Transforming cities
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expert verlag Tübingen
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Die Lebensadern der Stadt - fit für die Zukunft? Rohrnetze: von Bestandserhaltung bis Digitalisierung | Funktionen von Bahnhöfen | Kritische Infrastrukturen 4 · 2016 Städtische Infrastrukturen URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Crossmediale Publikation für Fachleute und interessierte urbane Menschen • Online-Wissensplattform • Regelmäßiger Newsletter • E-Paper / Print-Ausgabe mit Fachartikeln für Abonnenten Die Online-Plattform informiert über Städte im Wandel, über die Herausforderungen von Urbanisierung und Genderisierung, über Auswirkungen und Lösungen. Das Fachmagazin „Transforming Cities“ nimmt diese Themen auf und vertieft sie in Form fundierter Fach- und Wissenschafts-Beiträge. Als Leser angesprochen sind gleichermaßen Kommunen und Unternehmen, Planer und Ingenieure, Wissenschaftler und Studierende. Urbane Systeme im Wandel Lesen Sie selbst! T RIALOG P UBLISHERS | www.trialog.de 1 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, Solange alles rund läuft, ist Infrastruktur kein Thema. Das Wasser kommt aus dem Hahn. Einmal knipsen - und das Licht geht an. Lange Zeit schien es, als reiche es aus, eine Spitzenlast zu bestimmen und danach Leitungen und Netze nur entsprechend großzügig zu dimensionieren. Doch zunehmend wird deutlich, dass die Versorgung von Städten und Gemeinden kein fertig gepacktes Rundumsorglospaket ist. Infrastrukturen zeigen Kapazitätsgrenzen - wenn etwa Straßen den wachsenden Verkehr nicht mehr aufnehmen können, sintflutartige Regenfälle die Kanalisation überfluten oder die Mobilfunkverbindung in Gegenden schwacher Netzabdeckung mitten im Satz abreißt. Alles einfach größer und breiter zu machen, ist keine Lösung. Das zeigte schon die Idee der autogerechten Stadt aus den 1950er Jahren. Nur die eine Möglichkeit zu betrachten, heißt, die anderen zu vernachlässigen, die Auswirkungen auf andere Systeme, auf Mensch und Umwelt auszuklammern. Ganz abgesehen von den unübersehbaren Kosten lässt der über Jahrzehnte gewachsene Bestand - ein Geflecht von Supra- und Infrastrukturen - aufgrund der konkurrierenden Flächennutzungen zudem keine wirklich rigorosen Veränderungen zu. Klar ist, dass nicht alles beim Alten bleiben kann. Der Zwang zu handeln wird durch die Auswirkungen des Klimawandels, durch Demografie und Migration, durch schwindende Ressourcen und politische Krisen verschärft. Wie aber könnte die richtige Lösung aussehen? Wer kann heute schon exakt vorhersagen, wie die Städte der Zukunft wirklich funktionieren werden, wie demnach städtische Infrastrukturen in 30 Jahren beschaffen sein müssen? So hätte sich doch in den 1980er Jahren kaum jemand vorstellen können, dass die Digitalisierung innerhalb weniger Jahre das gesamte Lebensumfeld umkrempeln würde. Alles, was wir heute planen und bauen, wird unsere Städte und Gemeinden für Jahrzehnte prägen. Deshalb ist es umso wichtiger, flexible Strukturen zu schaffen, die sich möglichst leicht an sich verändernde Anforderungen anpassen lassen - Stichwort „Resilienz“. Aufgabe wird sein, technische, aber auch gesellschaftliche Systeme so auszurichten, dass sie selbst bei Störungen oder Ausfällen wieder in Balance kommen können. Und das erfordert die interdisziplinäre Zusammenarbeit ganz verschiedener Fachgruppen: Wissenschaftler, Ingenieure und Verantwortliche in Politik und Verwaltung. In der vorliegenden Ausgabe von „Transforming Cities“ beschäftigen sich Experten mit verschiedenen Ansätzen, städtische Infrastrukturen zukunftssicher und so zugleich unsere Städte lebenswert zu machen. Sie zeigen damit auch, wie facettenreich und spannend das Thema ist. Aber lesen Sie einfach selbst. Ihre Christine Ziegler Redaktionsleitung „Transforming Cities“ Städtische Infrastrukturen - fit für die Zukunft? 2 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES INHALT 4 · 2016 Seite 24 Seite 28 © iro © Viessmann © Uhrig Seite 6 FORUM 4 Rohrleitungen in digitalen Arbeitswelten Im Interview: Prof. Dipl.- Ing. Thomas Wegener, Vorstandsmitglied des Instituts für Rohrleitungsbau an der Fachhochschule Oldenburg e.V., Geschäftsführer der iro GmbH Oldenburg 6 Alles digital, oder was? Das Tagungsprogramm des 31. Oldenburger Rohrleitungsforums 10 Dauerregen und Sturzfluten Neue Chancen für die Stadt- und Ortsentwicklung? Klaus Piroth 13 Große Kommunalbefragung des VDI zu Städten und Gemeinden im Jahr 2030 PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur 14 Regenwasser versickern statt ableiten D-Rainclean ® -System für drei Straßenzüge in Coswig 16 Entwässerungskonzept für neues Logistikzentrum im Osten Münchens Höhere Effektivität und mehr Sicherheit in der Planung 18 Stadtentwässerung Dortmund Kanalsanierung mit Gütesicherung Kanalbau Im Interview: Christian Falk, Technischer Leiter der Stadtentwässerung Dortmund Energie 20 Fernwärmenetz mit unterirdischem Pufferspeicher Gemeinde Murg stellt von Gas auf Holzbrennstoffe um und bezieht Anlieger ein Barbara Rockstroh 24 Heizen und Kühlen mit unterirdischen Eisbergen Jana Dietz 28 Wärmerecycling aus Abwasser Großes Potenzial bei Abwärmenutzung Klaus W. König Stadtraum 32 Grüne Welle an der A40 Begrüntes Schrägdach der Raststätte Beverbach Jürgen Quindeau THEMA Städtische Infrastrukturen 36 KOMMUNAL 4.0 Wie Digitalisierung in kommunalen Infrastrukturen wie der Wasserwirtschaft gelingen kann Günter Müller-Czygan, Lisa Becker 41 Nachhaltige Bestandserhaltung von öffentlichen Abwasseranlagen und ihre Refinanzierung Thomas Wedmann, Michael Hippe 3 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES INHALT 4 · 2016 44 Langfristige Planung von Wasser- Infrastrukturen Ein Plädoyer für die kleinräumige und integrierte Betrachtungsperspektive Benjamin Scholz, Martin Schulwitz 49 Transformation der Wasserinfrastruktur organisieren Was ist dabei zu beachten? Martina Winker, Jan Trapp, Jörg Felmeden, Jens Libbe, Engelbert Schramm 54 Sicherheitstechnische Verantwortung bei Infrastruktur- Anwendungen Was Anlagenbetreiber beachten müssen Michiel Hussaarts 58 Angriffssicherheit im Lebenszyklus Kritischer Infrastrukturen Schutzkonzepte für Bahnanwendungen Lars Schnieder 63 Walkability - für lebenswerte Stadträume Methoden zur Messung und Erfassung von Straßenraum-Merkmalen Minh-Chau Tran, Sonja Hellali-Milani 68 Smartphones unterstützen die Mobilitätsforschung Projekt „RadSpurenLeser“ zur Vernetzung von Radverkehr und öffentlichem Verkehr in Berlin Enrico Howe, Robert Schönduwe, Andreas Graff, Lena Damrau, Joscha Kükenshöner 72 Elektromobile Dienstleistungen Potenzielle Nutzergruppen und ihre Anforderungen Petra Schäfer, Antje Quitta 76 Bahnhöfe als Bestandteil urbaner Transformation Soziale und technologische Innovationen zur Stärkung der Resilienz von Bahnhöfen Karsten Hager, Wolfgang Rid, Carolin Herdtle, Felix Märker, Diana Böhm Seite 54 Seite 72 © Phönix Contact Seite 86 © Leitner Ropeways © pixabay FOKUS Forschung + Lehre 82 iro - Bindeglied für Wissenschaft und Hochschule zur Wirtschaft und Gesellschaft 84 Abwasserwärmenutzung in Oldenburg Vom Forschungsprojekt zur praktischen Anwendung 85 Rohrleitungssanierung - ein spannende Berufsperspektive für Bauingenieure PRODUKTE + LÖSUNGEN Infrastruktur 86 Mit der Seilbahn pünktlich und sicher zur Schule Erste städtische Seilbahn Mexikos 88 Ein Jahr SM! GHT Intelligente Laternenmasten - Kombination aus Straßenlaterne, WLAN-Sender, E-Tankstelle, Verkehrssensor und Notrufsäule 88 Impressum 4 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Infrastrukturen und Suprastrukturen unserer Städte entstanden nach und nach, im Laufe vieler Jahrzehnte. Nun sieht es so aus, als müssten über lange Zeit bewährte Systeme wie etwa Kanalnetze aufgrund der Auswirkungen des Klimawandels oder zunehmender Urbanisierung neu dimensioniert oder definiert werden. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen? Gerade in der alten Welt, mit dem im Kernbereich der Städte über Jahrhunderte gewachsenen Baubestand bzw. mit der faktischen Baubestandsstruktur gibt es über die ohnehin schon komplexen Anpassungsstrategien infolge von Megatrends wie Klimawandel, Migration und Änderung der Verhaltensweisen hinaus Anforderungen, denen schwer umfassend und allseits zufriedenstellend nachzukommen ist. Gerade wenn Sie unsere Entwässerungssysteme ansprechen, sind diese in den Zentren unserer Städte manchmal an die hundert Jahre alt. Es wird eine große Aufgabe sein, technische Notwendigkeit und Belastung Betroffener im Lot zu halten. Wie kann dieser gewachsene Bestand bewertet und in die strategische Planung für kommende Jahrzehnte integriert werden? Die Akzeptanz der notwendigen Maßnahmen - und dazu gehört auch der Aspekt der Finanzierung - nimmt zu, wenn der Eindruck glaubhaft vermittelt werden kann, dass umfassend und verantwortungsbewusst gehandelt wird. Dies zu belegen gelingt, wenn belastbares Datenmaterial des Ist-Zustandes als Basis aller möglichen Entwicklungsstränge vorhanden ist. Wichtig ist, dass diese Informationen aktuell sind, da sich nur dann ein realistisches Bild in der Planungswelt spiegelt. Mit welchen Mitteln lässt sich die Anfälligkeit von Ver- und Entsorgungsnetzen gegenüber Naturereignissen oder technischen Ausfällen verringern? Ein spannendes Thema, welches in der Fachwelt unterschiedlich diskutiert wird. Wenn man einmal absieht von grundlegenden Dingen, wie zum Beispiel der Beseitigung irgendwelcher Engstellen im Netz, scheint mir sicher zu sein, dass es kein allseits anwendbares Patentrezept gibt. Naturereignisse sind und bleiben Naturereignisse, wir werden verstehen müssen, dass wir uns nicht sinnvoll vor jedem denkbaren Szenario schützen können. Es kann immer nur darum gehen, einen gewissen Status zu erreichen, den Zustand von heute zu verbessern. Diese zum Teil durchaus individuellen Maßnahmen hängen stark von der örtlichen Situation ab. Wird die fortschreitende Digitalisierung neue Impulse in Bezug auf das Planen und Bauen von Netzen bringen? Damit rechne ich sicher. Ein Beispiel: Im Kontext einer sich immer schneller drehenden Welt, kürzeren Bauzeiten bei komplexer werdenden Bauaufgaben arbeiten bereits seit langem Planer verschiedener Gewerke in unterschiedlichen Planungstiefen gleichzeitig an Projekten. Dies gilt insbesondere für den Hochbau. Ich rechne fest damit, dass diese fehleranfällige Struktur durch die fortschreitende Digitalisierung verbessert werden kann. Werden Software-Strategien wie das Building Information Modeling (BIM) stärker in den Vordergrund rücken? Genau an diese Werkzeuge habe ich eben gedacht. Und ja, ich rechne fest damit: Große Auftraggeber wie die Deutsche Bahn sind auf dem Weg, diese Methoden zu installieren. Eine Vorreiterrolle spielt dabei das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur in seiner Zuständigkeit für Verkehrswege. Lassen sich bestimmte Entwicklungen aus dem Themenfeld Industrie 4.0 adaptieren? Ganz sicher, BIM-Systeme sind das Themenfeld „Industrie 4.0“ für Bauprozesse. Rohrleitungen in digitalen Arbeitswelten Wir leben in einer zunehmend vernetzten digitalen Welt. Frage ist, welche Auswirkungen der digitale Wandel auf Land und Gesellschaft in Zukunft haben wird - oder wie sich die neuen Technologien volkswirtschaftlich vorteilhaft und auch sozial verträglich einsetzen lassen. Die Digitale Agenda der Bundesregierung zur Zukunftsfähigkeit Deutschlands nennt an erster Stelle digitale Infrastrukturen, deren Auf- und Ausbau eigentliche Grundlage für die weitere Entwicklung ist. Gleichzeitig soll eine IKT-gestützte, effizientere Nutzung bestehender Infrastrukturen Kosten dämpfen. Wie komplex ist die Anpassung der Infrastruktur gewachsener Städte zu Leitungen und Netzen sogenannter Smart Cities wirklich? Antworten von Prof. Dipl.-Ing. Thomas Wegener, Vorstandsmitglied des Instituts für Rohrleitungsbau an der Fachhochschule Oldenburg e.V., Geschäftsführer der iro GmbH Oldenburg und Vizepräsident Forschung, Transfer, Gleichstellung und Weiterbildung der Jade Hochschule am Studienort Oldenburg. 5 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Kann man davon ausgehen, dass Asset-Management- Lösungen nach den recht neuen Standards der ISO 55000-Serie auch für ziemlich alte, oft kaum dokumentierte Infrastrukturen wie etwa Kanalsysteme reale Vorteile bringen? Offen gesagt: ich weiß es nicht. Aber wenn das Problem in nicht vorhandenen Daten liegt, so kommen wir ohnehin nicht darum herum, diese fehlenden Daten in hinreichendem Maße zu beschaffen. Wir brauchen für alle Planungsprozesse - und das wird sich nicht ändern - Informationen über den Ist-Zustand. Allein die Tatsache, dass etwas schon recht alt ist, ist kein Grund anzunehmen, dass die Gebrauchstauglichkeit nicht mehr gegeben ist. Eine praktisch vollständige Vernetzung der Systeme untereinander und mit den Netzbetreibern bedeutet, dass der Druck zur schnellen Digitalisierung in den nächsten Jahren wächst? Es ist schon so, dass hier ein Zug ins Rollen gekommen ist. Und keiner möchte als letzter auf dem Bahnsteig zurückbleiben. Dennoch mahne ich auch zum sorgfältigen Vorgehen. Gute Ideen brauchen in der Umsetzung Zeit, und es wird noch eine Reihe von Erkenntnissen geben, die sich aus den bislang erst von wenigen beschrittenen Wegen ergeben. Nicht alle müssen die gleichen Fehler machen, daher ist eine kontrollierte Entwicklung angemessen. Je mehr infrastrukturelle Planungs-, Steuerungs- und Überwachungsdaten verfügbar werden, desto größere Datenmengen sind zu erwarten. Sind denn heutige Betriebsführungssysteme überhaupt auf die Herausforderungen von „Big Data“ ausgelegt? Die Erfahrung zeigt, dass Betriebsführungssysteme wie alle programmgestützten Tools eine gewisse „Lebensdauer“ haben. Sicher kann man nachrüsten, nachbessern, aber irgendwann werden neue Ansätze notwendig. Nichts hält ewig, kein Rohrnetz, aber auch kein Betriebsführungssystem. Der Zugriff auf Daten erfolgt immer häufiger über Internet und Cloud, umso bedeutsamer wird - vor allem bei kritischen Infrastrukturen in den Bereichen Versorgung und Kommunikation - die Frage nach der Datensicherheit. Lässt sich diese Sicherheit überhaupt gewährleisten? Vor Aktivitäten krimineller Einheiten, letztlich gar vor Eingriffen feindlich gesonnener Staaten, vielleicht als Mittel neuer Kriegsführungsstrategien ist man niemals absolut sicher. Jeder Schutzschirm kann am Ende auch irgendwie überwunden werden. Seitens des Gesetzgebers ist dies erkannt worden, ich erinnere an das Gesetz zur Stärkung der Sicherheit in der Informationstechnik des Bundes und darauf aufbauende Verordnungen, zum Beispiel zur Identifizierung kritischer (soll heißen: für das Funktionieren einer Gesellschaft elementar wichtigen) Infrastrukturen. Dabei denke ich manchmal, dass es schön wäre, wenn man im Krisenfall noch in den Modus „Handbetrieb“ umschalten könnte. Das allerdings ist Illusion, fürchte ich. Welche rechtlichen Aspekte treten in diesem Zusammenhang in den Vordergrund? Die Themenwelt um die IT-Sicherheit ist ein komplexes Terrain, in dem ich wirklich nur Laie bin. Aber auch deshalb, um uns Ingenieure und Techniker zumindest für die Probleme zu sensibilisieren, habe ich diesen Themenkomplex in das nächste „31. Oldenburger Rohrleitungsforum“, welches im Februar 2017 stattfinden wird, mehrfach aufgenommen. Hier kommen Experten zu Wort. Wie könnten also die Empfehlungen an Politik, Planer und Betreiber für die kommenden fünf Jahre lauten? Die besprochenen Umbrüche werden kommen, und es bedarf der Menschen, die mit diesen Dingen umzugehen verstehen. Die Jade Hochschule in Oldenburg wird bereits jetzt in zunehmendem Maße das Thema BIM in die Ausbildung der zukünftigen Ingenieure und Ingenieurinnen implementieren. Dazu braucht die Fachhochschule die Unterstützung in Form von Bereitstellung der notwendigen Kapazitäten durch die Politik und - das ist die gute Nachricht - sie bekommt sie auch. Planer und Betreiber sollten bereits jetzt die Angebote nutzen, die sich am Markt entwickeln. Es gilt hier, Eigeninitiative zu entwickeln und den Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben zum Beispiel die BIM-Schulungsangebote der Jade Hochschule und der BIM-Baumeisterakademie in Oldenburg zu nutzen. Lebenslanges Lernen muss gelebt werden. Prof. Dipl.-Ing. Thomas Wegener im Interview. © iro 6 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FORUM Veranstaltungen Das Tagungsprogramm umfasst 30 Themenblöcke bei denen sich nicht alles, aber vieles um das Tagungsmotto „Rohrleitungen in digitalen Arbeitswelten“ drehen wird. Was bedeutet die Digitalisierung der Arbeitswelt für unsere Rohrleitungsnetze? Was können die zunehmend sicher anwendbaren Systemlösungen zum Beispiel für den optimierten Betrieb von Netzen beitragen? Was erwarten wir für die Zukunft? So lauten einige der Fragen, die in Oldenburg diskutiert werden sollen. Inhaltlich führt das Forum damit konsequent den roten Faden der letzten Veranstaltungen fort und erfüllt den Anspruch, nicht nur den Finger am Puls der Zeit zu haben, sondern durchaus ein wenig voraus zu schauen und damit Impulse für die ganze Branche zu geben. Daneben gehen die bewährten Klassiker an den Start, die immer Eingang in die Programmvielfalt des Oldenburger Rohrleitungsforums finden. Freuen können sich die Besucher selbstverständlich auch wieder auf die „Diskussion im Café“ und den „Ollnburger Gröönkohlabend“ in der Weser-Ems- Halle, der den ersten Ausstellungstag beschließt. Digitalisierung als Zukunftsstrategie Unterteilt in fünf thematische Handlungsstränge, bietet das Forum eine inhaltliche Vielfalt, mit der sich die Gäste aus dem Wasser- und Abwasserbereich ebenso identifizieren können wie die aus dem Gas- und Ölsegment. Wie gewohnt gibt es Neuigkeiten von den Herstellern der unterschiedlichsten Rohrleitungsmaterialien, aus dem Bereich der grabenlosen Verlegetechniken, der Schweißtechnik, der Fernwärme oder von den Verbänden. Daneben stehen die Vortragsblöcke, die das Motto der Veranstaltung bedienen - hier dreht sich (fast) alles um die Digitalisierung unserer Gesellschaft. „Dieses Thema wurde von der Bundesregierung zum wichtigen Baustein der Zukunftsstrategien zur Sicherung des Wohlstandes gemacht“, erklärt Thomas Wegener in einer Ankündigung zur Veranstaltung. Alles digital, oder was? 31. Oldenburger Rohrleitungsforum Zur 31. Auflage der norddeutschen Kultveranstaltung rund um das Thema Rohrleitungen werden am 9. und 10. Februar 2017 wieder zahlreiche Gäste erwartet. Mehr als 3 000 Besucher aus dem In- und Ausland, rund 350 Aussteller und etwa 130 Referenten und Moderatoren sind in den letzten Jahren im Schnitt in die Jade Hochschule in die Ofener Straße an den Studienort Oldenburg gekommen - und das mit hohen Erwartungen. Dafür, dass diese sicher erfüllt werden, sorgt ein schlagkräftiges, engagiertes Team aus Mitarbeitern und studentischen Hilfskräften unter Führung von Prof. Thomas Wegener, Vorstandsmitglied des Instituts für Rohrleitungsbau an der Fachhochschule Oldenburg e.V., Geschäftsführer der iro GmbH Oldenburg und Vizepräsident der Jade Hochschule. Bild 2: Teilnehmer des Forums beim Check-in am Tagungsbüro. © iro Bild 1: „Rohrleitungen in digitalen Arbeitswelten“ lautet das Motto des 31. Oldenburger Rohrleitungsforums, das am 9. und 10. Februar 2017 auf dem Gelände und in den Räumen der Jade Hochschule stattfinden wird. © iro 7 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FORUM Veranstaltungen es der Sammlung von enormen Datenmengen. Wie das gehen kann, wie man sie einsetzen kann, aber auch welche Gefahren mit dem Umgang auf uns zukommen könnten - für diese Diskussionen möchte das Oldenburger Rohrleitungsforum den fachlichen Rahmen bieten. Roter Faden Digitalisierung Eine digitale Einstimmung gibt es bereits am Eröffnungsabend im Sitzungssaal des ehemaligen Landtags: „Wie Digitalisierung die Welt verändert - Erfahrungen, Perspektiven, Grenzen“ lautet der Titel einer der Festreden. Der digitale Faden wird auf der Veranstaltung in Vortragsreihe I thematisch aufgegriffen. Wie beeinflusst die digitale Entwicklung unsere tägliche Arbeit, etwa beim Asset-Management in der Wasser- und Abwasserwirtschaft, bei der kommunalen Überflutungsvorsorge, bei der Vernetzung von Entscheidern und Systemen in der Wasserwirtschaft oder bei der Digitalisierung der Rohrleitungen gehen online In Bezug auf den Bau und Betrieb von Rohrleitungen und Anlagen ist schon heute die umfassende Zustandsbewertung von Anlagen, Leitungen und Vermögenswerten auf der Basis belastbarer Daten Grundlage für die Entwicklung von Sanierungsstrategien und effektiven Investitionsmanagementsystemen. Dass jetzt entsprechende Daten von der Planung über den Bau einer Anlage, einer Leitung, weiter zum Betrieb, zum Umbau bis zum Abriss verfügbar und somit nutzbar werden, mögen die neuen Ansätze des Building Information Modelings (BIM) ermöglichen. BIM beschreibt eine Methode der optimierten Planung, Ausführung und Bewirtschaftung von Gebäuden mithilfe von Software, bei der alle relevanten Gebäudedaten schon in der Planung digital erfasst, kombiniert und vernetzt werden; es zählt zu den aktuellen Trendthemen in der Bauwirtschaft. Gleiches gilt für den Begriff Industrie 4.0, eine Bezeichnung für ein Projekt in der Hightech-Strategie der Bundesregierung. Auch hier geht es um die Verzahnung der industriellen Produktion mit modernster Informations- und Kommunikationstechnik. Alles wird vernetzt Technische Grundlage hierfür sind intelligente, digital vernetzte Systeme, mit deren Hilfe eine weitestgehend selbstorganisierte Produktion möglich wird: Menschen, Maschinen, Anlagen, Logistik und Produkte kommunizieren und kooperieren in der Industrie 4.0 direkt miteinander. Durch die Vernetzung soll es möglich werden, nicht mehr nur einen Produktionsschritt, sondern eine ganze Wertschöpfungskette zu optimieren. Die Kette kann zudem alle Phasen des Lebenszyklus des Produktes einschließen - von der Idee eines Produkts über die Entwicklung, Fertigung, Nutzung und Wartung bis hin zum Recycling. Die Ziele sind beim Hersteller eine Steigerung der Effizienz und Erhöhung der Flexibilität, beim Kunden eine Verbesserung des Nutzens sowie volkswirtschaftlich eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie in Deutschland (Quelle: Plattform Industrie 4.0, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie). Rohrleitungen 4.0 „Wir reden seit einigen Jahren über Industrie 4.0 und BIM, folgerichtig wollten wir in der Tiefbaubranche das Thema Rohrleitungen 4.0 weiter vorantreiben“, erinnert sich Wegener an die Diskussionen und Überlegungen bei der Findung des Mottos der kommenden Veranstaltung. Die Leitungsnetze stehen und werden betrieben. Um diese Prozesse zu optimieren und für die Zukunft fit zu machen, bedarf Bild 3: Intelligente Molche der neuesten Generation erzeugen enorme Datenmengen pro Lauf, die nur mithilfe komplexer Algorithmen aufbereitet und genutzt werden können. © Rosen Group Bild 4: Online-Leckageüberwachung eines Trinkwassernetzes aus der Ferne am Beispiel der Stadt Lyon. © Gutermann Technology GmbH. 8 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FORUM Veranstaltungen Instandhaltung und Betriebsführung? Die zweite Vortragsreihe widmet sich wie gewohnt den klassischen Rohrwerkstoffen. Moderne Lösungen aus Beton, Stahl, Guss, Steinzeug oder Kunststoff zählen hier zu den bewährten Bausteinen. Ergänzend wurde ein Vortragsblock zum Thema „Erdverlegte Stromleitungen im Höchstspannungsbereich“ aufgenommen. Die Referate haben mit dem Rohr an sich keine Berührungspunkte, stehen aber als Beispiele für aktuelle Entwicklungen im Markt und dürften die bauausführende Klientel des Forums, die Bauwirtschaft, interessieren. Mehrwert möglich Ob sich aus der Digitalisierung der Arbeitswelt ein Mehrwert ergibt, dieser Frage geht die dritte Vortragsreihe nach. Die Beiträge beschäftigen sich mit digitalen Rohrleitungsdokumentationen, dem Datenmanagement bei Planung und Betrieb von Hochdruckleitungen oder der Optimierung von Gasverteilnetzen. Hinzu kommen allgemeine Praxisbeispiele aus den Bereichen Leckagen und US- Molchungen sowie der Kanalsanierung. Spezialisten dürften sich im Vortragsblock „Korrosionsschutz im Zusammenhang mit IT-Systemen“ gut aufgehoben fühlen. Vortragsreihe vier widmet sich traditionell den grabenlosen Verlegetechniken - auch hier steht der Bezug zur Praxis im Vordergrund. Aktuelle Entwicklungen werden ebenso vorgestellt wie spektakuläre Projekte. Die Referenten loten die Grenzen der Technik aus. Darüber hinaus kommen die Verbände zu Wort: In den Vorträgen der German Society for Trenchless Technology e. V. (GSTT) stehen aktuelle Informationen pro NO DIG im Fokus, während der Rohrleitungsbauverband e. V. (rbv) den Themenbereich „Erdverlegte Kabeltrassen“ aufgreift. Dass moderner Rohrvortrieb auch besonderen Anforderungen genügt, zeigen die Referate über Referenzprojekte in Kopenhagen, Frankfurt und an der Emscher, mit denen die Vortragsreihe 5 beginnt. Es folgen Ausführungen über „Rechtsfragen aus dem Bereich der unterirdischen Infrastruktur“ und ein Vortragsblock zum Thema „Building Information Modeling (BIM) oder die Zukunft des Planens, Bauens, Betreibens“. Referate aus den Bereichen Fernwärme und Schweißtechnik runden den Vortragsblock ab. Das Tagungsprogramm macht deutlich, welche thematische und inhaltliche Dichte das Vortragsangebot des kommenden Forums haben wird. Aussteller und Besucher erwartet ein 31. Oldenburger Rohrleitungsforum, dessen begleitende Fachausstellung gespickt sein wird mit Innovationen aus der Branche, und dessen Vorträge in den verschiedenen Themenblöcken den Grundstein für eine interessante und ausführliche fachliche Diskussion aller Beteiligten schaffen werden. „Wir wollen dazu beitragen, Visionen zu schaffen“, erklärt Wegener. „Das ist schon immer ein wichtiger Ansatz der Veranstaltung gewesen. Allerdings wollen wir auch dazu beitragen, dass Ideen zu Konzepten führen und diese auch zu Ende gedacht werden, um letztendlich in der Praxis anzukommen.“ Institut für Rohrleitungsbau Oldenburg (iro) Ina Kleist Ofener Straße 18 26121 Oldenburg kleist@iro-online.de www.iro-online.de Bild 5: Neben den digitalen Welten geht es auf dem Oldenburger Rohrleitungsforum auch wieder um die Kernthemen des Rohrleitungsbaus, wie z.B. die Sanierung von Leitungen. © Swietelsky- Faber GmbH Kanalsanierung Bild 6: Grabenlose Bauweisen - ein Dauerbrenner in Oldenburg; Pressgrube mit Steinzeugrohr. © Steinzeug Keramo Anzeige 10 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Integriertes Regenwassermanagement in Städten und Kommunen Ausgelöst durch Starkregenereignisse, die sie selbst oder andere betroffen haben, diskutieren, planen und etablieren immer mehr Städte und Kommunen ein angepasstes, integriertes Regenwassermanagement. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf Starkregenereignissen, die jenseits der Bemessungsgrenze der Kanalisation liegen. Dieser naheliegende Ansatz bringt für die Städte und Kommunen jedoch Fragestellungen und Probleme mit sich: Es gelten hier keine „Allgemein anerkannten Regeln der Technik (AaRT)“, an denen sich das Verwaltungshandeln orientieren kann. Bei Planungen im innerstädti- Dauerregen und Sturzfluten: Neue Chancen für die Stadt- und Ortsentwicklung? Integrale Ansätze berücksichtigen den Klimawandel in der Raum-, Stadt- und Ortsplanung. Klimaanpassung, wassersensible Stadt- und Ortsentwicklung, Kommunale Gemeinschaftsaufgabe, Starkregen und urbane Sturzfluten Dortmund 2008, Kopenhagen 2011, Münster 2014, jüngst Braunsbach und Simbach - nur einige Beispiele aus einer Vielzahl von Überflutungen, die durch lokale Starkregen ausgelöst wurden. Sie gefährdeten Menschenleben und verursachten Schäden bis in den zweistelligen Millionenbereich. Solche Ereignisse lenken die Diskussion über die Ausweitungen und Folgen des Klimawandels auf das Thema „Starkregen und Überflutungsvorsorge“. Die „Wassersensible Stadtentwicklung“ ermöglicht als integrales Konzept in Kombination mit Maßnahmen der Stadtplanung einen nachhaltigen Umgang mit zu viel (innovative Überflutungsvorsorge) und zu wenig Regenwasser (Trockenheit und Hitze). Bildgruppe 1: Mustergültig: Diese Straßenraumgestaltungen bieten bei Starkregen verbesserte Möglichkeiten für den Wasserabfluss. (Quelle: DWA Themenheft T1/ 2013: „Starkregen und urbane Sturzfluten - Praxisleitfaden zur Überflutungsvorsorge“ [1]) Bildgruppe 2: Nutzung des Straßenraums als temporärer Retentionsraum. (Quelle: DWA Themenheft T1/ 2013: „Starkregen und urbane Sturzfluten - Praxisleitfaden zur Überflutungsvorsorge“ [1]) 11 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt schen Bereich, die über die klassische Siedlungsentwässerung hinausgehen, begibt man sich schnell in rechtlich nicht abgegrenzte Zonen. Inzwischen gibt es Projekte zur Anpassung an den Klimawandel, die sich dem Thema annehmen. Diese werden im Rahmen der „Anpassungsstrategie des Bundes“ an den Klimawandel gefördert (siehe [2, 3]). Die Ergebnisse zeigen Methodik und Herangehensweisen, aber auch Hindernisse und Schwierigkeiten in der kommunalen Umsetzung auf. Parallel dazu wird das Regelwerk für die Kanalberechnung um Betrachtungen für Abflüsse ergänzt, die über die bisherige Bemessung der Kanalisation hinausgehen (siehe [4]). Auch die für kleine Ortschaften und Kommunen wichtigen, oft landwirtschaftlich genutzten Außengebiete rücken hier stärker in den Fokus (siehe [5]). Handlungsoptionen für Städte und Kommunen bei der Hochwasserprävention Was können Städte und Kommunen konkret tun, wenn sie sich im Rahmen der Entwässerungsplanung mit dem Thema „Starkregenvorsorge“ befassen möchten? 1. Alle müssen an einen Tisch. Starkregenvorsorge ist kein ausschließliches Thema der Wasserwirtschaft, der Stadtentwässerung oder des Bauamts. Alle Planungsbereiche von Stadt- und Bauleitplanung über Verkehrs-, Straßen- und Entwässerungsplanung bis hin zur Grün- und Freiraumplanung sind neben der Stadtentwässerung relevante Beteiligte. Nicht zu vergessen: die Feuerwehr und der Katastrophenschutz. Wenn in ländlichen Bereichen Außengebiete eine Rolle spielen, sind Vertreter der Forst- und Landwirtschaft einzubinden. 2. Benennung eines verantwortlichen Ansprechpartners für alle Beteiligten (beispielsweise der Hochwasservorsorgebeauftragte). 3. Einbindung der übergeordneten Behörden (Wasserwirtschaft etc.). 4. Frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit und der betroffenen Bürger: Bedürfnisse und Erwartungen, aber auch Möglichkeiten und Grenzen (technisch, finanziell und rechtlich) werden vorhabenbegleitend diskutiert und erhöhen die Akzeptanz der Planung. 5. Analyse des Einzugsgebiets der Kommune: Liegt ein Generalentwässerungsplan vor, lässt sich dieser als Grundlage verwenden und um Betrachtungen zu Starkregenereignissen erweitern. Im Gegensatz zu den Überschwemmungsgefahren aus Oberflächengewässern liegen für Starkregenereignisse keine flächendeckenden hydrologischen oder hydraulischen Berechnungen vor. Hier sind eigene Überlegungen notwendig, die im ersten Ansatz sehr einfach sein können. Die Möglichkeiten sind im Themenheft Nummer 1/ 2013 der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) und des Bundes der Ingenieure für Wasserwirtschaft, Abfallwirtschaft und Kulturbau (BWK) „Starkregen und urbane Sturzfluten - Praxisleitfaden zur Überflutungsvorsorge“ (siehe [1]) erläutert. Damit lassen sich die Fließwege des Wassers auf der Oberfläche ermitteln (Gefährdungszonen). Ebenso können die Wassermengen abgeschätzt werden, die gegebenenfalls zurückgehalten werden müssen. 6. Abgleich der Ergebnisse aus Schritt fünf mit dem Machbaren. Daraus ergeben sich: Notabflussabwege; Rückhalteflächen (auch dezentraler Rückhalt in der Fläche); Bild 4: Beispiel für Rückhalt in Außengebieten (Kleinste Stauanlage) entsprechend DWA Merkblatt-M 550: „Dezentrale Maßnahmen zur Hochwasserminderung“ [5]. (© A. Assmann) Bild 3: Beispiel für multifunktionale Flächennutzung. (Quelle: DWA Themenheft T1/ 2013: „Starkregen und urbane Sturzfluten - Praxisleitfaden zur Überflutungsvorsorge“ [1]) 12 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Besonders gefährdete Bereiche (Unterführungen, Tiefgaragen etc.) mit Gefahr für Leib und Leben bei Starkniederschlägen. Das Gesamtkonzept sollte darauf abzielen, möglichst viel Wasser durch Rückhalt und gezielte Ableitung schadlos zu beherrschen. Das darüber hinaus gehende Maß ist mit möglichst geringer Schadwirkung abzuführen (Erste Priorität: Menschenleben). Elementarschadensversicherungen tragen hier dazu bei, mögliche wirtschaftliche Verluste zu minimieren. Das kommunale Vorsorgekonzept ist auch in Jahren ohne Starkregenereignisse regelmäßig zu überprüfen. Aktuelle Hinweise und Praxis-Tipps zu gesetzlichen Regelungen und Innovationen mit dem Schwerpunkt Kanalsanierung bietet die neue Ohm Professional School der Technischen Hochschule Nürnberg (Vorgänger-Institution: Verbund Ingenieur Qualifizierung gGmbH) auf ihrem Nürnberger Kolloquium zur Kanalsanierung an. Die Tagung richtet sich an Entscheidungsträger aus Kommunen, Städten, Gemeinden und Industrie sowie an Bauingenieure und Techniker aus Tiefbau- und Wasserwirtschaftsämtern, Stadtentwässerungsbetrieben, Umweltbehörden und -verbänden und bietet Gelegenheit zum Wissensaustausch und zum Vernetzen. Das Nürnberger Kolloquium 2016 fand im September mit dem Schwerpunkt „Aktuelle Regelwerke, Methoden und Techniken in der Kanalsanierung“ statt. LITERATUR [1] DWA/ BWK (Hrsg.): Starkregen und urbane Sturzfluten - Praxisleitfaden zur Überflutungsvorsorge, Themenheft T 1/ 2013, Hennef, August 2013. [2] DWA (Hrsg.): Tagungsunterlagen der 1. DWA Klimatage vom 29.9.2015 in Essen, Hennef, DWA 2015. [3] Kruse, E.: Klimaanpassung durch Integriertes Regenwassermanagement, KW 9/ 2015, S. 39-47. [4] DWA (Hrsg.): Risikomanagement in der kommunalen Überflutungsvorsorge - Analyse von Überflutungsgefährdungen und Schadenspotenzialen zur Bewertung von Überflutungsrisiken, Merkblatt M 119, Gelbdruck, Hennef, Juni 2015. [5] DWA (Hrsg.): Dezentrale Maßnahmen zur Hochwasserminderung, Merkblatt DWA-M 550, Hennef, November 2015. AUTOR Dr. Klaus Piroth Geschäftsbereichsleiter Wasser Obmann DWA-Fachausschuss HW4 „Hochwasserrisikomanagement“ CDM Smith Consult GmbH Nürnberg Kontakt: klaus.piroth@cdmsmith.com Ein Jahr lang Transforming Cities zum halben Preis lesen, als Printausgabe oder ePaper, anschließend zum Normalpreis. www.transforming-cities.de/ starterabo/ TranCit StarterAbo Aller Anfang ist leicht. 13 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Die Initiative Stadt: Denken legt nun in der Folge einer großen Kommunalbefragung neue Ergebnisse vor. Sie erweitern den bisherigen Fokus um zwei Aspekte: Zum einen blickt die Initiative nicht nur auf Städte, sondern auch auf kleine und mittlere Gemeinden. In ihnen lebt nach wie vor ein Großteil der Menschen in Deutschland. Zum anderen geht es der Initiative um die Sicht der Kommunalverwaltungen. Daher hat der VDI zusammen mit der Universität Hohenheim sämtliche 11 084 Gemeinden in Deutschland befragt. 10,2 % der (Ober-)Bürgermeister haben den Online-Fragebogen beantwortet. Sie repräsentieren alle Gemeindegrößen. Nach Auffassung der Befragten sind im Jahr 2030 fünf Themenbereiche deutlich wichtiger als derzeit. 68,3- % der Befragten prognostizieren, dass der Ausbau intelligenter Energienetze und Energiespeicher wichtiger sein wird als derzeit. Es folgt das Mobilitätsmanagement inklusive alternativer Mobilitätskonzepte. Die Anpassungen an Klimafolgen und an Wetter-Extremereignisse belegen Platz 3 und 4. Der Ausbau des ÖPNV folgt auf Platz 5. Damit unterscheiden sich die künftigen Aufgaben teilweise deutlich von den aktuell verfolgten Themen der Kommunen. Aktuell belegen die Sanierung des öffentlichen Gebäudebestandes und der Neubau Platz 1 der kommunalen Agenda. 78,1- % der Befragten geben an, dass diese Aufgabe für ihre Kommune derzeit wichtig oder sehr wichtig ist. Auf Platz 2 folgt die Steigerung der Energieeffizienz von Gebäuden. Und auf Platz 3 der aktuellen Themen- Rangliste befinden sich die Themen Wasser und Abwasser. Die konkrete Ausgestaltung der aktuellen und der künftigen Aufgaben variiert je nach Gemeindegröße, Problemdruck und Ressourcen. Alles in allem ist die Diskussions-Reife in den Handlungsfeldern „Energie“ und „Mobilität“ am größten. Einfach umsetzbare Lösungen werden realisiert - etwa im Bereich der erneuerbaren Energien. Hinsichtlich des Ausbaus und der Sanierung der Energie- und der Verkehrsinfrastruktur fordern die Kommunen allerdings Unterstützung. Darüber hinaus seien komplexe Systemansätze erforderlich. Vor allem die kleinen Gemeinden sind hier auf regionale Zusammenarbeit angewiesen. Ein großer Handlungsdruck wird im Bereich „Lokales Klima“ gesehen. Neben den Anpassungen an Klimafolgen werden hier vor allem die Reduzierung der Wärmebelastung in Städten sowie die Lufthygiene genannt, insbesondere die Reduzierung von Stickoxiden, Feinstaub und Ozon. Während technische Lösungen zur Anpassung an den Wandel angegangen werden, ist ein strategisches Vorgehen derzeit nur bei einigen Städten erkennbar. Als relevant nehmen die Kommunen schließlich das Handlungsfeld „Ressourceneffizienz“ wahr, die gesamte Bandbreite dieses Handlungsfeldes wird jedoch noch nicht durchdrungen. Es bestehe erheblicher Beratungsbedarf. Auch seien umfassende Förderprogramme nötig. Für den Vorsitzenden der VDI-Initiative Stadt: Denken, Prof. Dr.-Ing. Ralf Holzhauer, ergeben sich daraus zahlreiche Aufgaben für Staat, Unternehmen und Ingenieure. Detaillierte Ergebnisse der Studie können unter folgendem Link heruntergeladen werden: www.vdi.de/ stadtdenken Große Kommunalbefragung des VDI zu Städten und Gemeinden im Jahr 2030 Welche Anforderungen sind an die Stadt der Zukunft zu stellen? Und welchen Beitrag können Ingenieure für das Zusammenleben im Jahr 2030 leisten? Antworten auf diese Fragen hat die VDI-Initiative Stadt: Denken schon vor einem Jahr vorgelegt. Erarbeitet wurden sie unter anderem von zahlreichen VDI-Gesellschaften sowie von externen Experten. Sie haben gemeinsam folgende Handlungsfelder identifiziert: Mobilität, Energie, urbane Produktion und Logistik, Kreislaufwirtschaft, Ressourceneffizienz, Stadtklima, Gebäude der Zukunft, Demografie und Beteiligung. 