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Erlebnisraum - oder Ort zum Anbau von Obst und Gemüse Urban Farming | Dach- und Fassadenbegrünung | Grüne Gleise | Parkgewässer im Klimawandel 3 · 2016 Urbanes Grün ISSN 2366-7281 Transforming Cities 3·2016 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Urbane Infrastrukturen Die Lebensadern der Stadt Am 14. November 2016 erscheint die nächste Ausgabe von Transforming Cities mit dem Themenschwerpunkt  Vom Tankstellennetz zum Energieversorgungsnetz  Rohrnetze zur Ver- und Entsorgung  Digitalisierung von Stadtfunktionen  Sicherheit bei kritischen Infrastrukturen ... sowie weitere Beiträge zu Energie, Stadtplanung, Infrastruktur, Mobilität,... über 7.000 Fachbesucher Klima- und Energiepolitik Erdgas + Erneuerbare: The Future Energy Couple SoS Mobilität LNG Praxisforum L-/ H-Gasumstellung gat 2016 www.gat-kongress.de Leitkongress Erdgas mit größter Branchenfachmesse Europas 8. bis 10. November 2016 in Essen Hauptsponsor shutterstock.com/ STEEX Jetzt online anmelden unter: www.gat-kongress.de/ anmeldung/ 1 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, urbanes Grün unterliegt dem Wandel: Jede Zeit hegt andere Ansprüche an die Begrünung des Stadtraums. Waren Alleen und Parks in früheren Zeiten Demonstration monarchischer Macht, entstanden Ende des 18. Jahrhunderts erste Volksparks, um der Stadtbevölkerung Orte an der frischen Luft zur Erholung und Freizeitgestaltung anzubieten. Im Zeitalter der Motorisierung und des Wirtschaftswunders geriet pflanzliches Grün vielerorts zu pflegeleichten Mittelstreifen und Cotoneaster-Inseln, zu sorgfältig gestutzten Rasenflächen, die niemand betreten durfte. Glücklich, wer sich am Stadtrand dank Eigenheimzulage ein Haus mit eigenem Garten zulegen konnte. Heute wird zunehmend klar, dass Bäume und Sträucher in Städten weit mehr sind als schmückendes Beiwerk. In immer dichter besiedelten Städten haben Grünflächen wesentliche Funktionen: Sie bieten den Stadtbewohnern Ausgleich bei Sport und Spiel oder neuerdings beim urbanen Gärtnern, sie dienen als Orte der Begegnung, der Bildung und Besinnung oder sie prägen das Image ganzer Stadtviertel. In ökologischer Hinsicht sind urbane Grünflächen zusammen mit Stadtbächen und Stadtweihern - und seien sie noch so klein - Lebensbereiche verschiedener Pflanzen- und Tierpopulationen. Vormals scheue Wildtiere wie Wildgänse und Feldhasen haben inzwischen feste Reviere in unmittelbarer Menschennähe: In Beeten und an Teichen städtischer Anlagen haben sie neuen Lebensraum erobert. Fachleute sind zudem sicher, dass sich die vermehrt spürbaren Auswirkungen des Klimawandels, wie Hitzeperioden oder Starkregenereignisse, durch mehr Grün in den Städten lindern lassen. Pflanzen nehmen bei der Photosynthese CO 2 auf und, sie kühlen ihre Umgebung durch Verdunstung. Ihre Blätter binden Feinstaub, Wurzeln und Erdreich speichern das Regenwasser. Deshalb wird es immer wichtiger, bestehende Grünbereiche zu erhalten und neue Flächen für die Bepflanzung zu erschließen: auf Flachdächern, an Gebäudefassaden oder im Gleisbett der Stadtbahn. Gute Ideen gibt es reichlich, wie in der neuen Ausgabe von Transforming Cities zu sehen ist. Lesen Sie selbst. Ihre Christine Ziegler Redaktionsleitung „Transforming Cities“ Urbanes Grün: Erlebnisraum - oder Ort zum Anbau von Obst und Gemüse? 2 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES INHALT 3 · 2016 30 Die Zukunft wird in Städten entschieden Nachhaltige Infrastruktur mit lebendigem Grün Peter Menke, Eiko Leitsch 34 Parkgewässer im Klimawandel Sanierungsmaßnahmen bei städtischen Weihern Joachim Bauer 40 Extensive Dachbegrünungen im urbanen Raum Bedeutung der kleinflächigen Dachbegrünungen für Lokalklima, Wasserhaushalt und Biodiversität Elke Hietel, Oleg Panferov, Ute Rößner 45 Der Quadratmeter hoch drei Energiegewinnung, Erholung und Grünraum im Photovoltaik-Dachgarten Irene Zluwa, Ulrike Pitha 50 Dachbegrünung mit Schafwollmatten Susanne Herfort Seite 27 Seite 34 © Optigrün © König © Stadt Köln Seite 20 FORUM 4 Innovative Erdgastechnologien für saubere Städte Gastbeitrag des DVGW- Vorstandsvorsitzenden Prof. Dr. Gerald Linke zu den Perspektiven von Gastechnologien im urbanen Raum 6 EU-Biozid-Verordnung: Bürokratiemonster und Millionengrab Manfred Brugger 10 Funktionen von städtischem Grün - Anlage und Unterhalt als kommunale Aufgabe VKU-Vizepräsident Patrick Hasenkamp im Interview PRAXIS + PROJEKTE 14 Grün statt grau Mit Wanderbaumallee und Pflanztipps für die Begrünung der Münchner Innenstadt 16 Algenzucht an der Hausfassade Solaranlage zur Produktion von Wärme und grüner Biomasse Klaus W. König 20 Urban farming - natürlich auf Dächern! Von Dachhonig, Gründachmarmelade, Obst- und Kräuterdächern Gunter Mann 24 Essbare Landschaften gestalten Die Plattform Mundraub Andie Arndt 27 Mehr Solarstrom durch Regenwassernutzung Ein Beitrag für das Stadtklima Barbara Rockstroh THEMA Urbanes Grün 3 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES INHALT 3 · 2016 53 Fassadenbegrünungen in Städten Jörg Dettmar, Nicole Pfoser, Sandra Sieber 56 Wirkung und Funktion „Grüner Gleise“ Christel Kappis, Hendrikje Schreiter 61 Mehr Natur für Großstadtkinder Zur Einrichtung von Naturerfahrungsräumen am Beispiel Berlin Maren Pretzsch, Claudia Friede, Jutta Heimann, Dörte Martens, Irma Stopka, Jürgen Peters, Heike Molitor 66 Die Berliner und ihr Stadtgrün: Wertschätzungen und Unterschiede Pluralistische Bewertung kultureller Ökosystemleistungen von Berliner Stadtgrün Maraja Riechers, Eva Diehl 71 Neue Bäume für die klimawandel-gerechte Metropole Köln Umweltreport Nordrhein-Westfalen Joachim Bauer FOKUS 76 Transformation lernen Der Masterstudiengang Urbane Zukunft an der Fachhochschule Potsdam (FHP) 80 Veranstaltungen PRODUKTE + LÖSUNGEN 81 Wurzelfestigkeit bestätigt Kanalnetzsystem und Kanalschächte gemäß Prüfung der MFPA Weimar wurzelfest 82 Fachgerechte Rodungsarbeiten mit der Fräse? Überarbeitete ATV DIN 18320 83 Dieser Dachaufbau reduziert die Hochwassergefahr Das neue Retentions-Gründach von ZinCo 85 Grüne Dächer für bunte Bauwerke Neubau der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt in Hamburg (BSU) 87 Neueste Technik für traditionelles exklusives Hotel in Venedig 88 Impressum Seite 56 Seite 61 Seite 76 © Schreiter, IASP © C. Röttgers, Stiftung Naturschutz Berlin © FH Potsdam 4 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Wärmemarkt: Einsparungen von 20 Millionen Tonnen CO 2 pro Jahr möglich Kein anderer Energieträger wird so oft eingesetzt, um Wohnungen zu heizen und Wasser zu erwärmen - drei Viertel des in Deutschland verbrauchten Erdgases fließen in den Wärmesektor. 20 Millionen Wohnungen werden damit beheizt. Erdgas-Heizungen sind aber nicht nur komfortabel - sie sind auch viel umweltfreundlicher als Ölheizungen oder Kohleöfen, weil Methan bei der Verbrennung deutlich weniger Kohlendioxid erzeugt. Ein weiteres Plus für die Umwelt: Auch Biogas lässt sich nach vorheriger Aufbereitung ins deutsche Erdgasnetz einspeisen. So wird das Klima noch weniger belastet. Aber: Jede dritte Heizung in Deutschland ist älter als 20 Jahre, rund 15 Millionen Anlagen sind bis 2020 modernisierungsbedürftig. Nur ein Viertel der insgesamt 20 Millionen Heizgeräte ist auf dem neuesten Stand der Technik, nutzt also mindestens Brennwerttechnik bzw. erneuerbare Energien. In Deutschland entfallen rund 40 Prozent des Endenergieverbrauchs und etwa ein Drittel der CO 2 -Emissionen auf den Wärmemarkt. Diese Zahlen zeigen: Der zentrale Schlüssel zum Erreichen der Klimaschutz- und Energiewendeziele liegt in der Modernisierung Deutschlands Städte boomen. Die Folge: Landflucht und brain drain aus den ländlichen Regionen in die urbanen Zentren. Gleichzeitig wachsen die „Speckgürtel“ rund um die großen Städte weiter an. Neben der Entwicklung eines urbanen Lebensgefühls mit einem vielfältigen kulturellen Angebot und einem engmaschigen öffentlichen Nahverkehr gibt es weitere Herausforderungen. Durch das Pendeln vom Wohnort zum Arbeitsplatz hat das Verkehrsaufkommen in urbanen Zentren deutlich zugenommen. Anders als in ländlichen Gegenden sind die Möglichkeiten begrenzt, regenerative Wind- und Sonnenenergie einzufangen und für den Eigenverbrauch zu nutzen. Dennoch sollen unsere Städte und Metropolen einen nachhaltigen Beitrag zur Energiewende leisten. Hierbei stehen Wärmeerzeugung und Mobilität im Mittelpunkt. des Heizungsbestandes. Genau hier bieten Gastechnologien großes Innovationspotenzial. Zusätzlich lassen sich Erdgassystemlösungen mit Solarthermie oder Bio-Erdgas kombinieren und tragen so zu einer zunehmenden Integration erneuerbarer Energien in den Wärmemarkt bei. Auch durch den Einsatz von Mikro-KWK-Anlagen zur Installation in Wohnhäusern kann eine Effizienzsteigerung im Heizungsmarkt erzielt und gleichzeitig Strom erzeugt werden. Gleiches gilt für Gaswärmepumpen, die Umweltwärme zur Wärmeerzeugung nutzen. Auf diese Weise lassen sich durch technisch einfache Maßnahmen der Heizungsmodernisierung in Deutschland jedes Jahr rund 20 Millionen Tonnen CO 2 einsparen. Würden 10 Millionen veraltete Heizkessel bis 2020 durch moderne Erdgastechnik ersetzt und davon bei zehn Prozent Bio-Erdgas verwendet, könnten sogar Einsparungen von bis zu 45 Millionen Tonnen CO 2 erreicht werden. Erdgas und LNG reduzieren Umweltbelastung in deutschen Städten Der zweite Bereich ist die Mobilität, die in Deutschland für 20 Prozent der CO 2 -Emissionen verantwortlich ist. Hier können Erdgasfahrzeuge einen Innovative Erdgastechnologien für saubere Städte Gastbeitrag des DVGW-Vorstandsvorsitzenden Prof. Dr. Gerald Linke zu den Perspektiven von Gastechnologien im urbanen Raum 5 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt wichtigen Beitrag zur Emissionsminderung leisten. Aktuelle Studien belegen, dass hier ein besonders großes Klimaschutz-Potenzial liegt. Wenn bis 2030 ein Fünftel der deutschen Fahrzeugflotte von ölbasierten Kraftstoffen auf Erdgas umgestellt würde, ließen sich jährlich bis zu 20 Millionen Tonnen CO 2 - Äquivalent vermeiden. Denn die CO 2 -Emissionen von Erdgasfahrzeugen liegen bis zu einem Viertel unter denen benzinbetriebener Autos. Noch klimafreundlicher werden gasbetriebene Fahrzeuge, wenn dem fossilen Energieträger Erdgas regenerativ erzeugtes Biogas beigemischt wird - bei reinem Biogas-Betrieb nimmt der Ausstoß von Kohlendioxid sogar um 97 Prozent ab. Darüber hinaus sinken durch den Erdgasantrieb auch die Stickoxid- und Feinstaubemissionen spürbar. Deshalb erfüllen Erdgasfahrzeuge schon lange die strenge Abgasnorm Euro 6, die seit 2014 für alle verbindlich ist. Besonders wichtig für den urbanen Raum: Erdgasfahrzeuge dürfen in allen Umweltzonen fahren. Neben der Erdgasmobilität im Personenverkehr tritt auch die Nutzung von verflüssigtem Erdgas (Liquefied Natural Gas, kurz LNG) im Transportsektor verstärkt in den Fokus. LNG wird zunehmend als Kraftstoff für den Güterverkehr eingesetzt. Im Verkehrsbereich mit seinen stark auf der Dieseltechnologie basierenden Antriebskonzepten kann LNG mit seinen Emissionsminderungspotenzialen punkten. Im Vergleich zu Diesel werden bei der Verwendung von LNG Schwefeloxid-Emissionen und Feinstaub um fast 100 Prozent, Stickoxid-Emissionen um 80 bis 90 Prozent und der CO 2 -Ausstoß um fast 25 Prozent reduziert. Darüber hinaus können Lärmemissionen halbiert werden. Um die weitere Entwicklung von LNG zu forcieren, haben DVGW, dena und Zukunft ERDGAS im November 2015 eine LNG- Taskforce gegründet. Zusammen mit namhaften Energieunternehmen soll der Markteintritt von LNG im Güterverkehr über Marktanreize und politisch stabile Rahmenbedingungen beschleunigt werden. Strom effizient speichern und transportieren Drittens wird es darauf ankommen, künftig Ökostrom aus den ländlichen Regionen - wo er aus Wind- und Sonnenenergie gewonnen wird - in die Städte zu transportieren. So bietet es sich an, das Gasleitungsnetz als ein Gesamtsystem zu nutzen, in dem Erdgas, Bio-Gas sowie Wasserstoff und synthetisches Methan zu einer gemeinsamen Energiequelle zusammengeführt werden. Über die Erdgasleitungen, die in Deutschland mehr als 500 000 Kilometer lang sind, gelangt die Energie in die Städte, um dort in KWK-Anlagen, kleinen Gaskraftwerken oder im industriellen Bereich eingesetzt zu werden. Eine Voraussetzung dafür ist die Power-to- Gas-Technologie. Sie ist immer dann sinnvoll, wenn bei kräftigem Wind oder zu viel Sonne mehr Strom produziert wird, als das Netz aufnehmen kann. Mit Hilfe der Elektrolyse entsteht dabei aus dem überschüssigen Ökostrom zunächst Wasserstoff, der in einem weiteren Syntheseschritt zu Methan umgewandelt werden kann. Beides - Wasserstoff wie Methan - lässt sich problemlos ins Erdgasnetz einspeisen. Dadurch wird es transportfähig und trägt entscheidend dazu bei, das Problem der mittel- und längerfristigen Speicherung von großen Strommengen wirtschaftlich zu lösen. Das Erdgasnetz wird damit zum unverzichtbaren Partner von erneuerbaren Energien. Aktuell gibt es in der Bundesrepublik mehr als 20 Demonstrationsprojekte, die die Technologie weiterentwickeln und auf ihre Alltagstauglichkeit prüfen. Acht davon speisen bereits Wasserstoff beziehungsweise Methan in das bestehende Leitungsnetz ein. Bei den weiteren Aktivitäten kommt es jetzt darauf an, Anlagen mit deutlich höherer Leistung im größeren Megawattbereich aufzubauen und damit auch die spezifischen Gestehungskosten deutlich zu reduzieren. Die Chancen für eine deutlich geringere CO 2 -Belastung in deutschen Städten stehen besser denn je. Die Energieversorgung im urbanen Raum sowie viele weitere Topthemen der Gaswirtschaft stehen auf dem Programm des größten deutschen Branchenforums, der gat 2016, die vom 8. bis 10. November in Essen stattfindet (https: / / www.gat-kongress.de). Im Rahmen des Forums „Energiewende vor Ort“ diskutieren u.a. NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin und der Düsseldorfer OB Thomas Geisel aktuelle Herausforderungen der kommunalen Wirtschaft. Wie muss eine Infrastruktur geschaffen sein, die die großen Verbrauchszentren sicher mit Energie versorgt? Und welchen Beitrag kann die zunehmende Dezentralisierung der Energiezeugung dazu leisten? Die damit verbundenen Fragen stellen sich damit nicht nur für die großen Energieerzeuger, sondern auch für viele lokal und regional agierende Versorgungsunternehmen, die für eine dezentrale Gas- und Stromversorgung stehen. Die erforderlichen Investitionen in die Verteilnetze werden durch den derzeitigen Regulierungsrahmen nur ungenügend angereizt. Wie kann die Anreizregulierung zielführender ausgestaltet werden und wie wirkt sich dies auf kleinere und mittlere Unternehmen aus? Wie sieht die Stadtwerke-Landschaft im Jahre 2020 aus? Und wie lassen sich die Potenziale im Wärmemarkt in Schwung bringen? Dies sind die Leitfragen, die das Forum für kommunale Wirtschaft kritisch beleuchten und kontrovers mit dem Publikum diskutieren wird. 6 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Ozon ist seit vielen Jahrzehnten in aller Munde. Während die vor der gefährlichen UV-Strahlung schützende Wirkung der Ozonschicht in der Stratosphäre durch das Ozonloch über der Antarktis positiv besetzt ist (das im Jahr 2015 nach Medienberichten übrigens die zweitgrößte Ausdehnung seit Bekanntwerden hatte und so groß wie Afrika war, aber bemerkenswerterweise niemanden mehr interessierte), wird Ozon in der bodennahen Luftschicht aufgrund seiner reizenden Wirkungen als gefährlicher Luftschadstoff eingestuft. So zählt der Ozonalarm seit Jahren - insbesondere in Smogsituationen - zu den täglichen Nachrichten. Sowohl in der Stratosphäre als auch in Bodennähe sind es im Wesentlichen natürliche Vorgänge, die zur Bildung von Ozon führen. Ozon ist ein aus drei Sauerstoffatomen bestehendes, unbeständiges Gas. Es wurde vom deutschschweizerischen Chemiker Christian Friedrich Schönbein (1799-1868) im Jahre 1839 entdeckt. Atmosphärischer Sauerstoff besteht aus zwei Sauerstoffatomen, die zu einem Molekül zusammengeschlossen sind. Wird ein Sauerstoffmolekül, z. B. durch elektrische Spannungen aufgebrochen, entstehen zwei äußerst reaktionsfähige Sauerstoffatome. Wenn diese Sauerstoffatome nicht mit einem anderen Stoff reagieren können, dann bilden sie zusammen mit zwei weiteren Sauerstoffmolekülen dreiatomigen Sauerstoff bzw. die sogenannten Ozonmoleküle. Beim Zerfall des unbeständigen Ozonmoleküls entstehen wiederum nur das Sauerstoffmolekül sowie das äußerst reaktive Sauerstoffatom. Aufgrund dieser Bereitstellung von atomarem Sauerstoff gilt Ozon als eines der stärksten Oxidationsmittel aber auch als ein hervorragendes Desinfektionsmittel. Diese Eigenschaften machten Ozon bereits vor mehr als 150 Jahren zum Mittel der Wahl bei der Trinkwasserdesinfektion, insbesondere nach der Erfindung der Ozonröhre im Jahre 1857 durch Werner von Siemens, denn aufgrund der Unbeständigkeit des Ozons muss dieses stets an der Einsatzstelle generiert werden. Man spricht in diesem Zusammenhang von sogenannten In-situ-Verfahren. Größter Vorteil der Insitu-Verfahren ist, dass hierbei keine gefährlichen chemischen Substanzen transportiert werden müssen. Zur technischen Herstellung von Ozon in sogenannten Ozonerzeugungsanlagen ist ausschließlich Sauerstoff und elektrische Energie erforderlich. Im Wasserwerk wird das erzeugte Ozon dann auf kürzestem Wege mit dem aufzubereitenden Wasser intensiv vermischt. Ozonreaktionen mit Wasserinhaltsstoffen verlaufen im Sekunden- und Minutenbereich. Nach Abschluss der Aufbereitungsphase ist kein Ozon mehr im Wasser vorhanden. Ozon- Wasseraufbereitungsanlagen gehören deshalb zu den leistungsfähigsten, umweltfreundlichsten und sichersten Wasseraufbereitungssystemen, sowohl bei der Trinkwasseraufbereitung als auch bei der Schwimmbadwasseraufbereitung. Der Regelungswahn der Europäischen Kommission hat nun aber auch diesen Bereich erfasst und mit der sogenannten Biozid-Verordnung ohne Not für massive Probleme in der ganzen Wasserbranche gesorgt, denn auch Ozon fällt nach der Definition neuerdings mit unter diese Verordnung. Damit aber noch nicht genug: Es kommt auch noch darauf an, ob das Einsatzgas technischer Sauerstoff oder Luftsauerstoff ist. Normaler technischer Sauerstoff darf auch nicht verwendet werden, er muss entsprechend deklariert werden mit Hinweis „Sauerstoff zur Erzeugung von Ozon“ und die Inverkehrbringung darf nur durch in der sogenannten Artikel 95-Liste geführte Firmen erfolgen. EU-Biozid-Verordnung: Bürokratiemonster und Millionengrab Manfred Brugger Seit 1. September 2013 gilt im Vertragsgebiet der Europäischen Union die neue Verordnung Nr. 528/ 2012. Diese Verordnung regelt die Bereitstellung von Biozidprodukten auf dem Markt sowie deren Verwendung. Im Gegensatz zur bis dahin gültigen Richtlinie 98/ 8/ EG wurde nun aber auch die Vor-Ort-Erzeugung von Bioziden in sogenannten In-situ-Verfahren mit in die Verordnung einbezogen. In-situ-Verfahren kommen insbesondere im Bereich der Wasseraufbereitung zum Einsatz. Durch diesen Schachzug der EU wurden die bis dato problemlosen und über viele Jahrzehnte erprobten Verfahren wie z. B. die Ozonung oder die Desinfektion mittels elektrolytischer Chlorerzeugung quasi über Nacht genehmigungspflichtig. Auch bestehende Anlagen fallen unter diese Verordnung, die Betreiber unterliegen deshalb einem entsprechenden Handlungszwang. 7 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Biozid-Verordnung Dem inneren Drang folgend, alles für Mensch, Tier und Umwelt besser zu machen, wurde im Jahre 2012 von der Europäischen Union die Verordnung Nr. 528/ 2012 (kurz Biozid-VO) kreiert, welche seit September 2013 in Kraft ist. Nach dieser Verordnung dürfen Biozide ab April 2016 nur noch erzeugt, in Verkehr gebracht und angewendet werden, wenn sie zuvor in einem äußerst aufwändigen, teuren und komplizierten Wirkstoffgenehmigungsverfahren registriert und als Biozidprodukt von der EU- Kommission genehmigt worden sind. Als Grundlage für die Genehmigung muss für jedes einzelne Biozid ein umfangreiches und mehrere Millionen Euro teures Dossier bei der zuständigen Behörde eingereicht werden. Entgegen der vorangehenden, seit 1997 gültigen Biozid-Richtlinie, fallen unter die Verordnung nun nicht nur alle handelbaren Biozide, Rotendizide wie z. B. Rattengifte, usw., sondern nun auch alle in situ hergestellten Biozide zur Wasserdesinfektion wie z. B. Ozon, Chlor und Brom. Die EU folgt damit dem Trend, dass ein Produkt erst in den Verkehr gebracht werden darf, wenn dessen vollumfängliche Unschädlichkeit nachgewiesen wurde, mit der Konsequenz, dass dies für die Großindustrie vielleicht noch möglich ist, für den kreativen Mittelstand aber den sicheren Tod bedeutet, denn die Entwicklung neuer Mittel ist damit ebenso nicht mehr finanzierbar wie die Herstellung kleinerer Mengen an Mitteln und Stoffen mit biozider Wirkung. Während ein Hersteller und Inverkehrbringer eines in großen Mengen handelbaren Biozides die entstehenden Genehmigungskosten auf den Verkaufspreis umlegen kann, ist dies im Falle der in situ erzeugten Biozide so nicht möglich und auch gesetzlich nicht geregelt. Unstrittig ist die Feststellung, dass eigentlich nicht der Anlagenhersteller, sondern der Betreiber der In-situ-Anlage, der Hersteller und Verwender des Biozides ist und damit eigentlich derjenige, der das Biozidprodukt anmelden und genehmigen lassen müsste bzw. sich über einen sogenannten „Letter of Access“ (LoA) in ein bestehendes Dossier einkaufen müsste, um seine In-situ-Anlage weiterbetreiben zu dürfen. Nachdem aber von der Anwenderseite aus keine entsprechenden Anträge gestellt werden, haben die Anlagenhersteller begonnen, die entsprechenden Schritte einzuleiten - ohne zu wissen, wie die horrenden Kosten wieder gegenfinanziert werden können. Im Falle von Ozon beispielsweise kursieren derzeit Kosten in der Größenordnung um 400 000 bis 500 000 Euro, die jeder Ozonanlagenhersteller sofort für einen LoA zahlen muss, wenn er auf dem Gebiet der EU weiterhin am Markt partizipieren will. Dazu kommt, dass die Zulassung auf 10 Jahre befristet ist und niemand weiß, was danach kommt. Noch schwieriger wird die Situation bei den sogenannten Kombinationsverfahren, bei denen in situ gleich zwei oder mehrere biozide Wirkstoffe parallel im Prozess erzeugt werden. Laut Gesetzeslage ist hier für jeden einzelnen Wirkstoff das entsprechende Zulassungsverfahren zu durchlaufen, was kaum mehr finanzierbar ist. Für das von der Ravensburger Firma Hydro-Elektrik GmbH zur Anwendungsreife entwickelte, äußerst beliebte Ozon-Brom-Verfahren kommen so zum einen das Ozon als auch die durch Oxidation parallel entstehende Hypobromige Säure als Biozid in Frage. Hypobromige Säure kann über verschiedene In-situ- Prozesse erzeugt werden, die Wirkung ist immer die Gleiche. Nichtsdestotrotz muss für jede einzelne Methode der Erzeugung ein separates Wirkstoffgenehmigungsverfahren durchlaufen werden. Für jede einzelne Wirkstoffanmeldung müssen umgehend 10 000 Euro Gebühren bezahlt werden, ansonsten wird die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) mit Sitz in Finnland nicht tätig. Damit verbunden ist aber kein Anspruch auf irgendeinen positiven Entscheid. Zu den Gebühren kommen noch erhebliche Kosten für die Unterlagenerstellung sowie die erforderlichen Consulter, ohne deren Mithilfe kaum eine erfolgreiche Beantragung möglich ist. Kochsalz - ein Biozidprodukt Paradox wird das Ganze am Beispiel der Elektrolyse. Die Elektrolyse ist ein chemischer Trennvorgang, bei dem aus wässrigen Salzlösungen (z. B. einer Kochsalzlösung) das Chlor vom Natrium getrennt werden kann. Wässrige Salzlösungen sind Mischungen aus Wasser mit gelöstem Salz. Mittels Elektrolyse kann so auf relativ kleinem Raum (in einer Elektrolysezelle mit Strom) beispielsweise eine große Menge an desinfizierendem Chlor erzeugt werden. Natriumchlorid ist nichts anderes als Kochsalz. Das für die Biozidherstellung verwendete Salz muss nun nach der neuen Gesetzeslage entsprechend deklariert werden und gilt als Biozidprodukt, wenngleich es keinerlei biozide Wirkung hat. Die Verwendung von identischem Salz ist nicht mehr gestattet und es darf nur noch Salz von gelisteten (Artikel 95-Liste) und im Wirkstoffprüfverfahren genannten Herstellern verwendet werden. Freier Markt? Mit der Biozid-VO hat die EU extrem strikte Vorgaben gemacht, die nur noch von einem kleinen Teil der Firmen erfüllt werden können. Mit den Bestim- 8 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt mungen des EU-Vertrages zur Stärkung eines freien Handels ist das unvereinbar. Es steht sogar im Widerspruch zum Absatz 3 in der Präambel zur Verordnung, die als Zweck die Verbesserung des freien Handels deklariert. Am Markt teilnehmen können nur noch Firmen, die sich vorher mit erheblichen Summen einkaufen oder gleich als Monopolist auftauchen. Importe sind so gut wie ausgeschlossen. Von den derzeit 28 Staaten ist momentan nur ein Bruchteil in den Prozess der Wirkstoffgenehmigung involviert. Viele haben überhaupt noch nicht realisiert, was die VO für sie bedeutet. Gewinner der VO sind alleinig einige wenige Chemie-Großunternehmen, die in Zukunft den Markt untereinander aufteilen oder bedienen werden. Und dies mit parlamentarischer Zustimmung des EU-Parlamentes. Die betroffene Branche - insbesondere in Deutschland - ist sehr stark mittelstandsorientiert und kann ohne unterstützenden Lobbyismus nur unter die Räder kommen. Aus diesem Grunde wurde die Branche im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens auch nicht ausreichend gehört und deren Belange nicht berücksichtigt. Aufgrund der Vielzahl an hervorragend funktionierenden Verfahren und Systemen hat letztlich auch niemand mit solch einer existenzbedrohenden Verordnung rechnen können. Fazit Als Fazit bleibt festzuhalten, dass nach Auslaufen der Übergangsfristen viele gut wirkende Biozide und viele ausgeklügelte und hervorragende Verfahrenstechniken vom europäischen Markt für immer verschwunden sein werden. Die freiwerdenden Bereiche werden von der Chlorindustrie übernommen. Viele werden sich freuen, wenn sich dadurch die Anzahl der chemischen Biozide im Markt verringert hat. Die Freude wird aber nur so lange anhalten, bis erkannt wird, dass sich die eingesetzten Mengen an Chlorverbindungen drastisch erhöht haben, denn die Desinfektionsanforderungen werden eher mehr, als weniger. Dazu kommt, dass bereits heute absehbar ist, dass sich durch Resistenzbildungen neue Gefahren im Bereich der Wasserhygiene z. B. bei der Trinkwasserbereitstellung oder der Schwimmbadwasseraufbereitung auftun. Dies wird aber komplett übersehen oder auch absichtlich ignoriert. Der mögliche Grund hierfür: Die ECHA als Behörde verschlang im Jahre 2015 mit knapp 500 Mitarbeitern rund 115 Millionen Euro (siehe Anlage). Nachdem die Aufgaben, die 2006 maßgeblich für die Gründung der Agentur waren, nämlich REACH, gegen Ende gehen, mussten neue Einnahmefelder geschaffen werden, die den Fortbestand der Behörde finanziell sicherten. Mit der Biozid-Verordnung konnte das für die nächsten Jahre sichergestellt werden. Dies erklärt wohl auch die limitierte Laufzeit der in Aussicht gestellten Wirkstoffgenehmigungen auf 10 Jahre. Die wichtigste Frage ist und bleibt nach dem Nutzen. Die Antwort ist relativ einfach und schnell gegeben. In einem Kontinent, der im Vergleich bereits vorbildlich aufgestellt ist, und in dem Firmen und Verbraucher bereits automatisch so sensibilisiert sind, dass umweltschädliche Produkte nicht auf den Markt gelangen oder keine Chance haben und das Haftungsrisiko enorm hoch ist, wurde mit der Biozid-VO ein nutzloses Millionengrab errichtet, das wichtiges Geld vernichtet, der weiteren Forschung den Todesstoß versetzt und ausschließlich die Bürokratie fördert. Eine Zukunft für unsere Kinder mit Gestaltungsspielräumen gibt es nicht mehr, Neuentwicklungen im Bereich der Biozide sind nicht mehr finanzierbar. Zukunftsperspektiven sollten anders aussehen. Es ist deshalb auch wenig verwunderlich, dass in den betroffenen Unternehmen eine hohe Frustration eingekehrt ist und sich kaum mehr jemand positiv zu Europa bzw. der europäischen Union äußert. Für den Verfasser als vormals bekennenden Europäer eine schmerzliche Erfahrung, zumal alles darauf hindeutet, dass es kein Zurück mehr gibt. Quo vadis Europa? Europäische Chemikalienagentur ECHA Englische Bezeichnung European Chemicals Agency Französische Bezeichnung Agence européenne des produits chimiques Finnische Bezeichnung Euroopan kemikaalivirasto Organisationsart Agentur der Europäischen Union Status Einrichtung des europäischen öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit Sitz der Organe Helsinki, Finnland Vorsitz Geert Dancet (Exekutivdirektor) Gründung 18. Dezember 2006 Über ECHA https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Europäische_ Chemikalienagentur AUTOR Manfred Brugger Hydro-Elektrik GmbH Kontakt: mb@hydrogroup.de 9 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt 10 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Herr Hasenkamp, welche verschiedenen Funktionen öffentlicher Grünflächen werden zunehmend wichtiger? Grünflächen spielen eine zentrale Rolle für Städte und Gemeinden. Parks etwa sind wichtige soziale Begegnungsstätten, die allen Bürgern zur Verfügung stehen. In ihnen kommen Menschen zusammen, um Sport zu treiben, spazieren zu gehen, zu lesen oder gemeinsam zu grillen. Grünflächen erhöhen die Lebensqualität der Städte und Gemeinden. Je grüner eine Kommune oder Stadt ist, je mehr Raum sie zur Erholung bietet, desto attraktiver ist sie auch für Arbeitskräfte. Außerdem ziehen attraktive Städte Touristen an. Auch das ist natürlich ein wichtiger ökonomischer Faktor. Wie steht es um die ökologischen Vorteile? Stadtgrün verbessert das örtliche Klima. Das ist vor allem vor dem Hintergrund des voranschreitenden Klimawandels bedeutsam. Straßenzüge, die nur aus Beton bestehen, heizen sich an sehr heißen Sommertagen - von denen wir in Zukunft mehr haben werden - schnell auf. Grünflächen jedoch sorgen für Abkühlung und Kältezonen. Auch bei Starkregenereignissen können Grünflächen Überschwemmungen reduzieren. Kann die (verwertbare) Biomasse aus öffentlichem Grün denn auch eine relevante Größe in der städtischen Energieversorgung sein? Grundsätzlich ja. Die getrennt gesammelte, holzige Biomasse aus der Pflege von öffentlichen Anlagen hat einen hohen Heizwert und kann zur Erzeugung von Strom und Wärme genutzt werden. Die energetische Nutzung kann in einer Vielzahl von Anlagen erfolgen, von großen Kraftwerken bis hin zu Holzpelletfeuerungen in Haushalten oder Biogasanlagen. Wenn viel holziger Grünabfall anfällt, kann dies lokal durchaus einen relevanten Anteil an der Energieversorgung darstellen. Aber auch die Kompostierung von Grüngut kann sinnvoll sein. Daher sollte immer geprüft werden, was in dem jeweiligen Fall ökologisch und ökonomisch angezeigt ist. Hat sich die Nutzung von Grünflächen in der letzten Zeit verändert? In der Wahrnehmung vieler kommunaler Unternehmen hat sich die Nutzung von Grünflächen in den vergangenen Jahren stark verändert. So gibt es etwa mehr Bemühungen von Bürgerinnen und Bürgern, die Städte selbst zu begrünen. Da sind zum Teil wirklich interessante Projekte dabei, die zeigen, dass sich die Menschen engagieren wollen. Ein recht prominentes Beispiel ist der Allmende-Garten auf dem Tempelhofer Feld, einem stillgelegten Flughafen in Funktionen von städtischem Grün - Anlage und Unterhalt als kommunale Aufgabe VKU-Vizepräsident Patrick Hasenkamp im Interview Städte weltweit haben gewaltigen Zulauf. Noch nie lebten so viele Menschen in Ballungszentren wie heute. Derzeit zählt bereits die Hälfte der Menschheit zur Stadtbevölkerung und die Vereinten Nationen sehen bis zum Jahr 2050 einen Anstieg auf 75 Prozent voraus. In immer dichter bebauten Ansiedlungen mit großen versiegelten Flächen werden die Auswirkungen des Klimawandels besonders spürbar. Umso wichtiger ist es daher, den öffentlichen Raum mit seinen urbanen Grünflächen und Gewässern als wesentlichen Faktor nachhaltiger Stadtentwicklung wahrzunehmen. VKU-Vizepräsident Patrick Hasenkamp © VKU 11 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Berlin, der durch die Nutzer selbst verwaltet wird. Hinzu kommt, dass die Menschen mehr Zeit draußen verbringen, grillen und picknicken. Das belebt die Städte. Es entstehen dadurch allerdings auch große Mengen Müll, vor allem auch durch den wachsenden Anteil an To-Go-Verpackungen, die die Mülleimer überquellen lassen. Viele Menschen lassen ihren Müll einfach liegen, anstatt ihn zu entsorgen. Das alles ist mit Kosten und Aufwand verbunden. Was kann gegen die Vermüllung der Parks und Grünflächen unternommen werden? Der VKU und seine Mitglieder versuchen, die Bürgerinnen und Bürger durch Kampagnen, etwa durch die europaweite Aktion „Let´s clean up Europe“ zu sensibilisieren. Let´s clean up Europe vereint Initiativen, die Aufräumaktionen in Städten und Gemeinden durchführen. Die Teilnehmerzahlen 2016 in Deutschland waren beeindruckend: Knapp 170 000 Teilnehmer haben gut 940 000 Kilogramm Müll gesammelt. Was sollte politisch getan werden, um der Vermüllung entgegenzuwirken? Den kommunalen Stadtreinigern machen die stetig wachsenden Mengen an To-Go-Bechern und -Verpackungen sehr zu schaffen. Angaben der Deutschen Umwelthilfe (DUH) zufolge werden in Deutschland stündlich 320 000 Coffee-To-Go-Becher verbraucht. Jährlich sind das rund 2,8 Milliarden Einwegbecher. Das ist zu viel! Die Entwicklung hin zu To-Go-Bechern und sonstigem Einweggeschirr verbraucht enorm viele Ressourcen. Sie schadet der Umwelt und dem Stadtbild. Zudem kostet das Sammeln der Verpackungen aus Papierkörben, von der Straße, aus Gebüschen oder Parks Zeit und Geld. Der aktuelle Entwurf des europäischen Kreislaufwirtschaftspaketes sieht vor, die Herstellerverantwortung auch in dem Bereich der To-Go-Verpackungen auszubauen. Der VKU unterstützt die Einführung solcher Regelungen auch in Deutschland. Ein verpackungsarmes und recyclingfreundliches Produktdesign kann den Ressourcenverbrauch deutlich reduzieren. Auch sollten die Hersteller der To-Go-Verpackungen für die Reinigung der öffentlichen Räume finanziell Verantwortung übernehmen. Welcher Anteil des kommunalen Haushalts fließt im Durchschnitt in die Pflege und den Unterhalt urbaner Grünflächen? Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Grünflächenpflege funktioniert heute oft über Grünpflege- Managementsysteme, einer Unterteilung nach Pflegeklassen sowie verbindlichen Leistungsverzeichnissen mit verbindlichen Festpreisen. Vielen Bürgerinnen und Bürgern ist nicht bewusst, welcher Aufwand hinter der Pflege von Parks und Grünflächen steckt. Nehmen Sie eine Stadt mit 50 000 Einwohnern: Zu pflegen sind dort knapp 300 Hektar mit über 13 000 Stadtbäumen, 140 Spielplätzen, Laubsammlung im Stadtpark. © Stadtreinigung Hamburg 12 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview sieben Friedhöfen, diverse Sportstätten und drei Stadtparks. Das verursacht eine Menge Aufwand. Oft fließen jedoch nur wenige Prozent des kommunalen Haushalts in den Unterhalt. Doch vergessen wir nicht: Diese Ausgaben dienen dem Menschen - sie steigern die soziale und wirtschaftliche Attraktivität der Kommune oder der Stadt! Wie wird der Unterhalt organisiert? Wer die Pflege von Grünflächen übernimmt, ist von Kommune zu Kommune unterschiedlich geregelt. Oft sind es Baubetriebshöfe, die verantwortlich sind. Seit mehreren Jahren beobachten wir allerdings auch, dass Grünflächenpflege in die Verantwortung der Abfallwirtschafts- und Stadtreinigungsbetriebe geht. Typischerweise sind alle Grünflächen, auch die Liegenschaften und Verkehrsinseln, in einem Grünflächenkataster hinterlegt und zusätzlich alle Flächen leistungsmäßig erfasst, bewertet, qualifiziert und mit einem Preis für die Auftraggeber hinterlegt. Für die permanent mitlaufende Nachkalkulation müssen alle Mitarbeiterleistungen, Fahrzeugleistungen, Fremdleistungen und alle Sachkosten täglich lückenlos dokumentiert werden. Pflege und Unterhalt öffentlicher Räume werden im Zuge von Einsparungen für Städtehaushalte schwieriger. Sind Public Private Partnerships zur alternativen Finanzierung sinnvoll? PPP-Modelle können mancherorts sinnvoll sein. Man darf sich dabei jedoch auch nichts vormachen und sich dann reicher rechnen, als man ist. Entscheidungen für oder gegen PPP müssen immer vor Ort ganzheitlich betrachtet werden. Steht die angespannte Haushaltslage der Kommunen der Pflege und dem Erhalt von städtischen Grünflächen entgegen? Die Budgets für die Grünflächenpflege sind unterschiedlich hoch. Ihre Höhe hängt nicht zuletzt davon ab, welchen Stellenwert die Kommunen dem Thema beimessen. Vor dem Hintergrund der ökologischen und ökonomischen Vorteile eines hohen kommunalen Grünflächenanteils, plädieren wir dafür, die Budgets angemessen zu verteilen. Wie wollen Sie das machen? Zunächst einmal ist es aus unserer Sicht notwendig, den Wert von städtischem Grün und damit auch die wertvolle Arbeit der entsprechenden ausführenden kommunalen Unternehmen deutlich zu machen. Diese verfügen in Deutschland derzeit jedoch über keine angemessene Interessenvertretung. Diese Lücke möchte der VKU schließen und hat daher in der Sparte Abfallwirtschaft und Stadtreinigung einen Ausschuss für Baubetriebshöfe gegründet. Neben der Interessenvertretung soll auch die Vernetzung gestärkt werden. Die neuen Mitglieder können außerdem die Beratungsangebote des VKU nutzen. Viele bereits in der Sparte Abfallwirtschaft und Stadtreinigung organisierte Unternehmen stehen vor ähnlichen betriebswirtschaftlichen oder rechtlichen Herausforderungen wie Baubetriebshöfe, sodass sich hier Synergien ergeben. Perspektivisch soll zudem der fachliche Erfahrungsaustausch auch auf regionaler und Landesebene gestärkt werden. Bereits vor fünf Jahren wurde im Städtetag Baden-Württemberg ein solcher Arbeitskreis gebildet. War dies auch ein Grund, das Thema nun bundesweit auszuweiten? Die Initiative, eine bundesweite Plattform für die Baubetriebshöfe im VKU einzurichten, kam vom Zusammenschluss der rund 190 Arbeitsgruppenmitglieder (Städte, Gemeinden, Verbände) aus Baden- Württemberg. Zudem gibt es in den Landesgruppen NRW und Küste bereits Arbeitsgruppen, die sich mit den Themen beschäftigen, die für Baubetriebshöfe relevant sind, etwa die Grünflächen- und Straßenunterhaltung. Der Gedanke lag also nahe, einen derartigen AK auf Bundesebene zu organisieren, damit die Baubetriebshöfe auch auf nationaler Ebene eine verbandliche Heimat und die Möglichkeit des Erfahrungsaustauschs bekommen. Welche Ziele verfolgt die Arbeitsgruppe und welche Vorteile können sich die Bauhofleiter und -mitarbeiter von dieser Arbeitsgruppe erhoffen? Wir wissen aus unseren vielen anderen Gremien, dass Erfahrungsaustausch eines der wichtigsten Anliegen unserer Mitglieder ist. In einem ersten Schritt wird es also darum gehen, Bedarfe der Mitglieder festzustellen und Synergien mit anderen Bereichen und Gremien des VKU zu heben. Thematische Überschneidungen gibt es viele: Gebäudewirtschaft, Mobilität, Fuhrpark, Maschinenpark, gemeinsame Nutzung von Betriebswerkstätten und -tankstellen, Beschaffungswesen, Tiefbauleistungen, vergleichbare Mitarbeiterstrukturen und Qualifikationen, Stadtreinigung und Winterdienst. Auf dieser Basis können dann Brancheninformationen erarbeitet werden, von denen dann alle Betriebe profitieren. Außerdem soll die Interessenvertretung auf Ebene der Länder, des Bundes und der Europäischen Union aufgebaut werden. Der VKU ist der Spitzenverband der kommunalen Wirtschaft in Deutschland, verfügt über Büros in den Ländern, in Berlin und in Brüssel und ist gut vernetzt. Diese Strukturen sollen auch die Baubetriebshöfe nutzen können. 13 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview 14 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Oben, im fünften Stock des Lindwurmhofs in München befinden sich die Büroräume des gemeinnützigen Vereins Green City e. V., dessen Mitglieder sich zur Aufgabe gemacht haben, das Verkehrsaufkommen in München zu reduzieren, die Stadt grüner und Bäume auf Wanderschaft Ein echter Klassiker unter den Projekten ist die Wanderbaumallee. Bereits seit den frühen Neunzigern wird eine Schar heimischer Bäume während der Sommermonate durch die bayrische Landeshauptstadt gerollt und - sozusagen zur Probe - in einer bislang kahlen Straße zur Allee aufgestellt. So soll bei den Stadtbürgern die Lust auf dauerhaftes Grün in sonst grauen Straßenzügen geweckt werden. Schon in mehr als 60 Münchner Straßen war die rollende Allee zu Gast, rund 150 Bäume fanden Grün statt grau Mit Wanderbaumallee und Pflanztipps für die Begrünung der Münchner Innenstadt Stadtgrün, Straßenraum, Stadtklima, Dach- und Fassadenbegrünung, Bürgerinitiative Alexandra Schmidt und Wolfgang Heidenreich vom Begrünungsbüro in München haben ein klares Ziel: Sie wollen die Stadt mit der Bepflanzung von Straßenräumen, von Dächern und Fassaden lebenswerter machen. Im Rahmen der Umweltorganisation Green City e. V. in München bieten sie Beratung für Hauseigentümer und Bauherren zu technischen, botanischen und rechtlichen Fragen im grünen Bereich. gesünder und somit lebenswerter für ihre Bewohner zu machen. Von sieben Umweltaktivisten im Jahr 1990 als „München 2000 Autofrei“ gegründet, organisieren heute 25 Mitarbeiter der Green City e. V. und eine große Zahl ehrenamtlicher Helfer zahlreiche Projekte zu nachhaltiger Mobilität, Klimaschutz, dem bewussten Umgang mit Energie und städtischem Grün. Mit Aktionen wie der Grünen Schule, dem Radl-Shuttle oder der Essbaren Stadt soll bei Erwachsenen und Kindern das Bewusstsein für die Umwelt geweckt werden. Bild 1: Wandertag mit Bäumen. Die Wanderbaumallee rollt im Sommer durch Münchens Straßen. © Q. Herzog Bild 2: Alexandra Schmidt und Wolfgang Heidenreich vom Begrünungsbüro in München © CZ 15 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum hernach einen dauerhaften Platz: unter anderem in der Schrenk- und Steinstraße, im Hofgarten und am Kaiserplatz. Mit Rat und Tat für urbanes Grün Wie wichtig die Überzeugungsarbeit bei den Menschen ist, um die Vision vom grüneren München umsetzen zu können, wissen Alexandra Schmidt und Wolfgang Heidenreich, Berater im Begrünungsbüro von Green City e.V. Seit Anfang 2014 informieren die beiden Landschaftsarchitekten Bauherren, Hauseigentümer und Eigentümergemeinschaften über die Möglichkeiten der Fassaden- und Dachbegrünung. „Wir wollen das Bewusstsein dafür schärfen, welchen Wert Pflanzen gerade in immer dichter werdenden Städten haben“, erklärt Heidenreich. „In eng bebauten Stadtquartieren steigen die Temperaturen im Sommer deutlich höher an als auf freiem Feld. Auf sogenannten urbanen Hitze-Inseln, Stadtvierteln mit viel Asphalt und Beton und wenig Schatten, wird das Klima an heißen Tagen unerträglich. Kranke und Ältere leiden in den letzten Jahren immer häufiger unter Spitzentemperaturen, mit schlimmen Folgen wie beispielsweise im Hitzesommer 2003 in Paris. Nicht genug: Feinstaub und Lärm beeinträchtigen die Gesundheit der Anwohner zudem. Ein weiterer Aspekt: Bei Starkregenereignissen können die gewaltigen Wassermengen auf den zugebauten und asphaltierten Flächen nicht mehr einfach versickern, Überschwemmungen sind die Folge.“ Deshalb sind aus Heidenreichs Sicht das Begrünen von Bauwerken und das Entsiegeln von Flächen wesentliche Maßnahmen zur Verbesserung der Situation. „Unsere Aufgabe ist es, den Menschen klarzumachen, dass Pflanzen das Stadtklima positiv beeinflussen. Sie tragen durch Verdunstung zur Klimatisierung bei, nehmen CO 2 auf und ihre Wurzeln halten zusammen mit dem Erdreich das Regenwasser zurück.“ Aufklärung zum Stadtklima Doch der Wandel zur grünen Stadt lässt sich nicht im Handstreich vollziehen. Klimaveränderungen sind zwar bereits für alle deutlich spürbar,“ weiß Alexandra Schmidt. „Doch der Wille, selbst etwas dagegen zu unternehmen, muss erst wachsen. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, hier Aufklärungsarbeit zu leisten.“ Gerade in Städten, wo die Grundstückspreise enorm hoch sind, bleiben kaum Flächen zur Begrünung übrig. Deshalb raten die Experten des Begrünungsbüros, bei Neuplanung oder Sanierung von Gebäuden Dächer und Fassaden zu bepflanzen. „Auch wenn wenig Platz ist, kann man immerhin über vertikales Grün nachdenken“, so Schmidt. Dabei gilt es nicht nur, den Hausbesitzern die Bedenken vor der Schädigung ihrer Fassaden durch Kletterpflanzen zu nehmen, sondern auch auf diverse Fördermöglichkeiten hinzuweisen. Fördermaßnahmen „Es gibt in vielen Städten bereits Fördermaßnahmen zur Stadtbegrünung, beispielsweise das Programm für mehr Grün in der Stadt in Stuttgart, das Förderprogramm Dach-, Fassaden- und Innenhofbegrünung (DAFIB) in Düsseldorf oder die Gründachstrategie in Hamburg“, erläutert Wolfgang Heidenreich. „Die Stadt München unterstützt private Begrünungen rund um Haus und Hof bereits seit den 80er-Jahren.“ Neben der Unterstützung freiwilliger Projekte sorgt die Stadt bei Neubauten schon seit 20 Jahren für Nachdruck: In der Freiflächengestaltungssatzung von 1996 wurde festgelegt, dass Flachdächer neuerrichteter Gebäude mit mehr als 100 m 2 Dachfläche flächig und dauerhaft begrünt werden müssen. Außerdem wird in der Satzung empfohlen, geeignete Fassaden von Industrie- und Gewerbebauten mit ausdauernden Kletterpflanzen zu begrünen. Münchner, die beschlossen haben, ihr Haus zu begrünen, können sich im Begrünungsbüro kostenfrei beraten lassen. Zu allen Fragen rund um Fördermittel, zuständige Ämter, aber auch zu Konstruktion und Aufbau sowie zur Auswahl der geeigneten Pflanzen stehen die Experten Rede und Antwort. (red) KONTAKT Begrünungsbüro Green City e. V. Lindwurmstraße 88 2. Aufgang, 5. Stock 80337 München Tel. (089) 890 668-320 alexandra.schmidt@greencity.de www.begruenungsbuero.de Bild 3: Begrüntes Münchner Dach. © W. Heidenreich Bild 4: Bewachsene Fassaden in der Parzivalstraße in München. © W. Heidenreich 16 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Im Zuge der internationalen Bauausstellung entstanden im Jahr 2013 in Hamburg-Wilhelmsburg die Smart Material Houses. Bei ihnen wurden neue und intelligente Baustoffe für Gebäude und Fassaden erprobt. Eines davon ist das BIQ, ein Mehrfamilienhaus nach Passivhausstandard, dessen Südost- und Südwestfassade eine Mikroalgen-Zucht schmückt. Unter Zufuhr von Nährlösung und CO 2 tanken die Algen in 3 m hohen und 60 cm breiten Flachreaktoren Sonne, vermehren sich dadurch kräftig und produzieren nebenbei thermische Energie. Diese wird im Technikraum für Warmwasser und Heizung nutzbar gemacht. Neben der Wärmeerzeugung dienen die schwenkbar aufgehängten Bioreaktoren der Lichtsteuerung und Beschattung sowie dem Wärme-, Kälte- und Schallschutz des kubischen 5-geschossigen Wohnhauses. Mikroalgen als organische Rohstoffquelle Doch damit nicht genug. Die grüne Flüssigkeit zirkuliert periodisch zwischen den 128 Paneelen und der Heizzentrale. Dort werden die Algen regelmäßig im Technikraum geerntet. Das Konzept sieht vor, diese Biomasse für die Pharma- und Kosmetikindustrie oder für die Herstellung von Nahrung und Futtermittel zu verwenden. Die organische Substanz der Mikroalgen bietet dafür hervorragende Voraussetzungen, denn sie enthält neben essentiellen Aminosäuren und ungesättigten Fettsäuren auch prä- und probiotische Substanzen. Was bei derlei Verwertung übrig bleibt, kann einer Biogasanlage zugeführt werden. Das so erzeugte Biogas strömt in eine Brennstoffzelle, die neben Strom und Wärme auch CO 2 be- Algenzucht an der Hausfassade Solaranlage zur Produktion von Wärme und grüner Biomasse Klaus W. König Grün ist nicht jedermanns Sache. Architekten raten von grün gestrichenen Fassaden oftmals ab - mit dem Argument, dass diese Farbe in Konkurrenz zum natürlichen Grün der Natur unpassend wirken könnte. Was aber, wenn echtes Chlorophyll aus lebenden Algen den grünen Farbton der Außenwand bildet? Dann passt der Farbton genauso in die Natur, wie die Fassadentechnik des BIQ-Pilotprojekts zur Energiewende. Bild 2: Vier Geschosse mit Bioreaktoren, jeweils auf der Süd- und Ostseite des Wohnhauses. Die Elemente eines jeden Geschosses sind zu einer Einheit verbunden. © König Bild 1: Die geschlossenen Wandflächen des Wohnhauses sind mit geschosshohen Bioreaktoren bedeckt, in denen hinter Glas Algen durch Sonnenlicht gedeihen. © König 17 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie reitstellt. Dieses lässt sich für die Photosynthese in den Algenpaneelen nutzen. Damit wäre der CO 2 -Kreislauf geschlossen. Doch bis das Vermarkten der Biomasse sich lohnt - was bei einer größeren Anzahl von Gebäuden der Fall sein wird, stammt das erforderliche CO 2 beim Versuchsgebäude aus der Abluft der Gasheizung. Nach Angaben der Initiatoren produziert die Fassade des BIQ täglich 1-2 g Biomasse pro Liter Algenflüssigkeit bzw. 3 kg auf 200 m² Bioreaktorfläche. Der geschätzte Nettogewinn von etwa 4.500 kWh reicht für zwei Energie-bewusst lebende Haushalte. Nutzen und Speichern der Wärme Bei starker Sonneneinstrahlung vermehren sich die Algen schnell und es entsteht viel nutzbare Wärme. Vor allem im Sommer ist der Ertrag hoch, aber der Bedarf gering. Da die 128 Fassadenpaneele grundsätzlich gekühlt werden müssen, wird dann von den Rohrbündel-Wärmeübertragern im Technikraum die Energie mit Hilfe einer elektrischen Wärmepumpe in vier Richtungen verteilt:  Tagesspeicher für Warmwasser mit max. 60 °C  Pufferspeicher für Niedertemperaturheizung mit max. 30 °C  Nahwärmenetz der Umgebung, betrieben durch Hamburg Energie  Saisonaler Langzeitspeicher in Form von Energiepfählen unter dem Haus. Ende der Sommerperiode waren dort 19 °C vorhanden. Das Limit liegt laut Umweltgesetz bei 20 °C - mehr darf der Untergrund nicht aufgeheizt werden. Der Betrieb der elektrischen Wärmepumpe ist umso effektiver, je niedriger die an der Verbrauchsstelle benötigte Temperatur ist. Insofern hilft die Bauweise gemäß Passivhausstandard, die Stromkosten gering zu halten und zugleich Wärme-Überschüsse Richtung Nahwärmenetz und Langzeitspeicher abgeben zu können. Die Steuerung der Verteilung wird wie alle anderen Prozesse der BIQ-Haustechnik von einer ausgeklügelten Leittechnik kontrolliert. Von der Idee zur Marktreife Die Planer des Grazer Architekturbüros Splitterwerk wollten mit Ihrem Entwurf die Energieproduktion aus dem Heizungskeller heraus ins Sichtfeld der Betrachter rücken. Sie sind davon überzeugt, dass langfristig vertikale Mikroalgen-Zucht dazu beitragen kann, Plusenergiehäuser zu realisieren - nicht nur Wohngebäude, auch Flughäfen, Lagerhallen oder Wolkenkratzer. Doch bis zur Serienreife muss die Idee noch weiterentwickelt werden. Daran arbeitet das Team von Dr. Martin Kerner. Er ist Gründer und Geschäftsführer der Strategic Science Consult (SSC), einer Biotechnologiefirma mit Sitz in Hamburg. Hier laufen die Fäden der Forschung zu Bioreaktorfassaden zusammen. Es hat sich bereits gezeigt, dass die mit Wasser und Nährlösung gefüllten Bioreaktoren in der Fassade den besten Lebensraum für Mikroalgen bieten. „Wir wollen mit optimierter Anlagen- und Prozesstechnik die Produktivität von Biomasse und Wärme steigern sowie die Akzeptanz der Bewohner verbessern“, erklärt der habilitierte Hydrobiologe Kerner. Versorgung der lebenden Fassade Was stört die Bewohner? Bisher bekommen die Paneele an der Fassade so viel CO 2 , dass sich ein pH-Wert von 7,2 eingestellt hat. Der Eintrag der Luft erfolgt von unten. Sie bewegt in der Flüssigkeit schwimmende Füllkörper durch ihre Turbulenz so, dass diese die Glasflächen reinigen - Voraussetzung für eine gute Sonneneinstrahlung. Die Luft verlässt Bild 3 (oben): Das Algenhaus auf einem Modell-Ausschnitt von Hamburg- Wilhelmsburg (in der Bildmitte). © König Bild 4 (unten): Auf der Rückseite des Gebäudes Photosynthese als grafisches Element. © König Algen gedeihen auch in Salzwasser und auf unfruchtbaren Böden. Für ihr Wachstum benötigen sie Sonnenlicht. 50 000 Algen- und Cyanobakterien-Arten gibt es, so schätzen Wissenschaftler. Rund 5000 davon sind bislang bekannt. Doch nur zehn Arten haben es bisher bis zu einer kommerziellen Nutzung gebracht. Aber weil sie so anspruchslos sind und selbst in Salzwasser in Becken auf unfruchtbaren Böden gedeihen, könnten sie die Probleme lösen helfen, die die energetische Nutzung von Nahrungspflanzen aufwirft. „Algen wachsen sehr viel schneller als Soja oder Mais. Sie brauchen keine fruchtbaren Böden, keine Pestizide und könnten pro Hektar und Jahr einen zehn Mal höheren Ertrag bringen“, sagt Professor Dr. Thomas Brück, Leiter des Fachgebiets Industrielle Biokatalyse der TU München. Quelle: Technische Universität München, 2015 ALGENWACHSTUM 18 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Mikroalgen sind ganz besondere Pflanzen. Sie sind zwar winzig klein, aber dennoch Weltmeister im Wachsen. Im Gegensatz zu Mais oder Raps, den wir von den strahlend gelben Feldern kennen, können sie bis zu 10mal schneller wachsen. Dass sie dennoch nicht besonders groß werden, stört dabei nicht im Geringsten. Streng genommen sind sie nämlich keine richtigen Pflanzen, sondern Pflanzen und zugleich Mikroorganismen. Und wenn diese wachsen, teilen sie sich. Sie werden also nicht größer, sondern einfach immer mehr. Und mehr. Und mehr. Und dabei sind sie letztlich dann doch wieder den Pflanzen ähnlich, denn um zu wachsen, betreiben sie Photosynthese: Sie nehmen CO 2 aus der Umgebung auf und verwandeln ihn mit Hilfe des Sonnenlichts in Sauerstoff. Mikroalgen können sehr viel CO 2 aufnehmen und daraus sehr schnell eine große Menge Biomasse erzeugen. Aus diesem Grund sind sie die idealen Energiepflanzen. Quelle: www.werkstatt-n.de/ projekte/ www.morgen-in-meiner-stadt.de die geschosshohen Paneele an deren oberem Abschluss. Dieser „Airlift“-Prozess ist zu hören und wird auf Wunsch der Bewohner nachts ausgesetzt. Bei Industriefassaden, wo weder Geräusch noch Luftbeschaffenheit störend wirken, könnten die Algenpaneele mit CO 2 -haltigem Abgas aus Kraft-Wärme-Kopplung oder aus Biogasproduktion preiswert versorgt werden. Damit kann diese Technik einen Beitrag zur Bindung von CO 2 leisten. Und die Nährlösung, beim Pilotprojekt noch mineralisch zusammengesetzt, ließe sich umweltschonend aus landwirtschaftlichem oder industriellem Abwasser gewinnen. Auch Gärreste der Biogasproduktion wären dafür geeignet - wodurch sich wieder ein Kreislauf der Produktion von Biomasse aus der mit Algen betriebenen Biogasanlage schließen würde. BIQ auf der EXPO 2017? Ressourcen, die nicht zur Verknappung der Nahrungsproduktion beitragen, werden in Zukunft bevorzugt - so der Stand der wissenschaftlichen Diskussion. Das Algenhaus BIQ in Hamburg-Wilhelmsburg entspricht dieser Maxime. Laut Projektleiter Dr. Stefan Hindersin hätte das ideal zum Thema der Mailänder Weltausstellung 2015 gepasst: Den Planeten ernähren, Energie für das Leben. Doch waren die Ergebnisse des aktuell durchgeführten, fünf Jahre dauernden Monitoring dafür noch nicht auswertbar. Deshalb plane man die Vorstellung des BIQ im internationalen Kontext voraussichtlich bei der EXPO im Jahr 2017 in Kasachstan. Das Motto dort wird lauten „Future Energy: Action for Global Sustainability“. Wie Future Energy - die Energie der Zukunft - aussehen muss, beschreibt mit Blick auf das Jahr 2020 Dieter Lindauer, Betriebs- Bilder 5 bis 8: Heizzentrale im Erdgeschoss mit Wärmespeicher, Entnahmegefäß und senkrecht stehendem Rohrbündel-Wärmeübertrager sowie Zu- und Rücklauf des Algenwassers. © König DAS PFLANZENKRAFTWERK DER MIKROALGEN 19 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie leiter und Geschäftsführer der Stadtwerke Rodgau und 1. Vorsitzender des Bundesverbandes Smart City e.V.: „Die intelligente, vernetzte Stadt der Zukunft versorgt ihre Einwohner mit dezentraler, weitestgehend regenerativer Energie“. Bleibt zu hoffen, dass die Fassadentechnik des BIQ-Hauses ihre Bewährungsprobe besteht. Unter idealen Bedingungen vermehren sich die einzelligen Mikroalgen so, dass sie täglich ihre Anzahl verdoppeln, das ermöglicht neben dem Wärmegewinn durch Solarthermie die Ernte von 15 g Trockenmasse pro Quadratmeter und Tag - intelligente Möglichkeiten also, große Fassadenflächen mit BIQ in solare Kraftwerke zu verwandeln! Literatur • König, K. W.: Balkonpflanzen unterstützen Gebäudetechnik. In: Stadt + Grün, Ausgabe 8/ 2013 • Konzepte der Regenwasserbewirtschaftung: Gebäudebegrünung, Gebäudekühlung. Leitfaden für Planung, Bau, Betrieb und Wartung. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Berlin, März 2010. • Lindauer, D.: Smart City 2020. In: Urban 2.0, Ausgabe 1/ 2012 • Moritz, A.: Energie von der Hausfassade. In: HK-Gebäudetechnik, Ausgabe 2/ 2015 Weitere Informationen www.biq-wilhelmsburg.de Dipl.-Ing. Klaus W. König Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Bewirtschaftung und Nutzung von Regenwasser, Fachjournalist. Kontakt: kwkoenig@koenig-regenwasser.de AUTOR Bild 9: Ein Monitoring-Programm, das von 2013 bis 2018 läuft, kontrolliert die Prozesse. © F & E der SSC GmbH Verlässliche und exakte Echtzeitdaten als Schlüssel zum intelligenten Netzwerk. Aktuelle Kommunikationsplattformen für mobile oder stationäre Funkauslesung, zum Aufbau einer zukunftssicheren, erweiterbaren Infrastruktur. Info.de@sensus.com www.sensus.com 20 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Die Kosten intensiver Dachbegrünungen sind bei weitem geringer als die Kosten eines neuen Bauplatzes - man muss sich nur die Grundstückspreise in größeren Städten vor Augen halten. Zudem sind freie Bauplätze vor allem in Ballungszentren Mangelware. Dabei lassen sich ungenutzte Stadtflächen durch die vielen bisher brachliegenden Dächer erschließen und auch zur lokalen und nachhaltigen Produktion von Lebensmitteln nutzen. Die Stadt versorgt sich selbst - schnell, effektiv, erlebbar. Urban farming auf dem Dach nutzt das schon erworbene Grundstück ein zweites Mal und schafft im Zuge einer intelligenten und nachhaltigen Nutzung die einzigartige Möglichkeit der Lebensmittelversorgung in der Stadt. Durch die Verlagerung der Produktionsstätten in die Stadt hin zum Bedarf werden auch Transportwege gespart und ein weiterer Beitrag zum Klimaschutz geleistet. Obst- und Gemüseanbau wird erlebbar und fördert neben der gesunden und bewussten Ernährung auch das Miteinander und schafft soziale Netzwerke. Urban farming auf Dächern ist Bestandteil einer zukunftsträchtigen nachhaltigen Stadtentwicklung, die Begrünung von Dächern ist ein wichtiger Gegenpol zur anhaltenden Versiegelung. Dabei leisten begrünte und genutzte Dächer noch viele weitere Vorteile, wie Verbesserung des Umgebungsklimas, Regenwassermanagement, Schutz der Dachabdichtung u.v.m. Systemlösungen zu „urban farming“ auf Dächern Es gibt verschiedene Ansätze zum „Urban farming“ auf dem Dach - von privaten Bauherren, die auf ihrem Dachgarten unter anderem auch ein kleines Gemüsebeet anlegen bis zu erwerbsgartenbauähnlichen Unter-Glasbzw. Offen-Kulturen. Fast alles ist möglich. Abhängig von der möglichen Flächenlast, der geplanten Bewässerungsstrategie und der gewünschten Obst- und Gemüsesorten bieten sich verschiedene praxisbewährte Systeme an: etwa die beiden Varianten der Optigrün-Systemlösung „Gartendach Urban farming“. Diese beiden Varianten unterscheiden sich vorrangig in der Dränschicht und damit in Gewicht und der möglicher Bewässerungsart. Dabei wird in Abhängigkeit der möglichen Flächenlast die Art der Dränageschicht ausgewählt:  Optigrün-Festkörperdränage Typ FKD 60 mit hoher Wasserspeicherfähigkeit mit oder ohne Wasseranstau  Optigrün-Festkörperdränage Typ FKD 40 als leichtere Variante mit mittlerer Wasserspeicherfähigkeit ohne Wasserstau. „Urban farming“ - natürlich auf Dächern! Von Dachhonig, Gründachmarmelade, Obst- und Kräuterdächern Gunter Mann Die Tendenz zu nutzbaren Intensivbegrünungen mit Freizeit- und Verkehrsflächen ist spürbar. Auf Kaufhäusern, Geschäften, Einkaufszentren, Hotelanlagen, Schulen, Kindertagesstätten, Parkhäusern entstehen für den Menschen nicht nur zusätzlicher „Wohnraum“ mit Spiel- und Sportplätzen, Pausen- und Rückzugsräumen, sondern vor allem Begegnungsstätten generationsübergreifend für junge und ältere Menschen. Und das Reizvolle für alle Investoren - der Baugrund für diese weiteren Nutzflächen ist kostenlos. Er wurde ja schon ebenerdig bezahlt und erfährt „oben“ eine „Zweitnutzung“. Bild 1: Blick über zwei Flächen der Obst- und Kräuterdächer in Radolfzell (links). © Optigrün Bild 2: Die Ernte war erfolgreich und ergab viele Gläschen der „Gründach- Marmelade 3-Frucht“ (rechts). © Optigrün 21 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Die Substratschicht mit den Kultursubstraten Optigrün-Intensivsubstrat Typ i und dem eigens entwickelten Optigrün-Substrat Typ „Urban soil“ kann von 7 bis 35 cm variiert werden und richtet sich nach den Ansprüchen der Pflanzen. Das schon über viele Jahre bewährte Optigrün- Intensivsubstrat Typ i eignet sich vor allem für Obststräucher und Kleinbäume. Es entspricht mit seinen Kennwerten den Anforderungen der FLL-Dachbegrünungsrichtlinie. Das speziell entwickelte Optigrün-Substrat Typ „Urban soil“ zeichnet sich aus durch eine hohe Wasserspeicherfähigkeit bei dennoch guter Wasserdurchlässigkeit und ausreichend hohem Luftporenvolumen. Hier ist wichtig, die kontinuierliche Nährstoffzufuhr über regelmäßige Düngung sicherzustellen. Die Verwendung ausgewählter unbelasteter Zuschlagstoffe bildet die Grundlage für gesunde Früchte und Gemüse. Die Pflanzen bestimmen mit ihren Ansprüchen die Höhe des Substrates, die Nährstoffgaben und die Bewässerungsstrategie. Die Kategorien zeigen unverbindliche Vorschläge, deren Eignung objektbezogen zu prüfen ist.  Kategorie 1: Substrathöhe ca. 7 - 12 cm, für Kräuter (z.B. Origanum, Thymian, Rosmarin, Lavendel), Feldsalat, Wald-Erdbeeren.  Kategorie 2: Substrathöhe ca. 13 - 25 cm, für Gemüse (z.B. Kopfsalat, Zucchini, Tomaten, Karotten), Beerensträucher.  Kategorie 3: Substrathöhe ca. 26 - 40 cm, für kleine Obstbäume. Bewässert wird objektbezogen, abhängig von der Pflanzenauswahl und Flächengröße ganz nach den Wünschen des Bauherrn. Mögliche maximale Flächenlast, Nutzung von Regenwasser und Wasserkreisläufen (z.B. Zisterne), Pflegeaufwand usw. spielen dabei eine wichtige Rolle: 1. Wässern per Hand (Schlauch, Gießkanne) 2. Anstaubewässerung (mit und ohne automatischer Bewässerung) 3. Tropfbewässerung bzw. Bewässerungsvliese Beispiele aus der Praxis „Gründach-Marmelade 3-Frucht“ - Gelebtes Urban farming am Bodensee Beim Projekt „Gerberareal“ in Radolfzell am Bodensee hatte der Auftraggeber Kupprion Immobilien GmbH aus Singen schon sehr konkrete Vorstellungen von den begrünten Dächern. Für die Wohnanlage in der Stadtmitte waren insgesamt drei voneinander getrennte Dachbegrünungsflächen auf Ebene der ersten Obergeschosse geplant. Diese sollten vom Treppenhaus aus begehbar sein. Kupprion wollte nicht nur eine schöne Blumenwiese, sondern ein Dach mit essbaren Früchten und Kräutern. Den Bewohnern der Wohnanlage sollte mit den begehbaren Dachbegrünungen außer dem optischen Blickfang ein zusätzlicher Nutzen geboten werden. Die Dachflächen sind nun mit Beerensträuchern und -stauden sowie Gewürz- und Duftkräutern bepflanzt. Die Anwohner genießen die verschiedenen Beerensorten - Johannis-, Stachel-, Josta- und Erdbeeren - die sie von Juni bis August ernten können. Lavendel, Rosmarin, Thymian und Origanum bereichern den Obst- und Kräutergarten, der mit einer „einfachen Intensivbegrünung“ vor vier Jahren hergestellt wurde. Die Menschen vor Ort nutzen die Obst- und Kräuterdächer gerne und intensiv und ernten jedes Jahr viele Beerenfrüchte und nutzen die frischen Kräuter für ihre Küche. Hier hatte auch die „Gründach-Marmelade 3-Frucht“ von Optigrün ihren Ursprung. Auf einem der Dächer wurden im Juli Johannis-, Stachel- und Jostabeeren geerntet und von Mitarbeiterinnen der Optigrün international AG zu einer köstlichen Marmelade verarbeitet. „Urban farming“ auf dem Dach ist so mit allen Sinnen erlebbar! Dachbegrünungen vereinen eine Vielzahl positiver Wirkungen und Funktionen. Die meisten von ihnen sind erforscht und mit Zahlen hinterlegt. Hier eine kurze Übersicht der wichtigsten Vorteile: • Schutz der Dachabdichtung • Wärmedämmung im Winter und Hitzeschild im Sommer • Erhöhung des Wirkungsgrades von Photovoltaikanlagen • Wasserrückhaltung und Minderung der Spitzenabflüsse: Hochwasserschutz • Verbesserung des Umgebungsklimas • Minderungsmaßnahmen bzw. ökologische Ausgleichsflächen • Verbesserung der Luftschalldämmung • Filterung von Luftschadstoffen und Feinstaub • Minderung von Elektro-Smog. • Verbesserung des Arbeits- und Wohnumfeldes, zusätzliche Wohn- und Nutzflächen • Aufwertung der Gebäudearchitektur, Imagewerbung, „Grün am Bau“ POSITIVE WIRKUNGEN BEGRÜNTER DÄCHER Bild 3: Systemlösungen Gartendach Typ Urban farming. © Optigrün 22 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Gemüseanbau und mehr in Rotterdam Auf dem Dach des Schieblock im niederländischen Rotterdam wird auf etwa 1 000 Quadratmeter Dachfläche intensiv Urban farming betrieben. Das Schöne dabei ist, dass es nicht um erwerbsmäßigen Gartenbau und reinen Ertrag geht, sondern darüberhinaus um Naturerlebnis, gesellschaftliche Kontakte, Kommunikation, Bildung und natürlich auch um kulinarische Highlights - auf dem Dach werden auch Speisen angeboten mit dem dort geernteten Gemüse! Auf dem Urban-Farming-Dach finden regelmäßig Veranstaltungen und Workshops statt und immer wieder werden interessierte Reisegruppen über das Dach geführt. Honig vom Gründach in der Innenstadt Augsburgs Das Hotel Drei Mohren in Augsburg nutzt dagegen mehrere tausend Quadratmeter Fläche seiner begrünten Dächer nicht als Obstwiese sondern als Bienenweide. Direkt auf der extensiven Dachbegrünung mit einer Sedum- Kräuter-Vegetation stehen mehrere Bienenstöcke, so dass die Honigbienen nicht weit zu fliegen haben, um Pollen und Nektar zu sammeln. Die Bienen finden vor allem in den Monaten Juni/ Juli zahlreiche Blüten vor und sind bei passender Wetterlage überaus aktiv. Der daraus gewonnene Bienenhonig wird an der Hotel- Rezeption für wenig Geld als kleine Erinnerung an den Aufenthalt verkauft. Bei der Planung begehbarer und genutzter Dächer sind grundsätzlich bestimmte Punkte zu beachten: • Dachabdichtung nach DIN EN 18195 • Wurzelfeste Dachabdichtung nach FLL bzw. DIN EN 13948 • Kein bis geringes Gefälle für mögliche Anstaubewässerung • Ausreichende Statik (Schnee- und Verkehrslast, Gründachaufbau, ggf. Punkt-Lasten) • Höhere Randabschlüsse bzw. eingerückte Pflanzbeete (ggf. arbeits- oder rollstuhlgerechte Hochbeete) • Absturzsicherung • Wasseranschluss (ausreichend dimensioniert und auf die Bewässerungsstrategie angepasst) • Der Nutzung angepasste Zugänge und befestigte Wirtschaftswege • Bei Bedarf barrierefreier Zugang (z.B. bei Krankenhäusern, Seniorenwohnanlagen u.ä. mit Therapiegärten) • Gründachaufbau in Abhängigkeit der Pflanzen und Lastreserven • Bei Bedarf Maßnahmen zur Verwehsicherheit und Schattierung PLANUNG VON „URBAN FARMING“-DÄCHERN Bild 4 bis 7: Urban farming-Dach in Rotterdam (links oben), Bienenstöcke auf dem Hotel Drei Mohren in Augsburg (rechts oben), erwerbsmäßig auf einem New Yorker Dach angebautes Gemüse (links unten) wird unten im Haus verkauft (rechts unten). © Optigrün 23 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Weitere Bauteile bei genutzten Dächern Mit weiteren Einbauteilen lässt sich das Urban-farming-Dach ergänzen und zu einem komplett aufeinander abgestimmten System erweitern. Rand- und Beeteinfassungen Eine elegante Lösung zur Einfassung von Pflanzbeeten bieten beispielsweise die Optigrün- Randelemente aus Aluminium, die abgestimmt auf die Gründach-Systemaufbauten erhältlich sind. Die Randelemente werden jeweils objektbezogen angefertigt und können bei vorausschauender Planung optimal in die Dachbegrünungsnutzung einbezogen werden. Folgende Eigenschaften zeichnen die Randelemente Typ Alu aus:  Wertbeständiges Material: Aluminium  Kleine und größere abgrenzbare Flächen  Freie Gestaltung in Form, Farbe und Größen; auch runde Formen, Bögen und Schrägen  Objektbezogene Maßanfertigung in fast allen Abmessungen und Formen  Frost- und bruchsicher, witterungsbeständig  Leicht zu transportieren und zu verlegen  Sonder-Details wie Treppen, Sitzgelegenheiten, LED- Beleuchtung, Wasserbecken Auflastgehaltene Absturzsicherung genutzter Dächer Damit die intensive Dachnutzung beim „Urban Farming“ sorgenfrei geschehen kann, muss auch eine Geländer vorgesehen werden. Dabei bieten sich auflastgehaltene Geländerlösungen an, damit nicht in die Dachabdichtung und -konstruktion eingegriffen werden muss. Ein praxisbewährtes Beispiel ist das Geländersystem SkyGard:  Kein Eingriff in die Dachabdichtung oder Dachkonstruktion  Standsicherheit durch die Auflast der Dachbegrünung  Projektbezogene Berechnung der Standsicherheit und Verlegeplan  Maßlieferung der Systemteile, damit keine Schneidarbeiten  Problemlose Anpassung an Dachneigung und Unebenheiten durch den in alle Richtungen drehbaren Kugelgelenkfuß  Vielzahl an Gestaltungsmöglichkeiten bei den Geländerfüllungen in Form (Glas, Stab) und Farbe (RAL) Dr. Gunter Mann Prokurist Optigrün international AG und Präsident Fachvereinigung Bauwerksbegrünung e.V. (FBB) Kontakt: mann@optigruen.de AUTOR Bild 9: Schmackhafte Himbeeren vom Berliner Gründach. © Optigrün  Erweiterung mit Halterungen für Schattiergewebe, Sonnenschirme usw. möglich Fazit Begrünte Dächer vereinen eine Vielzahl an positive Wirkungen, die sich je nach den örtlichen Gegebenheiten nachweisbar rechnen können. Dachbegrünungen gehören zweifelsohne zu den Konzepten eines nachhaltigen Bauens. Für die fachgerechte Planung und Umsetzung von Dachbegrünungen gibt es Richtlinien. Urban farming, natürlich mit Dachbegrünung! Was könnte das Thema „Green building“ und „Nachhaltigkeit“ besser verkörpern und die vielen brach liegenden Dachflächen in der Stadt der Zukunft besser nutzen! ? Bild 8: Berlin, Wiegmann-Klinik: Obst und Therapie auf dem Dach - „Urban farming“ mitten in der Stadt. © Optigrün 24 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Aktion Mundraub im städtischen Grün Wann haben Sie das letzte Mal Früchte selbst vom Baum gepflückt? Auch wer keinen eigenen Garten hat, kommt durch Mundraub in den Genuss frischen Obstes direkt vor der Haustüre, egal ob im ländlichen Raum oder in der Stadt. Mit den Einträgen auf der Mundraub-Map werden die essbaren Schätze im öffentlichen Grün wieder sichtbar. Ob Esskastanien auf dem Alexanderplatz in Berlin, Rosmarinsträucher an den Kölner Rheintreppen oder Knupperkirschen hinter dem Loki-Schmidt-Garten in Hamburg - auch Großstädte sind gesegnet mit öffentlichem Obst, das durch die Plattform wieder ins Bewusstsein der Menschen gerückt wird. Inzwischen bietet Mundraub mehr als die Ernte dessen, was man nicht selbst gesät hat. Mundraub ermöglicht der Gesellschaft, essbare Städte und Landschaften nicht nur sichtbar zu machen und zu beernten, sondern vergessene Kulturlandschaften aktiv mitzugestalten und so essbare Landschaften zu formen. Hochstämmige Obstbäume an Alleen und auf kommunalen Flächen sind Teil des Generationenvertrages und brauchen Wertschätzung seitens der Bevölkerung, wenn sie unsere Kulturlandschaft weiter schmücken sollen. Mundraub erarbeitet deshalb gemeinsam mit Kommunen nachhaltige Modelle zur Pflanzung und Pflege öffentlicher Obstbaumbestände. Aus der Idee heraus, ungenutztes Obst von Freiflächen im öffentlichen Raum wieder ins Bewusstsein zu rücken und in Wert zu setzen, hat sich die Plattform über die reine Ernte hinaus in Richtung nachhaltigen Engagements weiterentwickelt. Sie bietet Baumschnittkurse auf Streuobstwiesen von ausgleichspflichtigen Partnerunternehmen, Fahrradtouren zu öffentlichen Standorten mit anschließender gemeinsamer Verkostung des Geernteten und verstärkt auch Obstbaumpflanzungen im öffentlichen Raum an. Essbare Landschaften gestalten Die Plattform Mundraub Andie Arndt Mundraub.org ist eine Plattform für alle, die heimisches Obst im öffentlichen Raum entdecken und die essbare Landschaft gemeinsam gestalten wollen. Die digitale Landkarte „Mundraub-Map“ zeigt Standorte von vergessenem Obst in Parks, an Straßen, auf Brachen oder Feldwegen. Mehrere zehntausend Menschen engagieren sich sowohl online, als auch im realen Leben, um Fundorte miteinander zu teilen, gemeinsame Pflanz- und Ernteaktionen durchzuführen oder in regionalen Gruppen auszutauschen. Die Mundraub-Community bildet mit ihren Einträgen auf der Mundraub-Map das Herzstück der Organisation und macht sie zur größten interaktiven Plattform für Obstthemen im deutschsprachigen Raum. Bild 1: In vielen Städten wächst Obst auf öffentlichen Flächen. © pixabay 25 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Mittlerweile beteiligen sich immer mehr Städte und Kommunen und zeigen ihr Engagement vor Ort, indem Sie öffentliche Standorte ihrer Obstbäume und -sträucher auf der Plattform teilen. Vorreiter sind hier beispielsweise die Städte Hamburg, Osnabrück oder Göttingen, die ihre öffentlichen Baumkatasterdaten der Plattform und somit ihren Bürgern leicht zugänglich zur Verfügung stellen oder eine generelle Freigabe zur Nutzung der öffentlichen Obstbäume aussprechen. Indem sie die öffentlichen Standorte von Obstbäumen zur Ernte freigeben, rufen sie diese wieder ins Bewusstsein und fördern so die positive Identifikation der Bürger mit ihrer näheren Umgebung. Davon profitieren Obstliebhaber aus der Region, aber auch die Kommunen selbst, indem sie sich so als innovativ und nachhaltig präsentieren. Das zeigen besonders die im Wortsinn aus dem Boden schießenden „Essbaren Städte“: Inzwischen gibt es mehr als 60 „Essbare Städte“ im ganzen Land. Davon haben zahlreiche Initiativen ihre Gemeinschaftsgärten auf der Mundraub-Map eingetragen, es gibt eine große Schnittmenge von AktivistInnen, die sich auch bei Mundraub engagieren. Urban Gardening in Berlin Pankow Städte und Kommunen stehen vor einem Wandel: Stadtgrün hat heute einen hohen Stellenwert in der Bevölkerung - dies bedeutet aber auch, Verantwortung zu übernehmen. Das Bedürfnis von BürgerInnen, auch im urbanen Raum selbst zu gärtnern, sich aktiv um die Lebensmittelproduktion zu kümmern, die Stadt in bürgerschaftlichen Projekten mitzugestalten und sich anzueignen, ist in der jüngeren Vergangenheit gestiegen. Urbane Flächen landwirtschaftlich zu nutzen, hat durch Vorreiter wie die Essbare Stadt Andernach weit über die Landesgrenzen hinaus für Furore gesorgt. Diesen Trend hat auch der Berliner Bezirk Pankow erkannt und die Umsetzung des „Essbaren Bezirks“ beschlossen. Dahinter steckt die Idee, sich bei Neupflanzungen von Bäumen und Sträuchern bewusst für essbare Arten wie z. B, Obstbäume und Beerensträucher zu entscheiden. Biodiversität zeigt sich in der Stadt häufig auf kleinstem Raum und so unterstützt Mundraub den Bezirk dabei, das Vorhaben im Einklang mit weiteren Initiativen vor Ort umzusetzen und für die nötige Akzeptanz zu sorgen. In Berlin-Pankow haben sich engagierte MundräuberInnen zu „Freiobst Pankow“ zusammengeschlossen und seit Dezember 2012 mehr als 70 hochstämmige Obstbäume gepflanzt. Mundraub kümmert sich hier unter anderem um den Obstbaumschnitt. Inzwischen geht das Vorhaben einen Schritt weiter: In Kooperation mit dem Bezirk organisiert Mundraub die gemeinschaftliche Nutzung von öffentlichen Grünflächen für Urban Gardening und weitere Obstbaumpflanzungen. Neben der offenkundigen Befriedigung des menschlichen Bedürfnisses nach Grün, bringt die Stadt als Naturerfahrungsraum auch willkommene Nebeneffekte. So ist die Feinstaubbelastung wesentlich geringer, wo Bäume oder Grünflächen stehen, auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die durch Feinstaub und/ oder Lärm entstehen, lassen sich dadurch reduzieren. Überdies bedeutet das Vorhaben auch einen Imagegewinn für den Bezirk und nicht zuletzt eine Kostenersparnis im Hinblick auf Pflege und Instandhaltung von Grünflächen. Damit fördert der Bezirk einen neuen Typ von Grünfläche, die urbanen Gärten bzw. das „Urban Gardening“. Dies entspricht den Bedürfnissen der BürgerInnen nach individuellen Aneignungsmöglichkeiten und fördert gleichzeitig eine grüne Stadtentwicklung, die Inklusion und Partizipation ermöglicht. Öffentliche Freiflächen als essbare Landschaften zu entwickeln und urbane Gärtnerei setzen ein positives Zeichen für eine handlungsorientierte Auseinandersetzung mit den Problemen der globalisierten Nahrungsmittelproduktion und zeigen so mögliche Konsequenzen in Richtung Eigenversorgung und Bevorzugung regionaler Produkte. Urbanes Grün und die Nutzung von Freiflächen im Sinne einer ökologischen und grünen Erlebniswelt für alle Generationen, wie es Mundraub vormacht, bedeutet also sowohl Nachhaltigkeit in der Stadtentwicklung, als auch einen Zugewinn an Lebens- und Wohnqualität. Die Freiflächen wecken Schaffenspotenziale in der Bevölkerung, die diese Flächen zu einem Ort einer gesellschaftlichen Anlaufstelle für Teilhabe und Begegnung werden lässt. Mit selbst gemachtem Kuchen aus eigenhändig geernteten Birnen vom Straßenbaum vor der Haustüre lässt sich Urban Gardening einfach besser begreifen. Bild 3: Immer mehr Städte und Kommunen geben öffentliches Obst zur Ernte frei. © pixabay 26 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Legaler Mundraub - ein Widerspruch? Häufig wird davon ausgegangen, dass „herrenloses“ Obst frei geerntet werden darf. Es gibt allerdings kein „herrenloses“ Obst, da es immer jemandem gehört - sei es einem Privatmenschen, den Kommunen oder Gemeinden. Die Erfahrung hat gezeigt, dass bei den BürgerInnen Unsicherheit darüber besteht, ob öffentliches Obst geerntet werden darf oder nicht. Mit einer generellen Freigabe wäre Rechtssicherheit in den entsprechenden Kommunen geschaffen und es wäre damit auch für alle Interessierten einfacher, das öffentliche Obst zu nutzen. Insbesondere die Städte, die von sich aus „essbare Initiativen“ fördern oder schon umsetzen, können damit zeigen, wie ernst sie es meinen. „Wünschenswert wäre natürlich eine Empfehlung des Bundes, nicht verpachtete Obstallmenden grundsätzlich zum Abernten freizugeben“, erklärt Mundraub- Gründer Kai Gildhorn. Auf der Plattform sind Mundräuber-Regeln zur Eintragung neuer Fundorte enthalten, an denen sich die NutzerInnen orientieren sollen. Vor der Ernte ist die Mundraub-Community dazu aufgefordert, sich bei den zuständigen Behörden nach freier Nutzbarkeit zu erkundigen. Darüber hinaus funktioniert die Mundraub-Karte ähnlich wie die Internetplattform Wikipedia: Die NutzerInnen selbst können Fundorte Anderer melden. Mundraub kümmert sich dann um die Überprüfung und löscht den Fundort im Zweifel. Mundraub will noch mehr rechtlich sichere Fundorte, indem vermehrt offizielle Baumkatasterdaten von Städten und Kommunen in die Mundraub- Map importiert werden. Ziel ist es, bis 2017 offene Daten von bis zu 200 Kommunen und Landkreisen in die Mundraub-Map zu integrieren, um damit die öffentlichen Früchte MundräuberInnen im ganzen Land legal zur Verfügung zu stellen. Das Ziel sind essbare Landschaften Die Erfahrungen mit MundräuberInnen im ganzen Land zeigen, dass ein großes Interesse besteht, in den Städten einen transformativen Wandel zu vollziehen, von dem insbesondere unsere Kinder profitieren werden. Auch im Hinblick auf neue Mitbürger verspricht die Umwandlung vormals langweiliger Grünflächen in aktiv bewirtschaftete urbane Gärten einen kulturellen Wandel, stärkt die landwirtschaftliche Nutzung urbaner Flächen doch den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Denn dort gedeiht neben Kohl und Salat auch das soziale Vertrauen und Miteinander. Die Menschen sehnen sich nach Wurzeln - und seien es die von Möhre und Topinambur. Die essbare Landschaft verspricht eine Verbesserung der Lebensqualität für alle dort lebenden Menschen. Mundraub bringt ein wenig Romantik, Entdeckergeist und Selbstversorgungstrieb in den durchgetakteten Alltag der allumfassenden Verfügbarkeit von Gütern und Dienstleistungen. Die Vision von Mundraub ist es, heimische Obstbäume, Streuobstwiesen und Obstbaumalleen zu erhalten, um so die essbare Landschaft gemeinsam zu erleben und zu gestalten. Deshalb setzt Mundraub darauf, mit ihrer Community deutschlandweit verstärkt Obstbäume zu pflanzen und pflegen, bevorzugt auf öffentliche Freiflächen. Mundraub denkt über den Apfel hinaus und schafft mit der Plattform einen Bewusstseins- und Perspektivwechsel, bewahrt dabei Biodiversität und ermöglicht ein vielfältiges bürgerschaftliches Engagement. Die Vorstellung einer besseren Welt ist nicht genug. Es gilt, diese umzusetzen. Ein erfüllter Generationenvertrag (eine Generation pflanzt, drei Generationen ernten) schafft Gemeinschaft und sichert Obstbäume in der Kulturlandschaft des 21. Jahrhunderts. Andie Arndt Organisation Mundraub Terra Concordia gUG Kontakt: andie@mundraub.org AUTORIN Bild 3: Nicht jedes „herrenlose“ Obst steht frei zum Verzehr. © pixabay Bild 4: Fundorte von „freiem“ Obst werden auf Internet- Plattformen kartiert. © pixabay 27 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Stadtplaner wissen es längst und Betreiber von Fotovoltaikanlagen wissen es zu schätzen: Begrünte Dächer kühlen hervorragend. Sie haben eine hohe Effektivität und funktionieren mit einer kostenfreien Energiezufuhr aus der Umwelt. Je nach Temperatur und relativer Feuchte der Luft verdunsten sie gespeichertes Regenwasser. In diesem selbsttätig ablaufenden natürlichen Prozess wird die in der Umgebung verfügbare Wärme gebunden, was zu einer deutlichen Abkühlung führt - und damit den so genannten Hitzeinsel-Effekt in unseren Stadtzentren lindert. Bei einem Versuchsdach, halb mit einer nackten Bitumenbahn und halb mit Begrünung bedeckt, wurde an Sommertagen über der Abdichtung 60° C gemessen, über dem Grün gleichzeitig 34° C [1]. Fotovoltaik und Verdunstung Wer auf Dachflächen durch Fotovoltaik Strom erzeugen möchte sollte wissen, dass die Stromausbeute sich erhöht, wenn die Umgebung bei gleicher Einstrahlung möglichst kühl ist. Man wird also den Verdunstungsprozess des Gründachs durch Zufuhr gespeicherten Regenwassers nutzen - wenn nicht gar optimieren. Mehr Solarstrom durch Regenwassernutzung Ein Beitrag für das Stadtklima Barbara Rockstroh Maßgeschneiderte Kombinationen aus Verdunstung, Nutzung und Versickerung machen es selbst in Citylage möglich, Niederschlagswasser zu 100 Prozent zu bewirtschaften. Dabei kann zusätzlich noch die Effizienz von Fotovoltaikanlagen gesteigert werden. Die Regeln der Technik dazu sind vorhanden und aufeinander abgestimmt. Bild 1: Providence Wharf London, intensiv begrüntes Dach. © ZinCo 28 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum schoss platziert. Beispiele sind das Sony-Center, das Debis-Areal am Potsdamer Platz und das Institut für Physik der Humboldt Universität auf dem Campus Adlershof in Berlin. Bei einer Intensivbegrünung mit entsprechender Aufbaudicke wird nahezu die gesamte anfallende Niederschlagswassermenge zurückgehalten, durch die Vegetation genutzt und verdunstet. Das verbleibende, von den Gründächern abfließende Wasser kann anschließend in Zisternen aufgenommen werden. Die Kombination von Dach- oder Fassadenbegrünung mit einer Zisterne zur Verwertung des Restabflusses führt automatisch zu einer Entlastung der Kanalisation und außerdem zur Verminderung von Grundwasserentnahmen, da ein Teil des benötigten Dachbegrünung nach heutiger Bauart ist ein System aus mehreren Schichten mit Substratstärken ab acht Zentimeter und mit Verdunstungsraten im Jahresmittel von 30 % bis über 90 % der auftreffenden Regenmenge. Allerdings sind besondere Vorrichtungen notwendig, um Solarpaneele in der Dachbegrünung zu verankern und den Pflanzen Regenwasser auch unter der Fotovoltaik-Fläche zuzuführen. Eine Variante zur Kühlung der Fotovoltaik durch Regenwasser ist die offene Wasserfläche, gespeist aus einem unterirdischen Regenspeicher. Bei der ehemaligen Solar-Fabrik im Freiburger Industriegebiet In der Haid hängen die Solarpaneele in der Glasfassade zwischen den Fenstern und festverglasten Scheiben direkt über dem Wasser. Besucher der Firma haben das flache, mit Seerosen besetzte und von Regenwasser langsam durchflossene Becken links und rechts unter ihren Füßen, wenn sie sich über einen Steg auf den Haupteingang in der Mitte der Glasfassade zu bewegen. Es wirkt als Spiegelteich, erhöht so die Intensität der Einstrahlung und kühlt durch Verdunstung des von den Dachabläufen gesammelten Regenwassers. Auch hier ist die erhöhte Stromausbeute neben der architektonischen Wirkung gewollt und geschickt geplant [1]. Regenwasser in der City nutzen Wenn der Platz für Versickerung fehlt, wird der Abfluss von den Dachflächen am besten in Zisternen gesammelt - in neu erstellten Gebäuden im Unterge- Bilder 4 und 5: Ehemalige Solar-Fabrik Freiburg, offene Wasserfläche und automatische Bewässerung der Außenanlagen mit Regenwasser. © König Bild 2: (links) Stadtwerke Pfullendorf, Gründach mit Fotovoltaik. © Optigrün Bild 3: (rechts) Wohnbebauung in Berlin, Versickerung. © König 29 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Trinkwassers durch Zisternenwasser ersetzt wird. In Ballungsräumen ist dies besonders von Vorteil. Die Regenwassernutzung ist in Deutschland genehmigungsfrei, allerdings meldepflichtig bei Trinkwasserversorger und Gesundheitsamt. In der Regel wird Regenwasser nur von den Dachflächen verwendet. Bei Abläufen von Gründächern kommen besonders Toilettenspülung, Bewässerung von Außenanlagen, Innenbegrünung und Fassadenbegrünung in Betracht. Intensiv begrünte Dächer haben in Trockenzeiten Wasserbedarf. Sie können mit ihrem eigenen Überlauf aus Starkregenzeiten, wenn der in einer Zisterne zwischengespeichert wurde, versorgt werden [2], [3], [4]. Aktuelle Regelwerke Für die hier genannten Segmente der Regenwasserbewirtschaftung sind aufeinander abgestimmte, allgemein anerkannte Regeln der Technik vorhanden:  Verdunstung: FLL-Dachbegrünungs-Richtlinie, März 2008  Nutzung: DIN 1989-1, April 2002  Versickerung: DWA-A 138, April 2005 (außerhalb von Verkehrsflächen); FGSV MVV R2, 2013 (innerhalb von Verkehrsflächen) Barbara Rockstroh Sachverständigen- und Fachpressebüro König Kontakt: mail@klauswkoenig.com AUTORIN Gestapelter Wald Die Haustechnik nach den Erfordernissen der Botanik auslegen: Das wird im Gewächshaus jedes botanischen Gartens gemacht. Die Pflanzen stehen innen, das Gebäude schützt sie. Die Möglichkeiten der Botanik aber vorrangig nutzen und die Haustechnik als Ergänzung betrachten: Das wird in einer bislang bei Wolkenkratzern nicht da gewesenen Konsequenz in Mailand realisiert. Hier stehen die Pflanzen außen und schützen das Gebäude und seine Bewohner - selbst im 20. Stockwerk. Es handelt sich um zwei Wohnhäuser mit 80 und 112 Metern Höhe, deren Fassadenbegrünung zusammengenommen einem Hektar Wald entspricht. Der senkrecht gestapelte Wald (Bosco Verticale) wird mit Betriebswasser versorgt. Kühlaggregate werden bei diesem ehrgeizigen Projekt nur im Sommer eingesetzt, falls die Verschattung durch die Laubgehölze und die Verdunstungskühlung durch die gesamte Pflanzengesellschaft an der Fassade nicht ausreicht. Die Zertifizierung erfolgte nach LEED. Das Investitionsvolumen betrug 60 Mio. Euro. Das Projekt verspricht Vorteile für die Energiebilanz des Objekts und zugleich positive Auswirkungen auf das Stadtklima. Im Jahr 2015 war die Anlage Teil der EXPO Bild 6: (links) Ein Hektar senkrecht gestapelter Wald (Bosco Verticale) im Zentrum von Mailand. © Visualisierung: Boeri Studio Bild 7: (rechts) Pflanztrog als Balkonbrüstung in der 14. Etage während der Bepflanzung im Februar 2013. © König Milano zum Thema „Den Planeten ernähren, Energie für das Leben“ sein. LITERATUR [1] König, K. W.: Kühlen mit Regenwasser. In: IKZ Haustechnik 10/ 14, Strobel Verlag Arnsberg, 2014. [2] Konzepte der Regenwasserbewirtschaftung. Gebäudebegrünung, Gebäudekühlung. Leitfaden für Planung, Bau, Betrieb und Wartung. Broschüre, 1. Auflage. Hrsg.: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin, 2010 [3] fbr top Blätter 3, 7, 9, 10, 12: Loseblatt-Reihe zu grundsätzlichen Themen der Regenwassernutzung. Fachvereinigung Betriebs- und Regenwassernutzung e. V., fbr-Dialog GmbH, Darmstadt. Laufend aktualisierte Ausgaben unter www. fbr.de/ fbrpublikationen.html [4] Kaiser, M. und Schmidt, M.: Einsatz von Regenwasser zur Kühlung von Gebäuden und Prozessen. Ratgeber Regenwasser, für Kommunen und Planungsbüros. Rückhalten, Nutzen, Versickern und Behandeln von Regenwasser. Hrsg.: Mall GmbH, 6. Auflage, 2016. 30 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Weltweit zunehmende Urbanisierung Mehr als die Hälfte der Menschen weltweit lebt in Städten, nach aktuellen Prognosen ist davon auszugehen, dass bis 2060 bereits zwei Drittel der Weltbevölkerung Bewohner von Städten und Ballungsräumen sind. Unbestritten, die Lebensform der Zukunft ist städtisch - dort verdichten sich Angebot und Nachfrage von Produkten und Leistungen, dort besteht eine gute Infrastruktur, dort gibt es Arbeit und Perspektiven. Die Folge ist, dass Städte, obwohl sie nur drei Prozent der Erdoberfläche bedecken, mehr als 80 Prozent aller Ressourcen verbrauchen. Dies ist im Nachgang zu dem im Dezember 2015 in Paris beschlossenen UN-Klimaschutzabkommen von besonderer Bedeutung. Die Konzentration von Menschen und Wirtschaft in urbanen Zentren bietet eine große Chance bzw. darin steckt eine hohe Verantwortung von Kommunen für die globale Entwicklung: Städte und Ballungsräume sind die Orte des intensiven Verbrauchs von Energie, Gütern und Dienstleistungen, aber auch dementsprechend starker Belastung von Luft, Wasser und Boden und sie sind deshalb auch die entscheidenden Orte für Maßnahmen zur Klimaanpassung. Diese Erkenntnis ist überhaupt nicht neu, wie aus dieser Erklärung der Bundesregierung vom 29. November 1961 ersichtlich ist: „Die Städte müssen aufgelockert und durchgrünt werden. Diese Maßnahmen sind ein wesentlicher Teil der nach der Maßgabe der Verfassung dringlich in Angriff zu nehmenden großen Aufgaben der Raumordnung. Für diese Arbeit sind die gesetzlichen und finanziellen Voraussetzungen schnellstens zu schaffen.“ Situation in Deutschland In Deutschland leben schon heute nahezu drei Viertel der Bevölkerung in Städten, auch hier ist die Tendenz weiter steigend. Jedoch zeigen sich innerhalb dieses Trends erhebliche regionale und lokale Unterschiede. Nebeneinander gibt es die Phänomene wachsender und schrumpfender Städte - mit jeweils grundlegend anderen Problemen. Wachsende Städte stehen neben anderen infrastrukturellen Engpässen im ständigen Dilemma von notwendiger Innenverdichtung und Freiraumentwicklung, wohingegen schrumpfende Städte ein Zuviel an Fläche haben, die sie weder entwickeln noch erhalten Die Zukunft wird in Städten entschieden Nachhaltige Infrastruktur mit lebendigem Grün Peter Menke, Eiko Leitsch Infolge der Veränderungen durch den Klimawandel, aber auch vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung und der finanziellen Engpässe in vielen Kommunen ist „Zukunft Stadt“ ein Thema, das vielen auf den Nägeln brennt. Nutzungskonflikte um Flächen sind vorprogrammiert: Wo Verdichtung Prinzip ist, wird Freifläche zum knappen Gut. Klimawandel und Wassermanagement sowie Fragen der Mobilität und Luftreinhaltung stellen Kommunen vor neue Aufgaben, auch in Bezug auf die Freiflächenplanung und das Grün in der Stadt. Dies geschieht in Zeiten budgetärer Engpässe und erheblichen Drucks aufgrund anderer Prioritäten in Kommunen. Bild 1: Mehr Grün in dicht bebauten Gebieten ist eine wirksame Maßnahme zur Milderung der lokalen Klimawandelfolgen. © BdB 31 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün können. Kommunen haben darüber hinaus heute eine Reihe neuer Herausforderungen zu meistern, die mit bekannten Konzepten kaum zu bewältigen sind. Zu nennen sind beispielsweise starke Veränderungen in der Demographie, lokale und regionale Auswirkungen des weltweiten Klimawandels, politische Konflikte um die Prioritäten in der Stadt- und Regionalentwicklung, Umstrukturierungen in der Verwaltung, Personal- und Materialknappheit, eine zunehmende Auslagerung freiwilliger Aufgaben … Viele Städte kämpfen mit erheblichen Budget- Engpässen - diese Tatsache hat unter anderem zu einer 2015 novellierten Bund-Länder-Verwaltungsvereinbarung zur Städtebauförderung geführt. Der Bund unterstützt damit Städte und Gemeinden bei der Bewältigung des wirtschaftlichen, demografischen, sozialen und ökologischen Wandels. Pro Jahr stehen demnach 700 Millionen Euro Bundesmittel für den Städtebau zur Verfügung, davon allein 150 Millionen Euro für das Programm „Soziale Stadt“. Die Förderung steht Städten und Gemeinden aller Größenordnungen zur Verfügung und löst hohe städtebauliche Gesamtinvestitionen aus. Laut Angaben des Bundesbauministeriums waren es allein im Förderjahr 2015 rund 10 Milliarden Euro Folgeinvestitionen von Land, Kommunen und privaten Unternehmen. Schwerpunkte der Förderung 2015 waren die Themen „Grün in der Stadt“ sowie „Barrierefreiheit/ Barrierearmut“ für eine generationengerechte Stadt. Grün in der Stadt ist multifunktional Das lebendige Grün, von der Dach- und Fassadenbegrünung bis zum Grün in Parks und Gärten, ist das wichtigste Bindeglied zwischen allen Funktionen der Stadt (Bild 1 und 2). Dabei wirkt Grün positiv auf ökonomische wie auf ökologische und soziale Erfolgsfaktoren von Städten: Grün wertet Standorte und Immobilien auf und verbessert das Image einer Stadt. Es ist anerkanntermaßen das stärkste Instrument in der Stadtklimatologie, zudem Schadstoff- und Lärmfilter, Lebensraum für Tiere und Pflanzen, Erholungsraum für Menschen, sozialer Treffpunkt und als Naturerfahrungsraum - insbesondere für Kinder - unersetzlich. Parks fungieren als ,grüne Lunge‘ in Städten. Offene Grünflächen und -schneisen sorgen als Frischluftentstehungsgebiete für eine verbesserte Luftqualität und leiten Kaltluft aus dem Umland in die Stadtzentren. Grünflächen nehmen außerdem Oberflächenwasser auf und entlasten so die Kanalisation, die besonders bei Starkregen vielerorts überfordert ist. „Die Leistungen des Grüns in den Städten gilt es in Zukunft stärker in kommunale Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung einzubringen“, so Eiko Leitsch, Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung DIE GRÜNE STADT. „Wenn wir die Pariser Beschlüsse der UN-Klimakonferenz umsetzen wollen, brauchen wir starke Grünflächenämter und einen Ausbau der grünen Infrastruktur in den Städten und Gemeinden.“ Leider wird jedoch das kommunale Grün immer noch oft negativ von der Kosten-, nicht dagegen positiv von der Nutzenseite betrachtet. Es gilt, die Planung, Ausführung und die Pflege von Grünflächen als Grundanliegen der Daseinsvorsorge anzuerkennen. Leitsch: „Wir wollen bei Verantwortlichen in Politik und Verwaltung, aber auch bei Entscheidern in Unternehmen und Organisationen und nicht zuletzt bei Bürgern ein neues Bewusstsein für den Wert von Grün wecken, ihnen Argumente für mehr und besseres Grün in den Städten an die Hand geben und sie zu gemeinsamem Engagement motivieren.“ Zukunft Grüne Stadt Im Jahr 2030 werden weltweit fünf Milliarden Menschen in Städten leben - vor allem die so genannten Megacities in Schwellenländern stehen vor riesigen logistischen Herausforderungen. Allein die Aufgaben zur Versorgung der Menschen mit Lebensmit- Die Stiftung DIE GRÜNE STADT hat sich zur Aufgabe gemacht, das Bewusstsein von Bürgern und Entscheidungsträgern in Bezug auf den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wert von Grün zu schärfen. Dazu sammelt und veröffentlicht sie Informationen, die deutlich machen, dass Investitionen in den öffentlichen Raum, insbesondere in Grünflächen in der Stadt, direkte und indirekte Auswirkungen auf Gesundheit, Lebensqualität, Sicherheit, Wohnen und Erholung haben. DIE GRÜNE STADT Bild 2: Urbanes Grün schafft die Räume für Naturerfahrung, für sozialen Ausgleich, für Sport und Erholung. © BdB 32 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün teln, Trinkwasser und Energie, zur Beseitigung von Müll und Abwasser oder zur Organisation des innerstädtischen Verkehrs sind immens. Architekten, Ingenieure und Städteplaner, aber auch Geographen, Soziologen, Mediziner, Versicherungen und nicht zuletzt Politiker sehen die Stadt der Zukunft als gewaltige Herausforderung, die nur gemeinsam bewältigt werden kann. Städten, die planlos und rasant wachsen, droht ein ökologisches und soziales Fiasko. In Europa und in Deutschland stellen sich die Fragen anders, jedoch sind auch hier riesige Aufgaben zu lösen. Es geht um nachhaltige Infrastruktur- Konzepte - ökologische, ökonomische und soziale Aspekte müssen gemeinsam betrachtet und in ausgewogenen lokalen Lösungen zusammengeführt werden. Wenngleich diese Tatsachen in Fachkreisen unbestritten sind, ist die Alltagserfahrung der Verantwortlichen in Städten und Gemeinden geprägt von genau gegenläufigen Entscheidungen. Rot, Grün und Blau Nachhaltige Infrastruktur umfasst alle Bereiche des Freiraums - Rot, Grün und Blau - und ist in erster Linie ausgerichtet auf ökologische und soziale Ziele. So ist beispielsweise das Thema Wasser für die integrierte Stadtentwicklung mit Grün sehr wichtig: Genau wie Grün spielt auch das Naturelement Wasser eine bedeutende ökologische Rolle im Stadtraum und wirkt sich positiv auf das lokale Klima und das Wohlbefinden der Menschen aus (Bild 3). In jüngster Zeit kommt dem Wasser eine neue, bedrohliche Dimension zu: Die Bewältigung von Starkniederschlägen, wie sie im Zuge der Klimaveränderung erwartet werden, stellt Kommunen und Investoren vor neue Aufgaben. Die Gestaltung des Freiraums, die verwendeten Materialien und Pflanzen, der Versiegelungsgrad und die Geländemodulation sind unter dem Aspekt eines nachhaltigen Wassermanagements zu sehen. Bei der Entwicklung neuer städtebaulicher Konzepte werden Wasser- und Grünprojekte heute gemeinsam geplant und verwirklicht. Kein Zufall auch, dass sich insbesondere in den hochverdichteten Innenstädten eine Rückbesinnung auf die Vorteile der Fassaden- und Dachbegrünung zeigt. Hamburg beispielsweise hat sich gleich eine so genannte „Dachbegrünungs- Strategie“ auferlegt - Dächer werden wieder als riesige Potenzialflächen für Grün erkannt und als weit unterschätzter Beitrag zur Lösung von Fragen des Regenwassermanagements und Stadtklimas. Seit dem Sommer 2014 wird die Dachbegrünung außerdem bundesweit durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) im Rahmen des Förderprogramms „Energieeffizient sanieren“ unterstützt. Nachhaltige Infrastruktur in Städten umfasst heute immer die Aspekte Wasser- und Grünflächenmanagement gemeinsam. Grüne Firmengelände Das Grün in den Städten besteht bei weitem nicht nur aus dem öffentlichen Grün - ein großer Teil sind private Gärten und Grünflächen von Firmen. Viele Unternehmen präsentieren sich offensiv mit ihrem Firmengebäude und -gelände. Beide sind Aushängeschild und Visitenkarte und meist das erste, was Besucher und Kunden wahrnehmen, ob restaurierter Altbau oder moderne Glasfront, ob betonierter Parkplatz oder begrünter Eingangsbereich - jeder Besucher nimmt unbewusst auch diese Botschaften auf. Besonders positiv wirkt sich ein gestalteter Außenbereich auf das Image einer Firma aus. Denn eine grüne Umgebung ist heute mehr denn je ein unternehmerisches und ökologisches Statement: Durch ihre Gärten präsentieren sich Unternehmen zeitgemäß, mitarbeiter- und umweltfreundlich - und sie sind es auch. Gepflegte Gärten und Parks besitzen zu Recht einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft und sind eine Chance, sich positiv abzuheben. Außerdem verbessern Firmengärten das Betriebsklima, fördern die Kommunikation der Beschäftigten untereinander und bieten ihnen Erholung und Entspannung. Nicht selten liegen jedoch Geschäftsräume in Industriegebieten oder mitten in der Stadt, also nicht eben im Grünen. Daher sind Firmengärten auch ökologisch höchst wirksam: Sie liefern einen Beitrag zum Artenschutz und verbessern das städtische Kleinklima. Immissionen von Lärm und Staub werden vermindert, vor allem dann, wenn die Begrünung auch auf Dächer und Fassaden ausgedehnt ist. Dieser teilweise Ausgleich der Überbauung und Bild 3: Wasser wirkt sich positiv auf das lokale Klima und das Wohlbefinden der Menschen aus. © DGS 33 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün des Ressourcenverbrauchs setzt ein positives Zeichen nach außen: Verantwortung für die Mit- und Umwelt. Um dieses Bewusstsein zu stärken hat die Stiftung DIE GRÜNE STADT seit einigen Jahren einen Wettbewerb für „Firmengärten“ aufgelegt, der in verschiedenen Bundesländern durchgeführt wird. Mehr unter: http: / / www.die-gruene-stadt.de/ firmengaerten-wettbewerb.aspx Rückenwind für Grüne Stadtentwicklung „Zukunft Stadt und Grün“ heißt eine Initiative, für die sich ein breites, branchenübergreifendes Bündnis aus Verbänden, Stiftungen und Unternehmen in einer gemeinsamen Charta einsetzt (Bild 4). Im Januar 2014 wurde die gleichlautende Charta in der Bundespressekonferenz in Berlin vorgestellt und anschließend im Ministerium an Bundesumweltministerin Dr. Barbara Hendricks überreicht. Der Anstoß dazu kam vom Bundesverband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau (BGL) e.V. und der Stiftung DIE GRÜNE STADT. Zu den 21 Erstunterzeichnern gehören unter anderem der Bund deutscher Baumeister (BDB), der NABU - Naturschutzbund Deutschland e.V., der Zentrale Immobilien Ausschuss e.V. (ZIA), der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB). Alle Unterzeichner - inzwischen sind es schon über 50 - stehen auf http: / / www.die-gruene-stadt. de/ institutionen.aspx. Der Bundeskongress „Grün in der Stadt - Für eine lebenswerte Zukunft“ vom Juni 2015, war ein weiteres Highlight für das übergreifende Thema: Mehr als 400 Akteure aus Politik und Wissenschaft, Experten aus Kommunen und Verbänden, Praktiker aus Städte- und Landschaftsplanung, Garten- und Landschaftsbau und Baumschulen sowie Akteure aus Vereinen und Initiativen waren der Einladung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) und des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) gefolgt. Auch jenseits des Kongressprogramms gab es intensive Gespräche und regen Erfahrungsaustausch zum Stadtgrün. Zu Beginn des Kongresses stellte Umweltministerin Barbara Hendricks gemeinsam mit Landwirtschaftsminister Christian Schmidt das unter Federführung des BMUB erarbeitete „Grünbuch Stadtgrün“ vor (Bild 5). Es versteht sich als Bestandsaufnahme der vielfältigen Funktionen von Stadtgrün für Mensch, Stadtnatur und Stadtgesellschaft. Insgesamt waren sieben Ministerien und deren Fachbehörden an der Entstehung des Grünbuchs beteiligt. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks betonte bei der Präsentation, dass mit dem Grünbuch ein interdisziplinärer Diskussionsprozess beginnen soll, der Politik und Verwaltung, Akteure in Kommunen, Verbänden, Unternehmen und gemeinwohlorientierten Organisationen und die interessierte Öffentlichkeit zusammenbringt. Auf das Grünbuch soll ein Weißbuch folgen, in dem konkrete Handlungsempfehlungen und Umsetzungsmöglichkeiten dargestellt werden. Ambitioniertes Ziel ist es, im Frühjahr 2017 das Weißbuch zum Stadtgrün zu veröffentlichen. Aus Sicht der Stiftung DIE GRÜNE STADT sind diese Initiativen der Bundespolitik ein wichtiger Schritt hin zu einer verstärkten Zusammenarbeit verschiedenster Akteure im urbanen Umfeld. Der Ansatz, dass sich die verschiedenen Disziplinen, die in der Städteplanung und -entwicklung beteiligt sind, miteinander vernetzen und auf Augenhöhe zusammenarbeiten, lässt hoffen, dass auch der Beitrag von Grün- und Freiflächen für die Lebensqualität und Gesundheit in den Städten der Zukunft angemessen berücksichtigt wird. Mehr unter: www.die-gruenestadt.de Peter Menke Vorstand Stiftung DIE GRÜNE STADT Kontakt: peter.menke@die gruene-stadt.de Eiko Leitsch Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung DIE GRÜNE STADT Kontakt: info@die gruene-stadt.de AUTOREN Bild 4 (links): Ein breites, branchenübergreifendes Bündnis setzt sich in der Charta: „Zukunft Stadt und Grün“ ein. © DGS Bild 5 (rechts): Das „Grünbuch Stadtgrün“ ist eine Bestandsaufnahme der vielfältigen Funktionen von Stadtgrün. © DGS 34 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Parkgewässer im Klimawandel Sanierungsmaßnahmen bei städtischen Weihern Klimawandel, Stadtweiher, Nährstoffbelastung, Wasserqualität, Fischbestand, Grünflächen, Ökologie Joachim Bauer Vor dem Hintergrund des prognostizierten Klimawandels erlangen Grünflächen in unseren Städten vermehrt an Bedeutung. Grünanlagen können aufgrund des geringen Versiegelungsgrades und der Transpirationswirkung von Pflanzen dazu beitragen, dass Regenwasser versickert und die Temperatur innerhalb der Grünanlage und im Umfeld gesenkt werden kann. Von großer Bedeutung hierbei ist die Lage der Grünflächen im Stadtgebiet und deren Größe. Aber auch die Struktur und die Art der Bepflanzung und somit der windoffene Charakter einer Freifläche beeinflusst die klimatische Ausgleichsfunktion von Grünflächen. In heißen und trockenen Sommermonaten kann die Transpirationswirkung der Vegetation jedoch so herabgesetzt sein, dass eine klimatische Ausgleichsfunktion nicht mehr gewährleistet ist. Ist hingegen eine Wasserfläche vorhanden, so kann die Verdunstung von Wasser Wärmeenergie verbrauchen und so zu einer signifikanten Verbesserung der thermischen Behaglichkeit beitragen [1] . Bild 1: Das Füttern von Wasservögeln führt zu einem vermehrten Algen- und Unterwasserpflanzenwachstum. © Stadt Köln 35 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Die zunehmende Erwärmung im Sommer kann vor allem bei künstlichen Parkgewässern zu einer Verschlechterung der Wassergüte und der Lebensbedingungen für Tiere und Pflanzen führen. In der Regel sind Parkgewässer durch eine geringe Wassertiefe und somit durch eine fehlende Zonierung des Wasserkörpers gekennzeichnet. Dies führt zu einer schnellen Erwärmung des Wassers und zu einer Absenkung des Sauerstoffgehaltes. Hinzu kommt ein hoher Nährstoffeintrag, zum Beispiel durch Füttern von Wasservögeln, der zu einem vermehrten Algen- und Unterwasserpflanzenwachstum führt (Bild 1). Die Zersetzungsprozesse der abgestorbenen Pflanzen zehren zusätzlich den im Wasser gelösten Sauerstoff. Dies kann in Extremsituationen zu einem Fischsterben führen. Im Juli 2010 trat genau dies am Aachener Weiher im inneren Grüngürtel von Köln auf. Aufgrund der innerstädtischen Lage des Weihers war das Interesse der Öffentlichkeit überaus groß. „Die Empörung schlägt Wellen. Anwohner werfen der Stadt Versäumnisse vor.