelnen an, dann sind ähnliche Sektoren zu finden wie unter dem Begriff der Smart City: Energie- und Wasserversorgung, Transport und Verkehr, Finanz- und Versicherungswesen, das Gesundheitswesen, staatliche Behörden und Verwaltungsorgane, Informations- und Kommunikationstechnik sowie Medien und kulturelle Einrichtungen. Die Schnittmenge der zugehörigen Sektoren bzw. Subsysteme ist groß. In einem Smart City-Projekt werden alle Teilaspekte von Kritischen Infrastrukturen und darüber hinaus noch weiteren Bereichen des städtischen Lebens mit Hilfe digitaler Techniken zu einem „Smart City-Web“ verknüpft, um so den größtmöglichen Nutzen für das gesellschaftliche, wirtschaftliche und verwaltungstechnische Miteinander der Bürger zu erzielen. Die zunehmende Abhängigkeit von Kritischer Infrastruktur ist in städtischen Gebieten eine der Kernmotivationen für den vermehrten Einsatz von Sicherheitstechnik im oder außerhalb des Kontextes von Safe City-Projekten. Der weltweite Markt für derartige Projekte wird laut HSMR bis 2020 auf 226 Mrd. USD anwachsen. Auch hier zählt China, gefolgt von den USA und Indien, zu den Spitzenreitern. Viele der Safe City-Projekte weisen starke Merkmale von Smart City-Projekten auf: Der Einsatz des sicherheitstechnischen Equipments dient hierbei nicht mehr nur ausschließlich dem Kernziel Sicherheit. Je besser eine Volkswirtschaft entwickelt ist, desto mehr werden die Technologien der Sicherheitstechnik für Zwecke der Optimierung und Effizienzsteigerung z.B. von Verkehrs- oder Personenströmen eingesetzt. Die Ziele von Smart und Safe Cities sind also sehr ähnlich, wenngleich die von Smart Cities deutlich weiter gefasst sind. Bild 3: Kritische Infrastrukturen im Kontext von Smart Cities. © Dr. Wieselhuber& Partner Gesamtheitliches „System der Systeme“ Smart City Kritische Infrastrukturen Megatrend Urbanisierung Treiber Energie Transport Verkehr Gesundheit Wasser Kommunikation Ernährung Verwaltung … Energie Transport Verkehr Gesundheit Wasser Kommunikation Ernährung Verwaltung Smart Home Smart Building Smart Security Unabhängige Partialsysteme Enabler Digitalisierung Connectivity/ Interoperabilität IP-Netzwerke Internet of Things „Smart City Web“ … … 54 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities Systemische Sicherheit für Smart & Safe Cities Die auf horizontaler und vertikaler Ebene miteinander vernetzten Teilsysteme einer Smart City umfassen zwingend den Schutz der Kritischen Infrastruktur - auch und gerade weil die Integration von Einzelsystemen ihr Kernmerkmal ist. Innerhalb derartiger Systeme ist der Begriff der Sicherheit einer entscheidenden inhaltlichen Veränderung unterworfen: Steht beim Schutz der Kritischen Infrastruktur im Sinne von Einzellösungen noch die physische Sicherheit im Vordergrund, wandelt sich der Sicherheitsbegriff im Kontext von Smart & Safe Cities mehr und mehr in Richtung der systemischen Sicherheit bzw. zu dem der Cyber Security. In diesem Zusammenhang wird häufig auch vom alten und neuen Sicherheitsbegriff gesprochen. Die Digitalisierung ist damit einerseits der Enabler für Smart Cities, auf der anderen Seite stellt sie damit aber auch die größte Gefahrenquelle für diese dar (siehe Bild 3). Ganzheitliche Lösungen für Smart & Safe City- Projekte sind charakterisiert durch die folgenden Merkmale: Leistungsfähige und smarte Sensorik und Aktuatorik, die von einfachen RFIDs bis hin zu Embedded Systems mit einer dezentralen „Intelligence on the Edge“ ausgestattet sein können Hohe Konnektivität bzw. Interoperabilität der einzelnen Komponenten untereinander und mit der bestehenden Netzwerkinfrastruktur Performante Informations- und Kommunikationstechnologien zur Übertragung einer Flut von Daten an die verschiedenen Adressaten Leistungsfähige Rechencenter in Verbindung mit entsprechender Komprimierungstechnik zur Analyse und Aufbereitung der gewonnenen Daten - Smart Data ist das Ziel Integrierte Management-Systeme bzw. sicherheitstechnische Leitstände, die den Operatoren einen ganzheitlichen Überblick über die Situation gewähren und dabei wechselseitige Interdependenzen berücksichtigen „Collaboration Monitoring & Acting“, d.h. das Zusammenführen öffentlicher und privater Leistungen am Anfang und am Ende der relevanten Wertschöpfungskette Aktives Change Management und die Initiierung permanenter Lernprozesse zur Optimierung der bestehenden Produkte, Systeme und Dienstleistungen, denn komplexe Metasysteme werden nie fehlerfrei sein Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Systemintegration und die Beherrschung zentraler Schlüsseltechnologien wesentliche Voraussetzungen für die erfolgreiche Realisierung komplexer Smart & Safe City-Projekte sind. Damit ergeben sich für die beteiligten Akteure einerseits zahlreiche Geschäftschancen, andererseits werden sie dazu in die Lage versetzt, ihre Services gegenüber den Bewohnern und den Institutionen einer Smart & Safe City auf einem deutlich höheren Niveau zu erbringen. Cyber Security als eine der Kernherausforderungen Die genannten Voraussetzungen scheinen in einer zunehmend digitalisierten Welt auf den ersten Blick keine allzu hohen Hürden zu setzen. Es besteht jedoch eine Vielzahl von Hemmnissen bzw. Wachstumshürden, die einer raschen Erschließung der Chancen im Zusammenhang mit Smart City- Projekten gegenüber stehen. Hierzu zählen unter anderem: Mangelnde Professionalität hinsichtlich der Projektplanung und der dem Smart City-Projekt zugrundeliegenden Gesamtstrategie Unzureichendes technologisches Bewusstsein in Bezug auf die Möglichkeiten und Grenzen, die sich aus den neuen Technologien ergeben Politische Hemmschwellen können Smart & Safe City-Projekte in verschiedener Hinsicht einschränken: Feindliche Einstellung gegenüber Überwachungstechniken, unzureichendes Commitment gegenüber derartigen Projekten, etc. Silodenken der unterschiedlichen Institutionen und die Gefahr einer mangelnden Zusammenarbeit zwischen den öffentlichen und privaten Trägern der einzelnen Sektoren sowie ungeklärte Fragen nach den Entscheidungskompetenzen in einem derartig komplexen System Ungesicherte Finanzierung der Projekte insbesondere bei knappen Budgets der öffentlichen Hand und ein schwer greifbarer „Return on Investment“ Auf der technischen Seite sind trotz der vielen Fortschritte die mangelnde Konnektivität der Einzelkomponenten sowie die unterschiedlichen Übertragungsprotokolle und Verschlüsselungsstandards eine Herausforderung Eine weitere Hürde ist in der teilweise unzureichenden Bandbreite der öffentlichen und privaten Netzwerke zu sehen Diese Liste ließe sich noch um zahlreiche Punkte erweitern. Eine der größten Herausforderungen für die Realisierung von Smart & Safe City-Projekten ist zusammenfassend darin zu sehen, dass ein ganzheitlicher systemtechnischer Ansatz zwingend die Überwindung des Silodenkens voraus setzt. Die 55 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Smart Cities einzelnen Sektoren einer Smart & Safe City haben in der Vergangenheit nie gefordert, an einer gemeinsamen, übergreifenden Problemlösung zu arbeiten. Im Gegenteil: Die Bereiche agieren in getrennten Systemen mit unterschiedlichen Standards und auf unterschiedlichen technischen Niveaus. Auch stehen Ansätzen, wie dem „Collaboration Monitoring & Acting“-Konzept, noch eine Reihe rechtlicher Probleme im Weg. Eine der Kernherausforderungen oder besser Gefahren ist mit dem Schlagwort der Cyber Security am besten umrissen (siehe auch Bild 4): Folgt man der These, dass es sich bei einer Smart & Safe City um nichts anderes als ein spezifisches „Internet of Things“ handelt, wird deutlich, warum die Cyber Security in diesem Kontext eine besonders herausragende Bedeutung zukommt. Der effektive Schutz der Kritischen Infrastruktur im Kontext einer Smart & Safe City ist elementare Voraussetzung für deren Verwirklichung. Die technischen Standards sind in den verschiedenen Bereichen unterschiedlich ausgeprägt, viele Komponenten waren nicht für einen vernetzten Einsatz geplant. Was also, wenn über die physische Schnittstelle einer veralteten, lediglich einem Upgrade unterworfenen Komponente ein Angriff auf das Gesamtnetzwerk erfolgt? Self- Awareness- und Self-Protecting-Systeme, die im Falle eines Fehlers oder Angriffs zu einem gesicherten Ausgangszustand zurückkehren können, müssen zu einem zwingenden Bestandteil derartig vernetzter Metasysteme werden. Selbst wenn für diese Kernherausforderungen eine Lösung gefunden ist, bleibt immer noch ein weiteres Problem ungelöst: Wie ist der „Informational Overload“ derartiger Metasysteme zu vermeiden? Big Data ist ein vielzitiertes Schlagwort der Gegenwart. Um den Übergang von Big Data zu Smart Data zu erreichen, sind für eine Reihe spezifischer Aufgabenstellungen leistungsfähige Algorithmen programmiert worden. Doch reichen diese Lösungen, um dem Komplexitätsgrad eines Smart & Safe City-Projektes gerecht zu werden? Aktuell wohl kaum. Am Ende der Kette „von Big Data zu Smart Data“ müssen letztendlich entscheidungsorientierte Erkenntnisse stehen, die den Entscheidungsträgern innerhalb einer hochkomplexen Smart & Safe City Handlungsorientierung geben. Hier ist noch ein weiter Weg zu gehen. Fazit Sind Smart Cities die adäquate Antwort auf den Trend der Urbanisierung? Im Grundsatz ist dem wohl zuzustimmen. Allerdings gilt es noch eine ganze Reihe von Hürden zu überwinden - technische ebenso wie solche, die in den unterschiedlichen Denkmodellen der verschiedenen beteiligten Akteure liegen. Aus diesem Grunde werden in den nächsten Jahren vor allem in Europa wohl primär Smartening Projects, die auf die Implementierung von Teilaspekten einer Smart City-Lösung abzielen, im Mittelpunkt stehen. Langfristig gesehen wird es aber nicht nur bei den asiatischen Green-Field-Projekten zu einer schrittweisen Integration von immer mehr Teilsystemen kommen - auch im europäischen Raum dürften Smart City-Projekte wohl bald Realität werden. LITERATUR [1] United Nations Population Division: 2014 Revision of World Urbanization Prospects; http: / / esa.un.org/ unpd/ wup/ (Abruf am 22.12.2015) [2] Smart Cities Council: “ Vision”; h t t p : / / s m a r t c i t i e s c o u n c i l . c o m / s m a r tc i t i e s information center/ def initions and over v iew s (Abruf am 22.12.2015) [3] International Organization for Standardization: ISO 37120: 2014 - Sustainable development of communities - Indicators for city services and quality of life; http: / / www.iso.org/ iso/ catalogue_ detail? csnumber=62436 (Abruf am 22.12.2015) [4] Bundesministerium des Innern: Nationale Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen; h t t p : / / w w w. b m i . b u n d . d e / S h a r e d D o c s / D o w n loads/ DE/ Broschueren/ 2009/ kritis.html (Abruf am 22.12.2015) Bild 4: Ebenen von Smart Cities © Dr. Wieselhuber& Partner Systemebene Komponentenebene Services/ Teilsysteme Intelligenz Komponenten Videokameras IP Health Care Big Data Netzwerke SaaS IKT Smart Meter RFID Sensoren Cloudbasierte Systeme Mobile Geräte Analysesoftware Cyber Security Smart Grid Education Öffentliche Sicherheit First Responders Intelligente Mobilität … … … Aktuatoren M2M Dr. Peter Fey, Leiter Competence Center Sicherheitstechnik, Dr. Wieselhuber & Partner, München Kontakt: fey@wieselhuber.de AUTOR 56 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES FORSCHUNG + WISSENSCHAFT Infrastruktur · Ressourcen Herausforderungen des weltweiten Städtewachstums Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sieht sich die Welt mit einem bislang unbekannten urbanen Wachstum konfrontiert. 54 % der Weltbevölkerung leben heute bereits in Städten und bis zum Ende des Jahrhunderts wird ein Anstieg auf über 80 % erwartet. Während Europa, Nord- und Südamerika schon lange einen hohen Anteil urbaner Bevölkerung aufweisen, sind die höchsten Verstädterungsraten derzeit in Afrika und Asien zu verzeichnen. Die beschleunigte Urbanisierung verändert nicht nur die Formen des sozialen Zusammenlebens, die globale Wirtschaft, die politischen Systeme und die natürliche Umwelt in einer entscheidenden Art und Weise, sie bringt auch vielfältige Herausforderungen für die Stadtplanung mit sich. Denn die Infrastruktur- und Wohnungsversorgung kann vielerorts mit der Geschwindigkeit des Städtewachstums nicht mithalten - und dabei sind die meisten urbanen Agglomerationen, in denen die Menschheit am Ende des 21. Jahrhunderts leben wird, erst noch zu bauen. Von besonderer Relevanz sind die grundlegenden städtischen Dienstleistungen und Infrastruktursysteme, wie Müllverwertung, Wasserversorgung und Abwassermanagement, Energie und Nahrungsversorgung, die der Urbanisierungsdynamik schon heute häufig nicht mehr gewachsen sind und an ihre Grenzen stoßen (Bild 1 und 2). Dabei sind die Städte an sich sowohl Chance als auch Herausforderung zugleich. Zum Einen stellen sie die Orte dar, an denen sich menschliche Aktivi- Rapid Planning Nachhaltiges Infrastruktur-, Umwelt- und Ressourcen- Management für hoch dynamische Metropolregionen Rapid Planning, Stadtplanung, Infrastrukturplanung, Urbanisierung, Stadtmanagement, Transsektorale Planung Michael Peterek, Yaman Hebbo, Olga Korovina, Ulrike Reichhardt Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Forschungsprojekt „Rapid Planning“ entwickelt eine ressourceneffiziente, transsektorale Methode für Planung und Management städtischer Ver- und Entsorgungsinfrastrukturen in schnell wachsenden Metropolregionen. Der Schwerpunkt liegt auf den Sektoren Energie, Wasserversorgung und Abwassermanagement, Abfallmanagement und urbane Landwirtschaft. Die praktische Anwendung erfolgt in den Pilotstädten Da Nang, Kigali und Assiut und