14 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Zur Entwässerung der Straßen wollte die WAB Wasser Abwasser Betriebsgesellschaft Coswig mbH im Rahmen des Bauvorhabens zunächst einen neuen Regenwasserkanal anlegen und den nahegelegenen Lockwitzbach als Vorfluter nutzen. Nach sorgfältiger Abwägung aller Vor- und Nachteile sowie Beauftragung eines Bodengutachtens riet die mit der Planung, Ausschreibung, Bauüberwachung und Betreuung der Baumaßnahme beauftragte Dresdener ACI-Aquaproject Consult Ingenieurgesellschaft mbH jedoch dazu, das auf den Verkehrsflächen anfallende Regenwasser vor Ort zu versickern. Das mit der Umsetzung der Arbeiten betraute Unternehmen Eurovia Verkehrsbau Union GmbH, Niederlassung Dresden, baute in der Niederauer-, der Nord- und der Siedlerstraße die von der Funke Kunststoffe GmbH entwickelte D-Rainclean ® -Sickermulde mit Gussabdeckung der Klasse D 400 ein. Die Sickermulde nimmt mit Schadstoffen belastetes Niederschlagswasser von Straßen, Parkplätzen, Hof- und Dachflächen auf und gibt es nach der Passage einer Substratschicht in unbedenklichem Zustand an das Grundwasser ab. Für die Erstellung der Schmutzwasser-Sammler in den drei Straßen setzten die Verkehrswegebau-Spezialisten von Eurovia ebenfalls auf ein Produkt aus Hamm, eingebaut wurden die in der Ausschreibung geforderten Rohre des HS ® - Kanalrohrsystems. Plan B: versickern statt einleiten Für die Schmutzwasser-Sammler wurden HS ® -Kanalrohre verwendet: in der Siedlerstraße auf 53 m Länge Rohre der Nennweite DN/ OD 200, in der Niederauerstraße und der Nordstraße auf 135 bzw. 165 m Länge Rohre DN/ OD 250. Die Leitungen für die Trinkwasserversorgung wurden ebenfalls erneuert, ebenso der Straßenbelag, der Gehweg und die Beleuchtung. Zudem wurden im Rahmen der Verlegung des Schmutzwassersammlers sämtliche Grundstücke an den öffentlichen Bereich angeschlossen. Zu diesem Zweck wurden bei der Regenwasser versickern statt ableiten D-Rainclean ® -System für drei Straßenzüge in Coswig Im Rahmen des grundhaften Ausbaus dreier Straßenzüge in der nordwestlich von Dresden gelegenen Großen Kreisstadt Coswig galt es eine Lösung für die Entwässerung zu finden. Verlegung der Sammler entsprechende Hausanschlussleitungen aus braunen HS ® -Kanalrohren DN/ OD 160 bis 1 m auf die Grundstücke verlegt, außerdem wurde ein Übergabeschacht gesetzt. Mit Blick auf die Entwässerung warf der grundhafte Ausbau der drei Straßen im Norden von Coswig allerdings eine Reihe von Fragen auf. Auf den Grundstücken anfallendes Regenwasser sollte vor Ort versickert werden - was mit dem auf Verkehrsflächen anfallenden Regenwasser geschehen sollte, musste jedoch noch geklärt werden. Zunächst zog die WAB Wasser Abwasser Betriebsgesellschaft Coswig mbH den Bau eines neuen Regenwassersammlers in Betracht. Dieser hätte an einen vorhandenen Regenwasserkanal angebunden werden müssen, der wiederum in den als Vorfluter genutzten nahegelegenen Lockwitzbach einleitet. Planer Dipl.-Ing. Hagen Müller von der ACI-Aquaproject Consult Ingenieurgesellschaft zählt Gründe auf, aus denen man die ursprünglichen Überlegungen wieder verworfen habe: „Der vorhandene Regenwasserkanal war hydraulisch schon sehr ausgelastet; zusätzlich zum angedachten Regenwasserkanal hätten noch weitere Rückhaltemaßnahmen vorgenommen werden müssen.“ Auch der Lockwitzbach sei mit Blick auf die Aufnahmekapazität bereits an seine Grenze gelangt, hinsichtlich der Genehmigung sei das ursprünglich ins Auge gefasste Vorhaben daher schwierig gewesen. Andere Randbedingungen waren günstiger: Der zum großen Teil aus Heidesand bestehende Boden vor Ort schien sich zur Versickerung anzubieten - eine Annahme, die das vom Ingenieurbüro ACI in Auftrag gegebene Baugrundgutachten bestätigte. Angesichts des ermit- Bild 1: Die Sickermulde nimmt mit Schadstoffen belastetes Niederschlagswasser von Straßen, Parkplätzen, Hof- und Dachflächen auf und gibt es nach der Passage einer Substratschicht in unbedenklichem Zustand an das Grundwasser ab. © Funke Kunststoffe GmbH 15 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur telten Durchlässigkeitsbeiwertes von 3x10-4 brachte Funke-Fachberater Uwe Schmidt als denkbare Lösung die D-Rainclean ® - Sickermulde ins Spiel. „Das mit einem speziellen Substrat gefüllte System, das sowohl in einer offenen als auch einer geschlossenen Variante mit befahrbarer Gussabdeckung Klasse B 125 oder Klasse D 400 lieferbar ist, dient zur Behandlung und Versickerung von belastetem Oberflächenwasser“, so Schmidt. „Schwermetalle werden durch Adsorption, Kationentausch und Filterung gebunden, Ölrückstände werden biologisch abgebaut.“ Beratung bereits in der Planungsphase Im Markt ist die von Funke entwickelte Sickermulde bereits seit mehr als zehn Jahren im Einsatz - eine lange Zeit, in der das vom DIBt zugelassene Produkt seine Leistungsfähigkeit im Rahmen zahlreicher Baumaßnahmen bereits eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat. Die Baubeteiligten im sächsischen Coswig allerdings hatten mit dem D-Rainclean ® - System noch keine Erfahrungen gesammelt. Umso wichtiger sei die Beratung durch den Hersteller gewesen, die bereits in der Planungsphase begonnen habe, betont Planer Müller. Zunächst rechnete die technische Kundenberatung von Funke das vom Planer entwickelte Konzept und leiteten eine Empfehlung ab - Ergebnis: Für die Entwässerung von 12 m 2 Fläche würde jeweils 1 m Mulde benötigt. In der Siedlerstraße wurden die Muldenelemente auf Wunsch des Auftraggebers direkt am Bordstein verlegt, in der Niederauer- und der Nordstraße hingegen in der Straßenmitte verlegt. „In den Randbereichen lagen bereits Leitungen für verschiedenste Medien“, erläutert Müller, „und die Verlegung der vorhandenen Trassen wäre sehr aufwändig gewesen.“ Umfangreiche Beratung sowohl in der Planungsals auch in der Ausführungsphase spielt eine wichtige Rolle - ein Grundsatz, der sich auch beim Bauvorhaben in Coswig auszahlte. Der enge Kontakt, den Planer Müller, Eurovia und Funke hielten, sorgte dafür, dass offene Fragen zu Produkt und Einbau schnell beantwortet wurden und sich der Bauablauf zügig gestaltete, obwohl der Einsatz des Systems für die Beteiligten vor Ort eine Premiere darstellte. Pflegeleicht und lange haltbar Zunächst stand die Vorbereitung des Planums an. Im Anschluss wurde eine 25 cm tiefe Rigole ausgehoben und mit Sand und Kies verfüllt, als Ausgleich diente eine 3 bis 5 cm dicke Schicht aus Splitt. Auf diese Ausgleichsschicht setzte man die Sickermulden, anschließend bekamen die Elemente eine Betonrückenstütze. Hier wurde umlaufend mit verlorener Schalung gearbeitet: Den Beton baute man zweilagig ein, die Stärke zwischen Splittschicht und Unterkante der Abdeckung liegt bei etwa 20 cm. Im nächsten Schritt wurde die Gussabdeckung aufgebracht, dann umlaufend ein 3 cm tiefes Mörtelbett für die Läufersteine eingebracht. Zum Abschluss der Arbeiten wurden die Mulden mit Substrat befüllt, die Gussabdeckungen verschraubt und Schwarzdecken aufgebracht. „Die Instandhaltung des Drainagesystems gestaltet sich übrigens sehr problemlos“, so Schmidt, „wir empfehlen, offene Mulden zwei bis drei Mal im Jahr von Laub und Unkraut zu reinigen. Bei der geschlossenen Variante, wie sie in Coswig eingesetzt wurde, reicht sogar eine einmalige jährliche Reinigung.“ Noch ungleich längere Zeiträume gelten mit Blick auf das Substrat: Untersuchungen eines unabhängigen Labors prognostizieren für das Substrat eine Standzeit von bis zu 20 Jahren. Sechs Wochen nach Abschluss der Arbeiten zieht auch Planer Müller ein positives Fazit. Mit dem Ablauf wie mit dem Ergebnis der Baumaßnahme seien alle Baubeteiligten zufrieden. Das System D-Rainclean ® sei aus seiner Sicht „unbedingt zu empfehlen. Wenn die Randbedingungen stimmen, bietet die Sickermulde von Funke eine gute technische Lösung, fasst Müller seine Erfahrungen zusammen. Bild 2: In der Siedlerstraße wurde die Sickermulde auf ausdrücklichen Wunsch des Auftraggebers entlang des Bordsteins verlegt. © Funke Kunststoffe GmbH Funke Kunststoffe GmbH Siegenbeckstr. 15 Industriegebiet Uentrop Ost 59071 Hamm-Uentrop info@funkegruppe.de www.funkegruppe.de 16 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Schustermann & Borenstein, ein in München ansässiges Handelsunternehmen, hat ein neues Logistikzentrum im Osten der Stadt angemietet, um hier künftig verschiedene Firmenstandorte rund um die bayerische Hauptstadt an einem Ort zu konzentrieren. Gebaut wurde auf einer 8,6 Hektar großen unbebauten Fläche. Ein wichtiger Teil des Neubaus ist das Freigelände, auf dem täglich etwa 35 LKW Waren an- und ausliefern. Zudem werden Container mit hohen Punktlasten verwendet. Diese hohe Verkehrsfrequenz stellt besonders große Anforderungen an die Belastbarkeit des Entwässerungssystems. Ursprünglich gab es Überlegungen, das anfallende Niederschlagswasser über versickerungsfähiges Pflaster zu reinigen. Diese Variante setzte sich allerdings weder aus technischer Sicht noch hinsichtlich des erforderlichen Wartungsaufwands bei den Projektbeteiligten durch. Erneut wurden daher verschiedene Systeme auf ihre Leistungsfähigkeit bezüglich dauerhafter Belastbarkeit, sicherer Entwässerung, qualitativ hochwertiger Wasserreinigung und Kapazitäten bei der Versickerung geprüft. Linienentwässerung und Wasserreinigung in einem System Ausgewählt wurde das Entwässerungskonzept von Hauraton mit Drainfix Clean Filtersubstrat-Rinnen und Drainfix Bloc Versickerungselementen. Das komplette System konnte die Anforderungen in allen Punkten erfüllen: Rinnen und Abdeckungen sind generell belastbar bis Klasse F 900, die Reinigung des Niederschlagswassers erfolgt direkt im Rinnenstrang, während es gesammelt und abgeleitet wird. Der in den Rinnenkörpern vorhandene Retentionsraum bietet große Sicherheit bei Starkregenereignissen. Das gereinigte Oberflächenwasser wird unterirdisch gesammelt und nach und nach versickert. Außerdem ist die Wartung der Anlage verlässlich kalkulierbar und kann ohne großen Aufwand in langen Wartungsintervallen durchgeführt werden. Die Rinnen haben die DIBt-Zulassung und sind Teil eines abgestimmten Komplett-Systems. Das vom Hauraton-Projektteam vorgelegte Entwässerungskonzept enthielt außerdem zahlreiche Ideen und Vorschläge zur Einsparung von Kosten und wertvoller Bau- und Wartungszeit, um sowohl im Entstehungsprozess als auch beim späteren Betrieb der Anlage eine hohe Effizienz zu garantieren. So wird im Entwurf von Inga Severin die Flächengeometrie optimal genutzt, um Rinnenmeter ohne Verlust von Leistungsfähigkeit in größerem Umfang einzusparen. Darüber hinaus wurde die Linienentwässerung örtlich so geplant, dass sie hinsichtlich der Bauausführung in den am besten geeigneten Bereichen liegt. Für die Ausführungsplanung der beiden beauftragten Planer PGB Ingenieurgesellschaft mbH und Schirmer-Partner Landschaftsarchitekten BDLA Entwässerungskonzept für neues Logistikzentrum im Osten Münchens Höhere Effektivität und mehr Sicherheit in der Planung Für die Nutzung durch den exklusiven Modehandel Schustermann & Borenstein wurde ein neues Logistikzentrum im Osten Münchens gebaut und dabei ein individuell angepasstes Entwässerungskonzept von Hauraton für die Verkehrsflächen genutzt. Bei dem Bauprojekt wurden Drainfix Clean Rinnen eingesetzt, bei denen die Entwässerung mit der Wasserreinigung direkt im Rinnenstrang erfolgt. Für die anschließende Versickerung des gereinigten Oberflächenwassers wurden Drainfix Bloc Elemente eingebaut. Individuelle Unterstützung bei der Entwässerungsplanung und die engmaschige Baubegleitung vor Ort waren wichtig für einen erfolgreichen Projektverlauf. Bild 1: Sobald die ummantelten Filterrohre und Schottwände eingelegt waren, wurde das Filtersubstrat eingefüllt. © Hauraton 17 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur war die Unterstützung durch die Ingenieure von Hauraton bei der Entwässerungsplanung der Außenanlagen eine ideenreiche und kompetente Hilfe. Alicia Hildebrandt und ihre Kollegen vom Projektmanagement-Team konnten das Projekt mit fundiertem Produktwissen und hoher Fachkompetenz in der Lösung komplexer Entwässerungsaufgaben bereichern. Feldversuche lieferten wichtige Erkenntnisse Gleichzeitig standen die Ergebnisse langjähriger Feldversuche zur Reinigungsleistung der Filterrinnen aus einer Versuchsanlage zur Verfügung. Diese Anlage wird schon seit vielen Jahren von den Entwässerungsspezialisten unter Realbedingungen betrieben und liefert bis heute wichtige Erkenntnisse. Dabei werden wissenschaftliche Untersuchungen zur Reinigungsleistung der Drainfix Clean Rinnen und deren Verhalten bei einem hohen Verschmutzungsgrad unter verschiedenen Umweltbedingungen durchgeführt. Die Ergebnisse werden gemeinsam mit unabhängigen Instituten und Hochschulen ausgewertet. Bei Projekten dieser Art ist die praxiserprobte Leistungsfähigkeit die Basis für ein solides Entwässerungskonzept. Die gesicherten Erkenntnisse aus den Feldversuchen sichern die Funktionstauglichkeit des Systems Drainfix Clean über Jahrzehnte und ermöglichen einen vorausschauenden, gut kalkulierbaren Anlagebetrieb. Das gibt Bauherren, Behörden, Planern, Bauunternehmern und Betreibern größtmögliche Sicherheit. Für die Ausführung verantwortlich war die als Generalunternehmer beauftragte Arbeitsgemeinschaft „Zentrallager SBF Poing“, bestehend aus den Firmen Peter Gross Bau und Max Bögl unter der technischen Federführung von Peter Gross Bau. Die Zuständigkeit vor Ort lag in den Händen des Projektleiters Michael Ebner und seines Bauleiters Stefan Bartsch. Für sie waren die Arbeitsvorbereitung und die Begleitung der Einbauarbeiten vor Ort durch die Entwässerungsfachleute von großem Nutzen. Außendienst-Mitarbeiter Manfred Denk von Hauraton hat fortlaufend die Unterstützung auf der Baustelle ermöglicht und war hinsichtlich der Bauausführung in erster Linie der Ansprechpartner für Michael Ebner und seine Kollegen. Zur Versickerung des gesammelten und gereinigten Oberflächenwassers wurde eine unterirdische Rigole unter der späteren Logistikfläche eingebaut. 200 Drainfix Bloc Elemente schaffen ausreichend Speichervolumen, damit das Wasser nach und nach versickern kann. Die Sickerbloc Elemente aus hochbelastbarem Kunststoff sind für Verkehrslasten bis einschließlich SLW60 zugelassen und einsetzbar. Der Einbau der Rinnenelemente erfolgte auf bewährte Art und Weise. Dabei wurde der Unterbau des Rinnenstrangs für die gewünschte Belastungsklasse ausgelegt. Die Rinnenstränge selbst versetzte man am Stück. Dabei wurden die Rohranschlüsse zur Ableitung des gereinigten Wassers an die Versickerungsrigole angeschlossen. Sobald die ummantelten Filterrohre und Schottwände eingelegt waren, wurde das Filtersubstrat eingefüllt. Um dieses gleichmäßig auf der vorgesehenen Füllhöhe in den Rinnenstrang einzubringen, musste das Substrat mit einer Abziehhilfe verteilt werden. dann, nach dem Einlegen der Abdeckungen war das Rinnensystem fertig installiert. Insgesamt wurden auf der Freifläche knapp 400 Meter Drainfix Clean Rinnen eingebaut. Das Hauraton-Projektteam um Inga Severin stand den Projektbeteiligten mit planerischer Beratung und durchdachten Lösungen fachkompetent zur Seite. Insbesondere hinsichtlich der Entwässerung der Außenanlagen, aber auch bei behördlichen Anforderungen, beispielsweise aus dem Wasserhaushaltsgesetz, waren Erfahrung und Fachwissen der Hauraton-Ingenieure gefragt. HAURATON GmbH & Co. KG Werkstraße 13 76437 Rastatt info@hauraton.com www.hauraton.com Bild 2: Die Sickerbloc Elemente aus hochbelastbarem Kunststoff sind für Verkehrslasten bis einschließlich SLW 60 zugelassen und einsetzbar. © Hauraton 18 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Stadtentwässerung Dortmund Kanalsanierung mit Gütesicherung Kanalbau Das Dortmunder Abwassernetz ist mit einer Gesamtlänge von rund 2000 km und einer Bilanzsumme von rund 1 Mrd. EUR eines der größten Anlagevermögen der Stadt. Bis 2014 war das Tiefbauamt der Stadt Dortmund, Abteilung Stadtentwässerung, für dessen Bewirtschaftung zuständig; dann wurde die Stadtentwässerung in einen eigenständigen Eigenbetrieb überführt. Diese Umfirmierung ist laut Dr. Christian Falk, Technischer Leiter der Stadtentwässerung Dortmund, eine wichtige Voraussetzung für die Bewältigung der anstehenden Aufgaben am Kanalnetz. Zu den besonderen Herausforderungen vor Ort zählt die hohe Zahl von Kanälen, die in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg aufgrund der massiven Kriegsschäden erbaut wurden. Im Unterschied zu den ältesten, mehr als 100 Jahre alten Teilen des Netzes sind viele der nach 1945 gebauten Teile der Kanalisation inzwischen stark sanierungsbedürftig - ein Umstand, der heute und in Zukunft noch erhebliche Investitionen notwendig machen wird. Umso ernster nimmt die Stadtentwässerung das Thema Gütesicherung Kanalbau: Sie ist seit 1993 Mitglied der Gütegemeinschaft Kanalbau und macht die Qualifikation der Bieter seit 1997 zum festen Bestandteil ihrer Ausschreibungen. Im Zusammenhang mit der Gütesicherung ist der Blick der Stadtentwässerung heute nicht nur auf die Ausführung, sondern auch auf Planung, Ausschreibung und Bauüberwachung gerichtet. Herr Dr. Falk, wie ist es um die Qualität des Dortmunder Kanalnetzes bestellt? Die ältesten Teile der Dortmunder Kanalisation entstanden bereits Ende des 19. Jahrhunderts. Aus dieser Zeit stammt zum Beispiel ein rund 13 km langer Kanal, den man von der Emscher zur Lippe gebaut hat. Es handelt sich um ein in 20 m Tiefe, teils im bergmännischen Vortrieb erstelltes, zweibis dreischalig gemauertes Bauwerk mit einem Querschnitt von 1,45 m Höhe, das von hoher Ingenieurskunst zeugt. Damals hatte man offensichtlich nicht nur einen hohen Qualitätsanspruch, sondern auch die Mittel dafür, diesem gerecht zu werden. Viele der teils über 100 Jahre alten Kanäle sind nach wie vor in Betrieb und müssen heute auch nicht komplett erneuert werden - oft reicht es schon, neu zu verfugen oder ähnliche Maßnahmen zu ergreifen. Diese Kanäle werden wir noch viele Jahrzehnte betreiben. Wie sieht es mit Kanälen jüngeren Datums aus? Dortmund wurde im Krieg in einem Ausmaß zerstört wie nur wenige andere Städte in Deutschland. In der Zeit des Wiederaufbaus ging es hauptsächlich darum, möglichst schnell und mit einfachen Mitteln ein funktionierendes Kanalnetz aufzubauen. Faktoren wie Qualitätssicherung spielten in dieser Zeit leider nur eine untergeordnete Rolle. Das führte dazu, dass wir heute in erster Linie die in dieser Zeit entstandenen Kanäle sanieren müssen. Gleichzeitig haben diese Erfahrungen dazu beigetragen, den Qualitätsanspruch zu entwickeln, der die Arbeit der Stadtentwässerung heute charakterisiert. Welche Schwerpunkte setzen Sie beim Sanierungskonzept in Dortmund? Bei einer Anschlussrate von nahezu 100 Prozent liegt unser Hauptaugenmerk auf der Sanierung des Bestandes in Form von Reparatur, Renovierung oder Erneuerung. Rund 30 Mio. EUR investieren wir mittlerweile pro Jahr in das städtische Kanalnetz. Dabei entscheiden wir von Fall zu Fall über die einzusetzenden Materialien und Verfahren. Für jede Sanierungsaufgabe die richtige Lösung in einer möglichst hohen Ausführungsqualität: Das ist unser Anspruch, den wir mit den geeigneten Instrumenten umsetzen - unter anderem mit der Gütesicherung Kanalbau. Dabei legen wir auf den wirtschaftlichen Einsatz der zur Verfügung stehenden Mittel ebenso viel Augenmerk, wie auf Nachhaltigkeitsaspekte oder unsere Verpflichtung den nachfolgenden Generationen gegenüber. Diesem Anspruch wird man allerdings nur gerecht, wenn man alle Projektbausteine von der Planung über die Ausschreibung, Bauüberwachung und Ausführung ganzheitlich betrachtet. Wie bringe ich Gütesicherung an den Start, lautet die zentrale Frage bereits bei der Planung. Deswegen legen wir zum Beispiel hohen Wert auf eine sehr versierte, sehr umfassende aber auch sehr ausführliche Planung. Und wir sind auch bereit, hierfür das nötige Geld in die Hand zu nehmen. Im Interview: Für Dr.-Ing. Christian Falk, Technischer Leiter der Stadtentwässerung Dortmund, ist Kanalsanierung eine Aufgabe für die Ewigkeit. © Güteschutz Kanalbau 19 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Welchen Anspruch haben Sie an die Leistungen der Baupartner? Wir sind der Meinung, dass Ingenieurleistungen wie Planung, Ausschreibung und Bauüberwachung ganz maßgeblich zum Ergebnis einer Sanierungsmaßnahme beitragen. Deshalb brauchen wir auch in Bezug auf die Ausschreibung und Bauüberwachung Baupartner mit besonderer Erfahrung und Zuverlässigkeit. Und weil das so ist, legen wir natürlich auch Wert auf eine vernünftige Auswahl der Planer. Hierbei bietet zum Beispiel die Gütesicherung Kanalbau eine Möglichkeit, fachlich geeignete Unternehmen und Ingenieurbüros auszuwählen. Zurzeit haben wir das Führen eines entsprechenden Gütezeichens im Bereich Ausschreibung (A) und Bauüberwachung (B) noch nicht als Auswahlkriterium definiert, den Weg dorthin wollen wir aber einschlagen. Organisationen mit einem Gütezeichen für den offenen Kanalbau (Gruppe ABAK), für den grabenlosen Einbau (Gruppe ABV) oder für die grabenlose Sanierung (Gruppe ABS) weisen ihre besonderen Erfahrungen nach, verfügen über aussagekräftige Referenzen und belegen die Zuverlässigkeit des eingesetzten Personals. Das gibt uns als Auftraggeber ein gutes Gefühl und untermauert unser Anspruchsdenken in Bezug auf Qualität und Qualifikation beim Umgang mit der Kanalisation. Herr Dr. Falk, würden Sie sagen, dass sich die Qualität der Baumaßnahmen in Dortmund verbessert hat? Diese Frage kann ich eindeutig mit ja beantworten, und das hat aus meiner Sicht drei Gründe. Auf der einen Seite befinden sich Produkte und Verfahren mittlerweile auf einem sehr hohen Niveau. Des Weiteren hat das Know-how der handelnden Personen deutlich zugenommen. Regelmäßige Weiterbildung der Mitarbeiter- - ein Punkt, der ja auch in den Güte- und Prüfbestimmungen der Gütegemeinschaft Kanalbau verankert ist - ist heute unerlässlich für ein Unternehmen, das erfolgreich im Markt agieren will. Hinzu kommt der Aspekt der Qualitätssicherung: Bei der Auftragsvergabe achten wir darauf, dass die ausführenden Unternehmen die für die Ausführung der Arbeiten notwendigen Qualifikationen besitzen und das mit einem Gütezeichen Kanalbau belegen. Die Kombination dieser drei Faktoren hat dazu geführt, dass wir heute tatsächlich andere Ergebnisse in unseren Bau- und Sanierungsprojekten erzielen. Sie können also entspannt in die Zukunft blicken? Nein, die Beschäftigung mit der Kanalinfrastruktur ist kein Selbstläufer, der Auftraggeber ist weiterhin stark gefragt. Für uns ist die Tatsache, dass ein Unternehmen ein Gütezeichen führt - hier spreche ich auch in meiner Funktion als Obmann des DWA-Fachausschusses „Zustandserfassung und Sanierung“ - kein Freifahrtschein für eine Bauausführung auf einem Qualitätsniveau, das wir als Auftraggeber erwarten. Wir nehmen an dieser Stelle unsere Verantwortung wahr, nutzen die Anforderungen der Gütesicherung Kanalbau als Voraussetzung für die technische Eignung der Bieter bei der Vergabe von Aufträgen und die damit verbundene Eigenüberwachung als Hilfe bei der Bauüberwachung, bringen uns aber selber sehr stark in ein Projekt mit ein. Darüber hinaus gilt es, weitere Faktoren im Blick zu behalten. Unter anderem die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Zu unserer Verantwortung gehört es auch, dem enormen Preisdruck im Markt entgegenzuwirken und Rahmenbedingungen für auskömmliches Arbeiten zu schaffen. Nur unter diesen Voraussetzungen lässt sich vernünftige Kanalsanierung betreiben. Worin bestehen für Sie die Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte? Meines Erachtens liegen deutschlandweit die größten Bauaufgaben noch vor uns. Auch die in diesem Jahr publizierten Ergebnisse der DWA-Umfrage 2015 zum „Zustand der Kanalisation in Deutschland“ machen deutlich, dass eine Erhöhung des Aufwands zur Kanalsanierung notwendig ist, um den Zustand des Kanalnetzes in Deutschland langfristig zu verbessern und die vorhandene Substanz zu erhalten. Die größten Investitionen sind folglich noch zu tätigen. Der Nachholbedarf ist weiterhin immens. Die Sanierung unserer Kanalisation stellt eine Ewigkeitsaufgabe dar, zumal ja auch neue, etwa altersbedingte Schäden hinzukommen werden. Bei ihrer Bewältigung spielen Qualitäts- und Qualifikationsaspekte eine wesentliche Rolle. Vor diesem Hintergrund ist es eine gute Sache, dass es Instrumente wie die Gütesicherung Kanalbau gibt. Es gilt, auf die Qualifikation der Beteiligten zu achten und die Weiterbildung der Mitarbeiter zu fördern - alles Positionen, die eng mit der Gütesicherung Kanalbau verbunden sind. Begrüßenswert ist deshalb auch das Engagement der Gütegemeinschaft bei der steten Erweiterung ihres Dienstleistungspaketes. Angebote wie zum Beispiel die Firmenseminare oder die ans Netz gegangene Akademie Kanalbau mit dem darin enthaltenen E-Learning-Modul tragen dazu bei, das nötige Fachwissen für den Umgang mit der Kanalinfrastruktur zu erlangen oder zu vertiefen. 20 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Unterirdische Speicherbehälter erfreuen sich zunehmender Beliebtheit, gerade bei Modernisierung von großen, bisher mit Gas betriebenen Heizanlagen - wie in Murg. Ein Brennstoffspeicher war dort nicht erforderlich. Bei der Umstellung auf Hackschnitzel änderte sich das. Das Brennstofflager und der zusätzlich installierte Pufferspeicher wurden, weil dafür innerhalb des Gebäudes kein Platz war, im Zuge der Heizungsmodernisierung unterirdisch eingebaut. Kommunales Contracting Das Fernwärmenetz in Murg- Niederhof ist schon das zweite dieser Art in der 7 000 Einwohner zählenden Gemeinde an der Schweizer Grenze, zwischen Hochrhein und Südschwarzwald. Wer meint, Contracting und Fernwärme sei vor allem Sache großer Städte mit eigenen Stadtwerken, täuscht sich. Auf der Website der Kommune erklärt Bürgermeister Adrian Schmidle, was Murg auszeichnet: „Wir sind eine lebendige Wohngemeinde mit hoher Lebenskultur und ökologischer Verantwortung. Wir sind offen, familienfreundlich und innovativ.“ In diesem Sinne hat Ortsbaumeister Wolfgang Vögtle die fortschrittlichen und für alle Beteiligten lukrativen Konzepte realisieren lassen. Seine Idee: Immer wenn die Heizzentrale eines großen gemeindeeigenen Gebäudes modernisierungsbedürftig ist- - wie zuletzt bei den Schulen im Zentrum von Murg und im Ortsteil Niederhof - werden benachbarte Hausbesitzer aufgefordert, sich zu beteiligen. Deren Vorteil ist, dass sie fortan nur noch die Wärme bezahlen und nicht mehr die Erneuerung ihrer Heiztechnik finanzieren müssen. Auch für die Gemeinde dieses kommunalen Contracting-Modells entsteht ein finanzieller Vorteil, denn große Heizzentralen lassen sich im Verhältnis preiswerter bauen und betreiben, als die sonst alleine für die Schulen notwendigen kleineren. Das zweite kommunale Fernwärmenetz in Murg-Niederhof hat 34- Übergabestationen. Verbraucher sind neben Schule und Sporthalle 30 private Wohnhäuser, ein Kirchengemeindehaus und ein Kindergarten in einigen hundert Metern Umkreis. Insgesamt wurden 2 090 m flexible Doppel-Kunststoffrohre verlegt. Darin zirkuliert Wasser mit einem Leitungsdruck von 2- bar und einer Temperatur zwischen 80-°C Vorlauf und 50-°C Rücklauf. Fernwärmenetz mit unterirdischem Pufferspeicher Gemeinde Murg stellt von Gas auf Holzbrennstoffe um und bezieht Anlieger ein Barbara Rockstroh Das kommunale Fernwärmenetz der Gemeinde Murg in Südbaden heizt seit September 2014 mit Hackschnitzeln zur Versorgung von Schule und Einfamilienhäusern. Es nutzt einen großen unterirdischen Pufferspeicher, um die Lastspitzen im Netz auszugleichen und dem Heizkessel einen gleichmäßigen Grundlastbetrieb mit langen Laufzeiten zu ermöglichen. Bild 3: Heizzentrale Fernwärmenetz Murg- Niederhof. Doppelpumpe der Fernwärmeleitung mit Regelgruppe/ Umschaltventil für den Spitzenlastkessel. © König Bild 1: Fernwärmenetz Murg-Niederhof. Heizzentrale auf dem Schulgelände unter der Sporthalle (rechts), geöffneter unterirdischer Hackschnitzelspeicher (links). © König Bild 2: Heizzentrale Fernwärmenetz Murg-Niederhof mit Grundlastkessel für Hackschnitzel 390 kW. Automatische Brennstoffzufuhr (hinten links), automatischer Ascheaustragung (rechts). Spitzenlastkessel für Gas 500 kW (hinten rechts). © König 21 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Der vorhandene Gasanschluss bleibt bestehen und wird bei Bedarf kurzzeitig für den neuen Spitzenlastkessel genutzt. Der kann das Wärmenetz mit 500- kW notfalls allein versorgen - wenn der Grundlastkessel ausfällt, gewartet wird oder nicht genug Leistung bringt. Für die Abdeckung der Grundlast läuft nun ein Hackschnitzelkessel mit 390-kW. Dieser holt sich automatisch das Brennmaterial aus dem in den Außenanlagen neu eingebauten Hackschnitzelbunker. Dazu wurde ein Fördersystem installiert, das die Hackschnitzel vom Boden des Lagers durch die Außenwand der Heizzentrale bis zum Brenner transportiert. Das im Vergleich zu Holzpellets dreimal größere Speichervolumen ist hier kein Problem, denn die Kosten waren, in Verbindung mit den ohnehin erforderlichen Tiefbauarbeiten für 2- km Fernwärmenetz, relativ günstig. Weshalb Hackschnitzel? Die Gemeinde Murg entschied sich aus ökologischen und ökonomischen Gründen, im Grundlastbetrieb von fossilem Gas auf regenerative Holzhackschnitzel umzustellen. Holzbrennstoffe aus der Region punkten bei Umwelt, Klima, Volkswirtschaft und Betriebskosten, denn sie sind nachwachsend, CO 2 -neutral, tragen zu einer 100-prozentigen Wertschöpfung im Inland bei und sind für die Kunden preiswerter zu beziehen als die fossilen Brennstoffe aus fernen Ländern. Darüber hinaus besteht nicht das politische Risiko eines Lieferboykotts, und Unfälle beim Transport sind weit weniger gefährlich als bei Öl oder Gas. Der Brennstoff Hackschnitzel stammt von einem einheimischen Landwirt, der in rund 500 m Entfernung von der Heizzentrale seinen Betrieb hat. Er ist auch zuständig für das Abholen der Asche, die er auf seinen Äckern als Dünger ausbringen kann. Von der Gemeinde Murg wird die von den Hackschnitzeln erzeugte Wärme bezahlt, nicht die Menge oder das Gewicht seiner Ware. Damit lohnt sich die Lieferung trockenen, hochwertigen Brennstoffs. Und je besser dessen Qualität, desto weniger Wartung ist bei Kessel und Lager erforderlich. Hackschnitzel haben ein Gewicht von rund 200 kg/ m³. Sie werden als Schüttgut angeliefert und vom Lieferanten direkt bei geöffneter Abdeckung in den Speicher gekippt. In Murg ist in der rechteckigen Öffnung, die sich über die gesamte Länge und Breite des Behälters erstreckt, ein Rüttelsieb eingebaut, das während des Befüllens elektrisch in Bewegung versetzt wird. So lassen sich Hohlräume und Schüttkegel weitgehend verhindern, wodurch die Entnahme am Speicherboden störungsfrei funktioniert und das Volumen des Behälters optimal ausgenutzt wird. Der Inhalt von 150 m 3 entspricht 30- t Füllgewicht bzw. 12 000 L Heizöläquivalent. Die üblichen, oben offenen Transportcontainer fassen 40 m³ bzw. 8 Tonnen. Der Lieferant kann hier also bereits nachfüllen, wenn ein Drittel oder die Hälfte des Vorrats aufgebraucht ist. Wirtschaftlich durch Pufferspeicher Wie der unterirdische Hackschnitzelbehälter ist auch der Pufferspeicher in unmittelbarer Nähe zur Heizzentrale des Fernwärmenetzes eingebaut. Darin wird die vom Hackschnitzelkessel stammende Wärme gespeichert, bis sie für Heizung und Warmwasserbereitung in den 34 Übergabestationen gebraucht wird. Gebäude-Energiebedarf: Energiebedarf eines Gebäudes (Gebäude-Energiebedarf < installierte Heizleistung) Installierte Heizleistung: Maximal mögliche Leistung eines Heizkessels Jahres-Heizenergiebedarf: Energiebedarf des Gebäudes ohne Warmwasser Primärenergie: Tatsächliche Energiemenge in der natürlich vorkommenden Energieform am Entstehungsort (exklusive Transport, Verarbeitung und Nutzungsgrad) UA-Wert: Leitparameter für die Wärmeverlustrate eines Speichersystems bezogen auf das Speichervolumen und die Geometrie in [W/ K] Schichtladerohr: Ermöglicht die Einbringung des Wassers im Beladekreis des Speichers in Schichten mit gleichem Temperaturniveau Glattrohr wärmeübertrager: Wärmeübertragung über die Rohroberfläche einer meist zentrisch aufgewickelten Rohrleitung, ohne zusätzliche Wärmeübertragungsrippen; ermöglicht auch Systemtrennung zweier Kreisläufe Plattenwärmetauscher: Systemtrennung von Kreisläufen mit unterschiedlichen Wärmeträger- Flüssigkeiten oder unterschiedlichen Temperatur-Spreizungen über eine Vielzahl von eng aneinander liegenden Platten Prallteller: zur verwirbelungsreduzierten Einleitung von Kreislaufwasser Auslassbogen: zur verwirbelungsreduzierten Einleitung von Kreislaufwasser BEGRIFFE BEI HEIZTECHNIK UND PUFFERSPEICHERN Bild 4: Fernwärmenetz Murg-Niederhof. Schnitt-Darstellung des unterirdischen Pufferspeichers ThermoSol, aus dem das Netz im Normalbetrieb die Wärme zieht. © Zeichnung: Mall 22 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Der Pufferspeicher hat einen Betriebsdruck bis zu 3 bar und ist Teil eines Ladebzw. Entnahmekreislaufs. Große Rohrdimensionen erlauben ein schnelles Be- und Entladen der Wärme. Ein weiterer Vorteil ist die einfache Montage, denn die Schnittstellen liegen außerhalb des Speichers. Sein inneres Gefüge ist vom Hersteller druckgeprüft. Erwähnenswert sind auch die Abdeckung mit zwei übereinander liegenden Verschlüssen und die Entwässerung des Zwischenraums der beiden Dichtungsebenen bei eventuell entstehendem Kondenswasser. Ein unterirdischer Pufferspeicher sollte mit möglichst kurzen, wärmegedämmten Rohrleitungen in das Heizungssystem eingebunden werden, damit keine nennenswerten Wärmeverluste entstehen - eine der Voraussetzungen für den effizienten Betrieb von großen Heizanlagen. Puffervolumen mit der in Murg nötigen Dimension von 13 400- L würde im Innenraum konventionell nur über eine Kaskade hintereinander aufgestellter und geschalteter Behälter erreicht. Schon ab 3 000 L Fassungsvermögen würde es selbst bei einem Neubau schwierig, solche Behälter innerhalb des Gebäudes unterzubringen. Maße von Türöffnung und Raumhöhe sind der Grund. Wird die Wärme aber unterirdisch gelagert, können Fertigteilbehälter aus Beton bis zu den im Straßenverkehr für Tieflader zulässigen Abmessungen gefertigt werden. Das spart gegenüber Lösungen aus Ortbeton Baukosten und Bauzeit, denn das Versetzen eines solchen Pufferspeichers in die Erde dauert in der Regel nicht mehr als eine Stunde. Die Bauweise ähnelt einer Thermoskanne. „Das Wasser, in Murg 13 400-L, befindet sich in einem Stahlbehälter. Zwischen diesem und der äußeren robusten Hülle aus fugenlosem Stahlbeton sorgt Glas-Granulat-Dämmstoff für eine lange Nutzungsdauer“, erklärt Clemens Hüttinger vom Hersteller Mall in Donaueschingen. Als UA-Wert für den Wärmeverlust gibt er 6,4 W/ K an. Dies ist das Ergebnis der wissenschaftlichen Untersuchung am Institut für Solarenergieforschung Hameln, einer Einrichtung der Universität Hannover. Das günstige Verhältnis von Inhalt und Oberfläche des zylindrischen Pufferspeichers ThermoSol ist die wichtigste Voraussetzung zur Minimierung der Wärmeverluste. Außerdem verhindert die 25 cm starke Recyclingglas-Wärmedämmung ein schnelles Auskühlen. Auswertung der ersten Heizperiode „Der Holzkessel läuft immer nur auf diesen Speicher und wird über eine Pufferregelung angesteuert. Das Netz zieht sich die Wärme aus dem Puffer“, erklärt der für die haustechnische Planung und Dimensionierung zuständige Fachingenieur Torben Steenhoff. „Ist die zur Verfügung stehende Wärme im Pufferspeicher aufgebraucht, bzw. sinkt die Vorlauftemperatur im Netz unter den Sollwert, fährt die Verbrennung der Hackschnitzel auf Volllast hoch. Reicht dies aufgrund hohen Wärmebedarfs nach einer einstellbaren Zeitverzögerung nicht aus, heizt der zusätzlich installierte Gaskessel über die hydraulische Weiche direkt in das Fernwärmenetz nach“. Bei Ausfall des Holzkessels oder Wartungsarbeiten geht der Gaskessel in Betrieb und versorgt das Netz über ein Umschaltventil direkt, unter Umgehung des Pufferspeichers. Bild 7: Fernwärmenetz Murg-Niederhof, eine von 34 Übergabestationen. Verbraucher sind neben Schule, Sporthalle, Kindergarten und Kirchengemeindehaus auch 30 private Wohnhäuser. © Steenhoff Bild 5: Fernwärmenetz Murg-Niederhof. Unterirdischer Pufferspeicher, Anschlussleitungen. © Mall Bild 6: Fernwärmenetz Murg-Niederhof. Verlegen der flexiblen Doppel- Kunststoffrohre zu 34 Übergabestationen. © Steenhoff 23 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Nach der ersten Heizperiode 2014/ 2015 stellt Steenhoff aufgrund seiner Aufzeichnungen fest: „Erst durch die ausgleichende Wirkung des Pufferspeichers konnte der Hackschnitzelkessel preiswert, Material schonend und gleichmäßig mit langen Laufzeiten im Grundlastbetrieb heizen. Der Pufferspeicher hat in dieser Saison alle Leistungsspitzen, vor allem die des Winterbetriebs, abgefangen“. Bauherrschaft und Planer wussten, dass der kontinuierliche Wärmebedarf der überwiegend aus Wohnhäusern bestehenden Verbrauchsstellen in diesem Sinne von Vorteil ist. Doch einen so deutlichen Erfolg hatte man nicht erwartet. Weitere Informationen: Planerhandbuch „Unterirdische Lagersysteme für Biomasse, Pellets und Wärme“. Mall GmbH, Donaueschingen, 2015, www.mall.info Adresse des Objekts: Schulstr. 