“ lautete eine der vielen Überschriften in den lokalen Medien. In der Tat musste sich die Verwaltung Versäumnisse vorwerfen lassen, denn über viele Jahre waren die Finanzmittel für die Überwachung der Wasserqualität und auch die Investitionsmittel für Sanierungsmaßnahmen vollständig gestrichen. Der Vorfall im Sommer 2010 war letztendlich eine Konsequenz aus der Vernachlässigung dieses Themas, auch wenn bis heute die Ursachen für das Fischsterben nicht geklärt werden konnten. Da nicht nur Fische, sondern auch Wasservögel starben wurde das Auftreten von Botulismus vermutet, jedoch nicht abschließend nachgewiesen. Sicher ist jedoch, dass die Gründe in der lang anhaltenden Hitzeperiode und den damit verbundenen Veränderungen im Wasserkörper liegen. Dies bewirkte eine erhebliche Erwärmung des Wassers und somit eine Reduzierung des Sauerstoffgehaltes, was letztendlich zum Auftreten von Botulismus führen kann. Nachdem im Sommer 2010 erste Sofortmaßnahmen - wie zusätzliche Wasserzugabe zur Reduzierung der Wassertemperatur - durchgeführt wurden und das Fischsterben nach wenigen Wochen gestoppt werden konnte, stand fest, dass ein solcher Vorfall jederzeit auch an anderen Gewässern auftreten konnte. Aus diesem Grunde wurde unter Einbezug von Experten ein Gesamtkonzept zur Sanierung der Parkweiher erarbeitet, dessen wesentliche Aspekte hier vorgestellt werden. Die Stadt Köln betreibt in ihren Grünanlagen insgesamt 15 Parkgewässer mit einer Gesamtfläche von 55 ha. Die meisten Weiher und Teiche sind vor 80 bis 110 Jahren, also in nur etwas mehr als 30 Jahren Grünentwicklung, entstanden. Ihre bauliche und technische Infrastruktur ist veraltet und eine grundlegende Renovierung ist zumindest nur nach dem 2. Weltkrieg mit der Instandsetzung der Kriegsschäden erfolgt. Alle 15 Parkweiher haben nicht nur ähnliche Probleme, was die bauliche und technische Infrastruktur betrifft, sondern auch hinsichtlich ihrer Wasserqualität und Gewässergüte. Alle Gewässer sind gekennzeichnet durch Perioden der Stagnation, die von Perioden intensiver Befüllung, oft bis zum Überlaufen, unterbrochen werden. Für die Wasserqualität ist es dabei unerheblich, ob das zugespeiste Wasser aus dem Leitungsnetz stammt oder aus einem Grundwasserbrunnen. Beide bringen Nährstoffe in das Gewässer. Weitaus gravierender wirkt sich aber das veränderte Verhalten der menschlichen Gewässerbesucher gegenüber der Tierwelt aus. Waren Fische und Wasservögel früher Nahrung, so sind sie heute Verwerter der Überschüsse verderblicher Nahrung. Trotz Fütterungsverbot nach Satzung, trotz erläuternden Hinweis- und Verbotsschildern ist die Fütterung gängige Praxis und konnte noch nicht eingedämmt werden. Daraus resultieren unnatürlich hohe Populationsdichten von Fischen und Vögeln, wobei sich die Tiere gegenseitig unter Stress setzen. Sie sind anfällig für Krankheiten und Intoxikationen. Für das Gewässer bedeutet die ständige Überfrachtung mit Nährstoffen aus dem Futtereintrag hohe Sauerstoffzehrung, die zur verstärkten Schlammbildung mit anaeroben, fauligen Zonen beiträgt. Da Struktur und auch jeweilige Belastung recht unterschiedlich sind, wurden zunächst für jedes einzelne Gewässer Analysen der Ist-Situation durchgeführt, aus der konkrete Maßnahmen formuliert und diese untereinander gewichtet wurden. Für alle Gewässer wurden eine kontinuierliche Überwachung der Wasserqualität und eine Steuerung des Fischbesatzes festgelegt. Bei einigen standen die Entschlammung, die Installation von Fontänen zur Sauerstoffanreicherung und die Umstellung der Befüllung auf Grundwasser im Vordergrund. Entschlammung der Parkweiher Die Kölner Parkgewässer weisen in der Regel eine Tiefe von etwa 1,50 m auf. Zum Untergrund sind die Weiher durch Ton oder Beton abgedichtet. Alle Weiher werden über Grund- oder Trinkwasser gespeist und verfügen lediglich über einen Überlauf für überschüssiges Wasser. Dies hat zur Folge, dass alles, was im Gewässer produziert wird oder von Außen hineingerät, auch dort verbleibt und sich über die Zeit ansammelt. Die eingetragene organische Substanz durch Laubeintrag, Fäkalien von Enten und Fischen 36 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün sowie Fütterungsreste wird von Mikroorganismen unter Sauerstoffverbrauch abgebaut. Der dazu notwendige Sauerstoffeintrag in die Gewässer erfolgt durch die Atmosphäre und die Photosynthese der Wasserpflanzen. In den Sommermonaten steigt die Wassertemperatur schnell stark an, mit der Folge, dass der Sauerstoffgehalt ab und der -verbrauch der Mikroorganismen für ihre Abbauprozesse zunimmt. Ist also der Eintrag von organischer Substanz im Verhältnis zum Sauerstoffgehalt im Gewässer zu hoch, kann diese mikrobiell nicht komplett abgebaut werden. Sie sinkt zu Boden und bildet eine Faulschlammschicht, die im Laufe der Zeit wächst. Um dem Prozess der Verlandung entgegenzuwirken und um die Gewässerfunktion zu erhalten, muss dieser Schlamm immer wieder entfernt werden. Dies verursacht Kosten und kann zu erheblichen Eingriffen in das Ökosystem des Gewässers führen. Aus diesem Grunde wurden zunächst verschiedene technische und chemische Verfahren zur Reduzierung der Weiherschlämme geprüft. Angewendet wurden dann zwei Verfahren, auf die hier kurz eingegangen werden soll. Sömmern oder Fräsen In Anlehnung an praktizierte Verfahren in der Teichwirtschaft wurde zum einen die Methode des „Sömmerns“ an mehreren Gewässern durchgeführt. Auch wenn eine Trockenlegung der denkbar schwerste Eingriff in ein Gewässer ist, so ist dies jedoch die einzige Möglichkeit, den über Jahre akkumulierten Schlamm radikal zu entfernen (Bild 2). Das Problem hierbei ist jedoch, dass der verbleibende Schlamm nach Trockenlegung immer noch einen hohen Wassergehalt und somit ein großes Volumen aufweist. Da sich die Entfernung solch großer Schlammmengen auch auf die Kosten der Maßnahmen auswirkt, muss der Schlamm vor Ort austrocknen. Bei der Methode des „Sömmerns“ werden deshalb nach dem Ablassen des Wassers im Frühjahr die fruchtbaren Weiherschlämme zur Produktion einjähriger Nutzpflanzen eingesetzt. Die Durchwurzelung des Schlamms führt zu einem verstärkten Schlammabbau, zu einer wesentlichen Verbesserung der Sedimentstruktur und zu einem Umbau der Bodenmatrix. Das ist wiederum Voraussetzung, um den profilgerechten Aushub des Sediments im Herbst durchführen zu können. Als Bewuchs wurde eine Mischung aus Raps und Roggen gewählt. Zur Erntereife war der Boden so weit abgetrocknet, dass die Biomasse mit maschinellem Gerät geerntet und das weitgehend vererdete Sediment ausgekoffert werden konnte (Bild 3). Durch die Maßnahme konnte das Schlammvolumen um die Hälfte und das Gewicht etwa um ein Drittel verringert werden. Die Maßnahme bedurfte jedoch einer intensiven Vorbereitung. Zum einen mussten landschafts- und artenschutzrechtliche Aspekte geklärt und der Fischbestand umgesetzt werden. Zum anderen musste die Öffentlichkeit im Vorfeld informiert werden - denn über einen ganzen Sommer hinweg blühte dort Raps, wo sich sonst eine Wasserfläche befand. Auch wenn die Methode des „Sömmerns“ eine hohe Akzeptanz gefunden und zu einem guten Ergebnis geführt hat, ist der Eingriff in das Gewässersystem erheblich. Aus diesem Grund wurde im Bereich des Stadtwaldkanals und am Waldweiher eine andere Methode durchgeführt, bei der das Wasser nicht abgelassen werden muss. Bei einer Wasserfläche von insgesamt 16 000 qm wurde im Vorfeld eine Sedimentauflage von durchschnittlich etwa 40 cm ermittelt. Dieser Schlamm wird als Wasser-/ Schlammgemisch über ein amphibisches Gerät, welches die Sedimente unter Wasser mit einer Schneckenfräse löst, aufgenommen (Bild 4, Bild 5). Über eine hydraulisch angetriebene Pumpe wird dieses Gemisch über eine Rohrleitung an den Ort der zentralen Aufbereitung gefördert. Insgesamt wurde eine Menge von etwa 6 300 cbm berechnet. Die Aufarbeitung erfolgte über eine Kammerfilterpresse: Dabei fielen rund 2 900 t Fil- Bild 2: Beim „Sömmern“ wird ein Weiher zuerst trockengelegt, dann der zu Tage tretende Schlamm mit einjährigen Nutzpflanzen bepflanzt. © Stadt Köln Bild 3: Zur Erntereife ist der Boden weitgehend abgetrocknet, das vererdete Sediment kann ausgekoffert werden. © Stadt Köln 37 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün terkuchen an (abzufahrende Festbestandteile) und etwa 4 400 cbm Filtrat (ins Kanalnetz einzuleitendes Restwasser). Für den Fischbestand gehen von solchen Tätigkeiten keine Gefahren aus, da die Tiere auch wegen der langsamen Geräte-Bewegung in andere Gewässerbereiche ausweichen können. Umstellung auf Grundwasser Die 15 Parkgewässer wurden zur Regulierung des Wasserstandes teilweise über Brunnenwasser (Grundwasser) oder Trinkwasser (Stadtwasser) gespeist. Vor allem in den Sommermonaten werden große Mengen an Wasser zugeführt, um den Wasserspiegel auszugleichen und einer Erwärmung entgegenzuwirken. Da der Betrieb der Weiher über aufbereitetes Stadtwasser weder ökologisch noch ökonomisch sinnvoll ist, wurde im Rahmen eines Gutachtens geprüft, welches Potential an ökonomischer Einsparung für die betrachteten Weiher durch die Umstellung auf Grundwasser möglich ist. Das Ergebnis dieser Voruntersuchung hat auch den Rat der Stadt Köln überzeugt und so wurden rund 1,3 Mio. € für die Installation von acht Grundwasserbrunnen zur Verfügung gestellt. Die Planungs- und Umsetzungsphase mit Recherchearbeiten, hydrogeologischen Untersuchungen, Aufschlussbohrungen sowie wasserrechtlichen Anträgen dauerte über zwei Jahre, so dass der erste Brunnen im Winter 2015 in Betrieb gehen konnte. Da für den Betrieb der Brunnen zum Teil auch neue Stromanschlüsse erforderlich wurden, konnte ein Großteil der Gewässer gleichzeitig mit Belüftungseinrichtungen in Form von Fontänen ausgestattet werden. (Bild 6) Überwachung der Wasserqualität Neben den Entschlammungsmaßnahmen und der Installation von Grundwasserpumpen und Belüftungseinrichtungen steht seit den Ereignissen am Aachener Weiher das Monitoring der Gewässer im Vordergrund. Bis in die 1980er Jahre wurde die Wasserqualität der Weiher noch regelmäßig geprüft, dann aber aufgrund von Einsparungsvorgaben eingestellt. Ohne verlässliche Daten kann aber der Zustand der Gewässer nicht eingeschätzt werden. Deshalb wurde eine Erstuntersuchung durchgeführt, um die aktuelle Wasserqualität zu kontrollieren und Missstände und den daraus resultierenden Sanierungsbedarf aufzuzeigen. In erster Linie wurden die sauerstoffzehrenden organischen Belastungen sowie die Nährstoffe Stickstoff und Phosphor, die eine übermäßige Produktion organischer Substanz, die sog. Eutrophierung verursachen, erfasst. Als Ergebnis dieser Untersuchung konnte für jedes Gewässer die jeweils spezifische Belastung ermittelt und bewertet, sowie eine Abstufung des erforderlichen Sanierungsbedarfs aufgezeigt werden. Seit dieser Erstuntersuchung werden alle Gewässer zweimal jährlich hinsichtlich chemischer Parameter (Ammonium, Nitrit, Nitrat, Gesamtphosphor und Chlorophyll-a), physikalisch-chemische Parameter (Sichttiefe, Temperatur, Leitfähigkeit, pH-Werte, Sauerstoffgehalt und -sättigung) untersucht und eine Plankton-Bestimmung durchgeführt. Steuerung Fischbesatz Auch wenn die vorliegenden Ergebnisse der Wasseruntersuchungen nur den Zustand an dem jeweiligen Tag der Probeentnahme widerspiegeln, lässt sich jedoch eine Tendenz in der Entwicklung der Wassergüte darlegen. Deutlich ablesbar ist die hohe Nährstoffbelastung aller Gewässer, die auch Auswirkungen auf den Fischbestand hat. Da keinerlei Erkenntnisse über den tatsächlichen Fischbesatz vorlagen, wurde 2011 der Rheinische Fischereiverband mit der Erstellung eines fischereilichen Pflegekonzeptes beauftragt. Das langfristig ausgerichtete Konzept sollte Vorschläge für eine regelmäßige professionelle Bestandsreduktion und für eine nachhaltige angelfischereiliche Nutzung aufzeigen und so zur Stabilisierung der Wasserqualität und zu einer Begrenzung des Risikos von Krankheiten und Fischsterben beitragen. Bild 4: Der Schlamm vom Grund des Weihers wird abgetragen und zur zentralen Aufbereitungsstelle gepumpt. © Stadt Köln Bild 5: Ein amphibisches Gerät löst die Sedimente unter Wasser mit einer Schneckenfräse. © Stadt Köln 38 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Grundlage war eine Erhebung des Besatzes durch Elektrobefischung. Hierzu wurde von einem Boot aus ein Elektrofischereigerät eingesetzt, durch das in einem 1,5 m breiten Korridor alle Fische betäubt wurden. Die Fische wurden dem Gewässer entnommen, bestimmt und vermessen (Bild 7). Ergänzend zur Elektrobefischung wurden Stellnetze eingesetzt, um den Gesamtbestand und die Fische des Freiwassers besser erfassen zu können. Bei der Untersuchung wurden über 7 800 Fische gefangen und 21 Fischarten registriert. Die entnommene Gesamtbiomasse betrug 1,5 Tonnen. Die aus den Ergebnissen ermittelte Fischbestandsdichte von 200 bis 400 kg Biomasse pro Hektar ist insgesamt als hoch zu bezeichnen. Hauptgrund hierfür ist die Fütterung durch Erholungssuchende. Aufbauend auf dieser Untersuchung wurde für alle Gewässer ein zweibis dreijähriger Entnahmeturnus durch Elektrobefischung festgelegt (Bild 8). Für die Angelfischerei wurden zu jedem Gewässer konkrete Entnahmevorschläge formuliert, um die gewünschte fischereiliche Steuerung durch die drei bewirtschaftenden Angelvereine im Rahmen der laufenden Hege optimal zu unterstützen. Die Entnahme zielt vor allem auf Weißfischarten und den stark gründelnden Karpfen. Ergänzend wird durch konkrete Besatzmaßnahmen der Anteil an Raubfischen, wie Hecht und Zander, erhöht (Bild 9). Angestrebt wird ein Raubfisch-Anteil von 20-30 %. Diese Maßnahmen werden auch in den kommenden Jahren fortgesetzt. Weiherpaten Die aufgeführten Maßnahmen sollen mittelfristig dazu beitragen, die Parkgewässer grundlegend zu sanieren und in einen guten ökologischen Zustand zu versetzen. Das öffentliche Interesse an dieser Zielsetzung ist sehr groß und vor allem die Elektrobefischung und der Besatz mit Raubfischen werden intensiv durch die Medien begleitet. Dennoch ist festzustellen, dass eine der Hauptursachen für den schlechten Zustand der Gewässer, das Füttern von Wasservögeln und Fischen, in einer Großstadt allein durch die Verwaltung nicht zu unterbinden ist. Deshalb hat das Amt für Landschaftspflege und Grünflächen einen Aufruf zur Findung von Weiherpaten gestartet. Mittlerweile gibt es insgesamt 16 Weiherpaten, die vor Ort die Erholungssuchenden ansprechen und über die Konsequenzen ihres Fehlverhaltens aufklären. Die Weiherpaten tragen eine blaue Weste mit dem Logo der Stadt Köln und der Aufschrift „Weiherpate“, haben aber keine ordnungsbehördliche Befugnis. Infotafeln an den Weihern und Infoflyer unterstützen die Arbeit der Paten. Bild 6: Fontänen helfen, die städtischen Gewässer zu belüften. © Stadt Köln Bild 7: Die Fische aus den Parkweihern wurden bestimmt und vermessen. © Stadt Köln Bild 8: Drei Kölner Angelvereine sorgen für einen ausgeglichenen Fischbestand. © Stadt Köln Bild 9: Rund ein Viertel der Fischpopulation sind Raubfische wie Hecht und Zander. © Stadt Köln 39 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Fazit Das Fisch- und Wasservogelsterben am Aachener Weiher 2010 hat die bis dahin vernachlässigte Betreuung der Parkgewässer offengelegt. Die Medien und die Stadtgesellschaft haben der Verwaltung ihren Unmut hierüber sehr deutlich gemacht. Mittlerweile liegt ein umfassendes Konzept, bestehend aus verschiedenen Bausteinen vor, das zum Teil schon umgesetzt werden konnte. Hierauf aufbauend müssen weitere Maßnahmen umgesetzt werden, die auch finanziert werden müssen. Vor dem Hintergrund sich verändernder klimatischer Bedingungen müssen die erforderlichen Ressourcen bereitgestellt werden, wenn die Parkweiher weiterhin ihre ökologischen, klimatischen und erholungsrelevanten Funktionen erfüllen sollen. LITERATUR UND ANMERKUNGEN: [1] Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Klimagerechte Metropole Köln. Abschlussbericht. Fachbericht 50. Recklinghausen 2013. [2] Kölner Stadt-Anzeiger vom 17./ 18. Juli 2010. [3] Gutachten des Büros Ilkon, Ingenieurbüro für limnologische Konzepte, Bornheim: Die Entwicklung der urbanen Parkgewässer in Köln. [4] Die Methode des „Sömmerns“ wurde am Mülheimer Stadtgartenweiher, am Weiher Theodor-Heuss-Ring, am Lindenthaler Kanal, am Klettenbergpark durchgeführt. [5] Gutachten des Büros Ilkon, Ingenieurbüro für limnologische Konzepte, Bornheim. [6] Erftverband. Wasserqualität der Kölner Kleingewässer. Bericht zur ökologisch/ chemischen Untersuchung 2001. [7] Rheinischer Fischereiverband von 1880 e.V.: Abschlussbericht zum Projekt Fischbestandskontrolle an den Kölner Stadtgewässern und Vorschläge für eine fortlaufende fischereiliche Steuerung, 2012. Dr. Joachim Bauer stv. Leiter des Amtes für Landschaftspflege und Grünflächen der Stadt Köln Kontakt: joachim.bauer@stadt-koeln.de AUTOR Ein Jahr lang Transforming Cities zum halben Preis lesen, als Printausgabe oder ePaper, anschließend zum Normalpreis. www.transforming-cities.de/ starterabo/ TranCit StarterAbo Aller Anfang ist leicht. 40 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Einleitung Immer mehr Menschen ziehen aus ländlichen Regionen in die Städte. Gemäß dem Treibhausgas-Inventarbericht 2016 ist die Siedlungsfläche im Jahre 2014 um 910 370 ha gewachsen [1]. In den Städten können fortschreitende Flächenversiegelung, Zerschneidung von Biotopen sowie urbane Wärmeinseleffekte zu erheblichen Beeinträchtigungen von Lokalklima, Wasserhaushalt und Biodiversität führen. Die urbane Begrünung kann daher als Mitigationsmittel verwendet werden [2]. Dachbegrünungen können als Trittsteinbiotope Lebensraumfunktion übernehmen und so einen Beitrag zum Schutz der Extensive Dachbegrünungen im urbanen Raum Bedeutung der kleinflächigen Dachbegrünungen für Lokalklima, Wasserhaushalt und Biodiversität Dachbegrünung, Biodiversität, Bedeckungsgrad, Mikroklima, Temperaturextreme, Wasserrückhalt, Städte Elke Hietel, Oleg Panferov, Ute Rößner Der Beitrag von kleinflächigen, extensiven Dachbegrünungen zur Verbesserung von Lokalklima, Wasserhaushalt und Biodiversität in Städten wurde untersucht. Dabei konnten positive Effekte für die Biodiversität (Arten- und Individuenzahlen) und für die Minderung der Temperaturextreme festgestellt werden. Sonst haben die kleinflächigen Dachbegrünungen keinen signifikanten Einfluss auf das lokale Mikroklima. Bei Starkregen verringern die Dachbegrünungen den Wasserabfluss - wobei das Substrat, nicht der Pflanzenbewuchs, die entscheidende Rolle für den Wasserrückhalt spielt. Biodiversität leisten. Außerdem können die begrünten Dächer zur Verbesserung der Energieeffizienz der Gebäude, zur Abkühlung des städtischen Mikroklimas um 0,33 °C bis 3 °C [3], [4] und zur Reduktion der täglichen Temperaturschwankungen beitragen [5]. Der Gebäude-Regenwasserabfluss kann um 60 bis 79 % reduziert werden [6]. Zudem werden durch Dachbegrünung im urbanen Raum gestalterische Verbesserungen erreicht, ohne dass zusätzliche Flächen in Anspruch genommen werden. Gerade extensive Dachbegrünungen spielen hierbei eine große Rolle, da sie auf den meisten Dächern relativ einfach umgesetzt werden können [7]. Daher gibt es Bild 1: Begrünte Garagendächer und Kiesdächer [13] 41 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün aktuell verschiedene Initiativen zur Begrünung der Städte, z.B. die Charta „Zukunft Stadt und Grün“ [8] und das „Grünbuch Stadtgrün“ [9]. Dennoch werden in Deutschland nur etwa 5 bis 10 % der neu entstandenen Dachflächen begrünt [10]. Zudem gibt es Wissenslücken zu den Gesamtauswirkungen von Dachbegrünungen [11] sowie Informationsbedarf zur zielorientierten Umsetzung bei Architekten, Städteplanern sowie in Politik und Verwaltung [10]. Die bis heute durchgeführten experimentellen Untersuchungen und Modellstudien haben meistens die Stadt insgesamt bzw. die Großgebäudeskalen betrachtet [z.B. 12]. Häufig handelt es sich aber im urbanen Raum nur um kleinflächige Begrünungen, z.B. auf Garagendächern. Welche Bedeutung haben nun solche extensiven, kleinflächigen Begrünungen und wie können Aufbau und Pflege der Dachbegrünungen aus ökologischer Sicht optimiert werden? Im Rahmen des Projekts „Messtechnische Erfassung der Auswirkungen von Dachbegrünung auf Lokalklima, Wasser und Biodiversität“, das seit 2014 an der Technischen Hochschule (TH) Bingen durchgeführt wird, sollen diese Fragen beantwortet werden. Material und Methoden Untersuchungsobjekt: Für die Untersuchungen wurden Fertiggaragen mit extensiven Dachbegrünung (Fläche jeweils 2 x 5 m 2 ) auf dem Gelände der TH Bingen (49.95 °N, 7.92 °O, ca. 100 m ü. NN) genutzt. Bei der Dachbegrünung handelt es sich um einen typischen Dreischichtaufbau mit einer 9 cm dicken Substratschicht und Flachballenpflanzen (ca. 15 Stück/ m², Sedum, Anlage der Begrünung im Jahr 2011). Referenzflächen sind bekieste Garagendächer, mit einer ca. 3 bis 5cm dicken Kiesschicht. Alle Garagen stehen zwischen Gebäuden auf einem gepflasterten Parkplatz mit nur vereinzelten Gehölzen, so dass von einer dem „urbanen Raum“ entsprechenden Situation auszugehen ist (siehe Bild 1). Biodiversität: Als Indikator für die Biodiversität wurden blütenbestäubende Insekten untersucht. Nach [14] stellen insbesondere Hautflügler (Hymenoptera) eine wichtige Indikatorartengruppe für die Lebensraumqualität von Siedlungsbereichen dar. Erfasst wurden Honigbienen (Gattung Apis), Hummeln (Gattung Bombus), sonstige Wildbienen (Überfamilie Apoidea), Wespen (Unterfamilie Vespinae), Schwebfliegen (Familie Syrphidae) und sonstige Fliegen (Unterordnung Brachycera). Die nur vereinzelt auftretenden Schmetterlinge, Käfer und Heuschrecken wurden unter „Sonstige“ zusammengefasst. Folgende Parameter wurden verwendet:  Abundanz (Individuenanzahl der einzelnen Insektengruppen pro m 2 ),  Gesamtdichte (Gesamtindividuenanzahl aller Insektengruppen pro m 2 ),  Vielfalt (Anzahl der Insektengruppen je m 2 ). Die zu erfassenden Flächen wurden in jeweils 5 m 2 große Parzellen aufgeteilt. Die Erfassung erfolgte über jeweils 5 min pro Parzelle von Juli bis September 2014 und von Juni bis August 2015 [13], [15]. Gemessen wurde nur bei bestimmten, einheitlichen Witterungsbedingungen (Lufttemperatur > 18 °C, Windgeschwindigkeit < 3 m s- 1 , Niederschlagsfreiheit, Bewölkungsgrad < 30 %). Zusätzlich wurde auf den Gründächern auch der Grad der Vegetationsbedeckung (in %) erfasst. Mikroklima Die mikroklimatischen Messungen von kurzwelliger einfallender und reflektierter Strahlung, Lufttemperatur und -feuchte, Windgeschwindigkeit und -richtung wurden als: a) kontinuierliche Messungen mit automatischer Wetterstationen von Theodor Friedrichs & Co von September 2014 bis September 2015; und b) Messkampagnen mit Handmessgeräten von Juni bis August 2015 durchgeführt [16]. Um die räumliche Verteilung der Temperaturunterschiede auf den begrünten und unbegrünten Dächern zu erfassen, wurden außerdem Aufnahmen mit einer Wärmebildkamera gemacht. Wasserhaushalt Die Studien des Wasserhaushalts wurden A) unter Laborbedingungen im Technikum und B) auf oben beschriebenen Garagen im Sommer 2015 durchgeführt. A) Es wurden vier große Parzellen (1 m 2 ) mit dem typischen Dreischichtenaufbau und unterschiedlichen Begrünungsarten und eine Referenzparzelle mit einer Kiesschicht aufgebaut. Zur Simulation eines Starkregens erfolgten Beregnungen aller fünf Parzellen mit ca. 23,5 L m -2 Stunde -1 . Über einen installierten Abfluss wurde das Volumen des abfließenden Wassers gemessen. Ebenfalls erfolgte die kontinuierliche Bestimmung des Gewichtes der Parzellen. Eine Klimastation ermittelte alle relevanten Daten, um daraus die Verdunstung berechnen zu können [17]. B) Für die Beregnung der oben beschriebenen Garagen wurde ein Rasensprenger genutzt (gleiche Niederschlagsmenge wie in (A)), die Wurfweite und -breite konnten reguliert werden. Über ein 42 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Fallrohr (D = 75 mm) gelangte das Abflusswasser in einen Behälter (50 Liter) auf einer Waage für kontinuierliche Messungen des Abflusswassergewichts. Ergebnisse Biodiversität Bei den Kiesdächern zeigen alle erfassten Insektengruppen (außer „Fliegen“) eine niedrigere Abundanz als bei den Gründächern. Die Gesamtdichte sowie die Vielfalt auf den Kiesdächern sind gleichfalls signifikant (p < 0,05) niedriger als auf den Gründächern (siehe Bild 2). Auch die Variabilität (Standardabweichungen) ist bei den Gründächern höher als bei den Kiesdächern. Zudem zeigen sich signifikante Korrelationen zwischen der Höhe des Bedeckungsgrades und den Abundanzen sowie der Gesamtdichte aller Insektengruppen (p < 0,05). 0 5 10 15 20 25 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Lufttemperatur (°C) Monat Grün Kies Bild 2: Vergleich der mittleren Abundanzen (aus allen Messungen) bei den Gründächern und bei den Kiesdächern; Gesamt Gründach und Gesamt Kiesdach bezieht sich auf die jeweilige Gesamtdichte aller Insektengruppen. Bild 3: Monatliche Mittelwerte der Lufttemperatur über den begrünten und unbegrünten Flächen 2014. Mikroklima Die Ergebnisse zeigen, dass die unbegrünten Kiesdächer im Durchschnitt eine signifikant (p < 0,05) höhere Albedo haben als die begrünten: 0,16 ± 0,0375 und 0,12 ± 0,014 entsprechend. Die Messergebnisse der automatischen Wetterstationen für 2014 zeigen, dass die Werte der Lufttemperatur über Kiesdächern im Jahresdurchschnitt niedriger sind als über den begrünten Dächern (11,7 °C und 12,7 °C). Der Vergleich auf der Monatsskala bestätigt die Ergebnisse für die Jahreswerte - mit Ausnahme der Periode Mai bis Juli sind die Kiesdächer kühler. Von Mai bis Juli sind die begrünten Dächer minimal kühler (siehe Bild 3). Die Messkampagnen im Sommer 2015 zeigen ähnliche Ergebnisse - im Sommer ( Juni bis August) sind die Gründächer etwas kühler (26,5 °C vs. 27,1 °C). Alle Unterschiede sind jedoch statistisch nicht signifikant (p > 0,05). Die Gründächer zeigen kleinere Jahresamplituden und Extremwerte (Min -6.3 °C, Max 40.6 °C) als Kiesdächer (-7.5 °C, 41 °C). Die Wärmebilder zeigen aber, dass die Temperaturkontraste innerhalb der einzelnen Dächer auf begrünten Garagendächern deutlich höher sind (Bild 4). Die Werte der relativen Feuchte und Windgeschwindigkeit unterscheiden sich minimal (ca. 1 % und 0.1 m s -1 ). Wasserhaushalt In Tabelle 1 sind die Wasserbilanz und der Abflussbeiwert für die einzelnen Parzellen im Technikum dargestellt. Die Technikumsversuche mit zwei stark begrünten (B1/ B2) und zwei unbewachsenen Parzellen (A1/ A2) zeigen, dass die Substratdicke eine wesentlich größere Wirkung auf den Wasserrückhalt eines Gründaches hat als eine gut entwickelte Vegetationsschicht (3 %). Die Verdunstung war sehr gering (keine direkte Sonnenstrahlung, kein Wind) und hat den Wasserrückhalt kaum beeinflusst. Die Garagenversuche zeigten, dass die Abflussmenge stark vom Feuchtezustand des Substrates abhängt (siehe Bild 5). Das Substrat ohne Beregnung war sehr trocken wegen der sehr niederschlagsarmen Bedingungen im Sommer 2015. Die nicht vorbewässerten Gründächer (Garagen 1, 2, 3) zeigten die geringsten Abflussmengen im Beregnungsversuch (C = 0,0 bis 0,16). Die niedrigen Verdunstungs- und Verlustmengen lassen den Schluss zu, dass das nicht abgeflossene Wasser primär im Substrat gespeichert wird. Eine Vorbewässerung der Garage 1 erhöhte die Abflussmenge (C = 0,3) und eine erneute Beregnung minderte den Wasserrückhalt signifikant (C = 0,7). 43 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Diskussion und Schlussfolgerung Die höheren Werte für Abundanzen, Gesamtdichte und Vielfalt auf Gründächern bestätigen eindeutig die Lebensraumfunktion sowie die Bedeutung auch kleinflächiger extensiver Dachbegrünungen als Trittsteinbiotope für die Biodiversität im urbanen Raum. Dies wurde in Untersuchungen z.B. von [18], [19], [20] auch bestätigt. Die größere Streuung der Abundanzen auf den Gründächern kann mit den dort größeren Temperaturkontrasten (Extremlebensraum) erklärt werden, die zu einer höheren Besiedlungsdynamik führen. Der Lebensraum hat daher vorzugsweise für mobile Tierarten wie z.B. Vögel, Spinnen, Fluginsekten Bedeutung. Darüberhinaus besteht eine Korrelation zwischen dem Bedeckungsgrad der Vegetation und der Abundanz sowie der Gesamtdichte. Je höher der Bedeckungsgrad, desto mehr Insektenindividuen finden sich auf den Dächern. Daher ist für eine ökologische Optimierung der Dachbegrünungen zu empfehlen, dass bei dem Aufbau der Dachbegrünungen sowie bei der Pflege auf das kurzfristige Erreichen eines hohen Bedeckungsgrades geachtet wird. Insgesamt haben kleinflächige, urbane Extensivbegrünungen also deutlich positive Effekte auf die Biodiversität und können insbesondere dabei helfen, den Rückgang der blütenbestäubenden Insekten zu mindern. Die meteorologischen Messungen zeigen, dass auf kleineren räumlichen Skalen die Dachbedeckungen keinen signifikanten Einfluss auf das lokale Mikroklima haben. Der in der Literatur beschriebene kühlende Effekt der Dachbegrünung [z.B. 4] konnte nicht eindeutig nachgewiesen werden. Dieser Effekt wurde aber meistens durch einen Vergleich mit „konventionellen“ schwarzen Dächern beobachtet. Die in unserem Experiment beobachteten Tendenzen entsprechen eher den Ergebnissen von [12], die zeigten, dass die Dachoberflächen mit höherer Albedo stärkere kühlende Effekte und auch höhere Temperaturschwankungen als die Gründächer haben können. Im Sommer können sich die Gründächer durch Evapotranspiration stärker abkühlen. Die Untersuchungen zum Wasserhaushalt zeigen, dass die Dachbegrünung die Abflussmenge nach einem Starkregenereignis signifikant verringert [17], [21]. Besonders deutlich ist dieser Effekt nach einer längeren Trockenheit. Die Hypothese, dass die Dachbegrünungspflanzen einen substantiellen Beitrag zum Wasserrückhalt leisten [6], [21] wurde nicht bestätigt - die Wasserspeicherung bzw. der Wasserrückhalt fand hauptsächlich im Substrat statt und der Pflanzenbeitrag war sehr gering. Der Pflanzenbewuchs ist trotzdem sinnvoll, da dadurch Substraterosion vermieden und die Entwicklung der Biodiversität ermöglicht wird. Bild 4: Wärmebilder des Gründachs (links) und des Kiesdachs (rechts) an einem sonnigen Tag. Bild 5: Abflussmenge von den Garagen mit Gründächern im Beregnungsversuch [17]. „Trocken“ = Substrat mit natürlichem Feuchtegrad. „Feucht“ = Gründach ist vorbewässert, danach erneute Beregnung und Abflussmessungen. Versuch A1 A2 B1 B2 R Einheit Regenmenge 24 23,5 23,5 24,5 23,5 kg/ m 2 *h Abfluss 12,764 11,250 12,617 11,151 18,015 kg Gespeichert 11,100 11,730 10,750 13,228 5,385 kg Verlust durch Leckage 3,470 0,000 0,150 0,483 0,000 kg Rest 0,136 0,520 0,133 0,122 0,100 kg Verdunstung 0,029 0,036 0,043 0,033 0,030 kg/ m 2 Fehler 0,45 2,06 0,38 0,36 0,30 % Abflussbeiwert C 0,53 0,48 0,54 0,46 0,77 - Tabelle 1: Wasserbilanz und Abflussbeiwert für die einzelnen Parzellen im Technikum [17]. 44 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün LITERATUR: [1] Umweltbundesamt (Hrsg.): Berichterstattung unter der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen und dem Kyoto-Protokoll 2016. Nationaler Inventarbericht zum Deutschen Treibhausgasinventar 1990 - 2014, Climate Change 23/ 2016, 1040 S. ISSN 1862-4359. [2] Oberndorfer, E., Lundholm, J., Bass, B., Coffman, R.R., Doshi, H., Dunnett, N., Gaffin, S.R., Köhler, M., Liu, K.K.Y., Rowe, B.: Green roofs as urban ecosystems: ecological structures, functions, and services. Bio- Science 57 (10), 2007, p. 823-833. [3] Jaffal, I., Ouldboukhitine, S. E., Belarbi, R.: A comprehensive study of the impact of green roofs on building energy performance. Renewable Energy 43, 2012, p. 157-164. [4] Santamouris, M.: Cooling the cities - A review of reflective and green roof mitigation technologies to fight heat island and improve comfort in urban environments. Solar Energy 103, 2012, p. 682-703. [5] Liu, K.K.Y., Baskaran, B.: Thermal performance of green roofs through field evaluation. Proceedings for the first North American green roof infrastructure conference, awards, and trade show, Chicago, IL, May 29-30, 2003, p. 1-10. [6] Nardini, A., Andri, S., Crasso, M.: Influence of substrate depth and vegetation type on temperature and water runoff mitigation by extensive green roofs: shrubs versus herbaceous plants. Urban Ecosyst, 15, 2012, p. 697-708. [7] FLL: Richtlinie für die Planung, Ausführung und Pflege von Dachbegrünungen. 2008, Bonn. [8] BGL: Charta Zukunft Stadt und Grün. 2014, Berlin. [9] BMUB (Hrsg.): Grün in der Stadt - Für eine lebenswerte Zukunft. Grünbuch Stadtgrün. 2015, Bonn. [10] FBB: Bundesweite Strategie Gebäudegrün. 2015, Saarbrücken. [11] Gargari, C., Bibbiani, C., Fantozzi, F., Campiotti, C.A.: Environmental impact of Green roofing: the contribute of a green roof to the sustainable use of natural resources in a life cycle approach. Agriculture and Agricultural Science Procedia 8, 2016, p. 646-656. [12] Susca, T., Gaffin, S. R., Dell’osso, G. R.: Positive effects of vegetation: Urban heat island and green roofs. Environ. Pollut., 159, 2011, p. 2119-2126. [13] Kaiser, C.: Untersuchungen zu den Auswirkungen der extensiven Dachbegrünung auf lokale Biodiversität und Mikroklima. Bachelorarbeit, 2014, Fachhochschule Bingen, unveröffentlicht. [14] Brinkmann, R.: Berücksichtigung faunistisch-tierökologischer Belange in der Landschaftsplanung. Informationsdienst Naturschutz Niedersachsen, 4/ 98, Niedersächsisches Landesamt für Ökologie, Hildesheim, 1998, S. 58-127. [15] Kuhlmann, M.: Erfassung der Auswirkungen extensiver Dachbegrünung auf die lokale Abundanz und Vielfalt blütenbestäubender Insekten. Bachelorarbeit, 2015, Fachhochschule Bingen, unveröffentlicht. [16] Stock, B.: Messtechnische Erfassung der Auswirkungen von Dachbegrünung auf das Mikroklima. Bachelorarbeit, 2016, Fachhochschule Bingen, unveröffentlicht. [17] Sternagel, A.: Messtechnische Erfassung der Auswirkungen von extensiver Dachbegrünung auf den Wasserhaushalt. Bachelorarbeit, 2015, Fachhochschule Bingen, unveröffentlicht. [18] Gedge, D. & Kadas, G.: Green roofs and biodiversity. Biologist 52/ 3, 2005, p. 161-169. [19] Schrader, S. & Böning, M.: Soil formation on greenroofs and its contribution to urban biodiversity with emphasis on Collembolans. Pedobiologia, 50 (4), 2006, p. 347-356. [20] Hui, S. C. M. & Chan, K. L.: Biodiversity assessment of green roofs for green building design. In: Proceedings of Joint Symposium 2011: Integrated Building Design in the New Era of Sustainability, 22, 2011, Hong Kong. [21] BGL: Regenwassermanagement - natürlich mit Dachbegrünung. Bad Honnef, 1999, GaLaBau-Service GmbH. Prof. Dr. Elke Hietel Landschaftsökologie, Landschaftsplanung, GIS Technische Hochschule Bingen Kontakt: e.hietel@th-bingen.de Prof. Dr. Oleg Panferov Klimatologie, Klimaschutz und Klimaanpassung Technische Hochschule Bingen Kontakt: o.panferov@th-bingen.de Prof. Dr. Ute Rößner Wassertechnologie, Altlasten, Umweltanalytik Technische Hochschule Bingen Kontakt: roessner@th-bingen.de AUTOR I NNEN Einfach In Kontakt bleiben ...  