im Austausch mit den Erfahrungen der deutschen Referenzstadt Frankfurt am Main. täten, Produktion und Innovation in einem Höchstmaße konzentrieren und gegenseitig befruchten, zum Anderen verbrauchen sie dabei in einem wachsenden Umfang Energie und Ressourcen und tragen maßgeblich zu Klimawandel und Umweltzerstörung bei. Insofern stellt sich die zentrale Frage, wie Städte langfristig ihre Lebensqualität verbessern und gleichzeitig den Energie- und Ressourcenverbrauch begrenzen und die Umwelt bewahren können. Zielsetzungen von Rapid Planning Hier setzt das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seit Ende 2014 über fünf Jahre geförderte Forschungsprojekt „Rapid Planning“ [1] an, welches in Teilen auf Ergebnissen des BMBF- Forschungsschwerpunkts „Future Megacities“ aufbaut [2]. Seine vorrangigen Zielsetzungen sind die Entwicklung einer nutzerorientierten und schnell umsetzbaren Planungsmethode für städtische Ver- und Entsorgungsinfrastrukturen mit einem Schwerpunkt in den Sektoren Energie, Wasserversorgung und Abwassermanagement, Abfallmanagement und urbane Landwirtschaft und unter den Perspektiven von Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft. Dabei sollen übertragbare Lösungen entwickelt werden, welche kostengünstig und rasch umsetzbar sind, die Umwelt und die natürlichen Ressourcen schonen und dabei in Kreisläufen ablaufen sowie in umfassendere Planungsprozesse eingebunden sind. Unter der Koordination des AT-Verbandes in Stuttgart arbeiten insgesamt elf wissenschaftliche 57 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES FORSCHUNG + WISSENSCHAFT Infrastruktur · Ressourcen sen Städten künftig noch am ehesten Steuerungsmöglichkeiten gegeben. Die Forschung basiert in ihrem Anwendungsbezug auf praktischen Erfahrungen, die in den drei Pilotstädten Kigali in Ruanda, Assiut in Ägypten und Da Nang in Vietnam gesammelt werden. Dort soll die Planungsmethode mit relevanten Akteuren aus der Stadtverwaltung, den Infrastruktursektoren, aber auch der Privatwirtschaft und der Öffentlichkeit anhand von konkreten Daten, Planungsverfahren, aber auch kleinen „Einstiegsprojekten“ sowie der Ausarbeitung und Bewertung alternativer Entwicklungsszenarien erprobt und umgesetzt werden. Da Nang ist mit rund einer Million Einwohner (2014) die größte Stadt in der Mitte Vietnams. Sie ist landesweit einer der wichtigsten Hafenstandorte sowie eine ökonomisch sehr dynamische Metropole. Es wird erwartet, dass die Bevölkerung bis 2020 auf 1,6 Millionen und bis 2030 auf 2,5 Millionen steigen wird. Damit wächst allein der Elektrizitätsbedarf jährlich um 7 bis 8 %. Jeden Tag fallen 700 t Müll an, die auf einer zentralen Mülldeponie landen, da die Stadt nur unzureichende Recycling- und Wiederverwertungseinrichtungen besitzt. Nur 15 bis 20 % der Bevölkerung sind derzeit an ein Kanalisationsnetz angeschlossen, die restlichen Abwässer verschmutzen Fluss- und Meeresgewässer. Hinzu kommen regelmäßige Tropenstürme und Überflutungen sowohl im städtischen Bereich als auch in den empfindlichen peri-urbanen Zonen, die einem hohen Siedlungsdruck ausgesetzt sind ([4]; Bild 3 und 4). Kigali, mit etwa 1,1 Millionen Einwohnern (2012), ist die Hauptstadt von Ruanda, einem der ärmsten Länder der Welt. 78 % der Bevölkerung leben in nicht offiziell geplanten Quartieren. Die Stadt erstreckt sich über Täler und Hügel, mit Steigungen bis zu 50 %, was bei zwei Regenzeiten im Jahr eine große Anfälligkeit für Bodenerosion und Überschwemmungen bedeutet. In ihrem Masterplan hat sich die Stadt ambitionierte Ziele für ihre weitere Partner in Hochschulen und Forschungsinstituten sowie UN-Habitat mit seinen lokalen Büros in den Projektstädten Kigali (Ruanda), Assiut (Ägypten) und Da Nang (Vietnam) im Projekt zusammen [3]. Der Projektansatz Rapid Planning verfolgt den Ansatz eines integrierten Stadtmanagements, das den aus der Urbanisierung resultierenden Herausforderungen für die Stadt- und Infrastrukturplanung durch Vernetzung und Synergien von vorhandenen oder zu entwickelnden Technologien, Prozessen, Ressourcen und Kompetenzen begegnet. Dabei spielen drei Schritte eine zentrale Rolle: die Entwicklung von Methoden und Technologien einer zeit- und kostensparenden, aber zuverlässigen Generierung der notwendigen Daten, um Szenarien zu entwickeln, Entscheidungsprozesse zu befördern und Planungsabläufe beschleunigen zu können, transsektorale Vorgehensweisen, um potentielle Synergien zwischen den einzelnen Infrastruktursektoren identifizieren und ressourceneffizient nutzen zu können, sowie, als Resultat der ersten beiden Schritte, ein integriertes städtisches Management, das insbesondere auf einem veränderten Know-how, Verantwortungs- und Entscheidungsbewusstsein aller relevanten Akteure basiert (Change Management). Die Projektstädte Der Fokus von Rapid Planning liegt auf schnell wachsenden Metropolregionen in Afrika und Asien. Dabei wurden als Projektstädte bewusst nicht die globalen Megastädte gewählt, die vielfach schon im Mittelpunkt der Forschung stehen, sondern dynamische Metropolregionen einer zweiten Hierarchieebene im Städtesystem, in denen weltweit die Mehrheit der Stadtbevölkerung lebt. Möglicherweise sind in die- Bild 1: (links) Urbanisierung am Rande von Bogotà. © Michael Peterek Bild 2: (rechts) Selbstbau in Lima. © ifak e.V. Magdeburg 58 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES FORSCHUNG + WISSENSCHAFT Infrastruktur · Ressourcen Urbanisierung gesetzt. Allerdings sieht sich die derzeit wenig dichte und niedriggeschossige Siedlungsstruktur mit massiven Problemen in der Müll- und Abwasserentsorgung, der Luftqualität, des Risikos von Erdrutschen sowie dem Zugang und einem nachhaltigen Konsum von Wasser und Energie konfrontiert (Bild 5 und 6 [5]). Assiut ist mit etwa einer Million Einwohner (2013) die größte Stadt in Oberägypten. Im fruchtbaren Schwemmland des Nils und entlang historischer Handelswege gelegen, ist sie seit jeher ein wichtiges Agrar- und Wirtschaftszentrum gewesen. Auch Assiut sieht sich mit einem großen Bevölkerungswachstum konfrontiert. Gleichzeitig sind die Erweiterungsflächen begrenzt, was zu einer hohen Siedlungsdichte und geringen Freiräumen führt. Die Hälfte der Bevölkerung wohnt auf 25 % der Siedlungsfläche in informellen Siedlungen. Dieses führt zu einem hohen Druck auf die verbliebenen Agrarflächen bei einem gleichzeitigen Defizit bei grundlegenden städtischen Dienstleistungen und der Infrastruktur, insbesondere bei Wasser und Abwasser, Müll und Energie [6]. Über diese drei Pilotstädte hinaus wurde, mit der Zielsetzung eines internationalen Erfahrungsaustausches zu den in Rapid Planning relevanten Themen, die Stadt Frankfurt am Main als Vergleichs- und Referenzstadt in das Projekt einbezogen. Frankfurt am Main ist mit 700 000 Einwohner (2014) die fünftgrößte Stadt in Deutschland und derzeit mit einem Plus von etwa 15 000 Einwohnern pro Jahr auch eine deutlich wachsende Stadt. Sie ist nicht nur ein globaler Finanz- und Wirtschaftsstandort und ein Verkehrs-, Kultur- und Wissenschaftszentrum, sondern seit mehr als 20 Jahren auch für ihre Bemühungen um eine umweltgerechte Stadtentwicklung bekannt, die sich beispielsweise in dem „Green City“-Programm, dem „Masterplan 100 % Klimaschutz“ oder dem in 2015 gestarteten „Integrierten Stadtentwicklungskonzept 2030“ manifestiert. Die Arbeitsschritte Das BMBF-Projekt wird bis 2019 in 15 Arbeitspaketen durchgeführt werden, die unter anderem die folgenden Teilaufgaben enthalten: Erhebung und Analyse spezifischer Daten und Strukturen auf gesamt- und auf teilstädtischer Ebene, Methodenentwicklung mit dem Ziel einer vernetzten, transsektoralen städtischen Infrastrukturplanung, überschaubare sogenannte Entry Projects als „Einstiegsprojekte“ in den drei Städten Da Nang, Kigali und Assiut, Stakeholder-Analysen aller beteiligten Akteure aus Stadtverwaltungen, öffentlichen Organisationen, Hochschulen, dem Privatsektor und der Bewohnerschaft, Szenarienbildung, Sensibilisierung von Stakeholdern und sektorale wie auch transsektorale Workshops zum Change Management, Einbindung der Rapid Planning-Methode in die Instrumente und Verfahrensweisen der Infrastruktur-, Stadt- und Raumplanung Entwicklung von Methoden, Materialien und Workshops des projektbezogenen Capacity Building / Capacity Development In der ersten Projektphase bis Ende 2016 geht es, neben der Methodenentwicklung und den Einstiegsprojekten, insbesondere um Verfahren für eine schnelle Datenerhebung und Generierung von Planungswerten. Denn in allen wachsenden Metropolen der Schwellen- und Entwicklungsländer steht die Bild 4: Stadtstrukturen in Da Nang. © Marcus Mangeot Bild 3: Mülldeponie in Da Nang. © Marcus Mangeot 59 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES FORSCHUNG + WISSENSCHAFT Infrastruktur · Ressourcen Stadtplanung vor einer ähnlichen Herausforderung: Es fehlen verwertbare Grundlagen und Daten sowie Methoden, wie sich diese rasch und hinreichend zuverlässig gewinnen lassen. Hier greift Rapid Planning auf moderne Technologien der Fernerkundung zurück, die mit exemplarischen Vorort-Begehungen und Erhebungen gekoppelt werden. Aus den gewonnenen Gebäudestrukturen und Einkommensklassen lassen sich wiederum Basistypen der Stadtstruktur ableiten, die mit jeweils spezifischen, auf die Infrastruktur bezogenen Planungswerten verknüpft werden können. Diese bilden dann die Grundlage für Szenarien, Bedarfs- und Entwicklungsmodelle. Das Teilprojekt Stadtplanung und Capacity Building Das von der Frankfurt University of Applied Sciences verantwortete Teilprojekt „Stadtplanung und Capacity Building“ bindet die Erfahrungen umweltgerechter Stadt- und Infrastrukturplanung in der Referenzstadt Frankfurt am Main in Rapid Planning ein. Projektpartner auf Seite der Stadt Frankfurt sind das Umweltamt, das Energiereferat und das Stadtplanungsamt (Bild 7). Die Frankfurter Wissenschaftler haben unter anderem strategische Zielsetzungen, Instrumente und Verfahrensweisen der räumlichen Planung in Frankfurt analysiert sowie Programme und Projekte in den Sektoren Wasser- und Energieversorgung, Abwasser, Abfall und urbane Landwirtschaft ausgewertet. Erste Ergebnisse zeigen den Willen, die Herausforderungen des städtischen Wachstums, trotz begrenzter Flächenressourcen, in Politik und Planung aktiv zu gestalten, bei gleichzeitigem Schutz von Freiraum, Klima und Umwelt - etwa durch die Zielsetzung einer zu 100 % aus erneuerbaren Quellen getragenen Energieversorgung [7]. Umfassende Sensibilisierungsprogramme zählen ebenso dazu wie die Gestaltung der städtischen Plattform „Frankfurt Green City“ [8], welche alle städtischen Programme, Projekte und Initiativen bündelt, die einer umweltgerechten und Ressourcen sparenden Umwelt- und Stadtentwicklung verpflichtet sind - unter anderem Klimaschutz, Energieversorgung, Luft- und Lärmschutz, Abfallverwertung, Trinkwasserversorgung, Abwasserentsorgung, Grünflächen und Mobilität betreffend. So zeigt sich, dass die Stadt Frankfurt eine in einem hohen Maße transsektorale Politik und Planung verfolgt, die Einzelmaßnahmen aber in der Regel in sektoraler Regie (mit vielfach auch sektorübergreifender Zusammenarbeit der Ämter und Dienstleistungsunternehmen) durchgeführt werden. Vor diesem Hintergrund wurde die Stadt Frankfurt am Main im Jahr 2015 vom ARCADIS Sustainable Cities Index, im Kontext von 50 weltweit betrachteten Metropolen, als „die nachhaltigste Stadt der Welt“ klassifiziert, mit einer besonderen Qualifikation in den Sektoren „Umwelt“ und „Wirtschaft“. [9] Bei der Nutzbarmachung dieser Erfahrungen für Rapid Planning geht es keineswegs um das unmittelbare Übertragen von (niemals gegebenen) „Patentlösungen“ in einen vielfach ganz anderen Kontext, sondern vielmehr um die Förderung eines Wissens-, Erfahrungs- und Lernaustauschs zwischen der deutschen und den internationalen Städten. Rapid Planning kann nur erfolgreich sein, wenn die entwickelte Methode an die jeweils lokalen Strukturen angepasst ist. Im Fokus stehen deshalb Aktivitäten des Erfahrungsaustauschs und gegenseitigen Lernens zwischen allen beteiligten Städten. Dazu werden Workshops und gemeinsame Fachexkursionen durchgeführt, Kurs- und Schulungsunterlagen für relevante Zielgruppen erstellt und Sensibilisierungskampagnen, sowohl für die städtische Verwaltung Bild 5: Wasserversorgung in Kigali. © Thomas Sterr Bild 6: Verstädterung in Kigali © Thomas Sterr 60 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES FORSCHUNG + WISSENSCHAFT Infrastruktur · Ressourcen und die Wissenschaft, als auch für Schulen und die breite Bürgerschaft konzipiert. Ein erster Workshop mit Teilnehmern aus allen drei Pilotstädten wird im Mai 2016 in Frankfurt und Heidelberg stattfinden. Erwartete Ergebnisse Rapid Planning ist ein Forschungsprojekt und damit ergebnisoffen. Derzeit erwartete Ergebnisse sind: die Entwicklung einer umweltgerechten und vernetzten, transsektoralen Methode für die Planung und das Management von Ver- und Entsorgungsinfrastrukturen in schnell wachsenden Städten als Beitrag zu einer integrierten Stadtentwicklung und Umweltplanung, eine Bewusstseinsbildung / Capacity Development bei allen relevanten Akteuren für transsektorale Planungsansätze, die Übertragbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse, Strategien und Methoden als „Rapid Planning- Werkzeugkasten“ (Tool Kit) über die Pilotstädte hinaus auf vergleichbare Kontexte und Kommunen. Langfristig sollen damit ein Umdenken und neue Handlungsoptionen in Hinblick auf ressourceneffizientes Planen in den beteiligten Verwaltungen, aber auch der Bürgerschaft und der Wissenschaft befördert werden, damit die Metropolen