4, 79730 Murg-Niederhof Bauherrschaft: Gemeinde Murg Fachplanung Haustechnik: Ingenieurbüro Steenhoff, Todtnau Ausführung: Tröndle Haustechnik, Waldshut-Tiengen Inbetriebnahme: September 2014 Investitionsvolumen Heizzentrale: ca. 480 000 Euro Investitionsvolumen Fernwärmenetz und Übergabestationen: ca. 560 000 Euro Fernwärmenetz: 2 090 m, 2 bar, 80/ 50 °C Anzahl Übergabestationen: 34 Jahreswärmebedarf geschätzt: 1 200 000 kWh/ a Kesseltyp Hackschnitzel: KÖB/ Viessmann Pyrotec, 390 kW Kesseltyp Gas: Viessmann Vitocrossal 200, 500 kW Hackschnitzelspeicher: Ortbetonbehälter und Rüttelsieb für 150 m³/ 30 t/ Heizöläquivalent 12.000 L mit Entnahmesystem Förderschnecke Pufferspeicher: Mall-Betonfertigteilbehälter ThermoSol 13400 Nutzvolumen: 13 400 L Maximaler Betriebsdruck: 3 bar Minimale/ Maximale Betriebstemperatur: 10 °C/ 95 °C Anzahl Beladekreise/ Entladekreise: 1/ 1 Einbauten: 4 Tauchrohre Bild 8: Fernwärmenetz Murg-Niederhof. Die Trasse der Fernwärmeleitung ist im Straßenbelag erkennbar (links). Angeschlossen sind 30 private Wohnhäuser, eine Schule mit Sporthalle, ein Kirchengemeindehaus und ein Kindergarten (rechts). © König PROJEKTDATEN FERNWÄRMENETZ MURG-NIEDERHOF Barbara Rockstroh Sachverständigen- und Fachpressebüro König Kontakt: mail@klauswkoenig.com AUTORIN Anzeige 24 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Die Energieversorgung, also die Belieferung von Verbrauchern mit Nutzenergie, ist ein wichtiger Bestandteil städtischer Infrastruktur. In der Vergangenheit wurde diese Nutzenergie primär durch das Verbrennen fossiler Brennstoffe wie Erdöl, Erdgas oder Kohle erzeugt. Im Hinblick auf deren weitere Verknappung sowie den voranschreitenden Klimawandel sind jedoch erneuerbare Energieformen, die keinen CO 2 -Ausstoß verursachen, eines der großen Zukunftsthemen unserer Zeit. Die 2011 veröffentlichte Roadmap 2050 der Europäischen Kommission beschreibt das Vorhaben der EU und der G8-Staaten, die Treibhausgas- Emissionen bis zum Jahr 2050 um 80 Prozent, ausgehend vom Wert des Jahres 1990, zu reduzieren. In diesem „practical guide to a prosperous and low-carbon europe“ wird deutlich, dass dieses ambitionierte Ziel nur durch konsequente Umsetzung in allen Bereichen der Gesellschaft erreicht werden kann [1]. Dabei stellt die Energieversorgung privater Haushalte mit 27 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs in Deutschland eine wichtige Säule dar. Die restlichen Anteile entfallen mit jeweils rund 28 Prozent auf Industrie und Verkehr sowie mit insgesamt etwa 15 Prozent auf Gewerbe, Handel und den Dienstleistungssektor [2]. Im heute vorzufindenden Wohngebäudebestand haben in der Regel die jeweiligen Eigentümer die Entscheidung hinsichtlich der Heizanlage getroffen. Dabei liegt es in der Natur des Menschen, sich stärker auf die Erreichung kurzbis mittelfristiger statt langfristiger Ziele zu fokussieren. Die Entwicklung hin zur Erschließung ganzer Neubaugebiete oder Quartiere, häufig durch einen einzigen Investor, führt nun verstärkt zum Einsatz zentraler und zukunftsfähiger Energieversorgungssysteme. Der Vorteil: in einer zentralen Anlage kann mehr Energie erzeugt werden, als die einzelnen Gebäude verbrauchen. Um gesetzlichen Anforderungen, wie denen des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes (EEWärmeG) oder der Energieeinsparverordnung (EnEV) zu entsprechen, ist dabei die Nutzung regenerativer Energie elementarer Bestandteil der Gebäudeplanung. In diesem Beitrag wird das Eis- Energiespeichersystem als ganzheitliches, regeneratives Heiz- und Kühl-Konzept vorgestellt. Die Funktionsweise: Eis-Energiespeichersystem & Wärmepumpe Das Eis-Energiespeichersystem dient als Wärmequelle für Sole/ Wasser-Wärmepumpen und ist somit eine Alternative zu Erdwärmesonden oder Erdkollektoren. Es arbeitet nach einem einfachen Prinzip: In der Umgebung frei zur Verfügung stehende Wärme-Energie wird in einen unterirdischen Betonbehälter - den Heizen und Kühlen mit unterirdischen Eisbergen Kalte Nahwärmenetze, Energiespeicher, erneuerbare Energie, Wärmepumpe, Eisheizung, CO 2 -Reduktion Jana Dietz Die Folgen des Klimawandels rücken zunehmend in unser Bewusstsein - chaotische Wetterverhältnisse, Meldungen über Naturkatastrophen auf der ganzen Welt, abschmelzende Polkappen und steigende Meeresspiegel sind an der Tagesordnung. So bedrückend diese Nachrichten auch sind, noch können wir unseren Alltag weitgehend unbehelligt bestreiten. Doch Experten warnen: Schon jetzt sind die Konsequenzen der jahrelangen Gedankenlosigkeit selbst durch strikte Maßnahmen kaum aufzuhalten. Wie konnte es soweit kommen? In unseren Breitengraden stehen doch sowohl Wärme als auch Kälte in ausreichender Menge zur Verfügung. Das Problem liegt im meist antizyklischen Verlauf von Angebot und Nachfrage. Gelingt es, die Wärme des Sommers in den Winter und die Kälte des Winters in den Sommer zu transportieren, können Gebäude auf natürliche Weise - praktisch ohne CO 2 -Ausstoß - klimatisiert werden. Bild 1: Herzstück des Eis-Energiespeichersystems ist ein unterirdisch eingebrachter Betonbehälter. © Viessmann 25 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Eisspeicher - eingespeist. Das Speichermedium Wasser macht das System ökologisch unbedenklich und überall einsetzbar. Aufgrund der geringen Einbringungstiefe ist keine spezielle Genehmigung erforderlich. Mit einem Eis-Energiespeicher lässt sich der Energiehaushalt managen, die Wärme des Sommers für den Bedarf im Winter speichern. Zeitversetzt kann die gespeicherte Wärme dann genutzt werden, um eine Wärmepumpe zu speisen. Je Kilowatt aufgewendeter elektrischer Leistung entzieht die Wärmepumpe mehr als drei Kilowatt kostenlos zur Verfügung stehende Energie aus ihrer Umgebung, um das Gebäude zu beheizen. Im Heizbetrieb wird die Wärme aus dem Eisspeicher in das Gebäude geleitet. Gleichzeitig wird die Kälte aus dem Gebäude in den Eisspeicher rückgeführt. Dadurch kühlt dieser kontinuierlich ab. Erreicht das Wasser im Speicherbehälter 0 °C tritt ein besonderer Effekt auf: Beim Phasenübergang von 0 °C kaltem Wasser zu 0 °C kaltem Eis wird die sogenannte Kristallisationsenergie freigesetzt. Diese entspricht der Energiemenge, die benötigt wird, um Wasser von 0 °C auf 80 °C zu erwärmen. Durch das gezielte Wechselspiel aus Wärmeentzug und Regeneration kann der Gefrierprozess innerhalb einer Heizperiode mehrmals wiederholt werden, wodurch die Kristallisationsenergie nahezu unbegrenzt zur Verfügung steht. Gefriert Wasser zu Eis, geschieht dies in der Natur von außen nach innen. Durch die spezielle Anordnung des Wärmetauschersystems im Eis-Energiespeicher wird dieser Prozess jedoch umgekehrt. Das Wasser gefriert somit von unten nach oben und von innen nach außen. Die Übertragung von Kräften auf die Speicherkonstruktion, vergleichbar mit denen, die auf eine im Gefrierfach vergessene Glasflasche wirken, wird dadurch ausgeschlossen. Im klassischen Anwendungsfall steht am Ende der Heizperiode das thermische „Abfallprodukt“ Eis kostenfrei zur Gebäudekühlung zur Verfügung. Im Vergleich zu konventionellen Kühlkonzepten können die Kosten für die Bereitstellung von Kühlenergie bis zu 99 Prozent reduziert werden. Insbesondere im Hinblick auf den Klimaschutz spielt die Kühlung eine immer größere Rolle, da konventionelle Kälteanlagen häufig große Mengen CO 2 ausstoßen. Besteht ganzjähriger Heiz- und Kühlbedarf innerhalb eines Gebäudes oder werden mehrere Gebäude mit konträren Anforderungen insgesamt betrachtet, kann ein Wärme-Kälte-Verbund- System umgesetzt werden. Die Wärme aus dem zu kühlenden Gebäude(-teil) wird dann in das zu beheizende Gebäude (den Gebäudeteil) überführt und umgekehrt. Eine Wärmepumpe setzt im Betrieb sowohl Wärme als auch Kälte frei. Der Eisspeicher stellt sicher, dass wertvolle Energie nicht verpufft, sondern beide Produkte zielführend eingesetzt werden. Der Betrieb eines Eis-Energiespeichersystems erfordert lediglich Strom für die Wärmepumpe und den Pumpenantrieb. Wird dieser Strom über eine Photovoltaikanlage generiert, gelingt es, eine vollständig autarke Energieversorgung zu realisieren. Intelligentes Energiequellenmanagement Um den Anlagenbetrieb optimal auf das Nutzerverhalten der Anlagenbetreiber einzustellen und um Effizienz und Wirtschaftlichkeit stetig zu erhöhen, ist das System mit einer intelligenten Regelung ausgestattet. Diese greift zu jedem Zeitpunkt auf die Energiequelle zurück, die der Wärmepumpe die höchstmögliche Sole- Eintrittstemperatur liefert. Deren Wirkungsgrad kann auf diese Weise maximiert, der Stromverbrauch somit minimiert werden. Die gesammelten Daten werden durch Experten ausgewertet und bei der Planung und Bild 2: Schema zur Verdeutlichung der Abläufe und Zusammenhänge in einem kalten Nahwärmenetz. © Viessmann 26 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Auslegung zukünftiger Anlagen einbezogen, um diese kontinuierlich zu optimieren. Vom BAFA gefördert Im Rahmen der Richtlinien des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) für die „Förderung von Maßnahmen zur Nutzung erneuerbarer Energien im Wärmemarkt“ gilt eine erweiterte Innovationsförderung für Wärmepumpen mit verbesserter Systemeffizienz. Darunter fallen Wärmepumpen mit zusätzlichen Anlagenteilen bzw. Sonderbauformen, die mit höherem Investitionsaufwand eine deutliche Effizienzverbesserung des gesamten Systems erzielen und damit den Strombedarf und die Netzlast reduzieren [3]. Eine Verbesserung der Systemeffizienz kann mit verschiedenen technischen Ansätzen erreicht werden. Nach den geltenden Richtlinien vom 11. März 2015 ist die Kombination aus Wärmepumpe und Eisspeicher ein förderfähiges Anlagenkonzept. Die Fördermittel werden sowohl im Neubau als auch im Gebäudebestand gewährt. Voraussetzung dafür ist eine System-Jahresarbeitszahl (SJAZ) von mindestens 4,1 [4]. Aus der Praxis: Baugebiet Blumentopf - kaltes Nahwärmenetz mit Eis-Energiespeicher Etwa 60 000 Menschen leben im nordrhein-westfälischen Langenfeld, der drittgrößten Stadt des Kreises Mettmann. Aufgrund seiner strategisch günstigen Lage im Zentrum des Dreiecks Düsseldorf-Wuppertal-Köln, ist Wohnraum in dieser Region äußerst begehrt. Das Gebiet ist bereits so dicht bebaut, dass für Neubauvorhaben Platzmangel besteht. Bei den Stadtwerken Langenfeld, unter Leitung von Geschäftsführer Kersten Kerl, hat man früh die Veränderungen in der gängigen Baupraxis und die damit einhergehenden Folgen für das eigene Tätigkeitsfeld erkannt. Durch den sinkenden Primärenergiebedarf geht der Absatz von fossilen Energieträgern zunehmend zurück. Um wettbewerbsfähig zu bleiben und sich klar zur Nutzung erneuerbarer Energie zu positionieren, rüsteten die Stadtwerke Langenfeld bereits 2013 das eigene Geschäftsgebäude - bestehend aus 1000 m 2 Büro- und 700 m 2 Lagerfläche - mit einem regenerativen Heiz- und Kühlsystem mit Eis-Energiespeicher aus. Das energetische Konzept Grundsätzlich beschreibt der Begriff Nahwärmenetz die Übertragung von Heizwärme zwischen benachbarten Gebäuden. Die Besonderheit kalter Nahwärmenetze liegt im niedrigen Temperaturniveau des Energieträgermediums. Da dieses mit etwa 0 °C - 3° C kälter ist, als das umgebende Erdreich mit rund 8 °C, findet ein Wärmeausgleich statt, wobei das Erdreich Wärme an das die Rohleitungen durchfließende Wasser-Glykol-Gemisch abgibt. Versorgt wird das kalte Nahwärmenetz zudem mit Energie, aus einer Trinkwassertransportleitung. Das Trinkwasser durchläuft diese mit einer konstanten Temperatur von etwa 6 °C- -- 8 °C, wodurch ebenfalls ein Temperaturgefälle vorliegt und ein Wärmeaustausch stattfindet. Die gewonnene Wärme wird dann für die Wärmepumpe bereitgestellt, die, unmittelbar an der Schnittstelle zum Haus, für eine Anhebung der Temperatur auf das vom Verbraucher benötigte Niveau sorgt. Zur Stabilisierung des Netzes dient das Eis-Energiespeichersystem. Dessen Herzstück ist ein unterirdisch eingebrachter Betonbehälter mit einer Höhe von vier Metern und einem Durchmesser von 16 Metern (Bild 1). Gefüllt ist er mit 657 000 Litern Wasser, das je nach Betriebszustand zwischen 0 °C und etwa 20 °C warm ist. Über wartungsfreie Kunststoffrohre wird dem Wasser mit Wärmepumpen Wärme entzogen oder zugeführt. Der Speicher fungiert so als Energie-Manager und gleicht mit seiner großen Aufnahmekapazität aktuelle und saisonale Schwankungen bei Angebot und Nachfrage von Energie aus. Bild 2 zeigt ein Schema zur Verdeutlichung der Abläufe und Zusammenhänge in diesem kalten Nahwärmenetz. Der Einsatz Bild 3: Der zentrale Eis- Energiespeicher liegt inmitten des Neubaugebiets Blumentopf. © Viessmann 27 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie eines zentralen Eis-Energiespeichers trägt dem vorherrschenden Platzmangel Rechnung. Da der Speicherbehälter unter der Erde liegt, ist die benötigte Fläche zudem nicht „verschwendet“, sondern steht den Bewohnern als Grünfläche zur Verfügung. Jedes der 58 Häuser, die im ersten Bauabschnitt realisiert werden, verfügt über eine eigene Wärmepumpe mit einer Leistung von 6 kW. Die Käufer bleiben somit, trotz eines gemeinschaftlich genutzten Eis-Energiespeichers, Eigentümer eines eigenen Heizsystems und können dieses entsprechend des persönlichen Bedarfs nutzen. Insgesamt werden durch das System 400 kW Leistung zum Heizen und zur Warmwasserbereitung bereitgestellt. Auf die Kühlung der Wohngebäude wurde bauseits in diesem Fall verzichtet. Ein Blockheizkraftwerk (BHKW), das mit Biogas der Stadtwerke Langenfeld betrieben wird, erzeugt den Antriebsstrom für die Wärmepumpen. Wärme- und elektische Energie werden vollständig innerhalb des kalten Nahwärmenetzes genutzt. Darüber hinaus bestehender Bedarf an elektischer Leistung wird aus dem öffentlichen Netz gedeckt. Der primäre Energie-Wert der 58 Häuser liegt zwischen 14,6 - 16,9 kWh/ (m 2 / a). Ein ep-Wert von 0,42 ermöglicht die Förderung als „Effizienzhaus 40“. Mit rund 5000 - 7000 EUR pro Haus sind die Investitionskosten für das Eis-Energiespeichersystem vergleichsweise günstiger als etwa für eine Geothermie-Anlage, die in Trinkwasser-Schutzzonen zudem ein Risiko darstellen kann. Der Startschuss für das Konzept zur Erschließung des Neubaugebiets in der Berghausener Region fiel im Jahr 2014. Ende August 2016 erfolgte die Abnahme des Eis-Energiespeichersystems. Im zweiten Bauabschnitt werden 16 weitere Häuser gebaut und ebenfalls an das kalte Nahwärmenetz angeschlossen. Auf Bild 3 ist die Anordnung der Gebäude und des Eisspeichers zu sehen, Bild 4 zeigt die Bauphase. Bewährtes übertragen Nach der Inbetriebnahme des kalten Nahwärmenetzes im Baugebiet Blumentopf wird es - im privaten Wohnbereich - deutschlandweit das größte seiner Art sein. Aufgrund seiner Innovationskraft und der Übertragbarkeit auf ähnliche Bauvorhaben, stößt das Projekt sowohl in den Medien als insbesondere auch bei Stadtwerken anderer Städte und Gemeinden auf großes Interesse. Um sich für die Zukunft zu wappnen, führt für die Grundversorgung der Bürger kein Weg vorbei an innovativen, gerade auch in stark bebauten Gebieten einsetzbaren Lösungen mit regenerativer Energie im Fokus. Insgesamt sind in Deutschland und den angrenzenden Nachbarländern etwa 120 Eis-Energiespeicher-Anlagen in Betrieb. Dabei wurden ganz unterschiedliche Konzepte umgesetzt, um die jeweils projektspezifisch vorhandenen Energiequellen auszuschöpfen. LITERATUR [1] European Climate Foundation (2010): Roadmap 2050: a practical guide to a prosperous, low-carbon europe. http: / / w w w.ro a dmap20 5 0 .eu / pro ject/ roadmap-2050 [2] Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2016): Energiedaten: Gesamtausgabe. http: / / bmwi.de/ BMWi/ Redaktion/ PDF/ E/ energiestatistiken-gr afiken,property=pdf,bereich= bmwi2012,sprache=de,r wb=t rue.pdfhttp: / / bmwi.de/ BMWi/ Redaktion/ PDF/ E/ energiestatistiken-grafiken,property=pdf ,bereich=bmwi2012,sprache=d e,rwb=true.pdf [3] Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (2015): Investitionsförderung - Wärmepumpen mit verbesserter Systemeffizienz. http: / / www.bafa.de/ bafa/ de/ energie/ erneuerbare_ energien/ waermepumpen/ publikationen/ merkblatt _wpinno_systemeffiz.pdf [4] Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (2015): Förderübersicht Wärmepumpe. http: / / w w w.bafa.de/ bafa/ de/ energie/ erneuerbare_energien/ waermepumpen/ publikationen/ wp_foerd_uebersicht.pdf AUTORIN Jana Dietz Marketingmanagement Viessmann Eis-Energiespeicher GmbH Kontakt: j.dietz@eis-energiespeicher.com Bild 4: Aushub für den zentralen Energiespeicher. © Viessmann QR Code scannen und Videos zum Eis- Energiespeichersystem auf YouTube ansehen: 28 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Über den regenerativen, subventionierten Strommarkt wird täglich in den Medien berichtet. Der Wärmemarkt in Deutschland spielt bei den Diskussionen zur Energiewende dagegen eine untergeordnete Rolle - zu Unrecht. Die Energiequelle Abwasser, im EEWärmeG des Bundes nur als Ersatzmaßnahme eingestuft, wird nun allerdings von der Politik, den Planern, Energieversorgern und Energienutzern als ökologische und ökonomische Energiequelle entdeckt. So hat Baden-Württemberg in seinem integrierten Energie- und Klimaschutzkonzept (IEKK) die Energiequelle Abwasser fest verankert. Auch die Möglichkeit, nicht nutzbare industrielle Abwärme über das Kanalnetz verwendbar zu machen, ist erwähnt. Solarparks, Windräder und Biogasanlagen sind die Schlüsselbausteine im regenerativen Strommarkt. Ihre Projektierung wird jedoch immer mehr durch Bürgerbegehren und langwierige Genehmigungsverfahren im Rahmen des Natur- und Artenschutzes erschwert. Die unscheinbare, aber große Energiequelle Abwasser hingegen befindet sich zum Greifen nahe, allerdings bisher unerkannt im Untergrund. Wärmeüber trager, Voraussetzung um diesen Energieschatz zu heben, können für den Bürger unsichtbar im Kanalnetz installiert werden. Anwohner werden durch den Betrieb dieser Technik nicht gestört, das Stadtbild wird nicht verändert und die Natur nicht beeinträchtigt [1]. Wärmerecycling aus Abwasser Energiewende: Großes Potenzial bei Abwärmenutzung Klaus W. König Mit moderner Wärmeübertrager- und Wärmepumpentechnik kann dem Abwasser Wärme entnommen und nutzbar gemacht werden. Da Abwasser Sommer wie Winter relativ konstante Temperaturen aufweist, ist es für den Betrieb einer Wärmepumpe gut geeignet. Siedlungen mit zentraler Wärmeversorgung, Mehrfamilienhäuser und kommunale Gebäude bieten ideale Voraussetzungen, die so gewonnene Abwärme effizient zu verwenden. Wärmeübertrager aus meterlangen Elementen auf der Sohle des vorhandenen Kanals. Montage während der Nacht, mit engem Zeitfenster wegen begrenzter Rückstaumöglichkeit des Abwassers. © Uhrig 29 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Verbund Abwasserwärmenutzung Im Auftrag des Umweltbundesamtes ermittelt inzwischen die Themenallianz Abwasserwärmenutzung (AWN) das MarktPotenzial durch einen eigenen Arbeitskreis. Zu diesem gehören das Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) der Universität Stuttgart, Vertreter von Entwässerungsbetrieben sowie spezialisierte Ingenieurbüros mit jahrzehntelanger Erfahrung. Die Studie könnte bisherige Vermutungen der Themenallianz AWN bestätigen, nach denen sich rund 6- % aller Gebäude in Deutschland mit Abwasserwärme beheizen lassen. Die generierbare Wärmemenge entspricht laut deren Annahme rund 35-40 TWh/ a [2]. Unberücksichtigt sind dabei Einsatzmöglichkeiten im Zusammenhang mit Kläranlagen. Technikvarianten Kanalwärme ist Abwärme. Diese mit Priorität zu nutzen, scheint plausibel. Schließlich ist sie wie Solar- und Erdwärme ohnehin vorhanden. Abwärme muss nicht erzeugt, sondern nur nutzbar gemacht werden. Entscheidend für die bestmögliche Effizienz ist die Auswahl der Systemkomponenten. Grundsätzlich muss die zurückgewonnene Wärme ohne große Verluste in die Haustechnik eingespeist werden. Bisher gebaute Anlagen unterscheiden sich unter anderem danach, wie nahe an der Wärmequelle die Rückführung stattfindet: Integrierter Wärmeübertrager in der Duschtasse. Im Gegenstrom wird das Trinkwasser auf dem Weg zur Brause damit erwärmt. Wärmeübertrager in der Technik zentrale / Grauwas seran lage integriert. Wasser und Wärme aus Dusche, Badewanne und Handwaschbecken werden im selben Gebäude wieder verwendet. Wärmeübertrager in der Technikzentrale/ Abwasserleitung integriert. Wärme aus dem häuslichen Abwasser wird im selben Gebäude wieder verwendet. Wärmeübertrager im öffentlichen Abwasserkanal versorgt die Wärmepumpe eines Gebäudes bzw. einer speziellen Siedlung. Wärmeübertrager und Wärmepumpe befinden sich im Gebäude, durch das ein Bypass des öffentlichen Abwasserkanals geführt wird. Systemlösungen in Stuttgart, Berlin und Frankfurt Seit 2010 bezieht die neu erstellte Siedlung „Seelberg-Wohnen“ in Stuttgart-Bad Cannstadt Wärme aus dem öffentlichen Abwasserkanal. Sechs Mehrfamilienhäuser mit 111 Eigentumswohnungen und 10 500 m² Gesamtwohnfläche sparen hier etwa 50 % Primärenergie bzw. CO 2 -Emissionen [3]. Die Ergebnisse sind in einer von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten Studie dokumentiert. Im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg ist seit Ende März 2012 die Grauwasser-Recyclinganlage mit vorgeschalteter Wärmerückgewinnung für ein Passivhaus mit 41 Mietwohn- und vier Gewerbeeinheiten fertiggestellt [4]. Nach Auswertung der ersten Betriebsergebnisse steht für Erwin Nolde, dem Planer der Anlage, fest: „Das Projekt zeigt, dass es möglich ist, mit einem elektrischen Gesamtenergieaufwand von max. 2 kWh aus einem Kubikmeter Grauwasser hochwertiges Betriebswasser herzustellen, in das Netz einzuspeisen und dem Grauwasser vorab noch 10 - 15 kWh thermische Energie zu entziehen.“ Der Anteil der Erneuerbaren Energien soll in der EU bis zum Jahr 2020 auf 20-% steigen und der Kohlendioxidausstoß bis zum Jahr 2050 um 80-% sinken. Der Wärmesektor verursacht etwa 50-% des Endenergiebedarfs in Europa, trotzdem konzentriert sich die Energiepolitik in den meisten EU-Mitgliedsstaaten bislang auf den Stromsektor. Quelle: G. Stryi-Hipp; Erneuerbare Energie 2012-01 Bild 3: Kosten der unterschiedlichen Wärmeerzeugung je kWh. In Blau die 4 Alternativen, ganz links die 2010 ausgeführte Version. Im Herbst 2012 erfolgte eine Betriebsoptimierung. Rechts in Rot der Zustand vor, in Grün nach Veränderung der Sollwerte. © EGS-plan POTENZIAL WÄRMERECYCLING Bild 1: Der Wärmebedarf der Neubausiedlung Seelberg- Wohnen in Stuttgart-Bad Cannstadt wird überwiegend aus Abwasserwärme gedeckt. © EGS-plan Bild 2: Kombination Gas-BHKW und Elektro-Wärmepumpe, Berechnung der Heizkennzahl. © EGS-plan 30 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Diese wird zur Vorerwärmung des kalten Trinkwassers genutzt, bevor es im Boiler auf etwa 60 °C erwärmt wird. Seit der Inbetriebnahme wird die Anlage von Nolde & Partner betreut. Die Entwicklung des Wärmerückgewinnungsmoduls und das Monitoring wurden von der DBU bezuschusst. Im Frankfurter Stadtteil Bockenheim entsteht in der Salvador-Allende-Straße seit Sommer 2014 ein Passivhaus als Neubau mit 66 Wohnungen und einer Kindertagesstätte. Hier wird die Wärmerückgewinnung aus dem Abwasser des Hauses als Maßnahme der energetischen Optimierung umgesetzt und erprobt. Aufbereitetes Grauwasser für die Toilettenspülung ist ein weiteres Thema. Es wird in der Hälfte des Gebäudes eingesetzt. Dieses Vorhaben wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert [5]. Es ist Teil des Forschungsvorhabens net- WORKS 3, mit dem Kommunen und Wasserwirtschaft bei der Organisation von Prozessen zur Umsetzung neuartiger Systemlösungen unterstützt werden sollen. Wasser- und Wärmerecycling gehört dazu. Abwasserkanal als Wärmeleitung Nicht nutzbare Abwärme aus Kraftwerken und Industriebetrieben wird bisher arglos an unsere Umwelt abgegeben. Damit werden auf Umwelt schädigende Art Atmosphäre sowie Gewässer aufgeheizt. Hierbei handelt es sich um ein gigantisches Abwärme- Potenzial, das ohne allzu großen Aufwand nutzbar gemacht werden kann. Die Idee: Überschüssige Energie aus Kraftwerken und Industrie wird gezielt an den Abwasserstrom abgegeben, über das vorhandene Kanalnetz transportiert und stromabwärts wieder zum Heizen von Gebäuden entnommen. Mit modernen Wehren zur Kanalnetzbewirtschaftung wird dieses Abwasser und der darin enthaltene Energiefluss bedarfsorientiert gesteuert und gelenkt. K a n a ln e t z b e w ir t s c h a f t un g heißt die neue Disziplin in der Abwasserbranche. Der punktuelle Wärmeentzug oder die systematische Nutzung als Abwärmestrom wird seit 2013 unter anderem beim jährlich stattfindenden, von der Technischen Akademie Hannover veranstalteten Branchentreff diskutiert [6]. Mögliche Folgen für den Kanalbetrieb und die Kanalisation sowie deren Vermeidung hatte Prof. Dr.-Ing. Karsten Körkemeyer von der TU Kaiserslautern im Blick, als er beim 2. Deutschen Kanalnetzbewirtschaftungstag am 1. Oktober 2014 in seinem Vortrag „Wärmerückgewinnung im Einklang mit der Netzbewirtschaftung“ auf die möglichen Auswirkungen erhöhter Temperaturen in Hybridnetzen zu sprechen kam. Das sind Kanalnetze, die mit Abwärme aus Kraftwerken oder aus der Industrie bewusst „aufgeladen“ werden, um einerseits die klimaschädigenden Auswirkungen von Kühltürmen auf die Atmosphäre zu vermeiden und andererseits die Abwärme in Fließrichtung weiter unten im Kanal zurückzugewinnen. Abwärme nutzen, Klima schützen Nach Körkemeyers Auffassung wäre eine dauerhafte Erhöhung der Temperatur auf 22 °C bei häuslichem Abwasser unschädlich. Nach seiner Meinung ließen sich Wärmepumpen bei höherem Wärmepotenzial im Kanal wegen der höheren Vorlauftemperaturen effektiver betreiben. Er plädierte dafür, die bauliche Sanierung von Kanälen mit dem Bild 7: Der Kanal als Wärmenetz mit Wehrtürmen zur Abwasserstromsteuerung. Überschüssige Energie aus gewerblichen Prozessen wird über Wärmetauscher in das Kanalnetz eingeleitet, transportiert und stromabwärts wieder zum Heizen von Gebäuden entnommen. © Uhrig Kanaltechnik Bild 4: Berlin-Prenzlauer Berg, Arnimplatz. Passivhaus als mehrgeschossiger Wohnungsbau mit 41 Mietwohn- und vier Gewerbeeinheiten. Architektur: Heinhaus. © König Bild 5: Grauwasserrecycling mit vorgeschalteter Wärmerückgewinnung. Ausführung: LOKUS, Betriebsbeginn 2012. © König Bild 6: Berlin-Prenzlauer Berg, Arnimplatz. Grauwasserrecycling mit vorgeschalteter Wärmerückgewinnung. Gefördert von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. © Nolde & Partner 31 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie 40 bis 50 Liter warmes Wasser verbraucht ein Deutscher im Durchschnitt pro Tag. Den größten Anteil daran haben Dusche und Bad sowie das Waschen. Und das ist teuer: Im Schnitt werden rund zehn bis zwölf Prozent der Energiekosten durch die Nutzung von warmem Wasser verursacht. Noch tiefer in die Tasche greifen müssen Verbraucher mit einer elektrischen Warmwassererzeugung. Sie geben mehr als das Doppelte für ihren Warmwasserverbrauch aus. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes betrifft das immerhin jeden vierten Haushalt. Dass so wenige Haushalte mit einem bewussten Warmwasserverbrauch versuchen, ihre Energiekosten zu senken, überrascht Florian Henle, Mitgründer des unabhängigen Ökoenergieversorgers Polarstern. „Eine Minute lang Warmwasser laufen zu lassen, verbraucht weitaus mehr Energie, als wenn eine Energiesparlampe eine Stunde lang leuchtet.“ Insgesamt entfällt im Vergleich zur Beleuchtung durchschnittlich das Doppelte an Energiekosten auf den Warmwasserverbrauch. Die Wirkung eines bewussten Warmwasserverbrauchs ist bei energetisch vorbildhaften Gebäuden sogar noch deutlicher als bei Altbauten. Bei einem Passivhaus benötigt die Warmwasserbereitung fast die Hälfte des Energieverbrauchs. Quelle: Polarstern GmbH 2014 Weitere Projekte und Informationen: www.energie-aus-abwasser.de Einbau von Wärmetauschern zu kombinieren und dadurch finanzielle Mittel besonders effizient zu verwenden. Dann wäre der volkswirtschaftliche Nutzen dieser Art von Energiegewinnung enorm. Körkemeyer verwies auf den 2011 veröffentlichten Arbeitsbericht „Nahwärmenetz Kanal“ von Fahl, U. et al., Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) der Universität Stuttgart. Diese Studie zeigt den Zusammenhang von Kläranlagen, geeigneten Abwasserkanälen, Industriegebieten und Gebieten mit hohem Wärmebedarf. Das Ergebnis offenbart, dass theoretisch mit der in unseren Kanälen vorhandenen Abwasserwärme bereits heute 8,9 % des deutschen Energiebedarfs für Raumwärme und Warmwasser gedeckt werden könnten. Zugleich würden damit 6,14 % der CO 2 -Emissionen privater Haushalte bzw. 0,76 % der gesamten deutschen CO 2 -Emissionen vermieden. Das sind immerhin 6,5 Mio. Tonnen. Durch die zusätzliche Einspeisung von Abwärme ließe sich laut Studie bei 35 °C Abwassertemperatur das Potenzial für die Wärmeversorgung aus Abwasser um den Faktor 3 auf 28 % steigern. Es sei genügend Abwärme aus Kraftwerken und Industrieprozessen vorhanden, um das hierfür nötige Wärmepotenzial im Abwasser zu erzeugen. Und bei der CO 2 -Einsparung handle es sich dann um 20,7 Mio. Tonnen, gleichbedeutend mit 19,46 % der Emissionen privater Haushalte bzw. 2,4 % des gesamten deutschen Ausstoßes. Die Studie schließt mit dem Hinweis, „durch Abwärmenutzung bleiben Wertschöpfung und Arbeitsplätze im eigenen Land“. Wahrscheinlich bleiben sie sogar in der eigenen Kommune. QUELLEN [1] ht tp: / / w w w.energie aus ab wasser.uhrig-bau.eu/ de/ [2] http: / / www.abwasserwaermenutzung.com/ [3] http: / / www.ikz.de/ nc/ heizung/ news/ article/ 50 -weniger-primaerenergie -mit-kanalwaermenutzung-0052469.html [4] http: / / www.nolde-partner.de/ node/ 32 [5] http: / / www.bmbf.nawam-inis. de/ de/ inis-projekte/ [6] http: / / w w w.netzbewirtschaftung.de/ LITERATUR DWA-Regelwerk: Merkblatt DWA- M 114. Energie aus Abwasser, Wärme und Lageenergie. (Hrsg.: ) DWA, Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. Hennef, Juni 2009. Energie aus Abwasser. Fachbuch aus der Reihe „gwf Praxiswissen“. (Hrsg.: ) Christine Ziegler, Band III. Oldenbourg Industrieverlag, München, 2011. Guigas, M.: Wärmeversorgung mit Wärmepumpe und Abwasserkanal-Wärmetauscher. DBU-Abschlussbericht zum Bauvorhaben Terrot-Areal in Stuttgart-Bad Cannstadt. EGS-plan Stuttgart, 2013. König, K. W.: Wasser und Wärme. Wärmerückgewinnung aus Grauwasser. In: Grauwassernutzung - ökologisch notwendig, ökonomisch sinnvoll. Fachbuch mit farbigen Abbildungen, 1. Auflage, 130 Seiten. Verlag iWater Wassertechnik, Troisdorf, 2013. Lang, J. et al: Info-Kompendium Abwasserwärmenutzung. Nachschlagewerk für Neueinsteiger und erfahrene Fachkräfte, entstanden unter der Schirmherrschaft des staatlich geförderten Netzwerks e.qua. Ein Arbeitsinstrument für Wasserwirtschaft, Behörden, Planer, Wohnungswirtschaft und Industrie. Trialog Verlag Berlin, 2012. Tatsache ist, dass wir im Alltag für warmes Wasser mehr Energie verbrauchen als für Beleuchtung, Unterhaltungselektronik und Kühlgeräte zusammen. Das hat Prof. Dr. Thorsten Staake, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik, im Bereich Energieeffiziente Systeme an der Universität Bamberg ermittelt. Insgesamt wurden die Daten von über 46 000 Duschvorgängen, bei 700 Haushalten in Zürich analysiert. Die Berechnungen seines Forscherteams ergaben, dass bei einem 4-minütigen Duschvorgang durchschnittlich 46 Liter Wasser genutzt werden, also etwas mehr als 11 Liter in der Minute. Der Warmwasserbedarf macht laut Staake mit durchschnittlich 2 000 Kilowattstunden im Jahr den zweitgrößten Posten im Energieverbrauch von Haushalten aus, nur übertroffen von der Raumheizung. Danach folgt mit 650 Wattstunden der Kühlschrank. Quelle: Otto-Friedrich-Universität Bamberg | Tanja Eisenach 2014 ZEHN PROZENT ENERGIE WERDEN FORTGESPÜLT DUSCHE IST NR. 2 BEIM ENERGIEVERBRAUCH Dipl.-Ing. Klaus W. König Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Bewirtschaftung und Nutzung von Regenwasser, Fachjournalist kwkoenig@koenig-regenwasser.de AUTOR 32 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Lücke geschlossen Die Autobahn A40 ist verkehrstechnisch betrachtet eine der Hauptschlagadern im Ruhrgebiet. Sie reicht über eine Strecke von etwa 100 Kilometern vom holländischen Venlo im Westen über Duisburg, Essen und Bochum bis nach Dortmund im Osten. Als „Stau-Hotspot“ ist sie über die Landesgrenzen von Nordrhein-Westfalen hinaus bekannt, denn für Güterverkehr und Pendler im Ruhrgebiet ist sie unverzichtbar. Allerdings gab es bis zum Jahr 2014 nur eine einzige Tank- und Rastanlage an dieser wichtigen Autobahn, und zwar in Fahrtrichtung Venlo. Erst im Herbst 2014 nahm die Raststätte Beverbach auf der anderen Seite der Autobahn, an der Grenze zwischen Bochum und Dortmund ihren Betrieb auf. Lob vom Bauherrn Aral: „Mit ihrem besonderen Design und dem innovativen Konzept ist die Tank- und Rastanlage in Beverbach eine der originellsten und modernsten Stationen ihrer Art in Europa“. Und in der Tat hat das Architekturbüro Manfred Beier ein innovatives Gebäude geschaffen, das mit Hilfe von Sonnenkollektoren, Photovoltaikmodulen und Dachbegrünung komplett energieneutral ist. Die Inneneinrichtung der Raststätte ist modern und überzeugt mit vielen ausgefallenen Ideen. Der äußere Erholungsbereich mit Spielplatz liegt abgewandt von Grüne Welle an der A40 Begrüntes Schrägdach der Raststätte Beverbach Jürgen Quindeau Dachbegrünungen auf flachen Dächern sind in der modernen Architektur schon fast normal. Bei steilen Dächern üben sich immer noch zu viele Bauherren und Architekten in großer Zurückhaltung. Im Auftrag der Aral Aktiengesellschaft entwarf der Architekt Manfred Beier couragiert ein als Welle geschwungenes und begrüntes Dach für eine Raststätte. Die Mannschaft von GRÜN+DACH konnte unter Beweis stellen, dass es auf grünen Dächern auch mal schräg zugehen kann. Die passende Technik dafür lieferte ZinCo mit dem Systemaufbau „Begrüntes Schrägdach“. Bild 1: Die Raststätte Beverbach an der A40 bei Bochum beeindruckt mit ihrem extravaganten Dach mit „Grüner Welle“. © GRÜN+DACH / ZinCo (alle Bilder des Artikels) 33 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum der Autobahn. Die Raststätte ist schon von weitem gut sichtbar, denn zum Gebäudeensemble gehört auch der Nachbau eines 16 Meter hohen Förderturms mit zwei Aussichtsplattformen. Steiler als eine schwarze Piste Die „Grüne Welle“ beeindruckt mit ihrer geschwungenen Form und ihrer starken Neigung. Die Dachneigung erreicht im steilsten Abschnitt 32 Grad (63 %) und um das einordnen zu können, hilft der Vergleich zu alpinen Skipisten, die bereits ab 22 Grad (40 %) schwarz gekennzeichnet werden. Die Ausführung der Dachabdichtung und der Begrünung musste zwingend eng aufeinander abgestimmt werden. Der Bauherr vergab die anstehenden Arbeiten an die Firma GRÜN + DACH - einem Dachdecker-, Garten- und Landschaftsbaufachbetrieb. Dessen Fachleute modifizierten das Leistungsverzeichnis in Teilen und begannen im Juli 2014 mit den Abdichtungs- und Begrünungsarbeiten. Dachabdichtung mit Kunststoffbahnen Grundlage des Dachaufbaus sind sogenannte Sandwichelemente. Sie bestehen aus einem trapezprofilierten Flachdachsystem mit Dämmkern, das in Bauteilen von einem Meter Breite und Längen von bis zu dreizehneinhalb Metern auf eine vorher montierte Konstruktion aus gebogenen Leimbindern befestigt wurde. Die Außenhülle der Sandwichelemente besteht aus vollverzinktem Stahlblech. Um darauf die Lagesicherung der Dachabdichtung zu gewährleisten, wurde zuerst ein Haftvermittler vollflächig auf die Metalloberfläche aufgetragen. Die einlagige, wurzelfeste Dachabdichtung mit Bahnen aus Ethylen- Vinylacetat-Terpolymer (EVA) mit unterseitiger Kaschierung aus Polyestervlies und Selbstklebeschicht wurde auf der Dachfläche vom First zur Traufe ausgerollt, ausgerichtet und dann durch das Herausziehen einer Trennfolie dauerhaft mit dem vorbereiteten Untergrund verklebt. Anschließend wurden alle Nähte durch Quell- oder Warmgasschweißen homogen geschlossen und nach erfolgter Nahtprüfung versiegelt. Gerade auf geneigten Dachflächen ist die Wurzelfestigkeit eine wichtige Eigenschaft, denn eine zusätzliche Wurzelschutzfolie, wie sie auf Flachdächern oft verwendet wird, ist auf geneigten Dächern nicht lagesicher zu verlegen. Nach Abdichtung der Fläche waren die Details an der Reihe: Neben dem Dachrand wurden Lüfter, Dacheinläufe, Kabeldurchführungen, Ständer für das Sicherungssystem und Konsolen für die Kollektoren fachgerecht an die Dachabdichtung angeschlossen, die Nähte wiederum kontrolliert und versiegelt. Besonders wichtig ist, dass die Nahtfügung bei einer Dachbegrünung in höchster Qualität ausgeführt wird, denn später eine Leckage zu orten und zu beheben, ist sehr aufwändig. Aus optischen Gründen war auf der Dachfläche kein Rand mit einer Kiesschüttung erwünscht, weshalb ein Winkelprofil aus Aluminium um fünfzig Zentimeter eingerückt und umlaufend, parallel zum Dachrand fixiert wurde. Das benutzte Dachtraufprofil DP- 120 aus Aluminium ist mehrfach gekantet und hat eine Höhe von 120 mm. Es ist mit Entwässerungs-Schlitzöffnungen ausgestattet und der Auflageschenkel ist für die Fixierung durch Aufschweißen von Folienstreifen auf der Dachabdichtung gelocht. Bild 2: Haftvermittler wurde aufgetragen und Abdichtungsbahnen wurden verlegt. Bild 3: Schubschwellen im Steilhang und Dachtraufprofil aus Aluminium als Randeinfassung Bild 4: Sorgfalt ist oberstes Gebot beim Eindichten der Schubschwellen. 