Redaktion  christine.ziegler@transforming-cities.de  089 889518.72  Anzeigen  hellfried.zippan@trialog.de  089 889518.74 45 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün In dem von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) geförderten Projekt wurden Dachlandschaften entwickelt, die mittels pergolaartig aufgeständerten, lichtdurchlässigen Photovoltaik-Paneelen und einem darunterliegenden Grün- und Erholungsraum eine Dreifachnutzung der wertvollen urbanen Dachflächen erlauben und dabei gleichzeitig die Lebensqualität der Bewohner und Bewohnerinnen erhöhen (Bild 1). Die Bedürfnisse der Stadtbevölkerung und der positive Effekt von Pflanzen Die Begrünung von Städten liefert einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Wohn- und Lebenssituationen in den meist stark versiegelten Stadtquartieren. Die Pflanzen leisten dabei wertvolle Dienste wie Filterung von (Fein-)Stäuben und Bindung von CO 2 sowie die Produktion von Sauerstoff. Dadurch tragen sie positiv zur Hebung der Luftqualität bei. Durch den Einsatz von Pflanzen an städtischen Oberflächen wie z.B. Gebäudewänden oder Dächern wird die Rauigkeit dieser Flächen erhöht, wodurch Wind und Schallreflexion gemindert werden. Die Transpiratonsleistung von Pflanzen trägt zusätzlich zur Kühlung der Luft und in Folge zur Reduktion des „Urban Heat Island“-Effektes bei. Im Bodenaufbau der Begrünungen kann Niederschlagswasser versickern, also in den natürlichen Kreislauf zurückgebracht werden und somit der Spitzenabfluss bei Starkregenereignissen abgefedert werden [1]. Die Bevölkerung im städtischen Raum wächst, täglich werden mehr und mehr Flächen versiegelt, Der Quadratmeter hoch drei Energiegewinnung, Erholung und Grünraum im Photovoltaik- Dachgarten - ein Systemkonzept zur Vereinigung bislang konkurrierender Nutzungswünsche auf dem Flachdach. PV-Dachgarten, PV, Gründach, Stromerzeugung, Urban Gardening Irene Zluwa, Ulrike Pitha Eine Dachlandschaft zum Erholen für den Menschen? Grüne Energieproduktion mittels Solarzellen? Oder doch ein biodiverser Lebensraum für Tier und Pflanze? Dass diese Vorstellungen zur Nutzung von Flachdächern sich nicht ausschließen, sondern „unter ein Dach“ bringen lassen, bewies ein Forschungsprojekt der Universität für Bodenkultur Wien in Kooperation mit Firmenpartnern aus der Grün- und Gebäudetechnik mit dem Systemkonzept „PV-Dachgarten“. Bild 1: Die Dreifach- Funktion des PV-Dachgartens: Energieproduktion mit der PV-Überdachung - Erholungsraum für den Menschen - biodiverses Gründach. © Irene Zluwa 46 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün um Platz für Wohnraum zu schaffen. Durch die Erweiterung und Verdichtung des Stadtraumes wird das Angebot von bodengebundenen Freiräumen stetig reduziert. Neue Freiflächen müssen gefunden werden. Aus diesem Grund wurden Dachflächen von Gebäuden zum beliebten Standort für unterschiedliche Nutzungen. Diese gilt es zu koordinieren und multifunktionale Lösungen zu erarbeiten, die möglichst viele unterschiedliche Funktionen auf dem raren Freiraum kombinieren. Eine Herausforderung, der sich das Team des Forschungsprojektes „PV- Dachgarten“ (Tatwort-Nachhaltige Projekte, ATB- Becker, Ertex-Solar, Gartengestaltung Jörg Fricke, Raintime, IC-Clean Solutions, Wien Süd, Architekturbüro Treberspurg und Partner und drei Institute der Universität für Bodenkultur Wien (Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau, Institut für konstruktiven Ingenieursbau, Institut für Meteorologie)) stellte und ein Systemkonzept für stromproduzierende grüne Dachlandschaften entwickelte. Vorgangsweise im Projekt Als erster Schritt wurden Umfragen zur „Wunschnutzung“ von Dachflächen gemacht. Die potenziellen Nutzer und Nutzerinnen der Dachflächen nannten folgende Funktionen in absteigender Reihenfolge: Ruhe- und Erholungszone, sozialer Treffpunkt, Spiel- und Sportfläche, Urban Gardening, Arbeiten (Home Office). Bei den Befragungen wurde die Produktion von grünem Strom mittels Photovoltaik ebenfalls als sinnvoll angesehen. Zusätzlich wurde festgestellt, dass ein Witterungsschutz (vor Sonne, Regen und Wind) auf den exponierten Dachflächen als wesentlicher Faktor zur Akzeptanz und erfolgreichen Annahme der Flächen notwendig ist. Weiters wurden rechtliche Rahmenbedingungen sowie Stakeholdervorgaben ermittelt, dann mit der Planung der konstruktiven Details (im nächsten Absatz näher beschrieben) begonnen. In einer Versuchsanlage wurden die Bedingungen auf realer Ebene getestet - vor allem die Pflanzenauswahl in den kernschattigen Zonen stellte eine große Herausforderung dar. Aus ausgewählten Indikatorpflanzen konnten Artenvorschläge für die sonnigen Bereiche der Terrassen, für die halbschattigen Bereiche am Rand der Photovoltaik-Überdachung und für die Zonen im Kernschatten der PV abgeleitet werden. Aufbau der Photovoltaik-Dachlandschaften Die pergolaartige Trägerkonstruktion (Bild 2) kann modulartig zusammengesetzt werden. Das Basismodul besteht aus Stahlrahmen und Rohren, die mit Stahlplatten auf der Schutzlage über der (wurzelfesten) Abdichtung der Dachfläche aufliegen. Auf ihr wird die Photovoltaik-Überdachung befestigt, diese ist aus überkopftauglichen Glas-Glas-Modulen mit 30-prozentiger Transparenz ausgeführt (Bild 3). Die erforderliche Restlichtdurchlässigkeit wurde von der Universität für Bodenkultur Wien in einem Vorversuch ermittelt und als Mindestwert für ein erfolgreiches Pflanzenwachstum geeigneter Arten festgelegt [2]. Auf dem Dach befindet sich über den korrosionsgeschützten Stahlplatten ein vollflächiger Gründdachaufbau, der durch die Auflast des Substrates der Windsoglast entgegenwirkt. Dadurch ist keine Dachdurchdringung notwendig und Risiken wie Undichtheit an den Durchdringungsstellen und Schwingungsübertragung in das Gebäude können vermieden werden. Auch ist es mit diesem System möglich, ein Flachdach unkompliziert als energieerzeugende Gründachlandschaft nachzurüsten, wenn es die Statik erlaubt. Anstatt des vollflächigen Gründaches können auch einzelne Tröge auf die Dachfläche aufgesetzt werden. Bild 2: Modulartig erweiterbare Trägerkonstruktion. © Institut für konstruktiven Ingenieurbau, Arbeitsgruppe Ressourcenorientiertes Bauen, Universität für Bodenkultur Wien Bild 3: Lichtdurchlässiges Photovoltaikmodul mit gelochten und opaken Zellen. © Roman Fritthum 47 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Über die Stahlrohre der Trägerkonstruktion werden die Leitungen für die Photovoltaik verdeckt geführt. Regenwasser kann von der dichten PV-Überdachung in den Gründachaufbau geleitet und so als nachhaltige Wasserressource für den Dachgarten genutzt werden. Auch Regenwassersammlung mit Hilfe von integrierten Behältern ist möglich. Der Schichtaufbau des Gründaches (wurzelfeste Dachabdichtung - Schutzlage - Drainageschicht - Filtervlies - Vegetationstragschicht) muss mindestens 20 cm betragen, um genug Wurzelraum für höhere Pflanzen bereitzustellen, je stärker die Substratstärke, umso breiter ist das mögliche Artenspektrum. Weiters ist bei der Auswahl der Arten auf die unterschiedlichen Lichtzonen zu achten (Bild 4). Für die vollsonnigen Flächen ist ein breites Artenspektrum möglich und es gibt bereits umfangreiche Listen und Pflanzenempfehlungen. In den Randbereichen unter der PV-Überdachung fühlen sich Halbschattenpflanzen wohl, schwierig erweist sich die Pflanzenauswahl in den Flächen, die nur etwa 30 % direkte Strahlung zur Verfügung haben. Hier wird vorwiegend auf Blattschmuckstauden zurückgegriffen, die trotzdem hitze- und trockenheitsverträglich sind. Weitere Forschung und das Sammeln von Erfahrungswerten ist hier notwendig, um ein breiteres Artenspektrum empfehlen zu können. Musterlandschaften Auf diesen Erkenntnissen aufbauend wurden in einem nächsten Schritt Musterlandschaften entwickelt, die mittels Plandarstellungen, Visualisierungen und Pflanzenvorschlägen, die Einsatzmöglichkeiten einer Photovoltaik-Dachlandschaft aufzeigen sollen: Wie in Bild 7 und 8 gezeigt, dient als erstes Musterbeispiel ein 420 m 2 großer Dachgarten, der für alle Bewohner und Bewohnerinnen eines Wohngebäudes zugänglich sein soll. Der Gründachaufbau hat eine Stärke von 25 cm und wird mit einer trittfesten trockenheitsresistenten Kräuterrasenmischung bepflanzt. Für den Bereich in der Mitte der Dachfläche mit Teeküche und Essplatz sowie für die Wegverbindungen sind Oberflächenbefestigungen mit Platten vorgesehen. Für die Pflanzbeete, die von den Nutzern und Nutzerinnen selbst gestaltet und bewirtschaftet werden können, werden auf den Gründachaufbau Hochbeetelemente mit integrierten Sitzmöglichkeiten aufgesetzt. Für diese Variante wird eine Grundauswahl an Pflanzen vorgesehen, die durch die Bewohner und Bewohnerinnen selbst ergänzt und verändert werden kann. In den schattigen Bereichen des Dachgartens bilden Mahonie, Bergenie und Porzellanblümchen ein schattenverträgliches Grüngerüst. Bild 4: Gründachaufbau mit Bepflanzung im teilschattigen Randbereich. © Irene Zluwa Bild 5: Wildbiene auf dem Gründach. © Irene Zluwa Bild 6: Chilli-Pflanze. © Irene Zluwa Im teilschattigen Randbereich besticht das Garten- Reitgras, ein rotblühender Storchenschnabel mit eindrucksvoller Herbstfärbung und das den ganzen Sommer lang gelbblühende Mädchenauge. Auf den vollsonnigen Flächen treten Goldsedum im Sommer und Hohes Sedum im Herbst in den Vordergrund. Für Dynamik sorgen sich selbst aussäende Pflanzen wie Löwenmaul, Ringelblume und Akelei, die sich in den vorgesehenen Lücken der Pflanzflächen verbreiten sollen. Diese robuste, pflegeleichte Pflanzenauswahl kann von den Nutzern und Nutzerinnen des Dachgartens frei erweitert werden. Besonders die Küchenkräuter Strauchbasilikum, Schnittlauch oder Salbei eignen sich dafür hervorragend. 48 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Die zweite vorzustellende Mustervariante zeigt eine Dachlandschaft, die in Mieterparzellen gegliedert ist (Bild 8). Die Grundausstattung, Menge der Hochbeete und Rasenfläche wird in Absprache mit dem Bauträger vorab festgelegt, kann aber im nachhinein noch verändert werden. Zusätzlich bietet ein optionales Gartenhäuschen Platz zum Lagern von Werkzeug und zur Überwinterung von Möbeln. Hierbei ist auf zusätzliche (Wind-)lasten bei der Berechnung der statischen Eignung der Dachflächen zu achten. Jede Parzelle hat einen eigenen Wasseranschluss. In den besonnten Hochbeeten ist jede Art von Bepflanzung möglich, die Vorraussetzungen für Urban Gardening sind hier bestens gegeben. Unter der Photovoltaiküberdachung kann man sich im Schatten nach getaner Arbeit ausruhen oder die Köstlichkeiten der Tagesernte genießen. Für diesen Artikel wurden nur zwei Musterbeispiele herausgegriffen, weitere Möglichkeiten für PV-Dachgärten auf einem Bürogebäude und einem Hochschulzentrum können im Planungshandbuch unter folgendem Link online abgerufen werden: http: / / w w w.baunat.boku.ac.at / f ileadmin/ data/ H 0 3 0 0 0/ H 8 70 0 0/ H 8 74 0 0/ V T/ P V - D a c h g a r te n _ Planungshandbuch.pdf [5] Umsetzungsprojekte gesucht Um diese Idee von der Dreifachnutzung der Fläche nun auf eine reale Ebene zu bringen, werden Umsetzungsprojekte gesucht. Die Projektgruppe hat sich zum Ziel gesetzt, energieerzeugende Photovoltaik- Dachgärten auf Flachdächern verstärkt zu etablieren, um in Zukunft die Dachflächen unserer Städte ökologisch sinnvoll nutzen zu können. Ideen wie der Photovoltaik-Dachgarten können bodengebundene, öffentliche(! ) Freiflächen und Bäume nicht ersetzen. Nur durch die Kombination von unterschiedlichen (traditionellen) Grünstrukturen und innovativen Lösungsansätzen wie dem PV-Dachgarten können unsere Städte auch unter zunehmender Verdichtung lebenswert bleiben. LITERATUR: [1] Pfoser, Nicole et al.: Gebäude, Begrünung und Energie: Potenziale und Wechselwirkungen. Interdisziplinärer Leitfaden als Planungshilfe zur Nutzung energetischer, klimatischer und gestalterischer Potentiale sowie zu den Wechselwirkungen von Gebäude, Gebäudebegrünung und Gebäudeumfeld. Technische Universität Darmstadt. Abschlussbericht August 2013. [2] Kremer, Anja: Pflanzen unter lichtdurchlässigen Photovoltaikmodulen - Untersuchung des Einflusses unterschiedlicher Beschattungen durch lichtdurchlässige PV-Module auf Indikatorpflanzen. Masterarbeit am Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau, Universität für Bodenkultur Wien, 2015. Bild 10: Musterbeispiel für einen PV-Dachgarten auf einem Wohngebäude. © für alle Bilder auf dieser Seite: Institut für konstruktiven Ingenieurbau, Arbeitsgruppe Ressourcenorientiertes Bauen, Universität für Bodenkultur Wien Bild 7 (oben): Visualisierung des Mustergrundrisses für ein gemeinschaftlich genutztes Dach. Bild 9: Der Photovoltaik- Dachgarten aus der Vogelperspektive. Bild 8 (rechts): Visualisierung für private Mieterparzellen in der PV- Dachlandschaft. 49 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün [3] Dunnett, N., Kingsbury, N.: Planting Green Roofs and Living Walls. Timber Press, Portland, London, 2008. [4] Mann, G. in: Köhler, M.: Handbuch Bauwerksbegrünung, Planung, Konstruktion - Ausführung. Verlagsgesellschaft Rudolf Müller GmbH & Co KG, Köln, 2012. [5] Projektkonsortium PV-Dachgarten (2015): Innovative Systemkonzepte für den Strom erzeugenden Dachgarten der Zukunft, 2015. https: / / forschung.boku.ac.at/ fis/ suchen.projekt _ uebersicht? sprache_in=de&menue_id_in=300&id_ in=9901 Ergebnisse des Forschungsprojektes und Planungsh a n d b u c h : h t t p : / / w w w . b a u n a t . b o k u . a c . a t / fileadmin/ data/ H03000/ H87000/ H87400/ V T/ PV- Dachgarten_Planungshandbuch.pdf AUTORINNEN DI Irene Zluwa Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Arbeitsgruppe Vegetationstechnik am Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau der Universität für Bodenkultur Wien Kontakt: irene.zluwa@boku.ac.at Priv.-Doz. Dipl.-Ing. Dr. Ulrike Pitha Leiterin der Arbeitsgruppe Vegetationstechnik am Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau der Universität für Bodenkultur Wien Kontakt: Ulrike.pitha@boku.ac.at Especially for you - for free. Stand-alone English-language editions of Internationales Verkehrswesen appear under the title of International Transportation. These special issues should provide a new momentum and stimulate a worldwide interdisciplinary discussion of the challenges currently facing transport and logistics. The publications bring together practical and professional views and different perspectives presented by authors from business and industry, science and politics. These articles will be complemented by interviews, commentaries, surveys and analyses. International Transportation is targeted at planners and decision makers in municipalities, communities, public authorities and other institutions, municipal and commercial transport providers, planning groups, engineers, scientists and students. PDF / e-book: cost-free download from the website of Internationales Verkehrswesen and additionally by e-mail to the target groups at partnering institutions across the world. Internationales Verkehrswesen and International Transportation are publications of TRIALOG: PUBLISHERS, Munich Download: www.internationalesverkehrswesen.de/ english Anzeige 50 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Die Begrünung im urbanen und im ländlichen Raum ist ein wesentlicher Bestandteil des Garten- und Landschaftsbaus (GaLaBau) und in den vergangenen Jahren ein stark wachsendes Segment geworden. Der Umsatz des GaLaBaus, der im Jahr 2015 7,14 Mrd. € betrug, besaß zum Vorjahr eine Wachstumsrate von 4,4 % und ist aufgrund der anhaltenden kräftigen Nachfrage nach Dienstleistungen rund um das Bauen mit Grün stark im Wachsen begriffen [1]. Insbesondere die Bedeutung von Stadtgrün nimmt immer mehr zu. Gegenwärtig werden so z. B. in Deutschland nach Aussagen der Fachvereinigung Bauwerksbegrünung e. V. etwa 8-10 Mio. m² Dachbegrünungen angelegt [2], aber auch begrünte Lärmschutzwälle und -wände werden immer mehr. Der Schwerpunkt des Garten- und Landschaftsbaus liegt mit 77 % im Neuanlegen von Grünflächen, ca. 20 % entfallen auf Pflegetätigkeiten. Neue vorkultivierte Vegetationssysteme werden vielfältig in verschiedenen Sektoren eingesetzt. Sie werden immer beliebter, weil sie zu schnellem Grün verhelfen. Vorkultivierte Vegetationsmatten findet man vor allem in folgenden Bereichen:  Außenanlagen im Wohnungsbau  Straßenbegleitgrün, Lärmschutzanlagen  Friedhofsanlagen  Dach- und Fassadenbegrünung  Naturnaher Wasserbau  Rekultivierung Auf dem Gebiet der Rekultivierung bzw. Renaturierung wird in Zukunft verstärkt gearbeitet werden. Grund hierfür ist die hohe Anzahl an Altlastverdachtsflächen (250 000) mit einer Ausdehnung von rund 900 000 ha [3]. Auch hier können künftig verstärkt vorkultivierte Vegetationsmatten angewendet werden. Aufgrund der steigenden Wachstumsrate im Garten- und Landschaftsbau ist abzusehen, dass der Markt daher weiterhin expandiert. Die Etablierung von neuartigen Vegetationsträgern, wie im Folgenden beschrieben, könnte zu einer sinnvollen Markterweiterung führen. Nutzung von Schafrohwolle Im Bereich des Garten- und Landschaftsbaus wird stets nach neuen gärtnerischen Kultursubstraten gesucht, denn die bisherigen Produkte werden leider nicht immer den ökologischen und vegetationstechnischen Erfordernissen durchgängig gerecht. Insbesondere für extensive Dachbegrünungen werden Materialien für Vegetationsmatten gesucht, die ein gutes Pflanzenwachstum gewährleisten, leicht sind, viel Wasser speichern können und eine nachhaltige Wirkung besitzen. Die Verwendung von Naturfasern und nachwachsenden Rohstoffen wird dabei immer bedeutender. Mittlerweile gibt es eine Reihe von Geotextilien, die aus pflanzlichen Fasern bestehen und erfolgreich im Garten- und Landschaftsbaus eingesetzt werden. Dennoch sind die Stoffeigenschaften dieser Materialien nicht immer optimal und die vollständige Pflanzendeckung auf den Vliesen und Geweben erfolgt über einen meist sehr langen Zeitraum. Schafwolle zählt ebenfalls zu den nachwachsenden 18,5 69 72 87 91 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Kokos-Matte 400 g/ m² Schafwoll-Kokos-Matte 1000 g/ m² Schafwoll-Kokos-Matte 1500 g/ m² Schafwoll-Kokos-Matte 500 g/ m² Schafwoll-Kokos-Matte 2000 g/ m² Pflanzendeckung [%] Dachbegrünung mit Schafwollmatten Dachbegrünung, Stadtökologie, Vegetationsmatten, Schafwollle Susanne Herfort Bei Dachbegrünungen werden sehr oft schon bereits vorkultivierte Vegetationsmatten verwendet. Diese haben den Vorteil, dass die Pflanzendeckung auf den zu begrünenden Dächern bereits zu Beginn sehr hoch ist. Vegetationsmatten, bestehend aus Schafrohwolle und Kokos, haben den großen Vorteil, dass sie genügend Wasser speichern, aber auch über eine Langzeitdüngewirkung verfügen. Untersuchungen über 10 Jahre zeigen, dass die Matten für extensive Pflanzen bestens geeignet sind. Bild 1: Pflanzendeckung auf Schafwoll- Kokos-Matten mit unterschiedlichem Flächengewicht nach vier Monaten Vorkultivierungszeit. © Herfort 51 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Rohstoffen und wird gegenwärtig hauptsächlich in der Textilindustrie eingesetzt. In Europa wurde der Absatz von Schafwolle in den letzten Jahren jedoch immer schwieriger. Der Rückgang der Schafhaltung hält seit Jahrzehnten in Deutschland an. Mittlerweile werden in Deutschland nur noch 1,6 Mio. Schafe gehalten. Damit ist in den letzten 10 Jahren der Schafbestand um 62 % gesunken (2006: 2,6 Mio. Schafe) [4]. Die letzte Wollwäscherei in Deutschland schloss 2009, so dass das Nebenprodukt Schafwolle von den Schäfern oftmals nur noch entsorgt werden kann. Schafrohwolle, die als natürlicher und nachwachsender Rohstoff jedoch stets gratis anfällt, besitzt aber nicht nur sehr gute textile Eigenschaften, sondern ist auch für Pflanzen physiologisch äußerst wertvoll. Sie ist zum einen in der Lage, ein Vielfaches ihres Eigengewichtes an Wasser aufzunehmen und kann damit ein guter Wasserspeicher sein, enthält aber auch wichtige Pflanzennährstoffe wie Stickstoff (ca. 10-12 %), Kalium (ca. 4-6 %) und Schwefel (ca. 2 %) und ist zudem vollständig biologisch abbaubar. Somit sind die Voraussetzungen gegeben, dass Schafwolle im Garten- und Landschaftsbau erfolgversprechend eingesetzt werden kann. Einsatz von Schafwoll-Vegetationsmatten Ein vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit gefördertes Forschungsvorhaben in den Jahren 2001 bis 2004 hatte zum Ziel, eine Produkt- und Verfahrensentwicklung zur sinnvollen Nutzung von Schafrohwolle für den Garten- und Landschaftsbau vorzunehmen [5]. Es sollten erstmalig Trägermaterialien auf der Basis ungewaschener und ungereinigter Schafwolle entwickelt werden. Sie sollten einen hohen Gebrauchswert haben und zudem kostengünstig sein. In dem Projekt wurde erstmalig Schafrohwolle mit all ihren Nichtwollbestandteilen (Schweiß, Sand, Pflanzenteile und Kot) zu dünnschichtigen Vegetationsträgern verarbeitet und anschließend im Labor und in der Praxis getestet. Reine Schafwollmatten wurden untersucht und die Kombination mit Kokosfasern, die ein gutes Dränvermögen aufweisen. In den Praxisversuchen wurden für die Vorkultivierung Sedumsprossen (S. album, S. cauticolum, S. kamtschaticum, S. reflexum, S. sexangulare, S. spurium) mit einer Ausstreustärke von 100 g Sprossen/ m² verwendet. Getestet wurde zudem, welche Substratstärke (5 mm; 2,5 mm; 1 mm; ohne Substrat) auf den Matten notwendig ist, um eine hohe Pflanzendeckung zu erreichen. Desweiteren wurde die Langzeitdüngewirkung der Schafwollmatten hinsichtlich der Pflanzenentwicklung untersucht. Vorteile von Vegetationsmatten aus Schafrohwolle Es zeigte sich während der Vorkultivierung, dass sich Schafwoll-Kokos-Matten als Wirrvlies gelegt, als Vegetationsmatten sehr gut eignen. Empfohlen wird, eine dünne Substratschicht bei der Vorkultivierung auf die Rohmatten aufzubringen, da so die Sedumsprossen schneller in das Substrat und in die Matte einwurzeln können. Innerhalb von 4 Monaten erreichten die unterschiedlichen Vegetationsmatten, die alle eine Substratstärke von 5 mm aufwiesen, eine Pflanzendeckung zwischen 69 % und 91 % (Bild 1). Nach der erfolgreichen Vorkultivierung der Vegetationsmatten wurde dann geprüft, ob die Anforderungen der Richtlinie für die Planung, Ausführung und Pflege von Dachbegrünungen (FLL) erfüllt wurden. Sowohl die bautechnischen als auch die vegetationstechnischen Zielsetzungen mussten berück- Bild 2: Neu verlegte Schafwoll-Kokos- Matten im Mai 2006. © Herfort Bild 3: Neu verlegte Schafwoll-Kokos- Matten Ende Juni 2006. © Herfort Bild 4: Schafwoll-Kokos- Matten im Sommer 2009. © Herfort 52 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün sichtigt werden. Neun Monate nach der Verlegung bestätigten sich die positiven Eigenschaften der Schafwoll-Kokos-Matten:  Die Vegetationsmatten bestehen für Anzucht, Transport, Verlegung und Verwendungszweck aus geeigneten Trägereinlagen.  Die Vegetationsmatten können mit einem zugfesten Armierungsgewebe ausgestattet werden, so dass sie den Anforderungen an Geotextilien entsprechen.  Die Vegetationsmatten sind gleichmäßig dick ausgebildet und gestatten eine hohlraumfreie Verlegung.  Die Vegetation ist durch Kulturmaßnahmen ausreichend abgehärtet, wenn sie über die Wintermonate auf den Vorkultivierungsflächen bleibt.  Der Gesamtdeckungsgrad kann durch optimale Kulturmaßnahmen während der Vorkultivierungszeit (Minimum vier Monate) 75 % und mehr betragen. Wenn die Matten ausreichend hygienisiert sind, ist kein Fremdbesatz festzustellen.  Durch Gewinnung, Transport und Verlegung entsteht kein Verlust beim Füllsubstrat. Im Mai 2006 wurde an der Humboldt-Universität zu Berlin ein extensives Gründach (ca. 350 m²) mit vorkultivierten Schafwollmatten errichtet (Bild 2 bis Bild 4). Dieses Dach wurde über Jahre nicht gedüngt und die Pflanzendeckung betrug auf den vollsonnigen Dachbereichen stets 100 % (Bild 4). Pflege und Düngung Bezüglich der Pflegegänge war es in den 10 Jahren des Bestehens erforderlich, mindestens ein Mal im Frühjahr das Unkraut und die aufgegangenen Baumsämlinge zu entfernen. Insbesondere auf den schattenexponierten Dachflächen wurden die Sedumpflanzen von Beikräutern aus der Umgebung verdrängt (Bild 5). Das zeigt, dass die entwickelten Vegetationsmatten für schattige Bereiche mit angepassten Standortmischungen vorkultiviert werden müssen. Desweiteren konnte festgestellt werden, dass die Schafwoll-Kokos-Matten nach 10 Jahren vollständig biologisch abgebaut sind. Im Frühjahr 2016 wurde das erste Mal eine flächendeckende Düngung mit einem Langzeitdünger durchgeführt. Ausblick Dieses Beispiel hat gezeigt, dass dünnschichtige Vegetationsmatten aus Schafwolle und Kokosfasern für extensive Dachbegrünungen funktionieren. Der Transfer kann nun erfolgreich beginnen. Die Langzeiterfahrungen zeigen, dass Dachbegrünungen mit Schafwoll-Kokos-Matten äußerst nachhaltig sind und dass in den ersten 5 bis 10 Jahren keine zusätzlichen Düngergaben erforderlich sind (Bild 6), was ein positiver ökonomischer Faktor ist. Gegenwärtig forscht das IASP an dickschichtigen Vegetationsmatten aus Schafrohwolle mit Staudenpflanzen zum Beispiel für den Einsatz im Bereich der intensiven Dachbegrünung. Dieses Projekt wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert. Mit ersten Ergebnissen ist Ende des Jahres 2016 zu rechnen. LITERATUR [1] https: / / www.galabau.de/ branchendaten.aspx [2] http: / / www.gebaeudegruen.info/ [3] Geschäftsbericht des Bundesverbandes Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau e.V., Stand 2012 (Veröff./ 2013). [4] Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2016. [5] http: / / www.iasp.asp-berlin.de/ iasp115.html Bild 5: Extensive Dachbegrünung mit schattenexponierten Flächen, Sommer 2015. © Herfort Bild 6: Schafwoll-Kokos- Matten nach acht Jahren ohne Düngung. © Herfort Dipl.-Ing. Susanne Herfort Wissenschaftliche Mitarbeiterin Institut für Agrar- und Stadtökologische Projekte an der Humboldt-Universität zu Berlin (IASP) Kontakt: susanne.herfort@iasp.hu-berlin.de AUTORIN 53 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Begrünte Außenwände verbessern je nach Pflanzenart saisonal oder ganzjährig die Aufenthaltsqualität der Städte. Sie tragen zu einer Optimierung der Gebäude (Bild 1) sowie zu einer Verbesserung ihres Umfelds (Bild 2) bei. Das Gutachten des Landes NRW greift die baulichen und botanischen Zusammenhänge auf, zeigt quartiersorientierte Unterstützungsansätze zum Themenkomplex der Fassadenbegrünung und liefert Daten zur erreichbaren Verbesserung der Aufenthaltsqualität in der Stadt. Das Bewuchsziel und die angestrebten Wirkungen können mit wandgebundenen Begrünungssystemen durch Vorkultivierung der Pflanzenauswahl sofort erreicht werden - bei bodengebundenen Begrünungen kann es beschleunigt werden, indem die Zielbegrünung zunächst solange mit schnellwüchsigen einjährigen Kletterpflanzen unterstützt wird, bis sie ihre geplante Höhe erreicht hat. Für die Anpassung der Städte an den Klimawandel müssen Bebauungsstruktur, Flächenpotenziale, Klima- und Sensitivitätsfaktoren ermittelt und in zielführende Wirkungszusammenhänge mit den Leistungsdaten der unterschiedlichen Begrünungstechniken gebracht werden. Entscheidend für die Umsetzung sind darüber hinaus eine gute projektbezogene Beratung der Hauseigentümer und ein kommunales Engagement zur Information als Vorbild- und Förderungsgeber, um die Bürger zu erreichen. Das Ministerium gibt den Kommunen mit dem Inhalt des Gutachtens die erforderlichen Hinweise zur Leistungsbreite städtischer Fassadenbegrünung und zum Procedere für eine Realisation unter den Anreizen der Wohnwertsteigerung und des ökologischen Beitrags (Einzelgebäude und Stadtraum). Förderziel Während in früheren Programmen zur Dach- und Fassadenbegrünung ökologische und gestalterische Ziele im Vordergrund standen, vereinen sich diese Ziele heute unter der Notwendigkeit, dem globalen Klimawandel auch auf lokaler Ebene zu begegnen, und gerade die verdichteten urbanen Gebiete mit ihrer hohen Vulnerabilität an die Folgen des Klimawandels anzupassen. Mit der Zunahme stadtklimatischer Probleme wie „heiße Tage“ (= 30 °C), „tropische Nächte“ (= 20 °C) oder Starkregenereignisse, kommt dem Stadtgrün eine wachsende Bedeutung zu. [1, S. 38] Oberziele des Förderprogramms Oberziele der Förderung von urbanen Begrünungsmaßnahmen sind demnach Beiträge zur Reduktion des Klimawandels und zur Anpassung an dessen Folgen. Eine Verbesserung weiterer ökologischer Funk- Fassadenbegrünungen in Städten Fassadenbegrünung, Stadtklima, Gebäudeoptimierung, Umfeldverbesserung, Förderprogramm Jörg Dettmar, Nicole Pfoser, Sandra Sieber Gutachten über quartiersorientierte Unterstützungsansätze von Fassadenbegrünungen für das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz (MKUNLV) NRW. Bild 1: Maßnahmen zur Gebäudeoptimierung - Darstellung der Wirkungen sowie Einsparungen durch Fassadenbegrünung. © N. Pfoser [6, S. 88] 54 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün tionen und eine Steigerung der Aufenthaltsqualität sind dabei immanente Potenziale dieser Oberziele. Hierzu gehören auch die Verbesserung der Luftqualität und die Lärmminderung [1, S. 38]. Ansätze Förderprogramm Fassadenbegrünung Bei urbanen Begrünungsprogrammen müssen neben der Frage, was gefördert werden soll (Zweck = nur Fassadenbegrünung, Dach- und Fassadenbegrünungen, Hofflächen etc.) auch die Fragen wo gefördert werden soll (Gebietskulisse = flächendeckend oder lokal bedarfsorientiert) und wie gefördert werden soll (Umfang = finanzielle Förderung, Beratung, Wettbewerbe, etc.), geklärt werden. Nur so kann die Effizienz der Maßnahme gewährleistet werden. [1, S. 39] Grundsätzlich kommen bei diesen Programmen zwei unterschiedliche Ansätze in Frage: Punktuell mit gezieltem thematischem Schwerpunkt oder flächig ohne thematischen Schwerpunkt. Die Konzentration der Programme mit einer punktuellen Strategie macht es möglich, gezielt Stadtquartiere herauszufiltern, in denen:  eine nachgewiesene stadtklimatische Problematik und ggf. auch eine erhöhte Vulnerabilität vorliegt (Potenzial/ Notwendigkeit zur Anpassung an den Klimawandel)  ein hoher Sanierungsbedarf besteht (Potenzial/ Notwendigkeit zur Reduktion des Klimawandels)  eine erhöhte Luftbelastung mit Schadstoffen besteht und ggf. zusätzlich Probleme mit Lärm (Potenzial/ Notwendigkeit zur Verbesserung der ökologischen Funktionen und der Aufenthaltsqualität) Diese Problemlagen treffen häufig auf innerstädtische Gebiete mit großen Durchgangsstraßen zu. Oft weisen diese Straßen aufgrund ihrer zentralen Lage eine hohe Einwohnerdichte und wegen mangelnder Aufenthaltsqualität auch einen erhöhten Sanierungsbedarf auf. Auch die Versiegelung als Mitursache für den urbanen Hitzeinseleffekt (HIE) ist hier besonders hoch. Im Gegensatz zu flächigen Programmansätzen, die keinen Zugriff auf solche Gebiete mit einer Überlagerung von ineinander greifenden Problemen ermöglichen (und so ggf. nur zu einer weiteren Begrünung bereits gut durchgrünter Quartiere führen), kann ein punktueller Programmansatz gezielt gerade solche Stadtviertel herausgreifen [1, S. 40]. Empfehlungen zur quartierorientierten Unterstützung von Fassadenbegrünung Im Ergebnis stellt das Gutachten die Leistungsfähigkeit von Fassadenbegrünung (Gebäude und Umfeld, Gebäudeoptimierung, Umfeldverbesserung, Hemmnisse und Hinderungsfaktoren) dar, weiterhin Bauweisen und Planungskriterien, Kosten, Nutzen und Zweck, sowie Umfang und Gebietskulisse einer finanziellen Förderung von quartiersorientierten Bild 3: Schritte für ein Programm zur quartiersorientierten Unterstützung von Fassadenbegrünung. © N. Pfoser, S. Sieber 2016 [1, S. 45] Bild 2: Maßnahmen zur Umfeldverbesserung im städtischen Kontext. Darstellung der Wirkungen sowie Einsparungen/ Zugewinn durch Fassadenbegrünung. © N. Pfoser [6, S. 98] 55 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Prof. Dr.-Ing. Jörg Dettmar Technische Universität Darmstadt, Fachbereich Architektur, Fachgebiet Entwerfen und Freiraumplanung Kontakt: dettmer@freiraum.tu-darmstadt.de Dr.-Ing. Nicole Pfoser Technische Universität Darmstadt, Fachbereich Architektur, Fachgebiet Entwerfen und Freiraumplanung Kontakt: pfoser@freiraum.tu-darmstadt.de Dipl.-Ing. (FH) Sandra Sieber Technische Universität Darmstadt, Fachbereich Architektur, Fachgebiet Entwerfen und Freiraumplanung Kontakt: ssieber@la.rwth-aachen.de Unterstützungsansätzen zur Fassadenbegrünung. Es konkretisiert dies anhand eines Anwendungsbeispiels in Aachen (Auswahl Stadtquartier, Planungs- und Gestaltungskriterien, Umsetzung) [2]. Bei der Bewertung der unterschiedlichen Förderschwerpunkte (Planung, Investition, Standortaufbereitung) ist festzuhalten, dass entgegen der weit verbreiteten Förderung von Pflanzkosten vor allem eine Förderung der quartierwie gebäudebezogenen Planung sowie die Förderung der Standortvorbereitung (u. a. Entsiegelungsmaßnahmen) zielführend wären: Diese Förderung kann innerhalb der Förderprogramme des Landes zur Anpassung an den Klimawandel, zur Entwicklung Grüner Infrastrukturen oder zur Quartierentwicklung hohen Nutzen bringen. Die Förderbestimmungen des Landes sollten hierzu ein integriertes Handlungskonzept voraussetzen, innerhalb dessen die Kommunen begründen, warum welche Gebiete mit welchen Handlungs- und Förderschwerpunkten ausgewählt wurden. Förderempfängerin der Landesförderung wäre jeweils die Kommune, die ihrerseits - je nach Konzept - diese Förderung auf Basis einer kommunalen Förderrichtlinie weiterreichen würde [1, S. 45]. Begleitende Maßnahmen zur Erfolgssicherung Unabhängig von der konkreten Förderkulisse gibt es Faktoren (Bild 3), die zur Erfolgssicherung eines „Förderprogramms Fassadenbegrünung“ maßgeblich sind. Zu diesen Faktoren gehören:  fachlich qualifizierte Beratung zum Förderprogramm  strategische Auswahl des Quartiers und die Bündelung von Maßnahmen im Quartier (Flächenpotenziale identifizieren)  gezieltes Ansprechen von Gebäudebesitzern, Bauherren und Investoren (Öffentlichkeitsarbeit), gerade in Gebieten mit Blockrand- oder Innenstadt-Bebauung, die einen hohen Anteil privater Einzeleigentümer aufweisen [3]  kompetente fachliche Beratung zu Planung, Ausführung und Pflege  fachliche Begleitung der Maßnahmen  nutzen und kommunizieren des Imagegewinns bei gelungener Umsetzung (Verstetigung der Öffentlichkeitsarbeit) Um diese Faktoren zur Erfolgssicherung gewährleisten zu können, müssen in den zuständigen Verwaltungen und Abteilungen die personellen Ressourcen zur Betreuung, Beratung und Bearbeitung zur Verfügung stehen. Um diesen essentiellen Part der Beratung und Planung sicherzustellen (aber auch zu erleichtern), könnte ein webbasierter Fragenkatalog als Entscheidungshilfe eingesetzt werden [1, S. 46]. LITERATUR [1] Dettmar, J., Pfoser, N., Sieber, S.: Gutachten Fassadenbegrünung. Gutachten über quartiersorientierte Unterstützung von Fassadenbegrünungen für das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz (MKUNLV) NRW, unter: https: / / www.umwelt.nrw.de/ fileadmin/ redaktion/ PDFs/ klima/ gutachten_fassadenbegruenung.pdf [22.07.2016] [2] Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen: Grüne Wände verbessern die Lebensqualität. Umweltministerium veröffentlicht Gutachten über die Unterstützungsansätze von Fassadenbegrünungen, unter: https: / / www.umwelt. nrw.de/ pressebereich/ detail/ news/ 2016-07-22-fassadenbegruenungen-gruene-waende-verbesserndie-lebensqualitaet-gutachten-zeig t-unterstuetzungsansaetze/ [22.07.2016] [3] NRW.BANK: Wohnungsmarktbericht NRW 2015. Düsseldorf, S. 35 ff., unter: http: / / www.nrwbank.de/ wohnungsmarktbeobachtung [08.03.2016] [4] Pfoser, N. et al.: Gebäude Begrünung Energie. Potenziale und Wechselwirkungen. Abschlussbericht, unter: baufachinformation.de/ literatur/ Gebäude- Begrünung-Energie/ 2013109006683 [20.12.2013] [5] Pfoser, N. et al./ Hrsg.: Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V. - FLL: Gebäude Begrünung Energie. Potenziale und Wechselwirkungen, 2014, Bonn, [6] Pfoser, N.: Fassade und Pflanze. Potenziale einer neuen Fassadengestaltung, unv. Diss., Technische Universität Darmstadt, unter: http: / / tuprints.ulb.tudarmstadt.de/ 5587/ [21.07.2016] AUTOR I NNEN 56 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Die ungehemmte Versiegelung von Freiflächen (täglich in Deutschland ca. 31 ha [1]), die Zunahme des Verkehrs und andere Faktoren führen vor allem in den Innenstädten zu ungünstigen stadtklimatischen Folgen:  Durch die Reduzierung wasseraufnehmender Bodenschichten fließt der Regen ungehindert ab und belastet die Kanalisation extrem. Gleichzeitig ist die Verdunstungsrate enorm niedrig und die Verdunstungskühlung bleibt aus. Wirkung und Funktion „Grüner Gleise“ Gleisbegrünung, ökologische Effekte, Stadtgestaltung, Regenwasserrückhaltung, Lärmreduktion, Staubbindung Christel Kappis, Hendrikje Schreiter Die Begrünung von Straßenbahngleisen wird vor allem wegen ihrer vielen ökologischen und stadtgestalterischen Effekte umgesetzt. Diese wirken insbesondere in hochversiegelten Stadtinnenräumen. So kann durch die Begrünung von 4 km Einzelgleis mehr als 1 ha Vegetationsfläche neu entstehen. Bis zum Ende des Jahres 2015 wurden in Deutschland mehr als 565 km Gleise begrünt. Dadurch wurden bisher über 140 ha bzw. 1,4 Mio. m² begrünte Gleistrasse zuzüglich angrenzender Grünflächen geschaffen. Bild 1: Grüne Gleise in Berlin. © Schreiter, IASP 57 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün  Aufgrund der starken Aufheizung hochversiegelter Bereiche entstehen im Sommer große Temperaturunterschiede zwischen Innenstadt und Stadtrand.  Die Lärmbelastung steigt nicht nur durch die Zunahme des Verkehrs, sondern auch durch den Einsatz schallreflektierender Oberflächen, die enge Bebauung und die Verringerung von Grünflächen.  Die Luftbelastung mit Feinstaub ist insbesondere in den Innenstädten mit starkem Verkehrsaufkommen groß. Feinstaub wird auf glatten Oberflächen nicht dauerhaft deponiert, sondern immer wieder aufgewirbelt und erneut in der Luft verteilt. Das Wohlbefinden der Menschen in der Stadt, die Lebensqualität und die Gesundheit werden stark beeinträchtigt. Grünflächen können stadtklimatisch ausgleichend wirken. Da ihr Anteil mit wachsender Versiegelung zurückgeht, bieten begrünte Bauwerksflächen oft die einzige Möglichkeit, die positiven Effekte von Grünflächen zu nutzen. Hierzu gehören neben z. B. Dach- und Fassadenbegrünungen verstärkt auch Gleisbegrünungen. Durch Gleisbegrünungen können neue Vegetationsflächen entstehen, für die es kaum ein alternatives Angebot von solchem Flächenpotenzial in den Innenstädten gibt. Sie können zur Teilkompensation der durch die Versiegelung verlorengegangenen stadtökologischen Effekte von Grünanlagen beitragen. So kann durch die Begrünung von 4 km eines Einzelgleises mehr als ein ha Vegetationsfläche neu entstehen. Bis Ende des Jahres 2015 wurden in Deutschland mehr als 565 km begrünte Einzelgleise erfasst [2]. Damit wurden über 140 ha bzw. 1,4 Mio. m² begrünte Gleistrasse zuzüglich angrenzender Grünflächen geschaffen. Die Motive der Verkehrsbetriebe, Gleisbegrünungen umzusetzen, sind dabei sehr vielgestaltig. Viele Verkehrsbetriebe bauen Grüne Gleise vor allem, weil sie für die Akzeptanz einer Strecke zielführend sind und von den zuständigen Behörden als Voraussetzung für die Genehmigung eingefordert werden. Auch beim Umbau bestehender Gleise werden zunehmend Grüne Gleise geplant. Die Hauptgründe der behördlichen Auflagen bestehen vor allem in der Verminderung der Schallimmissionen sowie in der stadtgestalterischen Aufwertung. Gleichzeitig haben Grüne Gleise viele wichtige ökologische Wirkungen, die in ihrer Komplexität und ganzen Tragweite oft nicht bekannt sind und bisher nicht im Fokus der Entscheidungsträger stehen. Stadtklimatische/ stadtökologische Funktionen und Wirkungen Grüner Gleise Regenwasserrückhaltung Durch die Vergrößerung der urbanen Grünfläche kann der lokale Wasserhaushalt der Stadt positiv beeinflusst werden. In grünen Gleisen speichert das Vegetationssystem zunächst das Regenwasser bis zu seiner Sättigung. Überschüssiges Wasser wird abgeführt. Das gespeicherte Wasser wird überwiegend durch Verdunstung (Transpiration der Pflanzen und Evaporation aus dem Substrat) wieder an die Luft abgegeben. Hierbei wird die Luftfeuchte erhöht und Verdunstungskühle erzeugt. Die Wasserspeicherkapazität im Grünen Gleis ist abhängig vom Vegetationssystem. Je nach eingesetzter Vegetation (Rasen oder Sedum, Bild 2 und 3) unterscheidet sich die Vegetationstragschicht in Schichtdicke und Zusammensetzung. Bei Rasengleisen sollte diese mindestens 15 cm betragen. Für Sedumgleise ist eine dünne Vegetationstragschicht von 6 - 8 cm typisch. Grüne Gleise ermöglichen eine durchschnittliche Wasserrückhaltung der jährlichen Niederschlagsmenge je m² Vegetationsfläche im Gleis in Höhe von  50 % bei Sedumgleisen und  70 % bei Rasengleisen [4], [5]. Das entspricht einer durchschnittlichen Wasserrückhaltung pro Jahr und m² begrüntes Gleis von 400 bis 550 L/ a (bezogen auf den durchschnittlichen jährlichen Niederschlag in Deutschland: 790 L/ m²). Von allen Grünen Gleisen in Deutschland werden damit hochgerechnet ca. 700 000 m³ Wasser aufgenommen und nicht der Kanalisation zugeführt. Diese Wassermenge kann damit stadtklimatisch positiv wirken. Potentiell sind in Deutschland mindestens 1150 km Straßenbahngleise begrünbar [3]. Das entspricht einer Grünfläche von etwa 288 ha mit einer Wasserrückhaltung von über 1,55 Mio m³ pro Jahr. Den wichtigsten Einfluss auf die Regulierung der Wasserbilanz haben Grüne Gleise in den Sommermonaten. Hier halten sie durchschnittlich 90 % des Niederschlags, der auf die Begrünung fällt, zurück. Nur etwa 10 % des Regenwassers fließen ab [3]. Im Sommer führt die starke Verdunstung des Wassers immer wieder zur Verringerung des Sättigungsgrades der Vegetationstragschicht und damit zu einem höheren Wasseraufnahmevermögen im Vegetationssystem. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass der Abfluss des nicht gespeicherten Wassers erst deutlich später nach einer Regenwasserspitze, in einer wesentlich geringeren Intensität und gleichmäßiger erfolgt. Damit können Abflussspitzen in diesen Bereichen vermieden und die Kanalisation entlastet werden. 58 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Verbesserung des Stadtklimas durch Verdunstung im Grünen Gleis Als Folge der Versiegelung der Innenstädte kommt es hier verstärkt zu Hitze- und Trockenstress. Oft entstehen Wärmeinseln aufgrund der hohen Wärmeabsorption der Gebäude am Tag, ihrer langsamen Wärmeabstrahlung in der Nacht sowie durch die zu geringe Verdunstungsrate bzw. -kühlung. Hier wirken Vegetationssysteme entlastend. Sie regeln die Wasseraufnahme, die Wasserspeicherfähigkeit, Verdunstung und Kondensation: Pflanzen absorbieren Energie für die Photosynthese, schirmen den Boden vor direkter Sonneneinstrahlung und Aufheizung ab, Pflanzen und Boden verdunsten Wasser, wobei Verdunstungskälte frei wird, und Vegetationssysteme heizen sich im Vergleich zu Beton und Asphalt tagsüber weniger stark auf und kühlen nachts stärker aus. Da im Sommer der Wärmeinseleffekt besonders belastend ist und Verdunstungsprozesse verstärkt ablaufen, ist hier die Bedeutung der Kühlleistung von Vegetationsflächen auch am größten. Analog einem Dresdener Berechnungsmodell [5] ergibt sich folgende theoretische Kühlleistung der begrünten Berliner Gleise in den Sommermonaten: Die Verdunstung von 1 L Wasser entzieht der Umgebung Energie. Dabei können 200 m³ Luft um 10 K (Senkung von 30 °C auf 20 °C) gekühlt werden. Wenn 90 % der sommerlichen Niederschläge auf ein Grünes Gleis darin zurückgehalten werden (in Berlin sind das 220 L je m² Grünfläche im Gleis) kann damit jeder m² Gleisbegrünung im Sommer durch Verdunstung des gespeicherten Wassers zu einer Abkühlung von 44 000 m³ Luft um 10 K beitragen. Hochgerechnet auf die begrünten Berliner Gleise (> 50 km Einzelgleis) bedeutet das, dass ca. 27 500 m³ gespeichertes Wasser im Sommer zu einer Kühlung von 5,5 Mrd. m³ (rund 5 km³) Luft um 10 K führen. Diese Wirkung wird unmittelbar in der Nähe der Grünen Gleise spürbar. Wesentlich größere stadtklimatische Effekte im Stadtraum werden vor allem spürbar sein, wenn diese Begrünungen nicht nur Insellösungen darstellen, sondern mit anderen Begrünungen großflächig vernetzt sind. Schadstoff-/ Feinstaubbindung im Grünen Gleis Vegetationssysteme können je nach Standort und System die Entlastung der Stadtluft von Feinstaub unterstützen: auf der vergrößerten und vergleichsweise rauen Oberfläche des Pflanzenbestandes werden Schadstoffe abgeschieden, z. B. PAK oder Schwermetalle. Dort sind sie teilweise an die Oberfläche gebunden. Einige von ihnen werden verstoffwechselt bzw. eingelagert. Durch die Aufnahme eines Teils des Feinstaubs sowie der Schadstoffe im Grünen Gleis kann die lokale Feinstaubkonzen- Bild 2: (links) Rasengleis © Schreiter Bild 5: (rechts) Tiefliegendes Rasengleis © Schade, NIRA GmbH Bild 3: (rechts) Sedumgleis © Schreiter Bild 4: (links) Hochliegendes Rasengleis © Schreiter, IASP 59 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün tration der Luft verringert werden. Die Abscheidemenge ist dabei z. B. von der Feinstaubkonzentration der Luft, den Windverhältnissen oder der Oberflächenrauigkeit des Vegetationssystems abhängig. Dieser Effekt tritt vermutlich insbesondere bei einem hohen Deckungsgrad der Vegetation mit hoher Depositionsoberfläche und ungleichmäßigen Bestandshöhen auf. Aufwirbelung und Wiedereintritt des Staubes in die Luft über dem Vegetationssystem werden im Vergleich zu versiegelten Flächen deutlich reduziert. Das begrünte Gleis befindet sich meist unmittelbar an einer der Hauptemissionsquellen des Feinstaubes, dem Straßenverkehr. Auch der Bahnverkehr selbst erzeugt Feinstaub, z.B. Abrieb von Bremsen, Rädern, Schienen sowie Oberleitungen. Aufgrund der Staubbindung direkt am Ort der Staubemission und des zum Teil hohen Flächenanteils von Straßenbahngleisen besitzt die Gleisbegrünung ein wichtiges Potenzial für die Reduktion der Feinstaubbelastung. Lärmminderung im Grünen Gleis Lärm gehört zu den bedeutendsten Umweltbeeinträchtigungen. Mit dem Betrieb von Straßenbahnen sind unvermeidbare Schall- und Erschütterungsemissionen verbunden. Im Straßenbahngleis wird die Höhe der Schallemissionen vorrangig durch den Wartungszustand von Schiene und Rad, konstruktionstechnische Aspekte, die Geschwindigkeit der Bahn sowie das Absorptionsvermögen der Umgebung bestimmt. Grüne Gleise können die von den fahrenden Straßenbahnen ausgehenden Schallemissionen von Rad und Schiene durch deren Absorption in Substrat und Vegetation selbst verringern. Das ist am wirksamsten, wenn das Vegetationssystem hochliegend (Bild 4) ausgeführt wurde, d. h. wenn die Vegetationsebene in Höhe des Schienenkopfes liegt. Hierbei ist die Schiene weitgehend eingebettet und kann den Schall nur im Bereich des Schienenkopfes abstrahlen. Liegt die Schiene bei tiefliegender Vegetationsebene (Höhe des Schienenfußes; Bild 5) frei, kann der Schall im Bereich ihrer gesamten Oberfläche abstrahlen. Weitere schallharte Flächen im Gleis, z. B. offen liegende Schwellenköpfe oder Längsbalken, reflektieren den Schall zusätzlich. Der Minderungseffekt ist geringer. Auf die Schallabsorption des Grünen Gleises hat neben der o. g. Ausführungsform der Begrünung im Gleis auch der Zustand der Vegetation selbst (Deckungsgrad, Wuchshöhe, Porosität des Vegetationsträgers, Wassergehalt) einen unmittelbaren Einfluss. Grüne Gleise werden von den Anwohnern weniger störend und subjektiv leiser wahrgenommen. Bild 6: Gleise vor und nach der Begrünung in Düsseldorf © Ahrens, Rheinbahn Bild 7: Gleise vor und nach der Begrünung in Berlin © Grätz, SchmidIngenieure GmbH 60 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Beitrag zur Erhaltung der Biodiversität Grüne Gleise sind wichtige Lebensräume für Flora und Fauna und leisten trotz fortschreitender Flächenkonkurrenz von Grünflächen und Gebäuden einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung der biologischen Vielfalt. Diese teilweise kleinen Lebensräume sind ökologische Nischen für eine Vielzahl der Pflanzen- und Tierarten, die sonst keinen Lebensraum mehr finden. Stadtgestalterische Wirkung Grüner Gleise Gleisanlagen von Straßenbahnen sind ständig präsent und prägen das Stadtbild. Ein wesentlicher stadtgestalterischer Vorteil Grüner Gleise besteht in der deutlichen Verbesserung der ästhetischen Wirkung gegenüber Gleisanlagen mit Schotter bzw. geschlossenem Oberbau (Bilder 6-8). Durch eine Grünfläche im Gleis ist eine optische und ökologische Kompensation der Verkehrsbelastung möglich. Die Wirkung der Gleisbegrünung wird sowohl in stadtgestalterischer als auch in stadtökologischer Hinsicht durch die Ausführungsform, das eingesetzte Vegetationssystem und die Pflege der Begrünung beeinflusst. Eine hochliegende Begrünung ergibt ein einheitliches, ruhiges Bild einer Grünfläche. Bei tiefliegender Begrünung wird die Grünfläche durch deutlich sichtbare Schienen unterbrochen. Die Qualität der städtischen Freiräume ist nicht nur ein wichtiger Standortfaktor für den Wohnungsbau und für die Gewinnung von Unternehmen, sondern ihre optische Aufwertung hat auch Einfluss auf das soziale und psychische Wohlbefinden der Menschen. Grüne Gleise werden - wenn oft auch unbewusst - als Grünflächen mit all ihren positiven Wirkungen wahrgenommen. Eine beruhigende Wirkung der Grünen Gleise wurde z. B. von Straßenbahnfahrern aus Kassel festgestellt, für die ein Fahren auf begrünten Gleisen weniger ermüdend und für die Augen anstrengend ist als auf unbegrünten Gleisen. Eine gelungene Gleisbegrünung trägt auch zur Imagesteigerung der Verkehrsbetriebe bei und kann eine größere Akzeptanz der Fahrwege hervorrufen. Zunehmend werden Grüne Gleise zum Marketingfaktor für einen stadtverträglichen und modernen Nahverkehr. LITERATUR [1] http: / / www.bodenwelten.de/ content/ boden-wirdversiegelt [2] Umfragen des Grüngleisnetzwerks 2015. [3] Umfragen des IASP 2009, 2011. [4] Henze; H.J. et al.: Grundlagenforschung und Entwicklung von Schienenfahrwegen für den regionalen Personenverkehr - (LERM). Abschlussbericht Forschungsvorhaben, 2003. [5] Siegl, A. et al.: Wasserverfügbarkeit, Wasserbedarf und klimatische Auswirkungen von Rasengleisen. Berliner Geographische Arbeiten 116, Das Grüne Gleis, Berlin 2010. Bild 8: Gleise vor (links) und nach (rechts) der Begrünung in Berlin. © Schreiter, Kappis; IASP AUTORINNEN Dr. Christel Kappis Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Agrar- und Stadtökologische Projekte an der Humboldt-Universität zu Berlin (IASP) Kontakt: christel.kappis@iasp.hu-berlin.de Dipl.-Ing. agr. Hendrikje Schreiter Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Agrar- und Stadtökologische Projekte an der Humboldt-Universität zu Berlin (IASP) Kontakt: hendrikje.schreiter@iasp.hu-berlin.de Dr. Christel Kappis und Hendrikje Schreiter sind Managerinnen des Grüngleisnetzwerks www.gruengleisnetzwerk.de 61 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Mehr Natur für Großstadtkinder Zur Einrichtung von Naturerfahrungsräumen am Beispiel Berlin Naturerfahrungsraum, Städtische Umwelt, Kindheit Maren Pretzsch, Claudia Friede, Jutta Heimann, Dörte Martens, Irma Stopka, Jürgen Peters, Heike Molitor Im Kontext der fortschreitenden Verstädterung wird eine soziale, kindgerechte Gestaltung unserer Städte immer wichtiger. Seit dem Jahr 2010 sind die Erhaltung und Schaffung von Naturerfahrungsräumen im besiedelten Bereich als grundlegendes Ziel der Naturschutzgesetzgebung im Bundesnaturschutzgesetz festgeschrieben. Das Konzept städtischer Naturerfahrungsräume sieht eine wohnumfeldnahe Naturerfahrung für Kinder auch im städtischen Raum vor. Im Rahmen eines Erprobungs- und Entwicklungsvorhabens (Fördertitel des BMUB) werden in Berlin drei Naturerfahrungsräume eingerichtet, betrieben und wissenschaftlich begleitet. Bild 1: Playstation unplugged - Naturerfahrungsräume im städtischen Raum. © C. Röttgers, Stiftung Naturschutz Berlin 62 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Verstädterte Kindheit Durch den gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Wandel verändern sich auch unsere Städte. Die rasant fortschreitende Urbanisierung hat massive Auswirkungen auf innerstädtische Flächennutzungen und Flächenverfügbarkeiten. Der Bedarf an zusätzlicher Wohnbaufläche konkurriert nicht nur mit dem zusätzlichen Bedarf an qualifizierten Freiflächen für die Erholung und Regeneration der StadtbewohnerInnen, sondern bereits mit den vorhandenen Freiflächen in der Stadt. Um dennoch die Lebensqualität in Großstädten zu erhalten und zu fördern, müssen soziale und ökologische Aspekte stärker in der Planung berücksichtigt werden. Hier ist ein Umdenken nötig. So sind Verfügbarkeit und Funktionalität innerstädtischer Grünflächen sowie deren Erreichbarkeit, Größe und Ausstattung ein Indikator für die Lebensqualität von StadtbewohnerInnen [1]. Für Kinder und Jugendliche sind öffentlich nutzbare Grünräume im wohnungsnahen Umfeld von besonderer Bedeutung. Parks, brachliegende Flächen, aber auch großflächiges Abstandsgrün zwischen den Wohngebäuden sind grüne Inseln im Aktionsradius der Kinder. Es sind Orte, an denen Kinder sich bewegen und sich treffen, spielen und interagieren können. In den letzten Jahrzehnten sind viele „wilde“ naturnahe Spielmöglichkeiten, wie sie insbesondere auf Brachflächen vorkommen, verschwunden. Andere Typen städtischen Grüns, die im Quartier potentielle Berührungspunkte mit der Natur bieten könnten, unterliegen häufig definierten Gestaltungsanforderungen und dürfen in ihrem Erscheinungsbild nicht oder nur unwesentlich verändert werden. Dementsprechend regt die Ausstattung solch städtischen Grüns häufig nicht zum phantasievollen, freien Spiel an. Zudem unterliegen konventionelle Grünanlagen häufig Regularien und Nutzungsbeschränkungen, die eine intensive spielerische Nutzung mitunter sogar verbieten. Das Herumstromern, das eigenständige Erkunden des Wohnumfeldes ist für Kinder von enormer Wichtigkeit. Es fördert die Entwicklung körperlicher und geistiger Fähigkeiten, hilft den Kindern beim Erlernen sozialer Kompetenzen und fördert ihr Wohlbefinden (für einen Überblick siehe Raith und Lude [2]). Diese Effekte sind von gesamtgesellschaftlichem Nutzen. In der jüngeren Vergangenheit wird häufig von der „modernen Kindheit“ gesprochen. Die eingangs beschriebenen Wandlungsprozesse führen zu Trends, welche hierfür als symptomatisch anzusehen sind. Der Aktionsradius, in dem sich Kinder frei bewegen können, wird geringer [3]. Die kindliche Lebenswelt unterliegt einer zunehmenden Digitalisierung und Medialisierung. Das freie Spiel in naturnaher Umgebung ist immer weniger Bestandteil des Kindseins. Hierin können Gründe für ein weiteres Phänomen unserer Zeit gesehen werden: einer fortschreitenden Naturentfremdung der Kinder und Jugendlichen [4]. Waren Naturerfahrungen früher eng mit dem Alltag verknüpft, spielt sich unser alltägliches Leben heute zunehmend in einer gestalteten Umgebung ab. Dem spielerischen „Erfahren der Natur“ mit allen Sinnen sind im städtischen Raum enge Grenzen gesetzt. Kindern, denen der Ausflug in den Stadtwald oder vor die Tore der Stadt verwehrt bleibt, haben kaum Möglichkeiten, Erfahrungen in und mit der Natur zu machen. Sie sind auf Angebote in ihrem Aktionsradius, das heißt, in ihrem allernächsten Wohnumfeld angewiesen. Doch hier ist freies, wenig reglementiertes Spiel in einer strukturreichen, anregenden Umgebung kaum mehr möglich. Um diesem Entwicklungstrend entgegenzuwirken, müssen Bild 2: Entdeckungen im Naturerfahrungsraum Spieroweg. © R. Welzel, Staakkato Kinder und Jugend e.V. Bild 3: Kletterkünstler. © F. Meissner, Stiftung Naturschutz Berlin 63 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Mittel gefunden werden, um den Kindern in Großstädten mehr Möglichkeiten für Naturerfahrungen zu geben. Ein Ansatz auf diesem Weg ist die Einrichtung von Naturerfahrungsräumen. Naturerfahrungsräume: Inspiration und Rückzugsraum für Kinder im urbanen Raum Was sind Naturerfahrungsräume? Ein städtischer Naturerfahrungsraum ist eine geringfügig gestaltete, weitgehend ihrer natürlichen Entwicklung überlassene Fläche im direkten Wohnumfeld, auf der Kinder und Jugendliche die Möglichkeit zur Naturerfahrung sowie zum freien, gering reglementierten Spiel haben. Spielgeräte und pädagogische Begleitung sind im ursprünglichen Konzeptentwurf nicht vorgesehen. In der Großstadt kann eine zurückhaltende pädagogische Begleitung der Kinder und Betreuung der Fläche möglicherweise aber zu beider Nutzen sein [5, 6] . Die naturnahe Ausstattung der Fläche kann vielfältig variieren. Sie sollte zum Entdecken und Spielen einladen und dementsprechend vielfältig strukturiert sein. Ein Wechsel dichter Gehölzstrukturen und offener Lichtungsbereiche sowie das Vorhandensein unterschiedlicher Materialen wie Erde, Sand, Holz und Wasser neben Pflanzen und Tieren regt die Phantasie der Kinder an. Sie werden ermuntert, sich spielerisch zu bewegen und selbstbestimmt Entdeckungen zu machen. Die weitgehend natürliche Entwicklung schließt behutsame gestalterische und pflegende Eingriffe nicht aus, sofern hierdurch das natürliche Erlebnispotential erhalten oder noch erhöht werden kann. Im Jahr 2010 fand das Konzept Eingang in die Naturschutzgesetzgebung. Nach Bundesnaturschutzgesetz § 1 (6) sind „Freiräume im besiedelten und siedlungsnahen Bereich […] zu erhalten und dort, wo sie nicht in ausreichendem Maße vorhanden sind, neu zu schaffen“ [7]. Naturerfahrungsräume werden hierbei ausdrücklich genannt. § 1 BNatschG definiert die grundlegenden Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege, in diesem Sinne ist es Aufgabe und Herausforderung für eine jede Kommune, dieser gesetzlichen Bestimmung zukünftig gerecht zu werden. Erprobung und Entwicklung: „Naturerfahrungsräume in Großstädten am Beispiel von Berlin“ Die systematische Erprobung und Bewertung eines gesamtstädtischen Angebotes von Naturerfahrungsräumen in Großstädten und ihrer Bedeutung auch für den Arten- und Biotopschutz im Siedlungsraum steht noch aus. Dies ist das Ziel eines Erprobungs- und Entwicklungsvorhabens, welches derzeit in Berlin durchgeführt wird. Die modellhafte Einrichtung und der Betrieb dreier Pilotflächen werden wissenschaftlich beobachtet und bewertet. So soll eine übertragbare Basis für die Verbreitung des Konzeptes entstehen. Das Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben umfasst das Hauptvorhaben und seine wissenschaftliche Begleitung. Diese werden durch das Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) gefördert. Das Hauptvorhaben wird darüber hinaus durch den Bezirk Pankow und die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt gefördert und vom Landesbeauftragten für Naturschutz und Landschaftspflege Berlin unterstützt. Projektträgerin für das Hauptvorhaben ist die Stiftung Naturschutz Berlin. Die wissenschaftliche Begleitung erfolgt an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde im Fachbereich Landschaftsnutzung und Naturschutz [8]. Die drei Pilotflächen befinden sich in den Berliner Stadtbezirken Marzahn-Hellersdorf, Pankow und Spandau. Sie unterscheiden sich in Größe (0,5 ha bis 1,5 ha) und Ausstattung (Brachfläche bis wald- Bild 4: Brennnesseln - Na und? © F. Meissner, Stiftung Naturschutz Berlin Bild 5: Verortung der Pilotflächen des E+E-Vorhabens „Naturerfahrungsräume in Großstädten am Beispiel Berlin“. © F. Meissner, Stiftung Naturschutz Berlin 64 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün ähnliche Grünanlage). Alle drei Flächen liegen in der Nähe zu Großsiedlungen und sind Bestandteil der Förderkulisse des Förderprogramms zur integrierten Stadtentwicklung „Zukunftsinitiative Stadtteil II“, welches den Abbau der ungleichen innerstädtischen Lebensbedingungen und die gezielte Aktivierung lokaler Potenziale zum Ziel hat. Die Auswahl der Pilotflächen erfolgte mit dem Ziel einer möglichst umwelt- und sozialgerechten Verteilung. Die Naturerfahrungsräume liegen im fußläufig und möglichst barrierefrei erreichbaren Umfeld kinderreicher Wohngegenden. Entsprechend den in der Voruntersuchung gewonnenen Erkenntnissen für die Einrichtung nachhaltig nutzbarer und gut besuchter Naturerfahrungsräume wurde bei der Flächenauswahl darauf geachtet, dass sich in unmittelbarer Nähe geeignete Einrichtungen (z.B. Jugendhilfe-, Umweltbildungseinrichtungen) befinden, die bereit sind, sich um die Flächen und ihren Betrieb zu kümmern. Diese Einrichtungen übernehmen Kontrollaufgaben ebenso wie Informations- und Koordinationsaufgaben. Im Rahmen des Hauptvorhabens sollen Bedingungen (sowohl planerischer als auch praktischer Art) ermittelt werden, die gegeben sein müssen, um Naturerfahrungsräume langfristig als festen Bestandteil städtischer Freiräume installieren zu können. Dabei ist auch das Konzept im Hinblick auf die Anwendbarkeit in Großstädten zu überprüfen und ggf. anzupassen. Hier geht es vor allem um die Ermittlung von Mindestgrößen und die Ermittlung des Bedarfes an Betreuung, die erforderlich ist, damit das Konzept seinen Ansprüchen an Funktionsfähigkeit, informeller Bildung, Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Gesundheitsprävention auch gerecht werden kann. Konkrete Fragestellungen dazu sind:  Welcher Aufwand, welche Kosten entstehen bei Einrichtung und Betrieb von Naturerfahrungsräumen?  Welche Sicherheitsanforderungen sind an Naturerfahrungsräume zu stellen?  Sind die daraus resultierenden Aufgaben im Rahmen der zur Verfügung stehenden Kapazitäten der öffentlichen Hand leistbar?  Wie kann und muss die Kontrolle von Naturerfahrungsräumen organisiert werden, um einen sicheren Betrieb gewährleisten zu können?  Welche Aufgabenteilungen sind zwischen den Fachbehörden und möglichen anderen Akteuren als Betreiber sinnvoll?  Wie können vertragliche Regelungen zwischen den Flächeneigentümern, i.d.R. den Fachbehörden, und möglichen Betreibern aussehen?  Ist eine pädagogische (Minimal)-Betreuung für neu eingerichtete Naturerfahrungsräume notwendig und sinnvoll, damit diese Flächen in ihrer Funktion überhaupt erst erkannt und angenommen werden? Wie sieht diese Betreuung konkret aus?  Wer kann sowohl die erforderlichen Sicherheitskontrollen als auch eine adäquate pädagogische Betreuung übernehmen und diese auch längerfristig sicherstellen? Die durch die praktische Umsetzungsarbeit des Hauptvorhabens aufgeworfenen Einzelaspekte sind Gegenstand der wissenschaftlichen Begleitung. Die Bearbeitung erfolgt in drei interdisziplinär verknüpften Arbeitsbereichen:  Flächensuche und Standortauswahl entsprechend den oben beschriebenen Maßgaben gestalten sich schwierig. Hier sollten im Projektverlauf Möglichkeiten der Flächenfindung, Flächensicherung und die Anforderungen zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit sowie die daraus resultierenden Haftungsfragen untersucht werden. Die angeführten Aspekte werden im Arbeitsbereich Planungsqualität vereint und bearbeitet.  Sozialwissenschaftliche Fragestellungen, die generelle Akzeptanz und Aktivität der Kinder in Naturerfahrungsräumen betreffend, werden im Arbeitsbereich Lebensqualität behandelt.  Veränderungen von Flora, Fauna und Vegetation unter der Nutzung der Kinder werden im Arbeitsbereich ökologische Qualität untersucht. Die Laufzeit des Hauptvorhabens erstreckt sich von August 2015 bis August 2018. Die wissenschaftliche Begleitung wird zeitlich darüber hinaus Daten sammeln und auswerten. So können Aussagen zu Dynamik und Betrieb der Flächen unter realen Bild 6: „Wir gestalten mit.“ © C. Röttgers, Stiftung Naturschutz Berlin 65 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Maren Pretzsch Bearbeiterin des Arbeitsbereiches Planungsqualität Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde Kontakt: mpretzsch@hnee.de Claudia Friede Bearbeiterin des Arbeitsbereiches Lebensqualität Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde Kontakt: cfriede@hnee.de Dr. Jutta Heimann Bearbeiterin des Arbeitsbereiches Ökologische Qualität Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde Kontakt: jheimann@hnee.de Dr. Dörte Martens Bearbeiterin des Arbeitsbereiches Lebensqualität Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde Kontakt: dmartens@hnee.de Irma Stopka Projektleiterin Stiftung Naturschutz Berlin Kontakt: mail@stiftung-naturschutz.de Prof. Dr. Jürgen Peters Leiter der Arbeitsbereiche Planungsqualität und ökologische Qualität Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde Kontakt: jpeters@hnee.de Prof. Dr. Heike Molitor Projektleitung, Leiterin des Arbeitsbereiches Lebensqualität Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde Kontakt: hmolitor@hnee.de Bedingungen getroffen werden. Als Ergebnis ist geplant, praxisbezogene Leitfäden zu veröffentlichen, welche der Etablierung des Konzeptes in weiteren deutschen Großstädten dienen. Bei der Implementierung des Konzeptes handelt es sich ausdrücklich nicht um eine reine Anforderung an Fachplanung und Naturschutz. Die Notwendigkeit der Einrichtung von Naturerfahrungsräumen muss auch vor dem Hintergrund sozialer Gerechtigkeit gesehen werden. Naturerfahrung in der Kindheit kann die Basis für eine gesunde Entwicklung und ein späteres umweltbewusstes Verhalten sein. Naturerfahrungsräume können Räume der gemeinsamen Erfahrungen für Stadtkinder aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und Milieus sein. Naturerfahrungsräume als fester Bestandteil im städtischen Freiraumsystem könnten einen wichtigen Beitrag für eine ganzheitliche, soziale und ökologisch nachhaltige Stadtplanung leisten. LITERATUR [1] Maas, J., Verheij, R. A., Groenewegen, P. P., de Vries, S., Spreeuwenberg, P.: Green space, urbanity, and health: how strong is the relation? Journal of Epidemiology & Community Health, 60 (2006) p. 587-592. [2] Raith, A., Lude, A.: Startkapital Natur. Wie Naturerfahrung die kindliche Entwicklung fördert. Unter Mitarbeit von Beate Kohler und Gudula Ritz-Schulte. oekom, München, 2014. [3] Kytta, M., Hirvonen, J., Rudner, J., Pirjola, I., Laatikainen, T.: The last free-range children? Children‘s independent mobility in Finland in the 1990s and 2010s. In: Journal of Transport Geography 47, (2015) p. 1-12. DOI: 10.1016/ j.jtrangeo.2015.07.004. [4] Brämer, R.: Das Bambi-Syndrom. Befunde zur jugendlichen Naturentfremdung, 1998 (natursoziologie.de, 7). Online verfügbar unter http: / / www.wanderforschung.de/ files/ bambik z1234003206.pdf, zuletzt geprüft am 23.02.2016. [5] Schemel, H.-J., Reidl, K., Blinkert, B.: Naturerfahrungsräume in Städten - Ergebnisse eines Forschungsprojektes (http: / / www.naturerfahrungsraum.de/ pdfs/ ner_ziegenspeck_02.pdf), zuletzt geprüft am 23.02.2016. [6] Stopka, I., Rank, S.: Naturerfahrungsräume in Großstädten. Wege zur Etablierung im öffentlichen Freiraum; Abschlussbericht zur Voruntersuchung für das Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben „Naturerfahrungsräume in Großstädten am Beispiel Berlin“. Unter Mitarbeit von Irma Stopka und Sandra Ranka. Bonn, 2013, BfN Bundesamt für Naturschutz (BfN-Skripten, 345). [7] BNatSchG: Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege - Bundesnaturschutzgesetz vom 29.07.2009 (BGBl. I S. 2542). Zuletzt geändert durch den Artikel 421 der Verordnung vom 31.08.2015 (BGBl. I S. 1474). Online verfügbar unter http: / / www.gesetze-im-internet.de/ bundesrecht/ bnatschg_2009/ gesamt.pdf, zuletzt geprüft am 30.03.2016. AUTOR I NNEN 66 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Die Berliner und ihr Stadtgrün: Wertschätzungen und Unterschiede Pluralistische Bewertung kultureller Ökosystemleistungen von Berliner Stadtgrün Ökosystemdienstleistungen, soziale Stadtplanung, Grünflächen, Fragebögen, Interviews Maraja Riechers, Eva Diehl Erholung, Treffpunkt mit Freunden oder ästhetischer Genuss - urbane Grünflächen können vielerlei Funktionen für Städter haben. Diese unterschiedlichen Ansprüche der Nutzer zu berücksichtigen, ist essenziell für eine sozial verträgliche Stadtplanung. Kulturelle Ökosystemleistungen sind Teil eines umfassenden Konzeptes, um Flächen zu kategorisieren und zu bewerten. Im Rahmen einer Studie der Georg-August-Universität Göttingen wurde untersucht, wie Berlinerinnen und Berliner städtische Grünflächen nutzen, welche kulturellen Ökosystemleistungen sie besonders schätzen und wie soziodemografische Faktoren diese Einschätzungen beeinflussen. Dazu wurden rund 40 Interviews geführt und etwa 560 Fragebögen ausgewertet. Bild 1: Junge Berliner nutzen eine offene Grünfläche am Bahnhof Potsdamer Platz als Treffpunkt. © M. Riechers 67 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Ein umfassendes Management der urbanen Grünflächen ist wichtig für eine ökologisch und sozial nachhaltige Entwicklung in Städten [1, 2], gerade in Zeiten zunehmender Urbanisierung. Urbane Grünflächen sind essenziell für die biologische Vielfalt, um das Mikroklima zu verbessern und zur Erholung von Bürgerinnen und Bürgern [3]. Damit eine Stadtentwicklung nachhaltig gestaltet werden kann, sollten Bürgerinnen und Bürger in Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden [4, 5]. Vor allem unterschiedliche Ansprüche verschiedener Bevölkerungsgruppen sollten hervorgehoben werden - denn eine Stadtentwicklung braucht den Rückhalt der Bevölkerung (Bild 1). Die theoretische Grundlage der vorgelegten Studie ist das Konzept der Ökosystemleistungen, das durch eine groß angelegte Studie der Vereinten Nationen mit geprägt wurde [6]. Demnach sind Ökosystemleistungen jene Vorteile, die Ökosysteme zu Gunsten der Menschen bereitstellen [6]. Dazu gehören neben sauberem Trinkwasser, Speicherung von Kohlendioxid oder Bereitstellung von Holz auch kulturelle Leistungen. Als kulturelle Ökosystemleistungen definiert das Millennium Ecosystem Assessment [6] nicht-materielle Vorteile des Menschen durch Ökosysteme, etwa spirituelle Bereicherung, kognitive Entwicklung, Reflexion, Erholung und ästhetische Erlebnisse [6]. Inwiefern diese Nutzen aus einem Ökosystem, etwa einem Garten, einer Grünfläche oder einem Wald, gezogen werden, hängt stark vom subjektiven Empfinden der Nutzer ab [7]. In der Studie wurden die akademisch entwickelten Kategorien des Millennium Ecosystem Assessment empirisch getestet - auch, um herauszufinden, welche kulturellen Ökosystemleistungen die Einwohner am Berliner Stadtgrün besonders wertschätzen und inwiefern es dabei Unterschiede zwischen sozialen Gruppen und Wohnbezirken gibt. Dafür wurden zum einen qualitative Bewertungen von kulturellen Ökosystemleistungen durch semistrukturierte Interviews durchgeführt. Befragt wurden drei Gruppen: 1. Fachkräfte in Planungs- und Entscheidungspositionen der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt sowie des Landesforstamts Berlin (n = 9); 2. Repräsentative Vertreter von Gruppen und Organisationen, die sich mit kulturellen Ökosystemleistungen beschäftigen (n = 10) sowie 3. Anwohner als „normale“ Nutzer (n = 22). Zum anderen wurde auf Grundlage dieser qualitativen Arbeiten ein quantitativer Fragebogen konstruiert, um die wichtigsten kulturellen Ökosystemleistungen abzufragen. Diese quantitativen Bewertungen (n = 558) wurden durch direkte Umfragen, basierend auf einer geschichteten Zufallsauswahl in vier Ortsteilen Berlins erhoben (Bild 2). Berlin ist mit 892 km² Fläche und 3.5 Mio. Einwohnern Deutschlands größte und einwohnerstärkste Stadt (Daten von 2013 [8]). Grün- oder Wasserflächen bedecken über 40 % der Hauptstadt. Das Berliner Stadtgrün ist daher sehr unterschiedlich konstituiert und auch Definitionen können sich unterscheiden [1, 3]. Auf Grund dessen, wurden alle Grün- und Wasserflächen Berlins in die Studie mit einbezogen, unabhängig vom Level der Pflege oder des Managements. Das schätzen die Berliner am Stadtgrün Die quantitativen Befragung zeigten, dass alle 10 Kategorien kultureller Ökosystemleistungen hoch geschätzt werden. Wichtigste Vorteile und Nutzen des Berliner Stadtgrüns ist nach gemittelter Auskunft der Befragten der ästhetische, folgend von der direkten, sinnlichen Naturerfahrung sowie religiösen und spirituellen Werten (Bild 3). Bild 2: Durch geschichtete Zufallsauswahl ausgewählte Ortsteile: (1) Berlin Mitte, (2) Altglienicke, (3) Mahlsdorf, (4) Heiligensee [9]. © M. Riechers Bild 3: Durchschnittliche Bewertung unterschiedlicher kultureller Ökosystemleistungen des Berliner Stadtgrüns durch die Einwohner (Ergebnisse aus Befragungen, n = 558). © M. Riechers 68 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün WAS SCHÄTZEN DIE BERLINER AM URBAN GARDENING? Einige bereitstellende Ökosystemleistungen, wie dekoratives Material und der Anbau von Essen durch städtische Gartenarbeit [6] wurden von den Befragten in einer engen Beziehung zu kulturellen Ökosystemleistungen genannt. Städtische Gartenarbeit hat in Berlin eine lange Tradition und erlebt durch verschiedene Integrations- oder interkulturelle Gärten zurzeit ein neues Hoch. Doch Nahrungsmittelproduktion spielt bei diesen Gärten keine Hauptrolle, wie unsere Befragten angaben. Schwerpunkt der Gartenarbeit erschien die Gemeinsamkeit zu sein, das praktische Arbeiten mit der Natur und der Genuss draußen zu sein. Urban Gardening spielte auch eine Rolle für die Identifikation der Anwohner mit der natürlichen Umgebung. Sie schafft ein Gefühl von Heimat und Zugehörigkeit, in dem die Gärtner sich einen persönlichen Fleck Natur aneignen und nach Belieben gestalten. Zusätzlich kann das eigene Anbauen von Nahrung dazu beitragen, eine emotionale Bindung zur Natur zu schaffen. So scheint es, dass die Bereitstellung von Lebensmitteln neben Erholung und Pflegen von sozialen Beziehungen nur nebensächlich ist und Urban Gardening vor allem auch ein Symbol für kulturelle Leistungen der Natur sind (für ähnliche Ergebnisse [10, 11]). In der qualitativen Studie [7] gaben viele der Befragten Erholung als eine wichtige Funktion des Stadtgrüns an. Die Möglichkeiten für entspannende Tätigkeiten oder Sport in der Natur fassen sie als Kontrast zum Stadtlärm, zur Enge der Gebäude sowie zur räumlichen und visuellen Beschränktheit in der Stadt auf. Natur hingegen gibt vielen Städtern ein Gefühl der Ruhe und der Freiheit. Für viele Befragte war der Aspekt der typischen Berliner Kulturlandschaften wichtig: Sie schätzen das Agrarland im Außenbereich von Berlin, historische Parks, Plätze oder Gartenanlagen als wichtig ein. Auch wichtig für die Berliner und Berlinerinnen war ein Heimatgefühl durch die Identifizierung mit der Natur. Darunter nannten die Befragten etwa die kreative Gestaltung oder Aneignung von Stadtgrün, speziell den Trend des Urban Gardening (Box, Bild 4). Die Interviewten betonten, dass sie sich mehr mit ihrer Umwelt identifizierten und ein Gefühl der Zugehörigkeit und Heimat empfänden, sofern sie öffentliche Grünanlagen aktiv mitgestalten könnten. Einige gaben an, ihren Wohnort aufgrund des nahe gelegenen Stadtgrüns ausgewählt zu haben. Die soziale und motorische Entwicklung von Kindern durch „arbeiten“ und spielen in der Natur, waren vielen Berlinern ebenfalls wichtig. Hier seien die Bild 4: StadtAcker als Beispiel von Urban Gardening in Berlin auf dem Tempelhofer Feld. © M. Riechers 69 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Kinder freier von Einschränkungen im Gegensatz zu stark regulierten und sehr künstlichen Spielplätzen innerhalb Berlins. Sich über die Natur zu bilden, erachteten einige der Befragten als wichtig für die Öffentlichkeit und insbesondere für Kinder. Dazu gehören formelle und informelle Bildung sowie Erfahrungen vom gegenseitigen Lernen über die Natur. In diesem Zuge spielte für die Interviewten die Naturerfahrung eine wichtige Rolle, das bedeutet eine bewusste Erfahrung der natürlichen Umwelt mit allen fünf Sinnen. Dieses sinnliche Empfinden der Natur steht in Kontrast zum reinen Bildungsaspekt, da es sich ausschließlich mit der Wahrnehmung und den Erfahrungen beschäftigt. Gesprächspartner sagten, dass ohne den Kontakt zur Natur kein Bewusstsein für Umwelt, Naturschutz oder Nachhaltigkeit entstehen könne. Faktor Naturschönheit Ein weiterer Aspekt war die Schönheit der Natur, empfunden bei einer vielfältigen Landschaft mit Flüssen und Seen oder einem breiten Panorama. Für die Gesprächspartner waren ästhetische Gefühle