der Zukunft nicht nur lebenswert sind, sondern auch sorgsam und verantwortlich mit den ihnen nur begrenzt zur Verfügung stehenden Ressourcen umgehen [10]. QUELLEN UND ANMERKUNGEN [1] siehe auch http: / / www.rapid-planning.net/ [12.12.2015]. [2] siehe auch http: / / future-megacities.org/ [12.12.2015]. [3] Die an Rapid Planning beteiligten Projektpartner sind: AT-Verband - Verband zur Förderung angepasster, sozial- und umweltverträglicher Technologien e.V. (Projektkoordinator); IZES - Institut für ZukunftsEnergieSysteme gGmbH; ifak - Institut für Automation und Kommunikation Magdeburg; Eberhard Karls Universität Tübingen; Frankfurt University of Applied Sciences; Universität Stuttgart; Technische Universität Berlin; Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg; Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften; Institut für UmweltwirtschaftsanalysenHeidelberg e.V.; ifeu - Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg GmbH; UN-Habitat (United Nations Human Settlements Programme). [4] Asian-Pacific Economic Cooperation APEC (2014) Policy Review for Low-Carbon Town Development Project in Da Nang, Vietnam. Final Report, May. [5] Rwanda Environment Management Authority (2013) Kigali, State of Environment and Outlook Report; City of Kigali (2013) New Kigali City Master Plan. [6] GOPP (2010) National Urban Observatory, Survey Report for Assiut. Draft Report. [7] siehe Masterplan 100 % Klimaschutz unter: http: / / www.masterplan100.de/ home/ [12.12.2015]. [8] siehe auch http: / / www.frankfurt-greencity.de/ en/ frankfurt-green-city/ [12.12.2015]. [9] Arcadis Sustainable Cities Index (2015) unter: http: / / www.sustainablecitiesindex.com/ [12.12.2015]. [10] siehe auch Projektbroschüre Rapid Planning (2015) abrufbar unter: http: / / www.rapid-planning.net/ brochure.html [12.12.2015]. Bild 7: Mainufer-Park in Frankfurt © Michael Peterek Prof. Dr. Michael Peterek Fachgebiet Städtebau und Entwerfen / Fachbereich 1: Architektur • Bauingenieurwesen • Geomatik Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) Kontakt: michael.peterek@fb1.fra-uas.de Yaman Hebbo, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) Kontakt: yaman.hebbo@fb1.fra-uas.de Olga Korovina, M.Sc. Wissenschaftliche Mitarbeiterin Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) Kontakt: olga.korovina@fb1.fra-uas.de Dr. Ulrike Reichhardt Forschungspromotorin Frankfurter Forschungsinstitut für Architektur • Bauingenieurwesen • Geomatik (FFin) / Frankfurt UAS Kontakt: ulrike.reichhardt@fb1.fra-uas.de AUTOREN 61 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES FORSCHUNG + WISSENSCHAFT Mobilität Im Zuge der 1950er Jahre hat sich in weiten Teilen Europas das Auto als dominantes Verkehrssystem behauptet. Es nahm eine Schlüsselrolle bei der Durchsetzung einer auf Massenproduktion und Massenkonsumption ausgerichteten Gesellschaft ein und stand stereotypisch für den sozialen Aufstieg breiter Bevölkerungsgruppen. Die vorherigen Verkehrsinfrastrukturen wurden durch ubiquitäre, dezentralisierende Straßennetze in Funktion von Transit- und Abstellräumen für Autos ersetzt. Als Rennreiselimousine [1] ermöglichte das Auto auch der breiten Mittelschicht schnell und selbstbestimmt den Widerstand des Raumes zu durchbrechen und die heute bekannten ortspolygamen Lebensstile auszubilden. Der öffentliche Verkehr wurde zum Massenverkehrsmittel degradiert und auch das Fahrrad wurde als lahmer Drahtesel im wortwörtlichen Sinne an den (Straßen-) Rand gedrängt. Lag der Pkw-Bestand zu Beginn der Massenmotorisierung im Jahr 1960 bei rund 4,5 Mio., so konnte er sich seither nahezu verzehnfachen [2]. Hinsichtlich seines fossilen Antriebes wurde die Dominanz des Autos im Laufe der Jahrzehnte vermehrt aus zwei Perspektiven problematisiert: Erstens im fossilen Input, wonach Öl eine endliche, in menschlichen Zeitskalen nicht erneuerbare Ressource darstelle, das zeitliche Maximum der globalen Rohöl-Förderrate bereits erreicht sei (Peak-Oil) und damit das Auto als technologische Grundlage zur Ausübung alltäglicher Aktivitäten und Wertschöpfungsprozesse vor einem zeitlichen Horizont der Endlichkeit stünde. Zweitens im fossilen Output, wonach Auswirkungen von Treibhausgasen, Feinstaub und Lärm oder die anhaltende Flächeninanspruchnahme das globale Klima und die nahräum- Nach dem Auto Multimodalität? Problematisierung eines neuen Paradigmas Multimodalität, Sharing-Systeme , Informations- und Kommunikationstechnologien IKT, Digital Divide, Elektromobilität, soziale und räumliche Polarisierung Sören Groth Multimodalität ist das neue Zauberwort zur Lösung verkehrsbedingter Probleme. Die Vision: Bürgerinnen und Bürger wählen via Smartphone flexibel und situationsspezifisch das geeignete Verkehrsmittel in einem auf Nutzen statt Besitzen basierten Verkehrssystem. Jedoch läuft der unhinterfragte Multimodalitäts-Enthusiasmus Gefahr, das Entstehen neuer Probleme zu übersehen. Der Beitrag skizziert drei große Problemfelder einer Entzauberung. liche Umwelt sowie Gesundheit und Lebensqualität der Menschen beeinträchtige. Mit großem Enthusiasmus stieß die Mobilitätsforschung nun in den vergangenen Jahren auf eine Vielfalt von Indizien, die auf eine Erosion der automobilen Dominanz hindeuten. So wirken etwa die Dynamiken bei neuen Mobilitätsdienstleistungen [3], der Cycle-Boom in Großstädten [4], eine messbar wachsende Verkehrsmittelflexibilität [5] oder die Ent-Emotionalisierung des Privat-Pkw im Dunstkreis junger Städterinnen und Städter [6] wie ein Konzert von Veränderungen zusammen. Diesem folgt die Hypothese eines Übergangs von der automobilen hin zur multimodalen Gesellschaft. Dabei versteht man unter Multimodalität die Variation verschiedener Verkehrsmittel für unterschiedliche Wege [7]. Sie wird zentral mit der monomodalen Nutzung des Autos für alle Wege kontrastiert. Zunächst galt Multimodalität vor allem im deutschsprachigen Forschungskontext als nachhaltige Alternative zum Auto [8]. Spätestens aber mit der einflussreichen Studie von Claudia Nobis, „Multimodality - Facets and Causes of Sustainable Mobility Behaviour“ [9] aus dem Jahr 2007, wurden auch international Mobilitätsforschende für den nachhaltigen Ansatz sensibilisiert [10, 11, 12]. Die Vielfalt aktueller Szenarien einer multimodalen Zukunft lässt sich wie folgt collagieren: Bürgerinnen und Bürger wählen souverän und situationsspezifisch via Smartphone stets das geeignetste Verkehrsmittel für ihre Wege aus. Die höchste Evolutionsstufe des Carsharings in Form eines stationsungebundenen Free-floating-Angebotes um car2go oder DriveNow sowie technisch aufgerüstete großformatige Fahrradverleihsysteme der 4. Generation 62 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES FORSCHUNG + WISSENSCHAFT Mobilität free-floating Carsharing (z.B. car2go, DrvieNow) Fahrradverleih (z.B. StadtRAD Hamburg) Appbasierte Taxizentralen (z.B. MyTaxi) Mobilitätsplattform (z.B. Qixxit, moovel) Dynamic Ridesharing (z.B. flinc) Klassischer ÖPNV (z.B. Hamburger Hochbahn im HVV) Appb Mobilitätsplattform (z.B. Qixxit, moovel) um Call a Bike oder Nextbike sind zu einem unmittelbaren Bestandteil eines vernetzten Mobilitätsverbundes avanciert. Räumliche, informatorische und preisliche Vernetzungen aller Verkehrsmittel gewährleisten daher eine ubiquitäre Multioptionalität beim Menschen (Bild 1). Das Auto fungiert in diesem auf „Nutzen-statt-Besitzen-Konzepten“ basierten Verkehrssystem nur noch als sporadische Option; es kann flexibel „one way“ genutzt werden. Seine Elektrifizierung gewährleistet den postfossilen Charakter dieses multimodalen Verkehrssystems. Fossile Verkehrsinfrastrukturen in Form von Abstellplätzen werden durch neue urbane Nutzungen ersetzt. Multimodalität ist also das neue Zauberwort zur Lösung verkehrsbedingter Probleme. Eine kritische Auseinandersetzung bleibt weitestgehend aus. Im Nachfolgenden soll daher das neue Paradigma beispielhaft unter der Berücksichtigung der Verteilung und Nutzung des Smartphones innerhalb der Gesellschaft, der räumlichen Verortung neuester Mobilitätsangebote, sowie der postfossilen Etikettierung durch Elektromobilität problematisiert werden. Smarte Mobilitätsangebote für smarte Menschen Die souveräne und situationsspezifische Auswahl zwischen den Möglichkeiten eines flexiblen Carsharings, dem Leihfahrrad und den klassischen öffentlichen Verkehrsmitteln lässt sich bislang nicht ohne moderne Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK) denken (App- und onlinebasierte Ortung verfügbarer Fahrzeuge, Ausleih- und Rückgabestationen oder Abfahrzeiten, Ausleihvorgänge etc.). Doch ist ihre Nutzung einem jungen, finanz- und bildungselitären Rezipientenkreis vorbehalten: Das einfache und eingängige Bild vom „Nutzen statt Besitzen“ wandelt sich mit Blick auf einen Digital Divide schnell zum Trugschluss. So geht das Konzept des „Digital Divides“ davon aus, dass der Zugang und die Nutzung moderner IuK ökonomisch und kognitiv voraussetzungsreich sind und folglich in einer Spaltung der Gesellschaft in Nutzende und Nicht- Nutzende münden [13]. Damit unterliegt aber auch die Nutzung des oben skizzierten multimodalen Verkehrssystems einem sozial selektiven Trend. Dieser Sachverhalt lässt sich wie folgt umreißen: Erstens ist die Finanzierung hoher Kosten für Smartphone-Verträge und den notwendigen Features zur Nutzung innovativer Mobilitätsangebote (mobiles Internet mit ausreichendem Datenvolumen, Speicherplatz für die Smartphone-Applikationen etc.) materiell abhängig von individuellen Einkommensverhältnissen. Zweitens erfordert der Umgang mit den notwendigen Mobilitätsappliaktionen entsprechendes Know-How, das sich jedoch zunächst in der gut ausgebildeten IKT-sozialisierten Generation sogenannter Millenials verorten lässt. Die Soziologin Katharina Manderscheid zeichnet als Kontrast zum d Smartphone-Enthusiasmus ein ernüchterndes Bild: „Es scheint, als ob sich EntwicklerInnen und VerkehrsplanerInnen vor allem an jungen, gebildeten und an den Umgang mit digitalen Technologien Bild 1: Situationsspezifische und flexible Mobilität in einem vernetzten multimodalen Verkehrssystem am Beispiel eines Straßenquerschnitts in Hamburg/ Mundsburg (orientiert an Ludwig [14]) © Sören Groth 63 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES FORSCHUNG + WISSENSCHAFT Mobilität gewöhnten Personen orientieren und deren Kompetenzen zur erwartbaren Normalität erheben. Entsprechend stehen nicht nur ältere Menschen häufig hilflos vor Fahrkartenautomaten und haben nur eine vage Vorstellung davon, welche weiteren Mobilitätspotenziale mittels luK-Geräten zugänglich wären“ [15]. In der Konsequenz lässt sich der „Digital Divide“ auch als „Multimodal Divide“ lesen, der mit Blick auf den potentiellen IuK-basierten Zugang zu smarten Mobilitätsangeboten eine soziale Spaltung der Gesellschaft spiegelt. Die einkommens- und bildungselitären Nutzerprofile beim flexiblen Carsharing [16] kommen dieser These entgegen. Räumliche Polarisierung smarter Mobilitätsangebote Smarte Mobilitätsangebote sind räumlich nicht gleichmäßig verteilt. Gerne wird im Sinne einer klassischen Stadt-Land-Dichotomie hinsichtlich des Aufkommens smarter Mobilitätsangebote auf einen städtischen Trend verwiesen. Allerdings zeigt sich diesbezüglich auch im Städtevergleich eine klaffende Differenz: Die deutschen Marktführer des flexiblen Carsharings, car2go und DriveNow, bieten ihre Services lediglich in den Städten Berlin, Hamburg, München, Köln und Düsseldorf an, car2go darüber hinaus noch in Stuttgart und Frankfurt (Stand 12/ 2015). Beim deutschen Marktführer von Fahrradverleihsystemen, der DB Rent GmbH, verhält es sich ähnlich: Zwar deckt dieser mit dem Call a Bike-System zunächst 52 deutsche Städte ab, allerdings sind - beinahe analog zu der Verortung der oben genannten Free-floater - ausschließlich die Städte Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Stuttgart, Kassel, Darmstadt, Marburg, Wiesbaden, Lüneburg und Kiel mit einem stadtweiten System ausgestattet (Stand: 12/ 2015). In den restlichen 44 Städten erfolgen Ausleihe und Rückgabe ausschließlich an den städtischen ICE-Bahnhöfen und spielen daher mit Blick auf den städtischen Mobilitätsalltag eine untergeordnete Rolle (Bild 2). Ein zweiter räumlich selektiver Trend lässt sich intraregional mit der Verortung der Services in den verdichteten Quartieren der Innenstadtbereiche feststellen. Die Automobilindustrie erschließt in diesen Teilräumen neue profitträchtige Geschäftsfelder, in denen der Besitz des Privat-Pkws ohnehin erodiert. Sicherlich leistet das attraktive Freefloating-Format einen Teilbeitrag zu dieser Erosion. Allerdings handelt es sich bei den verdichteten Innenstadtbereichen aber auch um jene Teilräume, in denen alternative Verkehrsmittel traditionell stark sind. Die verkehrspolitisch relevanten Standorte im suburbanen Kontext - erstens disperse auf das Auto zugeschnittene Wohnquartiere aus Ein- und Zweifamilienhausbebauungen und/ oder zweitens die sozial stigmatisierten, peripheren Großwohnsiedlungen aus den 1960er und 1970er Jahren mit einem höheren Anteil sogenannter mobilitätsarmer Bevölkerung - bleiben unangeschlossen. Die räumliche Polarisierung des flexiblen Carsharing lässt sich zunächst über die klassischen Marktmechanismen erklären. Profite werden mit einer steigenden Summe von Leihvorgängen erwirtschaftet, die sich in den verdichteten Ballungsräumen prosperierender Städtetypen > 500.000 Einwohner einstellen [3]. Die Expansion der Free-floater wird sich kurzbis mittelfristig eher auf die großen europäischen Metropolen beschränken, weil weitere deutsche Städte dem Anforderungsprofil der Anbieter nur bedingt