34 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Schubschwellen gegen Abrutschen der Begrünung Zur Lagesicherung des Begrünungsaufbaus auf einer Gesamtlänge des Daches von ungefähr 25- Metern zwischen Traufe und First in der größten Ausdehnung und einem Höhenunterschied von 5,70 Metern müssen besondere Maßnahmen ergriffen werden. Im Vorfeld wurden verschiedene Möglichkeiten diskutiert - alternativ zwischen Aufhängen und Abstützen der Dachbegrünung. Die Entscheidung fiel schließlich zu Gunsten der Variante, bei der Schubschwellen den Begrünungsaufbau abstützen. Dazu wurden zuerst die anfallenden Lasten, die jeweils auf die Schubschwellen treffen, in Meterschritten ermittelt, danach die Dimension der Schwellen und deren Befestigung errechnet. Die unterste Schwelle sitzt bei 10-Grad Dachneigung, auf ihr lasten etwa 320 kg/ m im wassergesättigten Zustand. Auf der mittleren Schubschwelle bei 27 Grad liegen 455 kg/ m und auf der oberen bei 20 Grad rund 260 kg/ m. In der Folge wurde ein Konstruktionsvollholz (KVH) in einer Stärke von 6- x- 6- cm durch die Abdichtung in den Sandwichelementen mit Edelstahlschrauben 6,3 x 115 mm in einem Abstand von 25 cm verschraubt. Anschließend wurden die Schwellen mit Zuschnitten der Abdichtung eingefasst und mit der Flächenabdichtung homogen verschweißt. Die Baulänge der Schubschwellen ist auf maximal fünf Meter begrenzt, danach gibt es jeweils eine Unterbrechung, damit es oberhalb nicht zu einem Wasseranstau kommen kann, der sich im Vegetationsbild der Begrünung bemerkbar machen würde. Dachbegrünung in vier Schritten Im ersten Schritt der Begrünungsarbeiten wurde die Speicherschutzmatte SSM 45 über die gesamte zu begrünende Fläche verlegt, eine verrottungsfeste Fasermatte aus Polyester/ Polypropylen mit eingenadeltem Trägervlies. Dieses Geotextil funktioniert nicht nur als Schutzlage für die Dachhaut, sondern kann auch Wasser bis zu 5 L/ m² speichern. Darauf folgte in einem zweiten Schritt das Kernstück des Systemaufbaus „Begrüntes Schrägdach“: das schubabtragende Dränageelement Floraset FS 75, bestehend aus expandiertem Polystyrol-Hartschaum in einer Höhe von 75 mm, mit hohen Noppen zur Verzahnung des Vegetationssubstrats und zur Aufnahme des Substratschubs. Es verfügt über Wasserspeichermulden, Öffnungen zur Belüftung und Diffusion, sowie ein unterseitiges Mehrrichtungskanalsystem, um überschüssiges Regenwasser sicher abzuführen. Bei einem Eigengewicht von etwa 1- kg/ m² bietet es eine Druckbelastbarkeit von rund 25 kN/ m². Auf der „Grünen Welle“ stützen sich jeweils bis zu fünf Reihen bzw. fünf Meter dieser Dränageelemente auf die Schubschwellen. Auf Grund des „schwierigen Geländes“ wurden Fasermatte und Dränage Reihe für Reihe von unten nach oben verlegt, wobei gerade im steilsten Bereich mit großer Vorsicht agiert werden musste, um nicht mit allen Bauteilen nach unten zu rutschen. Das gilt natürlich erst recht beim Aufbringen des Dachsubstrates im dritten Schritt, das ebenfalls von der Traufe zum First hin aufgebracht wurde. Angeliefert im Silofahrzeug, wurde es mit Schläuchen auf das Dach geblasen, was mehr Personal erforderte als auf einem Flachdach. Bild 5: Speicherschutzmatte und schubabtragendes Dränageelement werden verlegt, der Bereich für die Sonnenkollektoren bleibt frei. Bild 6: Systemerde „Steinrosenflur“ wird auf das Dach geblasen. Bild 7: Die Vegetationsmatten werden im Randbereich angepasst. 35 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Bis zu fünf Dachgärtner bewegten den Förderschlauch über das Dach, um das Dachsubstrat gleichmäßig mit einer Menge von 100 L/ m² aufzubringen und zu planieren. Das verwendete Vegetationssubstrat „Steinrosenflur“ für extensive Dachbegrünungen besteht aus Recycling-Tonziegeln Zincolit und ausgesuchten mineralischen Zuschlagstoffen, angereichert mit Zincohum (Substratkompost und Faserstoffen). Es entspricht den Anforderungen der FLL-Richtlinien an Vegetationssubstrate für Extensivbegrünungen in Mehrschichtbauweise und den Vorgaben der Düngemittelverordnung. Es ist flugfeuerbeständig, frostbeständig und strukturstabil. Seine maximale Wasserspeicherkapazität beträgt rund 40 Vol.-% bei einem Volumengewicht von bis zu 1400 kg/ m³ in wassergesättigtem Zustand. Im vierten und letzten Arbeitsschritt brachten die Dachgärtner die Bepflanzung in Form von vorkultivierten Pflanzenmatten auf. Diese Vegetationsmatten wurden über eine Vegetationsperiode im Freien für die schnelle Flächendeckung, speziell auf Schräg- und Tonnendächern oder auf windexponierten Dachflächen, mit vier bis acht bewährten Sedum- Sorten auf einer Trägereinlage vorkultiviert. Das ist vergleichbar mit der Anzucht und Verwendung von Roll- oder Fertigrasen, nur dass die als Rollen gelieferten Pflanzenmatten in der Regel größer und schwerer sind. Die hier verwendeten Matten hatten eine Größe von 1,00 x 2,00 Meter mit einem Liefergewicht von etwa 40 kg pro Rolle. Sie wurden auf dem Dach dicht gestoßen verlegt, eine Arbeit, die wiederum im Steilhang besonders hohe Ansprüche an die Geschicklichkeit, Kraft und Standfestigkeit der Dachgärtner stellte. Mit der durchdringenden Startbewässerung wurden die Begrünungsarbeiten dann beendet und nach vier bis sechs Wochen waren die Pflanzenmatten schon gut im Substrat verwurzelt und zur Pflege begehbar. Der Systemaufbau „Begrüntes Schrägdach“ sorgt dauerhaft für Lagesicherheit und Pflanzenwachstum. Mehr Mut zu schrägen Dächern Die Raststätte Beverbach ist in der Tat innovativ und ihr Erscheinungsbild sehr markant. Nicht nur der ruhrgebietstypische Förderturm mit seinen Aussichtsplattformen, sondern auch die „Grüne Welle“, mit einer 590 m² großen Dachbegrünung auf der elegant geschwungenen Dachkonstruktion, tragen zu diesem Eindruck bei. Es ist zu wünschen, dass sich immer mehr Bauherren und Architekten an solche Dachformen herantrauen, denn erfahrene Dachgärtner haben die technischen Mittel und das Knowhow zur Umsetzung, sie warten nur darauf, dies auch anwenden zu können. Anhalten und Pause machen: Für Autofahrer, die auf der Autobahn A40 unterwegs sind, gibt es nun zumindest an der Raststätte Beverbach eine „Grüne Welle“. Bild 8: Die Anordnung der Schubschwellen erfolgte nach genauer Berechnung. Bild 9: Systemaufbau „Begrüntes Schrägdach“ • Vorkultivierte Vegetationsmatten • Systemerde „Steinrosenflur“ • Floraset FS 75 • Speicherschutzmatte SSM 45 • Dachaufbau mit wurzelfester Dachabdichtung Bauprojekt: Dachabdichtung und Dachbegrünung der Raststätte Beverbach Ausführung: GRÜN+DACH, Jürgen Quindeau, Heiligenhaus Bauherr: Aral Aktiengesellschaft, Bochum Bauzeit: Juli - September 2014 Dachfläche: ca. 590 m² Architekten: Manfred Beier, Bad Hersfeld Dachkonstruktion: Pinschmidt GmbH & Co KG, Dörpen Dachabdichtung: alwitra GmbH & Co., Klaus Göbel, Trier Begrünungsaufbau: Systemaufbau „Begrüntes Schrägdach“ ZinCo GmbH, Nürtingen PROJEKTDATEN RASTSTÄTTE BEVERBACH Dipl.-Ing. Jürgen Quindeau Grünplanung + Dachdecker ZinCo GmbH Kontakt: info@zinco-greenroof.com AUTOR Neigung bis 32° SCHUBSCHWELLE SCHUBSCHWELLE SCHUBSCHWELLE Anordnung der Schubschwellen 36 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Doch wohin wird sich die digitale Technologie entwickeln und welche Konsequenzen hat dies für Organisationen und Menschen? Ansatzpunkte dazu finden sich vorwiegend im Bereich der Industrie. In zahlreichen Berichten und Studien unter dem Begriff Industrie 4.0 wird versucht, die Digitalisierung fassbar zu machen und mittels Prognosen die weiteren Entwicklungen abzuschätzen. Je nach Studie wird Deutschland in Sachen Digitalisierung bereits als abgehängt bewertet, die anstehende digitale Revolution würde keinen Stein mehr auf dem anderen lassen oder aber man erwartet, dass nahezu 50 % der derzeitigen Arbeitsplätze verschwinden werden. Auf der anderen Seite traut man Deutschland als führender Nation im Anlagen- und Maschinenbau auch eine führende Rolle bei der Digitalisie- KOMMUNAL 4.0 Wie die Digitalisierung in kommunalen Infrastrukturen wie der Wasserwirtschaft gelingen kann Wasserwirtschaft, Infrastruktur, Digitalisierung, KOMMUNAL 4.0 Günter Müller-Czygan, Lisa Becker Experten der Wasserwirtschaft sehen in den anstehenden digitalen Entwicklungen zur Bewirtschaftung komplexer kommunaler Infrastrukturen eine bevorstehende Revolution [1]. In einer Branche, die langfristig plant und technische Anlagen für Jahrzehnte dimensioniert und baut, erscheint der Begriff Revolution auf den ersten Blick deplatziert. Ist mit diesen und ähnlichen Expertenaussagen wirklich eine radikale und abrupte strukturelle Veränderung innerhalb eines kurzen Zeitraums gemeint? Und ist man als Marktteilnehmer nur passiver Zuschauer, wie dies in Revolutionen üblicherweise der Fall ist? Mit einer Revolution vergleichbar sind sicherlich die massiven technischen und organisatorischen Veränderungen, die mit der Digitalisierung im Ergebnis zu erwarten sind. Der Weg dorthin wird aber voraussichtlich evolutionär, also schrittweise erfolgen. Es besteht auch die Möglichkeit der aktiven Gestaltung, sofern die Weichen hierfür rechtzeitig gestellt werden und die bislang abwartende Haltung aufgegeben wird. Bild 1: Industrie/ Kommunal - Digitalisierung von Wertschöpfungsprozessen. © HST Systemtechnik GmbH & Co. KG 37 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen rung im Fertigungssektor zu. Keines der bisherigen Industrieszenarien, die medienwirksam der Öffentlichkeit präsentiert wurden, taugt hingegen dazu, eine wie auch immer aussehende Strategie auf Sektoren der kommunalen Infrastruktur zu übertragen. Vielen kommunalen Entscheidern ist deshalb nicht wirklich klar, was auf ihre Organisationen zukommt und mit welcher Strategie sie in die nächsten Jahre oder Jahrzehnte gehen sollen. Werden tatsächlich bis zu 50 % der Berufsbilder auch in der kommunalen Infrastruktur überflüssig? Oder bleiben kommunale Organisationen als Teil der staatlichen Aufgaben verschont und dadurch nahezu alles beim alten? Selbst innerhalb der kommunalen Infrastruktursektoren sind die Rahmenbedingungen und Anforderungen unterschiedlich. Auch hier wird es schwierig, Best-Practice-Beispiele eins zu eins von einem in den anderen Sektor zu übertragen. Wo stehen Industrie, Städte und Kommunen in Sachen Digitalisierung wirklich? Zusammenfassend kann man sagen, dass sowohl im industriellen Umfeld als auch im kommunalen Bereich mit Hilfe der Digitalisierung Wertschöpfungsprozesse verbessert werden sollen, um beispielsweise Effizienzsteigerungen, Einspareffekte, die Erzielung von Mehrwerten, Qualitätssteigerungen sowie ein Mehr an Sicherheit zu erreichen. Steht auf industrieller Seite in erster Linie der Unternehmens-, also der Aktionärs-Profit im Fokus, wäre ein mögliches Pendant auf kommunaler Seite der Bürger-Profit z.B. durch Reduzierung von Ausgaben und durch Haushaltssicherung, um Abgaben zu reduzieren oder kommunale Leistungen auszubauen. Beide Seiten erhoffen sich durch die Digitalisierung eine Sicherung der Zukunft. Für die Industrie geht es dabei um erhöhte Wettbewerbsfähigkeit und damit um Existenzsicherung. Die Kommunen wollen die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben absichern, das Vertrauen gegenüber den Bürgern steigern und letztendlich die eigene Attraktivität erhöhen, um Abwanderungen zu vermeiden oder den Zuzug neuer Bürger zu erreichen. Obwohl insgesamt ein hohes Wachstumspotenzial durch die Digitalisierung erwartet wird, rechnen die meisten Unternehmen mittelfristig mit hohen Investitionskosten. Der erforderliche Return on Invest wird erst nach 5-10 Jahren erwartet. Das schreckt insbesondere viele kleine und mittlere Unternehmen davon ab, sich aktiv einer digitalen Zukunftsstrategie zu widmen [2]. Wie sieht es in den Städten und Kommunen in Sachen Digitalisierung aus? Laut einer aktuellen VDI-Studie [3] ist zu erkennen, dass derzeitige und zukünftige Aufgabenschwerpunkte im Bereich der öffentlichen Infrastrukturen gesehen werden. Neben Verkehr und Liegenschaften zählt die Wasserver- und Abwasserentsorgung zu den wichtigsten Aufgabenbereichen. Da bei Planung und Betrieb Daten eine immer größere Rolle spielen, wurde auch nach der Auseinandersetzung mit Themen zur Digitalisierung gefragt. Hier sehen sich gerade mal ein Drittel der Kommunen gut vorbereitet. Und wie auch bei den Unternehmen werden die für die Digitalisierung erforderlichen Investitionen als wesentliche Hürde angesehen und nicht etwa rechtliche oder technische Fragen. Die Wasserwirtschaft und das Zeitalter der Digitalisierung Die Lösung der Aufgaben in der kommunalen Wasser- und Abwasserwirtschaft erfordert seit Jahrzehnten eine hohe mentale und technische Flexibilität sowie umfangreiche Informationen. Daten wie beispielsweise der Niederschlag, geo- und raumbezogende Werte, Bevölkerungszahlen und zunehmend prozessbezogene Daten bilden die Grundlage, um zentrale und dezentrale Anlagen und Objekte planen, bauen und betreiben zu können. Lösungen zur Fernwartung oder mobile Wartungsgeräte sind schon seit vielen Jahren im Einsatz, genauso wie die Verwendung zentraler Datenauswertungen oder komplexer Prozessleitsysteme, die dezentrale Einheiten zusammenführen und per App bedienbar machen. „Abwasser 4.0“ und „Wasser 4.0“ sind in der Wasserwirtschaft mittlerweile präsente Begriffe und bezeichnen die prozess- und datentechnischen Möglichkeiten zur effizienten Steuerung von Bauwerken und Netzen [4, 5]. Beim Förderprojekt „KOMMUNAL 4.0“ [6] geht man darüber hinaus und ergänzt die technischen Möglichkeiten um organisatorische Fragestellungen, Finanzaspekte sowie die Entwicklung von Serviceanwendungen und den zugehörigen digitalen Geschäftsmodellen unter Berücksichtigung der Kundenanforderungen. Die kommunale Wasser- und Abwasserwirtschaft ist damit in Sachen Digitalisierung bereits gut aufgestellt. Was fehlt, sind detaillierte Orientierungsleitlinien, Best-Practice-Beispiele oder Beratungsangebote für die weiteren Digitalisierungsschritte hin zu einer übergeordneten effizienten Netzbewirtschaftung. Laut Lisa Becker kommen drei generelle Umsetzungsmöglichkeiten in Frage [7], deren soziale und wirtschaftliche Relevanz jeweils für den Einzelfall zu beleuchten sind: 1. Keine Veränderung des Status Quo 2. Teilumstellung in kleinen Schritten 3. Komplettumstellung in einem Zug 38 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Jede dieser Handlungsmöglichkeiten bringt sowohl Chancen als auch Risiken mit sich, die im Folgenden für die kommunale Wasserwirtschaft betrachtet werden. Entscheiden sich Kommunen bzw. kommunale Betreiber für die erste Handlungsmöglichkeit und behalten den Status-Quo bei, wird dies kurzfristig Ausgaben vermeiden z.B. durch Wegfall von Anschaffungskosten für neue Technologien. Mittel- und langfristig führt dieser Weg jedoch zu einer nachteiligen betrieblichen Ineffizienz sowie zu mangelnder Anpassungsfähigkeit an Veränderungen wie beispielsweise den Klima- oder demografischen Wandel. Zielkonflikte hinsichtlich der Aufgabenprioritäten gemäß der bereits erwähnten VDI-Studie [3] sind dadurch zu erwarten. Wird irgendwann auch noch der bislang bestehende politische Schutz vor privater Konkurrenz aufgehoben (z.B. wird auf EU- Ebene seit Jahren um die Privatisierung der Wasserversorgung gestritten [8]), führt die vernachlässigte Beachtung der Digitalisierung zu einem wesentlichen Konkurrenznachteil gegenüber privaten Anbietern. Als zweite Handlungsoption kommt die Teilumsetzung der Digitalisierung in einzelnen Schritten in Frage (z.B. „10 Schritte zu KOMMUNAL 4.0“ [9]). Hierbei werden einzelne, lokal begrenzte Digitalisierungsmaßnahmen z.B. durch Ersatz alter Maschinen gegen neue, vernetzungsfähige Komponenten im Zuge von Wartungen, Reparaturen oder Sanierungen durchgeführt. Zusätzlich lassen sich weitere technische Voraussetzungen im IT-Bereich schaffen, indem beispielsweise bisherige manuelle Betriebsaufzeichnungen durch Softwaresysteme ersetzt werden. Die Anschaffungskosten verteilen sich somit auf mehrere Jahre und die Mitarbeiter erhalten die Chance, sich mit den neuen Anforderungen und Tätigkeiten Zug um Zug vertraut zu machen. Beim Bau von Neuanlagen wird ausschließlich die „neue Technologie“ eingesetzt. Bei allen Maßnahmen ist auf eine zukünftige globale Vernetzungsfähigkeit zu achten. So findet eine sukzessive Einführung der Digitalisierung statt, die über mehrere Jahre hinweg in eine komplette Umrüstung mündet. Als dritte Handlungsmöglichkeit steht die direkte Komplettumstellung zur Diskussion. Diese würde auf Seiten der Kommunen eine starke finanzielle Belastung bedeuten mit der Konsequenz, dass es in vielen Fällen zu einer enormen Verschuldung des kommunalen Haushalts kommt. Dabei ist nicht zu erwarten, dass in absehbarer Zeit die Schulden durch Effizienzgewinne der Digitalisierung infolge technischer Vorteile wieder ausgeglichen werden. SEHEN INFORMIEREN ERFASSEN LERNEN REINIGEN Bild 2: 10 Schritte zu KOMMUNAL 4.0 . © HST Systemtechnik GmbH & Co. KG Bild 3: Vernetzungsstrategie mit Intelli-Systemen am Beispiel der Reinigung von Regenbecken. © HST Systemtechnik GmbH & Co. KG 39 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Im Gegensatz zur Industrie hat die Kommune aufgrund rechtlicher Rahmenbedingungen nicht die Möglichkeit, durch Digitalisierung kompensierte personalintensive Tätigkeiten mittels Personalabbau wirksam umzusetzen. Da Entlassungen nicht ohne weiteres möglich sind, müssen Kommunen in „überflüssiges“ Personal investieren (Umschulungen), was zusätzliche Kosten verursacht. Infolge des hohen Bestands kapitalintensiver Objekte und Anlagen mit teilweise jahrzehntealten Ausrüstungen ist eine komplette Digitalisierung in kurzer Zeit nahezu ausgeschlossen. Neben den finanziellen Konsequenzen einer umfassenden Umstrukturierung mit dem Ziel der vollständigen Automatisierung spricht gegen diese Handlungsalternative, dass sie auch aus sozialer Perspektive kritisch einzustufen ist. So erscheint die zweite Handlungsmöglichkeit einer schrittweisen Teilumsetzung für den kommunalen Sektor die empfehlenswerte Strategie zu sein. Im Vergleich dazu stellt diese Variante für die Industrie kaum den passenden Weg im Zuge der Digitalisierung dar, um im Markt des schnellen technischen Wandels sowie der zunehmenden Anzahl alternativer Geschäftsmodelle bestehen zu können. Die zweite Handlungsmöglichkeit erscheint für den kommunalen Sektor auf den ersten Blick eine Fortführung der vergangenen schrittweisen Vorgehensweise, aber die bisherige lineare Entwicklung wird sich in Teilbereichen zunehmend in eine exponentielle Richtung beschleunigen und damit auch im kommunalen Sektor Anpassungsveränderungen notwendig machen. Schrittweise in die Digitalisierung starten Selbst wenn noch keine umfangreichen Bestandsanalysen oder digitalen Strategien vorliegen, gibt es für die Wasserwirtschaft schon heute technische Möglichkeiten, durch den Einsatz sogenannter Intelli-Systeme erste Schritte der Digitalisierung zu gehen [10]. Intelli-Systeme arbeiten zwar autark, bilden aber jetzt schon entscheidende Knotenpunkte einer modernen Vernetzungsstrategie, wenn sie sich in Zukunft über das Internet mit zentralen Daten- und Serviceplattformen verbinden und so zusätzliche Daten erhalten, um damit ihre Funktionen zu erweitern. Zudem vernetzen sie sich auf Basis hochaufgelöster Umgebungsdaten miteinander und bilden damit die Grundelemente eines hoch flexiblen und effizienten Netzmanagements. Ihre Funktionalität bleibt auch bei einer Integration in ein webbasiertes Umfeld eigenständig. Dies soll am Beispiel der Reinigung von Regenbecken mittels intelligenter Strahlreinigung verdeutlicht werden. Beckenreinigungen erfolgen neben Schwallspüleinrichtungen wie Spülkippen, Spülklappen vermehrt mit Strahlreinigern. Nach Ende eines Regenereignisses werden die in den Becken aufgestellten Strahlreiniger bei fallender Wasserspiegeltendenz aktiviert und halten den umgebenden Wasserkörper mittels Wasserstrahlpumpenprinzip in Bewegung. Dieser Vorgang bewirkt eine Remobilisierung der Feststoffe bzw. es wird deren Absetzen verhindert. Bei der Entleerung des Speicherbauwerkes werden die in Schwebe gebrachten bzw. gehaltenen Stoffe mit dem Abwasservolumenstrom in Richtung Kläranlage ausgetragen und der Schmutzübertritt in ein Gewässer wird so vermieden. Bisherige Maschinenauslegungen erfolgen für einen maximalen Betriebsfall, so dass die Aggregate im Einsatzfall immer mit maximaler Leistung betrieben werden und zwar ungeachtet der tatsächlich vorhandenen Verschmutzung. In Kombination mit moderner Kameratechnik und intelligenter Steuerungssoftware entsteht aus dem schwenkbaren Strahljet eine smarte Maschine mit sogenannter IntelliGrid-Funktion. Die Kamera erkennt anhand einer speziellen Mustererkennung, wo sich auf der Beckensohle noch Ablagerungen befinden. So wird im nächsten Arbeitsschritt nur dort der Wasserstrom hingeführt, wo auch tatsächlich eine Verschmutzung vorliegt. Kann keine Kamera eingesetzt werden, hat das Betriebspersonal die Möglichkeit, die Reinigungsergebnisse auf einem Panel einzugeben und im System zu dokumentieren. Die Strahljets sind dann bei allen nachfolgenden Reinigungsvorgängen nur dort aktiv, wo tatsächlich noch Ablagerungen vorhanden sind. Damit kann die Reinigungseinrichtung bedarfsorientiert und äußerst effizient betrieben werden. Durch die intelligente Situations- und Mustererkennung entsteht ein optimales Verhältnis zwischen Ressourceneinsatz und Reinigungsergebnis. In einem zukünftigen Schritt kann die smarte Maschine z.B. mit Niederschlagsprognosen oder Kapazitätsdaten einer Kläranlage über eine Plattform verbunden werden, so dass die Maschine noch effizienter betrieben werden kann. Angesichts der verschiedenen, teilweise parallel verlaufenden Entwicklungen bezüglich Technologie, Organisation, Finanzen usw. sind mehr und mehr generalistische Kompetenzen gefragt, die auf Seiten der kommunalen Organisationen aufzubauen oder extern zu engagieren sind. Diese Experten müssen in der Lage sein, insbesondere auf die digitale Zukunftsfähigkeit heutiger Ausrüstungskomponenten und -lösungen zu achten, damit eine schrittweise Digitalisierung in die richtige Richtung gelenkt wird und Fehlentwicklungen vermieden werden. 40 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Förderprojekt KOMMUNAL 4.0 - erst einmal den Ernstfall testen Die Digitalisierung wird die kommunalen Infrastrukturen und damit auch die Wasserwirtschaft vollständig durchdringen, daran zweifelt kaum ein Branchenkenner. Es fehlen allerdings noch Leitfäden oder Best-Practice-Beispiele, die einer wirksamen Orientierung dienen. Das Förderprojekt KOMMUNAL 4.0 [11] sowie der daraus entstandene Verein KOMMUNAL 4.0 e.V. [12] erarbeiten solche Hilfen. Das vom BMWi geförderte Kooperationsvorhaben widmet sich neben technischen Lösungen auch organisatorischen, rechtlichen und IT-sicherheitsrelevanten Fragen. Dazu bietet das Projekt die seltene Gelegenheit, neue Entwicklungen in Zusammenarbeit mit Kommunen unter kontrollierten Bedingungen am Realobjekt zu erproben. Hierzu haben sich mittlerweile zahlreiche Kommunen bzw. kommunale Organisationen als sogenannte assoziierte Partner zur Projektmitarbeit bereit erklärt und garantieren damit, dass diese neuen Technologien auch tatsächlich anwenderorientiert entwickelt werden. Weitere Teilnahmen sind noch möglich, interessierte kommunale Organisationen wenden sich an die entsprechenden Ansprechpartner. Der gleichnamige Verein stellt sicher, dass die Ideen und Ziele des Förderprojektes auch nach Projektende weiter verfolgt werden. Er wird zudem die Branchenteilnehmer aus Kommunen, Wissenschaft und Wirtschaft miteinander in den Digitalisierungsdialog bringen, für eine notwendige Wissensvermittlung sorgen und den Expertenaustausch unterstützen. LITERATUR [1] Interview: Wasser und Abwasser 4.0 - Prof. Paul Uwe Thamsen über aktuelle und zu erwartende Entwicklungen in der Wasserwirtschaft, Quelle: http: / / www. process.vogel.de/ prof-paul-uwe-thamsen-ueberaktuelle-und-zu-erwartende-entwicklungen-in-derwasserwirtschaft-a-535260/ [2] Industrie 4.0 Volks- und betriebswirtschaftliche Faktoren für den Standort Deutschland. Eine Studie im Rahmen der Begleitforschung zum Technologieprogramm AUTONOMIK für Industrie 4.0, Herausgeber BMWi, März 2015. [3] Das denken die deutschen Kommunen - Handlungsfelder heute und im Jahr 2030. Eine Umfrage unter (Ober-)Bürgermeister/ innen im Rahmen der VDI- Initiative Stadt: Denken, VDI 2016. [4] Wasser 4.0 - Broschüre zur Bedeutung der Digitalisierung und Automatisierung in der Wasserwirtschaft, German Water Partnership e.V. [5] R. Holländer: Daseinsvorsorge 4.0 - Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung in der Wasserwirtschaft (Wasser 4.0), WBR - BVÖD Jahrestagung 10. Februar 2016; Universität Leipzig. [6] G. Müller-Czygan, K. Strömer: Smarte Cities brauchen smarte Infrastrukturen - Förderprojekt KOMMUNAL 4.0 digitalisiert die kommunale Wasserwirtschaft. Transforming Cities, 2 (2016) S. 50-57. [7] L. Becker: Mehr Macht den Maschinen - Technischer Fortschritt und moralische Verantwortung im Kontext des Projektes „Kommunal 4.0“, Masterarbeit an der Fakultät für Philosophie und Erziehungswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum, 2016. [8] h t t p : / / w w w . f r o n l i n e . d e / w i r t s c h a f t / e u p a r l a m e n t s t r e i t u m w a s s e r p r i v a t i s i e rung-,1472780,31747884.html [9] w w w. h s t .d e / t h e m e n w e lt / t h e m a / n e w s / d e t a il / News/ 10-schritte-zu-kommunal-40.html [10] G. Müller-Czygan, C. Becker: „Mit smarten Maschinen in die digitale Wasserwirtschaft starten“, Zeitschrift Wasser und Abfall, 9 (2016). [11] www.kommunal4null.de [12] www.kommunal4nullev.de Dipl.-Ing. Günter Müller-Czygan Leiter M&A Objekte / KOMMUNAL 4.0 HST Systemtechnik GmbH & Co. KG, Meschede Kontakt: guenter.mueller-czygan@hst.de Lisa Becker Master of Arts an der Fakultät für Philosophie und Erziehungswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum Kontakt: lisa.wueste@rub.de AUTOREN Bild 4: Smarter Schwenkstrahlreiniger in einem Regenbecken. © HST Systemtechnik GmbH & Co. KG 41 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Zur Aufstellung einer optimierten Sanierungsstrategie wurden zunächst die verschiedenen möglichen Strategieansätze gemäß DWA-A 143-14 analysiert und daraus dann eine Kombination aus zustandsbasiertem, gebietsbezogenem und Substanzwertansatz entwickelt. Gerade für kleine und mittlere Kommunen kann aus dieser Kombination eine sinnvolle Sanierungsstrategie erarbeitet werden, die umweltrechtlichen, wirtschaftlichen und den Nachhaltigkeitsanforderungen gerecht wird. Zur Verifizierung der optimierten Strategie waren zum einen die langfristige Zustandsentwicklung und zum anderen die Kosten-, Vermögens- und Gebührenentwicklung zu betrachten. Hierfür bieten inzwischen Zustandsprognosemodelle eine wertvolle Unterstützung. Bei ihrer Anwendung können genauere und detailliertere Aussagen zur zukünftigen Entwicklung getroffen werden als mit rein statischen Betrachtungen. Allerdings erfolgen bei den bisher bekannten Modellierungen der Zustandsentwicklung die Alterung und der Sanierungseingriff eher kontinuierlich. Sie bilden damit den in der Realität vorhandenen 15-Jahres-Zyklus von Untersuchung und Sanierung gerade bei der gebietsorientierten Sanierung nicht ab, so dass es zu einer entsprechenden Verfälschung gegenüber der in der Praxis regelmäßig tatsächlich realisierten Sanierung kommen kann. Aus diesem Grund wurde in dem hier vorliegenden Forschungsprojekt eine sehr komplexe, detaillierte Modellierung gewählt. Für beide Modellkommunen wurden die Gebiete gemäß Inspektionsplan separat jeweils um 15 Jahre gealtert und die zeitlich ver- Nachhaltige Bestandserhaltung von öffentlichen Abwasseranlagen und ihre Refinanzierung Infrastruktur, Bestandserhaltung, Sanierungsstrategien, Finanzierung Thomas Wedmann, Michael Hippe Die Erhaltung des Bestandes unserer Abwasseranlagen ist inzwischen eine der zentralen Aufgaben der Abwasserbeseitigung. Die Optimierung der Bestandserhaltung, die zugehörige Finanzierung und insbesondere das Zusammenwirken aus beiden sind deshalb von großer wasserwirtschaftlicher und ökonomischer Bedeutung. Sie sind Thema des aktuell abgeschlossenen Forschungsprojektes NaBAR, welches gemeinsam durch die Hochschule Ruhr-West, die Technische Universität Dortmund, die Kommunal Agentur NRW und die Franz Fischer Ingenieurbüro GmbH unter Beteiligung der Kooperationspartner Stadtentwässerung Düren und Städtischer Abwasserbetrieb Leichlingen erarbeitet wurde. In diesem Artikel werden die Ergebnisse des Handlungsbereiches „Sanierungsstrategie und daraus resultierende Zustands- und Gebührenentwicklung“ vorgestellt. Bild 1: Modellierungsumsetzung. © Franz Fischer Ingenieurbüro GmbH Bild 2: Ereignisermittlung für jeden Kanal. © Franz Fischer Ingenieurbüro GmbH 42 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen setzte Bearbeitung von Inspektion und Sanierung in diesen Intervallen modelliert. Für den gewählten Betrachtungszeitraum von 90 Jahren waren somit für jede Modellierung insgesamt 90 Rechenläufe erforderlich. Im Ergebnis konnten die intervallartig vorliegenden Erkenntnisse und die daraus bedingten Sanierungsentscheidungen detailgetreu nachgebildet werden. Bei der Modellierung des Sanierungseingriffs wurde darauf geachtet, dass die wirtschaftliche Bild 3: Sanierungskosten Kanalnetz Düren und Leichlingen 2015 bis 2105. © Franz Fischer Ingenieurbüro GmbH Bild 4: Prognostizierte Entwicklung der Buchwerte der Kanalnetze von Düren und Leichlingen. © Franz Fischer Ingenieurbüro GmbH Sanierungsentscheidung für den jeweiligen Einzelfall im Vordergrund steht. Sie darf nicht durch den Strategieansatz überdeckt werden - pauschale Änderungen der Entscheidungsregeln, wie z. B. die Erhöhung des investiven Sanierungsanteils, werden diesem Anspruch nicht gerecht. Bild 1 zeigt die Modellierung von Alterung und Eingriff, in Bild 2 ist der Entscheidungsweg für den Sanierungseingriff dargestellt. Für die Modellierung des Alterungsverhaltens und des zutreffenden Sanierungseingriffs war neben der prioritätsorientierten auch eine substanzorientierte Zustandsklassifizierung erforderlich. Diese wurde mit dem Programm TPSanierung auf Basis des im DWA-Leitfaden zur strategischen Sanierungsplanung dargelegten Substanzklassifizierungsmodells vorgenommen. Für die Zustandsprognose wurde das Programm KanewZ eingesetzt. Dabei werden die Zustandsübergänge auf Basis eines Semi-Markov-Modells modelliert und die Zustandsverteilung auf Basis der GompertZ-Verteilung abgebildet. Für die Anwendung des Modells wurden die Zustandsübergangsfunktionen durch Parametrisierung und Stratifizierung kalibriert, wobei für die Stratifizierung die Kennwerte System, Tiefenklasse und Nennweite als signifikant herausgearbeitet wurden. Mit den Modellierungsergebnissen für die ungestörte Alterung konnten zunächst die angesetzten kalkulatorischen Nutzungsdauern von 75 Jahren für Düren und 71,5 Jahren für Leichlingen bestätigt werden. Mit Anwendung der optimierten Strategie erhöht sich die Gesamtnutzungsdauer schrittweise bis zum Ende des Betrachtungszeitraums auf 114 bzw. 118 Jahre. Damit wird ein direkter und wirtschaftlich notwendiger Beitrag zum Erhalt des Infrastrukturvermögens geleistet. Die erforderlichen Sanierungskosten bleiben dabei überschaubar (siehe Bild 3): Für das ältere Kanalnetz von Düren betragen die mittleren Kosten 43 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen 10 €/ m·a, für das jüngere Kanalnetz von Leichlingen 7 €/ m·a. Es ist davon auszugehen, dass bei Kanalnetzen im ländlichen Raum ohne größere Kernbereiche die Kosten noch niedriger liegen. Der Reparaturanteil bewegt sich im Mittel zwischen 20 % und 30 %. Auftretende Spitzen sowohl bei den Gesamtkosten als auch beim Reparaturanteil können ohne weiteres durch Verschieben in Folgejahre abgefedert werden. Ein zumindest nicht in dieser Höhe erwartetes Ergebnis der Prognose sind die fallenden Buchwerte. Während in Düren aufgrund des höheren Alters und des damit relativ gesehen deutlich niedrigeren Ausgangsniveaus die Abschreibungen nach etwa 26 Jahren durch die zunehmenden Investitionen kompensiert werden, fallen in Leichlingen die Buchwerte bis 2071 deutlich ab (siehe Bild 4). Die Entwicklung der Buchwerte vor allem in Leichlingen macht deutlich, dass die Formulierung eines abstrakten Ziels zum Erhalt des vorhandenen Anlagenwertes zu unsinnigen und entsprechend zu unwirtschaftlichen Investitionen führen würde, denn bei der hier vorgenommenen Modellierung wird die Sanierungsentscheidung immer streng nach Wirtschaftlichkeitsprinzipien getroffen. Die daraus folgende Entwicklung der aus den Kanälen resultierenden Gebührenanteile für die Modellkommunen Düren und Leichlingen ist in Bild 5 dargestellt. In Düren werden die mit den Restbuchwerten sinkenden Zinsen durch die aus der Investitionstätigkeit resultierenden Steigerung der Abschreibungen kompensiert, so dass der Verlauf der Realgebühren (ohne Preissteigerung) insgesamt konstant ist. Anders sieht es in Leichlingen aus: Hier können die mit den Buchwerten stark sinkenden Zinsen nicht in dem Maße kompensiert werden, so dass es zu real sinkenden Gebührenanteilen kommt. Daraus wird zum einen deutlich, dass die Anwendung der dargestellten optimierten Sanierungsstrategie gebührenverträglich und somit eine nachhaltige Bestandserhaltung finanziell darstellbar ist. Zum anderen muss zumindest für Leichlingen festgestellt werden, dass es in Zukunft zu einem sinkenden Kapitalrückfluss aus dem Kanal kommt. Da eine verstärkte Investitionstätigkeit zur Vermeidung dieses Rückgangs technisch/ wirtschaftlich nicht sinnvoll ist, sollten für eine stabile, nachhaltige Finanzierung andere Wege, wie z. B. die Zulässigkeit gebührenwirksamer Rückstellungen, ermöglicht werden. Bild 5: prognostizierte Entwicklung der Abschreibungen auf Wiederbeschaffungszeitwerte. © Franz Fischer Ingenieurbüro GmbH AUTOREN Dipl.-Ing. Thomas Wedmann Franz Fischer Ingenieurbüro GmbH Kontakt: thomas.wedmann@fischer-teamplan.de Dipl.-Ing. Michael Hippe Franz Fischer Ingenieurbüro GmbH Kontakt: michael.hippe@fischer-teamplan.de 44 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Relevanz der kleinräumigen Betrachtungsperspektive für die Wasserwirtschaft Die Zukunftsfähigkeit städtischer Wasserinfrastrukturen wird von verschiedenen Rahmenbedingungen beeinflusst. Neben der fortschreitenden Siedlungsflächenexpansion und dem Klimawandel, mit häufiger auftretenden Starkregenereignissen einerseits und länger andauernden Hitze- und Trockenperioden andererseits, übt insbesondere der demografische Wandel einen wesentlichen Handlungsdruck auf die bestehenden Infrastrukturen aus. Der Rückgang der Einwohnerzahlen, die Veränderung der Alters- und Haushaltsstrukturen sowie die Ausdifferenzierung der Lebensstile führen Langfristige Planung von Wasserinfrastrukturen - ein Plädoyer für die kleinräumige und integrierte Betrachtungsperspektive Demografischer Wandel, Wasserwirtschaft, Abwasserinfrastruktur, Stadtentwicklung, Strukturtypen, Modellierung Benjamin Scholz, Martin Schulwitz Die langfristige Planung von Wasserinfrastrukturen unterliegt den ambivalenten Herausforderungen des demografischen Wandels und des Klimawandels. Insbesondere auf kleinräumiger Betrachtungsebene besteht zusätzlicher Informationsbedarf. Als methodischer Zugang werden unterschiedliche Baustrukturtypen in einem Bevölkerungsentwicklungs- und Wasserinfrastrukturkostenmodell verwendet, um die kleinräumige (Kosten-)Entwicklung der Wasserinfrastruktur besser abschätzen zu können. Einige Modellierungsergebnisse werden exemplarisch dargestellt und die Relevanz einer integrierten Planung von Wasserinfrastrukturen und Stadtentwicklung erläutert. © pixabay 45 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen zu ambivalenten Entwicklungen, an welche die Wasserversorgungs- und Abwasserentsorgungssysteme angepasst werden müssen [1]. Insbesondere die Abwasserinfrastruktur ist von den Folgen des demografischen Wandels betroffen. Lange Abschreibungszeiträume der Kanalsysteme bedingen eine betriebswirtschaftliche Inflexibilität, die Netzstruktur führt zur technischen Pfadabhängigkeit. Zudem benötigen die meist verwendeten Freispiegelleitungen eine gewisse Mindestauslastung, damit ein störungsfreier Betrieb gewährleistet werden kann. Unter diesen Bedingungen reicht die übergeordnete Betrachtung der Bevölkerungsentwicklung für die genaue Abschätzung der konkreten Auswirkungen auf die lokale Wasserinfrastruktur nicht aus. Vor allem in Städten, wie beispielsweise Dortmund, ist der demografische Wandel auf kleinräumiger Betrachtungsebene gekennzeichnet durch ein direktes Nebeneinander von Bevölkerungswachstum und -schrumpfung. Insgesamt ist die Einwohnerzahl Dortmunds im Betrachtungszeitraum von 2004 bis 2013 um 0,5 % gesunken; sie stagnierte somit weitestgehend. Eine differenziertere Betrachtung auf Ebene der Statistischen Unterbezirke zeigt jedoch die kleinräumige Heterogenität der Bevölkerungsentwicklung auf (siehe Bild 1). Ein pauschaler Wachstums- oder Schrumpfungstrend ist nicht erkennbar. Tatsächlich grenzen Quartiere, die einen deutlichen Einwohnerrückgang von -8 % bis unter -3 % verzeichnen mussten, oftmals unmittelbar an Bezirke an, in denen die Einwohnerzahl um 8 % und mehr gestiegen ist. Für die Siedlungswasserwirtschaft ist diese kleinräumige Dynamik der Bevölkerungsentwicklung eine besondere Herausforderung, da die Effizienz der Abwasserinfrastruktur wesentlich von der Bevölkerungsdichte bzw. der Zahl der Nutzer abhängt. In wachsenden Quartieren führt dies z. B. zu einem weiteren Ausbau der bestehenden Leitungsnetze während in den Schrumpfungsräumen eine Unterauslastung infolge einer Überdimensionierung der Abwasserhaltungen droht. Daraus können sich Folgewirkungen für die Nutzer in Form von höheren Gebührensätzen ergeben. Bedingt durch die langen Abschreibungszeiträume, infolge von hohen Investitionskosten und angestrebten Nutzungsdauern der Infrastrukturen von bis zu 80 Jahren, ist die Kostenstruktur in der Abwasserwirtschaft gekennzeichnet durch einen hohen Fixkostenanteil von durchschnittlich 70 % bis 85 % [2]. Diese verbrauchsunabhängigen Kosten setzen sich größtenteils aus Kapitalkosten (Abschreibungen und Zinsen für Investitionen) und Personalkosten zusammen und ändern sich somit nicht im gleichen Maße, wie sich das Abwasseraufkommen verändert (Remanenzkosteneffekt, [3]). Die verbrauchsabhängigen Kosten machen demgegenüber nur einen geringen Anteil aus. Sie sinken jedoch ebenfalls in Folge von rückläufigen Nutzerzahlen nicht wesentlich, da bei Unterschreitung bestimmter Schwellenwerte zusätzlicher Wartungs- und Instandhaltungsaufwand in unterausgelasteten Netzabschnitten notwendig wird und sich Kläranlagen nicht stufenlos an veränderte Abwasseraufkommen anpassen können [3]. Insgesamt stehen Planungsakteure somit vor dem Problem, den statischen und netzgebundenen Infrastrukturbestand langfristig an ein dynamisches und in höchstem Maße durch Unsicherheiten geprägtes Umfeld anzupassen. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, Möglichkeiten und Instrumente zu entwickeln, mit deren Hilfe eine Modellierung der funktionellen und finanziellen Folgen des demografischen Wandels für die Wasserinfrastruktur auf kleinräumiger Ebene realisiert werden kann. Einwohner/ -innen am Ort der Hauptwohnng: Entwicklung 31.12.2004 - 31.12.2013 in Prozent unter -8 -8 bis unter -3 -3 bis unter 0 0 bis unter 3 3 bis unter 8 8 und mehr Datengrundlage: KOSTAT - Arbeitsgemeinschaft Kommunalstatistik, eigene Berechnung Geometrische Grundlage: Ortsteile/ Statistische Bezirke der jeweiligen Kommunen Dortmund (-0,5 %) Bild 1: Nebeneinander von Bevölkerungswachstum und -schrumpfung auf Ebene der Statistischen Unterbezirke in Dortmund (Quelle: eigene Darstellung) 46 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Strukturtypenmodell zur Vorausberechnung der Kostenentwicklung urbaner Abwasserinfrastruktur Einen geeigneten Zugang zur Modellierung grundsätzlicher Entwicklungstrends technischer Infrastrukturen auf Quartiersebene bietet der Strukturtypenansatz. Zentraler Bestandteil dieses Ansatzes ist die Übertragung von repräsentativen Bebauungs- und Nutzungsstrukturtypen (BNT) auf den zu modellierenden städtischen Raum. Bei den BNT handelt es sich um urbane Raumeinheiten die hinsichtlich ihrer baustrukturellen Eigenschaften eine größtmögliche Homogenität aufweisen [4]. Tabelle 1 illustriert auszugsweise fünf BNT mit spezifischen Kennwerten zum Versiegelungsgrad und zur Einwohnerdichte. Mit dem Modellansatz wird das Ziel verfolgt, die Kostenentwicklung der Abwasserinfrastruktur auf der kleinräumigen Ebene der BNT zu prognostizieren, um damit eine konkretere Informationsgrundlage für die langfristige und integrierende Planung von Wasserinfrastruktur- und Stadtentwicklung zu schaffen. Neben der (angebotsseitigen) Modellierung der Entwicklung der Wasserinfrastrukturen, enthält das Modell auch die (nachfrageseitige) Vorabschätzung der kleinräumigen Bevölkerungsentwicklung, jeweils berechnet anhand der spezifischen Charakteristika der BNT. Das Modell wurde im Rahmen des Forschungsprojektes „ZUKOWIS - Finanzierbare Zukunftsoptionen der kommunalen Wasserinfrastrukturen in Nordrhein-Westfalen“ entwickelt 1 . Die in diesem Beitrag dargestellten Ergebnisse entstammen der exemplarischen Modellierung für eine nordrhein-westfälische Mittelstadt. In dieser Kommune wurde ein Beispielquartier zur Modellierung ausgewählt, das eine große Heterogenität bezüglich der BNT und eine klare städtebauliche Abgrenzbarkeit aufweist. Spezifische Eigenschaften der BNT, die zur Modellierung herangezogen werden sind: Alter und Material der Kanäle, die Zahl und Altersstruktur der Einwohner sowie das lokal resultierende Abwasseraufkommen. Zur Modellierung der Betriebs-, Instandhaltungs- und Herstellungskosten wurden Realdaten zu BNT-spezifischen Kostenstrukturen analysiert und anhand von Literaturkennwerten auf Plausibilität geprüft. Das Modell setzt sich aus zwei Teilmodellen zusammen: in einem dreistufigen Bevölkerungsmodell können zunächst auf gesamtkommunaler Ebene anhand eines Kohorten-Komponenten Modells verschiedene Szenarien der Bevölkerungsentwicklung vorausberechnet werden. Anschließend erfolgt eine zweistufige Disaggregation der gesamtkommunalen Ergebnisse anhand von BNT-spezifischen Kennwerten sowie der optionalen Eingabe von Faktorenwerten (mögliches Einbringen lokalen Know-hows zu ortsspezifischen Gegebenheiten oder künftigen Entwicklungen). Ergebnis dieser Schritte ist die spezifische Einwohnerzahl und Altersstruktur für eine bestimmte Menge an BNT-Fläche, die zu Beginn in das Modell eingegeben wurde. Auch lässt sich aus diesen Ergebnissen die anfallende Abwassermenge abschätzen. Das zweite Teilmodell ist das Infrastrukturkostenmodell. Für die eingegebene Fläche eines bestimmten BNT kann anhand BNT-spezifischer 1 Das Projekt ZUKOWIS wurde im Auftrag der Stiftung Zukunft NRW durch das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI in Kooperation mit dem Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH und der Kommunal Agentur NRW sowie unter Beteiligung von drei Beispielkommunen in NRW zwischen 2013 und 2015 durchgeführt. 0 50 100 150 200 250 300 350 400 Mischbebauung freistehende Einfamilienhäuser dichte Ein- und Zweifamilienhausbebauung Mehrfamilienhäuser nach 1990 Geschosswohnungsbau in offener Baustruktur Zeilenbebauung 2015 2065 +46 % +282 % +92 % +26 % +3 % +174 % Euro/ Nutzer p.a. Bild 2: Modellierungsergebnisse für die Abwasserinfrastrukturkosten in Euro/ Nutzer/ -in und Jahr für ausgewählte BNT des Beispielquartiers. (eigene Darstellung) BNT Schematische Darstellung Versiegelungsgrad (%) Einwohner/ ha Zeilenbebauung 45 - 55 174 - 290 Geschosswohnungsbau in offener Baustruktur (Platte) 45 - 55 143 - 227 Mehrfamilienhäuser nach 1990 45 - 55 120 - 168 Lockere Ein- und Zweifamilienhausbebauung 30 - 40 30 - 41 Mischbebauung 70 - 90 204 - 254 Tabelle 1: Bebauungs- und Nutzungsstrukturtypen. (Quelle: eigene Darstellung; Datengrundlage: Siedentop et. al. 2006 und eigene Erhebungen) 47 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Kennwerte (s.o.) ein Infrastrukturmengenmodell hochgerechnet werden, das die idealtypische Infrastrukturausstattung für die zu berechnende BNT-Fläche wiedergibt. Dieses Mengenmodell wird mit den ermittelten Herstellungs-, Betriebs- und Instandhaltungskosten multipliziert, sodass die jährlich entstehenden Gesamtkosten für die betrachtete BNT-Fläche berechnet werden. Dabei beeinflusst die anfallende Abwassermenge aus dem Bevölkerungsmodell auch die Betriebskosten im Kostenmodell. Durch Verschneidung der beiden Teilmodelle ergibt sich ein „fiktiver Gebührensatz“, der die langfristige Entwicklung der quartiersspezifischen, einwohnerbezogenen Kostenbelastung darstellt. Ein derartiger Gebührensatz wäre also notwendig, um die unter den spezifischen Bedingungen im Quartier lokal anfallenden Kosten durch die ansässigen Nutzer/ -innen decken zu können [5]. Der Ergebniskennwert kann als Grundlage zur ersten Einschätzung und Diskussion der langfristigen Effizienz, Finanzierbarkeit und Verursachergerechtigkeit von Wasserinfrastrukturen im Kontext der Stadtentwicklung herangezogen werden [6]. Die Ergebnisse für die fünf BNT des Beispielquartiers sind in Bild 2 dargestellt. Sowohl bei den Ausgangsniveaus als auch bei den Entwicklungsperspektiven zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den BNT. Die Ergebnisse für 2015 bestätigen weitestgehend den Zusammenhang zwischen der Einwohnerdichte und den Kosten für die Abwasserinfrastruktur. Die drei BNT mit der höchsten Einwohnerdichte (Mischbebauung, Geschosswohnungsbau und Zeilenbebauung) weisen mit Kostensätzen unter 100 EUR pro Jahr und Nutzer/ -in die vergleichsweise geringsten Kosten für die Abwasserentsorgung im Ausgangsjahr auf. Die prognostizierte Kostenentwicklung zeigt jedoch, dass in diesen Gebieten (insbesondere Mischbebauung und Geschosswohnungsbau) die personenbezogenen Kosten bis zum Jahr 2065 sehr drastisch steigen werden. Dass in diesen BNT trotz der eigentlich höheren Wasserinfrastruktureffizienz eine hohe Kostensteigerung modelliert wird, ist im konkreten Beispiel zum einen auf die deutlichen Bevölkerungsverluste (Geschosswohnungsbau) und zum anderen auf erhebliche Erneuerungsbedarfe überalterter Netzabschnitte (Mischbebauung) zurückzuführen. Stark nachgefragte Wohnformen wie die freistehenden Einfamilienhäuser werden voraussichtlich geringere Einwohnerverluste hinnehmen müssen als der Geschosswohnungsbau oder die Mehrfamilienhäuser. Die Ergebnisse lassen Rückschlüsse auf den Einfluss des Alters des Kanalnetzbestandes auf die Kostenentwicklung zu. In älteren Gebieten sind über Studierende lesen Transforming Cities als ePaper ein Jahr lang kostenlos. Anschließend zum Vorzugspreis. www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren/ Wer´s früher liest, ist länger schlau. TranCit StudiAbo 48 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen den Prognosezeitraum von 50 Jahren auch höhere Instandhaltungskosten zu erwarten. Als Beispiel sind hierfür die innenstadtnahe Mischbebauung und die Zeilenbebauung zu nennen [6]. Fazit Angesichts der Langfristigkeit und Pfadabhängigkeit von Wasserinfrastrukturen ist die Abschätzung kleinräumiger Entwicklungstrends eine wesentliche Entscheidungsgrundlage für die Planung einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung. Der hier dargestellte Modellierungsansatz und die exemplarischen Beispielergebnisse verdeutlichen die Heterogenität der Kostenentwicklung von Abwasserinfrastrukturen auf kleinräumiger Ebene. Diese unterschiedlichen Entwicklungstrends lassen sich auf die spezifischen Eigenschaften (z. B. Altersstruktur, Einwohnerdichte, bestehendes Kanalnetz) verschiedener BNT zurückführen. Somit wird die langfristige Wasserinfrastruktureffizienz auch maßgeblich durch städtebauliche Einflussfaktoren bestimmt. Stadtplanung mit dem Ziel einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung sollte daher im Sinne eines integrierenden Planungsverständnisses bei der künftigen Siedlungsentwicklung auch die Herausforderungen der Wasserinfrastrukturen in hohem Maße berücksichtigen. Besonders vor dem Hintergrund des demografischen Wandels kann eine langfristig sozial verträgliche Finanzierung der Wasserver- und Abwasserentsorgung nur durch die Verknüpfung von Siedlungs- und Wasserinfrastrukturentwicklung erreicht werden. Ansatzpunkte hierzu sind beispielsweise die Nutzung gemeinsamer Handlungsfenster, das Ausschöpfen bereits erschlossener Siedlungsflächen bzw. bestehender Infrastrukturen anstelle von großräumigen Flächenneuausweisungen sowie die Konzentration auf kompakte Siedlungsformen [7]. Als Basis für die Identifikation von zukünftigen Handlungsoptionen für die Wasserwirtschaft und Stadtentwicklung können die kleinräumigen Strukturtypen und das vorgestellte Kostenmodell hilfreiche Informationen liefern. Die Ergebnisse dieses Modellansatzes, der sich notwendigerweise auf Verallgemeinerungen stützt, ersetzen keinesfalls die ingenieurstechnische Planung. Vorteilhaft ist jedoch neben der einfachen Anwendbarkeit des Modells und dem geringen Datenbedarf auch die Möglichkeit verschiedene Szenarien für ein Untersuchungsgebiet zu simulieren und auf diese Weise grundsätzliche Trends frühzeitig erkennen zu können. Diese Informationen können Ausgangspunkt für die Einleitung eines integrierten Planungsprozesses sein, oder Argumente für die Diskussion über Alternativen der künftigen Siedlungsentwicklung liefern. LITERATUR [1] Hillenbrand, T., Niederste-Hollenberg, J., Menger-Krug, E., Klug, S., Holländer, R., Lautenschläger, S., Geyler, S.: Demografischer Wandel als Herausforderung für die Sicherung und Entwicklung einer kosten- und ressourceneffizienten Abwasserinfrastruktur. UBA- Texte, 36/ 2010, Umweltbundesamt, Dessau. (abrufbar unter: https: / / www.umweltbundesamt.de/ sites/ default/ files/ medien/ 461/ publikationen/ 3779. pdf) [2] DWA (Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V.) (2015): Branchenbild der deutschen Wasserwirtschaft 2015. Wirtschafts- und Verlagsgesellschaft: Bonn. [3] Dittrich-Wesbuer, A., Mayr, A., Schulwitz, M.: Demographischer Wandel, Siedlungsentwicklung und Abwasserinfrastrukturen - eine integrierte Betrachtung lokaler und regionaler Entwicklungsperspektiven (Chapter 5). In: E. Gawel (Hrsg.): Die Governance der Wasserinfrastruktur. Band 1: Rahmenbedingungen, Herausforderungen und Optionen. Duncker & Humblot, Berlin, (2015), S. 117-138. [4] Siedentop, S., Schiller, G., Koziol, M., Walther, J., Gutsche, J.-M.: Siedlungsentwicklung und Infrastrukturfolgekosten - Bilanzierung und Strategieentwicklung - Endbericht Mai 2006. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Hrsg.). Bonn. [5] Dittrich-Wesbuer, A., Mayr, A.: Infrastrukturen im demographischen Wandel - das Beispiel Abwasser (=ILS - Institut für Landes- und Stadtentwicklung, trends 1/ 13), Dortmund, 2013. [6] Schulwitz, M., Hillenbrand, T.: Small-scale modelling of urban structure types for the cost evalution in sanitary environmental engineering. In: WIT Transactions on the Built Environment, Volume 165 (2016), S. 93-105. [7] Schiller, G., Siedentop, S.: Infrastrukturfolgekosten der Siedlungsentwicklung unter Schrumpfungsbedingungen. (= disP - The Planning Review, 41: 160), (2005) S. 83-93. Benjamin Scholz M.Sc. Wirtschaftsgeographie Wissenschaftlicher Mitarbeiter Forschungsgruppe „Metropole und Region“ ILS - Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH, Dortmund Kontakt: benjamin.scholz@ils-forschung.de Martin Schulwitz M.Sc. Raumplanung Wissenschaftlicher Mitarbeiter Forschungsgruppe „Metropole und Region“ ILS - Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH, Dortmund Kontakt: martin.schulwitz@ils-forschung.de AUTOREN 49 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Einleitung Die heutige Wasserinfrastruktur ist auf sehr lange Zeiträume von mehreren Jahrzehnten ausgelegt, manche Bereiche sind über 100 Jahre alt. Dies macht es schwierig, kurzfristig auf aktuelle Herausforderungen wie den demografischen Wandel, den Klimawandel oder auch die Einführung der erneuerbaren Energien zu reagieren. Vor diesem Hintergrund ist es zielführend, die bestehende Wasserinfrastruktur um neuartige Komponenten wie den Einsatz von Betriebswasser oder der energetischen Nutzung des Abwassers zu ergänzen, die hier Antworten geben und Spielräume eröffnen. Durch die Transformation von Teilen der bestehenden Wasserinfrastruktur und durch die direkte Implementierung neuartiger Konzepte bei städtebaulichen Erschließungsvorhaben wird es möglich, das System zu flexibilisieren und fit zu machen für die anstehenden Herausforderungen. Infolge einer solchen Anpassung wird sich die Wasserinfrastruktur zukünftig vermehrt durch eine Kombination, Diversifizierung und Koexistenz verschiedener Systeme auszeichnen. Zur Umsetzung dieses Umbaus bedarf es eines gezielten Transformationsmanagements in der und durch die Kommune. Vor Ort muss entschieden werden, was die stadt-/ gemeindespezifischen Lösungen sind, wie sie sich ausgestalten und was die Wasserinfrastruktur zur Lösung übergeordneter Herausforderungen leisten kann. Die Transformation sollte dabei gezielt im Sinne des Allgemeinwohls erfolgen. Räume erkennen In einem ersten Schritt geht es darum, geeignete Räume zu erkennen, denn nicht jedes städtische Gebiet eignet sich zu jedem Zeitpunkt gleichermaßen für eine infrastrukturelle Neugestaltung. Für die Identifizierung solcher Transformationsräume kann auf bestehendes Wissen zurückgegriffen Transformation der Wasserinfrastruktur organisieren Was ist dabei zu beachten? Neuartige Wasserinfrastruktur, Transformationsmanagement, Transformationsräume, zeitliche Dynamik, Akteure und Institutionen, Siedlungswasserwirtschaft Martina Winker, Jan Trapp, Jörg Felmeden, Jens Libbe, Engelbert Schramm Die Wasserinfrastruktur wird sich zukünftig vermehrt durch eine Kombination, Diversifizierung und Koexistenz verschiedener Systeme auszeichnen. Hier bedarf es eines gezielten Transformationsmanagements in der Kommune. Dieser Artikel bietet Informationen, um geeignete Transformationsräume in der Stadt/ Kommune in ihrer zeitlichen Dynamik zu erkennen. Auch gibt er Auskunft zu institutionellen Belangen des Transformationsprozesses und erklärt, was mit Blick auf die technische Infrastruktur (Systemoptionen, Alternativen, Einbindung in die bestehende Infrastruktur) zu bedenken ist. © netWORKS 50 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen werden [1]. Vor allem jenen städtischen Teilräumen kann ein großes Umwandlungspotenzial zugesprochen werden, die einer hohen Entwicklungsdynamik unterliegen und die gleichzeitig einen geringen Transformationsaufwand aufweisen. Während die Entwicklungsdynamik eines Raums von demografischen, sozio-ökonomischen und städtebaulichen Entwicklungszyklen bestimmt wird, ergibt sich der spezifische Transformationsaufwand aus den technischen und ökonomischen Verhältnissen der bestehenden Wasserinfrastruktur sowie den Schnittstellen zu anderen Infrastrukturen wie z.B. der Energieversorgung [2]. In Gesprächen mit Stadtplanern und anderen städtischen Akteuren ist für die Identifizierung interessanter Transformationsräume besonders auf folgende Stichworte zu achten: Lage, Marktfähigkeit, Komplexität der bestehenden Infrastruktur, bauliche Dichte und Streubesitz. Informationen hierzu lassen sich gut dem Transformationsaufwand bzw. der Entwicklungsdynamik zuordnen. Gleichzeitig sollten nach einer ersten groben Orientierung potenzielle Transformationsräume auf den aktuellen Planungsstand, die Siedlungsstruktur, die wasserwirtschaftlichen Gegebenheiten und die soziale Situation geprüft werden, um eine Eignung tatsächlich feststellen zu können. Nach aktuellem Stand des Wissens [3] fehlen aus technischer Sicht noch Umsetzungsvoraussetzungen für den Einsatz neuartiger Wasserinfrastrukturlösungen im (innerstädtischen) Bestand, wie etwa für hochverdichtete Flächen von Gründerzeitvierteln. Daher eignen sich vor allem Gebiete mit großen Freiflächen, insbesondere, wenn die Stadt/ Kommune selbst über große Teile dieser Flächen verfügt. So kann die Kommune die Gebietsentwicklung deutlich beeinflussen und etwa über einen städtebaulichen Vertrag auch verbindlich festsetzen [4]. Vielfach handelt es sich dabei um Konversions- und Entwicklungsgebiete, wo größere Areale einer neuen Nutzung zugeführt werden oder wo noch nichts bis wenig gebaut ist bzw. ein großer Flächenanteil zur Nachverdichtung zur Verfügung steht. Förderlich ist zudem, dass sich in einem solchen Fall nur wenige Akteure in Hinblick auf bauliche Maßnahmen einigen müssen, was den Aushandlungsprozess deutlich vereinfachen kann. Ein zweiter Gebietstyp, der attraktiv sein kann, wenngleich auch aufwendiger im Handling, sind Gewerbe- und Industriegebiete in Innenstadtrandlage, die eine Nutzungsänderung durchlaufen. Teils werden sie daher auch den Konversionsflächen zugerechnet. Hier sind die Flächen in der Regel zwar überwiegend in privater Hand und der Abstimmungsprozess gestaltet sich deutlich aufwendiger, im Fall einer Umwandlung in Mischgebiete ist jedoch eine Nachverdichtung in Richtung Wohnungsbau möglich, was ihnen eine hohe Attraktivität insbesondere in wachsenden Städten verleiht. Zeitliche Dynamik beachten Wie skizziert finden stadtplanerische Eingriffe vor allem dort statt, wo eine hohe Entwicklungsdynamik in Teilräumen/ Stadtgebieten vorliegt. Fällt diese mit einem geringen Transformationsaufwand zusammen, wie es etwa bei Entwicklungs- und Konversionsgebieten der Fall ist, dann ergibt sich ein zeitliches Gelegenheitsfenster, das genutzt werden sollte. Das heißt, es ist sinnvoll, dort in den Transformationsprozess einzusteigen, wo aufgrund der bestehenden Dynamiken der Stadtentwicklung Gebiete neu-, um-, beplant und verändert werden. Hier lassen sich Synergien zu anderen technischen Infrastrukturen nutzen. Auch ein gemeinsamer Planungsprozess zur Identifizierung der Planungsziele und der Beiträge seitens der jeweiligen technischen Infrastrukturen kann hilfreich sein. Darüber kann auch der Beitrag der Wasserinfrastruktur z.B. zur Klimaanpassung und zu den erneuerbaren Energien ermittelt werden. Neben solchen Gelegenheitsfenstern, die vor allem im Zuge der vorbereitenden Bauleitplanung zu identifizieren sind, sind auch die zeitlichen Phasen des Transformationsprozesses selbst zu beachten. Üblicherweise ist es so, dass die Planung der technischen Wasserinfrastruktur der Bauleitplanung nachfolgt. Dann ist es meist zu spät, um neuartige Komponenten noch berücksichtigen zu können. Dies bedeutet, dass bereits frühzeitig in der Planung (d.h. schon in der Vorplanungsphase) das Gespräch Bild 1: Status Quo der kommunalen Wasserinfrastruktur und die sich ergebenden Stoffflüsse: Versorgung, Nutzung, Entsorgung. © Forschungsverbund netWORKS 51 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen und die Abstimmung mit den relevanten Akteuren in den Ämtern und Behörden, aber auch mit Investoren, Planern und Entwicklern zu suchen ist. Auch in den folgenden Phasen von Bau und Betrieb sind möglicherweise neue Allianzen zu schmieden, Abstimmungsprozesse zu verändern und andere Kooperationen als bisher einzugehen. Da hierbei Neuland betreten wird, ist es wichtig, möglichst viel bereits in der Planung vorausschauend zu antizipieren: Wer wird etwa später den Betrieb und die Wartung übernehmen? Wer wird die bauliche Ausführung übernehmen? Wer wird in der Überwachung und Kontrolle tätig sein? Diese Akteure sind frühzeitig anzusprechen und einzubinden. Nach aktuellem Stand des Wissens ist es sinnvoll, die Transformation in einem ersten Pilotgebiet zu erproben. Die gewonnenen Erfahrungen können anschließend bewertet und evaluiert werden. Durch eine Übersetzung in allgemeingültige Leitlinien stehen sie für zukünftige Gebiete zur Verfügung und können in die Etablierung eines neuen, standardisierten Planungsverfahrens für weitere Transformationsräume überführt werden. Module neuartiger Wasserinfrastruktur und Phasen des technischen Wandels Die Struktur der kommunalen Wasserinfrastruktur in Deutschland ist i.d.R. eine Kombination von technischen Modulen, die unterschiedlich konfiguriert sind und stark vereinfacht die drei folgenden Bereiche umfassen (Bild 1): Versorgung (Niederschlag, Trinkwasser - auch für Betriebswasserfunktionen, Energie, Nahrung) Nutzung (Essen, Trinken, Körperpflege, Geschirrspülen, Wäschewaschen, Toilettenspülung, Bewässerung, sonstige Nutzungen) Entsorgung (Regenwasser, Schmutz-/ Mischwasser, Energie, Nährstoffe) Im Zuge einer Transformation der Wasserinfrastrukturen können sich aus der stofflichen und energetischen Bewirtschaftung von Abwasser(teil-)strömen veränderte Module mit z.T. neuen Funktionen ergeben [5]: Regenwasserbewirtschaftung: Rückhalt, Verdunstung, Versickerung, Nutzung (Betriebswasser) Grauwasserbewirtschaftung: Betriebswasser Schwarzwasserbewirtschaftung: Strom, Wärme, Nährstoffe Wärmebewirtschaftung des Grau-, Misch-/ Schmutzwassers: Wärme Die genannten technischen Module werden in der Praxis in Abhängigkeit der Zielsetzungen und örtlichen Rahmenbedingungen einzeln oder in unterschiedlichen Kombinationen zur Anwendung kommen. Hierbei kann in der einfachsten Art zunächst „nur“ eine Anpassung bzw. Optimierung der bestehenden, zentral ausgerichteten Wasserinfrastruktur erfolgen oder sukzessive eine Transformation, also eine grundlegende systemische Umgestaltung begonnen werden, die in der Kombination mehrerer technischer Module resultieren kann. Die Anpassung der mit den technischen Modulen gegebenen Optionen an die Erfordernisse bestimmter Planungsgebiete (z.B. städt. Quartiere oder Stadtteile) führt zwangsläufig zu Modifikationen bzw. Konkretisierungen. Ein Beispiel für die Konkretisierung eines 2-Stoffstromsystems, bestehend aus Grau- und Schwarzwasser, ist in Bild 2 dargestellt. Hierbei werden leicht verschmutztes Grauwasser (Abwasser aus Dusche und Waschbecken sowie aus Waschmaschinenabläufen) und Schwarzwasser (Toilettenabwasser) inkl. Küchenabwasser getrennt erfasst und abgeleitet. Schwarzwasser und Küchenabwasser werden weiterhin konventionell behandelt. Beim „leichten“ Grauwasser findet Wärmerückgewinnung und Aufbereitung auf Quartiersebene statt. Somit entstehen einerseits auf der zentralen Abwasserbehandlungsanlage anteilig Strom und Wärme durch das zugeführte Schwarzwasser inkl. Küchenabwasser, andererseits wird aufbereitetes Grauwasser lokal energetisch und stofflich genutzt (Wärme für Trinkwassererwärmung und/ oder Raumheizung, Betriebswasser für Toilettenspülung). Zudem erfordert eine solche Variante z.B. wenige Berührungspunkte und Verhaltensänderungen auf Seiten der Bewohner [6], was sich positiv auf die mögliche Umsetzung und einen störungsfreien Betrieb auswirkt. Hier ist es auch wichtig zu beachten, dass je nach Gebietsgröße ggf. eine Transformation nur vorbereitet oder zunächst schrittweise vollzogen wird. So kann die Verlegung eines zweiten Leitungsnetzes Bild 2: Schematische Darstellung eines 2-Stoffstromsystems mit Grau- und Schwarzwasser. © Forschungsverbund netWORKS 52 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen und die Grauwasseraufbereitung/ Betriebswassernutzung z.B. im Gebiet sinnvoll sein, auch wenn das Schwarzwasser zunächst konventionell zur zentralen Kläranlage abgeleitet wird (erst bei Transformation der angrenzenden Gebiete wird es in eine semizentrale Behandlung überführt). Solche Überlegungen und Entscheidungen sind abhängig von der Entwicklungsdynamik einzelner (Teil-)Gebiete, der Größe der einzelnen Gebiete, aber auch der gewählten technischen Variante. Hier sind die unterschiedlichsten Varianten denkbar, was die bereits erwähnte, gewünschte Flexibilität und sukzessive Bauweise einbringt. Akteure und Institutionen Vor dem Hintergrund der geschilderten Komplexität des Prozesses der Einführung neuartiger Wasserinfrastrukturen kommt der Steuerung und Koordination integrierter, ggf. auch partizipativer Planungsprozesse erhebliche Bedeutung zu. Um die Transformation der Wasserinfrastruktur zu gestalten, sind vielfältige Akteure und Stakeholder gefragt und in der Kommune zu beteiligen. Die verschiedenen öffentlichen und privaten Akteure bringen nicht nur ihre Ressourcen (Wissen, Finanzkapital, Personal) und Kompetenzen (Befugnisse, Verantwortlichkeiten, Aufgaben) in den Transformationsprozess ein, sondern auch ihre spezifischen Interessen und Vorstellungen über Stadt, Stadtgestaltung, Stoffströme und Infrastrukturen. Typische und relevante Akteure bei der Einführung neuartiger Wasserinfrastrukturen sind: kommunale Verwaltung (z.B. Stadtentwicklung) und Behörden, Kommunalpolitik, kommunale Ver- und Entsorgungsunternehmen, kommunale wie private Wohnungswirtschaft, Architekten und Planungsbüros, Eigentümer und Bewohner, Bürger- und stadtgebietsspezifische Initiativen, Umweltverbände und auch das Installationshandwerk. Mit der Einführung neuartiger Wasserinfrastrukturen treten neue, bisher in der Regel nicht in Fachplanungen von Wasserinfrastrukturen eingebundene Akteure auf den Plan. Damit können sich bisher zugeschriebene Aufgaben und Rollen verändern - neue Absprachen, Routinen und Regeln (Institutionen) der Kooperation und Koordination in der Planungs-, Bau- und Betriebsphase sind zu entwickeln. Ein gezielt gestaltetes Kooperationsmanagement [7], das eindeutig einen Prozesskoordinator benennt, wie etwa die Kommune oder das kommunale Wasserunternehmen, hilft, sowohl notwendige neue Regeln auszuhandeln und zu etablieren als auch die erforderlichen Ressourcen und Unterstützung bei den Akteuren zu organisieren. Dabei ist zu beachten: Ein Festlegen von Regeln bzw. das Etablieren von institutionellen Arrangements kann, wenn die Zusammenarbeit sich zukünftig gut und erfolgreich entwickeln soll, nicht allein durch eine Seite erfolgen, sondern sollte gemeinsam geschehen. Daher ist ein wichtiger erster Schritt, dass städtische Akteure wie etwa Wasserunternehmen, die Innovation auf den Weg bringen möchten, aktiv nach Kooperationspartnern suchen und/ oder bestehende Kooperationen dahingehend ausbauen. Dies ist ein wichtiges Element, um die Transformation der Wasserinfrastruktur zu befördern. Wichtig dabei ist es, im Falle der Wasserinfrastruktur die komplette Wertschöpfungskette von der Trinkwassergewinnung bis zur Einleitung des behandelten Abwassers in das Gewässer in den Blick zu nehmen. Es bestehen eine große Abhängigkeit und ein hoher Abstimmungsbedarf entlang der Kette. Ziel dieser Koordination und Kooperation ist, eine Risikominderung für alle Akteure zu erreichen. Die Zusammenarbeit kann aber auch zum Ziel haben, Wissen zu angedachten innovativen Konzepten auszutauschen und gemeinsam eine Umsetzungsstrategie zu entwickeln. Über diesen gemeinsamen Lernprozess kann Vertrauen in die angedachte Innovation selbst als auch zwischen den beteiligten Akteuren aufgebaut werden, und die Risiken des einzelnen werden besser kalkulierbar. Auf diese Weise wird die ursprünglich geäußerte, ggf. politische Willenserklärung pro Innovation in einen Arbeitsprozess überführt, der sicherstellt, dass die Innovation Schritt für Schritt realisiert wird und möglichst alle Akteure mitgenommen werden. Mit Blick auf die (kommunalen) Unternehmen der Wasserwirtschaft bietet die Einführung neuartiger Wasserinfrastrukturen Möglichkeiten, bestehende Organisationsmodelle und unternehmerische Strategien in Richtung neuer Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln. Dies beispielsweise, indem mit Infrastrukturbetreibern aus dem Energiesektor kooperiert wird, um die im Abwasser enthaltenen energetischen Potenziale zu heben (Kopplung von Infrastrukturen) [8]. Fazit/ Ausblick Die Transformation der wasserwirtschaftlichen Infrastrukturen ist eine Antwort auf übergeordnete Herausforderungen. Die technologischen Alternativen stehen bereit. Die eigentliche Herausforderung liegt jedoch - das machen die Ergebnisse des Forschungsverbundes netWORKS deutlich - im Prozess der Umsetzung. Um diese zu bewältigen, bedarf es größerer Maßnahmen im Rahmen der Forschungsförderung. Während das Bundesforschungsminis- 53 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen terium in den vergangenen Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen hat, die Forschung zu konzeptionellen Lösungen für eine zukunftsfähige Wasserwirtschaft voranzutreiben [9], gilt es zugleich den Abstand zwischen vorliegendem Wissen und tatsächlicher Realisierung neuartiger Wasserinfrastrukturen zu schließen. Hier ist vor allem die Ressortforschung gefordert, sich der Transformation der siedlungswasserwirtschaftlichen Systeme über experimentelle Modellvorhaben anzunehmen. Die konstatierten Koordinationsbedarfe und Planungsprozesse lassen sich nur einüben, wenn die planenden Akteure in den Kommunen dieses unter wissenschaftlicher Begleitung gemeinsam mit Siedlungswasserwirtschaft, Architekten und Wohnungswirtschaft erproben können. Für Pilotphasen typische finanzielle Risiken bei den Investoren sollten dabei eine zeitlang durch entsprechende Förderprogramme abgefedert werden. Handlungsbedarf besteht aber auch auf Seiten der Kommunen und ihrer Infrastrukturbetreiber. Die Bewältigung der o.g. Herausforderungen und damit verbunden die Transformation der Wasserinfrastruktur gehören vermehrt auf die kommunalpolitische Agenda [10]. LITERATUR [1] Kluge T., Libbe, J.: Transformationsmanagement für eine nachhaltige Wasserwirtschaft. Handreichung zur Realisierung neuartiger Infrastrukturlösungen im Bereich Wasser und Abwasser. Berlin: Deutsches Institut für Urbanistik Difu, 2010. [2] Felmeden, J., Kluge. T., Koziol, M., Libbe, J., Michel, B., Scheele, U.: Öko-Effizienz kommunaler Wasser-Infrastrukturen - Bilanzierung und Bewertung bestehender und alternativer Systeme. netWORKS-Papers, 26. Berlin, 2010: Deutsches Institut für Urbanistik Difu, http: / / edoc.difu.de/ edoc.php? id=VX23T8L7 [3] Davoudi, A., Milosevic, D., Scheidegger, R., Schramm, E., Winker, M.: Stoffstromanalyse zu verschiedenen Wasserinfrastruktursystemen in Frankfurter und Hamburger Quartieren, 2016. netWORKS-Papers, 30. Berlin, 2016: Deutsches Institut für Urbanistik Difu, http: / / edoc.difu.de/ edoc.php? id=3E05KG9N [4] Hanke, S.: Rechtliche Rahmenbedingungen neuartiger Wasserinfrastrukturen. netWORKS-Paper Nr. 31. Berlin, 2016: Deutsches Institut für Urbanistik Difu, im Erscheinen [5] Felmeden, J., Michel, B., Zimmermann, M.: Integrierte Bewertung neuartiger Wasserinfrastrukturen. net- WORKS-Papers, 32. Berlin, 2016: Deutsches Institut für Urbanistik Difu, im Erscheinen. [6] Hefter, T., Birzle-Harder, B., Deffner, J.: Akzeptanz von Grauwasserbehandlung und Wärmerückgewinnung im Wohnungsbau. Ergebnisse einer qualitativen Bewohnerbefragung. netWORKS-Papers, 27. Berlin, 2015: Deutsches Institut für Urbanistik Difu, http: / / edoc.difu.de/ edoc.php? id=LRQ3DGET [7] Kerber, H., Schramm, E., Winker, M.: Transformationsrisiken bearbeiten: Umsetzung differenzierter Wasserinfrastruktursysteme durch Kooperation. netWORKS-Papers, 28. Berlin, 2016: Deutsches Institut für Urbanistik Difu, http: / / edoc.difu.de/ edoc. php? id=IR28QLKF [8] Trapp, J., Libbe, J.: Neuartige Wasserinfrastrukturen - Optionen für Unternehmensstrategien und Innovation. netWORKS-Papers, 27. Berlin, 2016: Deutsches Institut für Urbanistik Difu, http: / / edoc.difu. de/ edoc.php? id=3S0DMQ8Y [9] Nickel, D., Langer, M.: Zukunftsfähige Wasserversorgung und Abwasserentsorgung. Botschaften an Politik und Praxis. Transforming Cities 2 (2016), S. 28-31. [10] Libbe, J.: Kommunale Daseinsvorsorge zeitgemäß begründen. Wasserversorgung und Abwasserentsorgung gilt als Kernbestandteil der kommunalen Daseinsvorsorge. Transforming Cities 2 (2016), S. 22-27. Dr. Martina Winker Leiterin des Forschungsschwerpunkts Wasserinfrastruktur und Risikoanalysen ISOE - Institut für sozial-ökologische Forschung Kontakt: winker@isoe.de Jan Hendrik Trapp Wissenschaftlicher Mitarbeiter Deutsches Institut für Urbanistik (Difu) Kontakt: trapp@difu.de Dr. Jörg Felmeden Freier Mitarbeiter ISOE - Institut für sozial-ökologische Forschung Kontakt: felmeden@mail.de Dr. Jens Libbe Bereichsleiter Infrastruktur und Finanzen Deutsches Institut für Urbanistik (Difu) Kontakt: libbe@difu.de Dr. Engelbert Schramm Mitglied der Institutsleitung ISOE - Institut für sozial-ökologische Forschung Kontakt: schramm@isoe.de AUTOR I NNEN 54 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Vielen Arbeitgebern, die Maschinen einsetzen, ist mittlerweile bekannt, dass sie bei deren Beschaffung auf das Vorhandensein eines CE-Zeichens und einer EG-Konformitätserklärung achten müssen. Denn Maschinen, die im Europäischen Wirtschaftsraum in oder nach 1995 in Verkehr gebracht worden sind, dürfen nicht ohne das CE-Zeichen betrieben werden. In Deutschland fordert die 9. Verordnung zum Produktsicherheitsgesetz (ProdSV) die Maschinenhersteller zur Umsetzung der Maschinenrichtlinie auf. Allerdings ist zahlreichen Betreibern nicht bewusst, dass die MRL nach dem Kauf der Maschine auch für sie als Arbeitgeber relevant sein kann. Da es bei der Maschinensicherheit um Verantwortung und Haftung geht, sollten sie das Thema nicht auf die leichte Schulter nehmen. Sicherheitstechnische Verantwortung bei Infrastruktur-Anwendungen Was Anlagenbetreiber beachten müssen Infrastruktur, Maschinenrichtlinie, CE-Zeichen, Sicherheit, Europäischer Wirtschaftsraum Michiel Hussaarts Im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gilt seit 1995 die Europäische Maschinenrichtlinie 2006/ 42/ EG (MRL). Sie zielt darauf ab, dass im gesamten EWR lediglich sichere Maschinen in Verkehr gebracht werden - und zwar nach einem durchgängig hohen europäischen Maßstab. Die MRL muss jedoch nicht nur von Herstellern eingehalten werden. Auch in der urbanen Infrastruktur sind an vielen Stellen Maschinen im Einsatz - zum Beispiel zum Öffnen und Schließen eines beweglichen Stadiondachs. © Phoenix Contact 55 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Absicherung über den Maschinenhersteller und -betreiber Die mit der Arbeit an Maschinen einhergehende Sicherheit und der Gesundheitsschutz werden im EWR parallel über den Hersteller und den als Betreiber fungierenden Arbeitgeber abgesichert (Bild 1). Der Hersteller darf lediglich Maschinen in Verkehr bringen, die den Sicherheitsanforderungen aus der Maschinenrichtlinie entsprechen. Dass dies tatsächlich der Fall ist, wird dem Betreiber mit dem auf der Maschine angebrachten CE-Zeichen und der EG-Konformitätserklärung bestätigt. Weil der Hersteller nur die Beschaffenheit der Maschine aktiv beeinflussen kann und nicht das Umfeld, in dem sie später arbeitet, muss er dem Betreiber unter anderem mögliche Restrisiken aufzeigen. Außerdem hat er die bestimmungsgemäße Verwendung festzulegen sowie auf sonstige Voraussetzungen zur sicheren Funktionsweise seiner Maschine hinzuweisen. Die Betreiber müssen die genannten Voraussetzungen der Hersteller umsetzen. Darüber hinaus ergeben sich aus ihrer Rolle als Arbeitgeber kraft Gesetz weitere Pflichten. Diese sind beispielsweise im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und in der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) aufgeführt. Laut § 3 ArbSchG hat der Arbeitgeber alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, welche auf die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit einwirken und dabei eine Verbesserung dieser Faktoren anzustreben. Des Weiteren muss er Gefährdungen regelmäßig ermitteln und beurteilen. Bei der Definition der Maßnahmen gilt es, den jeweils aktuellen Stand der Technik zu berücksichtigen. Erst wenn die Gefährdungsbeurteilung vorliegt, die daraus abgeleiteten Schutzmaßnahmen gemäß aktuellem Stand der Technik realisiert sind und festgestellt wurde, dass die Maschine nach aktuellem Stand der Technik sicher ist, darf der Arbeitgeber den Beschäftigten das Arbeitsmittel zur Verfügung stellen. Charakterisierung durch bewegliche Teile Vor diesem Hintergrund erweist sich die rechtliche Situation als überschaubar: Der Hersteller setzt die MRL um und bringt somit eine sichere Maschine in Verkehr. Der Arbeitgeber respektive Betreiber der Maschine beachtet nach deren Kauf das ArbSchG sowie die BetrSichV und sorgt dafür, dass die Maschine sicher betrieben werden kann und auch wird. Die scheinbar exakte Trennung der beiden Verantwortungsbereiche verhindert jedoch nicht, dass der Arbeitgeber im Laufe der Zeit ebenfalls zum Hersteller werden kann - und das mit sämtlichen daraus resultierenden Konsequenzen. Mehr als 20 Jahre nach Einführung der Europäischen Maschinenrichtlinie ist noch immer nicht jedem Betreiber klar, dass er eine „Maschine“ einsetzt. Manches Unternehmen glaubt sogar, bei seiner Anwendung handele es sich nicht um eine Maschine, sondern um eine „Anlage“. Artikel 2 der MRL legt daher fest, was genau unter einer Maschine zu verstehen ist. Die Bestimmungen sehen viele Varianten und Ausnahmen vor, doch grob gesprochen definiert sich eine Maschine wie folgt: Die Maschine besteht aus einer Gesamtheit miteinander verbundener Teile. Sie ist mit einem Antriebssystem ausgestattet und wird nicht von Mensch oder Tier angetrieben. Mindestens ein Teil der Maschine bewegt sich. Die Maschine wurde für eine bestimmte Anwendung zusammengefügt. Unzählige Anlagen umfassen bewegliche Teile und Antriebe. Deshalb fallen Applikationen wie bewegliche Brücken, Schleusen, Roll- und Schiebetore, Schiebe-, Dreh- und Karusselltüren, Verkehrsschranken, Personenschleusen, Hebebühnen oder Laderampen in den Anwendungsbereich der Maschinenrichtlinie (Bild 2). Wie bereits erwähnt, dürfen sie seit 1995 nicht mehr ohne CE-Zeichen und EG-Konformitätserklärung in Verkehr gebracht und betrieben werden. Das trifft auch dann zu, wenn die Maschinen für den „Eigengebrauch“ gedacht sind, sie also vom Hersteller selbst genutzt werden. Veränderung in Leistung, Funktion oder Typ So lange Maschinen mit CE-Zeichen erworben sowie im Originalzustand und nach den Vorgaben des Herstellers eingesetzt werden und der Käufer gleichzeitig das ArbSchG und die BetrSichV einhält, ergeben sich aus dem Irrglauben, keine Maschine zu betreiben, keine größeren Probleme. Sobald sich Bild 1: Der Schutz des Arbeitnehmers ist in einem Zwei-Säulen- Modell geregelt, das sich aus zwei vermeintlich getrennten Welten zusammensetzt. © Phoenix Contact 56 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen aber die Rolle des Arbeitgebers vom ursprünglichen Maschinenbetreiber zum Hersteller wandelt, muss er die daraus resultierenden Konsequenzen bedenken. Wie es zu einem solchen Rollenwechsel kommt, soll anhand von zwei Beispielen erklärt werden. Wenn neue Maschinen in Verkehr gebracht werden, ist die MRL anzuwenden. Im sogenannten „Blue Guide“, dem Leitfaden zur Anwendung der europäischen harmonisierten Gesetzgebung, erläutert die EU-Kommission verschiedene europäische Richtlinien. Dort wird unter anderem festgelegt, dass diese Richtlinien sowohl für das Inverkehrbringen neuer Produkte als auch für existierende Produkte gültig sind, die derart in der Leistung, Funktion oder vom Typ geändert werden, dass ein neues Produkt entsteht (Bild 3). In Deutschland ist diese Art der Veränderung besser als „wesentliche Änderung“ bekannt. Eine Änderung erweist sich - vereinfacht gesagt - erst dann als „wesentlich“, sofern die vorhandenen Schutzmaßnahmen an der Maschine nach der Veränderung nicht mehr ausreichen und mit einer einfachen Schutzeinrichtung nicht angepasst oder ergänzt werden können. Ob eine wesentliche Änderung vorliegt, sollte jeder Betreiber, der eine Maschine im eigenen Namen verändert oder verändern lässt, selbst und bestenfalls vorab ermitteln. Führt er tatsächlich eine wesentliche Änderung durch, wird der Betreiber zum „Hersteller“ der (neuen) Maschine. Das bedeutet, dass er die Konformität zur Maschinenrichtlinie erneut nachweisen muss, auch wenn bereits ein CE-Zeichen auf der ursprünglichen Maschine angebracht war. In diesem Zusammenhang hat der Betreiber beispielsweise die Umsetzung der für seine Maschine relevanten harmonisierten Normen für die Maschinensicherheit zu belegen. Verkettung zu einer Gesamtheit von Maschinen Die sogenannte „Gesamtheit von Maschinen“ ist ein weiteres Beispiel für die Wandlung des Betreibers in die Herstellerrolle. Laut Artikel 2a der MRL gilt die Maschinenrichtlinie für das Inverkehrbringen von Maschinen ebenso wie für die Gesamtheit von Maschinen. In Deutschland handelt es sich um eine Gesamtheit von Maschinen, sofern verschiedene Maschinen so miteinander verkettet sind, dass sowohl ein produktionstechnischer als auch ein sicherheitstechnischer Zusammenhang gegeben ist. Sind einzelne oder unvollständige Maschinen derart aufgestellt, dass sie eine geschlossene Einheit bilden und als eine Gesamtheit zusammenwirken respektive auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet sind und bei- Bild 2: Verkehrsschranken fallen ebenfalls in den Anwendungsbereich der Maschinenrichtlinie. © Phoenix Contact Bild 3: Wenn es sich bei einem Umbau um eine wesentliche Veränderung handelt, muss die Maschinensicherheit nochmals betrachtet und CE unter Umständen erneut nachgewiesen werden. © Phoenix Contact 57 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Ir. Michiel Hussaarts Safety Engineer im Competence Center Safety Phoenix Contact Electronics GmbH Kontakt: info@phoenixcontact.de AUTOR spielsweise durch eine übergeordnete gemeinsame Steuerung als Gesamtheit betätigt werden, besteht ein produktionstechnischer Zusammenhang. Ein sicherheitstechnischer Zusammenhang liegt dann vor, wenn beispielsweise ein Ereignis an der einen Maschine eine Gefährdung bei der anderen (verketteten) Maschine auslösen kann. Dass sich Maschinen ebenfalls in Infrastruktur-Anwendungen zu einer Gesamtheit verketten lassen, sollten die in dieser Branche tätigen Betreiber nicht einfach ausschließen. Fazit Arbeitgeber und Betreiber können sich also nicht in jedem Fall auf das an der Maschine angebrachte CE-Zeichen beziehen. Das Vorhandensein der Kennzeichnung am Arbeitsmittel entbindet sie nicht von der Pflicht zur regelmäßigen Durchführung oder Aktualisierung einer Gefährdungsbeurteilung. Sobald Maschinen verändert oder verkettet werden, kann sich der Arbeitgeber vom Betreiber zum Hersteller wandeln und somit verantwortlich für ein neues CE- Zeichen sein. Das Competence Center Safety von Phoenix Contact bietet hier beratende und unterstützende Dienstleistungen sowohl für Maschinenhersteller als auch -betreiber an. Weitere Details sind auf der Homepage des Unternehmens unter www.phoenixcontact.de/ safery-services zu finden. WISSEN WAS MORGEN BEWEGT Schiene, Straße, Luft und Wasser, globale Verbindungen und urbane Mobilität: Viermal im Jahr bringt Internationales Verkehrswesen fundierte Experten-Beiträge zu Hintergründen, Entwicklungen und Perspektiven der gesamten Verkehrsbranche - verkehrsträgerübergreifend und zukunftsorientiert. Ergänzt werden die deutschen Ausgaben durch die englischsprachige Themen-Ausgabe International Transportation. Mehr dazu im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen gehört seit 1949 zu den führenden europäischen Verkehrsfachzeitschriften. Der wissenschaftliche Herausgeberkreis und ein Beirat aus Professoren, Vorständen, Geschäftsführern und Managern der ganzen Verkehrsbranche verankern das Magazin gleichermaßen in Wissenschaft und Praxis. Das technisch-wissenschaftliche Fachmagazin ist zudem Wissens-Partner des VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld. INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN - DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Anzeige »Internationales Verkehrswesen« und »International Transportation« erscheinen bei der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, München, www.trialog-publishers.de 58 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Angriffssicherheit im Lebenszyklus Kritischer Infrastrukturen Schutzkonzepte für Bahnanwendungen Schienenverkehr, Kritische Infrastruktur, IT-Security, Sicherheitsnachweis, Sicherheit Lars Schnieder Das Schienenverkehrsnetz ist eine Kritische Infrastruktur. Ein Versagen führt zu erheblichen volkswirtschaftlichen Schäden. Leit- und Sicherungssysteme gewährleisten den sicheren Verkehrsablauf für Züge des Nah- und Fernverkehrs. Mit dem zunehmenden Einsatz seriengefertigter Produkte aus dem Elektronik- und Softwarebereich steigt die Verwundbarkeit von Verkehrsinfrastrukturen gegen unerlaubte Eingriffe und kriminelle Attacken. „What ’s not secure is not safe“ - Die IT-Sicherheit hat einen erheblichen Einfluss auf die signaltechnische Sicherheit. Die IT-Sicherheit muss daher in der Sicherheitsnachweisführung und Begutachtung elektronischer Steuerungssysteme für Bahnanwendungen zwingend berücksichtigt werden. Bild 1: Ermittlung des erforderlichen Schutzgrades für den Entwurf angriffssicherer Systeme. © pixabay 59 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Einleitung Vom Kraftwerk bis zum Krankenhaus, in der Flugsicherung oder bei Bahnsystemen: Alle so genannten Kritischen Infrastrukturen müssen gegen Bedrohungen gerüstet werden, die sie aus der weltweiten Anonymität des Internets bedrohen können. Schienenverkehrssysteme werden als Kritische Infrastrukturen eingestuft [1]. Mit der Einführung des IT-Sicherheitsgesetzes im Juli 2015 wurden erweiterte Vorgaben für Kritische Infrastrukturen eingeführt. Im Gesetzestext heißt es: „Betreiber Kritischer Infrastrukturen sind verpflichtet, spätestens zwei Jahre nach Inkrafttreten dieser Rechtsverordnung […] angemessene organisatorische und technische Vorkehrungen zur Vermeidung von Störungen der Verfügbarkeit, Integrität, Authentizität und Vertraulichkeit ihrer informationstechnischen Systeme, Komponenten oder Prozesse zu treffen, die für die Funktionsfähigkeit der von ihnen betriebenen Kritischen Infrastrukturen maßgeblich sind.“ Bei der Signaltechnik handelt es sich um ein solches für die Funktionsfähigkeit des Verkehrsträgers Schiene maßgebliches System (vgl. Bild 1). Die Signaltechnik ist immer mehr von Informations- und Kommunikationstechnologie durchdrungen. Wurden bislang hauptsächlich spezifische proprietäre Komponenten und Ende-zu-Ende-Kommunikationsverbindungen eingesetzt, entwickelt sich die Systemlandschaft - auch im Feld - hin zu generischen Rechnersystemen und deren Verbindung durch universelle Datennetzwerke. Derzeit ist der Trend zur Nutzung industrieller Standards bei Betriebssystemen, Schnittstellen, Kommunikationsprotokollen und Netzwerkgeräten deutlich erkennbar und wird sich zukünftig weiter verstärken. Die Architektur signaltechnischer Systeme nähert sich damit immer mehr der Architektur verteilter IT-Systeme und Anlagen der Industrieautomatisierung an. Dies bringt auch für Bahnanwendungen ähnliche IT-Sicherheits-Implikationen mit sich wie für sonstige verteilte Rechnersysteme [2]. In Abwesenheit wirkungsvoller Schutzmaßnahmen wird die Signaltechnik immer verwundbarer für Angriffe von außen. Die sorgfältige Berücksichtigung der Angriffssicherheit (Security) wird in der Entwicklung und im Betrieb signaltechnischer Systeme immer bedeutender. Dies stellt die Hersteller, Betreiber und Gutachter von Bahnanwendungen vor große Herausforderungen. 1. Grundlegende Begriffsdefinitionen Gemäß § 2 der Eisenbahnbau- und Betriebsordnung (EBO) müssen „Bahnanlagen und Fahrzeuge so beschaffen sein, dass sie den Anforderungen der Sicherheit und Ordnung genügen“. Gleichlautend ist § 2 der Straßenbahn-Bau- und Betriebsordnung (BOStrab) für den Bereich städtischer Infrastrukturen. Der Begriff „Sicherheit“ wird hierbei allerdings in zwei unterschiedlichen Konnotationen verwendet. Dies wird genau dann deutlich, wenn man sich die verschiedenen Möglichkeiten einer englischsprachigen Übersetzung des Terminus Sicherheit verdeutlicht. Die beiden unterschiedlichen Bedeutungsausprägungen müssen für das Verständnis des Entwurfs sicherer Steuerungssysteme differenziert betrachtet werden, da sie in der Entwicklung und im Betrieb signaltechnischer Systeme in unterschiedliche technische und organisatorische Schutzkonzepte resultieren: Der englischsprachige Terminus Safety bezeichnet üblicherweise die Betriebssicherheit einer signaltechnischen Anlage. Die Betriebssicherheit beschreibt hierbei den Zustand der Gefahrenfreiheit der Systemumgebung (Reisende, Betriebspersonal) vor einer durch eine Fehlfunktion des jeweils betrachteten signaltechnischen Systems hervorgerufenen Gefährdung. Die Aspekte der Betriebssicherheit sind in den üblichen Normen für Eisenbahnsteuerungs- und -überwachungssysteme (vgl. [3] - [6]) umfassend behandelt [2]. Allerdings decken diese Normen aktuell jedoch bei weitem nicht alle Bereiche der IT-Sicherheit explizit ab. Beispiele hierfür sind Anforderungen bezüglich Virenschutz, Ferndiagnose oder automatische Software-Updates. Der englischsprachige Terminus Security bezeichnet die Angriffssicherheit und beschreibt den Schutz des jeweils betrachteten signaltechnischen Systems vor Störeinflüssen aus der Systemumgebung. Eine mögliche Ursache einer solchen Gefährdung ist ein zielgerichteter Angriff von außen [2]. Die Betrachtung der Security wird bislang über bahnspezifische Normen kaum abgedeckt. Ein Beispiel für einen auf das signaltechnische System einwirkenden Bedrohungsvektor ist das willentliche Eindringen eines Angreifers in die Systemumgebung einer Funkstreckenzentrale der Zugbeeinflussung mit der damit verbundenen Möglichkeit eines Absetzens einer gefährlichen Fahrerlaubnis. Die Konzepte Safety und Security stehen nicht separat nebeneinander, sondern sind aufeinander bezogen. Im englischen Sprachgebrauch hat sich daher das Sprichwort herausgebildet „What ’s not secure is not safe“. Fehlende IT-Sicherheit (Angriffssicherheit, Security) kann die signaltechnische Sicherheit (Betriebssicherheit, Safety) negativ beeinflussen. Es ist daher mittlerweile unstrittig, dass ein Nachweis 60 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen der IT-Sicherheit als ein Bestandteil der „klassischen“ Sicherheitsnachweisführung gemäß der einschlägigen Normen der funktionalen Sicherheit behandelt werden muss, wenn die signaltechnische Sicherheit betroffen ist [7]. Die Frage ist jedoch nur, wie genau diese Sicherheitsanforderungen im Lebenszyklus von Bahnsystemen, d. h. im Entwurf und Betrieb _sicherheitsgerichteter Systeme für den Schienenverkehr einfließen. 2. Anforderungen an den Entwurf angriffssicherer Systeme Der wesentliche Unterschied zwischen Angriffssicherheit und funktionaler Sicherheit ist der, dass es sich bei den Bedrohungen der Angriffssicherheit im Wesentlichen um bewusste menschliche Handlungen (Angriffe) handelt. Menschliche Fehler oder Auswirkungen von Hardware-Ausfällen spielen im Vergleich dazu nur eine untergeordnete Rolle oder tragen dazu bei, dass gewisse Angriffe möglich oder erleichtert werden. Dies bedeutet aber, dass im Kontext der einschlägigen Normen für die funktionale Sicherheit von Bahnanwendungen (vgl. [3] - [6]) solche Bedrohungen wie systematische Fehler behandelt werden müssen. Dies bedeutet, dass keine Quantifizierung stattfindet, sondern die Anforderungen qualitativ in Form von IT-Sicherheitsanforderungsstufen ähnlich den Sicherheitsintegritätslevels (SIL) der funktionalen Sicherheit definiert werden müssen [7]. In der Praxis wird hierbei die klassische für die Betriebssicherheit (Safety) durchgeführte Risikoanalyse um eine für die Angriffssicherheit (Security) durchgeführte Bedrohungsanalyse ergänzt. Ergebnis der Bedrohungsanalyse sind IT-Sicherheits-Anforderungsstufen für technische Systeme, die IT-Sicherheitsbedrohungen ausgesetzt sind. Ziel ist hierbei, die systematische und strukturierte Definition und Implementierung geeigneter Schutzmaßnahmen. Hierbei können vorhandene Normen und Standards für Industrieanlagen [8] analog für Bahnanwendungen angewendet werden. Die Norm [8] beschreibt die Anforderungen an ein System mit Security-Eigenschaften in einer nachvollziehbaren, strukturierten Form. Der erforderliche Schutzgrad (Angriffssicherheit) wird hierbei durch einen sogenannten Security Level (SL) festgelegt. Der Security Level charakterisiert a.) die Zufälligkeit oder Absicht des Angriffes, b.) die verfügbaren Ressourcen des potenziellen Angreifes, c.) das erforderliche Wissen des Angreifers sowie d.) seine für die Attacke vorhandene Motivation. Bild 2 stellt dar, wie sich die Ermittlung des Security Levels in die Entwicklung sicherungstechnischer Systeme für den Bahnbetrieb nach [3] einfügt. Für Bahnanwendungen gilt generell, dass die vorhandenen Safety- Normen bereits den untersten Level SL1 (zufällige oder durch unglückliche Gleichzeitigkeit von Ereignissen hervorgerufene Beeinflussung) behandeln (Tabelle- 1). Nicht ausreichend behandelt wird in den Safety-Normen die willentliche Einflussnahme mit einfachen oder hoch qualifizierten Mitteln durch Personen mit Basiswissen oder erheblichem Know-how, aber mit nur moderater Motivation. Diese Abstufungen werden in [8] mit Security Level 2 und 3 bezeichnet. Bei ihnen werden sieben Basisanforderungen mit Systemanforderungen und Implementierungsempfehlungen vorgegeben (vgl. [9] und [10]). Bild 3 stellt dar, wie beispielsweise die Basisanforderung „Zugriffskontrolle“ in konkrete Systemanforderungen (SR) und weitergehende Anforderungen (RE) dekomponiert werden kann. Diese auf die Umsetzung von Schutzmechanismen bezogenen Anforderungen werden in der Systementwicklung nachverfolgt und ihre Umsetzung im Rahmen der Eigenschaftsabsicherung (Verifikation / Validierung) nachgewiesen. Bild 2: Systematische Ableitung von Systemanforderungen für den Entwurf angriffssicherer Systeme für Bahnanwendungen nach DIN EN 50126. © Schnieder Intention Verfügbare Ressourcen Erforderliches Wissen Vorhandene Motivation SL1 Zufall n.a. n.a. n.a. SL2 Absicherung Gering Allgemein Gering motiviert SL3 Absicherung Moderat Spezielles Systemwissen Motiviert SL4 Absicherung erweitert Spezielles Systemwissen Hoch motiviert Tabelle 1: Security Level beim Bahnbetrieb. 61 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen 3. Anforderungen an den Betrieb angriffssicherer Systeme Die Verantwortung für die Aufrechterhaltung eines angemessenen Schutzniveaus der betrachteten Systeme endet nicht mit dem Zeitpunkt der Inbetriebnahme (vgl. Bild 4). Dies rückt einerseits technische Aspekte wie ein Software-Patchmanagement zwischen Hersteller und Betreiber in den Vordergrund. Außerdem werden aber auch darüber hinaus gehende organisatorische Aspekte seitens des Betreibers - wie ein Betriebskontinuitätsmanagement (BKM; englisch business continuity management (BCM)) - erforderlich. Werden beispielsweise kommerzielle Softwarekomponenten in sicherheitsrelevanten Systemen eingesetzt, ist davon auszugehen, dass systematisch Schwächen analysiert und veröffentlicht werden. Allerdings ist leider auch davon auszugehen, dass es Anwender geben wird, die Schwächen in solchen Systemen ausnutzen. Sie entwickeln beispielsweise Viren oder andere Schadsoftware und bringen diese in Umlauf. Deshalb sind im Betrieb von Eisenbahnsteuerungs- und -überwachungssystemen Maßnahmen zu ergreifen, die entweder wirksam ausschließen, dass Schadsoftware die sicherheitsgerichtete Anwendung beeinflusst oder aber, dass Schadsoftware ausreichend schnell erkannt wird. Das bedeutet, dass die Software bei kommerziellen Betriebssystemen oder bei Schadsoftware-Schutzprogrammen häufiger ausgetauscht werden muss. In Abhängigkeit einer Änderungsauswirkungsanalyse für das betroffene System (Änderung von Konfigurationsdaten, Fehlerbehebung ohne Funktionserweiterung, Funktionserweiterung) ist ggf. eine erneute Validierung und Sicherheitszulassung des Systems erforderlich [7]. Hierbei zahlt es sich aus, wenn Gegenmaßnahmen für die Angriffs- und Betriebssicherheit in der Implementierung signaltechnischer Systeme unabhängig voneinander umgesetzt wurden. Dies ermöglicht eine klare Aufgabenteilung zwischen IT-Sicherheitsexperten für den Bereich der Angriffssicherheit und Experten für die anwendungsspezifische Betriebssicherheit. Darüber hinaus ist eine Entkopplung der Maßnahmen auch aus Sicht der Systempflege anzuraten. Der Lebenszyklus von Maßnahmen zur Angriffssicherheit ist üblicherweise deutlich kürzer als der von Maßnahmen zur Betriebssicherheit. Dies ist in den immer leistungsfähigeren Rechnern und mathematisch optimierten Bild 3: Dekomposition der grundlegenden Anforderung „Zugriffskontrolle“ in konkrete Systemanforderungen. © Schnieder Bild 4: Integration des Software-Patchmanagements in den Lebenszyklus von Bahnanwendungen nach DIN EN 50126. © Schnieder 62 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen AUTOR Dr.-Ing. Lars Schnieder Leiter Assessment Service Center ESE Engineering und Software-Entwicklung GmbH Kontakt: lars.schnieder@ese.de Angriffsverfahren begründet. Werden Maßnahmen der IT-Sicherheit in einem dedizierten Architekturbereich angeordnet, können somit seriengefertigter Produkte aus dem Elektronik- und Softwarebereich (sog. commercial-of-the-shelf, COTS) für die Sicherstellung der Angriffssicherheit eingesetzt werden. Ein Beispiel hierfür sind kommerzielle Bibliotheken für Verschlüsselungsalgorithmen. Über die zuvor dargestellten Maßnahmen des Software-Patchmanagements hinaus ist von den Betreibern auch ein Betriebskontinuitätsmanagement auszuarbeiten. Dies umfasst ein leistungsfähiges Notfall- und Krisenmanagement zwecks systematischer Vorbereitung auf die Bewältigung von Schadenereignissen [11]. Dies hat zum Ziel, dass wichtige Geschäftsprozesse selbst in kritischen Situationen und in Notfällen nicht oder nur temporär unterbrochen werden und die wirtschaftliche Existenz des Unternehmens trotz Schadenereignis gesichert bleibt. Zu diesem Zweck werden Prozesse erstellt und eingeführt und ein exakt auf das jeweilige Unternehmen abgestimmter Notfallvorsorgeplans erstellt. In Bezug auf Schienenverkehrsinfrastrukturen muss ein solches BCM Aussagen zur Zusammenarbeit von Herstellern, Behörden und dem betroffenen Unternehmen enthalten. Um im Krisenfall tatsächlich Bahnbetrieb durchführen zu können, sind die Vorgaben des BCM in betriebliche Regeln umzusetzen. Das betriebliche Regelwerk ist so zu erweitern, dass es Charakteristiken eines IT-Security-Angriffs berücksichtigt. So beruht das heutige Regelwerk auf Vertrauen in die Richtigkeit von Informationen und Identitäten, die nach einem erfolgreichen Angriff nicht mehr gewährleistet sein müssen [1]. 4. Fazit Aspekte der IT-Sicherheit und der signaltechnischen Sicherheit müssen im Systementwurf und im Betrieb gleichzeitig Berücksichtigung finden. Grundlegende Prozessschritte für den Entwurf und den Nachweis der Angriffssicherheit technischer Systeme können problemlos in die für den Entwurf und die Implementierung signaltechnischer Systeme (vgl. [3]) integriert werden. Insofern können bereits vorhandene Normen der IT-Sicherheit [8] weitestgehend verwendet und bahnspezifisch adaptiert werden. Die Berücksichtigung von IT-Security-Anforderungen bringt zusätzliche Einschränkungen oder höheren Aufwand in der Entwicklung und im Betrieb leit- und sicherungstechnischer Systeme für Bahnanwendungen mit sich. Allerdings ist beim Fehlen adäquater Schutzmechanismen damit zu rechnen, dass signaltechnische Systeme, die keinen ausreichenden Basisschutz besitzen, entweder gehackt oder öffentlich kompromittiert werden. Dies hätte negative wirtschaftliche Auswirkungen für die Verkehrsunternehmen und einen Vertrauensverlust in der Bevölkerung oder im schlimmsten Fall Unfallverluste zur Folge. LITERATUR [1] Milius, B., Huang, P.-C.: IT-Security-Angriffe: Herausforderung für das Krisenmanagement. In: EI-Der Eisenbahningenieur 67 (2016) 6, S. 29-32. [2] Mönig, N., Lemke, O., Cengiz, G.: Security-Betrachtungen im Safety-Life-Cycle von bahntechnischen Systemen. In: SIGNAL + DRAHT 105 (2013) 4, S. 6-10. [3] DIN EN 50126: 2000-03: Bahnanwendungen - Spezifikation und Nachweis der Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit, Instandhaltbarkeit, Sicherheit (RAMS); Deutsche Fassung EN 50ß126: 1999 [4] DIN EN 50128: 2012-03: Bahnanwendungen - Telekommunikationstechnik, Signaltechnik und Datenverarbeitungssysteme - Software für Eisenbahnsteuerungs- und Überwachungssysteme; Deutsche Fassung EN 50128: 2011 [5] DIN EN 50129: 2003-12: Bahnanwendungen - Telekommunikationstechnik, Signaltechnik und Datenverarbeitungssysteme - Sicherheitsrelevante elektronische Systeme für Signaltechnik; Deutsche Fassung EN 50129: 2003. [6] DIN EN 50159: 2001-04: Bahnanwendungen - Telekommunikationstechnik, Signaltechnik und Datenverarbeitungssysteme - Sicherheitsrelevante Kommunikation in Übertragungssystemen; Deutsche Fassung EN 50159: 2010. [7] Braband, J.: Safety trifft Security: Sicherheitsnachweis und Begutachtungsstrategien. In: SIGNAL + DRAHT 108 (2016) 4, S. 23 - 28. [8] IEC 62443-3-3: 2013 - Industrial communication networks - Network and system security - part 3-3: System security requirements and security levels. [9] Seifert, M., Reinert, J.: Die nächste Generation der IT- Sicherheit für Stellwerke. In: SIGNAL + DRAHT 106 (2014) 5, S. 33 - 36. [10] Störtkuhl, T.: IT-Sicherheit auf Basis IEC 62443 für elektrische Signalanlagen. In: Signal+Draht 106 (2014) 10, S. 10-12. [11] Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik: BSI-Standard 100-4: Notfallmanagement. BSI (Bonn) 2008. 63 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Ob man sich im Alltag aktiv, gesund und umweltfreundlich oder passiv und motorisiert im eigenen Auto fortbewegt, hängt nicht nur von persönlichen und soziodemografischen Faktoren ab. Gerade die gebaute Umwelt als Lebensraum für die Menschen - und vor allem Straßenräume - können das Mobilitätsverhalten nachhaltig beeinflussen [1]. Das Konzept der Walkability verfolgt daher einen ganzheitlichen Ansatz und zielt aus planerischer Sicht auf eine bewegungsanimierende Umwelt [2]. Damit einher gehen zugleich sichtbare und unsichtbare Qualitäten, die die Lebensqualität einer Stadt oder eines Stadtquartiers spürbar erhöhen kann. Für zukünftige Planungen gilt es daher, Möglichkeiten zu prüfen, um die Stärkung der Walkability durch die Gestaltung einladender, attraktiver und bewegungsfreundlicher Stadträume zu erreichen. So banal diese Erkenntnisse auch erscheinen mögen, gut gestaltete Straßenräume beeinflussen unzweifelhaft das Verhalten. Eine autogerecht ausgebaute Straße verführt z. B. zum schnellen Fahren. Im Gegenzug: Kleinmaßstäblich gestaltete Stadträume fördern langsames Fahren und führen zu mehr Urbanität des öffentlichen Raums [3]. Damit Straßenräume Walkability - für lebenswerte Stadträume Methoden zur Messung und Erfassung von Straßenraum- Merkmalen: Reicht die objektive Messung aus? Gebaute Umwelt, Walkability, Urbanität, Fußverkehr, Straßenraum, Verhalten Minh-Chau Tran, Sonja Hellali-Milani „Walkability“ wird als ganzheitliches Konzept für eine lebenswerte nachhaltige Stadt verstanden: Es ist mehr als nur „Fußgängerfreundlichkeit“. Die Messung und Erfassung der Walkability sind ein entscheidender Bestandteil zur Bewertung der Qualität des öffentlichen Raumes - auch um Politik und Planung über dessen Zustand zu informieren. Die Erfassung von Straßenraum-Merkmalen galt bisher als sehr aufwändig. Zudem wurden kontextspezifische Verhaltens- und Wahrnehmungsweisen nur ungenügend berücksichtigt. Neue Methoden sowie digitale Werkzeuge bilden in diesem Kontext nun einen Wendepunkt. Bild 1: Autoorientierter Straßenraum versus menschenorientierter Straßenraum © Institut für Stadtplanung und Städtebau, Universität Duisburg-Essen 64 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen wieder als Lebensräume für Menschen aller Altersgruppen und nicht ausschließlich als rein funktionaler Transitraum für fahrende Autos (Bild 1) - gerade in Wohnquartieren und im Umfeld von Stadtteilzentren - verstanden, geplant und genutzt werden, müssen im ersten Schritt Entscheidungsträger und Betroffene für das Thema sensibilisiert werden. Warum Walkability messen? Messung und Erfassung der Walkability sind entscheidender Bestandteil, um Politik und Planung zu sensibilisieren, zu informieren und um die Auswirkungen zu bewerten [4]. Zugleich können die Ergebnisse als Entscheidungshilfe für zukünftige Planungen dienen und Bewohnern helfen, ihr Wohnumfeld selbst systematisch im Hinblick auf Walkability zu erfassen und zu bewerten. Es gilt daher sowohl aus fachlicher Sicht als auch aus Perspektive der jeweiligen Quartiersbewohner diejenigen baulich-räumlichen Merkmale zu identifizieren und zu bewerten, welche die Entscheidung zu Fuß zu gehen sowie die Wahrnehmung von Fußgängern beeinflussen. Dies ist nicht einfach, denn Stadträume, in denen Menschen zu Fuß gehen, sind zu komplex für einfache Quantifizierungen. Beispielsweise lässt sich das „Gehen“ anhand seiner Wegezwecke unterscheiden, also a) Gehen für den Transport, b) Gehen als körperliche Bewegung oder c) Gehen zum Vergnügen bzw. zur Erholung. Je nach Zweck unterscheiden sich die Auswirkungen der Merkmale der gebauten Umwelt auf das Verhalten [5]. Daher existiert mittlerweile eine Reihe von Mess- und Erfassungsinstrumenten, die etwa unterschiedliche Wegezwecke berücksichtigen und auf verschiedenen räumlichen Maßstabsebenen angewendet werden können. Allerdings wurden bisher unterschiedliche kontextspezifische Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen sowie Bedürfnisse und individuelle Präferenzen der jeweiligen Bevölkerung nur ungenügend berücksichtigt. Walkability kann also in verschiedenen Maßstäben und aus unterschiedlichen Perspektiven gemessen werden. Jeder Ansatz schafft eine andere Ebene für das Verständnis zwischen Merkmalen der gebauten Umwelt und dem Fußgängerverhalten. Der Beitrag gibt einen vereinfachten Überblick über eine Auswahl verschiedener Methoden der Erfassung und Messung der Walkability von Straßenräumen und zeigt anhand einer Studie in Essen, wie unterschiedliche Methoden angewendet werden können: Welche Methoden und Werkzeuge gibt es, welche Merkmale sind objektiv messbar und welche subjektiv erfassbar und welche Herausforderungen gibt es? Die hier vorgestellten Methoden reichen von GIS-Analysen bis hin zu Walk-Audits vor Ort. Objektive Messung bis hin zur subjektiven Erfassung der gebauten Umwelt Um die Qualitäten der gebauten Umwelt messen zu können, sind zum einen zwischen objektiv messbaren, großmaßstäblichen Merkmalen - Grobmerkmalen - auf Gesamtstadt-, Stadtteil- oder Quartiersmaßstab (Makroebene) und zum anderen wahrgenommenen und individuell zu erfassenden, qualitativ kleinräumigen Merkmalen im Straßenraummaßstab (Mikroebene) - Feinmerkmale - zu unterscheiden. Diese Methoden beziehen sich auf unterschiedliche Maßstabsebenen und werden gerne als „Desk-Top-Ebene“ und „Vor-Ort-Erfassung“ bezeichnet. Erst die Kombination der Ergebnisse beider Analysen zeigt den Zusammenhang zwischen der gebauten Umwelt und dem Zufußgehen auf. Dabei lassen sich sowohl die Verkehrssysteme - z. B. die Erreichbarkeit verschiedener Orte innerhalb eines Quartiers -, als auch die Siedlungsstruktur - folglich die räumliche Verteilung und Anordnung der Nutzungen und Strukturen in einem Gebiet - durch die „Desk-Top-Ebene“ erfassen. Städtebauliche Gestaltungsmerkmale auf Straßenraumebene - also die Feinmerkmale - hingegen werden mit Vor- Ort-Erfassungen analysiert. qualitativ Resultate basieren auf kleiner Anzahl (eher beschreibend) quantitativ Resultate basieren auf größerer Anzahl (repräsentativ) subjektiv Resultate basieren auf persönlichen Einschätzungen Beispiel: Begehung/ Augenschein „Community Street Audit“ (Wie Anwohner/ Nutzer die Sicherheit eines Fußgänger-Übergangs einschätzen) Beispiel: Bevölkerungs-Befragung zu Einstellungen (Wie sicher fühlen sich Fußgänger generell) objektiv Resultate basieren auf realen Gegebenheiten (objektivierte Einschätzungen) Beispiel: Experten-Beurteilung nach Norm-Checkliste (Wie gut eine Straße die offiziellen Sicherheitsanforderungen erfüllt) Beispiel: Zählungen und „harte“ Daten- Erhebungen (Wie viele Personen wurden schwer verletzt oder getötet) Tabelle 1: Kategorisierung von Mess- und Erfassungsarten (eigene Darstellung auf Basis von Sauter [9]) 65 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Vor dem Hintergrund der intensiven Diskussion über die mangelnde Qualität des öffentlichen Straßenraums für Begehbarkeit sind in den vergangenen Jahren Messwerkzeuge entstanden, um die Walkability einer Quartiers- und Straßenraumgestaltung oder Gestaltungsmerkmale (Qualitäten) der gebauten Umwelt zu messen [6]. Die Bewertung der gebauten Umwelt erfolgt anhand verschiedener Methoden. Die Methoden umfassen GIS (Geoinformationssystem)-Analysen, Walk-Audits mit Hilfe von Checklisten oder digitalen Tools, Observation, Bestandsaufnahmen, Experten- und Nutzerbefragungen sowie die Untersuchung von Kennwerten [7]. Obwohl diese Methoden sich in ihrer Anwendung unterscheiden, gibt es im Wesentlichen zwei Formen von Ergebnissen: Entweder eine einzelne Zahl (Score), die die gebaute Umwelt entsprechend des Grads der Eignung für das Zufußgehen einstuft, oder die Erfassung von Merkmalen, die das Zufußgehen behindern oder unterstützen [8]. Die bisherigen Messungen lassen sich quantitativ oder qualitativ durchführen. Unterschieden werden dabei subjektive und objektive Messungen der gebauten Umwelt, da einige Merkmale objektiv gemessen werden können und weniger Aufwand fordern als andere, die eher subjektiver Natur sind [8]. Messungen der Wahrnehmung können zudem wesentlich von objektiven Messungen abweichen. Bei Auswertungen subjektiver und objektiver Messungen einer identischen gebauten Umwelt haben die erzielten Ergebnisse meist mittelmäßige bis schlechte Übereinstimmungen. Dennoch ist es essentiell, objektiv gemessene Merkmale der gebauten Umwelt mit der Wahrnehmung derselben Umwelt zu vergleichen, um den Zusammenhang zwischen der gebauten Umwelt und das Verhalten im öffentlichen Raum besser zu verstehen. Hier besteht erhöhter Forschungsbedarf. Sauter [10] fasst die verschiedenen Erfassungsansätze zusammen und unterstreicht die Validität aller und die Notwendigkeit der gegenseitigen Ergänzung und Abwägung (Tabelle 1). Welche Methode angewandt wird, ist abhängig von den Anforderungen und dem Ergebnis (Outcome). Walkability Studie in Essen - Grenzen objektiver Messbarkeit In einer Walkability-Studie, die am Institut für Stadtplanung und Städtebau der Universität Duisburg- Essen derzeit durchgeführt wird, liegt der Fokus auf der Verknüpfung von objektiv gemessenen, quantifizierbaren Ergebnissen der gebauten Umwelt mit subjektiv erfassbaren Ergebnissen. Ziel ist, herauszufinden, ob die Ergebnisse auf Mikroebene die objektiven Messungen auf Makroebene relativieren oder gar widerlegen. Dafür wird eine handhabbare, benutzerfreundliche digitale Applikation für zeitsparendere Walk Audits auf Straßenraumebene (Mikroebene) entwickelt, die sich mit GIS-Analysen auf Gesamtstadtebene (Makroebene) koppeln lässt. Der Walkability Index [10], der nur objektive Merkmale der gebauten Umwelt wie Haushaltsdichte oder Straßenkonnektivität misst, die in Verbindung mit dem nicht-motorisierten Transport stehen (Bild 3: Walkability-Karte), bildet die Basis für die Entwicklung des Walk Audit Tools. Dieses Tool soll für Politik und Planung zur Verbesserung der Entscheidungsfindung dienen. Mit dessen Hilfe können zunächst physische kleinräumige Straßenraum-Merkmale vor Ort, wie Hindernisse auf dem Gehweg, erfasst werden, die bei der Berechnung des Walkability Index nicht berücksichtigt werden können. Hinzu kommt die objektive Erfassung städtebaulicher Qualitäten wie etwa Gebäudefassaden. Aus technischer Sicht ist es möglich, dass zusätzlich zu den objektiven Messergebnissen subjektive Indikatoren erfasst werden und in die Bewertung einfließen können, die sich nicht so leicht quantifizieren lassen wie die Sicherheitswahrnehmung. In Bild 2 wird schematisch dargestellt, wie sich die Ergebnisse Schritt für Schritt mit Hilfe von verschiedenen Mess- und Erfassungsmethoden verfeinern und schärfen lassen (objektiv bis hin zu subjektiv). Innovativ hierbei ist, dass das Walk Audit Tool nicht die klassischen Checklisten in Papierform braucht, sondern mit Hilfe des ArcGIS-Collectors digitalisiert erfasst und in einem weiteren Schritt mit dem GIS-basierten Walkability Index automatisch gekoppelt wird. Somit werden die vor Ort erfassten Daten automatisch in die Kalkulation des Walkability-Scores miteinbezogen, sodass Fehlerquoten Bild 2: Schemadarstellung des Studienkonzepts. © Institut für Stadtplanung und Städtebau, Universität Duisburg-Essen 66 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen bei der Übertragung von Daten entfallen. Das Walk Audit Tool enthält kontextrelevante Merkmale und ist an hiesige Verhältnisse angepasst. Dafür müssen die Entwickler die Quartiere und ihre prägenden räumlichen und bevölkerungsspezifischen Eigenheiten kennen (Bild 3). Darstellen lassen sich die nicht quantifizierbaren Ergebnisse z. B. in Form einer Fotodokumentation, verortet in der Karte und ergänzt durch eine textliche Erläuterung. Das Tool wird derzeit getestet, indem erste Pretest-Audits in sieben ausgewählten Straßenräumen in nutzungsgemischten Gebieten (z. B. Nahversorgungszentrum) in Essen durchgeführt werden. Sie unterscheiden sich in der Lage in der Stadt sowie in ihrer sozioökonomischen Struktur. Es wurden nur Straßenräume mit einem hohen Walkability-Grad ausgewählt, um eine Antwort auf die Frage zu finden, inwiefern sich die Ergebnisse auf Makroebene relativieren oder verfeinern lassen, wenn sie mit Ergebnissen aus den Walk Audits auf Mikroebene und den Befragungen der Menschen überlagert werden. Das tatsächliche Verhalten kann im Rahmen dieser kurzen Studie nicht überprüft werden. Dies kann über Zählungen, genaue Beobachtungen oder den Einsatz von Tracking Tools in einem weiteren Schritt untersucht werden. Beobachtungen über Verhaltensweisen im Stadtraum Natürliche Experimente wie urbane Interventionen, bei denen ein Stadtraum mit einfachen Mitteln temporär umgestaltet wird, können als Labor dienen, um veränderte Bewegungs-, Nutzungs- und Wahrnehmungsmuster zu beobachten (Bild 4). Je länger die Intervention dauert, desto mehr Daten können gesammelt werden und desto größer ist die Tiefenschärfe der Ergebnisse über Verhaltensweisen der Bewohner, Nutzer und Quartiersakteure. Verhaltensänderungen im Alltag zu verschiedenen Tageszeiten an verschiedenen Wochentagen und unter verschiedenen Wetterbedingungen können somit besser erfasst werden (z.B. mit den Public-Space- Bild 3: GIS-basierter Walkability Index für die Gesamtstadt Essen (Makroebene) und Walk Audit in einem Straßenraum (Mikroebene). © Institut für Stadtplanung und Städtebau, Universität Duisburg-Essen Bild 4: Annastraße (Essen) vor und während der temporären Intervention. © Institut für Stadtplanung und Städtebau, Universität Duisburg-Essen 67 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Public-Life-Tools von Gehl [11]), um Nutzungsmuster und mögliche Konflikte zu erkennen und frühzeitig gemeinsam Lösungen zu finden. Eine länger andauernde Intervention hat zudem stärkere Effekte auf das Alltagsleben der Quartiersbewohner im Hinblick darauf, alte Gewohnheitsmuster zu überdenken (Bild 4). Fazit Es gibt nicht nur eine Art, die Walkability zu messen oder zu erfassen. Während Kernprinzipien und mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede in den Methoden auszumachen sind, unterscheiden sich Bevölkerungsgruppen und Orte, sodass die Walkability Tools an die jeweiligen räumlichen und kulturellen Kontexte sowie Bedürfnisse verschiedener Bevölkerungsgruppen angepasst werden müssen. Dieses gilt umso mehr, wenn es um die Frage geht, wie gut die Indikatoren dieser Tools tatsächliches Gehverhalten vorhersagen. Die objektiv messbaren, großmaßstäblichen Merkmale auf Gesamtstadt-, Stadtteil- oder Quartiersmaßstab sind besser geeignet für eine generelle Beschreibung der Bedingungen, während die wahrgenommenen und individuell zu erfassenden, qualitativen kleinräumigen Merkmale auf Straßenraum-Maßstab geeigneter für die Identifizierung der Qualität dieser Bedingungen sind. Eine Herausforderung ist es, Merkmale festzustellen, die das Zufußgehen positiv beeinflussen, und nicht Merkmale festzulegen, die dazu führen, dass mehr Menschen zu Fuß gehen, denn das Zufußgehen wird immer im Zusammenspiel mit bewussten Entscheidungen, Gewohnheiten, sozialen und kulturellen Traditionen und Situationen sowie verschiedenen Eigenschaften der gebauten Umwelt wirken. Neben raumbezogenen Disziplinen sind daher auch die Sozialwissenschaften und Kulturwissenschaften, die Umweltpsychologie oder die Gesundheitswissenschaften in die künftige Walkability-Forschung einzubeziehen. LITERATUR [1] Saelens, B. et al.: Environmental correlates of walking and cycling: Findings from the transportation, urban design, and planning literatures. Annals of Behavioral Medicine 25 (2003), S. 80-91. [2] Tran, M.C., Schmidt, J.A.: Walkability aus Sicht der Stadt- und Verkehrsplanung. In: Bucksch, J.; Schneider, S. (Hrsg.): Walkability - Das Handbuch zur Bewegungsförderung in der Kommune. Bern. Hans Huber Verlag, 2014. [3] Hellali-Milani, S.: Aktive Mobilität im Quartier - Messungen und Erfassung von Straßenraum Merkmalen im Zusammenhang mit der Mobilität. Unveröffentl. Diss. (vsl. 2018). [4] Sauter, D.: Introduction. In: COST: Pedestrians´ Quality Needs. Part B4. Documentation - Measuring walking. PQN project - Measuring Walking collective, 2010. [5] Leslie, E. et al.: Objectively Assessing ’ Walkability ’ of Local Communities: Using GIS to Identify the Relevant Environmental Attributes. GIS for Health and the Environment (2007), p. 91-104. [6] Ewing, R. et al. : Measuring the Unmeasurable: Urban Design Qualities Related to Walkability. Journal of Urban Design 14 (2009) 1 (February), p. 65-84. doi: 10.1080/ 13574800802451155. [7] Brownson, R.C. et al. : Measuring the Built Environment for Physical Activity: State of the Science. American Journal of Preventive Medicine. April 36 (4 Suppl.) (2009) p. 99-123. e12. doi: 10.1016/ j.amepre.2009.01.005. [8] Maghelal, P.K. et al.: Walkability: A Review of Existing Pedestrian Indices. Journal of Urban and Regional Information System Association, 2010. [9] Sauter, D.: Measuring Walking. 2010 http: / / fussverkehr.ch/ fileadmin/ redaktion/ dokumente/ fachtagung2010_sauter1.pdf (Zugriff am 15.09.16) [10] Frank, L. et al.: The development of a walkability index: application to the Neighbourhood Quality of Life Study. British Journal of Sports Medicine, 44 (2010) p. 924-933. [11] Gehl, J.; Svarre, B.: How to Study Public Life. Island Press, 2013. AUTORINNEN Dr.-Ing. Minh-Chau Tran Wissenschaftliche Mitarbeiterin Institut für Stadtplanung und Städtebau (ISS) der Universität Duisburg-Essen Kontakt: minh-chau.tran@uni-due.de Dipl.-Ing. Sonja Hellali-Milani Wissenschaftliche Mitarbeiterin Institut für Stadtplanung und Städtebau (ISS) der Universität Duisburg-Essen Kontakt: sonja.milani@uni-due.de 68 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Das Fahrrad als Verkehrsmittel hat in Berlin aktuell Konjunktur. Die Verkehrswende wird dort verstärkt politisch aufgegriffen und davon profitiert auch der öffentliche Verkehr (ÖV) rund um Bus und Bahn. Beispiele sind die Ergebnisse der durch die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt beauftragten Machbarkeitsstudie „Klimaneutrales Berlin 2050“ [1], die Beachtung der Initiative „Volksentscheid Fahrrad“ oder die Rolle des Umweltverbunds im Rahmen der Abgeordnetenhauswahl im September 2016, bei der Themen der Verkehrs- und Stadtplanung zunehmend an Wichtigkeit gewannen. Mittlerweile werden in Berlin mehr als 13 % der Wege mit dem Rad zurückgelegt [2]. Gleichzeitig kommt der Ausbau der Schnittstellen zwischen ÖV und Radverkehr kaum voran. Auch der Infrastruk- Smartphones unterstützen die Mobilitätsforschung Erkenntnisse aus dem Projekt „RadSpurenLeser“ zur Vernetzung von Radverkehr und öffentlichem Verkehr in Berlin Smartphone, Mobilitätsforschung, Berlin, Radverkehr, öffentlicher Verkehr, Intermodalität Enrico Howe, Robert Schönduwe, Andreas Graff, Lena Damrau, Joscha Kükenshöner Smartphone-Daten sind ein neuer Trend in der Mobilitätsforschung. Sie helfen Planungsbüros, Universitäten, Verkehrsbetrieben, Startups und weiteren Akteuren bei ihren alltäglichen Aufgaben. Aktuell gibt es verschiedene Ansätze der Datengewinnung. Die App „modalyzer“ des Berliner Innovationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) hat nun einen Ansatz für die Schnittstelle zwischen Radverkehr und öffentlichem Verkehr in Berlin validiert. Bild 1: Durchschnittliche Radverkehrsgeschwindigkeiten in der Berliner Innenstadt [3]. 69 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen turausbau kann mit der gestiegenen Bedeutung des Radverkehrs schwer mithalten. So sind die Radverkehrsgeschwindigkeiten in der Berliner Innenstadt häufig infrastrukturbedingt gering (siehe Bild 1). Bislang stehen Forschern, Planern und Politikern häufig nur lokale Datensets zur Verfügung, die meist nur einen räumlich und zeitlich sehr begrenzten Ausschnitt des Verkehrsgeschehens abbilden. Dies gilt insbesondere für Erhebungen zum Verkehrsverhalten, die meist als schriftliche oder telefonische Befragungen durchgeführt werden. Die Verwendung dieser Erhebungsmethoden bedeuten hohen Aufwand, hohe Kosten und lange Erhebungs- und Analysezeiträume. Angesichts der sich ändernden Angebotslandschaft [4] und sich ebenfalls ändernden Nachfragemustern [5] wächst der Bedarf an kontinuierlich erhobenen Daten, mit denen spezifische Fragestellungen analysiert werden können. Seit einigen Jahren wird versucht, Smartphones als neue Erhebungsinstrumente zu nutzen [6]. Smartphonedaten werden für verschiedene Ansätze erhoben und für Forschung und Beratung nutzbar gemacht - schnell, günstig, qualitativ hochwertig und datenschutzkonform sind nur einige der angelegten Maßstäbe. Das Forschungsprojekt „RadSpurenLeser“ hat genau dies für die Schnittmenge von Radverkehr und ÖV umgesetzt [7]. RadSpurenleser ist eine Studie des Berliner Innovationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) und wurde mit Mitteln zur Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans (NRVP) 2020 durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) gefördert. Dabei wurde zwischen September 2015 und September 2016 untersucht, wie sich ÖV und Fahrrad im Alltag kombinieren lassen und wie die Kombination dieser Verkehrsmittel gefördert werden kann. Von zentraler Bedeutung ist die Bewertung der Schnittstellen von ÖV und Radverkehr: Fahrradmitnahme in der Bahn, Stellplatzinfrastrukturen an Bahnhöfen und die Nutzung von Bikesharing-Angeboten. Zur Erhebung der Mobilitätsdaten wurde die kostenfreie Smartphone-App „modalyzer“ [8] genutzt. modalyzer ist ein digitales Wegetagebuch, welches zurückgelegte Wege automatisiert verschiedenen Verkehrsmitteln zuordnet. Aktuell werden Fußwege, Fahrrad, Auto, Bus, Regionalzug, S-Bahn, Straßenbahn, U-Bahn und Fernzug automatisiert erkannt. Fernbus, Flugzeug und Wasserfahrzeug können vom Nutzer manuell hinzugefügt werden. Aus diesen Daten werden dem Nutzer persönliche Mobilitätserkenntnisse wie Verkehrsanteile (Modal Split) oder der CO 2 -Ausstoß angezeigt (siehe Bild 2). Ausgangspunkt der Analysen sind die durch Smartphones aufgezeichneten GPS- und WLAN-Daten. Bewegungsdaten der Smartphones und Daten externer Quellen wie z.B. Streckenverlauf von öffentlichen Verkehrsmitteln sind ebenfalls nützlich. An der Studie nahmen 151 Menschen aus Berlin und Umgebung teil. Mit dem Smartphone zeichneten sie ihr alltägliches Mobilitätsverhalten automatisch und datenschutzkonform auf. Ergänzend wurden Einstellungen zur Mobilität sowie soziodemographische Angaben der Teilnehmenden durch eine Online-Umfrage ermittelt. Insgesamt konnten Mobilitätsdaten von über 6000 Tagen und 270 000 Kilometern erhoben werden - 3075 Wege an 1068 Tagen und über 37 000 zurückgelegte Kilometer flossen in die Auswertung ein (siehe Bild 3). Hiermit wurde ein umfangreiches Datenset u.a. für Verkehrsbetriebe, Verbände, zivilgesellschaftliche Gruppen und Anschlussforschung geschaffen. Die Daten eignen sich insbesondere um den Anteil inter- und multimodaler Wege von Radfahrenden zu bestimmen. Intermodalität beschreibt die Nutzung verschiedener Verkehrsmittel auf einem Weg (z.B. Fahrrad-Bahn-Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit), während Multimodalität die Nutzung verschiedener Verkehrsmittel innerhalb eines größeren Zeitraums beschreibt (z.B. montags mit dem Rad zur Arbeit, dienstags mit dem ÖV). Dabei zeigte sich, dass rund 8 % der gesamten zurückgelegten Bild 2: Vereinfachter Ablauf des Wegetrackings mit modalyzer via Smartphone aus Nutzersicht: Download/ Installation, Wegeerkennung, Ergebniseinsicht [8]. 70 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Wege intermodal zurückgelegt wurden und 12 % der zurückgelegten Radwege mit dem ÖV kombiniert werden (siehe Bild 4). Kennwerte wie diese können u.a. Verkehrsunternehmen bei der Bedarfsplanung unterstützen. Ferner konnte gezeigt werden, dass Multimodalität eine starke Rolle in der Alltagsmobilität der Teilnehmer der Studie einnimmt. So waren 78 % der untersuchten Radfahrer im Wochenverlauf multimodal unterwegs (siehe Bild 5). Besonders häufig traten dabei die Kombination von Fahrrad und ÖV (26 % der Nutzer) sowie Fahrrad-Auto-ÖV (25 % der Nutzer) auf. Die Kombination aus Rad und PKW war zweitrangig (8 % der Nutzer). Im gesamten Sample (nicht nur Radfahrer) waren 68 % der Nutzer multimodal unterwegs. Die Methode ermöglicht weitere Auswertungen wie z.B. die automatisierte Erkennung von Bikesharing-Fahrten, Analyse von Einzugsbereichen von Bahnhöfen, Kernnutzungszeiten verschiedener Mobilitätstypen und Verkehrsteilnehmer (Lastgangkurven) oder der Identifizierung von verkehrsmittelspezifischen Hauptverkehrsachsen und Verweilräumen. Insgesamt nahmen vor allem umweltbewusste Rad- und ÖV-affine Probanden sowie technikaffine Multioptionale an der Studie teil. Bild 3: Gesamtübersicht der in Berlin im Jan/ Feb und Apr/ Mai 2016 mit modalyzer analysierten Wege [3] Bild 4: (links) Anzahl der Wege, Anteil der Wege und Mittelwert der zurückgelegten Distanzen von mono- und intermodalen Wegen [3] Bild 5: (rechts) Bedeutung der verschiedenen multimodalen Verkehrsmittelkombinationen, Einheit: Anzahl der Nutzer [3] 71 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Aus den Analysen der Trackingdaten und der begleitenden Online-Erhebung wurden dezidierte Handlungsempfehlungen für Politik, Verwaltung und Wirtschaft abgeleitet. Die Untersuchungsgruppe wünschte sich beispielsweise mehr, sicherere und vielfältigere Abstellanlagen für Räder. So gibt es in Berlin bislang nur wenige abschließbare Fahrradboxen und es gibt kein Fahrradparkhaus - hochwertige Räder werden bislang somit kaum an Bahnhöfen abgestellt und verhindern eine Stärkung des Umweltverbunds aus Fahrrad und ÖV. Die Fahrradmitnahme sollte erleichtert werden. Hier gibt es ein Spannungsfeld zwischen Radfahrern und ÖV-Kunden, die ohne Fahrrad unterwegs sind. Hier setzt ein erstes Pilotprojekt „Rad im Regio“ des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg an [9]. Darüber hinaus ist ein dichteres Bikesharing-Angebot in Planung, um eine bessere An- und Abreise zu den Haltestellen des öffentlichen Verkehrs zu ermöglichen. Das Beispiel RadSpurenLeser zeigt, dass Smartphone-generierte Datensätze einen wichtigen und neuen Beitrag zur Mobilitätsforschung leisten können. Mit modalyzer wurden bereits seit 2013 Forschungsfragestellungen zur Umweltentlastungswirkung von E-Carsharing in urbanen Räumen (WiMobil), der Rolle von Wearable Devices (Guide- 2Wear), zu Trends in der Alltagsmobilität (Multimo), zur Indoor-Navigation (DIMIS) oder auch in der internationalen Kooperation (u.a. mit der Ukraine und Mexiko) beantwortet. Über den hier beschriebenen Ansatz hinaus gibt es weitere technische Ansätze. Bereits jetzt zeigt sich, dass in der Kombination mit klassischen Methoden der Verkehrsforschung Smartphonebasierte Wegetagebücher neue Erkenntnisse zur Unterstützung der urbanen Transformation generieren können. LITERATUR [1] Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin; Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK); Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel GmbH; Institut für ökologische Wirtschaftsforschung gGmbH, et al.: Machbarkeitsstudie Klimaneutrales Berlin 2050. Potsdam, Berlin, 2014. [2] Technische Universität Dresden & Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin, 2014: Tabellenbericht zum Forschungsprojekt „Mobilität in Städten - SrV 2013“ in Berlin. Dresden. [3] Schönduwe, R., Graff, A., Damrau, L., Kükenshöhner, J., Howe, E.: Erhebungsergebnisse. Abschlussveranstaltung RadSpurenLeser, 2016. https: / / www.innoz.de/ sites/ default/ files/ 3 _radspurenleser_ergebnisse. pdf [4] Canzler, W., Knie, A.: Die digitale Mobilitätsrevolution. Vom Ende des Verkehrs, wie wir ihn kannten. München, 2016. AUTOR I NNEN Enrico Howe Projektleiter RadSpurenLeser InnoZ GmbH Kontakt: enrico.howe@innoz.de Dr. Robert Schönduwe Experte für geographische Mobilitätsanalysen InnoZ GmbH Kontakt: robert.schoenduwe@innoz.de Andreas Graff Experte für CAWI InnoZ GmbH Kontakt: andreas.graff@innoz.de Lena Damrau GIS-Analysen InnoZ GmbH Kontakt: lena.damrau@innoz.de Joscha Kükenshöner GIS-Analysen InnoZ Gmbh Kontakt: Joscha.kuekenshoener@innoz.de [5] Lanzendorf, M., Schönduwe, R.: Urbanität und Automobilität. Neue Nutzungsmuster und Bedeutungen verändern die Mobilität der Zukunft. Geographische Rundschau. Jg. 6 (2013), S. 34-41. [6] Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (bmvit) (Hrsg.): Konzeption eines mobilfunkgestützten Erhebungssystems für Mobilitätsbefragungen. Wien, 2010. [7] Howe, E.: Rückblick. Abschlussveranstaltung Rad- SpurenLeser am InnoZ, 2016. https: / / www.innoz. de/ de/ rueckblick-abschlussveranstaltung-radspurenleser-am-innoz [8] modalyzer: Das Logbuch für dein Smartphone, 2016. Homepage der Wegeerfassungstools modalyzer. https: / / www.modalyzer.com/ de [9] Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg: Informationen zur Fahrradmitnahme im VBB. Rad im Regio, 2016. http: / / www.vbb.de/ de/ k/ startseite/ rad-imregio/ 359703.html 72 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Hintergrund Die bisher zögerliche Entwicklung der Elektromobilität in Deutschland zeigt, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung noch nicht in dem Ausmaß vorhanden ist, wie es für deren flächendeckende Integration in das bestehende Verkehrssystem notwendig wäre. Dabei könnten Elektrofahrzeuge angesichts der problematischen innerstädtischen Schadstoff- und Lärmemissionen, einen wichtigen Lösungsbeitrag liefern. Im Rahmen des Projekts DieMoRheinMain haben sich die beteiligten Projektpartner 1 zum Ziel gesetzt, die Nutzerakzeptanz der Elektromobilität durch die Entwicklung innovativer und nutzerfreundlicher Elektromobilitätsdienstleistungen zu fördern. Der Fokus liegt dabei auf der Bereitstellung von Informationen, z. B. in Form von digitalen Aus- 1 Frankfurt University of Applied Sciences, Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF, House of Logistics & Mobility (HOLM) GmbH, ivm GmbH (Integriertes Verkehrs- und Mobilitätsmanagement Region Frankfurt RheinMain) und Universität Kassel Nutzer elektromobiler Dienstleistungen Potenzielle Nutzergruppen und ihre Anforderungen Elektromobile Dienstleistungen, Elektromobilität, Mobilitätstypen, Nutzeranforderungen Petra Schäfer, Antje Quitta Die Entwicklung und Umsetzung von elektromobilen Dienstleistungen in der Rhein-Main-Region ist das Ziel des Forschungsprojekts DieMoRheinMain. Im Rahmen des Projekts ist die Identifizierung potenzieller Nutzergruppen und deren Anforderungen ein Arbeitsschwerpunkt der Autorinnen. Hierzu wurde auf das Konzept der Mobilitätstypen zurückgegriffen, das die Clusterung der Bevölkerung anhand von Mobilitätsverhalten und -einstellungen ermöglicht. Die einzelnen Typen wurden hinsichtlich ihrer Nutzerpotenziale für e-mobile Dienstleistungen bewertet und typspezifische Nutzeranforderungen abgeleitet. © pixabay 73 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen kunftssystemen oder Beratungsleistungen, sowie von Mobilitätsangeboten wie E-Carsharing oder Pedelec-Verleih. Forschungsschwerpunkt der Autorinnen liegt auf der Analyse der Mobilitätsbedürfnisse und -ansprüche potenzieller Nutzergruppen von e-mobilen Dienstleistungen. Auf Basis dieser Forschungsergebnisse sollen die zukünftigen Dienstleistungen nutzerfreundlich gestaltet werden. Zielgruppenanalyse In einem ersten Schritt wurden Personengruppen identifiziert, die aufgrund ihrer individuellen Eigenschaften, grundsätzlich als Nutzergruppen für e-mobile Dienstleistungen in Frage kommen. Auf diese Weise kann die Vermarktung der Dienstleistungen auf Personengruppen mit hohen Nutzungspotenzialen ausgerichtet werden. Hierzu wurde zunächst eine Zielgruppenanalyse durchgeführt, die es ermöglicht, die heterogenstrukturierte Bevölkerung Deutschlands in homogene Subpopulationen mit gemeinsamen Charakteristika aufzuteilen. In der Mobilitätsforschung gibt es hierzu vielfältige Ansätze. Experten sind sich jedoch einig, dass für die Entwicklung von Mobilitätsdienstleistungen, psychographische Ansätze besonders erfolgsversprechend sind. Hierbei erfolgt die Gruppenbildung anhand von Gemeinsamkeiten in Bezug auf mobilitätsbezogenen Einstellungen und Werte [1, 2]. Die auf diese Weise ermittelten Zielgruppen werden als Mobilitätstypen bezeichnet. Auf Basis von Studien [3 - 7], die solche Mobilitätstypen in verschiedenen Forschungskontexten bereits entwickelt haben, wurde eine eigene Typisierung vorgenommen. Diese resultierte in sieben Mobilitätstypen: PKW-affiner Mobilitätstyp, pragmatisch ÖV-orientierter Mobilitätstyp, umweltbewusster Mobilitätstyp, Rad-affiner Mobilitätstyp, multioptionaler Mobilitätstyp, zwangsmobiler Mobilitätstyp und wenig mobiler Mobilitätstyp. Die Individuen eines Typs weisen jedoch nicht zwingend die gleichen individuellen Eigenschaften auf, sondern ähneln sich hinsichtlich ausgewählter, mobilitätsrelevanter Eigenschaften. Beschreibung der Mobilitätstypen Mobilitätsverhalten: Wie die Typbezeichnungen bereits andeuten, stehen PKW- und Rad-Affinität sowie die ÖV-Orientierung für eine überdurchschnittlich hohe Nutzung dieser Verkehrsmittel. Auch der zwangsmobile Mobilitätstyp weist eine einseitige Ausrichtung bei der Verkehrsmittelwahl auf; er ist hauptsächlich mit dem PKW unterwegs. Andere Typen, wie der multioptionale und der umweltbewusste Mobilitätstyp, variieren dagegen deutlich mehr bei der Verkehrsmittelnutzung (Tabelle 1). Auch die Länge und Anzahl der zurückgelegten Wege stellen ein wichtiges Distinktionsmerkmal zwischen den Typen dar. Der zwangsmobile und der Pkw-affine Mobilitätstyp legen sehr viele Wege mit hohen Distanzen zurück. Beim wenig mobilen sowie beim pragmatisch ÖV-orientierten Mobilitätstyp ist genau das Gegenteil der Fall. Es gibt jedoch auch Typen (z. B. der multioptionale Mobilitätstyp), die sehr viele, aber dafür eher kurze Wege zurücklegen. Mobilitätsorientierungen: Einige der Mobilitätstypen, wie der PKW-affine, der Rad-affine oder der umweltbewusste Mobilitätstyp, weisen eine ausgeprägte Orientierung (positive symbolisch-emotionale Bewertung) hinsichtlich einzelner Verkehrsmittel auf. Die hohe Verkehrsmittelorientierung geht in diesen Fällen auch mit einer hohen Nutzung einher. Es gibt jedoch auch Typen (zwangsmobiler sowie pragmatisch ÖV-orientierter Mobilitätstyp), die ein einzelnes Verkehrsmittel zwar häufig nutzen, jedoch dies aufgrund pragmatischer Gründen bzw. Alternativlosigkeit tun. Auch der wenig mobile und der Mobilitätstyp Fördernde (+) und hemmende (-) Eigenschaften Potenzial als Zielgruppe PKW -affiner Mobilitätstyp + sehr mobil hohe Pkw-Nutzung hohe Pkw-Orientierung geringes Umweltbewusstsein geringe ÖV-Kontrolle geringe ÖV-Ticket-Verfügbarkeit gering Pragmatisch ÖV-orientierter Mobilitätstyp + hohe ÖV-Kontrolle + hohe ÖV-Nutzung + hohe ÖV-Ticket-Verfügbarkeit + geringe Pkw-Orientierung durchschnittliches bis geringes Umweltbewusstsein wenig mobil hoch Umweltbewusster Mobilitätstyp + hohe ÖPNVund/ oder Rad-Nutzung + hohes Umweltbewusstsein + hohe ÖV-Kontrolle + geringe Pkw-Orientierung + hohe ÖVund/ oder Rad-Orientierung + hohe ÖV-Ticket-Verfügbarkeit sehr hoch Rad-affiner Mobilitätstyp + hohe Rad-Nutzung + mittlere bis hohe ÖV-Kontrolle sehr hoch Multioptionaler Mobilitätstyp + hohe ÖV-Kontrolle + eher mobil + geringe Pkw-Orientierung geringes Umweltbewusstsein hoch Zwangsmobiler Mobilitätstyp + sehr mobil hohe Pkw-Nutzung hohe Zwangsmobilität geringes Umweltbewusstsein (eine Ausnahme) geringe ÖV-Kontrolle geringe ÖV-Ticket-Verfügbarkeit gering Wenig Mobiler Mobilitätstyp wenig mobil sehr gering Tabelle 1: Potenzialbewertung der Mobilitätstypen. 74 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen multioptionale Mobilitätstyp weist keine deutlichen Mobilitätsorientierungen auf. Umweltbewusstsein: Entscheidend für die Verkehrsmittelwahl können auch umweltrelevante Einstellungen sein. Der umweltbewusste Typ weist aber als einziger Typ ein sehr hohes Umweltbewusstsein auf. Bewertung der Mobilitätstypen hinsichtlich der Nutzungspotenziale für elektromobile Dienstleistungen Zur Bestimmung der Nutzungspotenziale erfolgte eine Literaturanalyse [2, 4, 5, 8 - 11] hinsichtlich der Frage, welche Eigenschaften Nutzer von Elektrofahrzeugen und (e)Mobilitätsdienstleistungen häufig aufweisen. Diesen Eigenschaften wird ein fördernder Einfluss auf die Nutzungswahrscheinlichkeit zugesprochen. Entsprechend wird bei der jeweils entgegengesetzten Ausprägung (z. B. hohe vs. niedrige PKW-Nutzung) von einem hemmenden Einfluss ausgegangen. Hinsichtlich dieser Eigenschaften wurden die Mobilitätstypen überprüft. Anhand der Anzahl dieser Einflussfaktoren wurde das Nutzungspotenzial der einzelnen Mobilitätstypen für e-mobile Dienstleistungen bestimmt (s. Tabelle 1). Mehr als die Hälfte der identifizierten Mobilitätstypen weisen demnach ein hohes bis sehr hohes Potenzial als Zielgruppe für e-mobile Dienstleistungen auf. Damit wird deutlich, dass Elektromobilität nicht nur für eine Minderheit in der Bevölkerung in Frage kommt. Allerdings sind die Unterschiede hinsichtlich der Potenzialbewertung zu beachten. Mobilitätstypen, die als Ergebnis der Zielgruppenanalyse nur ein geringes Potenzial aufweisen, sollten bei der Entwicklung neuer Dienstleistungen berücksichtigt werden; sie sind jedoch nicht als prioritär anzusehen. Ableitung von Nutzeranforderungen Neben der Potenzialbewertung ist es entscheidend, dass zukünftige Angebote den spezifischen Bedürfnissen möglicher Zielgruppen angepasst sind, und bei der Kommunikation der Dienstleistungen berücksichtigt werden. Nutzeranforderungen lassen sich dabei unterscheiden in allgemeine, die von allen potenziellen Nutzergruppen gestellt werden, und zielgruppenspezifische. Zu ersteren gehört vor allem der Umgang mit der Reichweitenproblematik. So sollten z. B. die Reichweiten von E-Fahrzeuge, die im Rahmen eines Dienstleistungsangebots eingesetzt werden, dem konzipierten Zweck entsprechen. Die zielgruppenspezifischen Nutzeranforderungen lassen sich anhand der individuellen Mobilitätscharakteristika ableiten. So wird für den umweltbewussten Mobilitätstyp die positive Umweltbilanz einer e-mobilen Dienstleistung eine wesentliche Nutzeranforderung darstellen. Zudem legen die ausgeprägten Verkehrsmittelorientierungen einiger Typen nah, dass der Einstieg in die Nutzung e-mobiler Dienstleistungen möglichst über diese Verkehrsmittel erfolgen sollte. Für ein Pedelec-Verleihsystem wäre daher der Rad-affine Mobilitätstyp die geeignete Zielgruppe. Anhand des spezifischen Mobilitätsverhaltens lassen sich auch Anforderungen an die Tarifgestaltung ableiten. Für Mobilitätstypen, die eher weniger mobil sind, muss z. B. auch die Seltennutzung der Dienstleistung attraktiv sein. Fazit Die Varietät der Mobilitätstypen zeigt deutlich, dass es nicht den einen Nutzer gibt, an dem e-mobile Dienstleistungen ausgerichtet werden sollten. Vielmehr sind die spezifischen Ansprüche und Bedürfnisse verschiedener Nutzergruppen zu berücksichtigen. Die dargestellte Bewertung der Nutzungspotenziale liefert den Praxisakteuren jedoch Hinweise, welche die geeigneten Zielgruppen für eine e-mobile Dienstleistung sein können, und welche Nutzeranforderungen sich daraus ergeben. Auf diese Weise kann ein wichtiger Betrag zur Erhöhung der Nutzerakzeptanz von e-mobilen Dienstleistungen geschaffen werden und damit auch zur nachhaltigen Gestaltung des städtischen Verkehrs. Das Projekt DieMoRheinMain hat eine Laufzeit von Juli 2014 bis August 2017 und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Informationen zum Projekt unter www.diemo-rheinmain.de LITERATUR: [1] Hunecke, M.: Mobilitätsverhalten verstehen und verändern. Psychologische Beiträge zur interdisziplinären Mobilitätsforschung. [S.l.]: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2015. [2] Maertins, C.: Die Intermodalen Dienste der Bahn: Mehr Mobilität und weniger Verkehr? Wirkungen und Potenziale neuer Verkehrsdienstleistungen. WZB - discussion paper. Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, 2006. Online verfügbar unter http: / / bibliothek.wzb.eu/ pdf/ 2006/ iii06-101. pdf, zuletzt geprüft am 22.04.2015. [3] Götz, K., Jahn, T., Schultz, I.: City: mobil Forschungsbericht Stadtverträgliche Mobilität. Mobilitätsstile - ein sozial-ökologischer Untersuchungsansatz (Arbeitsbericht. Frankfurt am Main, 1998. Online verfügbar unter http: / / www.isoe.de/ fileadmin/ redaktion/ Downloads/ Mobilitaet/ citymobil-bd7-1998.pdf, zuletzt geprüft am 10.12.2015 [4] Hoffmann, C., Graff, A., Kramer, S., Kuttler, T., Hendzlik, M., Scherf, C., Wolter, F.,: Bewertung integrierter Mobilitätsdienste mit Elektrofahrzeugen aus Nutzerperspektive. Ergebnisse der Begleitforschung im Projekt BeMobility - Berlin elektroMobil, 2012. Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaft- 75 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen lichen Wandel. Online verfügbar unter https: / / www. bemobility.de/ file/ bemobility.de/ 2449072/ 2QL4W- WAnVZvm2JXz7F0NNn KSKw8/ 2556486/ data/ innozbaustein_11.pdf, zuletzt geprüft am 22.04.2015. [5] Hunecke, M., Böhler, S., Grischkat, S., Haustein, S.: MO- BILANZ. Möglichkeiten zur Reduzierung des Energieverbrauches und der Stoffströme unterschiedlicher Mobilitätsstile durch zielgruppenspezifische Mobilitätsdienst-leistungen. Ruhr-Universität Bochum; Leuphana Universität; Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH, 2008. Online verfügbar unter http: / / www.ruhr-uni-bochum.de/ ecopsy/ projekte/ bmbffkz07ngs07.pdf, zuletzt geprüft am 22.04.2015. [6] Knie, A., Canzler, W.: Intermodi - Sicherung der Anschluss- und Zugangsmobilität durch neue Angebotsbausteine im Rahmen der „Forschungsinitiative Schiene“. DB Rent; Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, 2005. [7] Zinn, F., Hunecke, M., Schubert, S.: Zielgruppen und deren Mobilitätsbedürfnisse im Nahverkehr der Ballungsräume sowie im ländlichen Raum (ZIMO- NA) - Abschlussbericht. Sekretariat für Zukunftsforschung (SFZ); Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE), 2001. [8] Blitz, A., Klinger, T., Schubert, S.: Von der Insel zum Netz. Potenzialanalyse für weitere eMobil-Stationen in Offenbach am Main. In: Der Nahverkehr 33, 11 (2015), S. 40-46. [9] Dütschke, E., Müller, T., Schneider, U., Doll, C., Wilhelm, S.: Elektrofahrzeuge als Ergänzung zu Bus, Bahn und Rad - für wen ist integrierte Mobilität attraktiv. Begleitforschung zu den Modellregionen Elektromobilität des BMVBS - Ergebnisse des Themenfeldes Nutzerperspektive. Hg. v. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS). Fraunhofer ISI; Fraunhofer IFAM; NOW GmbH, 2012. Online verfügbar unter http: / / www. now-gmbh.de/ fileadmin/ user_upload/ RE_Publikationen_NEU_2013/ Publikationen_Begleitforschung/ Elektrofahrzeuge_als_ Ergaenzung_zu_Bus_Bahn_ und_Rad.pdf, zuletzt geprüft am 22.04.15. AUTORINNEN Prof. Dr.-Ing. Petra Schäfer Professorin für Verkehrsplanung I Fachgruppe Neue Mobilität Fachbereich 1: Architektur, Bauingenieurwesen, Geomatik Frankfurt University of Applied Sciences Kontakt: petra.schaefer@fb1.fra-uas.de Antje Quitta, M.Eng Wissenschaftliche Mitarbeiterin I Fachgruppe Neue Mobilität Fachbereich 1: Architektur, Bauingenieurwesen, Geomatik Frankfurt University of Applied Sciences Kontakt: antje.quitta@fb1.fra-uas.de [10] Dütschke, E., Peters, A.: Zur Nutzerakzeptanz von Elektromobilität. Analyse aus Expertensicht. Ergebnisse aus dem Projekt Fraunhofer Systemforschung Elektromobilität FSEM. Karlsruhe, 2010. Online verfügbar unter http: / / www.forum-elektromobilitaet.ch/ fileadmin/ DATA _ Forum/ Publikationen/ FSEM_2011- Ergebnisbericht_ Experten interviews_t.pdf, zuletzt geprüft am 22.04.2015. [11] Götz, K., Sunderer, G., Birzle-Harder, B., Deffner, J.: Attraktivität und Akzeptanz von Elektroautos. Ergebnisse aus dem Projekt OPTUM - Optimierung der Umweltentlastungspotenziale von Elektrofahrzeugen. Hg. v. Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE), 2012. Frankfurt am Main. Online verfügbar unter http: / / www.isoe.de/ uploads/ media/ st-18isoe-2012_01.pdf, zuletzt geprüft am 15.06.2014. URBANE S YS TEME IM WANDEL Branchenübergreifende Informationen zur aktiven Gestaltung der Stadt von morgen Ein Projekt von T RIALOG P UBLISHERS Online-Wissensplattform Newsletter Fachmagazin als E-Paper und Print-Ausgabe Das neue Medium für Fach- und Führungskräfte w w w . t r a n s f o r m i n g c i t i e s . d e 76 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Exkurs: Geschichte von Bahnhöfen Mit dem Transport von Personen mit Hilfe der Eisenbahn [1] begann Mitte des 19. Jahrhunderts die Errichtung von Bahnhöfen in Städten und damit eine neue Epoche einer stark mit der Mobilität verflochtenen Stadtentwicklung. Bahnhöfe wurden zu Orten, die Ausgangspunkt von Reisen, Handel und Begegnungen waren; sie erweiterten den menschlichen Aktionsradius. Aufgrund der engen städtischen Bebauung und des großen Platzbedarfs der Eisenbahninfrastruktur wurden Bahnhöfe und Gleise zunächst vornehmlich am Stadtrand erbaut [2]. Dadurch erhielten Bahnhöfe im Rückgriff auf das Leitbild der kompakten, europäischen Stadt eine Funktionszuschreibung als „Tor zur Stadt“ [1]. Bahnhöfe zählten zu den ersten Verkehrsbauten, die neue Konzepte bzw. eine integrierte Sichtweisen der Stadt- und Verkehrsplanung erforderlich machten [3]. In Deutschland haben Bahnhöfe die Stadtentwicklung maßgeblich beeinflusst, sie förderten oder behinderten städtisches Wachstum und bestimmten aufgrund ihres Standorts innerhalb der Stadt die Richtung und Struktur der Stadtentwicklung. Seit einiger Zeit rücken Bahnhöfe wieder in den Vordergrund der aktuellen stadt- und verkehrsplanerischen Diskurse: Insbesondere erwartet man sich von Bahnhöfen hohe Leistungsfähigkeit und hohe Kapazität zur Stärkung des öffentlichen Verkehrs, positive Impulse zur Stärkung intermodaler Wegeketten, Impulse zur städtebaulichen Verdichtung und eine Aufwertung innerstädtischer Lagen Bahnhöfe als Bestandteil urbaner Transformation Soziale und technologische Innovationen zur Stärkung der Resilienz von Bahnhöfen Bahnhöfe, Bahnhofsfunktionen, Intermodalität, Umsteigepunkte, Verkehrsmittelwechsel Karsten Hager, Wolfgang Rid, Carolin Herdtle, Felix Märker, Diana Böhm Die Geschichte von Bahnhöfen wird wissenschaftlich kurz dargestellt. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf den Veränderungen der Anforderungen an Bahnhöfe im Wandel der Zeit. Dieser Wandel wird auf Basis von generischen Bahnhofsfunktionen beschrieben. Da der Umbau eines Bahnhofs zu einem Mobilitäts- Hub mit der Integration sozialer und technischer Mobilitätsinnovationen eine Notwendigkeit darstellt, wird ein Fokus auf die Funktion des Verkehrsmittelwechsels gelegt. Am Beispiel des Ludwigsburger Bahnhofs werden der Wandel von Bahnhöfen diskutiert und weitere zukünftige Entwicklungen prognostiziert. sowie ergänzende Versorgungsfunktionen im Bereich Einzelhandel und Dienstleistungen [4]. Auf engem Raum treffen alle Gesellschaftsschichten aufeinander, so dass Bahnhöfe als Kristallisationspunkte der Gesellschaft gelten. Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts sind somit Bahnhöfe zu einem „autarken Mikrokosmos“ zwischen Mobilitätsdrehscheibe, Versorgungseinrichtung und Treffpunkt des öffentlichen Lebens geworden [1, 5]. Die weitere Entwicklung von Bahnhöfen wird derzeit insbesondere von technischen und sozialen Innovationen im Bereich der Mobilität bestimmt: die Mobilität der Zukunft ist multimodal und multioptional, weitgehend digital organisiert und effizient. Moderne Informationstechnologien vereinen Routen- und Tarifplanung; eine effiziente Angebotsauswahl sowie integrierte und sichere Zahlungsabwicklung bestimmen die Mobilität. Die dadurch entstehenden multimodalen Verkehrsketten haben weiterhin Knotenpunkte, an denen der Umstieg zwischen den Verkehrsträgern ermöglicht werden muss. Die Bahnhöfe sind im Laufe der historischen Stadtentwicklung vom Rand der Städte in deren Mitte gerückt und spielen dadurch nicht nur stadtstrukturell, sondern auch funktional eine zentrale Rolle. Veränderungen an Bahnhöfen seit Erfindung der Eisenbahn Bahnhöfe wurden ursprünglich für den Transport bzw. Umstieg von Personen und Gütern gebaut und mit entsprechenden Warte- oder Lagerungs- 77 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen möglichkeiten ausgestattet. Heute müssen viele voneinander unabhängige Verkehrsträger am Bahnhof kanalisiert und miteinander verknüpft werden. Bahnhöfe müssen technologische Innovationen integrieren (z.B. Elektromobilität) und soziale Innovationen durch die intelligente Verknüpfung verschiedener Verkehrsträger im Hinblick auf inter- und multimodale Wege abbilden können (z.B. Sharing- Systeme). Der Bahnhof als ursprünglich separat geplanter Stadtbaustein muss nun, zusammen mit den für seinen Betrieb benötigten Gleisflächen, funktional und stadtplanerisch in eine Stadt integriert werden. Durch die stark gestiegene Anzahl der Fahrgäste, die eine Zugfahrt in ihren Tagesverlauf einplanen (z. B. Pendler), kam es zu einem Anstieg der Taktfrequenzen der Züge. Dies ist ebenfalls auf historische Stadtentwicklungsprozesse, Suburbanisierung, funktionale Anreicherung im Umfeld der Städte oder der fiskalischen Unterstützung räumlich getrennter Wohn- und Arbeitsstätten zurückzuführen. Pendeln ist zu einem akzeptierten Arbeits- und Lebensentwurf geworden und bestimmt die räumliche Struktur von Ballungsräumen und Metropolregionen. In letzter Zeit wurde der Trend der Reurbanisierung beobachtet und Menschen ziehen wieder verstärkt in die Städte [6, 7]. Die oben genannten demographischen Trends stellen die Planung urbaner Mobilitätssysteme vor zunehmende Herausforderungen: Auf die teils gegenläufigen Wanderungsbewegungen kann eine langfristig angelegte Verkehrsinfrastrukturplanung nicht mehr flexibel genug reagieren. Um der erforderlichen Entlastung der Verkehrsinfrastruktur im Sinne einer Verlagerung auf den Umweltverbund mehr Flexibilität zu verleihen, ist eine Stärkung der Bahnhöfe ein wichtiger Aspekt neuer Mobilitätskonzepte. Dabei geht es um die Stärkung des schienengebundenen öffentlichen Nahverkehrs, um die Ertüchtigung von Umsteigepunkten zur Anbindung innovativer Mobilitätsformen, z. B. (e)Car- und Bike- Sharing, und um die städtebauliche und verkehrliche Anbindung des Bahnhofs in das umgebende Quartier und die Gesamtstadt. Es entstehen sowohl Lageals auch Nutzungskonkurrenzen in den Städten, die sich speziell an Bahnhöfen im Spannungsfeld verschiedenster Interessen im Stadtgefüge widerspiegeln. Gleichzeitig haben sich auch die Anforderungen der Nutzer an den Bahnhof verändert. Somit müssen Bahnhöfe (im Vergleich zu ihrer ursprünglichen Ausrichtung) sowohl einer höheren Anzahl an Funktionen gerecht werden, als auch eine höhere Nutzeranzahl bewältigen. Für die Abbildung der Komplexität des Stadtbausteins Bahnhof ist ein wissenschaftliches Analysekonzept notwendig, um einerseits den Zustand des Bahnhofs, andererseits seine Entwicklungsmöglichkeiten zu beschreiben. Aktuelle Ansätze zur Analyse von Bahnhöfen Die wissenschaftliche Literatur zum Thema Bahnhof reicht von Strukturmodellen in einem regionalen Kontext, über die Beleuchtung einzelner Teilaspekte im direkten Umfeld eines Bahnhofs, bis hin zu Handlungsempfehlungen, die Bewertungskriterien für die einzelnen Infrastrukturen eines Bahnhofs festlegen und damit einen „Musterbahnhof“ [8] entwerfen. Eine Verknüpfung verschiedener Transportmodi wird zumeist weiterhin als primäre Funktion eines Bahnhofs hervorgehoben, sowohl auf der Makro- [9], als auch auf der Mikroebene [8]. Eine umfassende Analyse von (Personen-)Bahnhöfen wurde in einer Studie von Zemp 2011 vorgenommen [10]. Der Autor identifiziert fünf generische Bahnhofsfunktionen, die es ermöglichen, die Anforderungen von Akteuren an Bahnhöfe zu analysieren und eine holistische Betrachtung von Bahnhöfen vorzunehmen [10]. Die generischen Funktionen sind: (1) Siedlungsraum und Verkehrsnetz verknüpfen (2) Verkehrsmittelwechsel ermöglichen (3) Kommerzielle Nutzungen ermöglichen (4) Öffentlichen Raum bieten und (5) Identität des Umfeldes mitgestalten Diese Funktionen stellen keine Gewichtung dar, sondern dienen lediglich einem Systemverständnis. Sie sind vielmehr als ein Multi-Level-System zu verstehen, bei dem die einzelnen Funktionen in spezifischen Verhältnissen zueinander stehen. Die Verkehrsmittelwechsel ermöglichen (support Transfer between modes of transport) Gewährleistung Zugri , Be- und Entladezonen (secure access, Floating and standing of vehicles) Fahrradparkplätze CarSharing direkt am Bhf gesicherte Abstellmöglichkeit (support locomotion between transport services) Entfernungen Anzahl Treppen Umstiegszeit Distanz in m oder h Räumliche Orientierung zwischen Verkehrsträgern sichern (secure spatial orientation between transport services) Leitsysteme Unterstützung wartender Passagiere (support waiting of passengers for connections) Sicherheit Sauberkeit Aufenthaltsraum Beleuchtung Information an Verkehrsträgern (inform on transport services) Informationsqualität Serviceangebote (provide ticketing) Verkaufszahlen weitere Angebote wie z.b. Fundbüro Verbundticket Servicemitarbeiter Bild 1: Schematische Darstellung der Funktion Verkehrsmittelwechsel ermöglichen (eigene Darstellung nach Zemp 2011) 78 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Funktionen interagieren miteinander und können Synergien, aber auch Konflikte, erzeugen. Teilweise gibt es auch systembedingte Zielkonflikte, da die Funktionen dieselben Ressourcen (z.B. Raum) nutzen. Die Weiterentwicklung des Stadtbausteins Bahnhof bedeutet also nicht nur die Optimierung der Verkehrsflüsse, sondern eine frühe Betrachtung des Gesamtsystems und eine frühe Einbindung aller Akteure. Das vorliegende Paper analysiert den oben genannten Aspekt (2) nach [10] und damit die „Funktion“ eines Bahnhofs detailliert und stellt Ergebnisse zweier Forschungsprojekte „Ludwigsburg Intermodal“ (LUI) sowie „Einfach umsteigen. Altersgerechte Orientierungs- und Leitsysteme an Umsteigepunkten“) am Fallbeispiel des Ludwigsburger Bahnhofs vor [11]. Verkehrsmittelwechsel ermöglichen Die Funktion „Verkehrsmittelwechsel ermöglichen“ kann in sechs Kategorien unterteilt werden, die wiederum von später vorgestellten Leistungskriterien beschrieben werden (s. Bild 1 nach [10]): a) Gewährleistung von Ladezonen und Parkflächen b) Fortbewegung zwischen den Verkehrsträgern c) Räumliche Orientierung zwischen den Verkehrsträgern sichern d) Unterstützung wartender Passagiere e) Informationen an Verkehrsträgern f) Serviceangebote Kategorie a) kann mit den Leistungskriterien „gesicherte Abstellmöglichkeiten“, „Fahrradparkplätze“ sowie dem „Vorhandensein von Carsharing am Bahnhof“ detaillierter beschrieben werden. Kategorie b) wird mit harten Faktoren wie „Entfernungen“, der „Anzahl von Treppen“, „Umsteigezeiten“ und „Distanzen“ evaluiert. Kategorie c) bezieht sich vor allem auf „Leitsysteme“. Kategorie d) enthält „Beleuchtungen“, „Sicherheit“, „Sauberkeit“, ein „subjektives Wohlbefinden“ sowie „vorhandenen Aufenthaltsraum“. Kategorie e) wird über die „Qualität der vorhandenen Informationen“ beschrieben. Abschließend kann Kategorie f) über „Verkaufszahlen“, weitere Angebote wie „Fundbüros“, „Verbundtickets“ und „Service-Mitarbeiter“ kategorisiert werden. Untersuchung der Funktion „Verkehrsmittelwechsel ermöglichen“ Zu bedarfsgerechten Verbesserungen der Bahnhofsfunktionen muss zunächst der Handlungsbedarf festgestellt werden. Dazu wurden in oben genannten Forschungsprojekten mehrere Planwerkstätten (03/ 2013, 02/ 2014, 01/ 2016) sowie Fokusgruppen (mit Pendlern in 09/ 2014, 06/ 2015; mit Senioren in 05/ 2016) durchgeführt. Das aktuelle Mobilitätsangebot wurde dabei als ausreichend und von guter Qualität eingeschätzt. Problematiken im Hinblick auf die Funktion „Verkehrsmittelwechsel ermöglichen“ wurden vor allem an der Übersichtlichkeit des ZOB, der Barrierefreiheit und der Leitsysteme am Bahnhof identifiziert. Dabei zeigten die spezifischen Nutzergruppen der Pendler und Senioren einen unterschiedlichen Schwerpunkt des Handlungsbedarfs. Die Pendler betonten die Notwendigkeit eines Fußgängerleitplans (c). Die Senioren setzten sich für eine barrierefreie Fortbewegung zwischen den Verkehrsträgern (b) (keine bewegungseinschränkenden Hindernisse, breite Bürgersteige mit ebenem Belag, Absenkung der Bordsteine) sowie barrierefreie Informationstafeln (e) (ausreichend große, einheitliche Schrift, visuelles, akustisches und taktiles Leitsystem) ein. Aus diesem Grund wurden alle vorhandenen Schilder und Hinweistafeln im Bahnhofsareal und die Möglichkeiten einer vereinfachten Wegeführung analysiert. Unter Beachtung einer einheitlichen und die STVO und DB-Vorgaben ergänzenden Beschilderung wurden vor allem Maßnahmen entwickelt, die Menschen durch gestalterische, bauliche oder topographische Elemente leiten. Generell sollte die Verwendung von Beschilderung als Lösung eines Orientierungsproblems nur in Ausnahmefällen erfolgen. Angesichts der ermittelten Wünsche der beiden Nutzergruppen konnten die sechs folgenden Maßnahmen zur Orientierung bei Verkehrsmittelwechsel erarbeitet werden: (1) Markierungen auf den Boden (2) sichtbare Alternativen (3) zusammenfassen (4) gestaltend leiten (5)Orientierung durch Sichtbarkeit (6) konzentrieren (s. Bild 2). Anhand der kategorisierten Bestandsaufnahme der Beschilderung (ÖPNV, Stadt, Fahrrad, STVO) wurden Vorschläge erarbeitet, wie unter Anwendung der sechs genannten Maßnahmen von 106 am Bahnhof angebrachten Schildern 69 Schilder ersetzt oder abmontiert und somit die Wegfindung am Bahnhof verbessert werden können (s. Bild 3). Zudem konnten aus den Ergebnissen der Forschungsprojekte Empfehlungen für weitere Bahnhofs-Kategorien abgeleitet werden: Kategorie (a) „Gewährleistung von Ladezonen und Parkflächen“ scheint am Ludwigsburger Bahnhof eine untergeordnete Rolle zu spielen. Ein Pkwsowie ein Fahrradparkhaus existieren und werden intensiv genutzt. Sharing-Systeme existieren bereits am Bahnhof; 79 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen es wurde eine Pedelec-Sharing-Station im Rahmen eines regionalen Förderprogramms (NAMOREG) installiert. Im Projektverlauf von LUI wurden zudem zwei e-Carsharing-Pkw in Verbindung mit einem lokalen Smart Grid am Bahnhof installiert. Die Kategorie (d) „Unterstützung wartender Passagiere“ und insbesondere der Aspekt Sicherheit und Sauberkeit werden individuell stark unterschiedlich bewertet: Zu Beginn wurde häufig über mangelnde Sauberkeit sowie ein ungenügendes Sicherheitsempfinden am Bahnhof berichtet. Dies konnte allerdings durch ein einheitliches Reinigungskonzept und eine größere Präsenz des Sicherheitspersonals verbessert werden, was sich auch in den Analyseergebnissen der Fokusgruppen-Interviews spiegelte. Ähnlich positiv wurden der Umbau der Bahnhofsunterführung mit einer helleren Fassadengestaltung und neuen Lampen bewertet. Zu Kategorie (f) „Serviceangebote“ wurde im Rahmen des Projektes LUI die Funktion einer multifunktionalen Box zur Nahversorgung erprobt [11]. Mit Hilfe dieser Infrastruktur sollen Nutzer Einkäufe bei lokalen Händlern bestellen und sich in die Übergabestation am Bahnhof Ludwigsburg liefern lassen. Eine Evaluation dieser Ergebnisse steht noch aus. I. Auf den Boden Fahrradwege als auffällige Bodenmarkierung VI. Konzentrieren Keine Mehrfachinformationen! Notwendigkeit der Beschilderung austesten durch temporäres Abschrauben. Nur die wichtigsten Informationen: ZOB/ Blühendes Barrock/ MHP Arena/ Zentrum (vgl. DB Schilder) III. Zusammenfassen Beinhaltet Informationen wie „Asperger Torhaus Tourismus Wanderweg“ ein einziges Touristen-Informations-Zentrum im Hauptgebäude IV. Gestaltend leiten Beschilderung ersetzen durch Straßengestaltung: Material, Beleuchtung, Saisonale Dekoration (vgl. Myliusstraße), … V. Orientierung durch Sichtbarkeit Ziele an sichtbaren Stellen brauchen keine Beschilderung: ZOB muss nicht vor dem Gebäude angeschrieben sein. II. Sichtbare Alternative Problemlösung durch das Schaffen von sichtbaren Alternativen: Fahrradparker statt Fahrradabstellenverboten-Schild Bild 3: Beschilderungssituation am Ludwigsburger Bahnhof; Gelb markiert sind die Schilder, die nach Anwendung der erarbeiteten Maßnahmen abgeschraubt werden können (die Maßnahme ist mit einer kleinen römischen Zahl markiert). (Quelle: Städtebau- Institut Universität Stuttgart, eigene Darstellung) Bild 2: Maßnahmen zur Schilderreduktion zur Orientierung an Bahnhöfen (Quelle: Städtebau-Institut Universität Stuttgart, eigene Darstellung) 80 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Infrastrukturen Fazit Das Anforderungsprofil an Bahnhöfe hat sich in den letzten Jahrzehnten rasant gewandelt, neue Herausforderungen kamen hinzu und werden weiter hinzukommen, so dass eine Analyse des relevanten Handlungsbedarfs und auf diesen zugeschnittene Verbesserungsmaßnahmen für Bahnhöfe notwendig erscheinen. Die Bedeutung von Bahnhöfen zur Verbesserung der urbanen Mobilitätsplanung wird im Hinblick auf die Bekämpfung des Klimawandels, der Problematik einer effizienteren Flächennutzung sowie des demographischen Wandels in Ballungsräumen weiterhin zunehmen (Nachverdichtung, Reurbanisierung, Smart-Grid, Elektromobilität, Sharing-Systeme, Barrierefreiheit etc.). Der vorliegende Artikel hat ein theoretisches Konzept zur Analyse von Bahnhöfen genutzt [10], um Zustand und Entwicklungsmöglichkeiten von Bahnhöfen zu beschreiben. Die Autoren haben am Fallbeispiel des Bahnhofs Ludwigsburg einige Möglichkeiten zur Analyse generischer Bahnhofsfunktionen beschrieben und in Bezug zu ausgewählten Untersuchungsergebnissen zweier Forschungsprojekte gesetzt. Dabei konnten die Unterschiede zwischen der Entstehungsphase von Bahnhöfen und ihrem heutigen gesellschaftlichen Stellenwert verdeutlicht werden. LITERATUR [1] Thomsen, C.: Kathedralen der Moderne? Bahnhofsarchitektur - gestern, heute und morgen. In: Herzog, M., Leis, M., Girtler, R. (Hrsg.): Der Bahnhof: Basilika der Mobilität - Erlebniswelt der Moderne. Stuttgart: Kohlhammer 14 (2010), S. 17-60. [2] Böhm, D.: Bahnhofsarchitekturen in der Wahrnehmung der Reisenden. In: Deine Bahn. DB; Zeitschrift des Dienstleistungszentrums Bildung der Deutschen Bahn und des Verbandes Deutscher Eisenbahnfachschulen. Eisenbahn-Fachverlag Mainz, 6 (2014), S. 48-53. [3] Schivelbusch, W.: Geschichte der Eisenbahnreise. Carl Hanser Verlag, München, Wien, 1977. [4] Scholz, R. W., Stauffacher, M., Bösch, S., Krütli, P. (Hrsg.): Nachhaltige Bahnhofs- und Stadtentwicklung in der trinationalen Agglomeration: Bahnhöfe in der Stadt Basel. Verlag Rüegger. Zürich, 2005. [5] Herzog, M., Leis, M.: Der Bahnhof - Kathedrale, Erlebniswelt, Sozialstation und Konsumparadies. In: Herzog, M., Leis, M., Girtler, R. (Hrsg.): Der Bahnhof: Basilika der Mobilität - Erlebniswelt der Moderne. Stuttgart: Kohlhammer, 14 (2010), S. 7-16. [6] Fricke, A., Siedentop, S., Zakrzweski, P.: Reurbanisierung in baden-württembergischen Stadtregionen. Arbeitsberichte der ARL (Akademie für Raumforschung und Landesplanung) 14, Hannover, 2015. [7] Schmitz-Veltin, A.: Bevölkerungsdynamik und Wanderungen in der Stadtregion Stuttgart - von der Subzur Reurbanisierung. Statistik und Informationsmanagement, 4 (2012), S. 129-149. [8] Arndt, K., Becker, J.: Beispielhafte Bahnhöfe im RMV. Was bei der Bahnhofsgestaltung zu beachten ist. In: Der Nahverkehr, 5 (2013), S. 34-38. [9] Juchelka, R.: Bahnhof und Bahnhofsumfeld - ein Standortkomplex im Wandel, Zeitschrift für Angewandte Geographie, 26, 1 (2002) S.12-16. [10] Zemp, S. (2011): Sustainable positioning of railway stations systemic analysis for knowledge integration. ETH Zürich Dissertation No. 19578, 122 S. [11] Universität Stuttgart (2016): Yoloma - Your local market. http: / / www.yoloma.de AUTOR I NNEN Karsten Hager, M. Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Stadt-Mobilität-Energie am Städtebau-Institut der Universität Stuttgart Kontakt: karsten.hager@si.uni-stuttgart.de Prof. Dr. Wolfgang Rid Leiter der Forschungsgruppe Stadt-Mobilität-Energie am Städtebau-Institut der Universität Stuttgart und Professor für Stadt-und Regionalökonomie an der FH Erfurt Kontakt: wolfgang.rid@si.uni-stuttgart.de Carolin Herdtle, M.A. Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe Stadt-Mobilität-Energie am Städtebau-Institut der Universität Stuttgar Kontakt: carolin.herdtle@si.uni-stuttgart.de Dipl.-Ing. Felix Märker, M. Eng. Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Stadt-Mobilität-Energie am Städtebau-Institut der Universität Stuttgart Kontakt: felix.maerker@si.uni-stuttgart.de Dipl.-Ing. Diana Böhm Wissenschaftliche Mitarbeiterin am LAI, Lehrstuhl für Landschaftsarchitektur und industrielle Landschaft bei Prof. Udo Weilacher an der TU München Kontakt: boehm@lai.ar.tum.de Hier klicken Sie richtig! IV online: Neuer Look - mehr Nutzen Die Webseite von Internationales Verkehrswesen hat ein neues Gesicht bekommen. Die aktuellen Webseiten unseres Magazins bringen eine frische Optik und eine Reihe neuer Funktionalitäten. Vor allem aber: Die Webseite ist im Responsive Design gestaltet - und damit auch auf Mobilgeräten wie Smartphones und Tablets bestens lesbar. Klicken Sie doch einfach mal rein! Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl M.A., Dipl.-Ing. Christine Ziegler VDI Marschnerstraße 87 | 81245 München +49 89 889518.71 | office@trialog.de Informiert mit einem Klick Das finden Sie auf www.internationalesverkehrswesen.de: • Aktuelle Meldungen rund um Mobilität, Transport und Verkehr • Termine und Veranstaltungen in der aktuellen Übersicht • Übersichten, Links und Ansprechpartner für Kunden und Leser • Autoren-Service mit Themen, Tipps und Formularen • Beitragsübersicht und Abonnenten-Zugang zum Heftarchiv © Clipdealer www.internationalesverkehrswesen.de 82 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Forschung + Lehre Die bekannteste aller Aktivitäten des „Institut für Rohrleitungsbau an der Fachhochschule Oldenburg e. V.“ (iro) ist sicherlich die alljährliche Ausrichtung des „Oldenburger Rohrleitungsforum“. Der Branchentreffpunkt der Rohrleitungsbetreiber, Bauer, Planer, Hersteller mit internationaler Bedeutung findet im Februar 2017 bereits zum 31. Mal statt und steht in jedem Jahr unter einem Tagungsmotto, welches über den Branchen spezifischen Betreff hinausstrahlt. So auch im kommenden Februar, wo die Konferenz mit über 100 Referenten unter dem Tagungsmotto: Rohrleitungen in digitalen Arbeitswelten“ steht und neben den technischen Aspekten auch die digitale Sicherheit gesellschaftlich überlebenswichtiger Einrichtungen behandelt. Während der Forumstage im Februar erhöht sich die Stammmannschaft der 12 ständigen iro-Mitarbeiter um 70 studentische Hilfskräfte, die für einen reibungslosen Ablauf des Oldenburger Rohrleitungsforums sorgen. Auch die Tochter des iro e.V., die iro GmbH Oldenburg hat sich seit ihrem Bestehen im Jahr 2001 bei ihren Auftraggebern aus der Wirtschaft einen Namen als verlässlicher Partner für Forschungsthemen im Bereich Rohrleitungsbau und angrenzender Technologien gemacht. Forschung in Sachen „Rohrleitungen“ Die Möglichkeiten, Versuche und Forschungsarbeiten durchzuführen, sind für die iro GmbH Oldenburg durch Forschungshallen und das zugehörige Gelände an der Lesumstraße in Oldenburg, ganz in der Nähe der AB-Abfahrt Oldenburg / Hafen gegeben. Die Forschungshalle wurde im Jahr 2009 in Betrieb genommen und bereits im Folgejahr um eine weitere Halle zur Lagerung von Material und Probekörpern ergänzt (Bild 1 und 2). Erst kürzlich wurde der Neubau eines separaten Labortrakts mit filigraner Messtechnik fertiggestellt. Damit bieten sich für kooperierende Unternehmen Möglichkeiten mittels Auftragsforschung gemeinsam mit dem iro gezielt zum Beispiel an Produktverbesserungen zu arbeiten. Hierbei zeichnet sich das iro insbesondere durch die Entwicklung und Umsetzung neuartiger und individueller Versuchsaufbauten aus, Versuche, die am Ende in standardisierten Verfahren oder gar Normen Aufnahme finden. Beispiel für durchgeführte Auftragsforschungen gibt es viele, sie spiegeln die gesamte Bandbreite des Rohrleitungsbaus und -betriebs. Egal, ob es sich beispielsweise um die Bewertung der Integrität von im Betrieb befindlichen Rohrleitungen aus PVC-U handelt, die messtechnische Erfassung von Lageverschieiro - Bindeglied für Wissenschaft und Hochschule zur Wirtschaft und Gesellschaft Das Institut für Rohrleitungsbau e.V. (iro) ist seit rund 30 Jahren als An-Institut zur Jade-Hochschule auf allen Gebieten des Wissenstransfers in die Gesellschaft, in der praxisorientierten Forschung in Kooperation mit zahlreichen Unternehmen, als Organisator anerkannter Fachveranstaltungen und als Prüfinstitut in der Branche in ganz Deutschland ein Begriff. Wenn es um unterirdische Infrastruktur geht, wenn es um Rohrleitungen, Rohrleitungsbau und angrenzende Technologien geht, ist das iro gefragter Partner. Bild 1: Einblick in die Forschungshalle der iro GmbH Oldenburg. © iro 83 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Forschung + Lehre bungen unterirdischer Gaspipelines und deren Auswirkungen auf den Ausnutzungsgrad der Rohrleitung oder systematische Untersuchungen bei der Zielnetzplanung von Versorgungsnetzen - das iro sieht sich spartenübergreifend als kompetenter Ansprechpartner. Sind Forschungsvorhaben umfangreich, mit einem technischen Risiko behaftet oder ist die Finanzierung aus eigener Kraft nicht umsetzbar, kommen Forschungsförderungen in Betracht. Solche drittmittelfinanzierten Projekte erfahren Unterstützung von verschiedensten Förderinstitutionen, die von Stiftungen, Firmen und kommunalen Förderern bis zu den bekannten Maßnahmen der Länder, des Bundes und der EU gehen. Das iro mit den kooperierenden Einrichtungen der Jade Hochschule verfügt für den Themenbereich des Rohrleitungsbaus über die nötigen Kenntnisse zu Fördermöglichkeiten und hat Erfahrungen mit der Antragstellung sowie Projektabwicklung derartiger Drittmittelprojekte. Weiterbildung, lebenslanges Lernen und Wissenstransfer Neben den beschriebenen Aktivitäten zur praxisorientierten Forschung ist das iro im erheblichen Maße im Bereich „lebenslanges Lernen“ unterwegs. Die größte aller Veranstaltungen des iro, das Oldenburger Rohrleitungsforum wird jedes Jahr von weit über 3000 Menschen aus ganz Deutschland und dem angrenzenden Ausland besucht. Etwa 100 Referenten tragen zu aktuellen Themen aus der Branche vor und über 30 Moderatoren versuchen, die Diskussion mit dem Fachpublikum zu steuern. Daneben gibt es weitere, unter den Fachleuten der Branche anerkannte Veranstaltungen des iro. Für die Betreiber von Gashochdrucknetzen hat sich der „iro- Workshop“ zur vielleicht meist anerkannten Veranstaltung der Szene entwickelt. An drei Tagen im Jahr - immer etwa Anfang Dezember - diskutieren Techniker und Ingenieure die Themen, die sich aus den Anforderungen des Berufsalltags ergeben. Offene, ehrliche Diskussionen, die von großem Vertrauen und inhaltlicher Detailtiefe geprägt sind. Der „kleine Bruder“ des iro- Workshops ist der iro-Treffpunkt, welcher ähnlich Inhalte wie der iro Workshop hat, jedoch bezogen auf die Verteilnetze sehr spezifisch ist. Hier tummeln sich die Fachleute der Stadtwerke, der Versorgungsunternehmen, die bis zum Verbraucher die Verantwortung für das Leitungsnetz tragen. Das Konstrukt „iro“ Das „Institut für Rohrleitungsbau an der Fachhochschule Oldenburg e. V.“, kurz iro, wurde 1988 als An-Institut zur damaligen Fachhochschule Oldenburg gegründet. Träger des iro ist ein gemeinnütziger Verein, dem aktuell über 250 Mitglieder angehören: aus Forschung und Bauindustrie, von Herstellern, Planungs- und Ingenieurbüros, Behörden und Fachverbänden. Das iro arbeitet an der Schnittstelle zwischen Forschung und Lehre an der Fachhochschule in Oldenburg ( Jade Hochschule) und der Praxis in der freien Wirtschaft sowie der Gesellschaft allgemein. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten zählen die Weiterbildung von Ingenieuren auf dem gesamten Rohrleitungssektor, die praxisbezogene Forschung und Entwicklung sowie die Förderung von Studierenden. Im Jahre 2003 wurde die iro- GmbH Oldenburg als 100%ige Tochter des gemeinnützigen Vereins gegründet, da nicht nur vereinzelt, sondern regelmäßig Projekte mit Industriepartnern abgewickelt werden sollten. Wenig später wurde zudem die „Professor Lenz Stiftung“ gegründet, welche wesentlich zum Ziel hat, junge Ingenieurinnen und Ingenieure aus Osteuropa für ein Jahr in Unternehmen der Bundesrepublik einzugliedern, um somit wesentlich und nachhaltig zur Völkerverständigung und gegenseitigem Verstehen nach der Rückkehr in die Heimat beizutragen. Weitere Informationen: www.iro-online.de Bild 2: Forschungsgelände der iro GmbH Oldenburg an der Abfahrt Oldenburg-Hafen. © iro 84 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Forschung + Lehre Durch die Mitarbeit an einem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) geförderten Forschungsprojekt mit dem Titel „Heatliner“ wurde das Institut für Rohrleitungsbau in Oldenburg (iro) erstmals im Jahr 2006 mit dem Thema „Wärme aus Abwasser“ konfrontiert. In diesem Projekt ging es um die Entwicklung eines Wärmeübertragers, der im Zuge einer grabenlosen Kanalsanierung auch in kleineren, nicht begehbaren Haltungen eingebracht werden kann und mit dem eine Nutzung der im Abwasser vorhandenen Restwärme möglich sein sollte. Seither entwickelte sich die „Abwasserwärmenutzung“ zunehmend zu einem festen Forschungsschwerpunkt am iro, das inzwischen neben Knowhow über zahlreiche Versuchseinrichtungen verfügt, die es erlauben, die Wärmeleistung an unterschiedlichen Übertragersystemen zu messen bzw. diese weiterzuentwickeln (Bild 1). Mit dem Bau einer eigenen Pilotanlage zur Wärmerückgewinnung aus Abwasser im Jahr 2012 wurde das Bürogebäude des iro in der Ofener Straße zur zentralen Anlaufstelle zu diesem Thema. Seither werden die Erfahrungen und Dienstleistungen des iro von vielen Besuchern aus dem In- und Ausland für eine neutrale Erstberatung in Anspruch genommen. Während der Bearbeitung des Interreg-Projektes „DE- NEWA“ (2013-2015) fand beispielsweise ein bundesweiter Erfahrungsaustausch mit Planern, H e r s t e l l e r n u n d A n w e n d e r n v o n A bwas s er wärme nut zung s anlagen statt. Darüber hinaus gelang es mithilfe einer Raumanalyse, konkrete Standorte für eine mögliche Abwasserwärmenutzung für das Oldenburger Kanalnetz zu Abwasserwärmenutzung in Oldenburg Vom Forschungsprojekt zur praktischen Anwendung identifizieren (www.denewa.eu, w w w.energie-im-abwasser.de). Mit Rücksicht auf unterschiedliche Prioritäten wurde für Oldenburg ein wichtiges Instrument geschaffen, um diese Energiequelle schon in einer frühen Planungsphase von Gebäudesanierungs- und Neubaumaßnahmen konzeptionell in Betracht ziehen zu können (Bild 2). Dass der Kanalnetzbetreiber - der Oldenburgisch-Ostfriesische Wasserverband (OOWV) - und die Stadt Oldenburg diese Potenzialkarte bereits leben, zeigt u.a. die Realisierung eines Wohnungsbauprojektes in Oldenburg, das mit Fertigstellung die größte Abwasserwärmenutzungsanlage dieser Art Deutschlands sein wird. Aufgrund dieser Aktivitäten und dem gut funktionierenden Zusammenspiel vieler Akteure befindet sich Oldenburg derzeit in einer Vorreiter-Rolle im Umgang mit dem Thema „Abwasserwärmenutzung“. Aus diesem Grund wurde diese besondere Leistung kürzlich vom Niedersächsischen Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz mit einem Preis geehrt. Seither darf sich die Stadt Oldenburg, „Niedersächsische Klimaschutzkommune 2016“ nennen. Zu diesem Thema engagiert sich das iro auch bei der Überarbeitung des dwa-Merkblatts M 114. Die langjährigen Erfahrungen des Oldenburger Instituts und seine innovativen Ansätze im Umgang mit dieser relativ jungen Technologie bilden eine gute Basis für eine konstruktive Mitarbeit in dieser Arbeitsgruppe. Der Gelbdruck des überarbeiteten Merkblattes wird im Laufe des Jahres 2017 erscheinen. Bild 1: Berieselungsversuch. © iro Bild 2: Kartografische Übersicht mit möglichen Standorten der Abwasserwärmenutzung in Oldenburg. © iro 85 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Forschung + Lehre Zu Beginn des Bauingenieurtudiums träumen viele Studierende sicherlich noch von der Vorstellung, später einmal etwas Besonderes, Herausragendes, für jedermann sichtbar Erscheinendes - wie z.B. eine Brückenüberquerung über einen Fluss - entwerfen zu wollen. Doch mit fortschreitenden Semestern wird dann schnell klar, dass das Studium an der Jade-Hochschule mehr als nur das Wissen über „Statik“ und „Stahlbetonbau“ bietet. Vielmehr wird durch ein vielfältiges Angebot von Vorlesungen das facettenreiche Betätigungsfeld des Bauingenieurs aufgezeigt, und kommt somit besonders der bei den Studierenden oftmals bedeutenden Frage nach: „Was bringt die Zukunft? “ Diese wird nämlich alles andere als „statisch“ aussehen. Wie in anderen Berufszweigen muss sich auch der Bauingenieur im Laufe seines beruflichen Wirkens immer wieder sich ändernden Randbedingungen stellen. Ein Paradebeispiel dafür ist die Rohrleitungssanierungsbranche. Die Erhaltung der Funktionstüchtigkeit von Rohrleitungen regt eine große Zahl von Fachleuten immer wieder zum Querdenken an, gibt es doch eine nahezu unbegrenzt scheinende Zahl unterschiedlicher Probleme. Und will man heute aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und alles besser machen, indem man dem langlebigen Wirtschaftsgut Rohrleitung endlich die Bedeutsamkeit zukommen lässt, die es verdient, ist die stete Arbeit am Detail, an der Verbesserung garantiert. Mit der neuen Studienausrichtung Erhalt/ Sanierung/ Ertüchti- Rohrleitungssanierung - eine spannende Berufsperspektive für Bauingenieure AUTOR Dipl.-Ing. (FH) Mike Böge iro GmbH Oldenburg Kontakt: boege@iro-online.de Bild: Angehende Bauingenieure besuchen die Baustelle „Abwasserkanal Emscher“ als praktische Ergänzung zur Vorlesung „Sanierung von Rohrleitungen.“ © iro gen von Bauwerken (ESE) haben die Studenten der Jade-Hochschule in Oldenburg die Möglichkeit, sich unter anderem über die aktuellen Themen und Veränderungen im Rohrleitungsbetrieb und in der Rohrleitungssanierung zu informieren und sich somit auf das vor ihnen liegende, spannende Berufsleben vorzubereiten. Die Vorlesung mit dem Titel „Sanierung von Rohrleitungen“ vermittelt den Studenten einen praxisnahen Einblick in die Geschehnisse der Instandhaltung bestehender Rohrleitungsnetze. Dabei werden neben der Vielzahl von technischen Aspekten ebenso ökonomische und ökologische Belange diskutiert. Und selbstverständlich wird auch hier immer wieder neugierig in die Zukunft geschaut. „Wie erhalte ich heute eine zum Teil über hundert Jahre alte Infrastruktur, so dass diese weitere Generationen übersteht? Nicht nur in Zeiten des Klima- und demografischen Wandels ist dies keine banale Fragestellung und mit Sicherheit nicht weniger herausfordernd als „eine Brücke über einen Fluss“ zu planen. Nebenbei erkennen Studierende schnell, dass man sich auch nach dem Studium als Bauingenieur weiter die Frage stellen darf: „Was bringt die Zukunft? “. Der neue Studiengang möge dazu beitragen, fachlich gut vorbereitete junge Ingenieurinnen und Ingenieure hervorzubringen, die sich um die sichere Zukunft unserer Rohrleitungsnetze kümmern werden. 86 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Infrastruktur Die Anlage „Mexicable“ wird täglich 17 Stunden im Einsatz sein und dabei 3000 Personen pro Stunde befördern. Sie ist direkt an das öffentliche Verkehrssystem angeschlossen. Für die Bewohner und Besucher von Ecatepec de Morelos bedeutet diese Verbindung eine erhebliche Erleichterung und Verbes- Mit der Seilbahn pünktlich und sicher zur Schule Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto und Leitner Ropeways eröffnen erste städtische Seilbahn Mexikos Mexico City: Die erste urbane Seilbahn Mexikos ist nun Realität. Die fast fünf Kilometer lange Anlage besteht aus zwei Kabinenbahnen und trägt einen wichtigen Teil zur Lösung von Verkehrsproblemen in Ecatepec de Morelos, einem bevölkerungsreichen Stadtteil von Mexico City, bei. Präsident Peña weihte die neue Bahn am 4. Oktober ein. serung der Lebensqualität. „Für die Gegend von Ecatepec und La Cañada bedeuten diese Bahnen eine saubere, umweltfreundliche und moderne Lösung. Anstatt 50 Minuten lang im Stau zu stehen, gelangen die Passagiere in weniger als 19 Minuten zur Hauptverkehrsverbindung in das Stadtgebiet von Mexiko City“, erklärt Paul M. Abed, Projektleiter des Consorcio aristos S.A.B. de C.V., der Konzessionär des Seilbahnprojektes. „Diese Personen können dadurch viel Zeit sparen (377 Stunden im Jahr), die sie dafür mehr mit ihren Familien verbringen können“, fügt Abed hinzu. „Außerdem wohnen im Gebiet von La Cañada viele junge Schüler und Studenten, welche bis jetzt einige Kilometer zu Fuß zurücklegen mussten, um zur Schule zu gehen. Die Seilbahn ist auch eine sichere Lösung für diese jungen Menschen. Die Eltern bringen die Kinder zur Seilbahnstation und wissen, dass sie pünktlich und vor allem sicher in der Schule ankommen, ohne dabei Opfer von Fußgängerunfällen oder gar Überfällen zu werden.“ Kunst auf den Stationsfassaden Die Seilbahn besteht aus zwei voneinander unabhängigen und durch eine Umsteigestation verbundenen Kabinenbahnen, die die Via Morelos mit San Andrés de la Cañada verbinden. Auf den Streckenabschnitten von 2,9 und 1,8 Kilometern gibt es insgesamt sieben Stationen für den Zu- und Ausstieg. Die von regionalen und internationalen Künstlern bemalten Stationen beleben das Stadtbild. Da im städtischen Gebiet kein Einsatz von Helikoptern möglich war, wurden für die Montage an manchen Stellen besondere, technische Hilfsmittel eingesetzt. So wurde etwa eine Drohne für die Montage des Seils herangezogen. Umweltschonende Transportlösung Mit den Bahnen in Mexiko kommt der Leitner DirectDrive erstmals in Amerika zum Einsatz. Der weltweit einzigartige Antrieb, der ohne Getriebe arbeitet, bietet 87 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Infrastruktur wesentliche Vorteile gegenüber anderen Antriebsarten. Zum einen ist er effizient und umweltverträglicher, zum anderen minimiert er wegen des geringeren Verschleiß- und Ausfallrisikos die Ausfallzeiten der Bahn - gerade im öffentlichen Personennahverkehr ist dies ein wichtiges Kriterium. Außerdem läuft er leiser als konventionelle Antriebe. Abed freut sich über das neue Verkehrsmittel: „In Städten, die mit überfüllten Straßen und ungeplanter Stadtentwicklung konfrontiert sind, sind Seilbahnen eine umweltfreundliche und effiziente Lösung. Wir sind stolz, die erste urbane Seilbahn in Mexiko zu realisieren und dadurch ein Beispiel für eine effiziente, qualitativ hochwertige und zuverlässige Transportlösung zu sein.“ In Mexiko folgt man mit diesem neuen Bahnprojekt dem erfolgreichen Vorbild von anderen Leitner Ropeways Bahnen, die im urbanen Bereich in Südamerika Verkehrsprobleme lösen. Dazu gehört unter anderem die 10er-Kabinenbahn in Manizales, Kolumbien, oder jene in der kolumbianischen Stadt Cali, wo eine Bahn seit September 2015 Siloé, eines der ärmsten Viertel, mit dem öffentlichen Verkehrsnetz verbindet. Derzeit baut Leitner Ropeways eine Kabinenbahn in der nordmexikanischen Stadt Torreon. Dort werden die Fahrgäste bald mit der Seilbahn vom historischen Stadtzentrum zur bekannten Christusstatue am de las Noas Berg fahren. Kontakt: Leitner Ropeways Brennerstraße 34 I-39049 Sterzing (BZ) https: / / www.leitner-ropeways.com Ecatepec 1 Seilbahnsystem: GD10 Geneigte Länge: 2 919 m Höhendifferenz: 55 m Anzahl Kabinen: 108 Kabinenkapazität: 10 Personen Geschwindigkeit: 6 m/ s Förderkapazität: 3 000 P/ h Anzahl Stützen: 20 Fahrzeit: 10 min 30 sec Ecatepec 2 Seilbahnsystem: GD10 Geneigte Länge: 1 805 m Höhendifferenz: 62 m Anzahl Kabinen: 76 Kabinenkapazität: 10 Personen Geschwindigkeit: 6 m/ s Förderkapazität: 3 000 P/ h Anzahl Stützen: 16 Fahrzeit: 7 min 30 sec PROJEKTDATEN MEXIKO CITY - MEXICABLE Bilder © Leitner Ropeways 88 4 · 2016 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Infrastruktur Impressum Herausgeber Eberhard Buhl, M.A. Verlag Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl | Christine Ziegler Marschnerstr. 87, D-81245 München Tel. +49 89 889518.71 · Fax +49 89 889518.75 office@trialog.de · www.trialog.de Redaktionsleitung Dipl.-Ing. arch. Christine Ziegler VDI (verantwortlich) Tel: +49 89 889518.72 Fax: +49 89 889518.75 christine.ziegler@transforming-cities.de Anzeigen Hellfried Zippan Tel. +49 89 889518.74 Fax +49 89 889518.75 hellfried.zippan@trialog.de Gültige Anzeigenpreisliste Nr. 1 vom 01.10.2015 Vertrieb und Abonnentenservice Tel. +49 89 889518.76 Fax +49 89 889518.75 vertrieb@trialog.de Erscheinungsweise Viermal im Jahr Bezugsbedingungen Die Bestellung des Abonnements gilt zunächst für die Dauer des vereinbarten Zeitraumes (Vertragsdauer). Eine Kündigung des Abonnementvertrages ist zum Ende des Berechnungszeitraumes schriftlich möglich. Erfolgt die Kündigung nicht rechtzeitig, verlängert sich der Vertrag und kann dann zum Ende des neuen Berechnungszeitraumes schriftlich gekündigt werden. Bei Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages, bei Arbeitskampf oder in Fällen höherer Gewalt besteht kein Entschädigungsanspruch. Zustellmängel sind dem Verlag unverzüglich zu melden. Es ist untersagt, die Inhalte digital zu vervielfältigen oder an Dritte weiterzugeben, sofern nicht ausdrücklich vereinbart. Bezugsgebühren JahresAbo Print: gedruckte Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 120,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 11,90, Ausland EUR 25,-) JahresAbo ePaper: elektronische Web-Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 120,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), ohne Versandkosten JahresAbo Plus (Print + ePaper): als gedruckte Ausgabe + elektronische Web-Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 160,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 11,90 , Ausland EUR 25,-) StudiAbo ePaper: elektronische Web-Ausgabe. Das 1. Bezugsjahr ist kostenfrei (nur einmal pro Bezieher möglich). Ab dem 2. Bezugsjahr wird der reduzierte Jahresbezugspreis von EUR 80,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.) berechnet. Eine aktuelle Studienbescheinigung ist Voraussetzung. Einzelheft Print: gedruckte Ausgabe zum Einzelbezugspreis von EUR 35,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 3,-, Ausland EUR 6,50) Einzelausgabe ePaper: elektronische Web- Ausgabe zum Einzelbezugspreis von EUR 35,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), ohne Versandkosten Campus- und Firmenlizenzen auf Anfrage Organ | Medienpartnerschaft VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld Druck Grafik und Druck GmbH Peter Pöllinger, München Herstellung Trialog, München, www.trialog.de Titelbild Two hard working builders in uniforms putting pavement. © ClipDealer Copyright Vervielfältigungen durch Druck und Schrift sowie auf elektronischem Wege, auch auszugsweise, sind verboten und bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Abbildungen übernimmt der Verlag keine Haftung. Eine Publikation der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft ISSN 2366-7281 (print) www.trialog.de/ agb Ein Jahr nach Vertriebsstart ihrer intelligenten Straßenlaterne SM! GHT zieht die EnBW positive Bilanz: Schon über 85 Kommunen und Stadtwerke haben sich dafür entschieden, die multifunktionalen Laternenmasten aufzustellen, auch erste internationale Bestellungen liegen vor. Die auf dem EnBW-Innovationscampus am Karlsruher Rheinhafen entwickelten Masten können zugleich als Ladestation für Elektroautos, als WLAN-Sender, Notrufsäule, zur Verkehrs- und Parkraumüberwachung oder für Umweltmessungen dienen. Das Interesse an der schlauen Laterne ist groß, auch international: Neben der australischen Stadt Caloundra, wo zwölf Masten installiert werden, haben auch die Stadt Prag und das norwegische Stavanger schon SM! GHTs aufgestellt. „Vor Kurzem wurde SM! GHT in Berlin mit dem renommierten Digital Leader Award ausgezeichnet“, freut sich Uli Huener, Leiter des EnBW- Innovationscampus. „Wichtig für uns ist aber vor allem, dass der Markt die Multifunktionsmasten als Baustein der vernetzten Stadt von morgen gut annimmt. Dass wir im Kalenderjahr 2016 beim Auftragseingang den Wert von einer Million Euro bereits überschritten haben und offene Angebote in ähnlicher Höhe im Markt haben, ist ein großer Erfolg für die als Start-up entstandene Idee.“ Auf dem Innovationscampus leisten kleine Teams abseits vom Kerngeschäft der EnBW Pionierarbeit, indem sie Ideen zur Nutzung neuer Technologien entwickeln. Die verschiedenen SM! GHT- Module - Beleuchtung, Ladestation, drahtloses Internet, Verkehrs- und Umweltmesstechnik und Notruf-Funktion - können auch einzeln geordert werden. So ist auch die Nachrüstung vorhandener Laternen mit zusätzlichen Funktionen möglich. Insgesamt wurden bislang über 350- SM! GHT-Module installiert, mehr als 600 000 Nutzer haben über den öffentlichen WLAN-Zugang von SM! GHT 35 TB Datenvolumen genutzt. Für Uli Huener ist SM! GHT „ein schönes Beispiel dafür, wie die EnBW auf dem Innovationscampus abseits ihres Kerngeschäfts erfolgreich neue Ideen entwickelt. Mit SM! GHT machen wir es Verantwortlichen in den Kommunen leicht, Intelligenz in bestehende Infrastruktur zu integrieren. Und für die Bürger machen wir das Leben einfacher und sicherer - konkret zum Beispiel durch WLAN-Versorgung im öffentlichen Raum oder durch die Notruf-Funktion.“ Ein Jahr SM! GHT Intelligente Laternenmasten sind zunehmend gefragt Erfolgreicher Marktstart für Kombination aus Straßenlaterne, WLAN-Sender, E-Tankstelle, Verkehrssensor und Notrufsäule EnBW Energie Baden-Württemberg AG Durlacher Allee 93 76131 Karlsruhe https: / / www.enbw.com/ SM! GHT-Leuchte im australischen Caloundra. © EnBW Stadtklima Am 6. März 2017 erscheint die nächste Ausgabe von Transforming Cities mit dem Themenschwerpunkt Urbaner Wasserhaushalt Städtische Gewässer als Lebensraum und zur Klimaregulierung Regenwasserbewirtschaftung, Hochwasserschutz Urbanes Grün Wetterbeobachtung: Mess- und Informationstechnik Luftreinhaltung, Feinstaubreduzierung Klimaneutrale Heizung und Kühlung ... sowie weitere Beiträge zu Energie, Stadtplanung, Infrastruktur, Mobilität,...