meist verbunden mit natürlich erscheinenden Flächen, die wenig von menschlicher Konstruktion oder Pflege erkennen lassen. Auch spirituelle und religiöse Werte wurde dem Stadtgrün von den Befragten zugeschrieben. Dazu gehörten die Einstellungen, dass die Natur eine „Kreation Gottes“ sei oder einen Raum für Kontemplation und Meditation darstelle. Außerdem wurden tief verwurzelte Gefühle der Naturliebe zu der „majestätischen Natur“ angeführt. Einige der Berliner gaben an, das Stadtgrün als Quelle der Inspiration zu nutzen, etwa für Kunst oder die künstlerische Verarbeitung von Naturprodukten. Während sie sich in der Natur aufhielten, könnten sie ihre Gedanken reinigen und ordnen, antworteten einige der Befragten. Viele der Interviewten empfanden die Natur als einen Ort der Begegnung und Kommunikation. Sie könnten damit der Isolation in der Stadt entkommen und soziale Beziehungen stärken. Offene Flächen nutzen sie als Treffpunkt zum gemeinsamen Feiern, Essen oder Ausruhen. Für Personen ohne eigenen Garten oder Balkon sind Grünflächen wichtige Möglichkeiten, um außerhalb der eigenen vier Wände sozial zu interagieren. Die Ansprüche an das Stadtgrün sind unterschiedlich Naherholungsgebiet Wannsee, Tierpark oder urbane Gärten am ehemaligen Flughafen Tempelhof - die Vielzahl von öffentlichem Stadtgrün wird auch von einer Vielzahl unterschiedlicher Menschen gennutzt. Die Relevanz sozialer Aspekte beim Grünflächenmanagement betonten auch die Berliner Experten in unseren Interviews. Tatsächlich ergab die statistische Analyse der Fragebögen, dass die Berliner aus unterschiedlichen sozialen Gruppen ganz unterschiedliche Ansprüche an das Stadtgrün haben. Zudem gab es unterschiedliche Wahrnehmungen je nach Einwohnerdichte im Wohnbezirk. Anhand einer Clusteranalyse lassen sich die Befragten in zwei Gruppen einteilen (Bild 5): Die erste Gruppe setzt sich zusammen aus älteren Personen, die in weniger dicht besiedelten Gebieten von Berlin wohnen. Personen aus dieser Gruppe leben schon länger in Berlin, nutzen oft Grünflächen und bewerten diese als gut zugänglich. Sie schätzten besonders kulturelle Ökosystemleistungen, die direkte Naturerfahrung bewirken, etwa für Bildung oder Inspiration. Als weniger wichtig bewerten sie kulturelle Ökosystemleistungen im sozialen Bereich, wie den Nutzen für soziale Beziehungen und kulturelle Diversität. Im Gegensatz dazu gehören zur zweiten Gruppe jüngere Personen, die mehr im urbanen Ballungsraum wohnen. Kulturelle Ökosystemleistungen bewerten sie eher homogen. Sie schätzen das Stadtgrün aufgrund seines Wertes für soziale Beziehungen und kulturelle Diversität und legen weniger wert auf Naturerfahrung. Diese jüngere Gruppe lebt noch nicht lange in Berlin, besucht Grünflächen weniger oft und bewertet sie als weniger gut zugänglich im Vergleich zur ersten Gruppe. Bild 5: Zweiteilung nutzerspezifischer Gruppen: Junge Bewohner des Ballungsraums und ältere Bewohner des periurbanen Berlins (Gruppen aus Clusteranalyse und Korrelation der Cluster mit den sozialdemografischen Variablen). © M. Riechers Gruppe 1 Gruppe 2 Älter (54.91 Jahre, SD 17.2) Jünger (42.56 Jahre, SD 15.0) Längere Zeit in Berlin gewohnt Kürzere Zeit in Berlin gewohnt Höhere Besuchsfrequenz Geringere Besuchsfrequenz Niedrigere Einwohnerdichte Höhere Einwohnerdichte Stadtgrün als besser erreichbar angesehen Stadtgrün als weniger gut erreichbar angesehen 70 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Dr. Maraja Riechers Human-Ökologin Abteilung Agrarökologie Georg-August Universität Göttingen Kontakt: Mrieche@gwdg.de Dr. Eva Diehl Diplom-Biologin und freie Journalistin, Gießen Kontakt: mail@eva-diehl.net Die Befragungen zeigen auch, dass die Berliner öffentliche Grünflächen entlang eines urbanen-periurbanen Bevölkerungsdichte-Gradienten unterschiedlich nutzen und wertschätzen. Zum Beispiel werden Parks in dicht besiedelten Gebieten wie Berlin Mitte öfter besucht und Wälder eher in periurbanen Bereichen wie in Heiligensee (Bild 2). Die geringere Besuchsfrequenz der jüngeren Gruppe und das Gefühl, das öffentliche Stadtgrün sei nicht ganz so gut erreichbar - im Vergleich zur älteren Gruppe - könnte darauf hinweisen, dass es mehr Angebote für Stadtgrün in Gebieten mit höherer Population geben sollte. Parks sind in Berlin oft überlaufen und werden auch nicht als „richtige“ Natur wahrgenommen, so unsere Interviewpartner. Flecken, die eher ihrer Vorstellung von Natur entsprechen, wie ruhige waldähnliche Gebiete und Wasserflächen, seien für sie nur mit höherem Aufwand zu erreichen. Das stelle vor allem für die Feierabendgestaltung oder Erholung innerhalb der Woche eine Barriere dar. Zusammenfassung Im Fokus der Forschung standen die Nutzung von Stadtgrün in Berlin und dessen Wahrnehmung. Durch Fragebogen (n = 558) und persönliche Interviews mit Berliner Einwohnern und Experten (n = 41) zu kulturellen Ökosystemleistungen wurden Informationen zum Besuchsverhalten von Grünflächen in Berlin gewonnen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Nutzung und Bewertung von Stadtgrün je nach Populationsdichte in den Ortsteilen unterscheidet. Außerdem werden kulturelle Ökosystemleistungen von sozialen Gruppen - ältere in weniger eng besiedelten Gegenden und jüngere im urbanen Ballungsraum lebende Befragte - unterschiedlich bewertet. Kulturelle Ökosystemleistungen werden sehr heterogen bewertet. Präferenzen und unterschiedliche Nutzungsansprüche sind in der Bevölkerung möglicherweise kontrastierend. Damit es nicht zu Konflikten kommt und damit die Stadt-/ Grünflächenplanung den Wünschen vor allem der betroffenen Anwohner entspricht, sollten die Ansprüche verschiedener Bevölkerungsgruppen mit einbezogen werden. Eine nachhaltige Stadtentwicklung sollte ökologische, ökonomische und soziale Ziele miteinander verbinden. Dafür ist eine Aktivierung der Bevölkerung wichtig, damit Entscheidungen auch den Rückhalt der Bürgerinnen und Bürger haben. LITERATUR [1] De Groot et al.: Challenges in integrating the concept of ecosystem services and values in landscape planning, management and decision making. Ecol. Complex. 7 (2010), p. 260-272. [2] Dempsey, N., Bramley, G., Power, S., Brown, C.: The Social Dimension of Sustainable Development: Defi ning Urban Social Sustainability. Sustain. Dev. 300 (2011), p. 289-300. [3] Bolund, P., Hunhammer, S.: Ecosystem services in urban areas. Ecol. Econ. 29 (1999), p. 293-301. [4] Bonnes, M., Uzzell, D., Carrus, G.,Kelay, T.: Inhabitants’ and experts‘ assessments of environment quality for urban sustainability. Soc. Issues 63: 1 (2007), p. 59-78. [5] Webler, T., Tuler, S., Krueger, R.: What is a good public participation process? Five perspectives from the public. Environ. Manage. 27 (2001), p. 435-450. [6] MEA. 2005. Ecosystems and Human Well-being: Synthesis. Ecosystems 5, p. 1-100. [7] Riechers M., Barkmann J., Tscharntke T.: Perceptions of cultural ecosystem services from urban green. Ecosystem Services. 17 (2015), p. 33 - 39. [8] Amt für Statistik Berlin-Brandenburg [online]: Bevölkerungsstand-Zensus, Basisdaten 2013. Available at: https: / / www.statistik-berlin-brandenburg.de/ BasisZeitreiheGrafik/ Bas-Bevoelkerungsstand-zensus.asp? Ptyp=300&Sageb=12021&creg=B BB&anzwer=7 (Accessed May 11, 2015). [9] Amt für Statistik Berlin-Brandenburg: Bericht A I 5 - hj 1 / 14 (Einwohnerinnen und Einwohner im Land Berlin am 30. Juni 2014, Alter Geschlecht Familienstand Migrationshintergrund Staatsangehörigkeit Religionsgemeinschaftszugehörigkeit Wohnlage Bezirk Ortsteil LOR-Bezirksregion). [10] Calvet-Mir, L., Gómez-Baggethun, E., Reyes-García, V.: Beyond food production: Ecosystem services provided by home gardens. A case study in Vall Fosca, Catalan Pyrenees, Northeastern Spain. Ecological Economics 74 (2012), p. 153-160. [11] Dunnett, N., Qasim, M.: Perceived benefits to human well-being or urban gardens. HortCulture. 10 (2000), p. 40-45. AUTORINNEN 71 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Diese hier nur kurz beschriebenen Phänomene sind seit langer Zeit bekannt und auch allgemein wissenschaftlich untersucht worden [1]. Durch planmäßige Anlage von Grünflächen und die bewusste Pflanzung von Bäumen haben sich die Städte diesen Gegebenheiten angepasst und jeweils eigene Strategien entwickelt um die klimatischen Unterschiede soweit wie möglich auszugleichen. Bäume und begrünte Flächen erfüllen hierbei eine wesentliche Aufgabe. Eine Vielzahl von wissenschaftlichen Untersuchungen und Erfahrungen belegen, welche Temperatur senkende und Luftfeuchtigkeit erhöhende Wirkungen von Grünflächen ausgehen. Welchen Einfluss ein einzelner Baum auf das Mikroklima haben kann, wird jeder, der an einem heißen Sommertag Schutz vor der Sonneneinstrahlung unter einem Baum sucht, bestätigen können. Neue Bäume für die klimawandelgerechte Metropole Köln Umweltreport Nordrhein-Westfalen Klimawandel, Stadtbäume, Anpassungsstrategie, Baumarten, Resistenz Joachim Bauer Große Städte weisen gegenüber ländlichen, nahezu unbebauten Gebieten auch ohne den Einfluss des Klimawandels klimatische Unterschiede auf, die von der Größe, Bebauungsdichte und Gliederung der Stadt abhängen. Die wesentlichen Merkmale sind erhöhte Strahlungsintensität, Reduzierung der Feuchte aufgrund der Oberflächenversiegelung sowie erhöhte Temperaturen, die mehr als 10 °C über denen des Umlandes liegen können. Bild 1: Bäume prägen in besonderer Weise das Stadtbild und tragen zur Bildung eines Lokalklimas bei. © Stadt Köln 72 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün Heute stehen wir vor dem Problem einer weltweiten Veränderung des Klimas. Nach belastbaren Prognosen hat dies für den Raum Köln zur Folge, dass sich die Temperatur relativ zu den vergangenen 50 Jahren nochmals um etwa 2° C bis zum Jahr 2050 erhöhen wird. Dies bedeutet eine Erhöhung der Anzahl der Sommertage von 30 bis zu 70 % gegenüber dem derzeitigen Wert. Mit einer erhöhten Temperatur geht gleichzeitig eine Veränderung der Niederschläge einher. Während diese in den Wintermonaten zunehmen werden, kommt es zu einem Rückgang der Niederschläge in der Vegetationsperiode um 10 bis 25 %. Darüber hinaus werden bis Mitte des Jahrhunderts Niederschlagsereignisse mit hohen Niederschlagsmengen häufiger auftreten. Eine Zunahme von Extremereignissen, wie zum Beispiel lange Trockenperioden, Orkane, Starkregen und Überflutungen, ist bereits in vielen Gegenden spürbar [2]. Entwicklung von Anpassungsstrategien Vor diesem Hintergrund müssen Anpassungsstrategien entwickelt werden, um die nach heutiger Erkenntnis nicht mehr aufzuhaltenden Folgen der Klimaänderung abzumildern und größere Schäden vermeiden zu können [3]. Diesen Ansatz aufgreifend, wird die allgemeine Bedeutung des städtischen Grüns zur Verbesserung des Stadtklimas weiter zunehmen. (Bild 1) Dieser wachsenden Bedeutung steht aber auf der anderen Seite eine zunehmende Gefährdung der Stadtbäume durch die Klimaänderung gegenüber. Der Trend zu wärmeren, trockeneren Sommern und ungleich verteilten Niederschlägen führt zu einer zusätzlichen Belastung (Stress) der Bäume und somit zu höherer Anfälligkeit gegenüber Schädlingen und Krankheiten. Gleichzeitig verzeichnen wir bundesweit ein vermehrtes Auftreten neuer Schädlinge. So hat sich seit vielen Jahren mittlerweile in ganz Deutschland die Kastanienminiermotte ausbreiten können. Auch wenn der Anblick des schon im Spätsommer welken Laubes nicht sehr ansprechend ist, so besteht nach heutigen Erkenntnissen zumindest nicht die Gefahr eines Absterbens der Bestände. Anders sieht es dagegen bei einer neuen bakteriellen Rindenkrankheit aus, die durch Pseudomonas syringae pv. Aesculi ausgelöst wird [4]. Diese seit 2006 in Nordrhein-Westfalen nachgewiesene Krankheit führt mit fortschreitendem Befall zum Absterben der befallenen Kastanien und ist so grundsätzlich in der Lage den gesamten Bestand zu gefährden. In Köln sind bisher nur einzelne Befunde diagnostiziert worden. Massaria-Krankheit bei Platanen Mit welchen heute noch nicht bekannten Problemen wir vielleicht noch konfrontiert werden, wird am Beispiel der Platane deutlich. Die Platane galt in den 1970er Jahren als der Zukunftsbaum, der sowohl mit den extremen Standortbedingungen, als auch mit der zunehmenden Luftverschmutzung jener Zeit hervorragend zurechtkam. Diese Überzeugung hat auch in Köln dazu geführt, dass die Platane häufig verwendet wurde und mit rund 12 000 Bäumen die dritthäufigste Straßenbaumart darstellt. Der seit einigen Jahren auftretende Befall der Platane mit Massaria zeigt jedoch, dass ihrer künftigen Verwendung als Straßenbaum Grenzen gesetzt sind. Am Beispiel Massaria wird aber auch deutlich, dass die mit der Klimaänderung einhergehenden Folgeerscheinungen zum Teil erhebliche Kosten verursachen werden. So ist der Aufwand zur Herstellung der Verkehrssicherheit aufgrund von Massaria sowohl personell als auch finanziell Bild 3: Regelquerschnitt für Straßenbaumpflanzungen. © Stadt Köln Bild 2: Die unterirdischen Strandortbedingungen sind in Großstädten zum Teil sehr ungünstig für das Wachstum von Bäumen. © Stadt Köln 73 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Darüber hinaus muss aber auch schon bei der Pflanzung ein erheblicher Mehraufwand betrieben werden, damit Bäume am Extremstandort Straße optimale Standortbedingungen vorfinden um gesund wachsen und ihre Wohlfahrtswirkungen auch tatsächlich leisten zu können. (Bild 2) Aus diesem Grunde werden in Köln schon seit vielen Jahren die von der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V. herausgegebenen „Empfehlungen für Baumpflanzungen“ bei allen Straßenbaumpflanzungen angewendet und auf die Kölner Verhältnisse angepasst. (Bild 3 und Bild 4). Die Erfahrungen mit diesem Standard sind sehr gut und führen dazu, dass die Bäume zumindest in der Anwachsphase optimale Bedingungen am Standort vorfinden. Standortgerechte Sortenwahl Trotz dieser vegetationstechnischen Verbesserungen sind städtische Straßenstandorte in der Regel gekennzeichnet durch Bodenversiegelung, Überwärmung, unnatürliche Böden und Bodenprofile sowie Mangel an Bodenluft, Wasser und Nährstoffen. Hinzu kommen Belastungen durch Streusalz, Schadgase, Hunde-Urin und potenzielle Verletzungsgefahren für Wurzel, Stamm und Krone. Hinzu kommen die am Standort herrschenden klimatischen Veränderungen, die nicht direkt beeinflussbar sind und somit einen begrenzenden Faktor bei der Verwendung von Baumarten darstellen [5]. Dies hat zur Folge, dass die bisherigen, zumeist heimischen Baumarten bei weiterem Temperaturanstieg und trockeneren Verhältnissen nicht mehr ausreichend an diese Standortgegebenheiten angepasst sind. Deshalb müssen Arten und Sorten gepflanzt werden, die ihre Funktion trotzdem erfüllen können. Wo heimische Arten versagen oder nur eingeschränkt tauglich sind, sind Züchtungen und Pflanzen aus semiariden Gebieten die bessere Alternative. Sofern sich Baumarten bestimmter geografischer Regionen auf Grund der dort herrschenden Bedingungen an unseren innerstädtischen Straßenstandorten behaupten können, sollten diese auch gepflanzt werden. Im Hinblick auf den Klimawandel sind solche Arten unverzichtbar, damit Straßenbäume auch in Zukunft das Bild unserer Städte prägen können. Für den Bereich der innerstädtischen Straßenstandorte sollte deshalb der Schwerpunkt auf eine standortgerechte Arten- und Sortenwahl gelegt und die Frage „heimisch oder nicht heimisch“ in den Hintergrund gestellt werden [6]. Neue Bäume für die Stadt Der Klimawandel zwingt letztendlich dazu, „neue“ Baumarten zu finden und den vorhandenen Baumbestand sukzessive umzubauen. Ein Umbau wird umso dringlicher, betrachtet man kritisch die Zusammensetzung der Baumbestände in den bundesdeutschen Städten [7]. Ebenso wie in Köln sind die Linde und der Ahorn die am häufigsten verwendeten Gattungen, gefolgt von der Platane. In Köln bilden diese drei Baumgattungen über die Hälfte des Straßenbaumbestandes. Ziel einer Anpassungsstrategie an die veränderten Bedingungen muss deshalb die Erhöhung der Artenvielfalt sein, damit dem flächendeckenden Befall mit neuen Schädlingen und Krankheiten vorgebeugt und der Ausfall einzelner Baumarten verkraftet werden kann. Bei der Suche nach „neuen“, geeigneten Baumarten stellt der Standort Straße sehr konkrete Anforderungen an die jeweilige Baumart. Forderungen zur Verkehrssicherheit und zur Aufwandsreduzierung bei Unterhaltung und Pflege sind ebenfalls wesentliche Faktoren bei der Auswahl der Baumart. Dies zwingt dazu, „neue“ Baumarten zunächst in Echtsituationen mehrere Jahre zu testen, bevor entschieden werden kann, ob sie für den Standort Straße geeignet sind (Bild 5). Versuchsreihen auf dem Feld sind deshalb nicht zielführend. Entscheidend ist auch die Berücksichtigung der unterschiedlichen Bild 5: Liquidambar styraciflua ‚Paarl ‘ wird auch in Köln im Rahmen des GALK-Straßenbaumtest auf seine Eignung als Straßenbaum getestet. © Stadt Köln Bild 4: Ausgehobene Baumgrube, die später mit Substrat gefüllt wird. Setzen der Belüftungsrohre um die Bodenschichten unter der Baumgrubensohle für Wurzeln zu erschließen. © Stadt Köln 74 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün geografischen und klimatischen Voraussetzungen in den einzelnen Städten, weil trotz allgemein ansteigender Durchschnittstemperatur der begrenzende Faktor für die Anpflanzung nicht heimischer Baumarten auch weiterhin deren Frostresistenz ist. In enger Zusammenarbeit mit dem GALK-Arbeitskreis Stadtbäume nimmt die Stadt Köln deshalb seit 2005 an einem bundesweiten praxisorientierten Straßenbaumtest teil [8] (Tabelle 1). Dieser Straßenbaumtest ist als fortlaufende Testreihe angelegt, in der je nach Erkenntnisstand auch immer wieder neue Baumarten/ -sorten aufgenommen werden können. Zielsetzung der Langzeitbeobachtung ist es, praxisbezogene Erkenntnisse über neue Baumarten/ -sorten zu bekommen. Beteiligt sind die Städte Basel, Berlin, Hamburg, Heilbronn, Köln, München, Münster, Osnabrück, Nürnberg, Dresden und Rostock. Die Städte Kopenhagen und Wien nehmen ebenfalls mit einigen Baumarten/ sorten teil. Ein gesondertes Finanzbudget steht den beteiligten Städten nicht zur Verfügung, die Baumpflanzungen werden von den jeweiligen Kommunen im Rahmen anstehender Projekte finanziert und umgesetzt. Mit der Pflanzung von mindestens fünf Bäumen einer Art beziehungsweise Sorte erfolgt eine einmalige Beschreibung des Standortes (Baumumfeld, Exposition), der Pflanzweise (Baumgruben, Baumscheibengröße, Substrat) und der durchgeführten vegetationstechnischen Maßnahmen (Belüftungsbeziehungsweise Bewässerungs- GALK-Straßenbaumtest Köln · Stand 13.11.2014 Gattung/ Art/ Sorte Standort Anzahl bonitiert Stadtteil Bezirk Acer campestre ‚Huibers Elegant ‘ Bechergasse 4 4 Altstadt Nord 1 Acer campestre ‚Huibers Elegant ‘ Robert-Bosch-Straße 15 11 Fühlingen 6 Acer monspessulanum Gerd-Bauckhage-Bogen 21 15 Lövenich 3 Acer platanoides ‚Allershausen‘ Rudi-Jaehne-Straße 5 5 Fühlingen 6 Acer rubrum ‚Scanlon‘ Gottesweg 21 10 Zollstock 2 Acer rubrum ‚Scanlon‘ Liebigstraße 3 3 Neuehrenfeld 4 Amelanchier arborea ‚Robin Hill ‘ Heinrich-Böll-Platz 15 9 Altstadt Nord 1 Eriolobus trilobatus Wilhelm-Kleinertz-Straße (10) - Porz-Westhoven 7 Ginkgo biloba ‚Princeton Sentry ‘ Palanter Straße 10 10 Sülz 3 Ginkgo biloba ‚Princeton Sentry ‘ Indianapolis-/ Wolgogradstraße 5 5 Widdersdorf 3 Koelreuteria paniculata Gerhard-Wilczek-Platz 4 4 Ehrenfeld 4 Koelreuteria paniculata Eva-Hesse-Straße 24 8 Lövenich 3 Koelreuteria paniculata Am Pulverturm 3 3 Mülheim 9 Liquidambar styraciflua -‚Paarl ‘ Im Buschfelde 6 6 Widdersdorf 3 Liquidambar styraciflua ‚Paarl ‘ Glasstraße/ Stammstraße 3 3 Ehrenfeld 4 Liquidambar styraciflua ‚Paarl ‘ Weidengasse 5 5 Altstadt Nord 1 Magnolia kobus Ehrenstraße 8 5 Altstadt Nord 1 Magnolia kobus Marie-Hüllenkremer-Straße 30 5 Lövenich 3 Magnolia kobus Robert-Bosch-Straße 14 5 Fühlingen 6 Malus tschonoskii Kringsweg 19 9 Lindenthal 3 Malus tschonoskii Kafkastraße 6 6 Bocklemünd 4 Ostrya carpinifolia Kriegerhofstraße 5 5 Fühlingen 6 Ostrya carpinifolia Rudi-Jaehne-Straße 5 5 Fühlingen 6 Ostrya carpinifolia Im Buschfelde 6 5 Widdersdorf 3 Prunus padus ‚Schloss Tiefurt ‘ Unter Gottes Gnaden 6 5 Widdersdorf 3 Prunus padus ‚Schloss Tiefurt ‘ Peter-Steinberg-Weg 10 5 Fühlingen 6 Quercus frainetto Klausenburgstraße 4 4 Widdersdorf 3 Quercus frainetto Am Aspelkreuz 16 11 Widdersdorf 3 Tilia tomentosa ‚Szeleste‘ Klosterstraße 4 4 Lindenthal 3 Tilia tomentosa ‚Szeleste‘ Robert-Bosch-Straße 15 11 Fühlingen 6 Zelkova serrata Curt-Stenvert-Bogen 30 9 Lövenich 3 322 195 Tabelle 1: Übersicht der in Köln gepflanzten 16 Baumarten aus dem GALK-Straßenbaumtest. 75 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Grün einrichtungen). Die regelmäßige Bonitierung erfolgt durch die jeweiligen Mitarbeiter in der Grünflächenämtern. Um die Transparenz und die Nachvollziehbarkeit des GALK-Straßenbaumtests zu erhöhen, werden alle Daten auf den Internetseiten www.galk.de ausführlich dargestellt. Die Darstellung ist so detailliert, dass für jede teilnehmende Stadt über eine geografische Karte alle Angaben über die bisher gepflanzten Baumarten/ -sorten bis hin zu Anzahl und kartographischer Darstellung des Standorts abrufbar sind. In Köln konnten bis jetzt insgesamt 16 der 35 im GALK-Straßenbaumtest getesteten Baumarten gepflanzt worden. Vor allem bei Neubaumaßnahmen werden gezielt die Test-Bäume gepflanzt und jährlich bonitiert. Die Ergebnisse fließen ein in die Gesamtbewertung und letztendlich auch in die GALK- Straßenbaumliste. LITERATUR UND ANMERKUNGEN [1] Luz, H., Nagel, G., Spengelin, F.: Wohnen in den Städten. Senator für Bau- und Wohnungswesen Berlin (Hrsg.), Berlin 1984. [2] Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Klimawandelgerechte Metropole Köln. Abschlussbericht. LANUV- Fachbericht 50, Recklinghausen 2013. [3] Allianz Umweltstiftung (Hrsg.): „Unter Palmen am Chiemsee? “ - Der Klimawandel und seine möglichen Folgen. Benediktbeurer Gespräche der Allianz Umweltstiftung 2007. [4] h t t p : / / w w w . l a n d w i r t s c h a f t s k a m m e r . d e / landwirtschaft/ pflanzenschutz/ oeffentlichesgruen/ rosskastaniensterben.htm [5] GALK-Arbeitskreis Stadtbäume. Positionspapier. Klimawandel und Stadtbäume, August 2009. [6] GALK-Arbeitskreis Stadtbäume. Positionspapier. Verwendung von nicht einheimischen Baumarten am innerstädtischen Straßenstandort, April 2011. [7] Gauchel, H.: Auswahl und Verwendung innerstädtischer Straßenbäume. Diplomarbeit Universität Hannover, 2004. [8] Bauer, J.: Straßenbäume im Test. Baumzeitung Heft 3, 2008, S. 28-31. [9] Straßenbaumtest des GALK-Arbeitskreises Stadtbäume www.galk.de. Dr. Joachim Bauer stv. Leiter des Amtes für Landschaftspflege und Grünflächen der Stadt Köln Kontakt: joachim.bauer@stadt-koeln.de AUTOR Studierende lesen Transforming Cities als ePaper ein Jahr lang kostenlos. Anschließend zum Vorzugspreis. www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren/ Wer´s früher liest, ist länger schlau. TranCit StudiAbo 76 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Lehre Die Stadt von morgen studieren Die Vermittlung von fachlichen und methodischen Kompetenzen zur fundierten Analyse dieser Herausforderungen und zur Entwicklung integraler Lösungen ist das zentrale Ziel des neuen Masterstudiengangs Urbane Zukunft an der FH Potsdam (FHP). Der Studiengang bietet Studierenden unterschiedlicher fachlicher Herkunft die Möglichkeit eines inter- und transdisziplinären Arbeitens und regt sie dadurch zu vernetztem und systemischem Denken an. Darüberhinaus erschließt er die Kreativitäts- und Innovationspotenziale der Studierenden und ermöglicht profunde Kenntnisse sowie Kontakte in die forschende Praxis. Der Studiengang wird konzeptionell vom Institut für angewandte Forschung Urbane Zukunft (IaF) an der FHP getragen, in welchem seit 2014 die strategischen Forschungsschwerpunkte der Hochschule - Urbane Zukunft, Information und Visualisierung sowie Soziale und regionale Transformation - gebündelt werden. Diese orientieren sich an dem breiten Fächerspektrum der FHP. Das Institut versteht sich als regionaler Katalysator für angewandte Forschung zum Thema Urbane Zukunft und will eine neue Forschungs-, Lern- und Wissenskultur in der Region fördern. Es arbeitet an Forschungsfragen zur nachhaltigen Transformation unserer Städte unter Einbindung von Akteuren aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Dazu werden Partnerschaften mit Kommunen, Forschungseinrichtungen, Planungsbüros, Unternehmen und weiteren Institutionen aus der Praxis geschlossen. Transformation lernen Der Masterstudiengang Urbane Zukunft an der Fachhochschule Potsdam (FHP) Wie leben wir in Zukunft? Auf diese Frage kann es keine gesicherten Antworten geben. Aber es gibt Strategien und Werkzeuge im Umgang mit Unsicherheiten, um Entwicklungen und Möglichkeitsräume zu erforschen, Szenarien oder Prognosen zu entwickeln und die Folgen unseres Handelns abzuschätzen. Betrachtet man die großen gesellschaftlichen Entwicklungsziele, wie zum Beispiel die Transformation zur CO 2 -neutralen und klimaangepassten Stadt, so sind damit zahlreiche, komplexe Forschungs-, Entwicklungs- und Umsetzungsaufgaben verbunden, denn diese Transformation umfasst gleichermaßen und in einander bedingender Art und Weise ökologische, räumliche, bauliche, soziale, kulturelle, gestalterische, infrastrukturelle, technologische und ökonomische Aspekte, für die es keine einfachen und sektoralen Lösungen gibt. Zu den wichtigen Herausforderungen einer nachhaltigen Stadtentwicklung gehören unter anderem der demographische Wandel, Strategien und Maßnahmen zum Klimaschutz und Klimawandel, Maßnahmen in Folge von sozialer Segregation, Migration und kultureller Diversität, Beteiligungsprozesse sowie Big Data im Kontext urbaner Informations- und Kommunikationstechnologien (Smart Cities). Prof. Dr.-Ing. Michael Prytula Studiengangsleiter Urbane Zukunft Forschungsprofessur Ressourcenoptimiertes und klimaangepasstes Bauen und Vertreter der gebauten Stadt „Eine Schlüsselstellung in der nachhaltigen Entwicklung urbaner Systeme nimmt die Analyse und Gestaltung des städtischen Stoffwechsels ein (Urbaner Metabolismus). Hierfür ist eine integrale Betrachtung der städtischen Funktionen und der baulichen, räumlichen und infrastrukturellen Systeme hinsichtlich ihrer Energie- und Stoffströme in raum-zeitlicher Ausprägung erforderlich.“ 77 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Lehre Transformationsmanager werden Der Masterstudiengang bildet Studierende zur inter- und transdisziplinären Erforschung von Zukunftsvorstellungen aus und bereitet sie auf den vielfältigen Arbeitsmarkt der Wissensgesellschaft vor. Das forschungsorientierte Projektstudium befähigt die Absolventinnen und Absolventen, komplexe Lösungsansätze für eine nachhaltige urbane Entwicklung im Kontext von Bauen und Wohnen, technischer Infrastruktur und Mobilität sowie Demographie und Sozialstruktur zu entwickeln. Dabei ist der kompetente Umgang mit Datenräumen und -visualisierungen und anderen digitalen Forschungsmethoden ein zentrales Querschnittsthema in allen genannten Themenbereichen. Als Leitbild dient das Konzept von „Transformationsmanager- Innen“, die als Schnittstellen- KommunikatorInnen besonders im Bereich von Stadtentwicklung sowie in der Kommunikation von politischen und gesellschaftlichen Einrichtungen oder Verbänden tätig sind. Als Berufsfelder eröffnen sich aber auch Tätigkeiten in Unternehmen und Institutionen, deren Aufgabe Produktion, Gestaltung und Vermittlung städtischer Lebensräume ist, wie zum Beispiel Consulting-Unternehmen, Startups, Forschung und Entwicklung im Bereich von Mensch-Maschine- Schnittstellen sowie Kulturarbeit, Medien und Kommunikation, Marketing und Tourismus. Neben dem Zugang zu Führungspositionen oder zum höheren Dienst eröffnet der Studiengang durch die Berechtigung zum Erwerb einer Promotion auch den Weg in eine wissenschaftliche Laufbahn, zum Beispiel in universitäre oder außeruniversitäre Forschung und Lehre. Intelligente Städte und Gemeinden im 21. Jahrhundert entwickeln Welche Rolle spielen die kommunalen Akteure wie Stadtverwaltungen oder Stadtwerke, wie müssen sie sich verändern, und wie können sie Transformationsprozesse beeinflussen? Welche Chancen und Risiken ergeben sich aufgrund dieser Transformationsprozesse für Metropolregionen und ländliche Räume? Welche Forschungsmethoden oder Planungs- und Simulationsmöglichkeiten stehen zur Verfügung, um zukünftige Entwicklungen zu antizipieren und heute schon bessere Entscheidungen für morgen zu treffen? Entlang dieser Fragestellungen entwickeln die Lehrenden der FH Potsdam gemeinsam mit den Studierenden und im engen Austausch mit Praxispartnern strategische Lösungen. Dabei ist jeder Jahrgang einem bestimmten Themenbereich gewidmet. Im ersten Jahrgangsthema des im Oktober startenden Masterprogramms werden die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Gesellschaft und die Frage, wie Städte und Kommunen darauf reagieren können, untersucht. Die Erfordernisse eines nachhaltigen Umgangs mit natürlichen Ressourcen (Energie- und Stoffströme, Raumnutzung), neue technologische Möglichkeiten und neue Geschäftsmodellen (z. B. Car Sharing-Angebote, autonomes Fahren), soziale und demographische Prozesse (Wachstum / Schrumpfung, Individualisierung, Migration und Diversität) sowie Prof. Dr. Tobias Schröder Forschungsprofessur Nachhaltige urbane Entwicklungsstrategien und im Studiengang Vertreter der sozialen Stadt „Das Verständnis der kognitiven und emotionalen Grundlagen von Kommunikationsprozessen in komplexen sozialen Systemen sowie die konkreten Anwendungen solcher Erkenntnisse auf Einstellungsveränderungen und Innovationsdiffusion im Kontext urbaner Veränderungsprozesse ist unabdingbar bei der Erforschung von Städten.“ Prof. Dr. Marian Dörk Forschungsprofessur Information Visualization & Management und im Studiengang Vertreter der digitalen Stadt „Im Prozess fortschreitender Digitalisierung verschiedenster Lebensaspekte wie z.B. kulturellen Sammlungen und urbaner Zusammenhänge eröffnet die interaktive Visualisierung eine vielversprechende Perspektive, um mit der zunehmend als Datenflut empfundenen Herausforderung der Wissensgesellschaft zurechtzukommen.“ 78 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Lehre neue Simulations-, Analyse- und Darstellungsweisen (Big Data, Systemmodelle, Informationsvisualisierung) verändern unsere Städte. Diese Veränderungen sind Bestandteil grundlegender gesellschaftlicher Transformationsprozesse und betreffen gleichermaßen Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen sowie kommunale Verwaltungen und andere Akteure in ihrer Alltagspraxis. Sie haben Auswirkungen auf städtische Infrastrukturen, auf Formen von Kommunikation und Mobilität, auf Arbeits- und Wohnformen. Fachkompetenz, Schlüsselkompetenz und Gestaltungskompetenz erwerben In Zusammenarbeit mit Praxispartnern aus der Wirtschaft, kommunalen Verwaltungen und wissenschaftlichen Einrichtungen entstehen umfangreiche Forschungsprojekte und Entwicklungsvorhaben. Diese ermöglichen den Studierenden eine thesisbzw. forschungsorientierte Studienstruktur und unmittelbare Beteiligung an Forschungs- und Entwicklungsprozessen im Rahmen der Studienprojekte, Praktika und Masterarbeiten. Dabei können die zu vermittelnden Kompetenzen in drei Kategorien eingeteilt werden. Zum einen bauen disziplinäre und interdisziplinäre Fachkompetenzen auf dem jeweiligen Bachelorstudium auf und sollen durch eine Individualisierung des Studienverlaufs mit Hilfe von Wahlmodulen vertieft werden. Interdisziplinäre Fachkompetenzen werden unter der Klammer der Stadt als komplexes System in einem entsprechenden Modul ausgebildet. Dazu gehört neben allgemeinen Kenntnissen über die Eigenschaften von komplexen Systemen ein vertieftes Verständnis der wechselseitigen Zusammenhänge zwischen sozialen, institutionellen, infrastrukturellen und informationellen Aspekten von Städten. Zum anderen werden im Masterstudium Schlüsselkompetenzen vermittelt, die sich in gegenstands- und prozessbezogene Bereiche aufgliedern. Zu gegenstandsbezogenen Schlüsselkompetenzen gehören vor allem methodische Fähigkeiten auf den Gebieten der Wissensintegration und Zukunftsforschung vor dem Hintergrund der Notwendigkeit, im Kontext urbaner Transformationsprozesse kompetent mit Komplexität, Unsicherheit und den Grenzen des Wissens umzugehen. Zu den prozessbezogenen Schlüsselkompetenzen gehören hingegen Gesprächsführungs- und Konfliktlösungsfähigkeiten sowie Techniken des Managements, der Organisation komplexer Transformationsprojekte und der Analyse großer Datenmengen. Zusätzlich werden Kompetenzen im Studiengang vermittelt, die sich an dem im Nachhaltigkeitsdiskurs verbreiteten Konzept der Gestaltungskompetenz orientieren. Damit ist im engeren Sinne die Fähigkeit gemeint, System-, Ziel- und Transformationswissen zur nachhaltigen Entwicklung zu erwerben und anzuwenden sowie Probleme nicht nachhaltiger Entwicklung zu erkennen. In einem erweiterten Sinne im Kontext des besonderen fachlichen Profils der FH Potsdam ist mit Gestaltungskompetenz auch die kreative Kompetenz gemeint, also die Fähigkeit, neue Ideen für die Zukunft zu gestalten, sei es im dinglichen Sinne (Prototypen, ästhetische Entwürfe, Visualisierungen), im Sinne sozial geteilter Visionen als mentale Prototypen der Zukunft oder im Sinne der Gestaltung sozialer Veränderungsprozesse. Prof. Dr. Antje Michel Professorin für Informationsdidaktik und Wissenstransfer „Information ist ein wesentlicher Rohstoff der digitalen, urbanen Zukunft. Was als Information gilt und wie mit Information umgegangen wird, bestimmen die Praktiken der unterschiedlichen Wissenskulturen. Eine wichtige Kompetenz für das Gelingen interdisziplinärer Arbeits- und Wissenstransferprozesse ist, sich des eigenen Informationsverhaltens bewusst und gleichzeitig sensibel für andere Praktiken des Umgangs mit Information zu sein.“ Prof. Dr.-Ing. Michael Ortgiese Professor für Verkehrswesen Vizepräsident für Forschung und Transfer „Neue Technologien und Organisationsformen eröffnen große Chancen zur Veränderung in Richtung umweltgerechter und auf die Bedürfnisse der Menschen zugeschnittener Mobilität in den Städten der Zukunft. Die damit verbundenen Unsicherheiten und Unwägbarkeiten sind ein wichtiges Thema aktueller Mobilitätsforschung.“ 79 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Lehre System. Diese Kurzbezeichnungen fassen jeweils eine Vielzahl von Fachdisziplinen und Diskursen zusammen. Die nachhaltige Gestaltung urbaner Lebensräume erfordert neben einem systemischen Verständnis und technologischen Wissen insbesondere auch ein profundes Verständnis von sozio-kulturellen und ästhetischen Praktiken, von Stadtgeschichte und historischen urbanen Visionen, imaginären Ausdrucksformen zum Beispiel in Literatur und Film sowie von Wissenschafts-, Raum- und Architekturtheorien. Die Komplexität der urbanen Zukunft lässt sich in einem viersemestrigen Masterstudium nur ansatzweise abbilden. Um so wichtiger ist es, im Studium eine Haltung lebenslangen forschenden Lernens einzuüben, um sich kompetent im weltweiten und sich stetig wandelnden Wissensangebot zu bewegen. Die Kompetenzvermittlung in inter- und transdisziplinärer Forschung wird von der FH Potsdam als systematischer und integrativer Prozess des Zusammentragens zukunftsrelevanten Wissens begriffen. Mit seinem transdisziplinären Ausbildungsprofil ist der Studiengang nahezu einzigartig in Deutschland. Tabelle 1: Kernelement des Studiengangs ist forschendes Lernen im Kontext von Projektarbeit. Ergänzende Bausteine dienen dem Erwerb von Methoden zur Zukunftsforschung und Wissensintegration sowie zum Erwerb von interdisziplinärem Wissen zum komplexen System Stadt mit drei Spezialisierungsmöglichkeiten. Prof. Dr. rer. nat. Heike Neuroth Professorin für Bibliothekswissenschaft „Die Digitalisierung schreitet unaufhörlich voran und erfasst zunehmend alle Lebensbereiche, auch Aspekte unseres privaten Lebens. Trans- und interdisziplinäres Denken und Agieren als eine Schlüsselqualifikation für zukünftige Berufsfelder sowie das Arbeiten in (temporären) Teams gewinnt an Bedeutung. Der Studiengang Urbane Zukunft ist eine großartige Chance, sich an fachlich unterschiedlichen Schnittstellen zu qualifizieren.