gerecht werden. Diese These lässt sich beispielhaft an der Expansion des Anbieters DriveNow nachvollziehen, der zuletzt Märkte in Stockholm (10/ 2015), Kopenhagen (09/ 2015) und London (12/ 2014) mit seinem Service erschlossen hat. In einer zweiten Erklärungslinie stellt sich die zögerliche Vergabe von Konzessionen und geringer Kontingente für flexibles Carsharing durch Städte als hinderlich dar. So besteht hier mitunter die Sorge, flexibles Carsharing würde mehr Autofahrten zulasten von ÖPNV und Fahrrad produzieren [17]. Die Free-floater reagieren in der Folge mit kleinen Geschäftsbereichen, um eine entsprechende Angebotsdichte ihrer Services zu gewährleisten und zugleich rentabel zu sein. Die weitere Expansion stadtweiter großformatiger Fahrradverleihsysteme wird es allenfalls mit der Bereitstellung von Subventionen oder der Entwicklung spezifischer Geschäftsmodelle geben. Im Bild 2: Smarte Mobilitätsangebote gibt es nicht in jeder Stadt. © pixabay 64 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES FORSCHUNG + WISSENSCHAFT Mobilität reinen Verleih sind die Services weitestgehend defizitär. So sind die erfolgreichen deutschen Fahrradverleihsysteme mit flächendeckendem Angebot und hohen Nutzungszahlen wie das StadtRAD Hamburg auf Subventionen angewiesen. Allerdings führen kommunale Finanzierungsengpässe und die Skepsis hinsichtlich der Durchschlagkraft der Angebote zu einem zurückhaltenden Engagement der Städte. Halten sich Städte zurück, führt dies häufig zu einer eingeschränkten Qualität des Verleihsystems: So funktionieren Fahrräder etwa gut als Werbetafeln (nextbike) oder es entstehen Exklusivpartnerschaften mit einer bevorzugten Zielgruppe (Call a Bike Frankfurt). Der Anspruch, ein ubiquitäres Angebot für Alle zu schaffen, geht dabei jedoch verloren. E-Mobility als nicht-nachhaltige Alternative zu fossilen Antrieben Elektromobilität gilt, wie eingangs skizziert, als elementarer Baustein eines multimodalen Verkehrssystems. Über den Nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität der Bundesregierung [18] wird die Elektrifizierung der Antriebe gefördert, um auf diese Weise eine Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern zu bewirken und vom Auto verursachte Schadstoff- und Treibhausgasemissionen zu vermeiden. Allerdings scheinen sich die fossilen Input- Output-Problematiken im Gewand der Alternative Elektromobilität zu wiederholen. Ein zentrales Problem stellt zunächst die Verschiebung der Ressourcenproblematik von Öl auf Metalle der Seltenen Erden dar [19]. So werden bei der Herstellung der Batterien, Elektromotoren und Generatoren Seltene Erden wie Neodym, Praseodym oder Dysprosium in hohen Prozentanteilen verwendet. Sie stellen für die hohe mechanische Energieleistung der Elektroautos eine bislang unabdingbare Voraussetzung dar. Allerdings sind sie ebenso wie Öl ungleichmäßig über den Globus verteilt, und es zeichnet sich bei vielen dieser bereits heute eine Rohstoffknappheit ab. Des weiteren konterkariert ein Shift von Sprit auf Strom klimaneutrale Effekte, wenn eine Verlagerung der Nachfrage nach fossilen Energieträgern auf den Strommarkt stattfindet [20]. Stammt die Sekundärenergie zum Antrieb der Elektroautos etwa aus Steinkohlekraftwerken, sind die Treibhausgasemissionen insgesamt sogar höher als beim fossilen Verbrennungsmotor. Vor diesem Hintergrund wird auch die Renaissance von Kohlekraftwerken in den wissenschaftlichen Auseinandersetzungen hinsichtlich einer postfossilen Mobilität stark kritisiert [21]. Nicht zuletzt entstehen lokale Schadstoff- und Lärmemissionen nicht allein durch die Verbrennungsmotoren, sondern ebenso durch Staubaufwirbelung von Straßenoberflächen sowie beim Brems- und Reifenabrieb [22]. Vor diesem Hintergrund scheint Elektromobilität allenfalls als Steigbügelhalter sinnvoll, um einen Übergang von der automobilen zur multimodalen Gesellschaft zu forcieren und auf diese Weise die Autonutzung zu reduzieren (Bild 3). Der Zusammenhang zwischen Multimodalität und Elektromobilität im Kontext einer postfossilen Ära liegt aber nicht auf der Hand. Konventionelle fossile und elektrische Antriebe scheinen frei austauschbar. Schluss: Problematisierung des „Unproblematischen“ Multimodalität hat sich in den vergangenen Jahren zum Dogma eines nachhaltigen und dem Auto alternativen Verkehrssystems entwickelt. Das eingangs umrissene Konzert von Veränderungen - Breitendurchsetzung des Smartphones, Aufkommen innovativer Mobilitätsangebote, Cycle Boom, wachsende Verkehrsmittelflexibilität, schleichende Ent-Emotionalisierung des Privatautos bei jungen Erwachsenen, politisch motivierte Förderung von Elektromobilität, usw. - wird zur zentralen Triebfeder einer Transformation von der (fossilen) automobilen zur (postfossilen) multimodalen Gesellschaft stilisiert. Jedoch läuft der unhinterfragte Multimodalitäts- Enthusiasmus Gefahr, die Produktion neuer Probleme zu übersehen. Die hier beispielhaft umrissene räumliche Polarisierung sogenannter smarter Mobilitätsangebote, ein Digital Divide oder Aspekte der Nicht-Nachhaltigkeit der staatlich hochgeförderten elektrischen Antriebe geben jedoch zentralen Anlass einer Problematisierung des vermeintlich Unproblematischen. Bild 3: Elektromobilität als Motor für eine multimodale Mobilität? © pixabay 65 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES FORSCHUNG + WISSENSCHAFT Mobilität Nicht zuletzt führt die Glorifizierung von Multimodalität zur Unterdrückung anderer Optionen. So wird beispielsweise ein Denken in Lebenszyklen städtischer Infrastrukturen kaum besprochen: Die Kategorie der „Straße als Transit- und Abstellraum für Autos“ etwa wird auch in multimodalen Verkehrssystemen wie selbstverständlich von Stadt- und Verkehrsplanung sowie im Mobilitätsalltag der Menschen reproduziert. Dabei folgt auch sie keinem Naturgesetz und könnte vielerorts anderen nachgefragten Flächennutzungen weichen. Der renommierte Geograph Gerhard Hard problematisierte diesen Sachd verhalt 1979 als „herrschende Zeitgeist-Fraktion“: „Der Zeitgeist, ein etwas undurchsichtiger Ausdruck für die herrschenden Ideen, [ … ] sorgt für den ontologischen Konsens - und zwar so, dass die Verhältnisse, wie sie gerade sind, schließlich so aussehen, als seien sie die Seinsstruktur“ [23]. Mit Blick auf die prominente Auseinandersetzung mit Multimodalität als Alternative zum Auto bedeutet dies einfach ausgedrückt: Es gibt nur eine einzige Zukunftsoption. Oder: Dem Auto folgt Multimodalität! LITERATUR [1] Knie, A.: Die Interpretation des Autos als Rennreiselimousine: Genese, Bedeutungsprägung, Fixierungen und verkehrspolitische Konsequenzen. In: Dienel, H.-L. und H. Trischler (Hrsg.): Geschichte der Zukunft des Verkehrs. Verkehrskonzepte von der frühen Neuzeit des Verkehrs bis ins 21. Jahrhundert. Frankfurt a.M., S. 243-259. [2] Kraftfahrt-Bundesamt (2015): Bestand in den Jahren 1960 bis 2015 nach Fahrzeugklassen. http: / / w w w.k ba .de / D E / St atis tik / Fahr zeuge / B e s t and/ FahrzeugklassenAufbauarten/ b_fzkl_zeitreihe.html (Zugriff am 01.12.2015). [3] Sommer, C.; Mucha, E. (2014): Integrierte multimodale Mobilitätsdienstleistungen. In: Proff, H. (Hrsg.): Radikale Innovationen in der Mobilität. Wiesbaden, S. 499-514. [4] Lanzendorf, M.; Busch-Geertsema, A. (2014): The cycling boom in large German cities - Empirical evidence for successful cycling campaigns. In: Transport Policy 36, S. 26-33. [5] Kuhnimhof, T.; Buehler, R.; Wirtz, M.; Kalinowska, D. (2012): Travel trends among young adults in Germany: increasing multimodality and declining car use for men. In: Journal of Transport Geography 24, S. 443-450. [6] Bratzel, S. (2014): Die junge Generation und das Automobil - Neue Kundenanforderungen an das Auto der Zukunft? In: Ebel, B.; Hofer, M.B. (Hrsg.): Automotive Management. Berlin, Heidelberg, S. 93-108. [7] Beckmann, K.J.; Chlond, B.; Kuhnimhof, T.; Ruhren, S. von der; Zumkeller, D. (2006): Multimodale Verkehrsmittelnutzer im Alltagsverkehr. Zukunftsperspektive für den ÖV? In: Internationales Verkehrswesen 4/ 2006, S. 58. [8] Beutler, F. (2004): Intermodalität, Multimodalität und Urbanibility - Vision für einen nachhaltigen Stadtverkehr. Berlin. [9] Nobis, C. (2007): Multimodality: Facets and Causes of Sustainable Mobility Behavior. In: Transportation Research Record 2010, 1, S. 35-44. [10] Diana, M.; Mokhtarian, P.L. (2009): Desire to change one’s multimodality and its relationship to the use of different transport means. In: Transportation Research Part F: Traffic Psychology and Behaviour 12, 2, S. 107-119. [11] Heinen, E.; Chatterjee, K. (2015): The same mode again? An exploration of mode choice variability in Great Britain using the National Travel Survey. In: Transportation Research Part A: Policy and Practice 78, S. 266-282. [12] Buehler, R. und Hamre A. (2014): The multimodal majority? Driving, walking, cycling, and public transportation use among American adults. Transportation. [13] Zillien, N.; Haufs-Brusberg, M. (2014): Wissenskluft und Digital Divide. Baden-Baden. [14] Ludwig, Chr. (2012): Vernetzungspotenziale von Mobilitätsdienstleistungen. Hamburg. [15] Manderscheid, K. (2013): Nachhaltig, beschleunigt oder abgehängt? Urbane Mobilitäts- und Lebensstile der Zukunft. In: dérive - Zeitschrift für Stadtforschung, 4, S. 16-21. [16] Kopp, J.; Gerike, R.; Axhausen, K.W. (2015): Do sharing people behave differently? An empirical evaluation of the distinctive mobility patterns of free-floating car-sharing members. In: Transportation 42, 3, S. 449-469. [17] civity Management Consultants GmbH & Co. KG (2014): Urbane Mobilität im Umbruch? Verkehrliche und ökonomische Bedeutung des Free-Floating-Carsharing. Hamburg. [18] Bundesregierung (2009): Nationaler Entwicklungsplan Elektromobilität der Bundesregierung. Berlin. [19] Öko-Institut e.V. (2011): Ressourceneffizienz und ressourcenpolitische Aspekte des Systems Elektromobilität. Berlin. [20] Agentur für Erneuerbare Energien (Hrsg.) (2014): Energiewende im Verkehr. Potentiale für erneuerbare Energie. Berlin. [21] Groth, S. (2015): Auf dem Weg zu einer postfossilen Mobilität? Ein fiktives Streitgespräch. In: Internationales Verkehrswesen (67) 3. S.104. [22] Umweltbundesamt (2015): Feinstaub. http: / / www. umweltbundesamt.de/ themen/ luft/ luftschadstoffe/ feinstaub (Zugriff am 01.07.2015). [23] Hard, G. (1979): Die Disziplin der Weißwäscher - Über Genese und Funktion des Opportunismus in der Geographie. In: Sedlacek, P. (Hrsg.): Zur Situation der deutschen Geographie zehn Jahre nach Kiel. Osnabrücker Studien zur Geographie. Band 2. Osnabrück, S. 11-44. Sören Groth, M.Sc. Arbeitsgruppe Mobilitätsforschung am Institut für Humangeographie der Goethe-Universität Frankfurt am Main Kontakt: soeren.groth@geo.uni-frankfurt.de AUTOR 66 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES FORSCHUNG + WISSENSCHAFT Energie Im Jahr 2010 präsentierte die Bundesregierung ihr neu ausgearbeitetes Energiekonzept und legte damit verbindliche Ziele für die Energiewende fest. Bis zum Jahr 2020 ist vorgesehen, die Treibhausgasemissionen im Vergleich zum Basisjahr 1990 um 40 % zu senken. Des Weiteren sollen 20 % der Primärenergie eingespart und 18 % des Bruttoenergieverbrauchs aus erneuerbaren Energiequellen bereitgestellt werden [1]. Über die Hälfte der Endenergie wird im Wärmesektor benötigt Die heute viel zitierte Energiewende umfasst die Sektoren Strom, Wärme und Kraftstoffe. Allerdings fokussieren sich Medienberichterstattungen und politische Diskussionen über die Energiewende oftmals ausschließlich auf die Erzeugung und den Verbrauch von Elektrizität. Die Realität zeigt jedoch, dass in Deutschland über die Hälfte der Endenergie im Wärmebereich benötigt wird. In Fachkreisen wird deshalb immer häufiger die Notwendigkeit einer „Wärmewende“ hervorgehoben. In der Roadmap Wärmewende wurde untersucht, welche Wärmetechnologie die volkswirtschaftlich effizienteste ist, um die größte Treibhausgaseinsparung zu erzielen [2]. Im Ergebnis nimmt die Powerto-Heat-Technologie eine herausragende Stellung ein. Dies beinhaltet, dass eine Wärmeerzeugung insbesondere bei einem Stromüberangebot erfolgen sollte. Wärmepumpen können hierbei eine zentrale Seewassernutzung zu Heiz- und Kühlzwecken Ungenutzte Potentiale und Hemmnisse einer sinnvollen Nutzung Wärmepumpe, Potentiale, Heizen, Kühlen, Seewasser Benno Rothstein, Henriette Kammer, Gerald Steil Die Seewassernutzung weist ein beachtliches Potential für Kühl- und Heizzwecke auf. Bereits seit längerem eingesetzte seewasserbetriebene Wärmepumpen in der Schweiz beweisen fortwährend ihre Praxistauglichkeit. In Deutschland wird diese Technik jedoch bislang kaum genutzt. Mit Hilfe eines interdisziplinären geowissenschaftlichen Ansatzes werden derzeit das bestehende Potential in Deutschland quantifiziert und dessen Nutzungshemmnisse identifiziert, um in einem weiteren Schritt Handlungsoptionen für einen verstärkten Einsatz dieser Technologie zu erarbeiten. Rolle einnehmen, so dass sie inzwischen sogar als Schlüsseltechnologie zur Realisierung der Energiewende angesehen werden. Das Prinzip der Wärmepumpe Das Funktionsprinzip der Wärmepumpe ist mit dem eines Kühlschranks vergleichbar. Der Hauptunterschied besteht darin, dass dem Kühlschrankinneren Wärme entzogen und an die Umwelt abgegeben wird, während die Wärmepumpe der Umwelt Wärme entnimmt, diese auf ein höheres Temperaturniveau bringt („pumpt“) und anschließend an ein Heizungssystem abgibt. Dort wird die Wärme dann (evtl. nach Zwischenspeicherung) von den Wärmeverbrauchern genutzt. Der in der Praxis am häufigsten anzutreffende - und daher hier etwas näher beschriebene - Maschinentyp ist die Kompressionswärmepumpe. Diese besteht im Wesentlichen aus einem Kältemittelkreislauf, einem Verdichter, einem Verdampfer, einem Verflüssiger (Kondensator) und einem Expansionsventil (Drossel) [3]. Im ersten Schritt wird die Umweltwärme am Verdampfer auf das Kältemittel übertragen, das die Eigenschaft hat, bei niedrigen Temperaturen zu sieden. Das dampfförmig gewordene Kältemittel wird im zweiten Schritt verdichtet. Durch diese Druckerhöhung wird gleichzeitig ein Temperaturanstieg erreicht. Das erwärmte Kältemittel gelangt daraufhin zum Verflüssiger, der die (um die für die Verdichtung erforderliche Energie 67 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES FORSCHUNG + WISSENSCHAFT Energie In Deutschland werden bislang hauptsächlich die natürlichen Wärmequellen Luft, Erdreich oder Grundwasser genutzt. Luftwärmepumpen weisen den Vorteil auf, dass sie in der Anschaffung günstig sind und ohne großen Aufwand installiert werden können. Allerdings ist die Außentemperatur im Winter, wenn also die Wärme am meisten benötigt wird, ebenfalls recht gering. Dies zeigt sich an der Jahresarbeitszahl, die die Effizienz der Anlage beschreibt. Grundwasserwärmepumpen können dagegen eher größere Jahresarbeitszahlen erreichen, da ein konstantes und hohes Temperaturniveau im Jahresverlauf zur Verfügung steht und die Wärmekapazität von Wasser ausgesprochen hoch ist. Jedoch ist die Grundwassererschließung aufwändig und teuer. Zudem wird eine wasserrechtliche Erlaubnis benötigt, mit entsprechend hohem bürokratischem Aufwand. Für die Erschließung von Erdwärme bestehen im Wesentlichen zwei technische Möglichkeiten: Entweder kann oberflächennah - durch das Auslegen von Kollektoren - die Wärme aufgenommen werden oder aber durch Erdwärmesonden, die mittels Bohrungen in das Erdreich eingebracht werden. Auch hier sind äußerst umfangreiche Baumaßnahmen und behördliche Genehmigungen notwendig. Eine besondere Art des Wärmepumpeneinsatzes stellt die Abwärmenutzung aus der Industrie oder dem Siedlungsabwasser dar. Diese Variante sollte stets, wenn realisierbar, ebenso in Betracht gezogen werden. vermehrte) Wärme auf ein Heizungssystem überträgt. Durch ein Expansionsventil wird der immer noch hohe Druck des flüssigen Kältemittels abgesenkt, es beginnt zu verdampfen. Nun kann es im Verdampfer erneut Umweltwärme aufnehmen. Je geringer die Temperaturdifferenz zwischen Quelltemperatur (Umwelt) und Wärmesenke (Wärmeverbraucher) ist, umso effizienter arbeitet die Wärmepumpe. Als Faustzahl gilt: Mit 1 kWh elektrischer Energie können 3 kWh Umweltwärme nutzbar gemacht werden. Insgesamt stehen dann dem Heizungssystem 4 kWh Wärme zur Verfügung [4]. Ob eine Wärmepumpe kühlt oder heizt, ist somit im einfachsten Fall allein von der Kreislaufrichtung des Kältemittels, bei komplexeren Anlagen von der Kreislaufrichtung des Heizmediums (meist Wasser) abhängig. Kombianlagen können sowohl zu Heizzwecken im Winter als auch zur Kühlung im Sommer genutzt werden [5]. Die Nutzungsarten der Wärmepumpe Im Jahre 1936 ging weltweit erstmals eine größere Wärmepumpe in Zürich in Betrieb, die das Flusswasser der Limmat als Wärmequelle nutzbar machte. Erst ab den 1960er Jahren wurde die Wärmepumpe schließlich auch in Deutschland eingesetzt. Seitdem wurde die Technologie ständig weiter entwickelt, so dass die Wärmepumpe heute als umweltfreundliches Energiesystem standardmäßig verwendet wird. Bodensee. © pixabay.com 68 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES FORSCHUNG + WISSENSCHAFT Energie Seewasserbetriebene Wärmepumpen Ein bis dato in Deutschland nahezu unerschlossenes Potential liegt in der Wärmequelle Seewasser. Der Vorteil der Seewassernutzung besteht darin, dass das Wasser im Jahresverlauf eine relativ konstante Temperatur aufweist. Diese sinkt aufgrund der Dichteanomalie des Wassers nicht unter 4 °C. Großen Seen können zudem erhebliche Energiemengen entzogen werden, so dass die Möglichkeit bestünde, ganze Energieverbünde zu versorgen. Dass diese Technologie funktionsfähig und einsatzbereit ist, wird an zahlreichen Beispielen aus der Schweiz ersichtlich (siehe Hintergrund). Nicht nur in der Schweiz - auch in Deutschland stehen große Seen prinzipiell zur thermischen Nutzung zur Verfügung; so etwa der Bodensee, der Chiemsee und die Müritz. An diesen Seen ist die Tourismusinfrastruktur stark ausgeprägt, die wiederum einen ganzjährig hohen Wärme- und Kältebedarf aufweist. Hotels, Restaurants, Schwimmbäder oder Einkaufszentren liegen meist in unmittelbarer Ufernähe. Trotz des großen Potentials wird die Umweltwärmequelle Seewasser bislang kaum genutzt. Untersuchung möglicher Umweltauswirkungen Ob und in welcher Weise die thermische Seewassernutzung Auswirkungen auf den Wärmehaushalt hat, wurde im Jahr 2014 von Wissenschaftlern der Eawag, einem Schweizer Institut für Wasser- und Gewässerforschung, am Beispiel des Bodensees dargestellt [8]. In einem Modell wurden realistische Bedarfsszenarien angenommen, die sich zum einen auf die Wasserentnahme- und Rückgabetiefe beziehen und zum anderen auf die jahreszeitliche Nutzung der Kühlungsbzw. Wärmeentzugsmengen. Die Simulation zeigt, dass sich die Oberflächentemperatur im See um nicht mehr als ±0,2 °C ändert, wenn Wasser für Heizzwecke entnommen wird (bei einer Wärmeentzugsleistung von ±1 GW). Bei einer zusätzlichen Nutzung des Seewassers im Sommer zu Kühlzwecken wird lediglich eine Temperaturschwankung von ±0,1 °C verursacht, da sich hierdurch die Auswirkungen der winterlichen Wärmeentnahme zum Teil kompensieren lassen. Die angenommene zusätzlich für Heizzwecke abgeführte Wärmeleistung von 1 GW beträgt gemäß [8] lediglich ca. 0,5 % der natürlichen Wärmeflüsse im See (zugeführte bzw. abgeführte Leistung von jeweils rund 203 GW). Daher sind keine bedeutsamen Auswirkungen auf das Ökosystem zu erwarten. Zusätzlich wurde ein Szenario mit einer vom Weltklimarat der Vereinten Nationen IPCC projizierten (Szenario A1B) möglichen Wärmebelastung durch den Klimawandel modelliert und die notwendige Wärmeentzugsleistung für eine Kompensation durch Wärmepumpen beziffert. Das Ergebnis: Rund 14 GW Wärmeentzugsleistung müssten bis zum Jahr 2049 installiert werden, um die Klimaerwärmung auszugleichen. Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts ist unter den gewählten Randbedingungen eine Wärmebelastung sogar bis auf 40 GW möglich. Hemmnisse der thermischen Seewassernutzung in Deutschland Die Umweltwärmequelle Seewasser wird in Deutschland bislang kaum genutzt, obwohl das Wasser von Binnenseen gewichtige Vorteile gegenüber anderen Wärmequellen aufweist und die Technik in der Schweiz seit vielen Jahren erfolgreich angewendet wird. Im Rahmen eines aktuellen Forschungsprojektes an der Hochschule Konstanz werden Hemmnisse in Deutschland gegenüber der thermischen Seewassernutzung ermittelt. Darüber hinaus wird das natürliche Potential an deutschen Seen sowie der Kälte- und Wärmebedarf der angrenzenden Siedlungs-, Industrie- und Gewerbeflächen quantifiziert. Beispielfall 1: Seewasserwärme in St. Moritz Die Wärmepumpe am St. Moritzersee wurde im Jahr 2006 in Betrieb genommen und deckt den Wärmebedarf des Badrutt´s Palace Hotels zu 80 % sowie den des Schulhauses Grevas zu 70 %. Die Besonderheit der Anlage besteht darin, dass sogar am St. Moritzersee (der sich auf 1750 m ü. M. befindet und daher im Winter immer zugefroren ist) mit einer Wassertemperatur von 4 °C ausreichend Wärme verfügbar ist, um eine Wärmepumpe zu betreiben. Das Seewasser wird in 50 m Uferentfernung in einer Tiefe von 10 m entnommen, über den Verdampfer geleitet und anschließend in einer Distanz von 300 m zum Ufer und 35 m Wassertiefe zurückgegeben. Dabei wird das Wasser lediglich etwas kühler, bleibt jedoch ansonsten unverändert. Mit insgesamt rund 4700 MWh im Jahr werden durch die Seewasserwärmepumpe in St. Moritz etwa 470 000 l Heizöl und hierdurch rund 1200 t CO 2 -Emissionen eingespart [6]. Beispielfall 2: Wärmeverbünde Zürichsee Die Energieverbünde „Escherwiese“, „Fraumünster“ und „Falkenstraße“ am Zürichsee versorgen rund 22 Kunden. Zu ihnen zählen unter anderem das Kongresshaus, das Park Hyatt Hotel, das Hochhaus zur Palme, das Fraumünster und die Neue Zürcher Zeitung. Die Wärmepumpen der Baujahre 2004, 2007 und 2008 verfügen insgesamt über 3,8 MW Heizleistung. Zusätzlich erfolgt durch Freecooling eine Stromeinsparung. Dies bedeutet, dass das kalte Wasser direkt an die Kältenutzer abgegeben wird und nicht über die Wärmepumpe laufen muss. Insgesamt können durch die Energieverbünde 442 900 l Heizöl jährlich eingespart werden, was einer Reduktion von 1115 t CO 2 entspricht [7]. HINTERGRUND 69 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES FORSCHUNG + WISSENSCHAFT Energie Ergebnisse einer Umfrage unter den Ausstellern der GeoTHERM 2015 - Europas größter Geothermiemesse - bestätigen, dass die thermische Nutzung von Seewasser in Deutschland bislang kaum eingesetzt wird. Um die Hemmnisse der Verwendung und Lösungsansätze zum stärkeren Einsatz seewasserbetriebener Wärmepumpen genauer zu identifizieren, wurden - basierend auf einem halbstrukturierten Interviewleitfaden - nach dem Schneeballprinzip insgesamt 15 ausgewählte Experten (aus den Bereichen Wissenschaft, Genehmigungsbehörden, Planer & Betreiber, Hersteller von Wärmepumpen und Kollektoren) in Deutschland und der Schweiz in einem qualitativen Interview befragt (Tabelle 1). Wichtig ist hierbei nicht die Häufigkeit der Nennung, sondern eine möglichst umfassende Sammlung sämtlicher Faktoren. Eine GIS-basierte Wärme- und Kältebedarfsanalyse an Seen in Deutschland (>50 ha) belegt eine räumliche Übereinstimmung von Siedlungsflächen an Seeufern (Tabelle 2; Bild 1 und Bild 2). So lassen sich in einem Umkreis von 1000 m um alle Seen (>50 ha) insgesamt 1184,5 km² Siedlungs-, Industrie- und Gewerbegebietsflächen in Deutschland finden. Dies entspricht einem Anteil von 4,43 % der oben genannten Flächen in Gesamtdeutschland. In einem nächsten Schritt gilt es nun, den Gebäudebestand und damit den Energieverbrauch der jeweiligen Siedlungsflächen zu berechnen. Hierdurch können anschließend die konkreten Einsatzmöglichkeiten seewasserbetriebener Wärmepumpen in Deutschland quantifiziert werden. Bereits jetzt ist jedoch klar, dass die vielfältigen Möglichkeiten seewasserbetriebener Wärmepumpen bei weitem noch nicht in Deutschland ausgenutzt werden. Wasserrechtliches Erlaubnisverfahren Wirtschaftlichkeit Technologie Sonstige − Keine einheitliche Regelung − Unterschiedliche Auslegung von Landesgesetzen − Fehlende Ansprechpartner − Kosten und Dauer − Vorprüfung: Einspruchsmöglichkeit anderer Interessengruppen − Vorschriften (Ausgleichsmaßnahmen, Nachweise und Prüfungen) − Schutzgebiete − Hohe Investitionen − Fehlende Investoren − Wirtschaftliches Risiko: • Gibt es genügend Kunden? • Wird die wasserrechtliche Erlaubnis verlängert? − Teure Bohrung/ Leitung − Wasserentnahmeentgelt − Hoher Strompreis − Fossile Energien günstig − Wasserqualität (Muscheln, Algen, ...) − Wassertemperatur < 4 °C (Vereisung des Wärmetauschers) − Verlegung und Befestigung der Leitung/ des Kollektors − Eigenschaften der Wärmepumpe (Effizienz bei niedriger Vorlauftemperatur) − Neue Technologie ist nicht im Bewusstsein von Betreibern, Planern und Behörden (Es liegen kaum Anträge vor.) − Fehlende Zugänglichkeit, fehlende Voraussetzungen (zu wenig Wärmenutzer in Seenähe) − Fehlende wissenschaftliche Untersuchungen − Alternativen: • Erdwärme • Luft • Grundwasser Tabelle 1: Mögliche Hemmnisse bei der Verwendung seewasserbetriebener Wärmepumpen. Quelle: Eigene Daten nach Experteninterviews (15 ausgewählte Experten aus Deutschland und der Schweiz aus den Bereichen Wissenschaft, Genehmigungsbehörden, Planer & Betreiber, Hersteller von Wärmepumpen & Kollektoren). Bild 1: Beispielhafte Darstellung einer Uferentfernung (Pufferzone) von 200, 600 und 1000 m am westlichen Bodensee. Quelle: eigene Darstellung Bild 2: Siedlungsfläche in Pufferzone (blau); Industrie- und Gewerbegebiete in Pufferzone (grün) Quelle: eigene Darstellung Handlungsempfehlungen Befinden sich Wärme- und Kälteverbraucher an einem See, wird zunächst ein Initiator benötigt, der die Seewassernutzung in Betracht zieht, prüft und anschließend die Technologie in der öffentlichen Wahrnehmung stärkt. Zielführend ist es, wenn hierbei die Gemeinden selbst die Initiative ergreifen. Um die Wirtschaftlichkeit sicherzustellen und den Eingriff in die Seeökologie durch die Bohrung gering zu halten, bietet sich ein Zusammenschluss der verschiedenen Wärme- und Kälteabnehmer an. Für die Umsetzung eines Energieverbundes werden nun Investoren benötigt. Als Finanzierungsmodell ist 70 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES FORSCHUNG + WISSENSCHAFT Energie dabei das Energie-Contracting oftmals vorteilhaft. Erfahrungen zeigen, dass zu Beginn einer Planung sehr zügig die verantwortliche Verwaltung (i.d.R. die jeweilige Untere Wasserbehörde) mit einbezogen werden sollte. Häufig kann dann im Voraus schon abgeklärt werden, ob die Seewassernutzung prinzipiell erlaubnisfähig ist und welche Anforderungen an die Anlage gestellt werden (z.B. Berechnungen, ob das Seewasser über eine ausreichende Wärmekapazität verfügt). Für die konkrete weitere Planung können Exkursionen zu bestehenden Anlagen - beispielsweise in der Schweiz - durchgeführt werden, um von den dortigen Erfahrungen zu profitieren. Letztlich kann somit die thermische Seewassernutzung als schlummernder Energie-Riese oftmals in jeglicher Hinsicht vorteilhaft eingesetzt werden. LITERATUR [1] Bundesregierung (2010): Energiekonzept für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung. in: http: / / www.bundes regierung.de/ Content Archiv/ DE / Archiv17/ _ A nla gen/ 2012/ 02/ energiekonzept-final.pdf; jsessionid= 8A81BDCE367D7141D0CE AD6AE AC28981.s3t2? _ _ blob=publicationFile&v=5 (02.12.2015). [2] Rohrig, K. (2015): Interaktion EE - Strom, Wärme und Verkehr. Stakeholder-Workshop: Teil 1.Wärmemarkt in Berlin am 04. Mai 2015. in: http: / / w w w.energies ystemtechnik.iwes.fraunhofer.de/ content/ dam/ iwes-neu/ energiesystemtechnik/ de/ Dokumente/ work shops/ 2015 _ 05 _ 01%20 -%20Ab schlussworkshop_Waerme_1-Einf%C3%BChrung. pdf (02.12.2015) [3] Meyer, G.; Schiffner, E. (1989): Technische Thermodynamik. 4. Auflage. VEB Fachbuchverlag, Leipzig. [4] Miara, M.; Bongs, C.; Günther, D.; Helmling, S.; Kramer, T.; Oltersorf, T.; Wapler, J. (2013): Wärmepumpen. Heizen - Kühlen - Umweltenergie nutzen. Hrsg.: FIZ Karlsruhe, BINE Informationsdienst Bonn. Fraunhofer IRB. Stuttgart. [5] Krone, U. (o. J.): Wenn die Heizungsanlage auch die Kühlung übernimmt. in: http: / / www.baunetzwis sen.de/ standardartikel/ Gebaeudetechnik-Wenndann Anzahl Seen korrespondierende Siedlungsfläche [km²] Anzahl Seen korrespondierende Industrie- und Gewerbefläche [km²] ∑ [km²] prozentualer Anteil an der gesamten Siedlungs-, Industrie- und Gewerbefläche in Deutschland wenn maximale Distanz zum Seeufer 200 m 498 173,6 115 20,3 193,9 0,73 % 600 m 737 572,8 198 80,0 652,8 2,44 % 1000 m 867 1025,7 267 158,8 1184,5 4,43 % Tabelle 2: Anzahl der potentiell nutzbaren Seen in Deutschland bei unterschiedlichen Distanzen zum jeweiligen Ufer und korrespondierende Siedlungsbzw. Industrie- und Gewerbefläche. Quelle: eigene Berechnung nach Daten von CORINE 2006 Anmerkung: Bei der Anzahl der Seen gibt es bzgl. der korrespondierenden Siedlungsflächen bzw. Industrie- und Gewerbeflächen Doppelungen. Daher ist eine Addition nicht möglich. die - Heizung s anlage auch die - Kuehlungueber nimmt_2532375.html (14.12.2015) [6] ewz (2015): Badrutt ’s Palace Hotel und Schulhaus Grevas, St. Moritz. Wärme aus dem kalten See. in: https: / / w w w.ewz.ch/ content/ dam/ ewz / ser vices/ dokumentencenter/ heizen-und-kuehlen/ dokumente/ ewz-edl-success-story-badrutts.pdf (02.12.2015) [7] ewz (2014): Energieverbunde im Züricher Seebecken - Klimaschonend heizen und kühlen. Energiedienstleistungen. Zürich. [8] Fink, G.; Schmid, M.; Wüest, A. (2014), Large lakes as sources and sinks of anthropogenic heat: Capacities and limits, Water Resour. Res., 50, 7285-7301, doi: 10.1002/ 2014WR015509. Prof. Dr. habil. Benno Rothstein Geowissenschaftliches Ressourcenmanagement, Hochschule Konstanz Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG), Konstanz Kontakt: rothstein@htwg-konstanz.de Henriette Kammer, M.A. Geowissenschaftliches Ressourcenmanagement, Hochschule Konstanz Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG), Konstanz Kontakt: henriette.kammer@htwg-konstanz.de Prof. Dr.-Ing. Gerald Steil Professur Maschinenbau und Verfahrenstechnik, Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg, Studiengang Erneuerbare Energien, Rottenburg a.N. Kontakt: steil@hs-rottenburg.de AUTOREN 71 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Sicherheit Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat am 14. Januar 2016 die Förderrichtlinien „Zukünftige Sicherheit in Urbanen Räumen“ im Rahmen des Programms „Forschung für die zivile Sicherheit“ veröffentlicht. In Deutschland und Frankreich zeichnen sich Städte und Ballungsräume nicht nur durch eine besonders hohe Einwohnerdichte aus, sie sind auch kulturelle und wirtschaftliche Zentren. Sich stetig wandelnde Bevölkerungsstrukturen und der technische Fortschritt können zukünftig Chancen eröffnen, die Lebensqualität und Sicherheit der Einwohner in urbanen Räumen zu erhöhen. Das Bundesforschungsministerium fördert daher in Zusammenarbeit mit der französischen nationalen Forschungsagentur ANR Projekte, die einen Beitrag dazu leisten, Sicherheit und Freiheit in urbanen Räumen auch zukünftig zu gewährleisten. Zu fördernde Projekte sollen vor allem die Sicherheit in sich wandelnden Stadtquartieren, den Schutz von Bürgerinnen und Bürgern in öffentlich zugänglichen Räumen, die Aufrechterhaltung von Mobilität und den Schutz der Bevölkerung bei einem Ausfall kritischer Infrastrukturen verbessern. In den Projekten sollen Experten aus Forschung, Wissenschaft und Industrie sowie Anwender zusammen an innovativen Lösungen forschen, die ein hohes praktisches Anwendungs- und Umsetzungspotenzial aufweisen. Die Förderrichtlinien adressieren in erster Linie Akteure, die gemeinsam mit Partnern aus Frankreich in deutsch-französischen Projekten forschen möchten. Darüber hinaus stehen Mittel für besonders herausragende Projekte mit ausschließlich deutschen Partnern zur Verfügung. Deutschland und Frankreich wollen mit ihrer bilateralen Kooperation in der zivilen Sicherheitsforschung die zukünftige nationale Sicherheit stärken und einen Beitrag zur europäischen Sicherheitsarchitektur leisten. Nähere Informationen unter: h t t p s : / / w w w . b m b f . d e / foerderungen/ bekanntmachung. php? B=1125 Einreichungsfrist für Projektskizzen: Projektskizzen (Vorschläge) sind spätestens bis zum 25. April 2016 über das Internet-Portal https: / / w w w.projek tpor t al vdit z .de / bekanntmachung / Zukuenf tige SicherheitinUrbanenRaeumen und in schriftlicher Form auf dem Postweg beim Projektträger VDI Technologiezentrum GmbH einzureichen. Zudem ist es für deutschfranzösische Projektvorschläge zwingend erforderlich, dass eine identische Fassung der Projektskizze in Frankreich bei der ANR nach Maßgabe der dortigen Förderrichtlinien bis zum gleichen Stichtag um 13: 00 Uhr eingereicht wird. Die Förderrichtlinien der ANR können abgerufen werden unter: http: / / anr.fr/ GOfnq Aktuelle Förderrichtlinien des BMBF: Zukünftige Sicherheit in Urbanen Räumen © pixabay.com Dr. Steffen Muhle Projektträger des BMBF - Programm „Forschung für die zivile Sicherheit“, VDI Technologiezentrum GmbH, Tel.: +49 211 6214-375, E-Mail: muhle@vdi.de ANSPRECHPARTNER 72 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Lehre Campus der Frankfurt University of Applied Sciences © Frankfurt UAS Es bedarf tragfähiger Konzepte, um die Städte der Zukunft lebenswerter und grüner zu machen und sie weiter zu vernetzen. Nicht nur im Forschungs-Portfolio des Fachbereichs Architektur • Bauingenieurwesen • Geomatik der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) ist das Thema „zukunftsfähig Planen und Bauen“ fest verankert, sondern auch in der Lehre. In zukunftsweisenden, praxisorientierten Studiengängen werden junge Leute ausgebildet, um die Städte von morgen zu bauen. Während ihres Bachelor- Studiums erhalten die Studierenden eine breit angelegte, grundständige Ausbildung. In den Master-Studiengängen erweitern sie ihr Wissen um eine differenzierte fachliche Spezialisierung mit hohem Praxisbezug. „Bei der Entwicklung unserer Studiengänge achten wir auf das Feedback aus Wirtschaft und Verwaltung. Wir bieten ein Studium an, das solides Grundlagenwissen vermittelt, aber eben auch die Inhalte, die der Markt erwartet. Dadurch haben unsere Absolventinnen und Absolventen beste Chancen auf dem Arbeitsmarkt“, betont die Dekanin des Fachbereichs, Prof. Dr. Martina Klärle. Die Studiengänge im Bereich Planen und Bauen haben über 100 Jahre Tradition. Im Jahr 1908 wurde die Königliche Baugewerkschule gegründet. Daraus entstand 1931 die Staatsbauschule. 40 Jahre später ging unter anderem aus ihr die Fachhochschule Frankfurt, die heutige Frankfurt University of Applied Sciences, hervor. Heute bildet der Fachbereich über 2500 junge Frauen und Männer in vier Bachelor- und acht Master-Studiengängen aus. Nachhaltiges Planen und Bauen Fatina Toukan, die ihren Bachelor in Architektur gemacht hat, suchte ein Aufbaustudium, das einen nachhaltigen Blick auf Architektur vermittelt. Sie entschied sich für den Master-Studiengang „Zukunftssicher Bauen“, der sich mit zukunftsfähigen Konzepten für ökonomisch und ökologisch nachhaltige Infrastrukturen und Bauprozesse beschäftigt und im Rahmen der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung 2005 - 2014“ ausgezeichnet wurde: „Das Thema Energiesparen ist nicht nur den Bereichen Technik und Industrie vorbehalten. Man kann sehr viel durch eine gut geplante Architektur erreichen.“ Im Studium lernt Toukan, wie man ressourcenoptimiert mit natürlichen Baumaterialien oder Recycling-Baustoffen baut, welche energiesparenden Gebäudetechnikkomponenten dabei helfen, ein Objekt nachhaltig zu betreiben, und welche baulichen Konzepte Lösungsansätze für die Abmilderung der Konsequenzen des demografischen Wandels sowie die Förderung von Gesundheitsschutz, Mobilität oder interkulturellem Austausch bieten. „Mich reizt besonders, dass mich das Studium befähigt, intelligente Projekte zu entwickeln, die nicht nur regional funktionieren, sondern auch in anderen Regionen oder Klimazonen.“ Studieren für die Städte der Zukunft Fachbereich Architektur • Bauingenieurwesen • Geomatik der Frankfurt UAS bildet Fachkräfte aus, die Städte von morgen planen, bauen und strukturieren Die zunehmende Urbanisierung der Welt hängt eng zusammen mit dem globalen Bevölkerungswachstum. Über die Hälfte der Weltbevölkerung lebt heute in Städten, die treibende Kraft für Innovation sind. Die zentrale Frage: Wie wollen wir in Zukunft leben? 73 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Lehre Wachsende Metropolen der Welt zukunftsfähig entwickeln Noch mehr Fokussierung auf Stadtentwicklung und Stadtplanung - vor allem in Ballungsräumen - und mit internationaler Perspektive bietet der Master- Studiengang „Urban Agglomerations“. „In Zukunft werden großräumige Stadtregionen an Bedeutung gewinnen, das Leben bleibt nicht mehr nur auf eine Stadt beschränkt“, so Studiengangsleiter Prof. Dr. Michael Peterek. „Wir werden an einem Ort wohnen, an einem anderen arbeiten und an einem dritten unsere Freizeit verbringen. Der Studiengang qualifiziert dazu, in Stadtregionen interdisziplinär zu planen, zum Beispiel bei Arbeitgebern wie Regionalverbänden, großen Kommunen oder Entwicklungsgesellschaften.“ Zulassungsvoraussetzung ist neben einem Bachelor-Abschluss auch ein Jahr Berufspraxis. „Der Studiengang wird vollständig in Englisch abgehalten, denn 90 % der Studierenden kommen aus der ganzen Welt an die Frankfurt UAS - etwa aus Indien, Iran, Syrien, dem Libanon oder aus Ländern Südamerikas.“ Im dritten Semester ist zudem ein Aufenthalt an einer Partnerhochschule in Australien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Mexiko, Polen, Schweden, Thailand, der Türkei oder Großbritannien vorgesehen. Städte in Ballungsräumen planen Den Master-Studiengang „Umweltmanagement und Stadtplanung in Ballungsräumen“ führt die Frankfurt UAS in Kooperation mit den Hochschulen RheinMain und Geisenheim durch. Er setzt Schwerpunkte in den Bereichen Stadtplanung, Landschaftsarchitektur, Verkehr, Ressourcen und Energie sowie Wasserwirtschaft und ist in dieser Form deutschlandweit einmalig. Studierende kommen aus dem ganzen Bundesgebiet und aus unterschiedlichen Disziplinen. Absolventin Stefanie Stockmann, die als Fachreferentin Städtebau und Bauberatung beim Stadtplanungsamt Offenbach arbeitet, städtebauliche Konzepte prüft und zudem an der Frankfurt UAS lehrt, beschreibt ihre Wahl des Studiengangs so: „Mir war es wichtig, nach dem Architektur-Studium mein Know-how zu vertiefen. Der Studiengang bietet eine gute Ergänzung zur Praxis.“ Stockmann absolvierte den Studiengang parallel zu ihrer Tätigkeit: „Da gab es gute Synergieeffekte. Ich konnte das Erlernte oft direkt anwenden oder praktische Fragen aus dem Berufsalltag im Seminar stellen.“ Älterwerden in der Stadt In den Städten der Zukunft werden immer mehr ältere Menschen leben. Älterwerden in der Stadt wird zum zentralen Thema. Im Master-Studiengang „Barrierefreie Systeme“ werden Fachkräfte ausgebildet, die den Herausforderungen des demografischen Wandels innovative Konzepte und Ideen entgegensetzen, um so Menschen unabhängig von Alter und funktionaler Einschränkung ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben zu ermöglichen. Zwei weitere Fachbereiche arbeiten zu diesem Thema interdisziplinär zusammen: „Informatik und Ingenieurwissenschaften“ sowie „Soziale Arbeit und Gesundheit“. Studierende können daher aus drei Studienschwerpunkten wählen: Planen und Bauen, Intelligente Systeme und Case Management. Für Architekten, Innenarchitekten und Stadtplaner bietet der Studiengang eine Spezialisierung auf barrierefreies Planen und Bauen an. Prof. Dr.-Ing. Agnes Weilandt, Studiengangsleiterin Master-Studiengang „Zukunftssicher Bauen“ (M. Eng.) „Der Endenergieverbrauch wird in Deutschland zu mehr als 50 % durch den Gebäude- und Verkehrsbereich verursacht. Wie wir zukünftig leben und unsere Städte entwickeln, hat maßgeblichen Einfluss auf diese beiden Bereiche. Der Master-Studiengang „Zukunftssicher Bauen“ ermöglicht es den Studierenden nicht nur, neue Konzepte hinsichtlich des energie- und ressourcenschonenden Bauens und Sanierens zu entwickeln, sondern diese auch in Bezug auf weitere Kriterien der Nachhaltigkeit, der ökonomischen, sozialen und kulturellen Kriterien, zu bewerten. Immer häufiger spielt hierbei auch die Vernetzung der Gebäude und deren unterschiedliche Nutzung eine Rolle, also die Entwicklung hin zu Konzepten für gesamte Quartiere oder Städte.“ Prof. Dr.-Ing. Robert Seuß, Studiengangsleiter Master-Studiengang „Geoinformation und Kommunaltechnik“ (M. Eng.) „Parallel zum Wachstum der Städte findet die Digitalisierung der Gesellschaft statt. Die Geodätinnen und Geodäten liefern hierzu seit mehr als 30 Jahren digitale Geodaten, ohne die eine geordnete Entwicklung im Raum undenkbar ist. Sei es in der Planung (z. B. Bebauung, Energie, Breitband), in der Dokumentation (z. B. Eigentumsnachweis, Versorgungsleitungen, Straßen) oder in der Veränderung (z. B. Demografie, Klimaanpassung, Flüchtlinge) - das Managen des Raumes ist eine Grundlage für zielgerichtetes Handeln. Die Absolventinnen und Absolventen des Master-Studiengangs sind die Spezialisten für das kommunale Raummanagement.“ Bildquelle: L. Felle/ H. Keller Bildquelle: privat 74 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Lehre Städtebauliche, baukünstlerische und gebäudetechnologische Fähigkeiten werden vermittelt, um von der Wohnung bis zum städtischen und regionalen Lebensumfeld Lösungen für barrierefreie Raumsysteme zu entwickeln. Lebensader der Städte Wenn man die städtebauliche Planung als Herz der Städte der Zukunft ansieht, dann ist die Infrastrukturplanung ihre Lebensader. „Das Thema ist auf den ersten Blick nicht besonders sexy, aber die Beschäftigung mit Wasser- und Energieversorgung, Abwasserentsorgung und Mobilität ist elementar“, so Prof. Dr. Monika Horster, Studiengangsleiterin rr des Master-Studiengangs „Infrastrukturmanagement“. „In der Regel endet der Aufgabenbereich der Bauingenieurinnen und -ingenieure für errichtete Bauwerke mit der Inbetriebnahme. Doch auch für den effizienten Betrieb von Infrastrukturprojekten werden Fachkräfte gesucht. Das gemeinsame Studienangebot von Frankfurt UAS und Technischer Hochschule Mittelhessen in Gießen vermittelt Studierenden die technischen, betrieblichen und organisatorischen Aspekte von Infrastrukturmaßnahmen unter Berücksichtigung sozialer, ökologischer und ökonomischer Gesichtspunkt. Die Absolvent(inn)en sind Generalisten mit Fachwissen und Führungsqualitäten, um als Verantwortliche in Planung, Betrieb und Management tätig zu werden, etwa bei Projekten wie der Anpassung der Wasser- und Abwassernetze an klimatische und demografische Veränderungen. Der Studiengang steht Absolvent(inn)en des Bauingenieurwesens, der Geoinformation und Kommunaltechnik, der Raum- und Umweltplanung und artverwandten Studienrichtungen offen. Manager für den kommunalen Raum Um Städte für die Zukunft zu rüsten und weiterzuentwickeln, braucht man zunächst eine Datengrundlage, auf der die Planung erfolgen kann. Für die Bauwirtschaft sind Planungsdaten und historische Bauzustände relevant. Für das Verkehrsmanagement werden Navigations-, Verkehrsstrom- und Staudaten benötigt. Sie alle basieren auf Geoinformationen, die vor allem bei der Digitalisierung der Stadt eine wichtige Rolle spielen. Sie stecken in Navigationssystemen, Google Earth oder Smartphone- Apps. Man kann sie einsetzen, um den Betrieb der Stadt digitalisiert zu vereinfachen, zum Beispiel in Form von Sensoren an Mülleimern, die melden, wenn eine Leerung notwendig ist, oder von Drohnen, die die Stadt nach geschädigten Bäumen, Straßen- oder Dachschäden untersuchen. Diese Geoinformationen zu erheben, aufzubereiten und zur Verfügung zu stellen, ist Aufgabe der Absolvent(inn)en des Master-Studiengangs „Geoinformation und Kommunaltechnik“. Er bildet die Studierenden zu Führungskräften im kommunalen Raummanagement aus. „Wir liefern die Kompetenz, diese Daten miteinander in Beziehung zu setzen und räumlich zu kombinieren - und das für die kommunale Nutzung bei der Infrastruktur- und Stadtplanung und -entwicklung bis hin zu Fragestellungen der Mobilität“, erläutert Prof. Dr. Robert Seuß, der den Studiengang leitet. Das interdisziplinäre Studium vermittelt mit modernsten Technologien raumbezogene Fachkompetenzen an den Schnittstellen des Flächen-, Immobilien- und Geodatenmanagements. Damit erwerben die Studierenden fachliche Qualifikationen, die passgenau den Prof. Dr.-Ing. Michael Peterek, Studiengangsleiter „Urban Agglomerations“ (M. Sc.), Studiengangs-Koordinator Stadtplanung „Umweltmanagement u. Stadtplanung in Ballungsräumen“ (M. Eng.) Smart Cities in globaler Perspektive: In einem globalen Kontext betrachtet und vor dem Hintergrund der schnell wachsenden urbanen Agglomerationen, insbesondere in Asien und Afrika, nutzen „smarte“ Städte moderne Technologien für eine integrierte Stadtentwicklung, die gleichermaßen ökologische, ökonomische und soziale Ziele ins Auge fasst. Smarte Städte reduzieren ihren Energie- und Ressourcenverbrauch durch effiziente Vernetzung der städtischen Infrastrukturen und tragen damit zu Umwelt- und Klimaschutz bei. Sie investieren in das soziale Kapital ihrer Bewohner, ermöglichen diesen Bildung und Teilhabe und generieren damit ökonomische Entwicklung. Smarte Städte sind inklusive Städte, mit dem Ziel einer Erhöhung der Lebensqualität für alle Menschen. Prof. Dr. Martina Klärle, Dekanin des Fachbereichs Architektur • Bauingenieurwesen • Geomatik der Frankfurt UAS Die Frankfurt University of Applied Sciences ist eine der größten Hochschulen im Ballungsraum Frankfurt Rhein-Main. Am Fachbereich Architektur • Bauingenieurwesen • Geomatik bilden wir Experten aus, die die Städte der Zukunft planen und weiterentwickeln. Vor dem Hintergrund von Bevölkerungswachstum, demografischem Wandel und Klimakatastrophen benötigen wir mehr denn je nachhaltige Konzepte für das ressourcenschonende Planen und Bauen in der Zukunft. Aktuell lebt über die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten - Orten der Innovation und des Fortschritts. In Praxis und Wissenschaft ist die theoretische und praktische Expertise unserer Absolventinnen und Absolventen mehr als willkommen. Bildquelle: privat Bildquelle: Frankfurt UAS 75 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Lehre Caroline Günther Dipl.-Ing. Architektin, M.Sc., Wissenschaftliche Mitarbeiterin Master-Studiengang „Barrierefreie Systeme“ (M. Sc.) Zukünftig wird es notwendig werden, unsere Städte im Sinne des inklusiven Gedankens umzubauen und neu zu gestalten. Das erfordert eine Planung, deren Ziel es ist, allen Menschen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Insbesondere durch die weltweite demografische Entwicklung wird es erforderlich, Städte umzuplanen, um Unabhängigkeit und Selbständigkeit garantieren zu können. Darüber hinaus bedeutet eine inklusive Stadt, Zugänglichkeit, Mobilität und Orientierung innerhalb des öffentlichen Raumes zu gewährleisten. Anforderungen der Geoinformations- und Immobilienbranche entsprechen. Um im internationalen Kontext arbeiten zu können, absolvieren sie ihr drittes Semester an einer Partnerhochschule im Ausland. Von der Idee bis zum Detail Das Profil des Master-Studiengangs Architektur ist anwendungsorientiert und praxisnah. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt auf „Entwurf und Konstruktion - Von der Idee bis zum Detail“. Im Mittelpunkt des Studiums steht die angewandte Entwurfs- und Projektarbeit, die von einer großen Zahl an Wahlmodulen begleitet wird. Den Studierenden bietet sich damit die Möglichkeit, ihr Wissen individuell zu vertiefen. Neben den Entwurfs- und Konstruktions-Modulen werden unter anderem Schwerpunkte aus den Fachgebieten „Bau- und Planungsökonomie “, „Theorie, G e s c h i c h t e , G e b ä u d e k u n d e , Städtebau“ und „Sondergebiete der Konstruktion, des Materials und des Tragwerks“ angeboten. Eine semesterweise stattfindende Vortragsreihe mit Beiträgen aus den Themenfeldern Architektur, Ingenieurbau, Design und Kunst ergänzt die Schwerpunktbildung. Der Master-Studiengang qualifiziert die Absolvent(inn)en zu selbst verantwortlichen, leitenden Tätigkeiten in allen Bereichen des Planens und Bauens, von Entwurf, Planung, Konstruktion, Ausschreibung und Vergabe bis hin zur Bauleitung. Das Studium eröffnet den Absolvent(inn)en zudem die Möglichkeit zur weiterführenden Qualifizierung im Bereich Planen und Bauen und entspricht den internationalen Standards der UNESCO/ UIA Charter for Architectural Education. Master-Studiengänge Regelstudienzeit Studienbeginn nächste Bewerbungsfrist Studiengangsleiter Barrierefreie Systeme (M. Sc.) 4 Semester Wintersemester 15. September 2016 Prof. Dipl.-Ing. Guido Jax Telefon: (069) 1533-2385, E-Mail: gjax@fb1.fra-uas.de Geoinformation und Kommunaltechnik (M. Eng.) 4 Semester Wintersemester 15. September 2016 Prof. Dr.-Ing. Robert Seuß Telefon: (069) 1533-2358 E-Mail: seuss@fb1.fra-uas.de Infrastrukturmanagement (M. Eng.) 4 Semester Sommer- und Wintersemester 15. Februar 2016 (Sommersemester); 15. September 2016 (Wintersemester) Prof. Dr.-Ing. Monika Horster Telefon: (069) 1533-3622 E-Mail: horster@fb1.fra-uas.de Umweltmanagement und Stadtplanung in Ballungsräumen (M. Eng.) 4 Semester Sommer- und Wintersemester 15. Juli 2016 (Wintersemester) Prof. Dr.-Ing. Michael Peterek Telefon (069) 1533-3013 E-Mail: michael.peterek@fb1.fra-uas.de Urban Agglomerations (M. Sc.) 4 Semester Wintersemester 5. September 2016 Prof. Dr.-Ing. Michael Peterek Telefon (069) 1533-3013 E-Mail: michael.peterek@fb1.fra-uas.de Zukunftssicher Bauen (M. Eng.) 4 Semester Sommersemester 15. Oktober (ausländische Studienabschlüsse), 15. Februar 2016 (deutsche Studienabschlüsse) Prof. Dr.-Ing. Agnes Weilandt Telefon: (069) 1533-2731 E-Mail: agnes.weilandt@fb1.fra-uas.de Architektur (M. A.) 4 Semester Sommer- und Wintersemester 15. Februar 2016 (Sommersemester); 15. September 2016 (Wintersemester) Prof. Dipl.-Ing. Kuno Mauritius Schneider Telefon: (069) 1533-2756 E-Mail: master-architektur@fb1.fra-uas.de Konstruktiver Ingenieurbau/ Baumanagement (M. Eng.) 4 Semester Sommer- und Wintersemester 21. März 2016 (Sommersemester) Prof. Dr.-Ing. Hans Georg Reinke Telefon: (069) 1533-2017 E-Mail: reinke@fb1.fra-uas.de Alle Studiengänge des Fachbereichs Architektur • Bauingenieurwesen • Geomatik: www.frankfurt-university.de/ fb1 Kontakt: Frankfurt University of Applied Sciences, Fachbereich 1: Architektur • Bauingenieurwesen • Geomatik Prof. Dr. Martina Klärle, Telefon: 069/ 1533-2314, E-Mail: dekan@fb1.fra-uas.de Bildquelle: privat 76 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Stadtraum Die bisherige Betrachtungsweise des Daches und seiner Nutzung ist in der Regel recht einfallslos und eindimensional. Bauherr wie Planer sind oft gefangen von einer bestimmten Vorstellung, die sie umsetzen, ohne offen zu sein für andere Ideen und Lösungen. Beispielsweise dann, wenn nur die solare Nutzung im Vordergrund steht und die komplette Dachfläche mit Photovoltaikmodulen versiegelt wird. Oder wenn allenfalls eine „Billigbegrünung“ umgesetzt wird, um den Forderungen des Bebauungsplans gerecht zu werden. Ebenso eindimensional ist der Gedanke beim „Urban farming“, alle Flachdächer mit Gewächshäusern zu bestücken. Im schlimmsten Fall wird das Mehr Lebensraum auf dem Dach Höhere Lebensqualität durch multifunktionale Flachdach-Nutzung Dachbegrünung, SolarGrünDach, Leben auf Dächern, Dachgarten, erweiterter Wohnraum, Urban farming Autor: Gunter Mann Mit ungenutzten Dachflächen steht ein riesiges Potenzial zur Verfügung, das begrünt und besser genutzt werden kann: als zusätzlicher Wohnraum, Freizeit-, Pausen- und Sportfläche. Dabei bewähren sich Systemlösungen wie die des baden-württembergischen Spezialisten Optigrün. Dach überhaupt nicht weiter genutzt, Bauplatz und Lebensraum einfach „verschenkt“ - und das bei den hohen Grundstückspreisen in den Großstädten. Dabei lassen sich Photovoltaik und ökologischer Ausgleich durch Dachbegrünung gut kombinieren. Die Systemlösung „SolarGründach“ von Optigrün etwa fasst Photovoltaik und Dachbegrünung mit einer auflastgehaltenen Aufständerung für Photovoltaikmodule zusammen. Die aufgrund einer Bauauflage zwangsweise eingeplante, einfachste Extensivbegrünung kann sich durch wenig Mehraufwand in einen blühenden Blickfang oder eine nutzbare Pausenfläche für die Mitarbeiter und Kunden verwandeln. Oder sie kann beim nachhaltigen Bauen das Zünglein an der Waage sein, um „Gold“ statt „Silber“ zu erreichen. Es gibt viele Dächer mit den notwendigen Lastreserven, die anderweitig genutzt werden könnten. Die „Klassiker“ sind hier bekieste Dach- und Terrassenflächen, bei denen beispielsweise im Zuge von Sanierungen statt Kies zumindest eine extensive Dachbegrünung möglich wäre. Eine 5 cm hohe Kiesschüttung ist etwa gleich schwer wie 8-10 cm Gründach. Dauerhaft nutzbare Intensivbegrünungen - Aufbau von etwa 25-80 cm, Pflanzen und Gestaltung wie im ebenerdigen Garten, höherer Pflegeaufwand - mit einer Flächenlast ab etwa 300 kg/ m² sind aufgrund des höheren Schichtaufbaus schwerer als Extensivbegrünung. Dies ist in der Vorplanung entsprechend des Nutzungsziels zu beachten. Das Dach der Zukunft in der Stadt der Zukunft baut auf Kreativität und multifunktionale Nutzungen. Das begrünte Dach spielt dabei eine verbindende und damit zentrale Rolle. Man könnte die menschlichen Freizeit- Bedürfnisse - vereinfacht und auf die Dachnutzung bezogen - in vier Themenbereiche einteilen: Leben Begegnen Spielen Ernten Begegnen. Treffpunkt und Kommunikationsplattform Dach . © Optigrün 77 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Stadtraum Leben Leben auf dem Dach bedeutet, zusätzlichen naturnahen Wohnraum zu gewinnen - vor allem bei privat genutzten Dächern. Ausstattung als auch Nutzung mit Pflanzbeeten, Heckenelementen, Rasenflächen, Teichanlagen und Terrassen sind vergleichbar mit ebenerdigen Gärten. Selbst kleine, vorher unbegrünte Dachterrassen lassen sich mit Hilfe von Pflanzgefäßen und partiellen Pflanzbeeten aufwerten. In der Praxis lässt sich das mit der Gründach-Systemlösung „Gartendach“ umsetzen. Begegnen Begegnungen von Menschen gibt es auf Dächern von Krankenhäusern, Pflege- und Wohnheimen, jedoch auch bei Industrieunternehmen, die das Dach als Kommunikationsplattform und Pausenfläche nutzen. Die Begrünung kann je nach Intention - ob sie nur als Blickfang, als Sichtschutz oder als Aktionsfläche dienen soll - extensiv oder intensiv ausgebildet werden (Systemlösung „Naturdach“ oder „Gartendach“). Zentraler Punkt der Planung ist die Gestaltung der begehbaren Wege- und Terrassenflächen mit einem barrierefreien Übergang vom Gebäude ins Freie und einem Unterbau, der ebenso dauerhaft standfest wie auch zuverlässig dränierend ist. Die Systemlösung „Verkehrsdach“ ist nicht nur für Personenverkehr, sondern bei Bedarf auch für Kraftfahrzeugverkehr geeignet. Spielen Bedarf nach Einrichtungen für Spiel, Sport und Spaß gibt es vor allem bei Kindertagesstätten und Reha-Einrichtungen, gerne kombiniert mit raumteilenden Pflanzbeeten und Sträuchern. Um der Forderung nach ausreichend Kita-Plätzen gerecht zu werden, wird immer öfter die Dachfläche mit in die Planung einbezogen. Wenn höhere Gehölze verwendet werden, muss der Gründachaufbau eine mächtigere Substratschicht haben. Das wird regelkonform in der Systemlösung „Landschaftsdach“ mit zwei aufeinander abgestimmten Substratlagen umgesetzt: 35 cm Intensivsubstrat Typ i (mit organischen Bestandteilen) als obere Pflanzschicht, darunter das Untersubstrat Typ U (mineralisch) in variabler Höhe als Ausgleichs- und Füllschicht. Ernten Derzeit ist „Urban farming“ in aller Munde - und das im wahren Sinn des Wortes. Ernten lässt sich selbstverständlich auch auf dem Gründach, und das wird auch seit Jahren sowohl auf kommerziell betriebenen Dachfarmen als auch bei privaten Dachgärten praktiziert. Beispiele gibt es dazu aus aller Welt, etwa aus New York oder Rotterdam, wo auf mehreren tausend Quadratmetern Dachfläche in größerem Maßstab verschiedene Obst- und Gemüsesorten angebaut werden. In Deutschland steht der private Selbstversorger mit seinem Eigenbedarf im Vordergrund. Voraussetzung für ein funktionierendes Urban-farming-Dach ist ein bewährter Systemaufbau, wie die Systemlösung „Gartendach Typ Urban farming“. Urban farming lässt sich auf Dächern ebenso umsetzen wie ebenerdig. © Optigrün Kreative Umnutzung. Kita-Spielfläche mit partiellem Grün auf einem Parkdeck. © Optigrün Wohnanlage in Groningen, Niederlande: Beispielhafte Umsetzung einer multifunktionalen Dachnutzung - Leben, begegnen, spielen und ernten. © Optigrün Spielen. Das Dach als große Spielwiese mit verschiedenen Spielgeräten, Sandkästen und Sträuchern. © Optigrün Dr. Gunter Mann Prokurist Optigrün international AG und Präsident Fachvereinigung Bauwerksbegrünung e.V. (FBB), Krauchenwies-Göggingen Kontakt: mann@optigruen.de AUTOR 78 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Mobilität Anders als im Consumer-Bereich und der Industrie, wo Vernetzung mittlerweile zum nicht mehr wegzudenkenden Entwicklungstreiber gehört, kommt die Digitalisierung im automobilen Sektor nach wie vor nur schleppend voran. Dabei kann die Vernetzung sämtlicher Systeme letztlich nicht nur für den Funktionsumfang des Fahrzeugs von Vorteil sein, sondern auch für die Mobilität an sich. Vernetzung ermöglicht, dass notwendige Informationen für Fahrempfehlungen und im Fahrzeug automatisierte Vorgänge von einer externen Datenbasis bezogen werden können. Dies er- Transformation der digitalen Welt ins Fahrzeug Intelligentes Parken als erster Schritt im hochautomatisierten Fahren Digitale Transformation, Digitalisierung, Parken, hochautomatisiertes Fahren Alexander Süssemilch, Elina Schäfer, Heiko Herchet Die Digitalisierung der Welt schreitet immer weiter voran und ist für unseren Tagesablauf eine selbstverständliche Unterstützung. Systeme, in denen wir auf die Annehmlichkeiten durch Vernetzung verzichten müssen, akzeptieren wir immer weniger. Das Auto jedoch ist in dieser Welt ein „digitaler Nachzügler“. Das junge Unternehmen trive.me, eine Marke der Münchner Edag Engineering GmbH im Bereich Softwarelösungen, hat sich dieser digitalen Transformation verschrieben und entwickelt eigene Softwaredienste für das Fahren 4.0. Auf der IAA 2015 stellte es einen Dienst vor, der durch Vernetzung des Fahrzeugs mit der Infrastruktur den Grundstein zum automatisierten Einparken in Parkhäusern legt. öffnet völlig neue Spielräume für die Entwicklung und die Evolution des Fahrens. Denn je größer die Datenbasis ist, desto spezifischer kann sie genutzt werden. Das Beste aus Automobilindustrie und Softwaredenken zusammenbringen Damit die automobile Entwicklung im digitalen Wettbewerb marktfähig bleibt, führt kein Weg umhin, das Beste aus der Arbeits- und Denkweise von Automobil- und IT-Branche zusammenzubringen. Als eigenständige Marke der Edag Engineering GmbH ist trive.me auf die Entwicklung von digitalen Lösungen für die Vernetzung von Fahrzeug, Fahrer und Infrastruktur spezialisiert. Das Edag-Knowhow aus der Gesamtfahrzeug- und Produktionsanlagenentwicklung fließt bei trive.me in neue, integrative Denkansätze und Lösungen, die unter dem Aspekt „Fahren 4.0“ die Mobilität ebenso nachhaltig verändern sollen wie die Einführung von Apps für Smartphones. Erste Produkte und Ideen sind bereits in der Umsetzung. B e im ho c ha u toma ti s ier te n Fahren liegen noch nicht gelöste Herausforderungen - beispielsweise in diversen Rechtsfragen oder in der Algorithmen-Programmierung für Entscheidungen in ethischen Grenzfällen. Aus diesem Grund gilt das intelligente Parken in halböffentlichen Bereichen wie in Parkhäusern als einer der ersten Schritte des hochautomatisierten Fahrens (Bild 1). Hochautomatisierung ist nur durch Vernetzung möglich Ein solcher hochautomatisierter Einparkvorgang in Parkhäusern ist jedoch nur mit der Vernetzung zwischen Fahrzeug und Infrastruktur möglich. Dazu ist beispielsweise eine Anbindung an die Parkleitsysteme der Städ- Bild 1: Fürs automatisierte Einparken werden Fahrzeuge und Parkhäuser vernetzt. © pixabay 79 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Mobilität Nutzerbedürfnissen. Beim Off- Street-Parking wird zudem noch die Schranke in Parkhäusern automatisch geöffnet, und eine (Indoor-)Navigation führt den Fahrzeugnutzer bis zum Parkplatz. Betrachtet man den Markt und die Player rund um dieses Thema, zeigt sich sehr schnell, dass eine Vielzahl spezialisierter Unternehmen bestimmte Teilabschnitte des Use Cases anbietet, sodass das Anbieterfeld sehr stark segmentiert ist. Das führt dazu, dass es bis jetzt keinen durchgängigen Use Case gab. Weiterhin ist bisher kein Dienst im Fahrzeug direkt nutzbar und es werden keine Fahrzeugdaten verwendet. Genau an dieser Stelle setzt trive. park an. Durch Zusammenführung unterschiedlicher Player und des Know-how von trive.me kann sich jeder genau auf seine Stärken konzentrieren. Zusammen bilden wir einen durchgängigen Use Case für maximalen Kundennutzen ab. Vor allem vor dem Hintergrund, dass die Bedienung des Smartphones während der Fahrt verboten ist, ist das Ergebnis eine interessante Mehrwert-Applikation, die durch eine Integration ins Fahrzeug-HMI 2 eine hohe Kundendurchdringung ermöglichen kann. 2 HMI: Human Machine Interface, Mensch- Maschine-Schnittstelle Offene Schnittstellen ermöglichen die Mission „Parken 4.0“! Das technische Gesamtkonzept von trive.park umfasst unterschiedliche Module, die jeweils einen Baustein der Use-Case-Kette realisieren und abbilden. Durch diesen modularen Aufbau ist es möglich, eine Minimallösung anzubieten, die in jedem Parkhaus funktioniert und durch lokale Anpassungen im zweiten Schritt bei Bedarf spezifisch optimiert werden kann. Die einzelnen Module sind beispielsweise der Bezahlvorgang, die Schrankenöffnung oder die Indoor-Navigation. Die Anbindung an die Cloud stellt die Vernetzung mit der Infrastruktur sicher. Dadurch erhält der Autofahrer zum Beispiel Informationen über freie Stellflächen und kann bidirektional mit dem Parkhaus „kommunizieren“. Somit wird es möglich, auf die individuellen Anforderungen des Users einzugehen und nur die für ihn relevanten Daten zu visualisieren. Ein Fahrer eines Elektrofahrzeugs erhält beispielsweise dadurch genau die passenden Informationen über freie Lademöglichkeiten. Indoor-Navigation ist ein zusätzlicher technischer Schwerpunkt, da das satellitengestützte Global Positioning System GPS im Indoor-Bereich nicht funktioniert. te notwendig, um Informationen über freie Parkhäuser zu erhalten. Ebenso sollten Anforderungen der Nutzer einfließen, um einen passenden Parkplatz auszuwählen. Dadurch ist gewährleistet, dass ein Elektrofahrzeug auch über einer Ladespule positioniert wird oder das Packaging in Parkhäusern durch die Berücksichtigung der Fahrzeugmaße gesteigert werden kann. Weitere wichtige Punkte, die ohne diese Vernetzung nicht funktionieren, sind die Schaffung eines kontaktlosen Zugangs (z. B. automatisierte Schrankenöffnung), die Integration eines automatischen Bezahlvorgangs sowie die zuverlässige Fahrwegberechnung zum nächsten freien Parkplatz. Der von trive.me entwickelte Dienst trägt den Produktnamen „trive.park - Dein persönlicher Parkplatzassistent“. Dieser sorgt exakt für die beschriebenen Komponenten der Vernetzung, die für einen automatisierten Einparkvorgang nötig sind. Der Use Case 1 in Bild 2 beschreibt diese Mission „Parken 4.0“. Dabei wird der Parkplatz durch einen mobilen Dienst gesucht, gebucht und bezahlt. Ausgewählt wird der Parkplatz passend zum Fahrzeug und den 1 Use Case: In der Softwaretechnik ein Anwendungsfall; beschreibt die Interaktionen zwischen Nutzer und System, die notwendig sind, um ein fachliches Ziel des Nutzers zu verwirklichen Bild 2: Darstellung der einzelnen Teilabschnitte des Use Case „Parken 4.0“ © trive.me 80 1· 2016 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Mobilität Als Ersatz dienen verschiedene Datenquellen wie Sensoren aus dem Fahrzeug, von Smartphones und aus der Infrastruktur (z. B. Bluetooth LE), die es erlauben, die Position mithilfe verschiedener Positionierungs-Algorithmen im Optimalfall auf bis zu 0,5 Meter genau zu bestimmen. Für eine Integration ins Fahrzeug dient im ersten Schritt der offene Standard „Mirrorlink“. Mittelfristig können wahrscheinlich solche Dienste auch über die Plattformen von Android Auto und Apple CarPlay integriert werden. Darüber hinaus öffnen erste Fahrzeughersteller ihre Systeme durch spezielle SDKs 3 , um die Integration von Fremdapplikationen auch ohne die genannten Plattformen zu ermöglichen. Gleichzeitig wird dadurch ein exklusiver Zugriff auf ausgewählte Fahrzeugdaten möglich, um den Dienst weiter zu optimieren. Oberste Prämisse bei der Entwicklung der gesamten Use- Case-Kette ist die IT-Sicherheit, die für die nötige Umsetzung hinsichtlich Safety, Security und Privacy sorgt. 3 SDK: System Design Kit, Systementwicklungspaket Pilotprojekte zeigen die Einsatzfähigkeit Nach ersten Feldversuchen 2015, wie in Bild 3 zu sehen, startet im 1. Quartal 2016 ein Pilotprojekt in einem halböffentlichen Parkhaus in Wolfsburg. Die Anwender werden in diesem Parkhaus den beschriebenen Dienst mit allen Teilabschnitten nutzen können. Dank Echtzeitüberwachung der einzelnen Parkplätze kann eine direkte Routenführung zum freien Parkplatz durchgeführt werden. In einer weiteren Ausbaustufe ist sogar die Navigation bis zum Zielort - im Pilotprojekt bis zum Büro oder Meetingraum eines angrenzenden Unternehmens - projektiert. Für einen flächendeckenden Ausbau ist jedoch mehr nötig als die bereits einsetzbare Technik. Für eine solche Erweiterung benötigt man Innovationstreiber, die die entstehenden Geschäftsmodelle erkennen und das benötigte Kapital in den Dienst und die Infrastruktur investieren. Durch die Abbildung des kompletten Use Cases ist zum einen das intelligenter werdende Parkhaus Teil einer sich transformierenden Stadt und befähigt zusätzlich mit- Bild 3: Auswahl des Parkplatzes und Öffnen der Schranke im Feldversuch © trive.me Alexander Süssemilch Solutions Triver, trive.me, Fulda Kontakt: suessemilch@trive.me Elina Schäfer Product Triver, trive.me, Fulda Kontakt: schaefer@trive.me Heiko Herchet Chief Executive Electrifier, trive.me, Fulda Kontakt: herchet@trive.me AUTOREN telfristig das hochautomatisierte Einparken. Zum anderen wird durch die Nutzung eines durch Vernetzung entstanden Mehrwertdienstes das Fahrzeug selbst in die digitale Welt transformiert. Crossmediale Publikation für Fachleute und interessierte urbane Menschen • Online-Wissensplattform • Regelmäßiger Newsletter • E-Paper / Print-Ausgabe mit Fachartikeln für Abonnenten Die Online-Plattform informiert über Städte im Wandel, über die Herausforderungen von Urbanisierung und Genderisierung, über Auswirkungen und Lösungen. Das Fachmagazin „Transforming Cities“ nimmt diese Themen auf und vertieft sie in Form fundierter Fach- und Wissenschafts-Beiträge. Als Leser angesprochen sind gleichermaßen Kommunen und Unternehmen, Planer und Ingenieure, Wissenschaftler und Studierende. Urbane Systeme im Wandel Lesen Sie selbst! T RIALOG P UBLISHERS | www.trialog.de Wasser in der Stadt als Lebensmittel und als Naturelement Am 13. Mai 2016 erscheint die nächste Ausgabe von Transforming Cities mit dem Themenschwerpunkt Gewinnung, Aufbereitung und Verteilung von Trinkwasser Abwasserbehandlung, Wertstoffrecycling Regenwasserbewirtschaftung und Hochwasserschutz Urbane Wasserflächen als Lebensraum und zur Klimaregulierung ... sowie weitere Beiträge zu Energie, Stadtplanung, Infrastruktur, Mobilität,... Digitalisierung versus Lebensqualität Big Data | Green Digital Charter | Kritische Infrastrukturen | Privatheit | Sharing-Systeme 1 · 2016 Was macht Städte smart? URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN ISSN 2366-7281 Transforming Cities 1·2016