“ Strukturkonzept des Studiengangs 1. Projektarbeit 1.1 Visionen urbaner Zukünfte 1.2 Inter- und transdisziplinäres Projekt 1. Semester 2. Semester 2. Stadt als komplexes System 2.1 Stadt als komplexes System Vorlesung 2.2 Stadt als komplexes System Seminar 1. Semester 3. Methoden 3.1 Zukunftsforschung und Wissensintegration 3.2 Projekt- und Transformationsmanagement 1. und 2. Semester 4. Fachliche Vertiefung Die gebaute Stadt Die soziale Stadt Die digitale Stadt Wahlfächer 1., 2. und 3. Semester 5. Forschungspraktikum 6. Masterprüfung Begleitende Lehrveranstaltung Masterarbeit und Kolloquium 3. Semester 4. Semester www.fh-potsdam.de/ forschen/ urbane-zukunft/ masterstudiengang/ Die gebaute, die soziale und die digitale Stadt Hinsichtlich der disziplinären Spezialisierung werden drei thematische Vertiefungsrichtungen angeboten, die zentrale Aspekte urbaner Systeme beschreiben und in deren Zentrum die Gestaltung räumlicher, gesellschaftlicher, infrastruktureller, kultureller und ästhetischer Prozesse und Strukturen stehen: Die „gebaute Stadt“ als räumliches und energetisch-stoffliches System, die „soziale Stadt“ als soziokulturelles System und die „digitale Stadt“ als informationelles © alle Bilder FH Potsdam 80 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Veranstaltungen © Thomas Geiger, NürnbergMesse Landschaftsarchitekten, Fachplaner aus Kommunen und GaLaBau-Unternehmen, die interessiert an praxisrelevanten Informationen, neuen Impulsen und Best-Practice-Beispielen für ihre tägliche Arbeit im Büro und auf der Baustelle sind, sollten einen Besuch auf der GaLaBau vom 14.-17. September 2016 im Messezentrum Nürnberg fest einplanen. Nach der erfolgreichen Premiere 2014 wird das Praxisforum in diesem Jahr um einen Tag verlängert und auf die gesamte Laufzeit der GaLaBau ausgeweitet. Im Rahmen des Messegeschehens gibt es wieder zahlreiche Fachvorträge zu wichtigen Branchenthemen in Halle 1: Am ersten und dritten Tag halten dabei Planungsexperten Kurzvorträge und regen zu Diskussionen an. Am zweiten Tag stehen Beiträge rund um das Thema Spielplatz sowie Präsentationen von GaLa- Bau-Ausstellern an. Und neu: Der Messe-Samstag ist einem Sonderthema gewidmet - dies- GaLaBau mit viertägigem Praxisforum Vorschau: GaLaBau 2016, Nürnberg, 14.-17.9.2016 In der Messestadt Köln findet vom 22. bis 24. November die 16. PMRExpo statt. Fachmesse und dreitägiges begleitendes Vortragsprogramm entwickeln sich jährlich weiter. Die Kernthemen der Veranstaltung: PMR-Konferenz - Die Themen Krisenkommunikation und Kritische Infrastrukturen nehmen auf der Konferenz am 22. und 23.11.2016 eine zentrale Rolle ein. Leitstellenkongress - Das Themenspektrum des Kongresses am 24.11. reicht von gegen- Professioneller Mobilfunk und Leitstellen im Fokus Vorschau: 16. PMRExpo 2016, Köln, 22.-24.11.2016 wartsbezogenen Praxisberichten bis hin zu zukunftsweisenden Trends. Fachforen - Die zentral in der Messehalle stattfindenden Fachforen bieten an allen drei Tagen konzentrierte Informationen und Möglichkeiten der Diskussion für verschiedene Zielgruppen. PMR-Konferenz, Leitstellenkongress und Fachforen werden diesmal durch die neue Fachtagung „PMR für Versorgungsunternehmen“ ergänzt. Dabei werden gezielt EVU-spezifische Themen aus dem Professionellen Mobilfunk herausgegriffen und diskutiert sowie aktuelle Mobilfunktechniken im EVU-Kontext dargestellt. Neu ist auch das weiterentwickelte Karrierekonzept PMRExpo Career. Es besteht aus den beiden Angeboten „Career-Take off! “ und „Career-Jobboard“ und bietet den Unternehmen der PMR-Branche eine Plattform zur Personalgewinnung, Bewerbern mit und ohne Berufserfahrung die Möglichkeit zu Karriereeinstieg und beruflicher Weiterentwicklung. Die Schirmherrschaft übernimmt auch in diesem Jahr Ralf Jäger, Minister für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen. Über hundert Aussteller hatten bei Redaktionsschluss ihre Standfläche bereits gebucht. Aktuelle Informationen zur PMRExpo unter www.pmrexpo.de mal „(Historische) Parks im Klimawandel“. Die Teilnahme ist für GaLaBau-Besucher kostenlos. „Mit dem inhaltlich ausgebauten Praxisforum soll Vertretern aus Kommunen, Landschaftsarchitekten, aber auch dem klassischen GaLaBauer zusätzlich zur Produktschau ein fachlicher Mehrwert geboten werden. In spannenden Vorträgen erhalten Besucher kompakte Lösungsansätze für Fragestellungen aus ihrem Berufsalltag“, erklärt Stefan Dittrich, Abteilungsleiter GaLa- Bau. Aktuelle Informationen zur GaLa- Bau unter www.galabau-messe.de © Markus Schwalenberg, EW Medien und Kongresse Gmbh 81 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Infrastruktur Wurzeleinwuchs in Abwasserleitungen tritt in öffentlichen und privaten Entwässerungsnetzen auf. In der Regel findet der Einwuchs an den Rohrverbindungen statt. Dies hat zunächst eine undichte Rohrverbindung mit möglichen Ex- und Infiltrationen zur Folge. Darüber hinaus kann Wurzeleinwuchs, insbesondere bei kleinen Abmessungen sogar zum kompletten Verschluss der Leitung führen, verbunden mit der Gefahr überfluteter Straßen und Gebäude. Vorausschauend ist es deshalb, auf ein System zu setzen, das Wurzeleinwuchs wirkungsvoll verhindert und so aufwändige und teure Sanierungen zuverlässig vermeidet. Zehn Jahre Praxistest Im Jahr 2006 legte REHAU auf dem Betriebsgelände in Erlangen ein Versuchsgelände an, um der Frage nachzugehen, ob die Wurzeln verschiedener Baumarten in Muffenverbindungen verschiedener Abwasserrohrsysteme eindringen können. Dazu wurden zwei parallel verlaufende Abwasserrohrleitungen mit jeweils sieben Metern Länge der Nennweite DN 150/ 160 in einer Tiefe von 1,5 m in sandigem Boden verlegt. Die erste Rohrleitung wurde mit dem Kanalrohrsystem AWADUKT PP SN 10 DN 160 realisiert, die zweite Leitung mit einem Steinzeugrohr DN 150. Jeweils am Anfang und am Ende einer Leitung befand sich ein AWASCHACHT DN 1000 beziehungsweise DN 400. Im Fall der Steinzeugleitung erfolgte der Übergang zu den Schächten mit einem Übergangsstück. Oberhalb des Versuchsfelds wurden sieben für den Straßenraum typische Bäume - wie Pappeln, Platanen und Spitzahorn und Robinien - gepflanzt. Nach zehn Jahren wurde der Praxistest von der MFPA Weimar ausgewertet. Das Ergebnis: Die PP-Strecke war vollständig wurzelfrei. Bei der Steinzeugleitung wurde jedoch Wurzeleinwuchs in einer Verbindung im Rahmen einer Kamerabefahrung festgestellt. Auf Basis dieser Auswertung erhielt REHAU das externe Prüfzeugnis der MFPA Weimar mit dem Urteil „PP System aus Schacht und Rohr dauerhaft wurzelfest“. Wurzelfest aus gutem Grund Einer der Gründe für die nachgewiesene Wurzelfestigkeit des REHAU-Kanalnetzsystems liegt in dem hohen Anpressdruck der Dichtung von mehr als 6bar, selbst bei Scherlast. Denn je höher der Anpressdruck desto größer ist auch der Widerstand gegen Wurzeleinwuchs. Verglichen mit Steinzeug (ohne Scherlast) ist er damit etwa doppelt so hoch. Dies belegt auch ein Forschungsvorhaben des Instituts für unterirdische Infrastruktur Gelsenkirchen (IKT). Darüber hinaus weist AWADUKT PP im direkten Vergleich mit Steinzeug eine um 94 % geringere Ringspalte an der Verbindung auf, was dem Wurzeleinwuchs erfolgreich entgegenwirkt. Denn eine Wurzel sucht immer Hohlbeziehungsweise Porenräume, in die sie wachsen kann. Mit bis zu 2,5 bar ist das REHAU-Kanalnetzsystem selbst unter extremen Bedingungen dauerhaft dicht. Die Normanforderung von 0,5 bar wird damit um das Fünffache überschritten. Auch bei erhöhten Scherlasten, bei Verformungen oder Abwinklungen bis 2 Grad bleibt das System zuverlässig dicht. Das REHAU Safety-Lock-System verhindert zudem ein Ausschieben der Dichtung beim Steckvorgang. Weitere Informationen zu den REHAU Kanalnetzlösungen unter: www.rehau.de/ wasser Wurzelfestigkeit bestätigt Kanalnetzsystem und Kanalschächte gemäß Prüfung der MFPA Weimar wurzelfest Ein über zehn Jahre angelegter Praxistest, ausgewertet durch die amtliche Prüfstelle MFPA Weimar, belegt, dass das Kanalrohrsystem AWADUKT PP inklusive der Verbindungstechnik mittels Doppelsteckmuffen sowie die eingesetzten Kanalschächte AWASCHACHT DN 400 und DN 1000 wurzelfest sind. Bild oben: AWADUKT PP Rohre nach 10 Jahren: Keinerlei Anzeichen von einwachsenden Wurzeln. © REHAU Bild unten: Traditionelles Rohrsystem nach 10 Jahren: Muffe undicht, sichtbarer Einwuchs von Wurzeln. © REHAU 82 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Stadtraum Rodungsarbeiten sind künftig nach der ATV DIN 18320 „Landschaftsbauarbeiten“ auszuführen. Die Anforderungen an diese Arbeiten sind darin klar festgelegt. Hält man sich konsequent daran, ist die Frage, ob fachgerechte Rodungen mit der bisher gebräuchlichsten Methode, dem Fräsen, überhaupt noch ausgeführt werden können. Der Deutschen Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen (DVA) hat die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen (ATV) für Bauleistungen, genauer die DIN 18320 „Landschaftsbauarbeiten“, grundlegend überarbeitet und erweitert. Neu ist, dass alle Haupt- und Nebenleistungen, die mit dem Oberboden zu tun haben, in dieser DIN geregelt sind. Bislang waren Oberboden- und Rodungsarbeiten in der DIN 18300 „Erdarbeiten“ festgelegt. Damit gelten für Rodungsarbeiten ab sofort die Grundsätze des Landschaftsbaus. Tiefe und Breite: DIN 18320 mit detaillierten Vorgaben Klarheit verschafft die ATV DIN 18320 nun zum Vorgehen bei Rodungsarbeiten. Festgelegt ist, dass der zentrale Wurzelstock sowie alles außerhalb 20 cm des Wurzelanlaufes, also des sichtbaren oberirdischen Teils, zu roden ist. Starkwurzeln mit einem Durchmesser über 10 cm müssen entfernt werden - völlig unabhängig davon, wie weit abseits des Stubbens sie liegen. Beides, also sowohl der Wurzelstock als auch die Starkwurzeln sind bis zu einer Tiefe von 30 cm aus dem Boden zu beseitigen. Diese exakte Definition, in welcher Breite und Tiefe die Wurzeln zu entfernen sind, hat Konsequenzen für das Rodungsverfahren: Denn die Reichweite einer Fräse in die Tiefe ist beschränkt. „Wurzelfräsen von kleiner und mittlerer Größe, die am häufigsten in Gebrauch sind, schaffen die 30 cm nur ganz knapp oder gar nicht. Insbesondere bei engen Rodungsstellen, beispielsweise in einem städtischen Baumbeet, lassen sich Wurzelstöcke meist nur wenige Zentimeter unter Flur wegfräsen. Außerdem sind genau an diesen Stellen oft Steine und Betonreste vom Wegebau im Boden, die die Fräse beschädigen können“, meint Hartmut Neidlein, Geschäftsführer der Wurotec GmbH & Co. KG, der über mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Baumpflege verfügt. Im Gegensatz zu einer Fräse beschränkt die Reichweite eines Rodungsmessers wie der Wurzelratte, die an den Bagger angebaut wird, nur der Baggerarm. Damit kann nicht nur weit in die Tiefe gearbeitet werden, sondern es lassen sich alle relevanten Wurzeln, auch die Grob- und Seitenwurzeln, entfernen. „An die weiter außen liegenden Starkwurzeln kommt eine Fräse jedoch erst gar nicht heran“ erklärt Neidlein. Wurzelratte ermöglicht Komplettrodungen Die Wurzelratte ist genau zum Zweck von Komplettrodungen entwickelt worden, unabhängig von Größe und Art des Baumstumpfs: Das Rodungsmesser entfernt den Stubben Stück für Stück und anschließend die Grob- und Seitenwurzeln. Das zerkleinerte Wurzelholz ist bei diesem Verfahren frei von Erde, lässt sich dadurch leicht aufsammeln und, wie nunmehr in der DIN 18320 vorgeschrieben, vorschriftsmäßig lagern. Denn neben der präzisen Entfernung schreibt die DIN 18320 auch das Lagern des Wurzelholzes vor. „Abgefrästes Material lässt sich jedoch nicht lagern, weil beim Fräsen ein Gemisch aus Wurzelholz, Erde und Steinen entsteht. Meiner Meinung nach lassen sich aus all diesen Gründen Wurzelrodungen nach der überarbeiteten DIN mit einer Fräse nicht mehr fachgerecht ausführen“, sagt Neidlein. Auftragnehmer bestimmt sein Gerät selbst Welches Werkzeug für die Rodung verwendet wird, legt die DIN 18320 nicht fest: „Selbst wenn in einer Ausschreibung ausdrücklich vom Fräsen gesprochen wird, heißt dass nach der DIN nicht, dass eine Fräse verwendet werden muss“, so Neidlein. „Wahl und Einsatz der Geräte sind - sogar ganz im Gegenteil - ausdrücklich Sache des Auftragnehmers.“ Weitere Informationen unter: www.wurotec.de Fachgerechte Rodungsarbeiten mit der Fräse? Überarbeitete ATV DIN 18320 83 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Stadtraum Im Jahr 2015 wurden laut Bundesumweltministerium täglich 69 Hektar neue Siedlungs- und Verkehrsflächen ausgewiesen. Das entspricht einer Flächen-Neuinanspruchnahme von knapp 100 Fußballfeldern pro Tag. Die anhaltend hohe Versiegelungsrate bewirkt, dass Regenwasser nicht mehr im Boden versickern kann und die kommunalen Entwässerungssysteme bei Starkregenereignissen schnell überlastet sind - mit Überflutungen in der Folge. Maßnahmen zur Entsiegelung werden immer wichtiger, so setzen Städte zum Beispiel Dachbegrünungen in Bebauungsplänen fest und honorieren das Wasserrückhaltevermögen von Gründächern mit reduzierten Abwassergebühren. Dieses Rückhaltevermögen heißt im Fachjargon Retention (lat. retinere = zurückhalten) und bietet beachtliches Potential. Wirkung der Retention Das Rückhaltevermögen dient der Dämpfung und zeitlichen Streckung von Niederschlagsspitzen. Nach den Richtlinien des Deutschen Wetterdienstes wird im Bundesgebiet von Starkregen ab einer Menge von mehr als 5 L/ m² innerhalb von 5 Minuten, mehr als 10 L/ m² in 20 Minuten oder mehr als 17 L/ m² in einer Stunde gesprochen. Starkregen kann jedoch wesentlich heftiger ausfallen. Am 28. Juli 2014 hat es in Münster innerhalb von sieben Stunden 292 L/ m² geregnet. Jede einzelne Dachbegrünung trägt hier zur Entlastung der Kanalisation bei. Eine gewöhnliche Extensivbegrünung speichert zum Beispiel in ihrem Begrünungsaufbau zwischen 20 und 40 L/ m² Wasser, eine Intensivbegrünung zwischen 50 L/ m² und 100 L/ m², in Einzelfällen sogar darüber. Hinsichtlich Hochwassergefahr soll die Dachbegrünung also möglichst viel Wasser speichern können. Andererseits führt aber ein Zuviel an pflanzenverfügbarem Wasser zu Vegetationsumbildungen und damit zu einem erhöhten Aufwand an Pflege oder gar zu Staunässe und Wurzelfäulnis. Daher hat ZinCo das neue Retentions-Gründach zweiteilig aufgebaut - Retentions-Volumen und der eigentliche Begrünungsaufbau sind getrennt. Und so funktioniert es Beim neuen Retentions-Gründach wird unterhalb des Begrünungsaufbaus ein sogenannter Abstandshalter (Spacer) verwendet. Die Höhe der Spacer ist variabel wählbar. So ermöglicht z.B. ein 10 cm hoher Spacer eine Regenwasser-Speicherung von rund 80 L/ m² - gefälleloses Flachdach mit entsprechender Baustatik natürlich vorausgesetzt. Damit lässt sich also das Retentions- Dieser Dachaufbau reduziert die Hochwassergefahr Das neue Retentions-Gründach von ZinCo Roland Appl Zunehmende Starkregenereignisse, Überflutungen und die Reduzierung des Grundwasserspiegels verdeutlichen, dass die Ökologie des Wasserkreislaufes empfindlich gestört ist - als Folge des Klimawandels und der anhaltend hohen Flächenversiegelung. An diesem Punkt kommt die Dachbegrünung ins Spiel, die wichtige, zusätzliche Grünflächen in dichter Bebauung schafft. Jede Dachbegrünung speichert eine gewisse Menge Regenwasser und lässt dieses Wasser zeitverzögert abfließen bzw. auf dem Dach verdunsten. Das neue Retentions-Gründach von ZinCo vervielfacht nun ganz gezielt diesen Rückhalte-Effekt und gleicht damit Niederschlagsspitzen effektiv aus. Eine vielversprechende Lösung! Die neuen Retentions-Gründächer umfassen neben 640 m² Intensivbegrünung der Atrien ganze 3800 m² Extensivbegrünung auf dem Dach obenauf. © Mitsubishi Electric Europe B.V. 84 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Stadtraum vermögen der Dachbegrünung um ein Vielfaches steigern. Das zurückgehaltene Regenwasser fließt dann über ein Drossel- Element, das im Gully verankert ist, langsam in einem definierten Zeitraum (zwischen 24 Stunden und mehreren Tagen) in die Kanalisation ab. Damit dies auch dauerhaft einwandfrei funktioniert, liegen Gully samt Drossel- Element geschützt innerhalb des Kontrollschachts, dessen Feinschlitzung das Einschwemmen von Fremdstoffen verhindert. Der über dem Spacer liegende Begrünungsaufbau stellt nun alle für das Funktionieren der Dachbegrünung wichtigen Aspekte sicher - wie Luft-Wasser-Haushalt im Wurzelraum, Dränage und Wasserspeicherung für die Pflanzen. Dabei benötigt eine Intensivbegrünung natürlich höhere Wassermengen als eine extensive Variante aus trockenheitsresistenten Sedumpflanzen. Genau dafür sorgt der auf die Bepflanzung abgestimmte Begrünungsaufbau. So sind im Grunde alle Dachbegrünungs- und Nutzungsformen möglich, auch Geh- und Fahrbeläge. Diese Zweiteilung ermöglicht es also, dass sehr viel Wasser gespeichert werden kann, unabhängig davon, wieviel Wasser die Begrünung selbst braucht und ohne Risiko der Vegetationsumbildung oder Staunässe. Objektgerechte Planung Abhängig von örtlichem Klima und Niederschlagsmengen sowie von gewünschter Retention, werden die objektspezifischen Werte für das Retentions-Gründach festgelegt. Dazu gehören maximales Einstauvolumen, maximale Entwässerungsmenge pro Zeiteinheit und die Zeitdauer, bis der Stauraum wieder zur Verfügung stehen soll. Diese Entwässerungsberechnung führt der erfahrene Partner von ZinCo, die Firma Sita Bauelemente GmbH, durch und liefert alle relevanten Entwässerungskomponenten inklusive Drossel-Element. Retentions-Gründächer für Deutschland 2015 wurde die neue Deutschland-Zentrale des japanischen Konzerns Mitsubishi Electric Europe B.V. in Ratingen mit Retentions-Gründächern gebaut. Diese Vorgabe der Stadt Ratingen passte ganz ins Unternehmensleitbild „Changes for the Better“ und der Umwelterklärung „Eco Changes“ des weltweit führenden Unternehmens der Elektrotechnikbranche. Das Unternehmen will die Umweltbelastung seiner Geschäftstätigkeiten reduzieren und zum Schutz der Artenvielfalt beitragen. So auch gelungen beim neuen Büro- und Verwaltungsgebäude in Ratingen, das die LEED-Zertifizierung in der höchsten Kategorie Platin erhalten wird. Das Leadership in Energy and Environmental Design (LEED) definiert eine Reihe von Standards für umweltfreundliches, ressourcenschonendes und nachhaltiges Bauen. Dachbegrünung, insbesondere ein Retentions-Gründach, leistet hierzu einen wertvollen Beitrag. Der Gebäudekomplex umfasst auf fünfeinhalb Etagen rund 16 000 m² Bürofläche für bis zu 750 Mitarbeiter/ innen sowie 500 Tiefgaragenplätze. Das architektonische Konzept des beauftragten Architekturbüros kresings architektur GmbH aus Münster gliederte das Gebäude grundlegend in zwei auseinandergezogene Teile, die sich nach Norden und Süden als aufgelockerte Massivfassade in Ziegeloptik präsentieren. Räumlich entstanden auf diese Weise zwei lichtdurchflutete Atrien unterschiedlicher Größe. Diese beiden, zusammen etwa 640 m² großen Atrien wurden als Intensivbegrünungen mit Gräsern, Bodendeckern und Formgehölzen als Solitärpflanzen realisiert sowie teilweise mit kreisförmigen Wegen. Die rund 3 800 m² große Dachfläche obenauf wurde von der Ahrens & Krämer GmbH Garten- und Landschaftsbau aus Erkelenz, einem erfahrenen ZinCo-Dachgärtner, ausgeführt. Hier wachsen unterschiedliche Sedumarten, ausgebracht als Spossenansaat. Unter beiden Dachbegrünungsvarianten befinden sich vollflächig verlegt in diesem Fall 6 cm hohe Spacer-Elemente der Firma ZinCo. Innerhalb dieser Elemente können (nach Abzug von Materialstärke und Luftvolumen) bis zu 40 L/ m² Wasser angestaut werden - also eine Menge von maximal etwa 4 440 m² x 40 L/ m² = 177 600 L = 178 m³ Wasser, welches zeitverzögert abfließt und so die Kanalisation effektiv entlastet. Hinzu kommt die Retentionsleistung der Extensiv- und Intensivbegrünung. Mit den Retentions-Gründächern auf dem Neubau in Ratingen lassen sich Niederschlagsspitzen ausgleichen, die Hochwassergefahr wird reduziert. Hohes Potential In Zeiten fortschreitender Versiegelung, Überhitzung der Städte, Starkregenereignissen und Überflutungen wird die Dachbegrünung zur ökologischen Notwendigkeit. Sie verbessert Klima, bindet Staub und Schadstoffe, gleicht Extremtemperaturen aus und speichert Wasser - mit dem neuen Retentions-Gründach in besonderem Maße zum Schutz vor Hochwasser. ZinCo GmbH Lise-Meitner-Straße 2 72622 Nürtingen info@zinco-greenroof.com www.zinco.de www.zinco-greenroof.com 85 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Stadtraum Grüne Dächer für bunte Bauwerke Neubau der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt in Hamburg (BSU) Der Neubau der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt Hamburg (BSU) übernimmt die städtebauliche Führungsrolle im neuen Hamburger Quartier auf der Elbinsel Wilhelmsburg, in Veddel sowie im Harburger Binnenhafen. Als erste Behörde folgte die BSU dem Rahmenkonzept „Sprung über die Elbe“ und bezog eines der modernsten Gebäude Hamburgs auf der Wilhelmsburg. Dieses Konzept erlaubt das Wachstum des Stadtstaats auf zentral gelegenen Flächen. Ausgehend vom 54 Meter hohen zentralen Eingangshochhaus schlängeln sich zwei Flügel nach Norden und Westen. Ein unverwechselbares Highlight ist die - für die Berliner Architekten Sauerbruch Hutton charakteristische - farbenfrohe Fassadengestaltung des 13-geschossigen Turms und der beiden jeweils 5-geschossigen Gebäudeflügel mit etwa 30 000 Keramikelementen in 20 unterschiedlichen Farbtönen. Besonders ist auch das ehrgeizige Nachhaltigkeits- und Energiekonzept, wofür das Gebäude das Zertifikat der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGBN) in Gold erhielt. Sichere Dachabdichtung trotz außergewöhnlicher Dachgeometrie Neben der unverwechselbaren Fassade trägt auch das Dach zum außergewöhnlichen Gebäudekonzept bei: Sämtliche Gebäudeteile haben eine wellenförmige Geometrie, an die der gesamte Dachaufbau angepasst werden musste. Zuerst wurden Bitumendampfsperren auf der Stahlbetondecke, dann eine Wärmedämmung aufgebracht. Darauf folgte die Kunststoffdachabdichtungsbahn Sarnafil TG 76-18 Felt der Sika Deutschland GmbH. Sie eignet sich im verklebten Aufbau auch für Dächer mit Kiesauflast und Begrünung, da sie entsprechend dem FLL-Verfahren resistent gegen Wurzeln und Rhizome ist. Die weichmacherfreie, recycelbare und extrem langlebige Dachabdichtung bringt positive Nachhaltigkeitsaspekte auf das Dach und hat somit zur DGNB-Zertifizierung des Bauwerks in Gold beigetragen. Die Abdichtungsbahn besteht aus einer innenliegenden Lage aus Glasvlies und einer unterseitigen Vlieskaschierung, die als Haftbrücke und Ausgleichslage für die flächige Verklebung dient. Verklebt wurde der gesamte Dachaufbau mit dem Klebstoff Sikaplan C 300, einzelne Teilbereiche wurden aufgrund der Gebäudehöhe mit Sarnafil TS 77-18 im Sarnabar Befestigungssystem mechanisch befestigt und im Anschluss daran extensiv begrünt. Diese Dachabdichtung erfüllt die hohen Anforderungen der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau E.V. (FLL). Weitere Abdichtungsleistungen Neben der klassischen Dachabdichtung sorgte die Sika Deutschland mit ihren Systemlösungen für die Dichtigkeit weiterer Gebäudeteile: So galt es auch einen etwa 5 Meter hohen Betondeckel mit einem Radius von etwa 10 m Bild links: Der geschwungene bunte Neubau der BSU Hamburg. © Sika Bild rechts: Der gesamte Dachaufbau musste sich der geschwungenen Geometrie anpassen. © Sika 86 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Stadtraum auf einer Betonfläche abzudichten. Er bildet im Foyer eine Kuppel über dem Stadtmodell von Hamburg. Auch dieses gestalterische Element wurde anschließend begrünt. Die auf dem Dach verwendete Kunststoffdachabdichtungsbahn Sarnafil TG 76-18 Felt wurde auch bei der über 5 000 Quadratmeter großen Tiefgaragendecke eingesetzt, auf der sich nun weitere grüne Parkflächen befinden. Dieser zweite Abschnitt wurde in Teilbereichen abgeschottet, mit Sarnafil Kontrollrohren versehen und anschließend intensiv begrünt. Dazu pflanzte man Bäume unter anderem in einem ein Meter tiefen Pflanzbecken, mit einem 9,9 cm permanenten Wasseranstau. Diese nasse Herausforderung machte eine absolut zuverlässige Dachabdichtung erforderlich. Zu guter Letzt mussten noch die Außentreppenanlagen am Gebäude abgedichtet werden. Hierfür verwendete man allerdings Flüssigkunststoff, das System SikaRoof MTC 18. Es ist besonders schnell regenfest und kann durch geringe Trocknungszeiten zwischen den einzelnen Schichten schnell und auch bei schlechter Witterung gut verarbeitet werden. Vorrangiger Grund für den systemgerechten Einsatz des hochwertigen Flüssigkunststoffs waren die schwierigen Anschluss- und Detailsituationen der Treppen. Der Vorteil: Der Übergang zwischen der Dachabdichtungsbahn und dem Flüssigkunststoff wurde mit den Produkten eines einzigen Herstellers ausgeführt. So kann jeder Garantieausschluss aus dem umfangreichen Garantiepaket der Sika Deutschland GmbH vermieden werden. Um das optimale Zusammenspiel zwischen den eingesetzten Materialien, der Ausführung der Dacharbeiten sowie allen betei- URBANE S YS TEME IM WANDEL Branchenübergreifende Informationen zur aktiven Gestaltung der Stadt von morgen Ein Projekt von T RIALOG P UBLISHERS Online-Wissensplattform Newsletter Fachmagazin als E-Paper und Print-Ausgabe Das neue Medium für Fach- und Führungskräfte w w w . t r a n s f o r m i n g c i t i e s . d e ligten Projektpartnern sicherzustellen und zu dokumentieren, wurde das Dach der BSU Hamburg TÜV-zertifiziert. Diese Zertifizierung beginnt bei der Produktionskontrolle der Materialien, verlangt hochqualifizierte, vom TÜV freigegebene Anwendungstechniker sowie produktspezifische Schulungen für den ausführenden Handwerksbetrieb. Die intensive Betreuung der Baustelle reicht bis zu einem objektspezifischen Schlussprotokoll des TÜV-Süd. Dies bietet sowohl dem Bauherrn als auch dem Planer eine besonders hohe Sicherheit. Die umfangreiche Beratungsunterstützung des Herstellers bei Planung und Ausschreibung sorgte bereits im Vorfeld für einen optimalen Projektstart. Das Objekt BSU Hamburg ist der Beweis dafür, dass die Bereiche Sicherheit, Qualität und Nachhaltigkeit erfolgreich und professionell in einem optisch hervorragenden Bauwerk vereinbart werden können. Sika Deutschland GmbH Kornwestheimer Straße 103-107 70439 Stuttgart www.deu.sika.com Die Parkflächen wurden nach der Abdichtung intensiv begrünt. © Sika 87 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Infrastruktur Das Wartungsteam des Hotels Gabrielli strebt ständig danach, die Energieeffizienz zu verbessern, was auch die Wasserversorgung betrifft. Alle 103 Zimmer, die auf insgesamt fünf Stockwerken verteilt sind, sollen zuverlässig rund um die Uhr mit Warm- und Kaltwasser versorgt werden. Die Wasserversorgung des Hotels deckt außerdem den Bedarf der Hotelbar und der beiden dazugehörenden Restaurants ab. Im Zuge der Renovierung wurde im Hotel Gabrielli ein neues Pumpensystem installiert, um die Wasserversorgung in jedem Zimmer Tag und Nacht zu gewährleisten. Der Planer wählte ein Lowara-System, das unabhängig von den Betriebsbedingungen eine durchgängige Betriebssicherheit und Effizienz bei gleichbleibender Leistung gewährleistet. Während das Hotel die traditionelle Architektur beibehielt, die die Besucher Venedigs erwarten, werden hinter den Kulissen die neuesten Technologien verwendet, um den Anforderungen der Gäste zu entsprechen. Das 4-Sterne- Hotel war ursprünglich als Wohnhaus genutzt. Manuel Elbert, Standortleiter bei Xylem Water Solutions und Verantwortlicher für die Marke Lowara in Deutschland, kommentiert: „Vor allem große und mehrstöckige Gebäude brauchen Druckerhöhungsanlagen, damit Wasser mit dem richtigen Druck in die oberen Stockwerke oder an die Endpunkte des Gebäudes befördert werden kann. Die Installation einer GHV Druckerhöhungsanlage wurde im Projekt festgelegt um sicherzustellen, dass alle Gäste in jedem Stockwerk und jedem Zimmer jederzeit mit Warm- und Kaltwasser versorgt werden.“ Die gelieferte Lowara-Druckerhöhungsanlage des Typs GHV enthält zwei mehrstufige, vertikale Kreiselpumpen, Baureihe eSV. Die Baureihe bietet Anlagen mit Förderleistungen von bis zu 640 m 3 pro Stunde und Förderhöhen bis zu 160 m. Die Leistung beträgt bis zu 22 kW pro Pumpe, es sind bis zu acht Pumpen möglich, der maximale Betriebsdruck liegt bei 16 bar. „Eine der größten Herausforderungen war der Standort des Pumpsystems“, so Luca Menegazzo, Planer und als Installationsexperte verantwortlich für Wartung und Aufbau aller Pumpsysteme im Hotel Gabrielli Sandwirth. Er fährt fort: „Das existierende System war in einem schmalen Pumpenraum platziert. Eine sorgfältige Planung und Detailüberlegungen gingen der Installation der Druckerhöhungsanlage voraus. So musste berücksichtigt werden, dass alle Anlagenkomponenten per Boot angeliefert werden.“ Zur Energieeinsparung wurde die GHV-Anlage mit dem Neueste Technik für traditionelles exklusives Hotel in Venedig Das Hotel Gabrielli Sandwirth ist eines der exklusivsten Hotels in Venedig. Die venezianische Geschichte ist allgegenwärtig, die handgemachten Kronleuchter sind aus Murano-Glas gefertigt. Daneben bietet das seit 1856 familiengeführten Hotel mehrere Innenhöfe, einen Garten und eine Dachterrasse mit Blick über die Stadt. In unmittelbarer Nähe befinden sich der Markusplatz und der Dogenpalast. Hotel Gabrielli Sandwirth in Venedig. © Xylem Luca Menegazzo freut sich: Mit der neuen Lowara- Anlage können wir allen Gäste jederzeit und in jedem Zimmer Warm- und Kaltwasser zur Verfügung zu stellen. © Xylem 88 3 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Infrastruktur Impressum Herausgeber Eberhard Buhl, M.A. Verlag T RIALOG P UBLISHERS Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl | Christine Ziegler Marschnerstr. 87, D-81245 München Tel. +49 89 889518.71 Fax +49 89 889518.75 office@trialog.de www.trialog.de Redaktionsleitung Dipl.-Ing. arch. Christine Ziegler VDI (verantwortlich) Tel: +49 89 889518.72 Fax: +49 89 889518.75 christine.ziegler@transforming-cities.de Anzeigen Hellfried Zippan Tel. +49 89 889518.74 Fax +49 89 889518.75 hellfried.zippan@trialog.de Gültig ist die Anzeigenpreisliste Nr. 1 vom 01.10.2015 Vertrieb und Abonnentenservice Tel. +49 89 889518.76 Fax +49 89 889518.75 vertrieb@trialog.de Erscheinungsweise Viermal im Jahr Bezugsbedingungen Die Bestellung des Abonnements gilt zunächst für die Dauer des vereinbarten Zeitraumes (Vertragsdauer). Eine Kündigung des Abonnementvertrages ist zum Ende des Berechnungszeitraumes schriftlich möglich. Erfolgt die Kündigung nicht rechtzeitig, verlängert sich der Vertrag und kann dann zum Ende des neuen Berechnungszeitraumes schriftlich gekündigt werden. Bei Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages, bei Arbeitskampf oder in Fällen höherer Gewalt besteht kein Entschädigungsanspruch. Zustellmängel sind dem Verlag unverzüglich zu melden. Es ist untersagt, die Inhalte digital zu vervielfältigen oder an Dritte weiterzugeben, sofern nicht ausdrücklich vereinbart. Bezugsgebühren JahresAbo Print: gedruckte Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 120,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 11,90, Ausland EUR 25,-) JahresAbo ePaper: elektronische Web-Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 120,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), ohne Versandkosten JahresAbo Plus (Print + ePaper): als gedruckte Ausgabe + elektronische Web-Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 160,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 11,90 , Ausland EUR 25,-) StudiAbo ePaper: elektronische Web-Ausgabe. Das 1. Bezugsjahr ist kostenfrei (nur einmal pro Bezieher möglich). Ab dem 2. Bezugsjahr wird der reduzierte Jahresbezugspreis von EUR 80,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.) berechnet. Eine aktuelle Studienbescheinigung ist Voraussetzung. Einzelheft Print: gedruckte Ausgabe zum Einzelbezugspreis von EUR 35,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 3,-, Ausland EUR 6,50) Einzelausgabe ePaper: elektronische Web- Ausgabe zum Einzelbezugspreis von EUR 35,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), ohne Versandkosten Unternehmenslizenzen auf Anfrage Druck Grafik und Druck GmbH Peter Pöllinger, München Herstellung Trialog, München, www.trialog.de Titelbild Ivy growing up a wall © ClipDealer Copyright Vervielfältigungen durch Druck und Schrift sowie auf elektronischem Wege, auch auszugsweise, sind verboten und bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Abbildungen übernimmt der Verlag keine Haftung. Eine Publikation der T RIALOG P UBLISHERS Verlagsgesellschaft ISSN 2366-7281 (print) www.trialog.de/ agb Drehzahlregelsystem Hydrovar ausgestattet, das die Pumpenleistung stets dem tatsächlichen, stark schwankenden Bedarf anpasst. Manuel Elbert weiter: „Der Lowara Hydrovar ist eine Drehzahlregelung, die auf den Pumpenmotor montiert wird. Damit wird eine Druckerhöhungsanlage zu einem intelligenten und energieeffizienten System. Im Hydrovar System kommunizieren die einzelnen Regler der Pumpen miteinander, das stellt sicher, dass die eingesetzte Energiemenge nicht höher ist als für den eigentlich benötigten Wasserbedarf erforderlich. Einfach gesagt, der Hydrovar wird nur die Wassermenge pumpen, die auch benötigt wird und verwendet dadurch wesentlich weniger Energie als ein System mit fester Drehzahl. Daraus resultiert die Reduzierung der Energiekosten.“ Bei vielen Betreibern von größeren Gebäuden wie dem Hotel Gabrielli Sandwirth setzt ein Umdenken in Richtung Reduzierung von Energiekosten und CO 2 -Emissionen ein. Es hat sich gezeigt, dass effiziente Druckerhöhungsanlagen eine Möglichkeit für erhebliche Einsparungen sind. „Zusätzlich zu den energieeffizienten Qualitäten bietet der Hydrovar auch eine innovative Sanft-Anlauf und Stopp-Funktion“ sagt Luca Menegazzo. „Diese Funktion schützt die Einheit vor Druckschlägen und deren negativen Folgen. Ist die Fließgeschwindigkeit am geöffneten Druckausgang sofort maximal, führt dies zu Kavitation in den Verbindungsstücken und damit zu Leckagen und geplatzten Leitungen. Ein Pumpsystem mit variabler Drehzahlregelung wie der Hydrovar sorgt sowohl bei der Pumpe als auch den nachfolgenden Rohrleitungen und Armaturen für eine längere Lebensdauer. Luca Menegazzo fährt fort: „Als Luxushotel ist es uns sehr wichtig, allen Gäste jederzeit und in jedem Zimmer Warm- und Kaltwasser zur Verfügung zu stellen. Mit dem Xylem-Pumpsystem gewährleisten wir nicht nur die sichere und zuverlässige Wasserversorgung aller 103 Gästezimmer, der Bar und der beiden Restaurants des Hotels, sondern haben auch den Vorteil einer insgesamt verbesserten Effizienz und erheblich reduzierter Energiekosten. Druckerhöhungsanlagen GHV Die Lowara GHV Baureihe umfasst vollautomatische Druckerhöhungsanlagen für die Wasserversorgung. Sie sind ausgestattet mit bis zu acht mehrstufigen vertikalen Kreiselpumpen mit der Drehzahlregelung bzw. Pumpensteuerung Hydrovar, Drucktransmittern und Schaltgerät. Für eine einfache Installation werden sie auf einer Grundplatte montiert geliefert. Die Hydrovar- Pumpensteuerung ist einfach zu programmieren, konstruiert für eine maximale Energieeffizienz und kann via Modbus mit einer Gebäudeleittechnik kommunizieren. Xylem Water Solutions Deutschland GmbH Biebigheimer Str. 12 63762 Großostheim www.xylemwatersolutions.com/ de Blick vom Dach des Hotels Gabrielli Sandwirth. © Xylem Urbane Infrastrukturen Die Lebensadern der Stadt Am 14. November 2016 erscheint die nächste Ausgabe von Transforming Cities mit dem Themenschwerpunkt  Vom Tankstellennetz zum Energieversorgungsnetz  Rohrnetze zur Ver- und Entsorgung  Digitalisierung von Stadtfunktionen  Sicherheit bei kritischen Infrastrukturen ... sowie weitere Beiträge zu Energie, Stadtplanung, Infrastruktur, Mobilität,... über 7.000 Fachbesucher Klima- und Energiepolitik Erdgas + Erneuerbare: The Future Energy Couple SoS Mobilität LNG Praxisforum L-/ H-Gasumstellung gat 2016 www.gat-kongress.de Leitkongress Erdgas mit größter Branchenfachmesse Europas 8. bis 10. November 2016 in Essen Hauptsponsor shutterstock.com/ STEEX Jetzt online anmelden unter: www.gat-kongress.de/ anmeldung/ Erlebnisraum - oder Ort zum Anbau von Obst und Gemüse Urban Farming | Dach- und Fassadenbegrünung | Grüne Gleise | Parkgewässer im Klimawandel 3 · 2016 Urbanes Grün ISSN 2366-7281 Transforming Cities 3·2016 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN