Transforming cities
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expert verlag Tübingen
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Verbrauchen · Sparen · Erzeugen · Verteilen Energiewende = Wärmewende | Speicher | Geothermie | Tarifmodelle | Flexible Netze | Elektromobilität 2 · 2017 2 · 2017 Stadt und Energie ISSN 2366-7281 Transforming Cities 2·2017 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Urbane Kommunikation Am 4. September 2017 erscheint die nächste Ausgabe von Transforming Cities mit dem Themenschwerpunkt Digitale Werkzeuge für Smart Cities Rathaus online Steuerung von Versorgungsnetzen Warnsysteme + Schutzmechanismen Vernetzung im Stadtaum: digital und analog Big Data versus Datenschutz Leitstellen und professioneller Mobilfunk Hauptsponsor Vielfalt der neuen Energiewelt Über 90 Redner diskutieren mit über 1.600 Geschäftsführern und Entscheidern über u.a. folgende Themen: ✓ Digitalisierung ✓ Klimaschutz und Energiewende ✓ Sektorkopplung - Wer macht was mit wem? ✓ Dekarbonisierung als Modernisierung ✓ Herausforderungen für die Regulierung 2030 21.-22.6. / STATION-Berlin Jetzt anmelden: www.bdew-kongress.de C O N V E R G E N C E Industr Y Hören Sie im Plenum u.a. folgende Sprecher: Botschafter Wolfgang Ischinger Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz Peter Altmaier Bundeskanzleramt Magnus Hall CEO, Vattenfall Brigitte Zypries Bundesministerium für Wirtschaft und Energie BDEW KONGRESS 2017 1 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, die Dimension ist gewaltig: Rund drei Viertel der weltweit eingesetzten Energie werden in Städten verbraucht. Fossile Energieträger bilden dabei nach wie vor die Basis der Energieversorgung. Verkehrsüberlastung der Innenstädte und Staus sind an der Tagesordnung, Autoabgase und Industrie-Emissionen verpesten die Luft. Urbane Ballungsgebiete verursachen so zugleich den größten Anteil der globalen Treibhausgasemissionen und sind demnach für den fortschreitenden Klimawandel in erster Linie verantwortlich. Umgekehrt sind es aber auch die Städte und Gemeinden, deren Supra- und Infrastrukturen in besonderem Maße von klimatischen Veränderungen wie etwa Starkregen und Überflutungen betroffen sind. Und mit wachsender Wirtschaftskraft und steigenden Bevölkerungszahlen nimmt der Energiehunger weiter zu - ein Teufelskreis aus Ursache und Wirkung, dem es zu entkommen gilt. In Deutschland sind die Ziele klar gesteckt: Bis zum Jahr 2050 soll der CO 2 -Ausstoß im Vergleich zu den Werten von 1990 um mindestens 80 % reduziert werden. Der Primärenergieverbrauch soll bis dahin um 50 % sinken und der Beitrag erneuerbarer Energien für Strom und Wärme um 50 % steigen. Keine einfache Aufgabe: Diese grundlegende Transformation des Energiesystems erfordert politischen Willen und gesellschaftliches Engagement. Nationale Klimaziele sind ein erster Schritt. Die praktische Umsetzung der Energiewende wird jedoch im Wesentlichen auf kommunaler Ebene stattfinden. Denn wo viel Energie verbraucht wird - für Gebäudeheizung, für Beleuchtung oder Verkehr - lassen sich auch nennenswerte Mengen einsparen. Wo eine Vielzahl von Systemen zur Versorgung und Entsorgung, für Mobilität und Kommunikation installiert ist, können Vernetzung und Digitalisierung, innovative Geschäftsideen und regionalwirtschaftliche Impulse den Umbau vorantreiben. Die intelligente Kopplung der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität zusammen mit der Flexibilisierung von Netzen und innovativer Speichertechnik gilt als wegweisend, um die Energiewende für Städte nicht nur ökologisch sondern auch ökonomisch erfolgreich zu gestalten. In wirtschaftlicher Hinsicht spielen ebenso Tarifmodell-Umstellungen und Fördermöglichkeiten für Kommunen eine wichtige Rolle. In der vorliegenden Ausgabe von Transforming Cities finden Sie deshalb viel Informatives zu diesen und weiteren wichtigen Themen. Aber lesen Sie einfach selbst. Ihre Christine Ziegler Redaktionsleitung „Transforming Cities“ Stadt und Energie - verbrauchen, sparen, erzeugen, verteilen 2 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES INHALT 2 · 2017 Seite 8 Seite 17 © Vipul Toprani © Phönix Contact © Stiebel Eltron Seite 4 PRAXIS + PROJEKTE 4 Smart Grid im Quartiersformat Erneuerbare Energien und nachhaltige Mobilität Richard Kemmerzehl 8 Verteilung regenerativ erzeugten Stroms über Elektroautos Intelligente Ladelösung mit besonderem Power- Management-System Dirk Vogel 12 Heiz- und Lagertechnik für Holzpellets Wohnungsbaugesellschaft erneuert 47 Jahre altes Nahwärmenetz und wechselt den Brennstoff Barbara Sahler 17 Unkonventionelle Heizenergie Umweltfreundliche Wärme aus den Belebungsbecken der Kläranlage Niederalteich 20 Das besondere Energiepaket Eis-Energiespeicher und Kraftdach Jana Dietz THEMA Stadtklima 24 Die erweiterte Kommunalrichtlinie Ausbau der erfolgreichen Förderung des kommunalen Klimaschutzes Greta Link, Benjamin Kroupa 28 Tarifmodell- Umstellungen in Netzsektoren Ver- und Entsorger in der Wasser- und Energiewirtschaft unter Handlungsdruck Mark Oelmann, Christoph Czichy, Rene Beele 34 Vom Baum zum Rhizom Die Flexibilisierung der Netze durch Gleichstrom Benjamin Casper, Sandra Sieber 38 Elektromobilität im städtischen Kontext Oliver Rottmann, André Grüttner 43 Wärmewende in den Städten des Ruhrgebietes Verbindung der Sektoren Strom, Wärme und Gas Kurt Berlo, Oliver Wagner 48 Kraft-Wärme-Kälte- Kopplung: Eine Option für Kommunen Forschungsprojekt TriMa (Trigeneration Market) zur Förderung der Marktdurchdringung in urbanen Gebieten als Beitrag zur Energiewende Birgit Eitel, Erich Maurer, Dimitar Ivanov 54 Die kommunale Wärmewende Technische Transformationspfade und Prozessorganisation Jens Libbe, Robert Riechel 3 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES INHALT 2 · 2017 60 Urbane Wärmeinseln im Untergrund: Nachhaltige Energie für Städte? Geothermische Nutzung der innerstädtischen Abwärme Susanne A. Benz, Carolin Tissen, Philipp Blum 64 Wärme aus dem Acker: Agrothermie und Kaltwärmenetz Oberflächennahe Geothermie speist Kaltwärmenetz der Gemeinde Wüstenrot Klaus W. König 70 Biomasse in der Stadt Chancen für eine grüne Energieversorgung Torsten Schmidt-Baum, Ronny Wirkner FOKUS Fachliteratur 74 Erneuerbare Wärme Kommunale Vorbilder zum Nachahmen Jan Walter Forschung + Lehre 78 Studierende gehen neue Wege 1. Studentische Energiekonferenz an der Hochschule Ruhr West (HRW) Mülheim/ Bottrop Seite 54 Seite 60 © pixabay Seite 74 © Acron-Sunmark A / S © Tissen PRODUKTE + LÖSUNGEN 80 Zählerstände per Tablet oder Smartphone Mehr Transparenz beim Energieverbrauch dank digitaler Verbrauchsdatenerfassung 81 Stromspeicher mit Kapazitäts- und Leistungsreserven 82 Energiesparen ist die halbe Miete Klimaschutzsiedlung Mönchengladbach 84 Energie sparen mit hochwertigen Glaselementen 84 Impressum 4 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie · Mobilität Energiewende heißt nicht nur Stromwende Der beschleunigte Atomausstieg ist beschlossen. Der Anteil Erneuerbarer Energien (EE) an der Stromerzeugung soll laut Energiekonzept der Bundesregierung bis zum Jahr 2035 auf 60 % ausgebaut werden. Bis zum Jahr 2050 ist geplant, die Versorgung mit Strom und Wärme sowie den Verkehr nahezu vollständig auf Basis erneuerbarer Energiequellen zu realisieren. Der steigende Integrationsbedarf des Stroms aus erneuerbaren Energien verändert die Anforderungen an die Stromnetze. Mehr Strom wird in dezentralen Anlagen erzeugt und es entstehen große regionale Erzeugungskapazitäten relativ weit weg von den Verbrauchszentren - beispielsweise große Windparks in Nord- und Ostdeutschland oder Offshore-Windparks. Die existierenden Übertragungs- und Verteilnetze sind allerdings nicht für Dezentralität und das Smart Grid im Quartiersformat Erneuerbare Energien und nachhaltige Mobilität für eine erfolgreiche Energiewende Energiewende, Micro Smart Grid, Sektorenkopplung, Elektromobilität, Bedarfsanalyse und Beratung, Smart City Richard Kemmerzehl Eine ökonomisch und ökologisch erfolgreiche Energiewende setzt die intelligente Kopplung der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität voraus. Die Mitarbeiter und Partner von inno2grid haben über mehrere Forschungsprojekte hinweg das erste Micro Smart Grid Deutschlands aufgebaut und veranschaulichen in der zeeMo.base (zero emmission energy and Mobility base), wie dezentrale, regenerative Energieerzeuger, lokale Energieverbraucher sowie stationäre und mobile Speicher über ein intelligentes Lastmanagement miteinander vernetzt werden. Projektentwickler und Wohnungswirtschaft erkennen vermehrt die ökonomischen Chancen und Möglichkeiten der Energie- und Verkehrswende, doch tun sie sich schwer, die klassischen Planungsprozesse für innovative Lösungen und Produkte zu öffnen. Für zukunftsfähige Energie- und Mobilitätslösungen braucht es daher eine „HOAI-Phase 0“ sowie einen „Vernetzer“, der die Kommunikation und integrierte Koordination zwischen Fachplanern, Bauherren und Betreiber organisiert. Bild 1: Solarcarport für grüne E-Mobilität. Mit insgesamt drei Photovoltaikanlagen werden im Micro Smart Grid rund 80kWp Leistung zur Verfügung gestellt. © Vipul Toprani PRAXIS + PROJEKTE Energie 5 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie · Mobilität damit verbundene Ausgleichen von Stromschwankungen ausgelegt. Das führt derzeit unter anderem dazu, dass etwa einzelne Windräder oder ganze Windparks trotz Wind vom Netz genommen werden müssen, weil die Leistungsspitzen des Grünstroms das Netz überlasten. Im Zuge der Energiewende konzentriert man sich derzeit hauptsächlich auf den Netzausbau und verstärkt und erweitert tausende von Kilometern Stromtrassen. Die stetig steigenden Kosten für den Netzausbau und die finanziellen Belastungen durch die EEG-Umlage führen allerdings dazu, dass es zuletzt - trotz sinkendender Börsenpreise - immer wieder Preiserhöhungen beim Haushaltsstrom gab. Die Akzeptanz von Bürgerinnen und Bürgern für die Energiewende schwindet damit zusehends, und auch kleinere Unternehmen klagen über schlechte Wettbewerbsbedingungen durch hohe Stromkosten. Das schürt Ängste und verunglimpft die Energiewende. Vielleicht muss im politischen Diskurs stärker betont werden, dass die Energiewende nicht gelingen kann, wenn man sie lediglich als „Stromwende“ betrachtet. Energiewende setzt die intelligente Kopplung der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität voraus. Damit den drei zentralen Forderungen des Energiewirtschaftsgesetzes nach Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit entsprochen werden kann, sind neue Versorgungssysteme notwendig, um den integrierten Betrieb energiesparten- und sektorübergreifend auf lokaler Ebene sicherstellen zu können. Insbesondere auf den niedrigen Spannungsebenen gilt es, die wachsende Volatilität der Energieeinspeisung zu bewältigen. Zwei Strukturelementen wird dabei eine besonders wichtige Rolle zukommen: Micro Smart Grids (MSG) und Hybridnetzen - also Energiesystemen, in denen Energie jeweils in ihrer aktuellen Form verbraucht, gespeichert oder in eine andere Energieform gewandelt werden kann, um schließlich wieder verbraucht, gespeichert oder transportiert werden zu können. Das Micro Smart Grid auf dem EUREF-Campus Wie sich diese Strukturelemente technologisch, ökonomisch, rechtlich und nicht zuletzt praktisch realisieren lassen und welche Rolle die Sektoren Verkehr (insbesondere die Elektromobilität) sowie Wärme spielen, wird auf dem EUREF-Campus erforscht und erprobt. Die Mitarbeiter und Partner von inno2grid haben seit Ende 2011 das erste Micro Smart Grid Deutschlands konzeptioniert und aufgebaut. In der kürzlich eröffneten zeeMo.base wird veranschaulicht, wie dezentrale, regenerative Energieerzeuger, lokale Energieverbraucher sowie stationäre und mobile Speicher über ein intelligentes Lastenmanagement miteinander vernetzt werden. Durch die intelligente Vernetzung und die Steuerung der Komponenten im „Arealnetz“ (energierechtlich gesehen, ist es eine Kundenanlage) werden die regenerativen Zuflüsse aus Photovoltaik, Windkraft und BHKW auf Niederspannungsebene grundlastfähig und versorgen Büro- und Mietgebäude auf dem Campus sowie Deutschlands größte „Stromtankstelle“ und die daran ladende Elektrofahrzeugflotte mit lokal produziertem Strom. In Situationen, in denen die Stromproduktion vor Ort nicht ausreicht, sorgt die Koppelung zum vorgelagerten, öffentlichen Verteilernetz über einen eigenen Trafo dafür, dass die Versorgungssicherheit im Micro Smart Grid jederzeit gegeben ist. Künftig soll auch geothermische Energie erschlossen sowie Regelenergie über Powerto-Heat oder Power-to-Cool-Wasserspeicher vermarktet werden. Somit lassen sich Erzeugung und Verbrauch auf der niedrigsten möglichen Ebene hybridartig ausbalancieren und der Strombezug aus dem öffentlichen Netz wird reduziert. Oder anders ausgedrückt: Je mehr Eigenverbrauch stattfindet, desto höher sind die Einsparungen bei den Energiekosten. Denn rund 70 % des Strompreises entfallen auf Netzentgelte und Abgaben, die bei lokal erzeugtem und verbrauchtem Strom (größtenteils) nicht gezahlt werden müssen. Micro Smart Grids und Hybridnetze entfalten dann ihr volles Potential, wenn in einem Quartierskonzept eingebettete Flexibilität am Strommarkt angeboten wird, sei es in Form von überschüssigem Strom oder durch die Bereitstellung von Kapazitäten. Diese lassen sich in thermischen Speichern vorhalten, in steuerbar ladenden Elektrofahrzeugen oder in „Smarten Gebäuden“. Mit aktuellen und prognostizierten) Verbrauchsdaten und mithilfe von Wetterinformationen kann so auf die aktuelle (und prognostizierte) Stromerzeugung reagiert werden (Bild 2). Bild 2: Die Regelung und Steuerung sowie die Visualisierung des gesamten Micro Smart Grid erfolgt über ClearSCADA. © inno2grid MICROSMARTGRID BUILDINGS ELECTRIC MOBILITY RENEWABLE SOURCES STORAGE 6 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie · Mobilität Vom Forschungsnetz zur Marktfähigkeit: zeeMo.base Das über mehrere Forschungsprojekte auf dem EUREF-Campus entstandene Forschungsnetz hat sich mittlerweile zu einer marktfähigen Lösung entwickelt und ist in Kooperation mit Schneider Electric GmbH, InnoZ GmbH, EU- REF AG, Stromnetz Berlin GmbH, Netzgesellschaft Berlin Brandenburg mbH und der TU Berlin zur zeeMo.base (Zero Emission Energy and Mobility Base) ausgebaut worden, die gemeinsam mit dem neu entstandenen „solaren Grundlastkraftwerk“ im Juli 2016 eröffnet wurde. zeeMo.base dient seither sowohl als Energiezentrale, in der die Komponenten des Micro Smart Grids zusammenlaufen und verwaltet werden, als auch als Showroom, in dem die intelligente Vernetzung von Energie und Mobilität erlebbar gemacht wird (Bild 1). Im Gebäude befinden sich die technischen Betriebsräume des Micro Smart Grids. Besucher können die operativ betriebenen Anlagen - Wechselrichter, Speicheranlagen, Netzkomponenten mit Mittelspannungsschaltanlage, Transformator und Niederspannungshauptverteilung - durch Sichtglasfenster betrachten (Bilder 3, 4, Tabelle 1). Unter dem „solaren Grundlastkraftwerk“ mit semi-transparenten Solarmodulen sind Parkplätze mit dazugehörigen Ladepunkten angelegt. Diese können über Smartphone reserviert und freigeschaltet werden. Die Abrechnung erfolgt bequem ohne vorherige Anmeldung per PayPal. Mit grüner Energie lädt das Start-Up CleverShuttle als erster Großkunde so seine Fahrzeuge, mit denen es seinen Fahrgästen einen kostengünstigen Carpooling-Service im Berliner Stadtgebiet bietet. Die zeeMo.base ist das einzige operativ betriebene und begehbare Smart Grid, in dem Besucher interaktiv die Komponenten und Prinzipien zukünftiger Energienetze erfahren können. Inno2grid ist Betreiber des Micro Smart Grids und überträgt die entstandene Systemlösung in Quartiere, die sich über integrierte Energie- und Mobilitätslösungen für die Zukunft rüsten. Die Rolle des Vernetzers in der frühen Planungsphase As erprobte Lösung dient die zee- Mo.base auf dem EUREF-Campus als Blaupause, denn standortspezifische Mobilitäts- und Energiekonzepte rücken vermehrt in den Fokus bei Projekt- und Stadtquartiersentwicklungen. Nicht zuletzt durch die politische Forcierung der E-Mobilität, wird die gemeinsame Betrachtung unterschiedlicher Sektoren unerlässlich. Projektentwickler und Wohnungswirtschaft erkennen zunehmend die ökonomischen Chancen und Möglichkeiten der Energie- und Verkehrswende, doch sie tun sich schwer dabei, die klassischen Planungsprozesse für innovative Lösungen und Produkte zu öffnen. Die fortschreitende Digitalisierung führt dazu, dass sich der deutsche Energie- und Verkehrsmarkt im radikalen Umbruch befindet. Das eröffnet Immobilienentwicklern Chancen, sich nach zusätzlichen Erlösquellen umzusehen. Vernetzte Mobilitätslösungen im Sharing-Modus und Integration von erneuerbaren Energien steigern nicht nur die Standortqualität, sondern stellen auch ein wichtiges Vermarktungsinstrument dar. Eigene Mobilitätsangebote gewährleisten die verkehrliche Erschließung von Standorten, ergänzen den öffentlichen Nahverkehr und bieten Bauherren die Möglichkeiten, flexibler gehandhabte Stellplatznachweise ressourcenschonend und kostengünstiger zu erfüllen. Die Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und die Einführung des Mieterstromgesetzes führen dazu, dass sich die Wohnungswirtschaft verstärkt mit Mieterstrommodellen auseinandersetzt, weil die Eigenversorgung durch lokal produzierten Strom sowohl für die Wohnungswirtschaft neue Technische Daten Carsharing Stationen 36 Ladepunkte für Elektrofahrzeuge Kleinwindenergieanlagen 6 X 1 kW Photovoltaikanlagen 102 kWp Blockheizkraftwerk 22 kW elektrisch I 50 kW thermisch Lithium-Ionen-Batterie 78 kWh Energiekapazität I 45 kW Beladeleistung I 60 kW Entladeleistung BIei-Säure-Batterie 150 kWh Energiekapazität I 36 kW Beladeleistung I 36 kW Entladeleistung Superkondensator 1 kWh Energiekapazität I 15 kW Beladeleistung I 15 kW Entladeleistung Bild 3 und 4: Ein Blick in den Maschinenraum: Das Micro Smart Grid ist über einen 630 kVA Transformator und eine Mittelspannungsschaltanlage an das übergelagerte Mittelspannungsnetz angeschlossen. Rechts das Speichersystem des solaren Grundlastkraftwerks. © inno2grid Tabelle 1: Technische Daten des Micro Smart Grids. © inno2grid 7 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie · Mobilität www.optigruen.de IHR PARTNER FÜR DACH- UND FASSADENBEGRÜNUNG NEUE AUFLAGE 2017! Planungsunterlage kostenlos anfordern: info@optigruen.de SCHÖN, SCHÖNER, OPTIGRÜN (eigene) Geschäftsfelder eröffnet, als auch für die Mieter ökonomisch attraktiv ist. Gebäude werden zu Prosumern! Die integrierte Systementwicklung einer dezentralen Energie- und Mobilitätsversorgung findet sich in klassischen Planungsprozessen allerdings nicht. Sie ist jedoch eine wichtige, vorgelagerte Stufe des klassischen HOAI-Planungsprozesses. Die Quartiersdiagnose wäre somit „Phase 0“, die funktionale und räumliche Anforderungen von integrierten Energie- und Mobilitätslösungen in einem Masterplan definiert, um damit einen interdisziplinären Planungsprozess steuerbar zu machen. Unter Berücksichtigung der Ziele des Projektentwicklers sind Vorabanalysen zu Nachfrage und Angebot durchzuführen, die dann in einem Business Case auf ihre wirtschaftliche Tragfähigkeit im Bau und im Betrieb überprüft werden (Bild 5). Spätestens an diesem Punkt ergeben sich neue Herausforderungen für diejenigen, die in „ihren Sparten“ mit neuen Themen und nicht zuletzt auch mit unbekannten Rollen und Stakeholdern konfrontiert werden. Hier ist die Rolle des „Vernetzers“ entscheidend, der die Kommunikation und Koordination zwischen Fachplanern, Bauherren und Betreibern besetzen kann. Denn um die ökonomischen Potenziale der Sektorenkopplung zu erhöhen, muss in der frühen Planungsphase der Infrastruktur von Quartieren oder Arealen die energetische Kopplung der Sparten Strom, Wärme und Kälte sowie die Einbindung der zukünftigen Mobilitätsversorgung der Nutzer integriert bedacht werden. Dazu müssen Betreiberanforderungen für Mobilitätsangebote oder Ladeinfrastruktur frühzeitig eingebunden und baulich berücksichtigt werden. Häufig lohnt auch der Blick über die eigene Betrachtungsgrenze hinaus, denn Anrainer oder Nachbarprojekte verfolgen meist gleichgelagerte Ziele und sind oft bereit, die damit verbundenen Herausforderungen und Aufgaben gemeinsam anzugehen. Je höher die Anzahl der beteiligten Wohneinheiten und steuerbaren Komponenten im Areal, desto einträglicher und attraktiver kann ein standortspezifisches Angebot zur Energie- und Mobilitätsversorgung gestaltet werden. Eines ist klar: Um die ehrgeizigen Ziele der Energiewende zu erreichen, ist noch viel zu tun. Doch gewinnt die Energiewende im Moment eine neue Dynamik. Der politische Top-Down-Ansatz wird zunehmend durch einen kundengetriebenen Bottom-up-Ansatz ergänzt. Ausgelöst wird diese Dynamik durch neue Geschäftsmodelle der dezentralen Versorgungsstrukturen, neue digitale Vernetzungsmöglichkeiten und dem damit verbundenen Potenzial für die intelligente Kopplung der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität. AUTOR Bild 5: Inkrementeller Ansatz, um gewünschte Ziele und Anforderungen bei Energie und Mobilität auf wirtschaftliche Tragfähigkeit zu überprüfen. © inno2grid Richard Kemmerzehl Projektmanager inno2grid GmbH Kontakt: richard.kemmerzehl@inno2grid.com 8 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie · Mobilität Die in Wijk bij Duurstede südlich von Amersfoort ansässige Van der Sijs Techniek & Automatisering BV ist schon seit langem im Bereich Steuerungstechnik und Energieverteiler tätig. Vor etwa fünf Jahren stieg das Unternehmen über seine Arbeitsgruppe Green Label dann auch in das wachsende Geschäftsfeld der Elektromobilität ein. Henk Roest, Automatisierungs-Fachmann bei Van der Sijs, berichtet: „Einige unserer Kunden aus der Energiebranche wollten unsere Verteilsysteme an Solarpanels oder Ladestationen für Elektroautos ankoppeln. Deshalb haben wir uns entschlossen, uns entsprechend zu spezialisieren“. Als erste wichtige Innovation konzipierte Van der Sijs ein Power-Management-System. Mit der Lösung kann der über Solarpanels oder aus anderen Energiequellen erzeugte Strom über Elektroautos verteilt werden, um Energieangebot und -nachfrage optimal aufeinander abzustimmen und Probleme im Stromnetz zu verhindern. Eine Steuerung pro Ladeplatz Bei der weiteren Entwicklung des Ladesystems kam der Ankopplung an ein Backoffice - auch als Zentralsystem bezeichnet - eine entscheidende Bedeutung zu. Roest erläutert: „Das Open Charge Point Protocol (OCPP), das zur Authentifizierung von Elektroautos an öffentlichen Ladestationen verwendet wird, sieht ein solches Backoffice vor“. Denn der herstellerneutrale und lizenzfreie Standard, der die Ladevorgänge überwacht und verwaltet und die jeweiligen Benutzer- und Abrechnungsdaten an den Vertragspartner übermittelt, ist nicht auf die Kommunikation mit nur einem Ladepunkt ausgelegt. Vielmehr muss die Ladeapplikation über ein Power-Management-System Verteilung regenerativ erzeugten Stroms über Elektroautos Intelligente Ladelösung mit besonderem Power-Management-System Elektromobilität, Infrastruktur, Ladestationen, Power-Management, Erneuerbare Energien, Wirtschaftlichkeit Dirk Vogel Die Elektromobilität nimmt weiter zu, wobei die Niederlande mit einem gut ausgebauten Infrastruktur-Netz eine Vorreiterrolle einnehmen. Dazu haben Unternehmen wie Allego und Van der Sijs beigetragen, deren intelligente Ladepunkte mit einer besonderen Power-Management-Funktion ausgestattet sind. Die notwendigen Automatisierungskomponenten liefert Phoenix Contact. © Phoenix Contact 9 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie · Mobilität verfügen. Diese Herausforderung hat Van der Sijs gemeinsam mit den Spezialisten der Phoenix Contact E-Mobility GmbH gelöst. Außergewöhnlich an dem Ansatz ist, dass es nur eine zentrale Steuerung gibt, über die alle auf dem Ladeplatz befindlichen Elektroautos registriert und zusätzliche Daten für das Power Management ausgetauscht werden. Individuelle Auswahl der Ladeart Als Backoffice wählte Van der Sijs Allego. Das in Arnheim ansässige Tochterunternehmen des Energienetz-Betreibers Alliander entwickelt maßgeschneiderte Ladelösungen und Ladeinfrastruktur für Kommunen, Unternehmen und Verkehrsbetriebe. Mit dem Ziel, jedem Nutzer eine einfach handzuhabende, kostengünstige sowie überall und jederzeit verfügbare Lademöglichkeit bereitzustellen, ist Allego außer in den Niederlanden ebenfalls in Belgien und Deutschland tätig. „Gemeinsam mit unseren Kunden und Partnern erarbeiten wir individuelle Ladelösungen, sodass der Elektromobilität keine Grenzen gesetzt sind“, erklären Augusta Goedhart, als Realisation Manager bei Allego beschäftigt, sowie ihr Kollege, der Innovation & Product Manager Patrick Langevoort. Sowohl der Standort von Allego in Arnheim als auch der Unternehmenssitz von Van der Sijs in Wijk bij Duurstede dienen als Testgelände für das neue Power- Management-System (Bild 1). Henk Roest berichtet: „Bei Van der Sijs ist das Power-Management-System an eine aus 189 Solarpanels bestehende Photovoltaik-Lösung sowie an vier Ladepunkte angekoppelt. Ein zentraler Rechner erkennt die abrufbare Solarstrom-Leistung sowie den Ladebedarf der Elektroautos. Je mehr die Sonne scheint, desto schneller lassen sich die E-Mobile betanken“. Die Partner führen inzwischen Tests durch, bei denen der Nutzer zwischen herkömmlichem Laden, einfachem Laden mit Solarenergie sowie einem innerhalb einer bestimmten Zeit garantiert vollständig geladenen Akku wählen kann. „Die Lösung zeichnet sich dadurch aus, dass das System niemals überlastet wird“, so Roest. „Wir sprechen daher von einem intelligenten Netz++“. Kleine Ladestation für beengte Verhältnisse Allego hat eine Umfrage unter potenziellen Käufern von Elektroautos gestartet und sie unter anderem gefragt, wie eine Ladesäule ihrer Meinung nach aussehen sollte. Den meisten Teilnehmern war es hier wichtig, dass der Ladepunkt möglichst klein und unsichtbar ist. Dieses Feedback hat Allego dann bei der Entwicklung des Power-Management-Systems aufgenommen und umgesetzt. Die Ladepunkte umfassen nun lediglich die Technik, die tatsächlich notwendig ist. Dazu gehören die Ladesteckdose (Socket Outlet), die Verriegelung sowie die RFID/ NFC-Chips, um den Aufladevorgang zu autorisieren und zu beginnen. Die kleinen Ladestationen sind von Allego speziell für den beengten Ladeplatz konzipiert worden. Sie lassen sich als Ein-, Zwei- oder Vierpunkt-Variante auf einem Pfosten oder als einzelner Ladepunkt an einer Mauer montieren (Bild 2). Bild 1: Speziell für das Power-Management designte Ladepunkte: so klein wie möglich, jedoch funktional voll integriert. © Phoenix Contact Bild 2: Die ausgewählte Bauform ermöglicht eine große Varianz von Einsatzmöglichkeiten. © Phoenix Contact 10 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie · Mobilität Kommunikative Anbindung via Modbus TCP/ IP und OCPP Laut Aussage von Goedhart, Langevoort und Roest kommt der Ladesteuerung EV Charge Control von Phoenix Contact eine entscheidende Bedeutung im beschriebenen System zu. Sie dient der Steuerung und Überwachung des Ladens der Elektroautos am Drei-Phasen-Wechselstromnetz im Mode 3 gemäß IEC 61851- 1. Gleichzeitig tauscht der EV Charge Control via Modbus TCP/ IP Daten mit der zentralen Steuerung aus. Dabei handelt es sich um einen Inline Controller ILC 370 ETH 2TX von Phoenix Contact, der wiederum via OCPP an das Backoffice-System angebunden ist (Bild 3). Der ILC- 370- ETH- 2TX wurde mittlerweile gegen eine leistungsfähigere Axiocontrol- Steuerung AXC- 3050 ausgewechselt. Statt der bislang maximal 30- Ladepunkte können mit dem AXC- 3050 jetzt bis zu 100- Ladepunkte gesteuert werden. Van der Sijs hat ein Service Level Agreement (SLA) mit Allego abgeschlossen. Der dafür erforderliche 3G-Router von Phoenix Contact erlaubt den Aufbau einer sicheren VPN-Verbindung auf Basis von IPsec. Über die Verbindung können sich die Service- Spezialisten von Allego in die Zentral- und die Ladesteuerung einloggen. Allego und Van der Sijs haben sich im Wesentlichen deshalb für die Komponenten und Systeme des Blomberger Automatisierungsspezialisten entschieden, weil sie flexibel einsetzbar sind und den relevanten Industrienormen entsprechen. „Die betriebsbereit gelieferten Geräte können sowohl mit den Elektroautos der verschiedenen Hersteller als auch mit dem übergeordneten System kommunizieren“, erläutert Roest. „Daher ist das von uns erarbeitete Power-Management-System in der Lage, die zur Verfügung stehende Energie an ein bis zu einer nahezu unendlichen Anzahl an E-Mobilen zu verteilen“. Wirtschaftliche Konditionen durch Skaleneffekte Vor diesem Hintergrund sieht Patrick Langevoort ein großes Marktpotential für die gemeinsam entwickelte Ladelösung: „In der Praxis haben wir schon vielfach erlebt, dass größere Unternehmen und wichtige Ladestandorte schnell an die Grenzen der vorhandenen Netzkapazität Die Ladesteuerung EV Charge Control von Phoenix Contact überwacht die Signale „Control Pilot“ und „Proximity Plug“ (Bild 5). Die Control-Pilot- Funktion dient dabei der Erkennung der Schutzleiter-Anbindung. Darüber hinaus übermittelt sie den Fahrzeugstatus - beispielsweise Fahrzeug geschlossen, Fahrzeug in verschiedenen Stufen bereit zum Laden, Fehler - und stellt diesen ein. Außerdem übergibt sie Informationen zum maximal verfügbaren Ladestrom über ein PWM-Signal (Pulsweitenmessung) an das Elektroauto. Über das Proximity-Plug-Signal identifiziert die Ladesteuerung den eingeführten Stecker sowie die Stromtragfähigkeit von Stecker und Kabel. Dazu ist eine Widerstands-Codierung in den Stecker integriert. Der EV Charge Control erlaubt ferner die statusabhängige Aktivierung oder Deaktivierung der Verriegelung des Ladesteckers in der Ladestation. Durch die vorhandene Kommunikations-Schnittstelle lässt sich die Ladesteuerung in Abrechnungssysteme integrieren und der Ladevorgang kann gesteuert respektive überwacht werden. EINFACHE INTEGRATION IN ABRECHNUNGSSYSTEME Bild 4: Mit einer flexiblen Lösung, abgestimmt auf das Aufladen von Elektrofahrzeugen, ist eine Basis für die gemeinsamen Aktivitäten von Allego und Van der Sijs geschaffen. © Phoenix Contact Bild 3: Alle relevanten Komponenten haben eine Ethernet-Schnittstelle und können so einfach in die Applikation integriert respektive erweitert werden. © Phoenix Contact 11 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie · Mobilität sowie weiterer benötigter Ressourcen stoßen. Der von uns konzipierte Ladepunkt erlaubt nun das Aufladen der gewünschten Anzahl an Elektroautos an Standorten, wo dies aus Platzgründen zuvor nicht möglich war. Wir hoffen deshalb, dass wir weitere Standorte mit dem neuen System ausstatten können“. (Bild 4) Laut Allego und Van der Sijs besteht die weitere Herausforderung nun darin, mit der erarbeiteten Lösung die benötigten Skaleneffekte zu erreichen. Dazu Langevoort: „Der Markt für Elektromobilität befindet sich in der Anfangsphase. Gleichzeitig ist es jedoch notwendig, entsprechende Ladesysteme zu wirtschaftlichen Konditionen anzubieten. Im Sommer 2016 ist ein System mit 32 Ladepunkten installiert worden, das auf 128 Ladepunkte ausgebaut werden kann. Solche Referenzen bei gewerblichen Unternehmen spielen eine große Rolle, um den Mehrwert unseres Konzepts durch praktische Beispiele nachweisen zu können“. Dirk Vogel Produktmarketing Solutions, Phoenix Contact E-Mobility GmbH, Schieder emobility@phoenixcontact.com AUTOR Bild 5: Das Herzstück einer Ladeapplikation: die Ladesteuerung EV Charge Control Advanced von Phoenix Contact. © Phoenix Contact WISSEN WAS MORGEN BEWEGT Schiene, Straße, Luft und Wasser, globale Verbindungen und urbane Mobilität: Viermal im Jahr bringt Internationales Verkehrswesen fundierte Experten-Beiträge zu Hintergründen, Entwicklungen und Perspektiven der gesamten Verkehrsbranche - verkehrsträgerübergreifend und zukunftsorientiert. Ergänzt werden die deutschen Ausgaben durch die englischsprachige Themen-Ausgabe International Transportation. Mehr dazu im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen gehört seit 1949 zu den führenden europäischen Verkehrsfachzeitschriften. Der wissenschaftliche Herausgeberkreis und ein Beirat aus Professoren, Vorständen, Geschäftsführern und Managern der ganzen Verkehrsbranche verankern das Magazin gleichermaßen in Wissenschaft und Praxis. Das technisch-wissenschaftliche Fachmagazin ist zudem Wissens-Partner des VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld. INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN - DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN »Internationales Verkehrswesen« und »International Transportation« erscheinen bei der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, München, www.trialog-publishers.de 12 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Pro Jahr wird eine der drei Gebäudegruppen in Schwenningen modernisiert und energetisch saniert. Die Gebäudehülle erhält Mineralwolldämmung, Fenster werden ausgetauscht und Wärmebrücken durch Erneuerung der Balkone entfernt. Die Aktion begann Anfang 2015 und soll Ende 2017 abgeschlossen sein. Im April 2016 wurden die Kessel ausgetauscht und das Nahwärmenetz komplett erneuert - bei voller Belegung der 64 Wohnungen. Währenddessen war das alte Verteilnetz noch in Betrieb. Den späteren Spitzenlastkessel mit Gas ließen die Verantwortlichen montieren, als der 47 Jahre alte Ölkessel noch die Gebäude mit Wärme versorgte. Transplantation des Herzens Nach präziser Vorarbeit konnte die Umstellung in der Heizzentrale von einem Tag auf den anderen erfolgen. „Das gelingt in dieser Größenordnung nur mit besonders zuverlässigen Firmen“, meint Peter Fürderer, Leiter Bau und Technik bei der Bauherrschaft wbg. Er ist zuständig für die Durchführung dieses dreijährigen Modernisierungsprojekts. „Und natürlich müssen unsere Heiz- und Lagertechnik für Holzpellets Wohnungsbaugesellschaft erneuert 47 Jahre altes Nahwärmenetz und wechselt den Brennstoff Nachwachsende Rohstoffe, Heizungstechnik, Gebäudemodernisierung, Holzpellets Barbara Sahler Die Wohnungsbaugesellschaft Villingen-Schwenningen (wbg) modernisiert derzeit sieben mehrgeschossige Gebäude mit zusammen 64 Wohneinheiten. Diese stammen aus dem Jahr 1969, wie auch das Nahwärmenetz und die Heizzentrale, in der bislang Öl verfeuert wurde. 2016 stellte die wbg auf Holzpellets um. Das neue Brennstofflager mit 60 m³ Fassungsvermögen befindet sich im Außenbereich. Die Mietpreise werden nur moderat steigen, da die Modernisierung mit Umstellung auf den regenerativen Brennstoff Zuschüsse von EUR 1,76 Mio. bringt. Und die Nebenkosten sinken durch die gut gedämmte Gebäudehülle sowie den Preisvorteil der Pellets gegenüber Öl. Bild 1: Verladen des Pelletspeichers in Einzelteilen auf einen LKW beim Hersteller Mall in Donaueschingen- Pfohren. Montage vor Ort im März 2016 mit Entnahmetechnik im Speicher durch den Hersteller. © Mall 13 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Fachingenieure für Architektur und Haustechnik sehr gut geplant haben! “ Jürgen Kern, Bauleiter des Architekturbüros Behnisch, sorgt unter anderem dafür, dass Dämmung und luftdichte Gebäudehülle korrekt ausgeführt werden. „Auch die Balkonplatten mussten von den Geschossdecken getrennt werden, da die Wärmebrücken zu groß waren“, ergänzt er und zeigt beim fertiggestellten Häuserblock Grabenäckerstr. 1/ 3 die mit Wärmedämmkonsolen an der Fassade befestigten neuen Balkone in Stahlkonstruktion. „Das haben wir ohne Stützpfeiler geschafft“, betont Kern stolz. Er war auch verantwortlich dafür, dass die neuen, recht voluminösen Heizkessel durch eine Verbreiterung des bestehenden Kellerabgangs überhaupt in den Heizraum im Untergeschoss des Hauses Grabenäckerstr. 15 eingebracht werden konnten. Während der neu installierte Gas-Brennwertkessel im April 2016 über das kurz zuvor fertiggestellte Wärmenetz die Wohnungen für einige Tage allein versorgte, konnte das „neue Herz“ der Heiztechnik, der künftige Grundlastkessel für Holzpellets, sorgfältig eingebaut und mit dem außen liegenden Pelletspeicher Auf einen Blick: Tipps des DEPI für Betreiber von großen Pelletheizungen Pelletqualität sichern: Nur ENplus-zertifizierte Pellets durchlaufen eine unabhängige Kontrolle, ebenso deren Händler. Das Zertifikat schützt so vor schwarzen Schafen. Die schonende Lieferung ist das A und O der Qualitätssicherung. Zertifizierte Pellethändler sind unter www.enplus-pellets.de/ handel-zertifizierte-haendler. php zu finden. Preiswert einkaufen: Die Belieferung von Pelletheizungen sollte ausgeschrieben werden. Profitieren kann man von den günstigeren Sommerpreisen durch die Indexierung des Lieferpreises. Musterausschreibungen sind beim DEPI erhältlich. Sicher lagern: Die fachgerechte Planung und der sichere Betrieb von Pelletlagern schützt vor Unfällen und erhält die Pelletqualität. Das DEPI stellt wichtige Planungs-Informationen bereit und bietet vom Sicherheitsaufkleber über belüftende Deckel bis zu Gaswarngeräten viele sinnvolle Hilfsmittel für die sichere Pelletlagerung. Tabelle 1: Informationen vom Deutschen Pellet-Institut DEPI. verbunden werden, bevor er regulär in Betrieb ging. Der dafür zuständige Hermann Lehmann, Inhaber der Aicher Haustechnik, ist sehr zufrieden mit seinen Mitarbeitern. „Der Einbau war schwierig, die Inbetriebnahme eine Freude. Ich hoffe, dass mit unserer Inspektion und Wartung auch dieser Kessel über 40 Jahre gut funktioniert! “ Obwohl andere Betreiber von Gesetzes wegen nach 30 Jahren den Heizkessel austauschen mussten, konnte die wbg ihren ursprünglichen Ölkessel bei diesem Objekt 47 Jahre lang nutzen. „Das liegt daran, dass er mehr als 400 kW Leistung hatte und damit vom Gesetz nicht betroffen war, solange die Abgaswerte stimmen“, erklärt Fürderer. Gesetze und Zuschüsse Maximal 11 % der Investitionen können laut § 559 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) nach Modernisierung auf die Jahresmiete aufgeschlagen werden. Ein Team von Beratern hat Fürderer die Entscheidung nahegelegt, die KfW-55 Effizienzhaus-Standards zu realisieren. Sie bieten bei diesem Objekt das beste Preis-/ Leistungsverhältnis und die größten Zuschüsse und damit für die Mieter die geringsten Mietsteigerungen. Mehrere Zuschüsse dürfen für die gleiche Sache nicht in Anspruch genommen werden. „Mit KfW 55 sind wir 45 % besser als ein Neubau gemäß Energieeinsparverordnung (EnEV)“, sagt der Fachingenieur für Haustechnik, André E. Schwarz. „Allerdings Bild 2: Vorbereiten der Kesselmontage. Auftrennen der Stützmauer und Geländeaushub waren für die Lieferung der neuen Kessel in der Heizzentrale erforderlich. © König Bild 3: Heizzentrale aus dem Jahr 1969 mit Ölkessel vorne und Spitzenlast-Gaskessel hinten. Umstellung auf Holzpellets und Erneuerung von Nahwärmenetz und Heizzentrale im April 2016. © König 14 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie gehört dazu auch die Blower- Door-Prüfung auf Winddichtigkeit - diese ist aufwendig, da die Tests in bewohnten Räumen stattfinden.“ Die Holzpellets als Brennstoff für den Grundlastbetrieb sind Bestandteil des förderfähigen Gesamtkonzepts „Energetische Sanierung Gebäudehülle- Heizung-Nahwärmenetz“, denn Jahresprimärenergiebedarf und Transmissionswärmeverlust sind die entscheidenden Kriterien. Auch der Austausch der elektrischen Durchlauferhitzer in den Wohnungen durch Warmwasseranschluss an die Trinkwasserstationen mit Pufferspeicher im Keller jedes Hauses gehört dazu. Pro Wohnung erhält die wbg die Wirkung des nur in Baden- Württemberg geltenden EWärmeG aus. Es fordert einen Mindestanteil von 15 % erneuerbare Energie (oder die Energieeffizienz des Bestandsgebäudes mit anerkannten Ersatzmaßnahmen zu steigern). Auch damit hatte die Bauherrschaft kein Problem, da der Grundlastbetrieb der Heizung mit Holzpellets als 100 % regenerativ gilt. Gründe für Pellets In Villingen-Schwenningen auf der Ostseite des Schwarzwalds ist Holz - ob als Pellets, Hackschnitzel oder Scheitholz - ein einheimischer Rohstoff. Er bringt Vorteile für Umwelt, Klima, Volkswirtschaft und bei den Betriebskosten. Das Heizmaterial ist nachwachsend, CO 2 -neutral, trägt zu einer 100-prozentigen Wertschöpfung im Inland bei und ist für die Kunden preiswerter zu beziehen als die fossilen Brennstoffe aus fernen Ländern. Außerdem besteht nicht das politische Risiko eines Lieferboykotts und Unfälle beim Transport sind weit weniger gefährlich als bei Öl und Gas. Die Entscheidung gegen Hackschnitzel und für Pellets fiel aufgrund der kompakten Bauform des Kessels und Lagerbehälters, aber auch wegen des geringen Wartungsaufwands. Hackschnitzel bedeuten zwar günstigere Brennstoffkosten, hätten jedoch auch deutlich höhere Wartungs- und Baukosten verursacht - nicht zuletzt durch das im Vergleich zu Pellets drei Mal größere Lagervolumen. Austrag mit Saugturbine Die Saugturbine des Grundlastkessels bezieht die Pellets durch einen flexiblen Schlauch vom Austragsystem, das Teil des Speichers ist. Die mitgesaugte Luft strömt über einen zweiten EUR 100 000- zinsgünstiges Darlehen, bei 64 Wohnungen also EUR 6,4- Mio. Die Förderung der KfW macht in diesem Fall bei dem zugesagten Tilgungszuschuss von Z27,5 % immerhin EUR 1,76 Mio. aus. Parallel zum bundesweit für Neubau geltenden Erneuerbare- Energien-Wärmegesetz (EEWärmeG) gilt in Baden-Württemberg zusätzlich das Erneuerbare-Wärme-Gesetz (EWärmeG) für den Bestand. Ziel der Politik ist, die erneuerbare Wärme noch stärker als bisher zu verankern, denn 1,2 Mio. Nachtspeicheröfen und 1 Mio. Ölheizungen waren in diesem Bundesland 2015 noch in Betrieb. Wird zum Beispiel ein Heizungsaustausch fällig, löst das Bild 4: Versetzen des Pelletspeichers mit Endmontage der Entnahmetechnik „Maulwurf “ durch die eckige Einstiegsluke. Daneben drei Befüllöffnungen für Holzpellets. © Mall Bild 5: Eine der drei Befüllöffnungen des Pelletspeichers im Außenbereich. Nach Öffnen der tagwasserdichten Schachtabdeckung sind die Stutzen der Schlauchkupplungen zu sehen. © Mall 15 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Schlauch zurück in den Pelletbehälter. Als Austragsystem dient der vom Speicherhersteller mitgelieferte Roboter „Maulwurf“. Er wandert über die Oberfläche des Vorrats und entnimmt die Holzpellets schonend von oben, intervallartig von der Saugturbine des Heizkessels gesteuert. Welche Kessel in Bezug auf die Steuerung zu diesem Entnahmesystem passen, gibt der Speicherhersteller auf seiner Internetseite bekannt. Das unterirdische Lager mit 6 m Durchmesser besteht aus Betonfertigteilen, die zum gewünschten Termin geliefert, mit einem Autokran versetzt und innerhalb weniger Stunden vom Hersteller vor Ort fertig montiert wurden. Der Einbauort des Speichers wurde so gewählt, dass zum Heizkessel eine geringe Entfernung besteht und Pelletlieferanten möglichst nah heran fahren können. Je kürzer und geradliniger die Austragung, Clemens Hüttinger, Mall GmbH Gibt es eine technische Regel, in der Sicherheit und Ausstattung von Pelletspeichern festgelegt sind? Ja, die VDI-Richtlinie 3464 zur Lagerung von Holzpellets enthält Aussagen über die Maßnahmen zum Schutz vor Kohlenstoffmonoxid, Angaben zum Explosionsschutz sowie zum sinnvollen Nutzvolumen von Pelletspeichern im Verhältnis zur Heizkesselgröße. Dürfen Pelletspeicher auch im Grundwasser stehen? Ja, sie bestehen aus wasserundurchlässigem Beton. Die Fuge zwischen monolithischem Grundbehälter und Deckel bzw. Konus muss aber über dem Grundwasser liegen. Hier gilt als Faustregel: Grundwasser bis max. 1,20 m unter Geländeoberkante. Bis dorthin sind die Pelletspeicher eigenauftriebssicher. Liegt bei Großbehältern die Verbindungsleitung zwischen Speicher und Keller im Grundwasser, ist bauseits besondere Sorgfalt erforderlich, um diese Leitung vor Wassereintritt zu schützen. Sind die Pelletspeicher befahrbar? Ja, sie sind generell LKW-befahrbar. Die Schachtabdeckungen können jedoch für den begehbaren (weniger Gewicht, preiswerter) oder den befahrbaren Bereich gewählt werden. Mall empfiehlt, falls befahrbar erforderlich, die Schachtabdeckung Klasse B, da sie für das Überfahren durch Feuerwehrfahrzeuge und Pelletlieferanten ausreicht und zum Befüllen des Speichers leichter zu öffnen ist als zum Beispiel Abdeckungen der Klasse D. Ist für den Einbau eines Pelletspeichers ein Fundament notwendig? Nein, ein Planum etwa aus Kiessand mit rund 10 bis 20 cm Stärke ist vollkommen ausreichend. Weitere Informationen zum Versetzvorgang und den bauseits erforderlichen Voraussetzungen sind in den Betriebs- und Installationsanleitungen zu finden, die auf den jeweiligen Produktseiten unter www.mall.info online stehen. Darf der Pelletspeicher mit Aushubmaterial angefüllt werden? Ja, der Behälter kann nach dem Versetzen mit dem vorhandenen Aushubmaterial wieder angefüllt werden, sofern dieses nicht felsig ist. Zu beachten ist dabei, dass lageweise sorgfältig verdichtet wird, um Setzungen des Oberbelags zu vermeiden. Fünf Fragen an ... Holzpelletproduktion in Deutschland 2016 (ENplus-zertifiziert) Produktionsmenge Holzpellets 1 932 013 t Qualitätsklasse EN A1/ A2 100 % EN B/ Industriepellets 0 % Handelsform Lose Ware 84 % Sackware 16 % Rohstoffeinsatz Holzart Nadelholz 98 % Laubholz 2 % Rohstoffeinsatz Holzsortiment Sägerestholz 93 % Rundholz 7 % Tabelle 2: Holzpellets in Zahlen. Quelle: DEPI desto schonender für die Pellets. Entstehen viel Staub und Feinteile, steigt der Wartungsbedarf im gesamten System. Der Einstieg in den Speicher von oben ist möglich, allerdings nicht ohne mobiles CO-Messgerät erlaubt, obwohl neuartige Behälter mit einer Lüftung versehen sind. Das Lager muss bei über 60 ppm CO (Kohlenmonoxid) verlassen werden. Speichergröße und Füllstandskontrolle Holzpellets, in Silofahrzeugen als loses Schüttgut mit rund 650 kg/ m³ gebracht, werden mit Luftdruck vom LKW aus in den Speicher eingeblasen. Dies geschieht von oben über einen flexiblen Schlauch. Er ist mit dem Befüllstutzen, der sich unter der Abdeckung befindet, durch eine Feuerwehr-Kupplung Storz A verbunden. Ein zweiter Schlauch, parallel am zweiten Stutzen angeschlossen, sorgt für Bild 6: Der flexible Saugschlauch der Pelletentnahme mit Erdungsdraht führt Holzpellets von der Entnahmedüse „Maulwurf “ im Speicher direkt zum Kessel im Gebäude. © Mall 16 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie den Druckausgleich und befördert Staub sowie Luft über ein Gebläse in einen Staubsack am Lieferfahrzeug. Der unterirdische Behälter ThermoPel fasst 60 m³. Das entspricht knapp 40 t Füllgewicht bzw. 20-000-L Heizöläquivalent. Der Speicher hat drei runde Öffnungen mit Stutzen, über die befüllt wird. „So entstehen drei nebeneinander liegende Schüttkegel mit einem Minimum an Hohlraum. Das entspricht dem größtmöglichen Nutzvolumen im Speicher“, beschreibt Clemens Hüttinger, Produktmanager beim Hersteller Mall, die Besonderheiten des Brennstofflagers. „Vorab wird vom LKW-Fahrer die rechteckige Einstiegsluke geöffnet, das Austragsystem Maulwurf nach oben gezogen und dort während des Einblasens fixiert“. Die Speichergröße und die eingebaute Füllstandskontrolle ermöglicht der wbg als Betreiber per Datenfernübertragung nachzubestellen, schon lange bevor der Brennstoff aufgebraucht ist. Besonders kostengünstig ist, wenn der Inhalt eines kompletten Silofahrzeuges, je nach Typ 18 - 24 t, geliefert werden kann. WEITERE INFORMATIONEN: aufgerufen am 04.05.2017 • VDI Richtlinie 3464 „Lagerung von Holzpellets beim Verbraucher - Anforderungen an Lager sowie Herstellung und Anlieferung der Pellets unter Gesundheits- und Sicherheitsaspekten“, Beuth Verlag. Berlin, September 2015. www.beuth.de • DEPI-Informationsblatt „Anforderungen an die Lagerbelüftung nach VDI 3464“, Deutsches Pelletinstitut, Berlin, August 2015. www.depi.de • Broschüre „Empfehlungen zur Lagerung von Holzpellets“, große Lagerstätten sind Thema in Kapitel 5. DEPI, Berlin, Oktober 2015. www.depi.de • Flyer „ENplus - das Qualitätssiegel für Holzpellets sichert einen reibungslosen Heizungsbetrieb”, Information für Endverbraucher. DEPI, Berlin, 2017. www.enplus-pellets.de • Planerhandbuch „Unterirdische Lagersysteme für Biomasse, Pellets und Wärme“. Mall GmbH, Donaueschingen, 2017. www.mall.info • www.depv.de • www.enplus-pellets.de Pelletfeuerungen in Deutschland Prognose Zubau 2015 Bestand 2015 Zubau 2016 Bestand 2016 Zubau 2017 Bestand 2017 Öfen 16-500 133-000 16-000 149-000 17-000 166-000 Kessel < 50 kW (inkl. wasserführende Öfen) 15-000 246-000 14-500 260-500 15-100 275-600 Kessel > 50 kW (inkl. KWK) 1000 11-500 900 12-400 900 13-300 Summe 32-500 390-500 31-400 421-900 33-000 454-900 Tabelle 3: Pelletheizungen in Zahlen. Quelle: DEPI Barbara Sahler Sachverständigen- und Fachpressebüro König Kontakt: mail@klauswkoenig.com AUTORIN Bild 7: Modernisierung der Hausgruppe in Schwenningen. Trasse der Nahwärmeleitung im Vordergrund. © König Bild 8: Unterverteilung der Heizung mit Warmwasser-Pufferspeicher, hier noch mit der alten Nahwärmeleitung. Rechts der vorbereitete Anschluss der neuen Nahwärmeleitung. © König 17 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Wer sauberes Wasser will, muss investieren. So wie der Zweckverband Abwasserbeseitigung im Raum Hengersberg, Niederbayern: Im Jahr 2012 wurde die örtliche Kläranlage in Niederalteich aufwändig saniert und ausgebaut. Ausgelegt ist die Anlage für das Abwasser von bis zu 28 000 Einwohnern. Derzeit sind rund 500 Gewerbebetriebe mit einem erhöhten Klärbedarf angeschlossen, dazu kommen rund 10 000 private Haushalte. Die Gesamtmenge des täglichen Brauchwassers ist allerdings stark vom jeweiligen Wetter abhängig: Bei Regen gelangen über 12 000 m 3 in die Anlage, an trockenen Tagen sind es teilweise nur 2800 m 3 . Das Betriebsgebäude im Erdgeschoss wurde komplett renoviert und um ein Obergeschoss aufgestockt, außerdem wurden zwei neue Klärbecken dazu gebaut - sogenannte Belebungsbecken - zur biologischen Abwasserreinigung. In diese Becken Unkonventionelle Heizenergie Umweltfreundliche Wärme aus den Belebungsbecken der Kläranlage Niederalteich Abwärme, Abwasserbehandlung, Erneuerbare Energien, Gebäudeheizung Klärschlamm ist weit mehr als stinkender Abfall. Wer sich professionell mit Abwässern und deren Reinigungsprozessen beschäftigt, weiß, dass viel Energie in der braunen Masse steckt. Neben der Erzeugung von Strom und Wärme aus dem Biogas der Faultürme lässt sich Wärme auch direkt in den Belebungsbecken von Kläranlagen gewinnen. So macht es der Zweckverband Abwasserbeseitigung Hengersberg-Niederalteich, Betreiber eines Klärwerks in der kleinen Gemeinde Niederalteich im Kreis Deggendorf. Dort nutzt man den anfallenden „warmen“ Klärschlamm zur Gewinnung von Heizenergie für das Betriebsgebäude. Geplant und realisiert wurde das unkonventionelle Wärmepumpenprojekt von Stiebel Eltron. Als Wärmereservoir haben Kläranlagen hohes Potenzial - das sich aber nur - wie im Fall Niederalteich - für den Kläranlagenbetrieb selbst nutzen lässt. Denn aus naheliegenden Gründen liegen Kläranlagen abseits von Wohn- und Gewerbegebieten. Und Nahwärmenetze lohnen sich nicht: Der Verlust ist selbst auf den vergleichweise kurzen Strecken zu hoch. WÄRMEQUELLE KLÄRANLAGE Bild 1: Die Nutzung von Abwasserwärme ist noch wenig verbreitet, hat aber ein gewisses Potenzial: Allein in Deutschland gibt es knapp 10 000 kommunale Abwasserreinigungsanlagen. © Stiebel Eltron 18 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Frank Röder, Leiter der Planungsabteilung bei Stiebel Eltron, Holzminden Könnte den Belebungsbecken bei diesem Verfahren zu viel Wärme entzogen werden? Selbstverständlich ist vorab zu prüfen und bei der Planung zu berücksichtigen, dass nicht zu viel Wärme entzogen wird. In diesem Fall ist die Entzugsleistung der Wärmepumpe im Vergleich zum Gesamt-Energieinhalt des Beckens so gering, dass von einer signifikanten Abkühlung nicht gesprochen werden kann. Wie viele Kelvin Wärme werden entzogen und inwiefern beeinflusst das den ursprünglichen Klärprozess? Das von der Wärmepumpe zurück ins Becken geführte Wasser ist etwa 3 Kelvin kälter als das Beckenwasser - mit dem es sich allerdings sofort wieder vermischt. Durch die schon beschriebene, im Vergleich zur riesigen Beckengröße geringe Entnahme wird sich die absolute Temperaturminderung im Becken deutlich unter einem Kelvin bewegen. Grundsätzlich ist aber mit dem Klärwerksbetreiber abzustimmen, welche Temperaturgrenzen einzuhalten sind, und die Anlage muss entsprechend ausgelegt werden, um eine Beeinträchtigung auszuschließen. wurden Kollektoren installiert, die dem Inhalt Wärme entziehen und diese dann einer Wärmepumpe zuführen. Aerobe Mikroorganismen, die organische Verunreinigungen im Belebtschlamm abbauen, erzeugen diese Wärme. Durch deren fortwährende Stoffwechselaktivität herrscht das ganze Jahr über eine relativ hohe Grundtemperatur: Im Sommer liegt sie bei rund 14 C°, im Winter bei mindestens 5 C°, Jahresschnitt bei etwa 12 C°. Pauschal lässt sich nicht sagen, um wieviel die Beckentemperaturen bei der Wärmegewinnung aus dem Abwasser abgesenkt werden. Dies muss in jedem Einzelfall in Abstimmung mit dem Betreiber festgelegt und dann entsprechend bei der Anlagenplanung und -auslegung berücksichtigt werden. Im Fall des Klärwerks Niederalteich liegt die Absenkung rechnerisch unter 0,1 Kelvin. ZWEI FRAGEN AN ... Im Prinzip arbeiten die beiden Kollektoren in den 3000 m 3 fassenden Klärbecken wie Erdkollektoren, nur dass man sich in Niederalteich die dafür notwendigen Bohrungen sparen konnte - und natürlich auch die Kosten dafür. Stattdessen sind sie mit PE-Rohren verbunden, die in Schleifen an den jeweiligen Innenwänden der beiden Becken angebracht sind. Insgesamt 500 m Rohrleitungen wurden verbaut, aufgrund des korrosionstechnisch vergleichsweise aggressiven Abwassers sind sie mit Spezialhalterungen aus Edelstahl befestigt − und zwar mit 15 cm Abstand zur Beckenwand, damit sich keine Schwebteile in der Konstruktion festsetzen können. Realisiert hat diese Lösung der Heizungsbauer Markus Wasmeier aus dem benachbarten Aidenbach. Ganz wichtig aber war, dass die Planungen für diese unkonventionelle Lösung vor dem Baubeginn bereits fix und fertig waren. So konnten beispielsweise nach den Vorgaben des Büros EBB Ingenieurgesellschaft aus Regensburg Bild 2: Montage des Wärmekollektors im neuen Belebungsbecken des Klärwerks „Niederalteich“ bei Hengersberg / Deggendorf © Stiebel Eltron Bild 3: Der Wärmekollektor an der Beckeninnenwand reicht zur Beheizung und Warmwasserbereitung des Betriebsgebäudes aus. © Stiebel Eltron 19 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie die Durchführungen beim Gießen des Betonbeckens gleich mit ausgespart werden. Bei der Anlage war ein Heizkonzept mit regenerativer Energie maßgebend, das im Zuge der Renovierung des Betriebsgebäudes realisiert wurde. Anstelle der alten Ölheizung sorgt dort jetzt eine Sole/ Wasser-Wärmepumpe von Stiebel Eltron, Typ WPF 10 mit 13 kW Heizleistung, für die Beheizung und Warmwasserbereitung. Außerdem sind im Technikraum des Gebäudes ein Pufferspeicher SBP 200 E mit 200 L Fassungsvermögen und ein Warmwasser- Standspeicher SBB 302 WP mit 300 L Inhalt und einer Wärmetauscherfläche von 4,8 m 2 untergebracht. Dabei handelt es sich um den kleinsten verfügbaren Speicher mit der größten Wärmetauscherfläche. Diese überträgt die Wärme besonders effizient. Die Wärmepumpe versorgt über den Pufferspeicher die Fußbodenheizung im Betriebsgebäude, die beheizbare Grundfläche beträgt knapp 150 m 2 . Der einzige Heizkörper im Gebäude ist auf die Temperatur der Fußbodenheizung ausgelegt, so dass kein Mischer notwendig ist. Die Warmwassertemperatur ist auf 47 °C voreingestellt, zur Legionellenprophylaxe wird sie einmal am Tag auf über 60 °C hochgefahren. Neben den üblichen Entnahmestellen etwa in der Küche muss auch eine Dusche mit Warmwasser versorgt werden. Da bis zu vier Personen auf dem Betriebsgelände arbeiten, wurden entsprechende tägliche Duschgänge ins Konzept eingeplant. Die Idee zu dieser unkonventionellen Wärmegewinnung aus Klärschlamm stammt vom Niederalteichner Klärmeister Tobias Oswald selbst. In Manfred Knapp, dem Vertriebsbeauftragten von Stiebel Eltron für diese Region, fand er einen experimentierfreudigen Partner. Die Grundsatzentscheidung, im Zuge der Renovierung und Erweiterung erneuerbare Energien zu nutzen, fiel allerdings auf „höherer“ Ebene: Für Bürgermeister Christian Mayer steht moderne und umweltschonende Technik ganz obenan - und für ihn ist das Klärwerk ein Vorzeigeprojekt, von dem er sich wünscht, dass es Schule macht und Nachahmer findet. Er ist sicher: Diese originelle Lösung eignet sich bestens S o l e - W a s s e r- W ä r m e p u m p e WPF 10 mit 9,9 kW bei 0 °C Quelltemperatur und 35 °C Vorlaufstemperatur. Im Gerät integriert sind Regelung, Schwingungsdämpfer, Umwälzpumpe für den Pufferspeicher und Solepumpe sowie Ausdehnungsgefäße für Sole und Heizung. Die Wärmepumpe ist über einen Außentemperaturfühler rücklaufgeregelt. TECHNISCHE DETAILS für kommunale Abwasserreinigungsanlagen. Davon gibt es allein in Deutschland knapp 10 000. Und ganz sicher sind darunter einige mit Renovierungsbedarf. Kontakt: STIEBEL ELTRON GmbH & Co.KG Dr.-Stiebel-Straße 37603 Holzminden E-Mail: info-center@stiebel-eltron.de Internet: www.stiebel-eltron.de Einfach In Kontakt bleiben ... Redaktion christine.ziegler@transforming-cities.de 089 889518.72 Anzeigen hellfried.zippan@trialog.de 089 889518.74 Bild 4: Wärmepumpe WPF 10 (links) mit Heizleistungen bis 13 kW, Pufferbehälter SBP 200 E (Mitte) und Warmwasserspeicher SBB 302 WP (rechts). © Stiebel Eltron 20 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Für die energetische Versorgung von Gebäuden, sei es in der Wohnungswirtschaft, in Gewerbe-, Produktions- oder Logistikimmobilien sowie in öffentlichen Einrichtungen, werden in der Regel Strom und Wärme benötigt. Um beides auf regenerative Weise bereitstellen zu können, waren bisher zwei eigenständige Systeme erforderlich, von denen eines elektrische, das andere thermische Energie lieferte. Das aus Eis-Energiespeicher und Kraftdach bestehende Energiepaket reduziert die Komplexität für Anwender und stellt Wärme und Strom vernetzt und nahezu emissionsfrei zur Verfügung. Das Eis-Energiespeichersystem, wie es in Deutschland, Österreich, den Niederlanden und der Schweiz, bereits bei über 100-Anlagen in Betrieb ist, setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen: dem Eis-Energiespeicher, einer oder mehreren Wärmepumpen, einer Regenerationsquelle sowie einer Steuerung, die das Zusammenspiel aller Komponenten regelt. Der Eis-Energiespeicher, ein in der Regel nicht gedämmter Betonbehälter, der mit herkömmlichem Leitungswasser gefüllt wird, bildet das Herzstück. Umweltenergie wird aus dem Erdreich, solarer Einstrahlung und der Umgebungsluft gewonnen und in diesen unterirdisch platzierten Behälter eingespeist. Darin ist ein Wärmetauscher-System - bestehend aus Regeneration und Entzug - installiert, durch das ein Wasser-Glykol-Gemisch strömt. Über den Wärmetauscher wird die Wärme der in den Eis-Energiespeicher geführten Umweltenergie aufgenommen und bis zu der/ den Wärmepumpe(n) in den Heizungsraum transportiert. Exkurs: Funktionsweise der Wärmepumpe Im Inneren der Wärmepumpe zirkuliert als Kältemittel ein Wasser- Glykol-Gemisch, das durch Umgebungsenergie erwärmt wird. Daraufhin verdampft das Kältemittel und gelangt - jetzt gasförmig - in einen Verdichter. Durch Kompression erhöht dieser die Temperatur des Gases. Im sogenannten Verflüssiger kondensiert das heiße Kältemittelgas und gibt dabei die aufgenommene Wärme ab. In einer Drossel wird der Druck des Kältemittels wieder gesenkt, was zu dessen Verflüssigung führt. Das Kältemittel wird zum Verdampfer zurückgeführt und der Kreislauf beginnt erneut. Die Wärme, die das Kältemittel im Verflüssiger abgibt, wird an das Wärmeverteil- und Speichersystem des Gebäudes ab- Das besondere Energiepaket Eis-Energiespeicher und Kraftdach Erneuerbare Energie, Gebäudeheizung, Gebäudekühlung, Energiespeicher, PVT-Kollektoren Jana Dietz, Johann Quapp Die Nutzung von Gebäudedächern zur Stromgewinnung leistet einen entscheidenden Beitrag, um die europäischen Klimaschutzziele zu erreichen. Ihren Innovationscharakter hat diese, bereits seit Jahren etablierte Methode jedoch eingebüßt. Insbesondere dort, wo der Platz knapp ist - nämlich in Städten - bieten die vorhandenen Dachflächen weit mehr Potenzial. PRAXIS + PROJEKTE Energie © pixabay 21 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie gegeben. In Neubauten handelt es sich dabei meistens um Flächenheizsysteme, im Gebäudebestand oft auch um klassische Radiatoren. Heizungspuffer oder Warmwasserspeicher dienen als Speichersysteme [1]. Die Wärmepumpe entzieht demnach dem Eis-Energiespeicher die darin gespeicherte Umgebungswärme und bringt diese durch Kompression auf ein für den Verbraucher nutzbares Temperaturniveau. Durch den Wärmeentzug kühlt das Wasser im Speicherbehälter ab. Erreicht die Temperatur des Wassers 0 °C, ändert es seinen Aggregatzustand und gefriert. Während dieses Phasenübergangs wird Kristallisationsenergie freigesetzt. Um den Eis-Energiespeicher zu regenerieren, muss Energie zugeführt werden. Manche Bauprojekte bieten dafür vielversprechendes Potenzial in Form von Server- oder Produktionsabwärme. Oder die Regeneration erfolgt über spezielle Solar-Luft- Kollektoren. Dieser aus PE-Rohr gefertigte, nicht verglaste Kollektortyp ist besonders geeignet, da er keine solare Einstrahlung benötigt, sondern Energie aus der Umgebungsluft nutzen kann. Insgesamt liegt die Temperatur im Eis-Energiespeicher auf einem niedrigen Niveau, sodass - auch während des Winters - an Tagen mit Temperaturen über 0 °C mit den SolarLuft-Kollektoren regeneriert werden kann. Das Eis-Energiespeichersystem im Kühlbetrieb Wird auf die Regeneration verzichtet, vereist das Wasser mehr und mehr. Gegen Ende der Heizperiode hat sich im Speicherbehälter dann ein riesiger Eisblock gebildet, der als natürliches Kühlreservoir zur Verfügung steht (natural cooling). Das Wasser im Verteilsystem des Gebäudes nimmt die Kälte des Eises auf und führt diese in das Gebäude. Auf seinem Weg durch das Gebäude nimmt es die dort vorherrschende Hitze mit sich in den Eis- Energiespeicher, wodurch das Eis nach und nach zum Schmelzen gebracht wird. Das Wasser steht dann am Ende des Sommers erneut für den Heizbetrieb bereit. Reicht die natürliche Kühlleistung nicht aus, kann zusätzlich aktiv über die Wärmepumpe gekühlt werden (Bild 1). Im Heiz- oder im aktiven Kühlbetrieb braucht der Antrieb einer Wärmepumpe Strom. Je niedriger die Temperatur der zugeführten Umweltwärme ist, desto mehr Antriebsenergie wird benötigt - und umgekehrt. Aus dem Verhältnis der erbrachten Wärmeleistung zu der zugeführten Antriebsenergie (zugeführter Strom) ergibt sich der Wirkungsgrad der Wärmepumpe, der sogenannte COP (Coefficient of Performance). Im Durchschnitt kann eine Wärmepumpe aus der gesammelten Umweltwärme unter Zuführung von einem Teil elektrischer Energie vier Teile nutzbare Energie für den Verbraucher bereitstellen. Entsprechend ergibt sich daraus eine deutliche Entlastung für die Umwelt. Im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit sowie die Klimaschutzwirkung des Eis-Energiespeichersystems ist die Bereitstellung der Antriebsenergie eine wichtige Stellschraube. Strom, der statt aus der Steckdose aus erneuerbarer Energie gewonnen wird, kommt der Umwelt zusätzlich zugute. Soweit die klassische Anwendungsform des Eis-Energiespeichersystems. Ergänzt wird dieses nun durch ein besonderes PVT-Modul - das Kraftdach. Das innovative Kraftdach Eine der größten Herausforderungen der Energiegewinnung in Städten ist das sehr begrenzte Platzangebot. Um, wie eingangs erwähnt, das Potenzial der vorhandenen Dachflächen voll auszuschöpfen, bietet das Kraftdach eine einfache aber wirkungsvolle Lösung: Ein spezieller PVT-Kollektor kombiniert thermische und Bild 1: Wärme- und Kältekreislauf im Eis-Energiespeichersystem. © Viessmann Eis- Energiespeicher GmbH Bild 2: Detailansicht vom Kraftdach. © Kraftwerk Solutions GmbH 22 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie elektrische Module und kann somit auf der gesamten verfügbaren Fläche Wärme und Strom gewinnen. Dabei liegen die thermischen Kollektoren unter den Photovoltaik-Modulen und werden vollständig von diesen verdeckt (Bild 2). Während der Sommermonate können sich die Zellen der Solarstrom-Module stark erwärmen. Temperaturen um 75 °C sind dabei keine Seltenheit. Dies führt zu hohen Ertragseinbußen. Beim Kraftdach fällt dieser Effekt deutlich geringer aus, da die untenliegenden thermischen Kollektoren nicht von direkter Sonneneinstrahlung getroffen werden und somit eine niedrigere Oberflächentemperatur haben. An heißen Tagen werden die Solarstrom-Module von unten gekühlt. Auch dem Anspruch an Ästhetik wird Rechnung getragen. Die im Kraftdach sichtbare obere Ebene aus Photovoltaik-Modulen erfüllt hohe optische Standards. Als Symbol einer umweltbewussten Haltung und ökologischer Verantwortung haben sich diese im Stadtbild etabliert. Überschüssiger Strom, der nicht für den Betrieb der Wärmepumpe benötigt wird, kann entweder zur Versorgung anderer elektrischer Geräte genutzt oder in das Stromnetz eingespeist werden. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, den gewonnenen Strom über die Wärmepumpe in Wärme oder Kälte umzuwandeln und im Eis-Energiespeicher zu speichern. Durch die Bereitstellung von Wärme und Strom kann eine weitgehende Unabhängigkeit von externen Energieversorgern und deren Preisschwankungen realisiert werden. Da die Nebenkosten, die sogenannte „zweite Miete“, einen immer deutlicheren Anteil an den Gesamtkosten ausmachen, bietet dieses Modell neben Einsparungen bei den Betriebskosten vor allem auch Planungssicherheit. Digitales Energiequellenmanagement Ein solchermaßen weitentwickeltes Energiesystem ist gegenüber gewöhnlichen Heiz- und Kühlanlagen weitaus komplexer. Um alle Erträge und Energieflüsse nachvollziehbar zu machen und aufzuzeigen, wie viel Energie wann wofür genutzt wird, gibt es die Möglichkeit des aktiven Energiequellenmanagement s . Die visuelle Darstellung von Eis-Energiespeichersystem und Kraftdach auf dem Tablet oder dem Smartphone veranschaulicht dem Anlagenbetreiber, welche Energiemenge durch das PVT-Modul gewonnen wird und wohin diese Energie fließt. Bezieht die Wärmepumpe in diesem Moment Energie von den Kollektoren oder greift sie auf den Eis- Energiespeicher zurück? Wurde heute bereits überschüssiger Strom an das Netz abgegeben? Energiemanagement im Zeitalter der Digitalisierung eröffnet viele Möglichkeiten. Aus der Praxis: Einsatz für Eis-Energiespeicher und Kraftdach in Baden- Württemberg Im baden-württembergischen Plankstadt bei Mannheim wurde im April 2017 der neue Firmensitz der Wierig GmbH Dach & Fassade eröffnet. Das Gebäude erfüllt verschiedene Zwecke: 660 m 2 Fläche stehen als Lagerhalle sowie für leichte Produktion zur Verfügung. Auf weiteren 320 m 2 sind Büro- und Verwaltungsräume untergebracht. Die beiden Gebäudeteile sind über einen Durchgang miteinander verbunden (Bild 3). Eine Fußbodenheizung ist in beiden Gebäudeteilen verlegt. In Kombination mit einer Wärmepumpenanlage ist ein solches Flächenheizsystem optimal, da es im Heizbetrieb niedrigere Vorlauftemperaturen benötigt und somit entscheidend zur Wirtschaftlichkeit des gesamten Systems beiträgt. In diesem Beispiel beträgt die Sollvorlauftemperatur für die Raumheizung 30 °C. Eine Wärmepumpe vom Typ Vitocal 300-G BW 301.A29 deckt den Gebäudeenergiebedarf ab. Diese stellt dem Gebäude pro Jahr 41 880 kWh Heizenergie zur Verfügung. Dafür benötigt die Wärmepumpe 9307 kWh Antriebsenergie, was weniger als einem Viertel der Heizenergie entspricht. Die restliche Heizenergie stammt aus Umweltwärme. Bild 4: Das Kraftdach aus der Vogelperspektive. © Kraftwerk Solutions GmbH Bild 3: Neubau der Wierig & Huhn GmbH in Plankstadt. © Kraftwerk Solutions GmbH 23 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Da das System monovalent ausgelegt ist, steht kein zweiter Wärmeerzeuger ergänzend oder zur Absicherung der Spitzenlasten zur Verfügung. Die Antriebsenergie der Wärmepumpe und der Nebenaggregate wird durch das Kraftdach generiert und geliefert. Bei einer Nennleistung von 45,76 kWp erzeugt das Kraftdach etwa 40 000 kWh/ a Solarstrom (Bild 4). Darüber hinaus zur Verfügung stehender Strom wird im Gebäude genutzt. Rund 75 % der Wärmeerträge aus dem Kraftdach werden direkt für die Wärmepumpe bereitgestellt. Die thermischen Module sammeln und bündeln Umweltwärme und geben diese an die Wärmepumpe ab. Die Photovoltaik-Module des Kraftdachs liefern die elektrische Energie, um die Wärmepumpe zu betreiben. Die verbleibenden 25 % werden in den Eis-Energiespeicher eingespeist und können dort nach Bedarf zur Deckung von Wärmespitzen abgerufen werden. Der zylinderförmige Eis-Energiespeicherbehälter mit einem Durchmesser von 5 m und einer Höhe von 3 m fasst 47 584 L Wasser. Er befindet sich unter der Lager- und Produktionshalle. Davon zu sehen ist lediglich die Einstiegsluke, die in etwa so groß wie ein herkömmlicher Kanaldeckel ist. Der Kühlbetrieb ist von April bis September freigeschaltet. Durch „natural cooling“ können während dieser Monate 5769 kWh Kühlenergie bereitgestellt werden. Wasser, das mit 24 °C aus dem Gebäude kommt, nimmt über einen Wärmetauscher die Kälte des Eises auf und fließt mit nur 19 °C wieder hinein, um das Gebäude zu kühlen. Damit erfüllt das Gebäude in Plankstadt den Standard des KfW-Effizienzhaus 55. Die Betrachtung (Tabelle 1) zeigt, dass das Gebäude in Plankstadt durch das Energiepaket „Eis-Energiespeicher und Kraftdach“ CO 2 -neutral geheizt, gekühlt und mit Strom versorgt wird. Zusätzlich wird der globale CO 2 -Ausstoß jährlich um 7,75 t reduziert. Im Vergleich zu einem klassisch ausgestatteten Gebäude ergibt sich daraus eine Umweltentlastung von 31 t jedes Jahr. LITERATUR [1] Bundesverband Wärmepumpe e.V.: Funktionsweise der Wärmepumpe, 2017. Online verfügbar unter: https: / / www.waermepumpe.de/ waermepumpe/ funktionsweise/ [2] https: / / w w w.umweltbundesa m t . d e / t h e m e n / k l i m a energie/ energieversorgung / strom-waermeversorgung-inz a h l e n ? s p r u n g m a r k e = Strommix [3] Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg GmbH: CO 2 -Emissionsfaktoren, 2016. Online verfügbar unter: http: / / www.kea-bw.de/ service/ emissionsfaktoren/ QR Code scannen und Videos zum Eis- Energiespeichersystem auf YouTube ansehen: CO 2 -Ausstoß im Vergleich Variante 1 Variante 2 Heizbetrieb Nutzwärmebedarf 41 880 41 880 kWh/ a Wärmepumpe JAZ 4,50 Stromverbrauch 9307 kg/ kWh CO 2 -Ausstoß Strommix [2] 0,60 kg/ kWh CO 2 -Ausstoß Gas [3] 0,25 kg/ kWh CO 2 -Freisetzung 10 470 5584 kg/ a Kühlbetrieb Eisspeicher Kühlenergie 5769 5769 kWh/ a Kältemaschine JAZ 4,0 Stromverbrauch 1442 kWh CO 2 -Ausstoß Strommix 0,60 kg/ kWh CO 2 -Freisetzung 865 0 kg/ a Stromverbrauch im Gebäude Prognostizierter Verbrauch 20 000 20 000 kWh/ a CO 2 -Ausstoß Strom 0,60 0,60 kg/ kWh CO 2 -Freisetzung 12 000 12 000 kg/ a PV-Anlage Strom Erzeugung -42 222 kWh/ a CO 2 -Ausstoß Strommix 0,60 kg/ kWh PV-Anlage -25 333 kg/ a Summe CO 2 -Ausstoß 23 335 -7.749 kg/ a Tabelle 1: Klimabilanz des Eis-Energiespeichers (Variante 1) im Vergleich zu einer konventionellen Lösung mit Gas und Kältemaschine (Variante 1). AUTOR I NNEN Jana Dietz Marketingmanagement Viessmann Eis-Energiespeicher GmbH Kontakt: j.dietz@eis-energiespeicher.com Johann Quapp Entwicklungsingenieur Kraftwerk Solutions GmbH Kontakt: quapp@kraftwerk-solutions.com 24 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Die Klimaziele der Bundesregierung sind ehrgeizig: Bis zum Jahr 2020 sollen die nationalen Treibhausgas-Emissionen um 40 % gegenüber dem Vergleichsjahr 1990 reduziert werden, bis zum Jahr 2050 um 80 bis 95 %. Die „Richtlinie zur Förderung von Klimaschutzprojekten in sozialen, kulturellen und öffentlichen Einrichtungen im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative“ (Kommunalrichtlinie) ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg. Seit 2008 wurden rund 3300 Kommunen in mehr als 10 000 Projekten dabei unterstützt, ihren Ausstoß von Treibhausgasen (THG) zu reduzieren. Seit dem 1. Juli 2016 bietet die Erweiterung der Kommunalrichtlinie nun noch mehr Handlungsmöglichkeiten und schafft zusätzliche Anreize für Kommunen und lokale Akteure, sich für den Klimaschutz einzusetzen. Ein Engagement, das sich mehrfach lohnt: Klimaschutz-Investitionen helfen nicht nur dem Klima, sondern entlasten auch dauerhaft den (kommunalen) Haushalt und tragen zur Wertschöpfung vor Ort bei. Auch finanzschwache Kommunen müssen Investitionen für Klimaschutz nicht scheuen, denn sie erhalten eine erhöhte Förderung. Green-IT: Energieverbrauch in Rechenzentren senken Kühlung und Stromversorgung verbrauchen rund die Hälfte der in Rechenzentren eingesetzten Energie [1]. Große Potenziale zur Einsparung von THG- Emissionen liegen daher in der Optimierung der bestehenden Infrastruktur sowie dem Einsatz von energiesparenden Hardwarekomponenten. Verschiedene Maßnahmen zur Erhöhung der Energie- und Ressourceneffizienz von Rechenzentren werden seit dem 1. Juli 2016 vom Bundesumweltministerium gefördert. Antragssteller erhalten einen Zuschuss von bis zu 40 % der zuwendungsfähigen Ausgaben beispielsweise für: die Einführung der Nutzung freier Kühlung, einer Wärmestromführung, der Abwärme-Nutzung oder einer Bedarfssteuerung. Auch der Ersatz einzelner oder mehrerer Hardwarekomponenten wie Server, Kälteanlagen, Kühlsysteme und effiziente Netzteile, die die Anforderungen des Umweltzeichens „Blauer Engel“ einhalten, ist förderfähig. Kindertagesstätten, Schulen sowie Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe erhalten eine erhöhte Förderquote von bis zu 50 %. Alt gegen neu: Effizienz bei weißer Ware Elektrogeräte wie Kühlschränke, Waschmaschinen oder Gefriergeräte, sogenannte weiße Ware, verbrauchen je nach Effizienzklasse sehr viel Energie. Im Durchschnittshaushalt entfallen etwa 40 % der gesamten Energiekosten auf Waschen, Trocknen, Kühlen, Spülen und Kochen [2]. In Schulküchen und Kitas fällt dieser Anteil häufig noch höher aus. Zum 1. Juli 2016 hat das Bundesumweltministerium daher einen neuen Förderschwerpunkt eingeführt: Werden in Schul- und Lehrküchen sowie in Kitas Elektrogeräte, die älter als zehn Jahre sind, gegen Geräte der höchsten Energieeffizienzklasse (derzeit A+++) gemäß EU-Label ausgetauscht, übernimmt Die erweiterte Kommunalrichtlinie Das Bundesumweltministerium hat die erfolgreiche Förderung des kommunalen Klimaschutzes ausgebaut Kommunaler Klimaschutz, erweiterte Kommunalrichtlinie, Rechenzentren, kommunale Unternehmen, Bildungseinrichtungen Greta Link, Benjamin Kroupa Seit Juli 2016 bezuschusst die Kommunalrichtlinie Klimaschutzmaßnahmen in Rechenzentren und den Austausch von Elektrogeräten in Schul- und Lehrküchen sowie Kitas. Ebenfalls neu: Gemeinnützige Sportvereine können sich Energiesparmaßnahmen, wie die Sanierung der Hallenbeleuchtung, fördern lassen und mehrheitlich kommunale Unternehmen sind für einen Großteil der Förderung antragsberechtigt. Bewährte Förderschwerpunkte bleiben bestehen: Von der Einstiegsberatung über Klimaschutzkonzepte bis hin zu investiven Maßnahmen. Das Antragsfenster ist vom 1. Juli bis 30. September 2017 und vom 1. Januar bis 31. März 2018 geöffnet. 25 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte der Bund bis zu 40 % der zuwendungsfähigen Investitionskosten. Ebenfalls bezuschusst wird der Austausch von Elektroherden und Konvektomaten (Heißluftdämpfern). Die fachgerechte Entsorgung des Altgeräts ist nachzuweisen. Neue Fördermöglichkeiten für Sportvereine und kommunale Unternehmen Gute Nachrichten für Sportvereine mit Gemeinnützigkeitsstatus: Mit der Erweiterung der Kommunalrichtlinie können auch sie erstmals einen Zuschuss für die Umsetzung investiver Klimaschutzmaßnahmen beantragen. Attraktive Förderquoten erhalten Sportvereine beispielsweise für den Austausch ineffizienter Lüftungsanlagen (bis zu 35 %) oder für die Umrüstung auf LED bei der Innen- und Hallenbeleuchtung (bis zu 40 %) und der Außenbeleuchtung (bis zu 30 %). Weitere investive Maßnahmen wie der Austausch alter Umwälzpumpen durch Hocheffizienzpumpen oder der Einbau einer Gebäudeleittechnik werden mit einem Zuschuss von bis zu 40 % gefördert. Auch für mehrheitlich kommunale Unternehmen hat sich die Förderung verbessert. Sie sind mittlerweile für den Großteil aller Förderschwerpunkte antragsberechtigt. Dazu gehören neben der Erstellung und Umsetzung verschiedener Klimaschutzteilkonzepte auch alle investiven Maßnahmen der Kommunalrichtlinie. Bewährtes bleibt bestehen Einstiegsberatung, Klimaschutzkonzepte und Klimaschutzmanagement Die Einstiegsberatung bietet Kommunen, die ganz am Anfang ihrer Klimaschutzaktivitäten stehen, weiterhin die Möglichkeit eines strukturierten Einstiegs mit Hilfe von externen Beraterinnen und Beratern. Klimaschutzkonzepte und themenbezogene Teilkonzepte (z. B. für nachhaltige Mobilität, Green- IT oder Industrie- und Gewerbegebiete) helfen, die unterschiedlichen Potenziale für den Klimaschutz vor Ort zu identifizieren. Und um den Klimaschutz dauerhaft vor Ort zu verankern, können Kommunen ihr Personal mit professionellen Klimaschutzmanagerinnen und -managern verstärken. Diese begleiten die Umsetzung der Klimaschutzkonzepte, organisieren Beteiligungsprozesse und sind für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Für modellhafte Klimaschutzmaßnahmen, die mindestens 70 % THG- Emissionen einsparen, können die Klimaschutzmanagerinnen und -manager Zuschüsse von bis zu 50 % beantragen. Beliebt bei Bildungseinrichtungen wie Kitas und Schulen ist die Förderung sogenannter Energiesparmodelle. Das Prinzip ist einfach: Vermindern die Nutzer und Träger der Einrichtungen die THG-Emissionen durch einen bewussten Umgang mit Strom und Wärme, erhalten sie zum Beispiel einen Anteil an der Energiekosteneinsparung. Nachhaltige Investitionen: Von der LED- Beleuchtung bis hin zur klimafreundlichen Mobilität Effektiv eingesetzte LED-Lichtsysteme können gegenüber herkömmlichen Leuchten Energieeinsparungen von über 80 % erzielen. Seit Oktober 2015 wird die Umrüstung auf LED vom Bundesumweltministerium bezuschusst. Die Fördersätze betragen für die Außenbeleuchtung bis zu 20 bzw. 25 % in Verbindung mit einer Steuer- und Regelungstechnik sowie für LED-Lichtsignalanlagen und die LED-Innen- und Hallenbeleuchtung bis zu 30 %. Für die Erneuerung und den Austausch von Lüftungsanlagen können Zuschüsse bis zu 25 % beantragt werden. Fortgeführt wird ebenfalls die Unterstützung von Maßnahmen im Mobilitätsbereich mit bis zu 50 % der Investitionskosten, wie zum Beispiel die Errichtung von verkehrsmittelübergreifenden Mobilitätsstationen oder der Lückenschluss von Radwegen. Weiterhin fördert der Bund die aerobe In-situ-Stabilisierung von stillgelegten Siedlungsabfalldeponien zur Reduzierung der Methanbildung mit bis zu 50 %. Erhöhte Förderquoten für finanzschwache Kommunen sowie Bildungseinrichtungen und Sportstätten Weiterhin gelten besonders attraktive Förderquoten für finanzschwache Kommunen, beispielsweise von bis zu 90 % für die Erstellung oder Umsetzung von Klimaschutzkonzepten. Auch Kitas, Schulen, Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie Sportstätten erhalten erhöhte Förderquoten für ausgewählte Klimaschutzinvestitionen. Um den Klimaschutz dauerhaft vor Ort zu verankern, können Kommunen ihr Personal mit professionellen Klimaschutzmanagern verstärken. © pixabay 26 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Kommunen Hochschulen Religionsgemeinschaften sowie deren Stiftungen Finanzschwache Kommunen Kitas, Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe Einstiegsberatung sowie Klimaschutzkonzepte und Klimaschutzteilkonzepte (TK) Einstiegsberatung Integrierte Klimaschutzkonzepte TK Flächenmanagement, TK Anpassung Investive Klimaschutzmaßnahmen Klimaschutzinvestitionen in Kindertagesstätten, Schulen, Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie Sportstätten LED-Außen-/ -Straßenbeleuchtung, Lichtsignalanlagen LED-Außenbeleuchtung LED-Innen-/ -Hallenbeleuchtung LED-Innen-/ -Hallenbeleuchtung, Austausch von Elektrogeräten Nachhaltige Mobilität Weitere ausgewählte investive Maßnahmen Rechenzentren Sanierung und Austausch von Lüftungsanlagen Sanierung und Austausch von Lüftungsanlagen Rechenzentren Klimaschutz bei stillgelegten Siedlungsabfalldeponien Klimaschutzmanagement (KSM) Umsetzung integrierter Klimaschutzkonzepte Umsetzung TK Anpassung Umsetzung TK Liegenschaften TK Liegenschaften, TK innovativ TK Industrie-/ Gewerbegebiete TK erneuerbare Energien, TK Wärmenutzung, TK Mobilität TK Green-IT TK Trinkwasser TK Abfall Potenzialstudie Siedlungsabfalldeponien, TK Abwasser Umsetzung TK Mobilität Ausgewählte Maßnahme im Rahmen des KSM Umsetzung TK Industrie-/ Gewerbegebiete Energiesparmodelle Anschlussvorhaben KSM Starterpaket für Energiesparmodelle 65 % 90 % 65 % 90 % 65 % 65 % 50 % 70 % 50 % 70 % 50 % 50 % 50 % 50 % 50 % 50 % 70 % 50 % 50 % 50 % 70 % 70 % 50 %* 50 % 50 % 50 % 50 % 50 % 50 % 70 % 50 % 65 % 90 % 65 % 65 % 65 % 90 % 65 % 90 % 65 % 65 % 65 % 65 % 90 % 65 % 65 % 90 % 40 % 56 % 40 % 40 % 40 % 50 %** 50 % 50 % 50 % 50 % 65 % 90 % 65 % 50 % 62 % 50 % 20-30 % 25-37 % 20-30 % 30 % 37 % 30 % 30 % 40 % 25 % 50 % 31 % 40 % 25 % 40 % 25 % 50 % 62 % 50 %*** 50 % 50 % 62 % 30 % 39 % 30 % 40 % 52 % 40 % 35 % 50 % 45 % 65 % 35 % 50 % 40 % 52 % 40 % FÖRDERSCHWERPUNKT ANTRAGSBERECHTIGTE * Die Antragsberechtigung gilt nur für Kitas und Schulen, nicht für Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. ** Ausnahmen bilden Maßnahmenumsetzungen des Klimaschutzteilkonzepts Industrie- und Gewerbegebiete mit einer maximalen Förderquote von 30 Prozent. *** Zuwendungsfähig ist ausschließlich die Errichtung von Radabstellanlagen. Die Antragsberechtigten sind aus Gründen der besseren Lesbarkeit gekürzt dargestellt. Die rechtlich gültige Bezeichnung entnehmen Sie bitte der Kommunalrichtlinie. Bei den angegebenen Förderquoten handelt es sich jeweils um die maximale förderfähige Zuwendung. Förderquoten und Antragsberechtigte für die einzelnen Förderschwerpunkte der Kommunalrichtlinie Förderantrag stellen Neben Kommunen richtet sich die Kommunalrichtlinie auch an andere Institutionen, wie zum Beispiel Bildungseinrichtungen, Sportvereine, kommunale Unternehmen und Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsstatus sowie deren Stiftungen. Wichtige Termine Anträge auf Förderung können vom 1. Januar bis 31. März sowie vom 1. Juli bis 30. September eines Jahres gestellt werden: Ganzjährig können Anträge eingereicht werden: für das Klimaschutzmanagement, das Anschlussvorhaben zum Klimaschutzmanagement sowie die ausgewählte Maßnahme, für Energiesparmodelle an Schulen und Kitas, Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe und Sportstätten sowie für das Starterpaket im Rahmen der Energiesparmodelle. 27 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Kulturelle Einrichtungen und Werkstätten für behinderte Menschen Wirtschaftsförderungsgesellschaften und Industrie-/ Gewerbegebiete Sportvereine mit Gemeinnützigkeitsstatus Betriebe, Unternehmen, Einrichtungen (mind. 50,1 % kommunal) 50 % 50 % 50 % 50 % 50 % 50 % 50 % 65 % 65 % 65 % 40 % 50 % 20-30 % 30 % 30 % 40 % 25 % 40 % 25 % 50 % 50 % 30 % 40 % 40 % 35 % 50 % 40 % 50 % 65 % 40 % 30 % 20-30 % 30 % 40 % 25 % 30 % 35 % 50 % 40 % Ansprechpartner Service- und Kompetenzzentrum: Kommunaler Klimaschutz Das „Service- und Kompetenzzentrum: Kommunaler Klimaschutz“ (SK: KK) beim Deutschen Institut für Urbanistik ist Ansprechpartner in Fragen des kommunalen Klimaschutzes. Im Auftrag des Bundesumweltministeriums berät das SK: KK zu Fördermöglichkeiten, bietet ein umfangreiches und vielfältiges Veranstaltungsportfolio und motiviert durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit dazu, Klimaschutzprojekte umzusetzen. Es bringt seine Expertise in den wissenschaftlichen und fachpolitischen Diskurs ein und trägt zur Umsetzung der Nationalen Klimaschutzinitiative des Bundesumweltministeriums bei. (Tel.: 030 39 001-170, E-Mail: skkk@klimaschutz.de, www.klimaschutz.de/ kommunalrichtlinie) Projektträger Jülich Der Projektträger Jülich (PtJ) ist verantwortlich für die Beratung zu fachlichen und administrativen Fragen zur Antragstellung, Projektdurchführung und Ergebnisverwertung. PtJ bearbeitet die eingereichten Förderanträge, begleitet die laufenden Vorhaben und führt die Mittelbewirtschaftung sowie die Erfolgskontrolle durch. (Tel.: 030 20199-577, E-Mail: ptj-ksi@fz-juelich.de, www.ptj.de/ klimaschutzinitiative-kommunen) Nationale Klimaschutzinitiative Die Nationale Klimaschutzinitiative des Bundesumweltministeriums unterstützt seit 2008 zahlreiche Projekte, die einen Beitrag zur Senkung der Treibhausgasemissionen leisten. Die Förderung erstreckt sich von der Entwicklung langfristiger Strategien bis hin zu konkreten Hilfestellungen und investiven Maßnahmen. Die guten Ideen aus den Projekten tragen dazu bei, den Klimaschutz vor Ort zu verankern. Hiervon profitieren Verbraucher, Kommunen, Unternehmen und Bildungseinrichtungen. ( www.klimaschutz.de) LITERATUR [1] Bitkom e. V.: Energieeffizienz in Rechenzentren. Leitfaden, Berlin, 2015, S. 9. [2] BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V.: Energie-Info. Stromverbrauch im Haushalt, Berlin, 2016, S. 10. Greta Link, M.Sc. Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Service- und Kompetenzzentrum: Kommunaler Klimaschutz beim Deutschen Institut für Urbanistik, Kontakt: link@difu.de Benjamin Kroupa, M.A., Wissenschaftliche Hilfskraft im Service- und Kompetenzzentrum: Kommunaler Klimaschutz beim Deutschen Institut für Urbanistik Kontakt: kroupa@difu.de AUTOR I NNEN 28 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Kundenseitig und ordnungspolitisch werden hohe Ansprüche an Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit, Qualität, Nachhaltigkeit sowie an die Beachtung des Ressourcenschutzes in der Verbzw. Entsorgungswirtschaft gestellt: Ziele der Trinkwasserversorgung sind unter anderem die unterbrechungsfreie Bereitstellung von Trinkwasser in hervorragender Qualität und ausreichender Menge bei konstantem Leitungsdruck. In der Abwasserentsorgung sollen unterschiedlichste Abwässer - Schmutz- und Niederschlagswasser - möglichst zügig und kontrolliert, ohne Geruchsbelästigung über Kanäle abgeleitet und anschließend zentral gereinigt werden. Stromnetze sind so zu betreiben, dass - trotz permanenter Frequenzschwankungen - die elektrische Leistungsbereitstellung durch zentrale sowie dezentrale Kraftwerke auf den verschiedenen Netzebenen jederzeit störungsfrei bis zur Endkundenbelieferung gewährleistet wird. Fernwärme wird als Prozesswärme in der Industrie benötigt sowie zum Beheizen von Gewerbeimmobilien und Wohnräumen nachgefragt und temperaturabhängig über Rohrsysteme geliefert. Daneben bieten Fernwärmeversorger die Aufbereitung von stets ausreichender Menge Warmwasser. Fernwärme unterliegt als einzige der vier betrachteten Branchen beim Neuanschluss durch den Konsumenten einem Wettbewerb im (Wärme-)Markt. Ist erst einmal die Entscheidung für ein Heizungssystem getroffen, bleibt der Nachfrager von Wärme bei diesem funktionstüchtigen Heizsystem, da ein Wechsel mit hohen Umstellungskosten verbunden wäre [1]. Die vorgenannten Beispiele zeigen auf, dass die Systemvorhaltung als zentrales Element der vier betrachteten Branchen städtischer Infrastrukturen anzuerkennen ist. Ähnliche ökonomische Ausgangsbedingungen für Ver- und Entsorger sowie Stromnetzbetreiber Eines haben alle vier Branchen gemein: Sowohl Wasser- und Fernwärmeversorger, Stromnetzbetreiber als auch Abwasserentsorger zeichnen sich in ihrer jeweiligen Aufgabenerfüllung durch eine unabdingbare Leitungsgebundenheit aus. Das dazu notwendige Leitungsbzw. Kanalnetz sowie die jeweiligen technischen Bauwerke mit langen Abschreibungsdauern und meist noch längeren tatsächlichen Nutzungszeiträumen bilden sich in der Kostenstruktur dieser Unternehmen ab. Bei Wasserver- und Abwasserentsorgern sind daher Fixkostenbestandteile von 75-85 % an den Gesamtkosten die Regel [2]. Im Fernwärme- und Stromnetzsektor tritt eine ebenfalls sehr hohe Fixkostenintensität von mitunter mehr als 50 % auf [3]. Tarifmodell-Umstellungen in Netzsektoren Ver- und Entsorger in der Wasser- und Energiewirtschaft unter Handlungsdruck Tarifmodelle, Gebührenmodelle, Netzsektoren, Systemvorhaltung, demographischer Wandel, Singularisierung der Haushalte, Nachfragerückgang Mark Oelmann, Christoph Czichy, Rene Beele Ein verändertes Nachfrageverhalten und die Veränderung der Siedlungsstruktur (Zuwachs an Ein- und Zweifamilienhäusern bei gleichzeitiger Singularisierung der Haushalte) setzen viele Wasserver- und Abwasserentsorger unter Druck. Hohe Kosten der Systemvorhaltung bleiben bei zurückgehender Nachfrage - ob absolut oder pro Anschluss - jedoch bestehen und führen angesichts sinkender Einnahmen zu erheblichem Kostendruck. Tarifmodell-Umstellungen hin zu einem höheren Anteil der Grundentgelte bilden einen gangbaren Ausweg, bedürfen jedoch einer intensiven Auseinandersetzung mit der spezifischen Situation. Auch für Fernwärmeversorger und Stromnetzbetreiber gewinnt die Thematik zunehmend an Bedeutung. 29 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Bei Betrachtung der Entgeltstrukturen im Branchenvergleich ist festzustellen, dass - mit Ausnahme der Abwasserbranche - das absolute Gros der Wasser- und Fernwärmeversorger sowie der Stromnetzbetreiber eine fixe Grundentgeltkomponente in ihrem Tarifmodell integriert hat. Die dabei resultierende Erlösstruktur von fixen und variablen Anteilen an den Gesamterlösen steht jedoch häufig der Kostenstruktur diametral entgegen (Bild 1): Beispielhaft stehen im Trinkwassersektor bezogen auf den BDEW-Durchschnittspreis den rund 80 % fixen Kosten lediglich 20 % fixe Erlöse gegenüber. Im Fernwärmebereich liegt der durchschnittliche fixe Erlösanteil tendenziell etwas darüber [1], im Netzentgeltbereich bei Versorgungsnetzbetreibern im Durchschnitt etwas darunter [4]. Zielführend im Sinne der Erlösstabilität wäre eine Angleichung der Erlösfunktion (grün) an die Kostenfunktion (blau), denn: Sinkt die Nachfrage bei nahezu gleichbleibenden Kosten, ist das Unternehmen bei Auseinanderfallen von Kosten- und Erlösstruktur mit einer Kostendeckungslücke konfrontiert. In vielen Fällen wird dabei mit einer Entgelterhöhung reagiert, was wiederum den Sparanreiz der Konsumenten verstärkt und zu einem weiteren Nachfragerückgang führt. Dies kann mitunter eine Entgeltspirale in Gang setzen, die Ver- und Entsorger sowie Stromnetzbetreiber vor große Herausforderungen stellt. Im Abwassersektor hat derzeit nur die absolute Minderheit der Entsorger den Schritt der Einführung einer Grundgebühr unternommen. Diese Tatsache verwundert, denn mit einem reinen variablen Entgelt (in Form des „Frischwassermaßstabes“ bei der Gebührenerhebung) ist zwar dem Gedanken der tatsächlichen Ableitung der Schmutzwasserfracht genüge getan, jedoch nicht der eigentlichen mengenunabhängigen Systemvorhaltung. Die Ausgangslage der Entsorger ist dabei durchaus vergleichbar mit der aus den anderen Netzsektoren - insbesondere auch im Hinblick auf die Entwicklung der abgegebenen Schmutzwassermenge [5]. Dass die rein mengenabhängige Erlösstruktur als etabliertes Konstrukt in den nächsten Jahren verstärkt überdacht wird, darf erwartet werden, denn der Druck für Abwasserentsorger - nicht zuletzt vor dem Hintergrund notwendiger Investitionen - nimmt vielerorts weiter zu und kann langfristig nicht über Kostenersparnisse oder Effizienzhebungen ausgeglichen werden. Eine Umfrage des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft e. V. (BDEW) in Zusammenarbeit mit der Hochschule Ruhr West (HRW) kommt zu dem Ergebnis, dass 70 % der befragten Entsorger eine Umstellung der Schmutzwassergebührenmodelle für notwendig oder sehr notwendig halten bzw. bereits umgestellt haben [6]. Treiber für eine Tarifmodell-Umstellung Aus den unterschiedlichsten Gründen ist kurzbis mittelfristig von einem Nachfragerückgang in den verschiedenen Branchen auszugehen. Dabei ist eine differenzierte Betrachtung zwischen einem absoluten Nachfragerückgang auf Gesamt-Unternehmensebene und einem relativen Rückgang der Nachfrage je Anschluss notwendig. Im Folgenden werden fünf zentrale Treiber für eine Tarifmodell-Umstellung erläutert: In vielen Regionen Deutschlands sind die Auswirkungen des demographischen Wandels bereits spürbar: Geburtenrückgänge und Wanderungsbewegungen sorgen für lokale Bevölkerungsrückgänge. Wurden Netzinfrastruktur und sonstige Systemvorhaltung für ein höheres Bevölkerungs- und Nachfrageniveau ausgelegt, resultieren Überkapazitäten, die aufgrund der langen Nutzungsdauern erst variable Kosten 20 % fixe Kosten 80% Grundpreis Systemkosten Preis pro m³ variable Erlöse 80 % fixe Erlöse 20% x 0 x 1 Menge Deckungslücke Kosten Erlöse Erlöse Kosten variable Erlöse 50 % fixe Erlöse 50 % Ziel Bild 1: Abweichende Kosten- und Erlösfunktion in Netzsektoren. © Oelmann, Czichy, Beele 30 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte langfristig abgebaut werden können. Die entsprechend hohen Fixkosten verteilen sich auf immer weniger Nutzer und erhöhen so die Belastung des Einzelnen. Gleichzeitig sinkt vielerorts aber auch die spezifische Nachfragemenge je Anschluss, sodass sich dieser Effekt durch eine Reduktion der variablen Erlöse pro Anschluss, die derzeit einen großen Teil der Fixkosten decken müssen, für das betroffene Unternehmen verstärkt. Aber auch wachsende Kommunen sind betroffen: Bei Grundstückserschließungen durch Neubauten und bei tiefgreifenden Renovierungsarbeiten kommt es verstärkt zum Einbau wassersparender Armaturen, besseren Dämmwerten bei Fenstern und Fassaden sowie nicht selten zur (teilweisen) Strom-Eigenversorgung durch PV- oder KWK-Anlagen. All dies mindert die zukünftigen Erlöse je Anschluss durch variable Tarifbestandteile. Gleichzeitig müssen Investitionen von den Unternehmen getätigt und das System in ähnlicher Art und Weise vorgehalten werden, wie dies bei der Versorgung von Bestandsbauten der Fall ist. Ein weiterer wesentlicher Treiber für die Notwendigkeit einer Tarifmodell-Umstellung ist die zu beobachtende Veränderung in der Siedlungsstruktur: Der Anteil an Wohngebäuden mit einer Gebäudegröße von Ein- und Zweifamilienhäusern liegt in Deutschland auf Basis der Zensus-Ergebnisse 2011 bei rund 82 % (Bild 2) - Tendenz steigend. Dieser Effekt erhöht die Kosten der Systemvorhaltung bei Ver- und Entsorgern sowie Netzbetreibern. Neubaugebiete müssen mit Investitionen in die Infrastruktur erschlossen und in das System der Bestandsanlagen integriert werden. Dabei verteilen sich die neuen Anschlusskosten auf eine immer geringere Zahl von Nutzern dieser Anlagen. Die Folge ist eine steigende Belastung für alle Netznutzer. Gleichzeitig sinkt die durchschnittliche Haushaltsgröße in Deutschland. Man spricht dabei von einer „Singularisierung der Haushalte“. Bild 3 zeigt die Entwicklung auf Ebene der Bundesländer. Festzustellen ist, dass der Anteil der 1-Personen-Haushalte in allen Bundesländern zunimmt. Dabei stieg der Anteil zwischen 2006 und 2015, wie im Falle von Mecklenburg-Vorpommern, um bis zu 5,5 Prozentpunkte, was einem Zuwachs von 15,8 % entspricht. Bei einer Entwicklung hin zu kleineren Haushaltsgrößen sinkt grundsätzlich die spezifische Nachfrage und somit der spezifische Erlös je Anschluss. Dies gilt für das Fernwärmesegment jedoch nicht in so hohem Ausmaß, wie für die drei anderen städtischen Infrastrukturbereiche. Als fünfter zentraler Treiber für eine Tarifmodell- Umstellung sei der Druck auf Unternehmen städtischer Infrastrukturen benannt, der vornehmlich durch Kartellämter ausgeübt wird. Landeskartellämter prüfen ex post, ob es zu missbräuchlicher Preisbildung nach GWB - insbesondere in den Bereichen der leitungsgebundenen Versorgung - gekommen ist. Bei länderübergreifender Tätigkeit eines Unternehmens wird das Bundeskartellamt zuständig. Dabei wurde die Fernwärmeversorgung - in den vergangenen Jahren verstärkt - Analysen unterzogen. Die Entgelthöhe für Musterabnahmefälle sowohl zwischen den regionalen Anbietern als auch im Vergleich unter den Bundesländern schwankte dabei sehr stark. Es zeigten sich deutliche Unterschiede bei den Durchschnittspreisen von bis zu 10 Ct./ kWh zwischen den Netzgebieten. Dabei wurde herausgearbeitet, dass einerseits die Länge der Netze und andererseits die eingesetzte Energieform Preisunterschiede rechtfertigen, jedoch nicht in der oben genannten Schwankungsbreite. Fernwärmepreise müssen sich jedoch vollständig bei anstehenden Fragen der Kartellämter kostenseitig erklären lassen. Erschwerend kann hinzukommen, dass Kunden mit ähnlichem Abnahmeverhalten und (nahezu) identischer Anschlussleistung völlig unterschiedlich bepreist werden - solche Tarifunterschiede sind oft- 65,2% 17,1% 11,9% 4,7% 1,2% 82,3% 1 Wohnung 2 Wohnungen 3 - 6 Wohnungen 7 - 12 Wohnungen 13 und mehr Wohnungen 30,0% 35,0% 40,0% 45,0% 50,0% 55,0% 2006 2015 Bild 2: Anteile der Gebäude nach Anzahl der Wohnungen je Gebäude in Deutschland. Quelle: https: / / ergebnisse. zensus2011.de, zuletzt geprüft am 08.05.2017. Bild 3: Entwicklung der 1-Personen- Haushalte auf Bundeslandebene (2006-2015). Quelle: www.wegweiser-kommune. de, zuletzt geprüft am: 08.05.2017. 31 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte mals „historisch gewachsen“, doch spätestens bei einer kartellrechtlichen Untersuchung geraten die Versorger in Erklärungsnot. Auch aus diesem Grund werden Kartellbehörden immer häufiger zu detaillierteren Prüfungen veranlasst und machen neue Modelle bei Fernwärmetarifen notwendig [7]. Im privatrechtlichen Teil des Trinkwassersektors haben in der jüngeren Vergangenheit prominente Beispiele über Wasserpreisverfügungen durch Kartellämter als abschreckende Beispiele gedient. Als Folge hieraus resultierte einerseits Unsicherheit über bestehende Erlösstrukturen bei Wasserversorgern. Andererseits wurde der Wunsch nach unbedingter Rechtssicherheit im Zuge einer Tarifmodell-Umstellung deutlich. Für beide Faktoren wurde mit verschiedenen Gutachten und jüngster Rechtsprechung (BGH Urteile aus dem Jahr 2015 mit den Aktenzeichen: VIII ZR 136/ 14, VIII ZR 164/ 14 und VIII ZR 338/ 14) der Weg zu neuen Tarifmodellen geebnet [8]. Der Abwassersektor befindet sich nahezu vollständig außerhalb der Kontrolle der Kartellbehörden, da sich die allermeisten Entsorger (> 92 %) in einer öffentlich-rechtlichen Gesellschaftsform befinden. Gebühren werden unter anderem nach den KAG der Länder auf Grundlage einer Satzung erhoben, die durch gewählte Gemeindevertreter beschlossen werden. Durch diese demokratische Legitimation bedarf es keiner weiteren präventiven Kontrollaufsicht, die missbräuchliche Entgelte verhindert [2]. Bei Stromnetzentgelten schreibt die ARegV eine durch die Regulierungsbehörden zu genehmigende Erlösobergrenze für Netzbetreiber vor, welche auf Basis der ermittelten zulässigen Kosten bestimmt wird. Die Stromnetzbetreiber kalkulieren ihre Netzentgelte innerhalb dieses vorher festgelegten Erlösbudgets selbst. In der Ausgestaltung der Entgeltstruktur sind den Betreibern von Stromnetzen enge regulatorische Grenzen gesetzt, die insbesondere durch die StromNEV geregelt sind. Eine Ex-post-Preisaufsicht durch die Kartellbehörden findet nicht statt. Bild 4 fasst die zentralen Treiber einer Tarifmodell-Umstellung zusammen und gibt eine erste Indikation über das Maß der Betroffenheit für den jeweils betrachteten Sektor. Wege und Herausforderungen bei einer Tarifmodell-Umstellung Tarifmodell-Umstellungen mit dem Ziel einer Erhöhung des Grundentgeltanteils bei gleichzeitiger Senkung des Anteils variabler Entgelte erscheinen vor dem Hintergrund der genannten Treiber für viele Wasser- und Fernwärmeversorger, Abwasserentsorger und Stromnetzbetreiber mittelfristig unabdingbar. Dabei sind jedoch eine ganze Reihe weiterer Faktoren sorgfältig zu prüfen, sodass der Aufwand einer Umstellung nicht unterschätzt werden sollte (Bild 5). Bild 4: Treiber für eine Tarifmodell- Umstellung. © Oelmann, Czichy, Beele Grundsätzliche Zielfindung Modellierung auf Endkundenebene Erlösneutralität Wahl der Bemessungsgrundlage Qualität der Datenbasis Begleitende Kommunikation (Intern/ Extern) Be- und Entlastungen im Umstellungszeitpunkt Weitere Ziele Bild 5: Wege und Herausforderungen bei einer Tarifmodell- Umstellung. © Oelmann, Czichy, Beele Demographischer Wandel Spezifischer Nachfragerückgang Veränderung in der Siedlungsstruktur Singularisierung der Haushalte Druck durch Kartellbehörden Trinkwasser -versorger Abwasserentsorger Fernwärmeversorger Stromnetzbetreiber ++ + 0 ++ + 0 ++ + 0 ++ + 0 ++ sehr hohes Maß an Betroffenheit + hohes Maß an Betroffenheit 0 keine Betroffenheit Quelle: Eigene Darstellung. 32 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Umstellungswillige Unternehmen beschäftigen sich in einem ersten Schritt mit der grundsätzlichen Zielfindung eines neuen Tarifsystems. Die Ziele reichen dabei unter anderem von der Stabilisierung der Umsätze bei zurückgehender Nachfrage bis hin zur Stabilisierung der Entgelte im Zeitablauf vor dem Hintergrund anstehender Investitionen. Zentrales Ziel einer jeden Tarifmodell-Umstellung sollte dabei eine ausgewogene Be- und Entlastungssituation zum Zeitpunkt der Umstellung sein. Dieses Ziel wird vor allem im Hinblick auf eine zumeist hohe Heterogenität der Gebäude- und Abnehmerstruktur oder durch das Vorhandensein systemrelevanter Großkunden zu einer „Herkules-Aufgabe“. Die Be- und Entlastung einzelner Kunden im Rahmen der Umstellung hängt wesentlich von der individuellen Nachfragestruktur und im Fall der Wasser- und Fernwärmeversorgung auch von der jeweiligen Anschlussdimensionierung ab. Ein Austarieren der Be- und Entlastungen ist möglich, macht jedoch eine Modellierung auf Endkundenebene unerlässlich. Nur so kann in transparenter Art und Weise auf spätere Nachfragen eingegangen und Sonderfälle berücksichtigt werden. Daneben ist es mitunter empfehlenswert, dass ein neues Tarifmodell im Umstellungsjahr gegenüber dem alten Modell erlösneutral ausgestaltet wird. Auf diese Weise lässt sich das mögliche Argument einer versteckten Entgelterhöhung entkräften. Auch die Bemessungsgrundlage für den fixen Entgeltbestandteil ist diskutabel und muss im Trinkwasser- und Abwasserbereich nicht unbedingt der Zählergröße entsprechen, sondern kann sich beispielsweise am Wohneinheiten-Maßstab orientieren. Im Fernwärme- und Stromnetzentgeltbereich können als Bemessungsgrundlage zum Beispiel Anschlusswert, Spitzenlast oder Systemdienlichkeit des Abnahmeverhaltens herangezogen werden. Dabei spielt die Qualität der Datenbasis eine herausragende Rolle. Bei einem Wechsel der Bemessungsgrundlage liegen entsprechende Werte und Parameter nicht notwendigerweise in verlässlicher Qualität vor - sie müssen zunächst erhoben werden. Nicht zu unterschätzen ist schließlich die begleitende Kommunikation über den gesamten Umstellungsprozess. Intern sind dabei nicht nur Aufsichtsrat, Geschäftsführer und Führungskräfte einzubinden, sondern auch die zuständigen Mitarbeiter abzuholen, damit diese auf Kundennachfragen angemessen reagieren können. Ein weiterer elementarer Baustein ist die rechtzeitige externe Kommunikation mit Politikern, Pressevertretern, Vertretern von Wohnungsbaugesellschaften und großen Industrie- und Gewerbebetrieben. Ihnen die Notwendigkeit und die Relevanz einer Umstellung nahezubringen, ist genauso wichtig für die Akzeptanz eines neuen Tarifmodells wie das Gespräch mit interessierten Bürgern. Fazit und Ausblick Betreiber städtischer Infrastrukturen in den Netzsektoren Wasser- und Fernwärmeversorgung, Abwasserentsorgung und Stromnetzbetrieb weisen eine sehr ähnliche Ausgangssituation durch eine Leitungsgebundenheit und das bestehende Missverhältnis zwischen Kosten- und Erlösstruktur auf. Dabei geraten diese Unternehmen durch die fünf zentralen Treiber immer weiter unter Kosten- und Handlungsdruck. Im Bereich der Trinkwasserversorgung gibt das in enger Zusammenarbeit mit dem BDEW entwickelte Internettool www.tarifmodellwasser.de bereits nach Eingabe weniger Kennzahlen erste anonyme Indikationen über Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Tarifmodell-Umstellung [9]. Jedoch sind nicht alle Branchen gleichermaßen durch die dargelegten Treiber betroffen, eine kartellrechtliche Preis-Missbrauchsaufsicht findet zum Beispiel lediglich im Fernwärme- und im privatrechtlichen Trinkwasserbereich statt. Für viele Unternehmen stellt eine Tarifmodell- Umstellung einen gangbaren Ausweg dar, der jedoch mit Sorgfalt angegangen werden sollte. Grundsätzliche unternehmensspezifische Definitionen der Haupt- und Nebenziele bilden die Basis für die weiteren Schritte einer Umstellung. Im weiteren Vorgehen gilt es, die regionalen Spezifika ausreichend zu berücksichtigen und die Be- und Entlastungseffekte bei den Kunden im Blick zu behalten. Ohne eine fachliche Begleitung mögen diese Herausforderungen und insbesondere die entstehenden Dynamiken im Rahmen der Kunden- und Stakeholderkommunikation unterschätzt werden. Im Bereich der Wasser- und Fernwärmeversorgung sowie der Abwasserentsorgung hat die Unternehmensberatung MOcons GmbH & Co. KG bereits zahlreiche Unternehmen unterschiedlicher Größe in Klein-, Mittel- und Großstädten bei Umstellungsprojekten begleitet. Dabei ist sie verlässlicher Partner bei der Unterstützung von Tarifmodell-Umstellungen auch bei besonderen Anforderungen, wie beispielsweise der Tarifvereinheitlichung bzw. dem Erhalt konzessionsbedingter Tarifunterschiede bei mehreren Versorgungsgebieten oder Preiszonen. Beim Thema Stromnetzentgelte ist MOcons eng mit dem „Kompetenzzentrum Energienetze“ der Hochschule Ruhr West verbunden und unterstützt die Forschungsanstrengungen durch Einbringen praktischer Expertise. Prof. Dr. Mark Oelmann Professur für Wasser- und Energieökonomik Studiengangsleiter „Energie- und Wassermanagement“ (BWL-Bachelorstudiengang), Hochschule Ruhr West Geschäftsf. Gesellschafter MOcons GmbH & Co. KG Kontakt: mark.oelmann@hs-ruhrwest.de Christoph Czichy, M.Sc. VWL Geschäftsf. Gesellschafter MOcons GmbH & Co. KG Kontakt: christoph.czichy@mocons.de Rene Beele, B.A. BWL Consulting Analyst (MOcons GmbH & Co. KG) Kontakt: rene.beele@mocons.de LITERATUR [1] Bundeskartellamt (Hrsg.): Sektoruntersuchung Fernwärme - Abschlussbericht gemäß §32e GWB - August 2012. [2] ATT/ BDEW/ DBVW/ DVGW/ DWA/ VKU [Hrsg.]: Branchenbild der deutschen Wasserversorgung 2015. [3] Gröger, M.: Systemintegrierte Analyse konkurrierender Energieversorgungsoptionen auf kommunaler Ebene - ein modellbasierter Ansatz (Studien zu Infrastruktur und Ressourcenmanagement), Logos, Berlin, 2016. [4] BNetzA (Hrsg.): Bericht: Netzentgeltsystematik Elektrizität, 2015. [5] Oelmann, M., Roters, B., Gawel, E.: Nachhaltige Gebührenmodelle in der Abwasserentsorgung. Teil 1: Konzeptionelle Grundlagen für Grundgebühren in der Schmutzwasserentsorgung. KA Korrespondenz Abwasser, Abfall 2017 (64) Nr. 4, S. 328-334. [6] Oelmann, M., Rehberg, J., Roemer, E., Roters, B.: Expertenbefragung zur Umstellung von Gebührenmodellen in der Schmutzwasserentsorgung. Ergebnisbericht, Mülheim an der Ruhr/ Berlin. gwf- Wasser|Abwasser 2015 (156) Nr. 6, S. 622-669. [7] Landeskartellbehörde für Energie Schleswig-Holstein: Strukturen der Fernwärmeversorgung in Schleswig-Holstein - Ergebnisbericht, 2016. [8] Gendries, S.: BGH-Urteil schafft Rechtssicherheit für neue Wasserpreissysteme, 2015. Online abrufbar unter: http: / / www.lebensraumwasser.com/ ? p=3793, zuletzt geprüft am 08.05.2017. [9] Oelmann, M., Beele, R., Czichy, C., Rehberg, J.: Tarifmodell-check für Wasserversorger. Internetbasierte Prüfung individueller Tarifsysteme auf Ertragsstabilität bei Nachfragerückgängen - Ist Ihr Tarifsystem nachhaltig? gwf-Wasser | Abwasser 2015 (156) Nr. 3, S. 338-341. Ein Jahr lang Transforming Cities zum halben Preis lesen, als Printausgabe oder ePaper, anschließend zum Normalpreis. www.transforming-cities.de/ starterabo/ TranCit StarterAbo Aller Anfang ist leicht. AUTOREN 34 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Die Idee einer rhizomorphen Vernetzung ist dem Begriff der Rhizomatik von Deleuze und Guattari entlehnt, bei dem hierarchische Kommunikations- und Ordnungsmuster durch eine Struktur ergänzt oder ersetzt werden, die Querverbindungen erlaubt, Hierarchieebenen überspringen kann und so unterschiedliche Elemente miteinander verbindet und neue Plateaus bildet. In der Bandbreite möglicher Lösungswege, die geeignet wären, den komplexen Systemveränderungen der Energiewende adäquat zu begegnen, kommt der Einführung von flexiblen (also rhizomorphen) Gleichspannungsnetzen (engl. direct current, kurz DC) mit ihrer Leistungselektronik eine entscheidende Rolle zu (Bild 1 und Bild 2). Umfassende Betrachtung der Gleichstromtechnik Im transdisziplinären Forschungscampus Flexible Elektrische Netze (kurz FEN), der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird, beschäftigen sich derzeit sechs elektrotechnische und neun soziotechnische Institute der RWTH Aachen gemeinsam mit zwölf international agierenden Unternehmen mit der Erforschung und Realisierung von Elektrizitätsnetzen mittels Gleichstrom auf der Mittelspannungsebene (MV). Die Themengebiete umfassen die Planung, Modellierung, Konzeption und Bewertung von künftigen Netzen. Im Bereich der technischen Vom Baum zum Rhizom Die Flexibilisierung der Netze durch Gleichstrom Erneuerbare Energien, Stromnetz, Gleichstrom Benjamin Casper, Sandra Sieber Im Zuge der Energiewende stehen Übertragungssowie Verteilnetzbetreiber vor großen Herausforderungen. Während Gleichspannungstrassen im Bereich der Höchstspannung bereits im Netzentwicklungsplan eingetragen sind, steht eine Anpassung für die Mittel- und Niederspannung noch aus. Die ursprünglich hierarchische Baumstruktur der Stromnetze wird durch rhizomorphe Systemveränderungen neu ausgerichtet. Das heißt, parallele Transformationsprozesse bei Erzeugern, Verbrauchern, Netzen und Speichern auf allen Spannungsebenen verändern die grundlegende Ausrichtung und Ausstattung der Stromversorgung. THEMA Energie für Städte © pixabay 35 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Komponenten werden unter anderem Anlagen und Netztechnik, Automatisierung, Regelung und Betriebsführung untersucht. Praktische Umsetzung findet das Projekt in einem MVDC-Forschungsnetz, das am Campus Melaten mehrere Prüfstände von Forschungsinstituten der RWTH Aachen verbinden wird, darunter der Prüfstand im Testcenter des Instituts für Maschinenelemente und Maschinengestaltung (IME) und der Prüfstand des Centers for Wind Power Drives (CWD). Dieses Forschungsnetz ermöglicht den Praxistest und die Weiterentwicklung verschiedener Komponenten wie DC-DC-Converter, Leistungsschalter oder DC-Kabel. Die soziotechnischen Institute forschen an relevanten Querschnittsthemen eines künftigen - womöglich zellular vermaschten - Netzes. Sie beschäftigen sich unter anderem mit den Auswirkungen der DC-Technik auf den urbanen Raum und die Landschaft, mit deren Akzeptanz und möglichen Umsetzungsszenarien. Auch Fragen nach gesundheitlichen Auswirkungen, ökonomischer Bewertung und geeigneten Kommunikationskonzepten werden betrachtet. So können Gleichspannungsnetze interdisziplinär beleuchtet und perspektivische Vorteile wie auch eventuelle Hemmnisse im Laufe des Projektes identifiziert und mit den elektrotechnischen Instituten rückkoppelnd bewertet werden. Auswirkungen von DC-Netzen in Städtebau und Landschaftsarchitektur Im Rahmen des Forschungscampus FEN befassen sich das Institut für Städtebau und Landesplanung (ISL) und der Lehrstuhl für Landschaftsarchitektur (LA) mit möglichen Auswirkungen von MVDC-Netzen auf urbane und ländliche Räume. Die Auswirkungen erneuerbarer Energien, insbesondere der Windenergie und der geplanten Höchstspannungstrassen im Zuge des Netzausbaus sind inzwischen etablierte Themen im Bereich der Landschaftsplanung. Sie werden meist aus naturschutzfachlicher Sicht oder mit Fokus auf Veränderungen des Landschaftsbildes betrachtet. Die Auswirkungen von Gleichspannungsnetzen der Mittel- und Niederspannungsebene auf Städte und Landschaften wurden bislang noch nicht untersucht. Mit dem Fokus des Forschungsprojektes auf die Mittelspannung werden seitens des Instituts für Städtebau und Landesplanung und des Lehrstuhls für Landschaftsarchitektur Region, Stadt und Quartier mit ihren Nieder- und Mittelspannungsnetzen betrachtet. Um die Auswirkungen der DC-Technologie klassifizieren zu können, wird zusätzlich mit einem Drei-Ebenen-Modell gearbeitet: einer visuellen Ebene, einer semi-visuellen Ebene und einer strukturellen Ebene (Bild 3). So können sichtbare Auswirkungen, indirekt auftretende sowie rein planerische und regulatorische Effekte benannt werden. Zur Konkretisierung der Auswirkungen werden im Forschungsfokus Landschaftsarchitektur ein ländlicher und ein urbaner Untersuchungsraum betrachtet. Dort wurden Anwendungen für die DC- Technologie anhand bestehender oder geplanter Projekte (wie zum Beispiel einem Neubaugebiet im Aachener Nord- Westen, einem Windpark oder auch einem geplanten Radschnellweg) skizziert. Anhand der unterschiedlichen Beispiele konnten im Austausch mit den elektrotechnischen Instituten mögliche Einsatzgebiete und Vorteile der DC-Technik identifiziert werden - darunter unter anderem mögliche Vorteile bei der Einspeisung von erneuerbaren Energien, bei energetischen Quartierskonzepten oder bei der Realisierung der Elektromobilität. Gleichstromnutzungen auf allen Ebenen Die Stromnetzeinbindung von Stadtteilen erfolgt bis dato zumeist in offenen oder geschlossenen Mittelspannungsringnetzen, könnte aber künftig mittels DC zu vermaschten Netzen ausgebaut werden. Die Hausanschlüsse auf der Niederspannungsebene könnten zukünftig in DC erfolgen und hausintern mittels Wechselrichter zu einem parallelen Installationsnetz führen, um nicht-DC-fähige Endgeräte (Geräte mit konventionellem Schalter bzw. leistungsregulierbare Geräte wie zum Beispiel Heizgeräte, Bild 2: Neue Auslegung der Stromversorgung mit rhizomorphen Querverbindungen. © Forschungscampus Flexible Elektrische Netze FEN 2016 Bild 1: Ursprünglich hierarchische Baumstruktur der Stromnetze. © Forschungscampus Flexible Elektrische Netze FEN 2016 36 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Staubsauger, Bohrmaschinen, Mixer) weiterhin nutzen zu können. Aufgrund des effizienten Stromflusses in beide Richtungen können mit dem hausinternen DC-Netz erneuerbare Energien umfassender in das energetische Gebäudekonzept eingebunden werden. Dabei geht es nicht nur um Photovoltaikanlagen, sondern auch um Wärmepumpen, elektrochemische Batteriespeicher für Häuser und Quartiere und thermoelektrische Generatoren. So könnten im Gebäude bzw. Quartier zumindest die Verluste, die derzeit bei der Umwandlung von DC in AC und dann wieder in DC entstehen, in Teilen entfallen. Mit der aktuellen Netzstruktur werden zwar beliebig viele Photovoltaikanlagen ans Netz angeschlossen, jedoch müssen während der Spitzenerzeugungszeiten entsprechend viele Anlagen durch Regeleingriffe vom Netz genommen oder ihre Einspeiseleistung gekappt werden. Ein DC-Netz könnte eine höhere Einspeiseleistung ermöglichen. DC wäre damit ein Baustein effizienter Energiekonzepte und Grundlage für die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele. Gleichspannung auf der Mittelspannungsebene (MVDC) bietet sich besonders für Schnellladestationen für Elektroautos an, deren Ladezeit bereits jetzt noch gut 30 Minuten beträgt und gleichzeitiges Laden mehrerer Fahrzeuge erlaubt. Die Fortschritte in der Batterietechnologie könnten - so aktuelle Diskussionen - in absehbarer Zeit die Ladezeiten auch auf unter fünf Minuten pro 100 Kilometer Fahrleistung bringen. Das ist nur mit MVDC zu erreichen. Die DC-Technik kann durch die Flexibilisierung der Netze räumlich wirksame Veränderungen auf allen Maßstabsebenen von der Region bis zur Haus- und Fassadentechnik hervorrufen. Wo Gebäude mehr Energie produzieren als sie verbrauchen, wo Quartiere über flexible Netzstrukturen und effiziente Speicherlösungen miteinander verbunden sind, da könnte sich der Bedarf an Anlagen zur regenerativen Energiebereitstellung (EE-Anlagen) außerhalb des Siedlungskontextes, im Sinne einer möglichst verbrauchsnahen Erzeugung, reduzieren. Mit DC rücken Energieverbrauch und Energiebereitstellung räumlich und strukturell wieder enger zusammen. Bestehende Konflikte um Regenerativanlagen und ihre Wirkung auf das Landschaftsbild würden so entschärft und vor allem der Nutzungsdruck auf geeignete Flächen reduziert. Demgegenüber steht die Betrachtung der durch MVDC erst möglich werdenden Erschließung netzferner Standorte, sodass beispielsweise Regenerativanlagen auch an weniger konfliktbelasteten Standorten umgesetzt werden könnten. Transformationen der Energieversorgung verändern Städte und Landschaften Wo sollte eine Transformation der Energieübertragung in einer Stadt beginnen? Auf den Untersuchungsmaßstäben Quartier, Stadt und Region lassen sich Startpunkte identifizieren, die eine sogenannte rhizomorphe Entwicklung anstoßen können. Hierzu werden bestehende Energie-Infrastrukturen, gewerbliche und industrielle DC-Arbeitsprozesse und Mittelspannungsnutzer erfasst. Infolgedessen kann aufgezeigt werden, welche räumlichen Transformationen durch effizientere Stromnetze, die auch die Mobilitätswende und die Stoffwende (Ersetzen der Energiespeicher Kohle und Öl durch mechanische, elektrische, elektro-chemische und chemische Elemente) berücksichtigen, auf kommunaler und regionaler Ebene angegangen werden können. Hierzu wurde auch untersucht, unter welchen Bedingungen es möglich ist, Hochspannungsleitungen in unmittelbarer Nähe zu Siedlungsgebieten als DC-Kabel unterirdisch um diese herum zu legen. Die frei werdenden Abstandsflächen könnten Entwicklungsimpulse für Gewerbeflächen, Solar- und Bild 3: Mit dem Drei- Ebenen-Modell können sichtbare, indirekte und rein planerische Effekte der DC-Technologie aufgezeigt werden © Forschungscampus Flexible Elektrische Netze FEN 2016 37 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Windparks und besonders für dringend benötigten Wohnraum bieten. Die immobilienwirtschaftlichen Impulse könnten, je nach lokaler Situation, beträchtlich und für die Kommunen lohnend sein. Bei einer Wirtschaftlichkeitsbetrachtung des Netzbetreibers für eine Verkabelung mit DC-Technik sollten dementsprechend nicht nur die Kosten bewertet, sondern innerhalb eines Zusammenschlusses der Kommunen und Wirtschaftsverbände auch alle betroffenen Akteure mit an den Tisch geholt werden. Erfolgreiche Verkabelungen von Hochspannungstrassen in unmittelbarer Siedlungsnähe könnten die Akzeptanz für die Energiewende deutlich steigern, wenn die Folgen für die Region (zum Beispiel Fortschreibung des Flächennutzungsplans erforderlich) und die Umwelt sorgfältig besprochen und überprüft werden. Die Signalwirkung des AmpaCity-Projekts (Hochtemperatur-Supraleiter) in der Essener Innenstadt ist beispielhaft für so eine Entwicklung. Hier konnten hohe Raumeinsparpotentiale auf beengtem Raum identifiziert (ein Kabel anstelle von fünf Kabeln) und die Notwendigkeit von vielen Umspannstationen in Innenstädten in Frage gestellt werden. Ein Hochtemperatur-Supraleiter überträgt Gleichstrom verlustfrei und ist auch für Höchstspannung vorstellbar. Die Netze und entsprechend ihre Anwendungsfelder könnten mit DC also künftig vielfältiger und flexibler werden. Statt hierarchisch linear verzweigter Baumstrukturen wie sie die Strahlen- und Ringnetze aufweisen, könnte DC rhizomorph in bestehenden und neu verlegten AC-Kabeln agieren. Wie das Rhizom, das in der Botanik eine Sprossachse bezeichnet, die sowohl Wurzeln wie oberirdische Teile ausbilden kann und damit sehr erfolgreich weitverzweigte Geflechte entwickelt, wären auch Netze mit DC-Komponenten nicht hierarchisch, sondern hoch flexibel, intelligent steuerbar und tatsächlich vernetzt mit Netzknoten, Querverbindungen, Maschen und Waben. Die rhizomorphen Eigenschaften der DC-Netze können sich erst dann im Rahmen einer regional- , stadt- und quartiersgestützten Energiewende entfalten, wenn man ihnen den gesetzlichen Rahmen dazu gibt, denn auch ein Rhizom braucht Wachstumsimpulse. Entsprechend engmaschiger wären die Veränderungen, denn die Konnektivität der Infrastruktur erhöht sich und damit auch ihre Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Dekarbonisierung mit Gleichstrom Aktuelle Technologien, wie die Robotik oder die Elektrosynthese (Umwandlung von CO 2 in organisches Material), werden Gleichstrom nutzen. DC-Netze, ob Microgrids oder Verteilnetze für Regionen, können effizienter, ressourcenschonender und dadurch auch mit höherer Akzeptanz umgesetzt werden und so Entwicklungsimpulse für lokale Kultur- und Wirtschaftsentwicklung geben. Eine Voraussetzung für die Marktdurchdringung ist die Verfügbarkeit. Wenn es gelingt, eine Standardisierung für die DC-Technologie auf allen Spannungsebenen zu erreichen und Schutzkonzepte für den Umgang mit DC umzusetzen, kann DC auch einen entscheidenden Beitrag zum Erreichen der UN-Nachhaltigkeitsziele bis 2030 leisten. Das UN-Nachhaltigkeitsziel Nr. 7 „Erneuerbare Energien“ nimmt eine Schlüsselstellung im Kanon der sogenannten „Großen Transformation“ zur Nachhaltigkeit ein. Aktuellen Untersuchungen zufolge müssen die CO 2 -Emissionen bis 2020 ihren Höhepunkt erreicht haben, um den Planeten in eine habitable Zukunft zu steuern. DC-Technologie kann sowohl Inselnetze in entlegenen Gebieten vereinfachen als auch Hochtechnologiestandorte in ihren Dekarbonisierungsbestrebungen stärken. Die jüngst eingetretene und global erkennbare Ablösung von Kohle als günstigem Energieträger zur Stromproduktion durch Photovoltaik ist ein Zeichen für den technologischen Durchbruch von Innovationen im Energiesektor. Die DC-Technologie kann in allen Bereichen der Einspeisung und Versorgung zu einer Beschleunigung der Dekarbonisierung führen, wenn sich eine Standardisierung zügig erreichen lässt. Die Standardisierung im Bereich der DC-Technik voranzutreiben, ist daher auch eines der Kernziele des Forschungscampus FEN, in dem sich die Aktivitäten der Partner aus Wissenschaft und Industrie bündeln. Die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen der DC-Technologie werden ausgelotet, um den Übergang von Theorie zu Praxis vorzubereiten. Dipl.-Ing. Benjamin Casper Lehrstuhl und Institut für Städtebau und Landesplanung RWTH Aachen University, Fakultät für Architektur Kontakt: casper@isl.rwth-aachen.de Dipl.-Ing. (FH) Sandra Sieber Lehrstuhl für Landschaftsarchitektur RWTH Aachen University, Fakultät für Architektur Kontakt: ssieber@la.rwth-aachen.de AUTOR I NNEN 38 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Elektromobilität im städtischen Kontext Elektromobilität, Stadtwerke, Kommunalverwaltungen, Klimaschutz, Smart City Oliver Rottmann, André Grüttner Elektromobilität bietet im städtischen Kontext zahlreiche Ansätze, klimafreundliche Mobilitätskonzepte umzusetzen. Intelligente Verkehrskonzepte, eine zielführende Systemintegration, eine enge strategische Kooperation zwischen Energieversorgern, Verkehrsbetrieben oder den Kommunalverwaltungen, aber auch privaten Partnern wie beispielsweise Automobilherstellern, lassen neue „smarte“ Mobilitätskonzepte für den Bürger entstehen. Ein hinreichendes Netz von Ladestationen, eine adäquate Anzahl von nutzbaren Elektrofahrzeugen oder E-Bikes sind hierfür gerade im dicht besiedelten städtischen Bereich notwendig. Der vorliegende Beitrag illustriert vor diesem Hintergrund mögliche Ansätze einer stärkeren Implementierung von Elektromobilität im kommunalen Kontext. © pixabay 39 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Elektromobilität im Kontext deutscher Klimaschutz- und Energiepolitik Die Bundesregierung bezeichnet Elektromobilität als ein wichtiges klimapolitisches Instrument zur Realisierung der Energiewende. So wurde das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2020 eine Million und bis 2030 sechs Millionen Elektroautos auf die Straße zu bringen. Derzeit fällt deren Anteil am Verkehrsaufkommen nur gering aus. Vor diesem Hintergrund wurde das Thema Elektromobilität auch im Rahmen des für die Energiewende wegweisenden Energiekonzepts für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung als Handlungsfeld benannt. Im Jahr 2008 fand die Nationale Strategiekonferenz Elektromobilität statt, auf Basis derer im darauffolgenden Jahr der Nationale Entwicklungsplan Elektromobilität vorgestellt wurde. Dieser befasst sich mit einer gemeinsam von Wissenschaft, Industrie und Politik entwickelten Strategie von der Grundlagenforschung bis hin zur Markteinführung, um Deutschland letztlich als Leitmarkt für Elektromobilität zu etablieren (vgl. [1], Seite 4). Im Mai 2010 verpflichteten sich zudem die Bundesregierung und die deutsche Industrie in einer gemeinsamen Erklärung zur Etablierung einer Nationalen Plattform Elektromobilität [2]. Weitere Konkretisierung erfuhr das Projekt durch das 2011 beschlossene Regierungsprogramm, das sich bereits mit den ersten Schritten des bis 2017 avisierten Markthochlaufs befasst (vgl. [3], Seite 6). Neben dem ökologischen Potenzial der Elektromobilität für kommunale Umwelt- und Klimaschutzziele, vor allem durch Reduzierung von Schadstoff- und Lärmemissionen, ist an dieser Stelle auch auf die vielfach betonte ökonomische Dimension der Elektromobilität hinzuweisen: Die infolge von Innovationen neu entstehenden Wertschöpfungsketten können Arbeitsplätze generieren und zum Wirtschaftswachstum beitragen. Die Entwicklung der Elektromobilität in Deutschland soll sich in drei Phasen von der Marktvorbereitung über den Markthochlauf bis hin zum sich selbsttragenden Massenmarkt im Jahr 2020 vollziehen (vgl. Bild 1). Die Phase der Marktvorbereitung (2010 - 2014) stand zum einen im Zeichen Förderung von Forschung und Entwicklung in allen Bereichen der Wertschöpfungskette. Den Fokus bildeten hier die Bereiche Energiespeicher, Fahrzeugtechnik sowie System- und Netzintegration (vgl. [1], Seite 19 - 22). Korrespondierend dazu galt es auch in die Aus- und Weiterbildung der entsprechenden Fachkräfte zu investieren (vgl. [1], Seite 12). Zum anderen sollte die Phase der Marktvorbereitung dazu dienen, die politischen, regulatorischen, technischen und infrastrukturellen Voraussetzungen für die breite Einführung von Elektrofahrzeugen zu schaffen (vgl. [1], Seite 2). Um das ursprünglich gesetzte Ziel von einer Million Fahrzeuge bis 2020 dennoch zu erreichen, ist aus Sicht der Nationalen Plattform Elektromobilität eine Nachjustierung der Rahmenbedingungen erforderlich. Darüber hinaus liegen die Schwerpunkte in der seit zwei Jahren laufenden Phase des Markthochlaufs (2015 - 2017) auf dem Marktaufbau bei Schwerpunkt auf: • Forschung und Entwicklung • Ausbildung und Qualifizierung • Normung und Standardisierung 2014 2017 2020 Schwerpunkt auf: • Marktaufbau bei Elektrofahrzeugen • Passende Marktanreize • Bedarfsgerechte Ladeinfrastruktur Schwerpunkt auf: • Tragfähige Geschäftsmodelle • Integration erneuerbarer Energien 1. Marktvorbereitung 2. Markthochlauf 3. Massenmarkt Schaufensterprojekte Selbsttragender Markt Bild 1: Phasenmodell zur Entwicklung des Leitmarktes für Elektromobilität. Quelle: Nationale Plattform Elektromobilität (2016) [4]. 40 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Elektrofahrzeugen, auf der Entwicklung passender Marktanreize und nicht zuletzt auf dem Aufbau einer bedarfsgerechten Ladeinfrastruktur. Mit Abschluss des Markthochlaufs Ende 2017 sollen schließlich 500 000 Elektrofahrzeuge auf Deutschlands Straßen verkehren. Der Fokus dieser Phase liegt folglich auf der Entwicklung des Leitmarktes. Zur Unterstützung des Markthochlaufs der Elektromobilität kündigte die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag 2013 nutzerorientierte Anreize an (vgl. [5], Seite 44). Dies können steuerliche Vergünstigungen, beispielsweise die Befreiung von der KFZ-Steuer für Elektrofahrzeuge, sein. Im Juni 2015 folgten mit dem Gesetz zur Bevorrechtigung der Verwendung elektrisch betriebener Fahrzeuge auch rechtliche Maßnahmen, um die Marktanreize zu erhöhen. So eröffnet das Gesetz Möglichkeiten, Elektroautos durch Befreiung von Parkgebühren oder die Benutzung von Sonderspuren zu privilegieren (vgl. [6]). Chancen und Herausforderungen im kommunalen Kontext Viele Kommunen leiden derzeit unter einer strukturell angespannten Haushaltslage. Oftmals sind die Haushalte defizitär, die finanziellen Mittel sind vielfach selbst für die Erfüllung der kommunalen Pflichtausgaben nicht auskömmlich. Dennoch versuchen zahlreiche Städte die (finanzielle) Herausforderung Elektromobilität anzunehmen und das Themenfeld zu gestalten (vgl. [7], Seite 18). Eine Studie des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO), gefördert durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI, vormals BMVBS), aus dem Jahr 2012 untersuchte dabei die Motivation der Städte, sich, mithin auch finanziell, im Themenfeld Elektromobilität zu engagieren. Dabei konnten vier Hauptmotive identifiziert werden: Umwelt, Verkehr, Wirtschaft und Image. Die Motive Umwelt und Verkehr stehen dabei in einem engeren Zusammenhang, da insbesondere das hohe städtische Verkehrsaufkommen ein wesentlicher Grund für Umwelt- und Lärmbelästigung darstellt. Zudem wurden diese beiden Motive am häufigsten benannt. Aus der Umweltperspektive soll dabei mit Elektromobilitätsstrategien vor allem auf lokale Emissionsfreiheit, städtischen Klimaschutz und Lärmvermeidung rekurriert werden. Folglich soll damit ein Beitrag zum Umweltschutz, zum Gesundheitsschutz und zur Steigerung der Lebensqualität geleistet werden. Jedoch sehen die Städte hierin nur dann einen Erfolg, wenn Elektrofahrzeuge mit Strom aus erneuerbaren Energien versorgt werden (vgl. [7]). Bezogen auf das Motiv Verkehr geht es nicht nur um einen Austausch der Antriebstechnologie. Da, wie bereits genannt, ein hohes Verkehrsaufkommen in vielen Städten ein wesentliches Problem darstellt, soll im Zuge der Elektromobilität ein umweltverträgliches Mobilitätssystem entwickelt werden, welches einerseits das Verkehrsaufkommen reduzieren, andererseits aber eine gleichbleibend hohe Mobilität des einzelnen Bürgers ermöglichen soll. Dabei herrscht bei den befragten Experten die Meinung vor, dass Elektromobilität per se die Verkehrsprobleme nicht löse, sondern diese verstärkt genutzt werden müsse, um neue Mobilitätssysteme in Städten zu etablieren und das Mobilitätsverhalten der Bürger zu ändern (vgl. [7]). Wirtschaftliche Motive sehen vor allem Städte, die Standorte großer Automobilhersteller sind. Dabei wird insbesondere ein zukünftiges wirtschaftliches Potenzial der Elektromobilität gesehen und die betreffenden Städte wollen auch im Wettbewerb um die Standorte passender Unternehmen diesbezügliche Rahmenbedingungen schaffen. Daher wirken sie darauf hin, eine entsprechende Vorreiterrolle einzunehmen. Hieraus erhoffen sich Städte im Gegenzug, weitere Investitionen in bereits existierende Strukturen sowie regional möglichst viele zukunftsfähige Arbeitsplätze zu schaffen (vgl. [7], Seite 19). Schließlich bildet das Image ein wesentliches Motiv für Strategien zur Elektromobilität. Dabei geht es im Rahmen eines Wettbewerbs um Bürger, Unternehmen und Investitionen um ein positives Außenbild, welches hierfür als unabdinglich eingeschätzt wird. Kommunale Mobilitätskonzepte sind - auch bezogen auf die Integration von Elektromobilität - ein wesentlicher Bestandteil kommunaler Entwicklungsstrategien, insbesondere von integrierten Stadtentwicklungskonzepten oder Smart-City-Strategien (vgl. [8], Seite 34 ff. und Seite 38). (Elektro-) Mobilität kann dabei für städtische Entwicklungen nicht isoliert betrachtet werden, sondern ist immer auch eine Schnittmenge anderer Teilkonzepte beziehungsweise Fachplanungen. So erfordern zum Beispiel neue, innovative Produktionsprozesse oder Produktionsketten oder innovative, IKTbasierte Geschäftsmodelle aus dem Bereich Wirtschaft vielfach auch neue, intelligente Logistik- und damit Verkehrskonzepte. Dies gilt jedoch nicht nur für den Güterverkehr, sondern auch für die individuelle Mobilität. Denn nicht nur technische Abläufe und die Produktionsorganisation ändern sich (Stichwort Industrie- 4.0), sondern auch die Organisation der Arbeitswelt im Sinne von neuen Organisationsformen der Arbeit (Stichwort Telearbeit und damit zunehmende Aufhebung der strikten 41 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte räumlichen Trennung von Arbeit und Wohnen) und Lebensstilen. Zudem steigen die Einwohnerzahlen der Städte weltweit, der Trend der Verstädterung hält an. Mit der zunehmenden Bevölkerung steigt auch das Mobilitätsbedürfnis, was wiederum einen effizienten Verkehrsfluss von Gütern und Personen erfordert, auch mit Blick auf die nachhaltige Entwicklung von Wirtschaft und Wohlstand, folglich der sozioökonomischen Entwicklung (vgl. [10], Seite 70). Diese gesellschaftlichen Veränderungen führen wiederum zu spezifischen Herausforderungen der Organisation städtischer Strukturen; sie bedürfen beispielsweise neuer Mobilitätskonzepte, welche ebenfalls dazu beitragen sollen, Mobilität nachhaltig, emissionsarm und bezahlbar zu sichern [10]. Im Rahmen einer umweltgerechten und nachhaltigen Entwicklung stehen Städte und Gemeinden sowie deren lokale Akteure (Energieversorger, Wohnungsunternehmen, Verkehrsbetriebe) vor großen Herausforderungen. Denn um den gewünschten Entwicklungen gerecht zu werden, bedarf es eines - mitunter grundlegenden - Wandels städtischer Strukturen und Organisationsformen. Bezogen auf den Teilbereich Mobilität muss diese zur Umsetzung der benannten umweltgerechten und nachhaltigen Entwicklung verstärkt in alle relevanten städtischen Systeme integriert werden. Dabei eignen sich hier auch besonders Konzepte der Elektromobilität, da diese „(…) nicht das Bedürfnis des Menschen nach individueller und motorbetriebener Mobilität in Frage [stellen], sondern (…) vielmehr die einmalige Chance [bieten], die Art und Weise, wie sich Menschen individuell und motorisiert fortbewegen, zu ändern und zudem die bereits bestehende klassische (leitungsgebundene) Elektromobilität im öffentlichen Verkehr zu ergänzen. Der urbane Raum stellt somit einen idealen Anwendungsfall für die elektromobile Fortbewegung dar, da hier standardmäßig ein hoher Mobilitätsbedarf mit geringen Fahrtdistanzen korreliert“ ([9], Seite 6). Demnach erfordern intelligente Mobilitätsstrategien keine isolierte Betrachtung, sondern eine vernetzte und systemische Perspektive unterschiedlicher Technologiefelder (Bild 2). Folglich können heutige Nachteile der Elektromobilität - Reichweite, Preis oder Verfügbarkeit - mit dieser intelligenten Vernetzung aufgehoben werden (Bild-2) [9]. Zur Umsetzung entsprechender Konzepte sind neben der Entwicklung entsprechender Teillösungen deren Integration und folglich die Kooperation der entsprechenden relevanten Akteure erforderlich. Grundsätzlich lassen sich die relevanten Handlungsfelder einer Elektromobilitätsstrategie thematisch zwei Hauptbereichen zuordnen: wirtschaftlich-technologieorientierte Handlungsfelder und anwendungsorientierte Handlungsfelder. In erstgenanntem geht es dabei im Wesentlichen um Themen wie Technologien, Produkte und Dienstleistungen, in zweitgenanntem um die Themen Verkehr und Mobilität. Hinzu kommen thematisch-konzeptionelle Querschnittsthemen. Diese umfassen besonders die Themen Bildung und Forschung sowie Koordination und Kommunikation. Ausblick Im Bereich Verkehr und Mobilität können Kommunen und deren Unternehmen vor allem im Handlungsfeld Personenverkehr mit eigenen Initiati- Bild 2: Vernetzung unterschiedlicher Technologie- und Handlungsfelder als Kernherausforderung für zukünftige urbane Mobilität. Quelle: Roadmap - Elektromobile Stadt, Fraunhofer IAO 2011, Seite 6 [9]. 42 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte ven aktiv an der Einführung der Elektromobilität mitwirken. Beispielhaft können hier Kommunen Elektrofahrzeuge als kommunale Fahrzeuge und bei den Flotten einsetzen, Verkehrsunternehmen im ÖPNV. Zudem wäre hier eine Integration von Sharing-Angeboten denkbar. Bezogen auf kommunale Fahrzeuge und Flotten betrifft dies vor allem Dienstfahrzeuge städtischer Einrichtungen und Unternehmen. Gegenwärtig ist dort der Anteil von Elektrofahrzeugen noch sehr gering (vgl. [7], Seite 22). Dabei ist für eine Integration von Elektrofahrzeugen in Flotten bzw. Fuhrparke das Anforderungsprofil an diese relevant: je nach Verwendung können verschiedene Arten wie Kombis, PKW oder Pedelecs verwendet werden (vgl. [11], Seite 22). Elektromobilität kann nur dann gesamtgesellschaftlich die mit ihr verbundenen Umwelt- und Klimaschutzziele erreichen, wenn der Strom aus erneuerbaren Energiequellen stammt. Folglich ist eine umweltpolitische Einordnung der Elektromobilität unabdingbar. Hier wären Fragen zur Regulierung des Ladestroms beispielsweise im Sinne eines Mindestanteils erneuerbaren Stroms oder auch die Diskussion über Strategien und Maßnahmen zur Erhöhung des Anteils von Elektrofahrzeugen insgesamt erforderlich. Auch eine realistische Bedarfsermittlung für erforderliche Ladestationen (Anzahl und Dichte) ist hier relevant. So wäre derzeit infolge der geringen Reichweiten und des relativ langen Ladevorgangs ein dichteres Netz erforderlich. Jedoch zeigen aktuelle Entwicklungen in der Batterie- und Ladetechnik, dass hier deutlich kürzere Ladezeiten unter 15-min und Reichweiten von über 300-km mit einer Batterieladung möglich sind. Zudem besteht bezogen auf Carsharing-Konzepte weiterer Handlungsbedarf. Einerseits besteht tendenziell die Gefahr, dass durch Sharing-Angebote eine Verlagerung von Fuß- und Radverkehr hin zum Automobil stattfinden könnte, welche dann einerseits das Verkehrsaufkommen erhöhen, andererseits den ÖPNV und Umweltverbund schaden könnten. Aber auch im positiven Sinne stellt sich hier die Frage, wie die gemeinschaftliche Mobilität durch die Kommunen gefördert werden könnte. Dabei sind verschiedene Maßnahmen, wie die kostenfreie Benutzung von Parkraum oder die Nutzung von Busspuren, denkbar - jedoch fehlen hierfür eine einheitliche Kennzeichnung von Elektrofahrzeugen oder straßenverkehrsrechtliche Regelungen zur Verhinderung oder Sanktion von Fehlnutzungen von Parkplätzen. LITERATUR [1] Bundesregierung: Nationaler Entwicklungsplan Elektromobilität der Bundesregierung, 2009. [2] Bundesregierung: Etablierung der Nationalen Plattform Elektromobilität am 3. Mai 2010, Gemeinsame Erklärung von Bundesregierung und deutscher Industrie, 2010. [3] Bundesregierung: Regierungsprogramm Elektromobilität, 2011. [4] Nationale Plattform Elektromobilität (NPE): Wegweiser Elektromobilität, Handlungsempfehlungen der Nationalen Plattform Elektromobilität, 2016. [5] Bundesregierung: Deutschlands Zukunft gestalten, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode, 2013. [6] Elektromobilitätsgesetz vom 5. Juni 2015 (BGBl. I S. 898) [7] Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) (Hrsg.): Strategien von Städten zur Elektromobilität, Städte als Katalysatoren auf dem Weg zur Mobilität der Zukunft, 2012. [8] Grüttner, A., Rottmann, O.: Smart Cities - Handlungsfelder und Konzepte, Eine deskriptive Studie zum aktuellen Diskussionsstand; Studie zum 9. Mitteldeutschen Energiegespräch, 2016. [9] Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) (Hrsg.): Roadmap - Elektromobile Stadt, Meilensteine auf dem Weg zur nachhaltigen urbanen Mobilität, 2011. [10] Bundesdeutscher Arbeitskreis für Umweltbewusstes Management (B.A.U.M.) e. V. (Hrsg.): Intelligent Cities, Wege zu einer nachhaltigen, effizienten und lebenswerten Stadt, 2013. [11] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) (Hrsg.): Elektromobilität in der Stadt- und Verkehrsplanung, Praxiserfahrungen aus den Modellregionen und weitere Wissensbedarfe, 2014. Dr. Oliver Rottmann Geschäftsführender Vorstand des Kompetenzzentrums Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e. V. an der Universität Leipzig Kontakt: rottmann@wifa.uni-leipzig.de Dipl.-Geogr./ Dipl.-Ing. André Grüttner Vorstandsmitglied im Kompetenzzentrums Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e. V. an der Universität Leipzig Kontakt: gruettner@wifa.uni-leipzig.de AUTOREN 43 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Das Ruhrgebiet ist mit rund 5,1 Mio. Einwohnern einer der größten städtischen Verdichtungsräume Europas. Die Kernzone der polyzentrischen Städtelandschaft bilden die 11 kreisfreien Orte Bochum, Bottrop, Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Hagen, Hamm, Herne, Mülheim an der Ruhr und Oberhausen (2100 Einwohnern pro Quadrat- Wärmewende in den Städten des Ruhrgebietes Wie Stadtwerke die Sektoren Strom, Wärme und Gas verbinden können Nah- und Fernwärme-Netze, dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung, Energieträgersubstitution, Lastoptimierung, Power to Gas, Power to Heat Kurt Berlo, Oliver Wagner Für die Energiewende im Ruhrgebiet muss eine umfassende Strategie einer Wärmewende verfolgt werden. Wichtige Treiber dafür sind die Stadtwerke mit ihren Nah- und Fernwärmenetzen. Doch im Wärmemarkt sind die bisherigen Transformationserfolge gering. Während erneuerbare Energien mittlerweile einen Anteil von über 30 % im Stromsektor haben, spielen sie im Wärmebereich mit lediglich rund 10 % eine bescheidene Rolle. Die erforderliche Wärmewende ist gekennzeichnet durch eine ausgeprägte Wechselwirkung zwischen den Sektoren Strom, Wärme, Gas und Mobilität (Sektorenkopplung). kilometer). Weitere 42 Städte und Gemeinden befinden sich in den Kreisen Recklinghausen, Unna, Wesel und im Ennepe-Ruhr-Kreis. Als ehemals wichtiger Standort der Steinkohleförderung und Schwerindustrie verfügt das Ruhrgebiet auch heute noch über zahlreiche kohlebefeuerte Kraftwerke. Deshalb steht die Region im Zuge der Energiewende © pixabay 44 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte vor großen Herausforderungen und wird bei der Erzeugung von Strom sowie der Bereitstellung von Raumwärme einen tiefgreifenden Strukturwandel erfahren. Um dabei den Klimaschutzzielen gerecht zu werden, ist eine umfassende Strategie einer Wärmewende erforderlich. Spätestens seit der 2015 stattgefundenen Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen in Paris hat die Wärmewende einen neuen Stellenwert in der Politik. Denn der zentrale Treiber des Endenergiebedarfs in Deutschland ist die Wärmenachfrage in Form von Raumwärme (29,2 %), Warmwasser (5,5 %) und Prozesswärme (21,1 %). Wie das Wuppertal Institut in der Studie „Energiewende Ruhr“ darstellt, sind die Stadtwerke (die in jeder zweiten Stadt des Ruhrgebietes vorhanden sind) mit ihren Strom- und Gasverteilnetzen, ihren Vertriebsaktivitäten bei Strom, Gas und Fernwärme, ihrem Know-how beim Betrieb von verbrauchsnahen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen sowie ihren Angeboten von ökoeffizienten Energiedienstleistungen wichtige Akteure der Energie- und Wärmewende im Ruhrgebiet [1]. Gleichwohl sind die klimaschutzmotivierten Transformationserfolge im Wärmemarkt bislang gering. Während erneuerbare Energien mittlerweile einen Anteil von über 30 % im Stromsektor haben, spielen sie im Wärmebereich mit lediglich rund 10 % eine bescheidene Rolle. Man kann davon ausgehen, dass aufgrund der enormen Kostendegression der letzten 20 Jahre auch künftig mit steigenden Anteilen der erneuerbaren Energien im Strommarkt zu rechnen ist. Dies wird auch Auswirkungen auf den Wärme- und Mobilitätsmarkt haben, da der Energieträger Strom dort andere Energieträger verdrängen wird. Die aus Klimaschutzgründen erforderliche Wärmewende wird daher auch im Ruhrgebiet durch eine ausgeprägte Wechselwirkung zwischen den Sektoren Strom, Wärme, Gas und Mobilität (Sektorenkopplung) gekennzeichnet sein. Die Vielfalt neuer technologischer Optionen führt dabei auch zu einer Diversifizierung der netzgebundenen Wärmeversorgung. Hier ist es in Zukunft eine besondere Herausforderung, die bestehenden Nah- und Fernwärmenetze im Ruhrgebiet auf klimafreundliche Energieträger umzurüsten. Künftig verändert sich dabei auch die Rolle des direkten und indirekten Einsatzes von Strom aus erneuerbaren Energien. Das folgende Bild 2 verdeutlicht diese Zusammenhänge und zeigt die systemischen Verzahnungen der einzelnen infrastrukturellen Bausteine einer Wärmewende. Dabei werden auch die Schnittstellen zwischen Wärme- und Stromsystem deutlich. Angesichts dieser systemischen Interdependenzen sind die im Ruhrgebiet tätigen Stadtwerke mit ihren komparativen Vorteilen, ihren Kenntnissen der örtlichen Gegebenheiten, ihrer jahrzehntelangen Erfahrung, ihrem versorgungstechnischen Know-how und ihrer ausgewiesenen Problemlösungskompetenz [2] geradezu prädestiniert, die künftigen Herausforderungen der Wärmewende zu meistern. Die integralen und systemübergreifenden Elemente einer Wärmewende im Ruhrgebiet sind vor allem verortet bei der Kraft-Wärme-Kopplung (wobei Klein-, Mini- und Mikro-KWK an Bedeutung gewinnen), den Energieträgersubstitutionen und Lastoptimierungen durch Nutzbarmachung und Speicherung von überschüssigem Wind- und Solarstrom mittels Power to Gas, der elektrischen Wärmebereitstellung / Power to Heat (vor allem von überschüssigem Wind- und Solarstrom) zu Zwecken des Lastmanagements durch Elektro-Wärmepumpen, Widerstandsheizungen im Rahmen von Nah- und Fernwärmeversorgungen sowie der Flexibilisierung durch Steuerung der Stromerzeugung (zunehmende Bedeutung der KWK- Regelenergie) bzw. Steuerung der Lasten (lastabhängiger Betrieb von Wärmepumpen). Darüber hinaus sind nachfrageseitige Maßnahmen zur Reduzierung des Wärmebedarfs (wie beispielsweise energetische Sanierungen im Gebäudebestand) ein weiterer bedeutender Faktor der Wärmewende, der hier aber nicht vertiefend dargestellt wird. Im Effizienzbereich gilt aber genau wie im Stromsektor, dass die Reduzierung des Bedarfs, also das Einsparen von Energie, zu einer Reduzierung des Anteils fossiler Energieträger (und damit zu Umweltentlastungen) führt und wirtschaftlich positive Effekte auslöst. Das in Bild 2 dargestellte Versorgungssystem einer Wärmewende im Ruhrgebiet ist durch folgende infrastrukturelle Bausteine gekennzeichnet: In Wärme-Sammelspeichern werden die Potenziale unterschiedlicher Quellen (fossiler und erneuerbarer Herkunft) zusammengeführt; Bild 1: Städtelandschaft im Ruhrgebiet Quelle: Wikimedia Commons, Threedots (Daniel Ullrich), CC-BY- SA-3.0 (http: / / creativecommons. org/ licenses/ bysa/ 3.0/ ) 45 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Heizwärme wird den zu versorgenden Objekten mittels vorhandener und neuverlegter Rohrverteilungsnetze zugeliefert; Energiemengen aus erneuerbaren Energien (Wind- und Photovoltaik-Strom, Solarthermie, oberflächennahe und Tiefen-Geothermie sowie Biomasse) werden zunehmend auch für Fernwärmeversorgungen zur Verfügung gestellt; im Ruhrgebiet können auch Grubenentwässerungsanlagen (ggf. in Kombination mit Wärmepumpen) sowie Grubengasvorkommen für Raumwärmezwecke genutzt werden; energetische Biomassenutzungen werden durch Kraft-Wärme-Kopplungs-Prozesse optimiert (sei es durch Einsatz von Biogas oder durch Verbrennung fester Biomasse); konventionelle Heizkraftwerke werden zunehmend auf Gasbasis betrieben, wobei der Anteil des Bio- und synthetischen Erdgases stetig ansteigen wird; reine Heizwerke und steinkohlebefeuerte HKW werden in absehbarer Zukunft ganz außer Betrieb gesetzt; Nutzung industrieller Abwärme bleibt wichtiger Bestandteil der regionalen Wärmewende; Müllheizkraftwerke bleiben mit ihrem biogenen Anteil im Abfallaufkommen im letzten Glied einer Kaskadennutzung (mit Bevorzugung von stofflichen Wiederverwertungs- und Abfallvermeidungsstrategien) sinnvoller Bestandteil der Wärmewende im Ruhrgebiet; Ausbau von „Low-Ex“, d.h. von Heiz- und Kühlsystemen, die so ausgelegt sind, dass sie mit Energiequellen auf einem niedrigen Energieniveau versorgt werden können, um Abwärme sowie erneuerbare Energien besser integrieren zu können und Netzverluste zu reduzieren. Sektorenkopplung zwischen Strom und Wärme Aufgrund der schwankenden Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien gibt es in Deutschland an sonnen- und windreichen Tagen immer häufiger überschüssige Windund/ oder Solarstrommengen, die derzeit nicht genutzt werden können. Als wichtiger Bestandteil der Wärmewende kann dieser Strom Bild 2: Systemaspekte der Wärmewende. © Wuppertal Institut, Vislab 2015 46 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte entweder gespeichert oder dort verwendet werden, wo es sich bisher aus Kostengründen nicht lohnte. „In erster Linie kommt hier der Wärmesektor infrage. Denn dort werden sehr große Energiemengen benötigt und Wärmespeicher sind, bezogen auf den Energiegehalt, um etwa einen Faktor 50 billiger als Stromspeicher“ [3]. Die zunehmenden Wechselwirkungen im Energiesystem erhöhen den Komplexitätsgrad des Transformationsprozesses und erfordern ein hohes Maß an interkommunaler Kooperation und interdisziplinärer Kompetenz [4]. Dafür haben die im Ruhrgebiet tätigen Stadtwerke gute Voraussetzungen, um die damit verbundenen Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen. Die vorhandene leitungsgebundene Wärmenetzstruktur kann genutzt und weiter ausgebaut werden, um die verschiedenen aufgezeigten Systemelemente zu integrieren. Nah- und Fernwärme im Ruhrgebiet Der Ballungsraum Ruhrgebiet wird bereits seit 40 Jahren mit Fernwärme versorgt. „Allerdings nicht über ein einziges, großes Fernwärmenetz, sondern über 25 Inselnetze. Insgesamt verfügt NRW mit 4300 km Wärmeleitungen und mehr als 90 000 Hausstationen über die dichteste und leistungsfähigste Nah- und Fernwärme-Infrastruktur in Europa. Die darin transportierte Wärme wird zu rund 80 % durch KWK erzeugt“ [5]. Das Klimaschutzgesetz von Nordrhein- Westfalen sieht vor, dass die Emissionsminderungspotenziale neben der Effizienzsteigerung und dem Ausbau der Stromerzeugung auf Basis erneuerbarer Energien auch durch den Ausbau von Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) und Fernwärme erschlossen werden. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Ruhrgebiet mit seiner existierenden Fernwärmeversorgung. Eine Fernwärme-Machbarkeitsstudie für das Ruhrgebiet [6] belegt, dass die Fernwärme dann eine nachhaltige Zukunft hat, wenn vor allem emissionsarme Abwärmepotenziale durch konsequente Vernetzung erschlossen und die Fernwärmenetze ausgebaut werden. Durch die Errichtung von Wärmespeichern könnte das Gesamtsystem flexibler und weniger anfällig bei Ausfall einzelner Wärmeeinspeiser werden. Der Neubau von KWK-Anlagen kann nach Einschätzung der Aachener Experten zukünftig notwendig werden, um die „Einspeisung industrieller Abwärme abzusichern und um bestehende Anlagen nach dem Ende ihrer Lebensdauer zu ersetzen“ [5]. Wichtige Pionierarbeiten für den Ausbau der Fernwärme im Ruhrgebiet wurden von einem Stadtwerk am Niederrhein geleistet. Bereits seit fast fünf Dekaden betreiben dort die Stadtwerke Dinslaken eine Fernwärmeversorgung. Anfangs wurde die Fernwärme ausschließlich auf Basis von Kraftwerks- und Industrieabwärme bereitgestellt. Mit dieser Konfiguration konnten die Stadtwerke Dinslaken schon vor über 40 Jahren im Vergleich zu herkömmlichen städtischen Beheizungsstrukturen eine deutlich bessere Umwelt- und CO 2 -Bilanz aufweisen. Inzwischen basiert die Fernwärmeschiene Niederrhein auf einer Vielzahl von Wärmequellen, die zu einem großen Anteil erneuerbare Energien (Biomethan und Holzhackschnitzel) und größere Wärmespeicher einbeziehen. Wegen dieser vorausschauenden Versorgungsstrategie sind die Stadtwerke Dinslaken ein wichtiger Pionier der Wärmewende im Ruhrgebiet. Allein in Dinslaken werden heute über 60 % der Gebäude, darunter alle öffentlichen Gebäude, mit umweltschonender Fernwärme versorgt. Die Fernwärmeschiene Niederrhein, die heute als Kooperationsprojekt der Stadtwerke Dinslaken und Duisburg betrieben wird, hat inzwischen eine Länge von rund 37 km und versorgt in den Städten Voerde, Dinslaken, Duisburg und Moers zahlreiche Wohnungen, öffentliche Gebäude sowie Handel und Gewerbe. Die Fernwärme wird mit einer Gesamtleistung von 550 MW bereitgestellt. Der Anteil der Wärme aus regenerativer Kraft-Wärme-Kopplung beträgt 14,2 %, aus BHKW-Anlagen 5,5 %, Wärme aus fossiler Kraft- Wärme-Kopplung hat einen Anteil von 49,9 %, industrielle Abwärme ist mit 29,6 % und Frischwärme mit 0,8 % beteiligt. Insgesamt wurde so im Jahr 2013 eine Wärmemenge von 878 GWhth in die Fernwärmeleitungen geliefert [7]. Damit unterscheidet sich die Wärmeerzeugungsbasis der Fernwärmeversorgung am Niederrhein deutlich vom Bundesdurchschnitt, der noch zu 91 % auf fossilen Energieträgern basiert [8]. Auch die Zukunft der Fernwärmeversorgung Niederrhein schätzen Experten optimistisch ein. Eine Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die dortige Fernwärme auch bei zurückgehender Wärmeeinspeisung aus der Industrie und bei schrumpfenden Bevölkerungszahlen sowie dem damit verbundenen Sinken der Nachfrage wirtschaftlich betrieben werden kann. Dabei erweise sich die Fernwärmeschiene hydraulisch so flexibel, dass sie durch eine Strukturoptimierung, z.B. durch die Errichtung und Zuschaltung neuer Biomasseheizkraftwerke, an zukünftige Bedingungen angepasst und wirtschaftlich betrieben werden kann [9]. Fazit und Ausblick Es ist deutlich geworden, dass die Wärmewende im Ruhrgebiet aufgrund der bestehenden Strukturen 47 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte viele Chancen und technische Lösungsmöglichkeiten bietet. Stadtwerke sind dabei wichtige Schlüsselakteure. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass gerade „in Bestandsquartieren mit heterogenen Bau- und Eigentümerstrukturen die quartiersbezogenen Umbauprozesse aufgrund der Vielzahl der beteiligten Akteure langwierig und mit erheblichem Koordinierungsaufwand verbunden sind“ [10]. Bei den hier dargestellten Entwicklungschancen muss allerdings auch darauf hingewiesen werden, dass der aktuelle Ordnungsrahmen nicht geeignet ist, die im Sinne der Energiewende sinnvolle Sektorenkopplung zu befördern. Vielmehr führen die derzeitigen Bedingungen dazu, dass selbst netzdienliche Maßnahmen wie Power-to-Heat nicht wirtschaftlich darstellbar sind. Denn auch in Zeiten starker erneuerbarer Strom-Überkapazitäten - sogar bei negativen Spotmarktpreisen - fallen Netzentgelte und Abgaben für den Betrieb solcher Anlagen an, obwohl es sich hierbei um systemdienliche Maßnahmen handelt. Um die sich aus der Sektorenkopplung ergebenden Chancen besser nutzen und systemrelevante Dienstleistungen entwickeln zu können, bedarf es umfassender Anpassungen durch den Gesetzgeber. Insbesondere der Verdichtungsraum Ruhrgebiet mit seiner polyzentrischen Struktur und seiner gut ausgebauten Wärmeinfrastruktur könnte davon profitieren. Voraussetzung ist allerdings, dass für Nah- und Fernwärmeakteure wie Stadtwerke klare und verlässliche Investitionssignale gegeben werden, mit denen das Ruhrgebiet eine zentrale Funktion als Systemdienstleistungsregion im Sinne der Wärmewende einnehmen und einen erfolgreichen Strukturwandel im Energiebereich vollziehen kann. LITERATUR [1] Wuppertal Institut: Die Energiewende regional gestalten - Auf dem Weg zu einer Energiewende-Roadmap im Ruhrgebiet, 2017. Online verfügbar unter: https: / / cloud.wupperinst.org/ f/ 81816b07aa/ ? raw=1 [2] Berlo, K., Wagner, O.: Stadtwerke-Neugründungen und Rekommunalisierungen - Energieversorgung in kommunaler Verantwortung; eine Studie des Wuppertal Instituts, 2013. Online verfügbar unter: https: / / wupperinst.org / uploads/ t x _wupperinst/ Stadtwerke_Sondierungsstudie.pdf [3] Pehnt, M., Nast, M.: Wärmewende 2017 - Impulse für eine klimafreundliche Wärmeversorgung, 2016, S. 14. 4] Fischedick, M.: Die Rolle der Wärme im Energiesystem: Systemaspekte. In: FVEE • Themen 2015, 2016, S. 14 - 18. [5] EnergieAgentur.NRW: Machbarkeitsstudie Fernwärme im Ruhrgebiet - Für Energieeffizienz und Klimaschutz, 2014. Online verfügbar unter: https: / / broschueren.nordrheinwestfalendirek t.de/ bro schuerenservice/ energieagentur/ machbarkeitsstudie-fernwaerme-im-ruhrgebiet/ 1662 [6] BET (Büro für Energiewirtschaft und technische Planung GmbH, Aachen): Perspektiven der Fernwärme im Ruhrgebiet bis 2050, 2013. Online verfügbar unter: http: / / www.bet-aachen.de/ fileadmin/ redaktion/ PDF/ Studien_und_Gutachten/ Entwicklung _von_ Fernwaermeperspektiven_ im_ Ruhrgebiet_bis_2050_final.pdf [7] Döking, T.: Folienpräsentation zum Thema „Fernwärmeschiene Niederrhein“ auf der Zwischenkonferenz des Projektes „Energiewende Ruhr - Auf dem Weg zu einer Energiewende-Roadmap für das Ruhrgebiet“ am 17.06.2015 in Oberhausen, 2015. Online verfügbar unter: http: / / www.energiewende-ruhr. de/ fileadmin/ dokumente/ Downloads/ Vortraege/ Vortraege_ Zwischenkonferenz/ Session_II/ Session_ II_Doeking_b.pdf [8] Schulz, W.: Dekarbonisierung der Fernwärme; Folienvortrag der Berliner Energietage 2016. Online verfügbar unter: https: / / www.agora-energiewende. de/ fileadmin/ Projekte/ 2015/ Sektorkopplung/ 05_ Schulz_Praesentation_BET_13042016.pdf [9] Richter, S., Manderfeld, M.: Langfristkonzept für die Energieversorgung - Strukturoptimierung der Fernwärmeschiene Niederrhein, in: EUROHeat&Power, 9 (2007). Online verfügbar unter: http: / / www.gef. de/ fileadmin/ Dateien/ Publikationen/ Strukturoptimierung_der_FW-Schiene_Niederrhein.pdf [10] Deutsches Institut für Urbanistik gGmbH (Difu): Wärmewende: Mit Hemmnissen bei der Umsetzung umgehen, 2017. Online: https: / / difu.de/ publikationen/ difu-berichte-12017/ waermewende-mit-hemmnissen-bei-der-umsetzung-umgehen-lernen.html Dr.-Ing. Kurt Berlo Projektleiter Wuppertal Institut Kontakt: kurt.berlo@wupperinst.org Dipl.-Soz.Wiss. Oliver Wagner Wuppertal Institut Kontakt: oliver.wagner@wupperinst.org AUTOREN 48 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Die Technologie der KWKK ermöglicht eine gekoppelte Bereitstellung von elektrischem Strom, Wärme und Kälte aus fossilen oder erneuerbaren Brennstoffen. Die benötigte Kälte wird dabei aus der Abwärme der Kraft-Wärme-Kopplungsanlage (KWK-Anlage) erzeugt, indem thermisch betriebene Kältemaschinen (TKM) eingesetzt werden. KWKK stellt eine zukunftsweisende und hocheffiziente Klimaschutztechnologie dar, der es in Deutschland bislang trotz ihrer Vorteile an einer umfassenden Marktdurchdringung fehlt. Die energiepolitischen Entwicklungen der vergangenen Jahre verdeutlichen die Notwendigkeit einer verstärkten Nutzung der KWK(K): Der Ausstieg aus der Kernenergie und der damit verbundene Wegfall gesicherter Kraftwerksleistung im Grundlastbereich fordern den Aufbau neuer Kapazitäten im Energiesektor. Der KWK-Anteil an der deutschen Stromerzeugung liegt derzeit bei rund 18 %. Die europäischen Nachbarländer Dänemark und die Niederlande weisen traditionell eine wesentlich höhere KWK-Quote auf als die Bundesrepublik Deutschland. Eine hohe KWK-Quote bildet die Voraussetzung für eine intensive Anwendung der KWKK. Die Kälteerzeugung durch KWKK kann mit Sorptionsverfahren (Ab- oder Adsorption) bzw. thermomechanischen Verfahren erfolgen (Bild 1). Der Einsatz von thermisch betriebenen Kältemaschinen ist grundsätzlich sinnvoll und wirtschaftlich, wenn am Ort des Kältebedarfs Wärme oder Abwärme kostengünstig zur Verfügung stehen. Im Gegensatz zur weit verbreiteten Kälteerzeugung mithilfe elektrischen Stroms in Kompressionskältemaschinen handelt es sich beim KWKK-Verfahren um eine nachhaltige und ressourcenschonende Kältegewinnung. Zudem liefern KWKK-Systeme nachhaltig planbare Kraftwerksleistung und können zur Deckung der elektrischen Residuallast (Restnachfrage an regelbaren Kraftwerken) herangezogen werden. Sie dienen damit als regelbare Ergänzung zur Integration der fluktuierenden Erneuerbaren Energien Wind- und Solarenergie in den deutschen Kraftwerkspark. Die Vorteile wirken sich auch positiv auf die Stabilisierung der elektrischen Stromnetze aus. Sozial- und umweltpolitische Aspekte ergänzen die technischen Vorteile. KWK bzw. KWKK ermöglichen Wohnungsbaugesellschaften und Gebäudeeigentümern eine effizientere Energieversorgung ihres Gebäudebestandes. Effizienzpotenziale können somit in bestimmten Fällen mit geringeren Investitionen umgesetzt werden als bei einer energetischen Sanierung der Bestandsbauten. Sehr rentabel sind derzeit Anwendungen, bei denen ein dauerhafter Wärme- und Kältebedarf Kraft-Wärme- Kälte-Kopplung: Eine Option für Kommunen Forschungsprojekt TriMa (Trigeneration Market) zur Förderung der Marktdurchdringung in urbanen Gebieten als Beitrag zur Energiewende Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung, Kommunale Energieversorgung, Nachhaltige Kälte- und Wärmeversorgung Birgit Eitel, Erich Maurer, Dimitar Ivanov Das Ziel des Vorhabens Trima (Trigeneration Market) besteht im verstärkten Einsatz der KWKK- Technologie zur Reduzierung des hohen Stromverbrauchs in der Kältebereitstellung, der derzeit vor allem durch Kompressionskälteanlagen verursacht wird. Durch die Substitution des Strombedarfs der Kompressionskälteanlagen durch KWKK verbleiben unter anderem mehr Stromerzeugungskapazitäten von planbarer und flexibel einsetzbarer elektrischer Energie. Bild 1: Kälteerzeuung durch BHKW- Abwärme. © AGO AG Energie + Anlagen 49 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte vorliegt und ein Unternehmen hohe Strompreise für den Netzbezug entrichten muss (Bild 2). Diese Anwendungsfälle sind auch unabhängig von den schwankenden gesetzlichen Rahmenbedingungen für die KWK zu betrachten. Das Forschungsprojekt „Trima“ Das Forschungsprojekt „Die Förderung der Marktdurchdringung der Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung in urbanen Gebieten als Beitrag zur Energiewende - TriMa (Trigeneration Market)“ ist ein Projekt der Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm und der Projektpartner Energieagentur Nordbayern GmbH, das einen Beitrag zur Energiewende leistet. Die englische Bezeichnung „Trigeneration“ (Combined Cooling, Heat and Power; CCHP) für den deutschen Begriff „KWKK“ bildet zusammen mit der integrierten Marktanalyse die Projektbezeichnung „Trigeneration Market“ (TriMa). Das TriMa-Forschungsprojekt analysiert die bestehenden technischen, ökonomischen und sonstigen Hemmnisse für eine Marktdurchdringung in Deutschland und entwickelt darauf aufbauend Strategien für den Einsatz der energieeffizienten und umweltfreundlichen KWKK-Technologie. Schwerpunkt des Projekts: Kommunen Kommunen sind wichtige Akteure im Rahmen der Energiewende. Sie können durch verschiedene Stellschrauben die Energieversorgung vor Ort steuern. Trima betrachtet Kommunen verschiedener Größenordnungen und energetischer Ausrichtung. Dabei wird zwischen Kommunen mit und ohne zentrale Fernwärmeinfrastruktur unterschieden. Kommunen eignen sich für eine Untersuchung in nahezu idealer Weise, da sie sowohl von der Erzeugungsseite (Kommunale Energieversorger) als auch von der Verbrauchsseite (Kommunale Gebäude und Einrichtungen) viele Anwendungsgebiete für Strom, Wärme und Kälte aus KWK bzw. KWKK aufweisen. Diese Anwendungsbereiche sind zum Beispiel: Kommunale Krankenhäuser Kommunale Schwimmbäder Eigene Rechenzentren Verwaltungsgebäude Kommunale Kläranlagen Weitere Anwendungsbereiche weisen derzeit noch keinen hohen Kältebedarf auf und sind daher beim Strom- und Wärmebedarf aktuell in erster Linie nur für eine KWK-Nutzung im Fokus: Schulgebäude Neubaugebiete Des Weiteren sind die Kommunen an einer Vielzahl von Unternehmen mehrheitlich beteiligt, womit ein direkter oder indirekter Einfluss auf deren Energieversorgung ermöglicht wird. Hier sind für die KWKK interessante Akteure zu nennen: Kommunale Versorgungsbetriebe Kommunale Wohnungsbaugesellschaften Infrastrukturbereich: Krankenhäuser, Bibliotheken, Messegesellschaften, Güterverkehrszentren, Flughäfen, etc. Neben diesen konkreten Beispielen der kommunalen Kältenutzung liegt eine zentrale Steuerungsoption bei den Kunden der kommunal getragenen zentralen und dezentralen Fernwärme. Die bisherigen Fernwärmekunden können für eine Kältenutzung („Fernkälte“ aus KWKK) angesprochen werden. Dies gilt grundsätzlich für alle Kundengruppen (Private Haushalte, Industrieunternehmen, Handwerksbetriebe, öffentliche Einrichtungen, etc.). Eine Option besteht in der verstärkten Nutzung der KWKK auf Basis kommunal getragener Fernwärmenetze. Die bestehenden Fernwärmenetze können eine zentrale oder dezentrale Struktur aufweisen. Die Anwendungsfelder für die Kältebereitstellung aus KWKK liegen in den Bereichen mit hohem Kältebedarf: Einrichtungen des Gesundheitswesens (Krankenhäuser, Behandlungszentren) Einrichtungen des Bildungssektors (Forschungs- und Veranstaltungsgebäude) Kommunale Wohnungswirtschaft Die effiziente Erzeugung von Strom, Wärme und Kälte in KWKK kann eine Stärkung der Ressourceneffizienz herbeiführen. Dies kann in wirtschaftlicher Hinsicht wegen geringerer Energiekosten zu einer Entlastung der kommunalen Haushalte beitragen. Um eine umfassende Analyse zu gewährleisten, werden Kommunen verschiedener Größe (Mittel- und Großstädte) sowie mit zentraler und dezentraler Fernwärmeversorgung (FW) in die Untersuchung mit einbezogen. Bild 2: Vorderansicht der Energiezentrale in einer Molkerei. © AGO AG Energie + Anlagen 50 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Aktuell gibt es in Deutschland ungefähr 80 Großstädte mit mehr als 100 000 Einwohnern. Diese haben in der überwiegenden Mehrzahl ein zentrales Fernwärmesystem. Im Bereich der Mittelstädte mit 20 000 bis 100 000 Einwohnern existieren in Deutschland etwa 590 Kommunen. Von diesen Mittelstädten besitzen deutlich weniger Kommunen ein zentrales Fernwärmenetz. Folgende Städte werden im Rahmen der KWKK- Nutzung genauer untersucht: Nürnberg ist eine Großstadt in Bayern mit rund 500 000 Einwohnern. Sie besitzt ein großes zentrales Fernwärmenetz. Die Landeshauptstadt Potsdam hat eine zentrale Fernwärmeversorgung und zählt mit ihren 160 000 Einwohnern ebenfalls als Großstadt. Die Stadt Fürth mit 120 000 Einwohnern hat keine zentrale Fernwärmversorgung, jedoch einzelne kleinere Fernwärmenetze. Als weitere Kommune ist Jena, eine Großstadt mit 110 000 Einwohnern, in das Projekt eingebunden. Jena besitzt eine zentrale Fernwärmeversorgung. Iserlohn ist eine Mittelstadt mit etwa 95 000 Einwohnern in Nordrhein-Westfalen. Die Stadt hat eine zentrale Fernwärmeversorgung. Bild 4: Wirtschaftlichkeit von KWKK- Anlagen. © Eitel, TH Nürnberg Investition pro MWth bzw. MWel Eigen- und Fremdkapitalkosten Investitionskosten KWKG EEG Gesetze und Förderung Strompreisniveau Großhandelsmarktpreise Reale Strompreisbelastung bei den Endkunden Erdgaspreisniveau Wirtschaftlichkeit Die Mittelstadt Flensburg in Schleswig-Holstein hat etwa 85 000 Einwohner. Die Stadt besitzt eine zentrale Fernwärmeversorgung und weist eine nahezu 100 %-ige Versorgung im Stadtgebiet auf. Die bayerische Mittelstadt Neumarkt i. d. OPf. mit etwa 40 000 Einwohnern hat keine zentrale Fernwärmeversorgung. Meiningen ist eine Mittelstadt in Thüringen mit rund 21 000 Einwohnern. Die Stadt hat keine zentrale Fernwärmeversorgung, aber mehrere kleinere Netze. Betriebswirtschaftliche Rentabilität als Voraussetzung für den Einsatz der KWKK Entscheidend für den Einsatz und damit eine weitere Marktdurchdringung der KWKK ist deren Wirtschaftlichkeit - sowohl für Kommunen als auch für die Privatwirtschaft. Die Wirtschaftlichkeit von KWKK-Anlagen wird direkt von vier Faktoren beeinflusst (siehe Bild 4). 1. Strompreisniveau a. Großhandelsmarktpreise - relevant für Anlagen, die in ein Netz der allgemeinen Versorgung einspeisen; b. Reale Strompreisbelastung bei den Endkunden - relevant für Anlagen, die für den Eigenverbrauch oder im Rahmen eines Contractings Energie bereitstellen. 2. Erdgaspreisniveau - als hauptsächlicher Primärenergieträger für die Strom- und Wärmeherstellung in den KWK-Anlagen. 3. Aktuelle Gesetzeslage und Höhe der Zuschläge nach dem Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG 2016) sowie hohe der Umlagen (z. B. KWKG und EEG Umlagen). 4. Kapitalkosten und Investition pro MW el oder MW th Bild 3: Gemeinsamer Dampferzeuger für zwei Blockheizkraftwerke. © AGO AG Energie + Anlagen 51 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Je höher die Strompreise (im Großhandel als auch bei den Endkunden) und KWKG-Zuschläge und je niedriger die Erdgaspreise sind, desto geringer sind die Wärmegestehungskosten einer KWK-Anlage. Eine kostengünstige Wärmeherstellung ist die Hauptvoraussetzung für den wirtschaftlichen Betrieb einer thermisch betriebenen Abbzw. Adsorptionskältemaschine. Das Strompreisniveau auf dem Großhandelsmarkt Eine Erholung der relativ niedrigen Großhandelspreise ist leider nicht in Sicht. Die prognostizierte konstante Steigerung der Erneuerbaren Kapazitäten wird für ein dauerhaftes Überangebot auf dem Strommarkt sorgen. Ein leichter Anstieg der Großhandelspreise für Strom wird ab dem Jahr 2020 erwartet, wenn es zur Abschaltung weiterer Atomkraftwerke (AKW) in Deutschland kommt. Eine signifikante Steigerung kann allerdings auch langfristig ausgeschlossen werden, da aktuell Kohlekraftwerke - und nicht die AKW - als grundlastfähige Kapazitäten den Markt in Deutschland dominieren. Aufgrund der niedrigen Strompreise ist die Höhe der Einspeisevergütung für KWK-Anlagen, die in ein Netz der allgemeinen Versorgung einspeisen müssen, ein entscheidender Faktor für die Wirtschaftlichkeit der Anlagen. Der niedrige Umsatz, den Anlagenbetreiber an der Strombörse erzielen können, hält allerdings die Wärmegestehungskosten langfristig auf einem relativ hohen Niveau. Dieses macht die Kälteherstellung mit einer TKM relativ ungünstig im Vergleich zu einer Kompressionskältemaschine. Es wäre somit sinnvoller, die Wärme direkt zu verkaufen, anstatt sie dezentral in Kälte umzuwandeln. Anders ist die Sachlage allerdings für KWK-Anlagen, deren Strombereitstellung eine Reduzierung von Netzstrombezug zur Folge hat. Gerade bei voll umlagepflichtigen Unternehmen ist oftmals ein wirtschaftlicher Betrieb der KWK-Anlage gewährleistet. Wenn der Kältebedarf zu einer Verlängerung des KWK-Betriebes bei gleichzeitiger Stromverdrängung führt, ergeben sich in den meisten Fällen wirtschaftlich interessante Ansätze. Reale Strompreisbelastung bei den Endkunden Die reale Strompreisbelastung bleibt bei den meisten Kundengruppen unverändert groß und weist sogar Indizien auf eine moderate Steigerung in der Zukunft auf. Dies erfolgt trotz niedriger Großhandelspreise an der Strombörse, da relevante Umlagen unverändert hoch sind oder noch ansteigen. Entsprechend hoch ist der Anteil der Umlagen und Steuern an den durchschnittlichen Strompreisen, die kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und zum Teil auch Industriekunden mit einem Jahresverbrauch von 160 MWh bis 20 GWh bezahlen. Oft sind auch Großverbraucher (z. B. ab 10 GWh Jahresverbrauch) nur geringfügig von den EEG-Umlagen und Netzentgelten befreit oder begünstigt. In manchen Fällen besteht die reale Strompreisbelastung zu 66 % aus Umlagen und Steuern. Da die EEG-Umlage und der Großhandelsstrompreis sich in zwei entgegengesetzte Richtungen entwickelt haben, ist die reale Preisbelastung in den verschiedenen Kundensegmenten konstant geblieben und seit dem Jahr 2014 sogar leicht zurückgegangen. Dieser Trend bleibt allerdings nur bedingt weiter präsent. Sowohl die Einführung von neuen Umlagen, als auch die Erhöhung von bestehenden Umlagen werden die Endpreise auf einem relativ konstanten Niveau halten oder sogar leicht steigen lassen. Dies hängt stark von der durchschnittlichen Förderung von neuen Kraftwerken und Infrastrukturprojekten in der Zukunft ab. Die umlagebedingten hohen Strompreise für Industrie und KMU sorgen allerdings dafür, dass die Wirtschaftlichkeit von dezentralen Energieversorgungslösungen unabhängig von staatlichen Subventionen gegeben ist. Insbesondere durch den niedrigen Erdgaspreis können KWK-Anlagen mit diesem Energieträger wirtschaftlich betrieben werden. Im Jahr 2016 wurde ein Preistiefpunkt auf dem Erdgasmarkt erreicht, der sich zum Teil auch auf die Endpreise für KMU und insbesondere Industrie in den kommenden Jahren bemerkbar machen wird. Einer Prognose der Weltbank zufolge wird das heutige Preisniveau auf dem Europäischen Großhandelsmarkt für Erdgas in den nächsten Jahren nur moderat steigen. Diese Marktentwicklung hat eine entsprechend positive Auswirkung auf die Wirtschaftlichkeit von KWKK-Anlagen und deren Einsatz in der privaten Wirtschaft. Wie bereits erklärt, haben angesichts der hohen Strompreise die Betreiber von KWK-Anlagen einen starken wirtschaftlichen Anreiz, möglichst viel Strom zu produzieren und selbst zu nutzen. Somit kann der Stromeinkauf reduziert werden. Dabei ist eine saisonal-unabhängige Wärmeverwendung ein wichtiger Erfolgsfaktor zur Erhöhung der jährlichen Betriebsstunden einer KWK-Anlage. Dementsprechend bieten thermisch betriebene Absorptionskältemaschinen die Möglichkeit, auch in den Sommermonaten KWK-Anlagen zu betreiben und dabei die bereitgestellte Wärme zur Kälteerzeugung wirtschaftlich zu verwenden. Dies kann sich natürlich je nach Auslegung und Spitzenlast ändern. 52 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Die Kälteleistung der TKM soll sich am Kältegrundlastbedarf orientieren. Ein hoher Kältespitzenlastbedarf setzt eine entsprechend hohe Leistung von ergänzenden elektrischen Kompressionskältemaschinen (KKM) voraus. Absorptionskältemaschinen wären damit oft in eine nachteilige Situation versetzt, da sie grundsätzlich höhere spezifische Investition (pro MW th Leistung) im Vergleich zu KKM erfordern. Auswirkung des KWKG 2016 auf die Wirtschaftlichkeit von KW(K)K-Anlagen Aufgrund der niedrigen Erdgaskosten und hohen Stromkostenersparnissen in Unternehmen, die voll umlagepflichtig sind, spielt die Höhe der Förderung nach dem KWKG 2016 eine untergeordnete Rolle bei der Investitionsentscheidung. Die Einspeisevergütung für Anlagen bis 1000 kWel ist im Vergleich zum vorherigen KWKG 2012 signifikant gestiegen. Vor allem ist die Einspeisevergütung für kleinere Anlagen (bis 100 kW el ) deutlich attraktiver geworden, da für diese Anlagen eine Vergütung für Eigenverbrauch und Netzeinspeisung gezahlt wird. Für Anlagen über 100 kW el ist ein KWK-Aufschlag für den Eigenverbrauch nicht mehr möglich. Daher bleibt die Kälteherstellung aus größeren KWK-Anlagen, die Strom in ein Netz der öffentlichen Versorgung einspeisen, eher unwirtschaftlich. Die KWK-Anlagen zuzuweisenden Wärmegestehungskosten bewegen sich immer noch auf einem Niveau, das die Kälteherstellung aus thermisch-betriebenen Kälteanlagen zu teuer macht. Ein weiterer Faktor, der die Wirtschaftlichkeit von KWK-Anlagen > 1000 kW el (die in ein Netz der öffentlichen Stromversorgung einspeisen) bestimmen wird, ist die Verpflichtung an einem Ausschreibungsverfahren teilzunehmen, das derzeit für nahezu alle Großanlagen aus PV und Wind vorgeschrieben ist. Dabei wird die Einspeisevergütung nicht vorher festgelegt, sondern ergibt sich nach der Analyse vorliegender Angebote. Vermutlich wird dies zu geringen Zuschlagssätzen führen. Der Gesetzgeber will damit nur die wirtschaftlichsten Angebote unterstützen und die Umlagenbelastung bei den Letztverbrauchern in Grenzen halten. Volkswirtschaftlicher Nutzen Während die betriebswirtschaftliche Rentabilität für den Investor relevant ist, ist die volkswirtschaftliche Rentabilität für staatliche Akteure relevant. Folgende volkswirtschaftliche Auswirkungen werden im Rahmen des Forschungsprojektes analysiert: 1. Steigende Konkurrenzfähigkeit von kleinen und mittelständischen Produktionsbetrieben 2. CO 2 -Einsparungen 3. Stabilisierung der Strommärkte Steigende Konkurrenzfähigkeit von kleinen und mittelständischen Produktionsbetrieben Die günstigere Energieherstellung in Form von Strom, Wärme und Kälte sorgt für eine Steigerung der Konkurrenzfähigkeit von kleinen und mittelständischen Betrieben. Die Ersparnisse reflektieren in niedrigeren Produktionskosten. Die Abhängigkeit von nationalen Strommarktbesonderheiten wird damit auch zum Teil reduziert. CO 2 -Einsparungen Dezentrale KWKK-Anlagen verdrängen die Stromproduktion in zumeist fossil befeuerten Großkraftwerken (meist Braun- und Steinkohle) und sorgen für die Vermeidung von Strombezug für Kompressionskältemaschinen. Daher führt ihr Einsatz zu einem positiven Effekt bei der CO 2 -Betrachtung. Stabilisierung der Strommärkte Ein verstärkter Einsatz von KWKK könnte AKW und Kohlenkraftwerke obsolet machen. Beide Kraftwerksarten sind äußerst unflexibel und können auf die ständig fluktuierenden erneuerbaren Kapazitäten aus Wind und Sonne nicht angepasst werden. Dies führt regelmäßig zu einem hohen Überangebot nicht nur auf dem deutschen, sondern auch auf dem zentral- und westeuropäischen Strommarkt. Eine Marktstabilisierung ist durch die Reduzierung der unflexiblen Kapazitäten und den verstärkten Einsatz von flexiblen grundlastfähigen KWK-Anlagen möglich. Die KWK-Anlage: Regelenergie im Sommer bei gleichzeitiger Nutzung von „Wärme/ Abwärme“ In Verbindung mit Wärme-bzw. Kältespeichern und Kompressionskälteanlagen kann jederzeit sowohl Strom aus dem Netz abgenommen oder gezielt geliefert werden. Dies wird in Zukunft eine wichtige Bild 5: NH3 - Absorptionskälteanlage. © AGO AG Energie + Anlagen 53 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Komponente für den Ausbau der KWKK spielen, allerdings ist die aktuelle Marktentwicklung bei den Regelenergiepreisen nicht geeignet, entsprechende Impulse für KWKK-Zubau zu geben. Best-Practice-Beispiele KWKK-Anlagen wurden und werden in Kommunen als auch in der Privatwirtschaft zur Energiegewinnung eingesetzt. Beispiele für kommunale Projekte sind: N-ERGIE Aktiengesellschaft - Kälte aus Fernwärme in Nürnberg KWKK zur Energieversorgung des Universitätsklinikums Gießen Gebäudekühlung mittels Fernkälte in europäischen Städten, z. B. Paris, Barcelona, Amsterdam, Stockholm und Wien Vattenfall Kältezentrale am Potsdamer Platz Fernkältenetz in Chemnitz mit Kältespeicher Klinikum Chemnitz Flughafen Berlin Brandenburg und Bildungszentrum Romaneum in Neuss Ausführliche Informationen zu diesen Projekten gibt es auf der trima-webpage unter http: / / www. trima-kwkk.de/ informationen-best-practice.aspx. Allgemeine Informationen zum Projekt unter www. trima-kwkk.de. Insgesamt ist davon auszugehen, dass eine stärkere Marktdurchdringung von KWKK volkswirtschaftlich rentabel ist. Demzufolge sollte der Staat vermehrt Anreize setzen, um entsprechende Anlagen für den Privatinvestor auch einzelwirtschaftlich rentabel zu gestalten. LITERATUR • BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V.: BDEW Strompreisanalyse, (2016), S. 7-10, 23-29. https: / / www.bdew.de/ internet. nsf/ res/ 886756C1635C 3399C1257F C500326 4 89/ $file/ 160524_BDEW_Strompreisanalyse_Mai2016.pdf • Bundesministerium für Wirtschaft und Energie: EEG- Umlage 2016: Fakten & Hintergründe, (2015), S. 1-3. https: / / www.bmwi.de/ BMWi/ Redaktion/ PDF/ E/ eegumlage-2016-fakten-hintergruende,property=pdf, bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf • Bundesministerium für Wirtschaft und Energie: Erneuerbare Energien, (2017). https: / / www.bmwi. de/ Navigation/ DE/ Themen/ erneuerbare-energien. html • Bundesnetzagentur; Bundeskartellamt: Monitoringbericht 2016, (2016), S. 257-277. https: / / www.bundesnetzagentur.de/ SharedDocs/ Downloads/ DE / Sachgebiete/ Energie/ Unternehmen_Institutionen/ DatenaustauschUndMonitoring/ Monitoring/ Monitoringbericht2016.pdf ? _ _blob=publicationFile&v=2 • Die Bundesregierung: So setzt sich der Strompreis zusammen (2016). https: / / www.bundesregierung. de/ Content/ DE/ Artikel/ 2014/ 12/ 2014-12-30-strompreis.html • Krampen, L., Frank, P.: Letztverbrauch 2021; Planungsprämissen für die Berechnung der EEG- Umlage, (2016) S. 3, 21. https: / / www.prognos.com/ uplo a d s / t x _ a t w pub db/ 161014 _ Pro g no s _ U N B _ Letztverbrauch_2021.pdf • KWKG 2016: Gesetz für die Erhaltung, die Modernisierung und den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung (2017) • Leipziger Institut für Energie GmbH: Mittelfristprognose zur deutschland-weiten Stromerzeugung aus EEG-geförderten Kraftwerken für die Kalenderjahre 2017 bis 2021 (2016), S. 12-15, 21-22. Leipziger Institut für Energie GmbH, Energy Economics. https: / / w w w.net z transparenz.de/ de/ file/ 201610 06 _ Ab schlussbericht_EE_IE_Leipzig.pdf • Netztransparenz.de: Informationsplattform der deutschen Übertragungsnetzbetreiber. Offshore- Haftungsumlage nach § 17f EnWG; Umlage nach §19 Abs. 2 StromNEV (2016). https: / / www.netztransparenz.de/ EnWG/ Umlage-17f-EnWG; https: / / www. netztransparenz.de/ EnWG/ Umlage-19-StromNEV • Thomson Reuters Eikon: Wholesale Electricity Prices Forecast 2017 - 2018; Spot, Peak and Off-Peak Prices (2016). • World Bank: World Bank Commodities Price Forecast (nominal US Dollars) (2016), S. 1. http: / / pubdoc s .worldbank .org / en/ 2 29 4 61476 8 0 4 6620 86/ CMO-October-2016-Forecasts.pdf AUTOR I NNEN Prof. Dr. rer. pol. Birgit Eitel Projektleiterin Forschungsprojekt TriMa Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm Fakultät Betriebswirtschaft Kontakt: birgit.eitel@th-nuernberg.de Erich Maurer Geschäftsführer der Energieagentur Nordbayern Kontakt: maurer@ea-nb.de Dimitar Ivanov Wissenschaftlicher Mitarbeiter Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm Kontakt: dimitar.ivanov@th-nuernberg.de 54 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Die Wärmeversorgung macht den größten Anteil des gesamten Endenergiebedarfs in Deutschland aus. Mehr als die Hälfte des Endenergieverbrauchs entfällt auf die Beheizung von Gebäuden, die Bereitstellung von Warmwasser oder für Prozesswärme. Damit ist der Wärmesektor zugleich für jährlich rund 40% der energiebedingten CO 2 -Emissionen verantwortlich. Vor diesem Hintergrund werden die klima- und energiepolitischen Ziele Deutschlands nur erreichbar sein, wenn der Wärmebedarf deutlich gesenkt und die erforderliche Wärme effizient und umweltfreundlich erzeugt wird. Damit ist die Wärmewende der Schlüssel zum Gelingen der Energiewende insgesamt, wobei insbesondere die Raumwärme im Fokus steht. Die Umsetzung der Wärmewende muss vor allem auf lokaler Ebene erfolgen. Kommunen sind in zentraler Verantwortung für das Gelingen dieser Aufgabe, weil sie die Möglichkeiten zur integrierten Betrachtung von Stadt- und Infrastrukturentwicklung haben, oft die Rolle des städtischen Wärmeversorgers übernehmen und über kommunale Wohnungsbestände verfügen. Bisher jedoch ist die Wärmewende in den deutschen Kommunen noch nicht richtig in Schwung gekommen. Weder erscheinen die bisherigen Gebäudesanierungsraten ausreichend, um die ambitionierten Ziele zu erreichen, noch verfügen die Kommunen und ihre Versorgungsunternehmen über langfristig angelegte Strategien der Transformation der Wärmeversorgungssysteme. Die kommunale Wärmewende Technische Transformationspfade und Prozessorganisation Wärmewende, Erneuerbare Energien, Transformationsmanagement Jens Libbe, Robert Riechel Für eine CO 2 -neutrale Stadt ist die umfassende Transformation städtischer Wärmeversorgungssysteme unumgänglich. Neben einer deutlichen Steigerung der Sanierungsrate von Gebäuden geht es vor allem um eine weitgehende Integration erneuerbarer Energien in städtische Wärmeversorgungssysteme unter Anwendung hocheffizienter zentraler, semi- und dezentraler Versorgungslösungen. Dies bedeutet auch den Umstieg von vorhandenen Wärmenetze auf erneuerbare Energien. Für diese Transformation gibt es derzeit weder klare technologische noch prozessuale Strategien. © pixabay 55 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Das Deutsche Institut für Urbanistik hat in den vergangenen Jahren gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Stadttechnik der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg strategische Ansatzpunkte für die Transformation der kommunalen Wärmeversorgung entwickelt. Das Verbundvorhaben „Transformation des städtischen Energiesystems und energetische Stadtsanierung. Kommunales Transformationsmanagement auf Basis integrierter Quartierskonzepte (TransStadt)“ wurde dabei innerhalb der Fördermaßnahme „Umwelt- und gesellschaftsverträgliche Transformation des Energiesystems“ durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Ziel des Vorhabens war es, das erforderliche Management für die Transformation städtischer Wärmeversorgung und damit verbundener Systemübergänge genauer auszuloten. Die Untersuchung erfolgte exemplarisch anhand von 15 Quartieren in ausgewählten Modellkommunen mit unterschiedlichen technischen, organisatorischen und siedlungsstrukturellen Merkmalen. Im Rahmen einer Vergleichsanalyse wurden die verschiedenen von den Modellkommunen eingeschlagenen Transformationspfade ebenso untersucht wie der Prozess der Umsetzung und der Grad an Verbindlichkeiten der einzelnen Umsetzungsschritte. Im weiteren Projektverlauf wurde dieser Ansatz durch einen interkommunalen Erfahrungsaustausch erweitert, um gemeinsame Zielvorstellungen für weitergehende strategische Ansatzpunkte zu entwickeln und Handlungsempfehlungen abzuleiten. Baulich-technische Umsetzung der Wärmewende Für die technisch-bauliche Umsetzung der Wärmewende stehen mehrere Handlungsoptionen zur Verfügung. Zunächst einmal geht es um Maßnahmen an den Gebäudehüllen und bei der vorhandenen Haustechnik mit dem Ziel der Verminderung des Primärenergieverbrauches. Im Weiteren sollen Maßnahmen zur Verbesserung der Effizienz der stadttechnischen Versorgungssysteme sowie die Umstellung der Versorgungssysteme auf erneuerbare Energieträger folgen. Entscheidend für die Wirksamkeit ist dabei nicht nur die Kombination von Maßnahmen sondern auch die Reihenfolge der Umsetzung. Ziel der Transformation sollte es sein, dass sich die Optionen wechselseitig so ergänzen, dass von einem systemischen Transformationspfad gesprochen werden kann. Die Verbesserung der Anlageneffizienz der vorhandenen Anlagen zur Beheizung der Gebäude einschließlich der Umrüstung auf effizientere Anlagen (z. B. Kleinst-BHKW) ist in Kombination mit einem verbesserten Wärmeschutz ein erster wichtiger Schritt. Dies vor allem dort, wo kein Anschluss an zentrale Versorgungssysteme möglich ist. Bei gleichzeitiger Einbindung dezentral erschließbarer regenerativer Energieträger (Solarthermie, Erdwärme, Holzpellets) können CO 2 -Emissionen deutlich gesenkt werden. Auch die dezentrale Umwandlung von Strom zu Wärme über Gebäude-Wärmepumpen ist eine Option, sofern genügend Strom aus erneuerbaren Quellen (Wind, PV) zur Verfügung steht. Komplexer aber letztlich entscheidend ist hingegen die Transformation der bestehenden zentralen stadttechnischen Infrastrukturen. Hier geht es zum einen um den Ausbau effizienter Systeme (z. B. der Kraft-Wärme-Kopplung) in Verbindung mit Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energie. In diesem Kontext wird gegenwärtig die mögliche stärkere Einbindung von derzeit nicht genutztem Strom aus Windkraftanlagen in vorhandene Fernwärmenetze (Power to Heat) diskutiert. Ebenso können Biomasseverbrennungsanlagen vorhandene Kesselanlagen ersetzen. Es geht also um einen Austausch des Energieträgers, ohne dass die nachgelagerten Systeme (Zentralheizung mit Warmwasser mit Vorlauftemperaturen etc.) im Kern verändert werden müssen. Für einen vollständigen Umstieg auf erneuerbare Energien müssen jedoch weitere erneuerbare Energieträger wie Solar-, Erd- und Abwärme in zentrale Versorgungssysteme eingebunden werden. Dies macht weitaus größere Anstrengungen notwendig. Soll beispielsweise die Solarwärme im Bereich der zentralen Wärmeversorgung genutzt werden, so setzt dies eine Absenkung der Vorlauftemperaturen der Fern- und Nahwärmenetze voraus, was nicht nur abnehmerseitig entsprechende Maßnahmen in den Gebäudeheizungssystemen nach sich zieht, sondern unter Umständen auch neue Speichermöglichkeiten bedingt. Zudem bedarf es ausreichender Flächen für die erforderlichen Solarkollektorfelder. Etwas einfacher könnte sich der Umstieg der zentralen Systeme der Erdgasversorgung gestalten, sofern regenerativ erzeugte Biogas- und Synthesegasmengen marktfähig werden (z. B. Wasserstoff aus Elektrolyse oder synthetisches Erdgas - Power to Gas). In diesem Fall wären weit weniger Umbaumaßnahmen auf der Gebäudeebene erforderlich und die Frage der Speicherung könnte durch die vorhandenen Erdgasspeicher als unproblematisch angesehen werden. Für eine schlüssige Gesamtstrategie sind noch weit mehr Kombinationen von Energieträgern denkbar. Entscheidend ist, dass für das Gelingen der 56 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Wärmewende ein vollständiger Umstieg der Wärme- und Gasnetze auf erneuerbare Energien unabdingbar ist. Hierfür bedarf es schlüssiger Strategien vom einzelnen Quartier über die Gesamtstadt bis hin zur Nutzung von Potenzialen erneuerbarer Energien in der Region. Es ist zu erwarten, dass die Vielfalt von Lösungen zunimmt und dabei auch von lokalen Entwicklungsdynamiken abhängig ist. Neben dem Ausbau und der Verdichtung bestehender Netze werden kleinskaligere Lösungen auf der Ebene des Quartiers und größerer Gebäudekomplexe zunehmen. Erfahrungen aus der energetischen Quartierssanierung Aus der Analyse der Modellkommunen und ihrer energetischen Quartierskonzepte und im Ergebnis der Vernetzungsworkshops lassen sich eine Reihe von Hemmnissen in der Umsetzung der Wärmewende identifizieren [1]: Es ist beispielsweise ein Bruch zwischen den Klimaschutzzielen der Bundesregierung und deren konzeptioneller und tatsächlicher Umsetzung auf lokaler Ebene zu konstatieren. Teilweise sind die klimaschutzpolitischen Zielstellungen im Quartier nur vage und nicht in ausreichendem Maße durch konsistente Strategien und Maßnahmen unterfüttert. Bemerkenswert ist ferner das bisher geringe Maß der Nutzung erneuerbarer Energien für die Wärmeversorgung. Dies gilt nicht nur für den Bestand, s o n d e r n auch für die konzeptionellen Überlegungen zur zukünftigen Entwicklung der Wärmeversorgung in den Konzepten. Generell ist festzuhalten, dass Gebäudemodernisierung und Umbau der Wärmeversorgung zu häufig isoliert betrachtet werden und damit Potenziale einer integrierten Herangehensweise ungenutzt bleiben. Zudem ist die für die Transformation städtischer Wärmeversorgungssysteme notwendige enge Partnerschaft zwischen Kommune, Wohnungswirtschaft und Energieversorgung bei Weitem noch nicht überall etablierte Praxis. Schließlich fehlt es in den Kommunen vielfach an einer langfristig-strategischen Ausrichtung bei der Umsetzung der lokalen Wärmewende. Kommunales Transformationsmanagement Der Prozess der kommunalen Wärmewende und damit verbunden der Transformation der Versorgungsstrukturen ist nicht allein eine technologische Angelegenheit. Vielmehr vollziehen sich solche Transformationen im Wechselspiel zwischen technisch-planerischen Möglichkeiten, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen, ökologischen Notwendigkeiten sowie institutionell-organisatorischen Gegebenheiten. Aufgabe des kommunalen Transformationsmanagements ist es, im Prozess zwischen verschiedenen Akteuren, gangbare technische Möglichkeiten zu sondieren und aus ihren Nischen herauszuführen. Energiewirtschaft Privateigentümer Kommune Wohnungswirtschaft Bild 1: Die Transformationsarena der lokalen Wärmewende. © Libbe 57 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Kommunales Transformationsmanagement in 10 Schritten Schritt 1: Prozesse strukturieren Kommunalpolitik und Verwaltung besitzen eine zentrale Funktion beim Umbau der städtischen Wärmeversorgung. Dem entsprechend benötigt das Transformationsmanagement eine verlässliche Verankerung. In vielen Kommunen kann dabei auf vorhandenen verwaltungsorganisatorischen und personellen Ressourcen aufgebaut werden. Zu diesen vorhandenen Kapazitäten gehören nicht zuletzt vorhandene Abteilungen des Klima- und Energiemanagements. Zugleich stellt die integrierte Betrachtung von Stadt- und Quartiersentwicklung auf der einen Seite und Infrastrukturplanung auf der anderen Seite aber auch eine neue Herausforderung dar. Hier gilt es Kompetenzen auszubauen und unter Umständen auch neue Formen der Zusammenarbeit zu erproben. Insbesondere die Stadtentwicklungsplanung ist gefordert, sich stärker mit stadttechnischen Aspekten auseinander zu setzen. Schritt 2: Städtisches Wärmeversorgungssystem analysieren Der Schritt der Analyse des Versorgungsystems dient dazu, auf gesamtstädtischer Ebene und unter Berücksichtigung regionaler Bezüge das bestehende Wärmeversorgungssystem auf den Prüfstand zu stellen und mögliche Chancen zur Reduktion der CO 2 -Emission frühzeitig zu identifizieren. Die Analyse des Wärmeversorgungssystems umfasst nicht nur technische Aspekte, sondern auch institutionelle Rahmenbedingungen und die Organisation des Wärmemarkts. Schritt 3: Akteure verstehen und vernetzen, lokale Klima-Kultur stärken Ziel dieses Schrittes ist es zunächst, die relevanten Akteure für die lokale Wärmewende zu identifizieren und deren spezifische Interessenlagen zu verstehen. Aus diesem besseren Verständnis heraus können Strukturen der Zusammenarbeit für die Transformation geknüpft, neue Geschäftsmodelle entwickelt und ggf. auch zusätzliche Akteure mit frischen Ideen integriert werden. Daneben gilt es, langfristig ein lokales Klima zu schaffen, das Rückenwind gibt für die Umsetzung der lokalen Wärmewende. Schritt 4: Energiezukünfte entwickeln und Transformationspfade suchen Ein grundlegender Umbau eines Systems macht es erforderlich, bewusst auf Abstand zum Status Quo zu gehen und neue Wege einzuschlagen. Dieser Schritt bietet mit der Entwicklung von Szenarien oder dem Erarbeiten einer Vision methodische Antworten darauf. Auf der Grundlage dessen sowie der vorangegangenen Schritte dient dieser Schritt der Suche nach gangbaren technischen und organisatorischen Transformationspfaden für die Kommune. Schritt 5: Transformationsräume identifizieren - Quartiere auswählen Dieser Schritt markiert den Übergang zwischen der gesamtstädtischen und der Quartiersebene. Ziel ist es, Räume zu identifizieren, die dafür geeignet sind, die möglichen Pfade der Transformation weiter zu konkretisieren und schließlich in die Umsetzung zu bringen. Hier geht es darum, die zuvor identifizierten inhaltlichen und akteursbezogenen Ansatzpunkte für die Umgestaltung des städtischen Wärmeversorgungssystems und die entwickelten Energiezukünfte mit relativ langem Zeithorizont in konkretes Tun umzumünzen. Schritt 6: Daten erheben und Bilanzen erstellen Im Transformationsraum geht es um gezielte städtische Interventionen auf Quartiersebene. Als Grundlage dafür wird in diesem Schritt die energetische Ausgangssituation genauer analysiert und bilanziert. Schritt 7: Ziele quartiersbezogen konkretisieren, Umsetzungsoptionen bewerten Es besteht die Aufgabe, die übergeordneten gesamtstädtischen Zielsetzungen und teilräumlichen Analysen übereinander zu bringen und daraus gemeinsam getragene Ziele für den konkreten Transformationsraum zu vereinbaren. Unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen im Quartier werden verschiedene Umsetzungsoptionen untersucht und das Für und Wider der einzelnen Pfade gemeinsam mit den wesentlichen Akteuren für die Umsetzung erörtert. Schritt 8: Günstige Umsetzungsbedingungen schaffen Dieser Schritt befasst sich mit der Frage, wie Kommunen die Transformation beschleunigen können. Dafür können vielfach bestehende rechtliche und finanzielle Instrumente und auch planerische Konzepte mit Quartiersbezug eingesetzt werden. Neu interpretiert, können sie sowohl als Katalysatoren für Pilotvorhaben fungieren, als auch ein Mittel für die Verbreitung erfolgreicher Ansätze sein. Schritt 9: Pilothaft Neues erproben und zur Umsetzung aktivieren Im Mittelpunkt dieses Schrittes steht die Maßnahmenumsetzung. Ob die Ziele der lokalen Wärmewende erreicht werden, entscheidet sich letztlich an diesem Punkt. Die Kommune kann dabei selbst bzw. in Gestalt ihrer öffentlichen Unternehmen als Umsetzungsakteur auftreten. Es geht in diesem Punkt aber auch um eine geeignete Kommunikationsstrategie, um private Unternehmen und die Zivilgesellschaft für die Umsetzung zu gewinnen. Schritt 10: Kontinuierlich reflektieren und lernen Der Aspekt des Reflektierens und Lernens hat eine besondere Funktion innerhalb des Prozesszyklus. Es ist weniger ein einzelner Schritt als vielmehr ein verbindendes Element zwischen den zuvor präsentierten Schritten, das der Vergewisserung über den eingeschlagenen Weg und ggf. der Kurskorrektur dient. Ziel ist es, mit Hilfe eines flexiblen Prozessdesigns der Komplexität und Dynamik der Transformation Rechnung zu tragen und gesellschaftliche Lernprozesse zu ermöglichen. Quelle: TransStadt 58 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Es gilt dabei sowohl die Richtung als auch die Geschwindigkeit des Prozesses zu beeinflussen. Da hierbei unterschiedliche Interessen und Machtverhältnisse berührt sein können, ist die Gestaltung des Transformationsmanagements eine voraussetzungsvolle Aufgabe. Kommunales Transformationsmanagement ist verbunden mit der Frage, wie Kommunen von ihren Ressourcen und Kapazitäten her aufgestellt sein müssen, um die lokale Wärmewende aktiv gestalten zu können. Hierbei geht es um die Ausstattung in Form von Geld, Zeit, Wissen (Daten, Informationen, Know-how) und Reputation. Je besser die Reputation der handelnden Akteure in der Verwaltung, desto geringer die Reibungsverluste und damit die Transaktionskosten. Wie bei vielen Querschnittsaufgaben handelt es sich auch beim Transformationsmanagement um kein kommunales Politikfeld mit klarer Verantwortungszuweisung. Daher gilt es für die angestrebte integrierte Vorgehensweise Prozesse und auch Umorganisationen innerhalb der Verwaltung mit Bündelung der finanziellen und personellen Ressourcen zu prüfen. Das Transformationsmanagement lässt sich analytisch in verschiedene Phasen unterteilen. Es handelt sich um einen zyklischen Prozess mit Entwicklungsphasen auf strategischem (visionsformendem), taktischem (verhandelndem) und operationellem (ausführendem und evaluierendem) Niveau. Eine solche Phasenunterteilung ist zunächst einmal eine heuristische Betrachtung, die es erlaubt, zu plausiblen Aussagen und praktikablen Lösungen zu kommen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass diese Phasen ein kausales Modell darstellen in dem Sinne, dass ein Prozessschritt erst vollzogen werden kann, wenn die modellhaften Vorausschritte alle abgearbeitet sind. Im Gegenteil, in der politischen Praxis sind solche Phasen in ihrem Ablauf und in ihrer Abgrenzung zueinander keineswegs immer eindeutig. Prozesse können entsprechend der skizzierten Reihenfolge verlaufen, aber auch einen anderen Verlauf aufweisen, Schritte können teilweise aber auch parallel oder gar versetzt erfolgen und in verschiedenen Abstimmungsrunden im Netzwerk der beteiligten Akteure eine unterschiedliche Gewichtung erfahren. Das im Rahmen des Projekts TransStadt für die kommunale Wärmewende adaptierte Modell des Transformationsmanagements besteht aus zehn aufeinander aufbauenden Schritten. Dieser Prozesszyklus wird im Laufe eines langfristig ausgerichteten Transformationsmanagements vielfach durchlaufen. Prägend für diesen Ansatz ist das kontinuierliche Wechselspiel zwischen den räumlichen Ebenen „Gesamtstadt“ und „Quartier“ in einem flexiblen Prozess-Design. Dem Suchen nach langfristigen strategischen Optionen für die Kommune (insbesondere die Schritte 2-4) folgt die Konkretisierung im Detail auf Quartiersebene durch beispielhafte Umsetzung innovativer Projekte (insbesondere Schritte 6-9). Erkenntnisse aus der Phase des Fokussierens auf einen räumlichen Ausschnitt werden wiederum abstrahiert und fließen in die weitere langfristige Strategieentwicklung auf gesamtstädtischer Ebene ein. Entsprechend lässt sich der Ansatz des kommunalen Transformationsmanagements als Such-, Experimentier- und Lernprozess charakterisieren. Die kommunale Wärmewende ist der Schlüssel zur Umsetzung der Energiewende vor Ort. Die identifizierten Schritte eines kommunalen Transformationsmanagements können auch anderen Kommunen als Orientierung für die Umsetzung dienen. Der Leitfaden „Kommunales Transformationsmanagement für die lokale Wärmewende“, der im Frühjahr 2017 über das Difu erscheint, enthält dementsprechend operative, strategische und strukturelle Handlungsempfehlungen. LITERATUR [1] Riechel, R. und Koritkowski, S. unter Mitwirkung von Libbe, J. und Koziol, M.: Wärmewende im Quartier. Hemmnisse bei der Umsetzung energetischer Quartierskonzepte, Berlin: Difu-Papers, 2016. Dr. Jens Libbe Bereichsleiter Infrastruktur und Finanzen Deutsches Institut für Urbanistik (Difu) Kontakt: libbe@difu.de Robert Riechel Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Infrastruktur und Finanzen Deutsches Institut für Urbanistik (Difu) Kontakt: riechel@difu.de AUTOREN Hier klicken Sie richtig! IV online: Neuer Look - mehr Nutzen Die Webseite von Internationales Verkehrswesen hat ein neues Gesicht bekommen. Die aktuellen Webseiten unseres Magazins bringen eine frische Optik und eine Reihe neuer Funktionalitäten. Vor allem aber: Die Webseite ist im Responsive Design gestaltet - und damit auch auf Mobilgeräten wie Smartphones und Tablets bestens lesbar. Schauen Sie doch einfach mal rein! Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl M.A., Dipl.-Ing. Christine Ziegler VDI Marschnerstraße 87 | 81245 München +49 89 889518.71 | office@trialog.de Informiert mit einem Klick Das finden Sie auf www.internationalesverkehrswesen.de: Aktuelle Meldungen rund um Mobilität, Transport und Verkehr Termine und Veranstaltungen in der aktuellen Übersicht Übersichten, Links und Ansprechpartner für Kunden und Leser Autoren-Service mit Themen, Tipps und Formularen Beitragsübersicht und Abonnenten-Zugang zum Heftarchiv © Clipdealer www.internationalesverkehrswesen.de 60 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Urbane Wärmeinseln im Untergrund: Nachhaltige Energie für Städte? Geothermische Nutzung der innerstädtischen Abwärme Urbane Wärmeinseln, Erneuerbare Energien, Geothermie, Abwärme, Gebäudeheizung Susanne A. Benz, Carolin Tissen, Philipp Blum Städte sind heiß. In der Luft und an der Oberfläche führen die erhöhten Temperaturen zu einer Verminderung der Lebensqualität bis hin zu vermehrten Hitzetoden in den Sommermonaten. Auch unter der Stadt, im Grundwasser, sind Temperaturen erhöht und drohen die Wasserqualität zu beeinträchtigen. Allerdings bietet die im Grundwasser gespeicherte Wärme auch eine Chance auf nachhaltige Energiegewinnung. Gelingt es, sie geothermisch zu nutzen, könnte ein Großteil des Heizbedarfs von Wohngebäuden in einer Stadt nachhaltig gedeckt und eine Minderung der Wasserqualität verhindert werden. THEMA Energie für Städte Der hohe Versiegelungsgrad von Oberflächen sorgt unter anderem für höhere Temperaturen in und unter Städten. © Benz 61 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Das Klima und somit auch Temperaturen werden vom Menschen stark beeinflusst. Während die Hauptursache des globalen Klimawandels in der zusätzlichen Emission von Treibhausgasen liegt, die die Zusammensetzung der Atmosphäre des Planeten verändert, beeinflusst menschliche Aktivität Temperaturen auch auf einer kleineren und lokalen Skala. Änderungen in Landnutzung und Bodenbedeckung beeinflussen Umgebungstemperaturen und führen meistens zu einer Temperaturerhöhung: In großen, dicht besiedelten Städten sind Temperaturen oft mehrere Grad höher als im ländlichen Umfeld. Diese sogenannten urbanen Wärmeinseln sind ein globales Phänomen und können sowohl in der Atmosphäre anhand von Lufttemperaturen, an der Erdoberfläche anhand von Landesoberflächentemperaturen und im Untergrund anhand von Grundwassertemperaturen (Bild 1) nachgewiesen werden. Überirdisch haben sie einen weitreichenden Einfluss auf das Leben der Einwohner, deren Energieverbrauch, aber auch auf das urbane Ökosystem. In Frankreich zum Beispiel. führte die Hitzewelle im August 2003 vor allem in Paris zu vermehrten Todesfällen [1]. Hinzu kommt, dass der Kältebedarf in Stadtzentren um zirka 13 % höher ist, als der in vergleichbaren Gebäuden in ländlichen Gebieten [2]. Im Untergrund kann die urbane Wärmeinsel aber auch als Chance wahrgenommen werden: Die im Grundwasser gespeicherte Wärme kann durch oberflächennahe Geothermie-Anlagen zum Heizen verwendet werden. Ein detailliertes Bild über die Ursachen der Wärmeinsel und deren räumliche Verteilung innerhalb der Stadt ist für die Entwicklung einer nachhaltigen Nutzungsstrategie allerdings notwendig. Ursachen der urbanen Wärmeinsel im Untergrund Urbane Wärmeinseln im Grundwasser werden durch eine Vielzahl anthropogener Wärmeflüsse in den Untergrund verursacht. Quellen dieser Wärmeflüsse sind unter anderem erhöhte Oberflächentemperaturen durch Versiegelung, Gebäudekeller, Fernwärme- und Abwassernetze, sowie Straßen- und U-Bahntunnel (Bild 2) [3]. So wurden zum Beispiel in Mannheim und Zürich Grundwassertemperaturen von über 20 °C in Brunnen gemessen, die sich in unmittelbarer Nähe von Tiefgaragen befinden. Temperaturen im ländlichen Bereich liegen in beiden Städten im Normalfall bei unter 12 °C. Aber auch Industrieanlagen können Grundwassertemperaturen beeinflussen. Häufig wird das Grundwasser zur Kühlung genutzt und dann, mit einer genehmigten Temperatur von meist 20 °C, zurück in den Grundwasserleiter geführt. Doch diese Art der Kühlung verliert in Städten ihren Nutzen, da sich die erhöhten Grundwassertemperaturen nur bedingt zur Kühlung eignen. Teils bleibt keine andere Möglichkeit, als auf eine Luftkühlung zurückzugreifen, die eine deutlich schlechtere Energiebilanz und somit erhöhten CO 2 -Ausstoß mit sich bringt [4]. Um einen weiteren Anstieg der Grundwassertemperaturen zu verhindern, sollte die Energie, die durch die anthropogenen Wärmeflüsse in den Untergrund gelangt, auch wieder abtransportiert und im Idealfall genutzt werden. Ein räumlich aufgelöstes Wärmetransportmodell Um einen ersten Schritt in Richtung nachhaltige geothermische Nutzung urbaner Ressourcen zu gehen, wurde am Institut für Angewandte Geowissenschaften (AGW) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) eine Methode entwickelt, um die anthropogen verursachte Wärmeflussdichte in den Untergrund sowie den gesamten daraus resultierenden Wärmestrom zu bestimmen. Während die entwickelte Methode ohne weiteres auf zusätzliche Städte angewandt werden kann, wird sie hier am Beispiel der Städte Karlsruhe und Köln aufgezeigt. Für beide Städte wurden räumlich aufgelöste, statistisch analytische Wärmetransportmodelle entwickelt, die die folgenden sechs anthropogenen Wärmequellen implementiert: durch Versiegelung erhöhte Oberflächentemperaturen, Gebäude, Abwassersysteme, Bild 1: Grundwassertemperaturen werden häufig in Observationsbrunnen gemessen. In Karlsruhe gibt es etwa 80 mit Datenloggern ausgestattete Brunnen in denen täglich Grundwassertemperaturen sowie Flurabstand aufgezeichnet werden. © Tissen 62 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Abwasserleckagen, U-Bahntunnel und Fernwärmenetze. Das pixelbasierte Modell generiert für beide Städte jeweils eine Karte der mittleren Wärmeflussdichte in den Untergrund, die bei der Installation von oberflächennahen Geothermie-Anlagen genutzt werden kann, um geeignete Standpunkte zu wählen und nachhaltige Extraktionsraten zu bestimmen. Zusätzlich wird der Wärmefluss über das gesamte Stadtgebiet, also die anthropogen verursachte Wärme, die jedes Jahr in den Untergrund der Stadt fließt, berechnet [5]. Wieviel Energie fließt in den urbanen Untergrund? Die mit Abstand höchsten Wärmeflussdichten werden durch Fernwärme verursacht - mit im Schnitt mehr als 60 W/ m 2 der Netzfläche. Alle anderen analysierten Wärmequellen geben weniger als 6 W/ m 2 in den Untergrund ab. Die geringste Wärmeflussdichte stammt von erhöhten Oberflächentemperaturen. Im städteweiten Durchschnitt fließen etwa 0,2 W/ m 2 unbebauter Oberfläche in den Untergrund. In Grünanlagen und unter Rasen wird Wärme sogar nicht von der Oberfläche an das Grundwasser abgegeben, sondern das Grundwasser heizt die Oberfläche auf (Bild 3). Die gesamte mittlere Wärmeflussdichte aller Wärmequellen zusammen beträgt in Karlsruhe 1,1 W/ m 2 und 0,4 W/ m 2 in Köln. Im Vergleich dazu beträgt die geothermische Wärmeflussdichte, also die vom Erdkern ausgehende Wärmeenergie, in beiden Städten weniger als 0,1 W/ m 2 und ist somit deutlich geringer als die anthropogen verursachte Wärmemenge. Der große Unterschied zwischen den Flussdichten von Karlsruhe und Köln ist auf den sogenannten Flurabstand zurückzuführen - der Abstand zwischen Grundwasser und Erdoberfläche. Während der Grundwasserspiegel in Karlsruhe im Schnitt nur 5 m unter der Erdoberfläche liegt, ist dieser in Köln etwa mit 10 m etwa doppelt so tief. Der Flurabstand ist umgekehrt proportional zur übertragenen Wärmemenge und so führen die geringen Werte in Karlsruhe zu höheren Wärmeflussdichten. Dies zeigt sich auch deutlich beim Wärmefluss, der von Gebäuden ausgeht. Von Kellern ausgehende Wärmeflussdichten variieren stark in Abhängigkeit von Kellertiefe und Flurabstand. Nicht isolierte Keller, die bis ins Grundwasser reichen, wie es in Karlsruhe häufiger der Fall ist, verlieren bis zu 20 W/ m 2 Bodenfläche. Dieser Wärmeverlust von Gebäuden ist nicht nur eine potenzielle Gefährdung der Grundwasserqualität, sondern verursacht auch zusätzliche Heizkosten für die Immobilienbesitzer [5]. Bild 3: Karte der durch menschliche Einflüsse verursachten Wärmeflussdichte in Karlsruhe und Köln [5]. © KIT Bild 2: Schema zur Verdeutlichung der unterirdischen Wärmequellen innerhalb der städtischen Umgebung [5]. © KIT 63 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Jedes Jahr fließen etwa 2 PJ anthropogen verursachter Wärmefluss in den Untergrund von Karlsruhe und 1 PJ in Köln (nur linksrheinische Stadthälfte). Ein Großteil dieser Wärmeenergie stammt von Gebäuden und versiegelten Oberflächen. Während beide Wärmequellen nur wenig Wärmefluss pro Quadratmeter generieren, führt die hohe Anzahl an versiegelten und bebauten Flächen dazu, dass beide Wärmeflüsse in ihrer Summe stadtweit dominieren. In Köln verursachen beide Wärmequellen jeweils zwischen 30 und 40 % des gesamten anthropogen verursachten Wärmeflusses in den urbanen Untergrund. In Karlsruhe dagegen stammen nur 10 % des gesamten anthropogenen Wärmeflusses von erhöhten Oberflächentemperaturen. Dafür werden rund 70 % des Wärmeflusses von bebauten Flächen verursacht, vor allem von Gebäuden, wie z. B. Tiefgaragen, die direkt ins Grundwasser reichen [5]. Ein nachhaltiges Nutzungskonzept Das hier vorgestellte räumlich aufgelöste Modell ist ein grundlegender Baustein bei der Entwicklung eines nachhaltigen Energiekonzepts und einer thermischen Bewirtschaftung des Untergrunds in Städten. In Kombination mit dem räumlich aufgelösten Wärmebedarf innerhalb einer Stadt ist es durch das hier vorgestellte Modell möglich, den anthropogen verursachten Wärmetransport in den urbanen Grundwasserleitern abzufangen und als Heizwärme zu nutzen. Bei den Beispielen Karlsruhe und Köln könnten so 32 % bzw. 9 % des jährlichen Heizwärmebedarfs dauerhaft und nachhaltig gedeckt werden. Dies ist ein Schritt in Richtung der Energiestrategie 2020 der Europäischen Kommission, die 20 % erneuerbare Energien fordert. Dies verhindert gleichzeitig auch eine weitere Erwärmung des städtischen Untergrunds, die sich negativ auf die Grundwasserqualität und das oberirdische Stadtklima auswirken würde. Ist das Ziel nicht nur eine zukünftige Erwärmung des Grundwassers zu verhindern, sondern die urbane Wärmeinsel im Untergrund um etwa 4 °C zurück auf ihre natürliche Temperatur abzukühlen, kann auch die im Untergrund gespeicherte Energie geothermisch genutzt werden. Diese Wärmeenergie würde derzeit genügen, um Karlsruhes Heizwärmebedarf für drei Jahre und Kölns Heizwärmebedarf für 1,5 Jahre zu decken (Bild 4). LITERATUR [1] Dhainaut, J.F., Claessens, Y.E., Ginsburg, C., Riou, B.: Unprecedented heat-related deaths during the 2003 heat wave in Paris: consequences on emergency departments. Crit Care (2004) 8, p. 1-2. [2] Santamouris, M.: On the energy impact of urban heat island and global warming on buildings. Energy and Buildings (2014) 82, p. 100-113. [3] Menberg, K., Bayer, P., Zosseder, K., Rumohr, S., Blum, P.: Subsurface urban heat islands in German cities. Sci Total Environ (2013) 442, p. 123-33. [4] Blum, P., Campillo, G., Kölbel, T.: Techno-economic and spatial analysis of vertical ground source heat pump systems in Germany. Energy (2011) 36, p. 3002-3011. [5] Benz, S.A., Bayer, P., Menberg, K., Jung, S., Blum, P.: Spatial resolution of anthropogenic heat fluxes into urban aquifers. Sci Total Environ (2015) 524-525, p. 427-439. Bild 4: Im Untergrund gespeicherte Energie, Wärmemenge, die jährlich in den urbanen Untergrund gelangt und jährlicher Heizwärmebedarf im Vergleich [5]. © KIT Dr. Susanne A. Benz Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Institut für Angewandte Geowissenschaften (AGW) Kontakt: susanne.benz@kit.edu Carolin Tissen, M.Sc. Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Institut für Angewandte Geowissenschaften (AGW) Kontakt: carolin.tissen@kit.edu Prof. Dr. Philipp Blum Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Institut für Angewandte Geowissenschaften (AGW) Kontakt: philipp.blum@kit.edu AUTOR I NNEN 64 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Wärme aus dem Acker: Agrothermie und Kaltwärmenetz Oberflächennahe Geothermie speist Kaltwärmenetz der Gemeinde Wüstenrot Geothermie, Nahwärmenetz, Photovoltaik, Speichertechnik, SmartGrid Klaus W. König Geothermie auf Basis von Erdsonden kann durch die hierzu notwendigen Bohrungen im Untergrund große Schäden verursachen. Die Stadt Staufen im Breisgau ist ein Beispiel dafür. Mit Agrothermie besteht eine solche Gefahr nicht. Die Technik zählt zu den oberflächennahen Methoden der Erdwärmegewinnung. Sie versorgt eine Plusenergie-Neubausiedlung und hat eine soziale Komponente: Ein Teil des Entgelts für die Niedertemperaturwärme aus dem Acker ist ein zusätzliches Einkommen für Landwirte. Wüstenrot mit rund 6600 Einwohnern liegt im Süden des Landkreises Heilbronn und besteht aus fünf Teilorten. Die Gemeinde, in der 1921 die Idee der Bausparkasse geboren wurde, entwickelt nun den Modellfall einer Plusenergiegemeinde - und ist in dieser Sache schon sehr weit gekommen. Thomas Löffelhardt, technischer Leiter und Energiebeauftragter der Gemeinde Wüstenrot, hatte im Jahr 2009 erste Gedanken auf einem Bierdeckel skizziert: Energie aus der und für die Gemeinde, kommunale Vorbildfunktion, marktunabhängige Energiepreise, Stärkung der heimischen Wirtschaft. Bild 1: Das Konzept einer Plusenergiesiedlung mit Kaltwärmenetz und Agrothermiekollektor wird auf der Vorderen Viehweide in Wüstenrot umgesetzt. © HFT Stuttgart/ Pietzsch 65 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Oberflächennahe Agrothermie Es ging zunächst um die geothermische Nutzung von 1,5 ha Ackerboden für die 23 Wohnhäuser umfassende Plusenergie-Mustersiedlung „Vordere Viehweide II“. Seit 2012 sind die fertiggestellten Gebäude an das durch die Firma Doppelacker entwickelte neuartige Kaltwärmenetz angeschlossen worden. Sinn der Agrothermie ist, landwirtschaftlich genutzte Flächen in der Nähe einer Neubausiedlung thermisch als Bodenkollektoren zu erschließen. Hierzu werden Rohrleitungen in einem Abstand von 0,5 bis 1 m parallel in etwa 2 m Tiefe mit einem Spezialpflug in der Erde verlegt. Durch dieses Verfahren bleibt die Bodenschichtung erhalten und die Leitungen befinden sich weit unter dem Wurzelhorizont der Pflanzen. Daher sind keine Einbußen im landwirtschaftlichen Ertrag zu erwarten. Das Einpflügen beginnt von einem Kopfgraben aus. Sobald alle Rohrleitungen parallel eingebracht sind, wird am Ende des Feldes ein weiterer Graben quer dazu ausgehoben, um darin die Leitungen an ein Sammelsystem anzuschließen, das mit einem sogenannten Kaltwärmenetz verbunden ist. Über dieses wird die Niedertemperaturwärme von den Solepumpen in den Wohngebäuden nach Bedarf abgefordert. Jens Kluge mit seiner Firma Doppelacker aus Petershagen/ Brandenburg hat die Technologie und das Verfahren dazu entwickelt. Er bekam im Jahr 2012 im Rahmen eines Forschungsprojektes den Auftrag, die zur Erschließung des neuen Wohngebietes in Wüstenrot erforderliche Bodenbearbeitung von angrenzenden Wiesen und Äckern zu planen und umzusetzen. Deren Eigentümer erhalten als finanziellen Ausgleich jedes Jahr etwa ein Drittel des Grundstückswertes der so zusätzlich genutzten landwirtschaftlichen Flächen. Warum ist das Nahwärmenetz kalt? Heutzutage werden neue Wohngebäude überwiegend mit Niedertemperatursystemen beheizt. Dafür sind besonders Wand- und Fußbodenheizungen mit ihren großen Flächen geeignet, die nur wenig wärmer als die gewünschte Raumtemperatur sein müssen, um Behaglichkeit zu schaffen. Traditionell kennen wir das Gegenteil: Je kleiner die Heizfläche, zum Beispiel bei Zimmeröfen oder Heizkörpern in Altbauten, desto höher muss deren Oberflächentemperatur sein. Dann entsteht als unangenehme Begleiterscheinung Luftzug durch Thermik, die sogenannte Konvektion. In neuen Häusern mit niedrig temperierten Flächenheizungen hingegen wird statt heißem nur noch warmes Heizwasser gebraucht. Zugleich haben Neubauten bessere Wärmedämmung an den Außenflächen und an den Heizleitungen, so dass weniger Wärme verloren geht. Konventionelle Wärmenetze liefern angebotsorientiert Fernwärme von Kraftwerken für Siedlungen, Handwerk und Industrie, meist Abwärme mit hoher Temperatur aus der Stromproduktion. Die Energieverluste auf den viele Kilometer langen Strecken sind entsprechend groß. Im Gegensatz dazu stellt das Kaltwärmenetz ganzjährig die über den Agrothermiekollektor gewonnene Erdwärme zur Verfügung. Diese technische Anordnung erlaubt es, die Zirkulation des Mediums bedarfsorientiert durch die einzelnen Wärmepumpen ein- und auszuschalten. Das Kaltwärmenetz muss nicht permanent umgewälzt werden, da die Bodentemperatur auch bei dessen Stillstand weiter zur Verfügung steht. Erst in den Häusern der Nutzer wird per stromgetriebener Wärmepumpe effizient die geforderte Systemtemperatur erzeugt, Netzverluste fallen dabei nicht an. Heiz- und Kühlanwendungen können unabhängig voneinander betrieben werden. Die Aufnahme von industrieller Abwärme ist technisch und zeitentkoppelt entsprechend den jeweiligen Kundenanforderungen möglich. Pufferspeicher für Heizung und Warmwasser sind Teil des Systems, um eine schonende Betriebsweise der Wärmepumpe mit wenigen Ein- und Ausschaltvorgängen zu ermöglichen und kurzzeitigen Spitzenbedarf abzudecken. Photovoltaik versorgt Wärmepumpe in jedem Haus Die Wohnhäuser im Baugebiet „Vordere Viehweide- II“ bekommen die Energie für Heizung und Warmwasser aus dem Kaltwärmenetz. Statt Brennstofflager, Heizkessel und Schornstein benötigen sie nur eine Wärmepumpe. Diese kann mit Hilfe von elektrischem Strom dem Wasser-Glykol-Gemisch, das mit durchschnittlich 8- °C zwischen Ackerboden und Wohnhäusern bereit steht, einige Kelvin Temperaturdifferenz entziehen und daraus zum Beispiel Fußbodenheizung und Duschwasser erwärmen. Im Bild 2: Im Baugebiet Vordere Viehweide II in Wüstenrot kommt die Wärme der Heizung aus dem Acker. © König 66 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Sommer lassen sich die Gebäude direkt aus dem Kaltwärmenetz auf hoch energiesparende sowie natürliche Art kühlen. Das Prinzip der Wärmepumpe funktioniert hier besonders wirtschaftlich und umweltschonend, weil Strom sparend. Voraussetzung dafür ist, dass das Wärmenetz bereits einige Wärmegrade liefert und die daraus erzeugte Heiztemperatur rasch erreicht ist. Wird der für die Wärmepumpe und den Haushalt benötigte Strom nicht aus dem öffentlichen Netz bezogen, sondern über die eigene Photovoltaik(PV)-Anlage erzeugt, ist das ökologisch perfekt. Und Perfektion gehört zum Plan der Gemeinde Wüstenrot, um aus dem Neubaugebiet einen Energieüberschuss zu erwirtschaften. Thomas Löffelhardt gelang es, mit Hilfe seines Beraters Dirk Storz und dessen Firma „die Erneuerbaren“ den richtigen Partner aus der Wissenschaft zu finden: Dr. Dirk Pietruschka, Geschäftsführer des Instituts für Angewandte Forschung an der Hochschule für Technik (HFT) in Stuttgart. Der schuf für das Projekt einen erweiterten Rahmen und eine wissenschaftliche Basis, wodurch Wüstenrot auch in Expertenkreisen zu einer „Vorreiter“-Gemeinde werden und öffentliche Fördermittel erhalten sollte. Erste Etappe des ehrgeizigen Vorhabens war die Plusenergiesiedlung, deren wissenschaftliche Umsetzung Pietruschka übernommen hat. Für die Realisierung im Baugebiet „Vordere Viehweide II“ war erforderlich, dass die Grundstückskäufer dem Bau einer PV-Anlage mit Mindestgröße auf ihrem Haus zustimmen, einige der Wohnhäuser mit Stromspeichergeräten neuester Bauart (im Rahmen des Forschungsvorhabens kostenfrei) ausgestattet werden, um die zeitliche Phasenverschiebung zwischen Stromgewinnung und Strombedarf teilweise auszugleichen, die Wohnhäuser als KfW Effizienzhäuser 55 mit einem max. jährlichen Wärmebedarf von 55- kWh/ m² gebaut werden, d. h. 45- % weniger Primärenergie benötigen als ein vergleichbarer konventioneller Neubau. EnVisaGe, das groß angelegte Projekt einer kleinen Kommune Die Idee geht weit über die Plusenergiesiedlung „Vordere Viehweide II“ hinaus. Das zweite Etappenziel ist, den Weg der Gemeinde bis zur Plusenergie- Kommune Wüstenrot im Jahr 2020 zu entwickeln. Der Projekttitel EnVisaGe bedeutet: Kommunale netzgebundene Energieversorgung - Vision 2020 am Beispiel der Gemeinde Wüstenrot - Ein kommunaler Cluster im Bereich EnEff: Stadt. Die Neuausrichtung des Marktanreizprogramms (MAP) 2015 zeigt deutliche Wirkung. Die Anzahl der Geothermieanlagen, die vom Bund einen Investitionskostenzuschuss erhalten haben, hat sich in nur einem Jahr mehr als vervierfacht. Als Gründe hierfür gelten die deutliche Anhebung der Förderbeträge für Kleinanlagen und die Wiedereinführung der Förderung im Neubau. Wurden von Januar bis Mai 2015 etwa 570 Geothermieanlagen gefördert, waren es im gleichen Zeitraum 2016 bereits rund 2480. Das entspricht einem Plus von 330 % bzw. einer Vervierfachung der bewilligten Anträge. Die durchschnittliche Heizleistung der geförderten Anlagen liegt bei 10,4 Kilowatt. 2015 waren es 14,4 Kilowatt. Zu erklären ist dies durch die wiederaufgenommene Förderung im Neubau. Aufgrund einer höheren Energieeffizienz kommen Heizungen in diesem Segment grundsätzlich mit einer geringeren Leistung aus. Der Bundesverband Geothermie (BVG) fordert, die Förderung in der aktuellen Form konsequent fortzuführen. „Wir benötigen die Oberflächennahe Geothermie als wichtige Säule der Wärmewende“, sagt BVG-Vizepräsident Leonhard Thien und verweist darauf, dass der Ausbau noch nicht schnell genug voranschreite. „Das Potenzial ist groß. Selbst dicht besiedelte Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen können rund die Hälfte des Wärmebedarfs allein durch Erdwärmeheizungen decken“, so Thien weiter, der bei der EnergieAgentur.NRW als Leiter des Netzwerks Geothermie fungiert. Quelle: www.geothermie.de, September 2016 Bild 3: Die Bauherren der Plusenergiesiedlung Vordere Viehweide II verpflichteten sich, Solarmodule aufs Dach zu setzen. © HFT Stuttgart/ Pietzsch Bild 4: Einpflügen des ersten Kollektorfeldes im Herbst 2012. Im Hintergrund Häuser der Plusenergiesiedlung Vordere Viehweide II © HFT Stuttgart/ Pietzsch STEIGENDE ANZAHL DER GEFÖRDERTEN ERDWÄRMEHEIZUNGEN 67 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Ohne den Initiator Thomas Löffelhardt, seine Motivation und Bereitschaft, dem besonderen Zweck viel Freizeit zu opfern, wäre es nicht soweit gekommen. „Über 500 unbezahlte Arbeitsstunden stecken in diesem Projekt“, so Löffelhardt. „Doch ausschlaggebend war, dass Gemeinderäte und Bürgermeister mutig die Innovationen gut geheißen und mir sowie meinen externen Beratern vertraut haben“. Eine der Ideen war der Erwerb des Stromnetzes vom überregionalen Energiekonzern EnBW durch die zu diesem Zweck gegründete Energieversorgung Mainhardt Wüstenrot (emw). Daran sind zwei Nachbargemeinden und als technischer Partner der regionale Energieversorger Stadtwerke Schwäbisch Hall beteiligt. Die Netzübernahme erfolgte im Juni 2012. Dann ging es, von der HFT Stuttgart gesteuert, mit riesigen Schritten vorwärts. Dirk Pietruschka bildete ein passendes Konsortium, bestehend aus Firmen und Wissenschaftlern. Er ist auch verantwortlich für den beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie im Förderbereich EnEff: Stadt und EnEff: Wärme mit Erfolg eingereichten Forschungsantrag „Entwicklung der Gesamtstrategie der Gemeinde in Richtung Plusenergie und Umsetzung einer innovativen kalten Nahwärmeversorgung in der geplanten Plusenergiesiedlung“. Seit Juli 2012 gab es daraufhin von der Bundesregierung Fördermittel in Höhe von insgesamt mehr als EUR 3,5 Mio. SimStadt und SmartGrid Von der HFT Stuttgart wird in Zusammenarbeit mit der Kommune eine belastbare Roadmap für die Plusenergie-Gemeinde entwickelt, im Energienutzungsplan für Wüstenrot festgeschrieben und soweit möglich bis zum Jahr 2020 und darüber hinaus umgesetzt. Potenziale für den Ausbau erneuerbarer Energiequellen liefert das von der HFT Stuttgart unter Leitung von Prof. Dr. Volker Coors und Prof. Dr. Ursula Eicker entwickelte GIS-basierte energetische 3D-Stadtsimulationstool mit dem Namen SimStadt (www.simstadt.de). Dazu gehören sowohl Strategien zur wirtschaftlichen Erschließung dieses Potenzials, als auch Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz im Gebäudebestand sowie in der Abwasserentsorgung und Frischwasserversorgung. Der Ausbau erneuerbarer Energien wie Solar- und Windkraft ist Teil der Roadmap. Dadurch wird allerdings das Stromnetz der Gemeinde so stark belastet, dass es eigentlich teuer ausgebaut werden müsste. Für die Netzstabilität ist stattdessen eine intelligente Steuerung von regelbaren Verbrauchern und Verbrauchergruppen, Speichern und dezentralen Energieerzeugungsanlagen über ein sogenanntes SmartGrid geplant. Am Beispiel Agrothermiekollektor 1 Dezentrale Pumpen DN 40 DN 40 Agrothermiekollektor 2 DN 40 max. 51 m³/ h 1,5 m³/ h DN 250 DN 250 Bild 5: Hydraulikschema zur Anbindung der Gebäude an das Kaltwärmenetz. © HFT Stuttgart/ zafh.net Bild 6: Monatsbilanz der Arbeitszahl, bereitgestellte thermische Energie und Quellentemperatur am Beispiel einer Wärmepumpe auf Gebäudeebene im Jahr 2015. © HFT Stuttgart/ zafh.net Mit einem Investitionskostenzuschuss werden Geothermieanlagen mit Wärmepumpen bis zu einer Leistung von 100 Kilowatt gefördert. Im April 2015 wurden die Regelungen zur Förderung von erneuerbaren Heizungen geändert. Die Mindestförderung für Erdwärmeheizungen wurde auf EUR 4000 bzw. EUR 4500 (Anlagen mit Erdsonde) angehoben. Grundsätzlich werden EUR 100 pro Kilowatt bezahlt. Besonders effiziente Anlagen haben Anspruch auf die Innovationsförderung. Voraussetzung ist eine Jahresarbeitszahl von 4,5 oder höher. In bestehenden Gebäuden werden damit die Förderbeträge nochmals um die Hälfte erhöht. Weitere Boni für Heizungsoptimierungen oder die Kombination mit anderen Erneuerbaren Energie sind verfügbar. Die Beantragung der Zuschüsse erfolgt über das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Das Marktanreizprogramm stellt ebenfalls Fördermittel für Geothermieanlagen mit mehr als 100 Kilowatt zur Verfügung. Zuständig ist in diesem Fall die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Quelle: Pressemitteilung des Bundesverbandes Geothermie, 07.07.2016 NEUAUSRICHTUNG MARKTANREIZPROGRAMM 68 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte thermiefläche zur Evaluierung intensiv vermessen und analysiert. Dies wird Aufschluss geben über die Effizienz der Siedlung in verschiedenen Betriebszuständen. Darüber hinaus ist der Wärmebedarf in der gesamten Gemeinde in das 3D-Stadtmodell integriert. Auf dieser Basis ergaben Voranalysen das Potential für zwei neue Wärmenetze in der Ortsmitte Wüstenrots und in der August-Strobel-Siedlung, Ortsteil Neuhütten. Das Forscherteam hat im Januar 2017 grünes Licht für ein Anschlussprojekt bekommen. Eine der Aufgaben ist, die intelligente Steuerung für die Plusenergiesiedlung in ein virtuelles Kraftwerk der Stadtwerke Schwäbisch Hall zu integrieren. Die nachhaltige Energieerzeugung in Wüstenrot und andere flexible regionale Stromerzeuger und Verbraucher (z.B. Gewerbekunden der Stadtwerke) netzdienlich zu verknüpfen, ist ein weiteres Thema. Dann geht es noch grundsätzlich um modular ausbaubare nachhaltige Wärmenetze für den ländlichen Raum. Das neue Vorhaben läuft bis Ende 2019 und wird vom Bundeswirtschaftsministerium mit weiteren rund EUR 1,2-Mio. unterstützt. Regionale Wertschöpfung Vor dem Start des Projekts EnVisaGe flossen von den Haushalten der rund 6600 Einwohner Wüstenrots zusammen jährlich etwa EUR 2,9 Mio. für Strom und EUR 2,3 Mio. für Wärme ab. Ein Teil dieser Ausgaben wird nach Auffassung von Thomas Löffelhardt als Wertschöpfung in der Kommune, genauer gesagt in der Kasse des lokalen gemeindeeigenen Stromversorgers emw bleiben, der wiederum lokal investiert und neue Arbeitsplätze schafft. Möglich ist das nun, da Wüstenrot mit Unterstützung der Bürger bis 2020 voraussichtlich Plusenergiegemeinde sein wird - und danach sogar einen profitablen Energieüberschuss anstrebt. Im Jahr 2017 soll jeder der fünf Teilorte Wüstenrots einen Energie-Erlebnispfad erhalten. Dann ist denkbar, für Interessengruppen auch von außerhalb der Gemeinde individuell gestaltete Führungen zu den unterschiedlichen Aspekten des Zukunftsprojektes EnVisaGe anzubieten. Die bereits erfolgte Umstellen der Straßenbeleuchtung auf LED-Technik wird dann sicher ein Thema sein, die neue Solarstromtankstelle ein weiteres. Sie befindet sich im Ortsteil Weihenbronn neben dem Rathaus am Infozentrum „I-Punkt-Energie“ - einem zentralen Ort zur Fortbildung in Sachen Energie-Effizienz, der 2015 mit Hilfe von Fördergeldern eingerichtet werden konnte. Schräg gegenüber entstand fast zeitgleich ein zweites nachhaltiges Wärmenetz, das sich aus Biomasse und Solarthermie speist. Es nutzt das vor- Übergeordnete Netzoptimierung Last- und Erzeugungsprofil - Wettervorhersage - Simulation Erzeugung - Statistik Stromlasten - Nutzerprofile - Simulation Wärmebedarf Fahrplan Batterie Fahrplan WP + Batterie Potential verfügbarer Stromsenken Lokale Optimierung Eigenstromnutzung je Gebäude Generator Einzelfahrplan Summen Signal Cluster Virtuelles Kraftwerk Fahrplan variable Lasten (WM, SP, E-Mobil) Fahrplan WP Optimierung Intelligentes Last- und Speichermanagement zur Flexibilisierung des Stromverbrauchs 20.000 Luft/ Wasser-Wärmepumpen erdgekoppelte Wärmepumpen 40.000 60.000 10.000 50.000 30.000 70.000 Absatzzahlen für Heizungswärmepumpen in Deutschland 2010 - 2016 2010 51.000 2011 57.000 2012 59.500 2013 60.000 2014 58.000 2015 57.000 2016 66.500 Bild 7: Konzeption der intelligenten Steuerung des Stromverbrauchs in der Plusenergiesiedlung „Vordere Viehweide II“ © HFT Stuttgart/ zafh.net des Wüstenroter Stromnetzes untersucht ein Forscherteam von HFT Stuttgart, Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden- Württemberg (ZSW) und Institut für Feuerungs- und Kraftwerkstechnik der Universität Stuttgart die Zusammenhänge in verschiedenen Szenarien. Konkret bedeutet das, mit Hilfe von Simulationen die Belastbarkeit zu testen, Schwachstellen zu lokalisieren sowie notwendige Ausbauszenarien und den Bedarf an intelligenter Netz- und Verbrauchssteuerung zu ermitteln. Weiterhin werden der Ausnutzungsgrad der Erzeugungsanlagen und damit Kosten und Nutzen über ein Jahr bestimmt. Die Resultate sollen später in einem Leitfaden auch für andere Kommunen nachzulesen sein. Wie geht es weiter? Nach Abschluss der Bebauung der Plusenergie- Mustersiedlung im Jahr 2017 werden noch bis 2019 zehn Häuser, das Kaltwärmenetz und die Agro- Bild 8: 17 Prozent Marktwachstum machen 2016 zum Wärmepumpen- Rekordjahr. © BWP 69 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte handene, ehemals mit Öl betriebene Netz für das Rathaus mit kommunalem Dienstleistungszentrum, das auf eine kleine, angrenzende Wohnsiedlung erweitert wurde. Statt mit Öl wird dort nun nachhaltig Wärme für die Gebäude erzeugt. Sichere Energie, stabile Preise Mit Stolz kann die Gemeindeverwaltung den künftigen Energie-Touristen auch den Stand der Planung von Kinderkrippe, Kindergarten und Grundschule im Ortsteil Wüstenrot präsentieren. Der Fokus liegt dabei nicht allein auf der Energieeffizenz. Vielmehr soll durch die Auswahl von nachhaltigen Baumaterialien wie Holz und Lehm ein nachhaltiges Gesamtkonzept entwickelt werden. Hierzu hatte die Hochschule für Technik Stuttgart 40 Studenten der Architektur und des Energiemanagements zu Vorschlägen aufgefordert, aus denen mittlerweile ein Favorit ausgewählt wurde. Derzeit bemüht sich die Gemeinde intensiv um Fördermittel, um dieses Vorzeigeprojekt zeitnah realisieren zu können. Sicher ist: Der eingeschlagene Weg führt zum Erfolg und das Vorhaben wird sich für Wüstenrot finanziell auszahlen. Die 2009 unter Bürgermeister Heinz Nägele in das Projekt EnVisaGe investierten 150 000 € haben inzwischen ein Mehrfaches an Gegenwert gebracht. Die Smart-Grids-Plattform Baden-Württemberg e. V. vergab 2015 den Quartiers-Award an Wüstenrot als Anerkennung für das richtige, weil zukunftweisende Energiekonzept. Wertschöpfung und neue Arbeitsplätze im Handwerk resultieren aus den damit verbundenen Maßnahmen. Außerdem, und davon profitieren alle Einwohner, stellt die Gemeinde nachhaltig erzeugte Energie zur Verfügung, die nicht den Preisschwankungen des internationalen Energiehandels unterliegt. QUELLEN, WEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN • EnVisaGe, Zwischenbericht EnEff: Stadt-Projekt, 1.1.2016-30.6.2017 • Pietruschka, D. et al.: Vision 2020, Plusenergiegemeinde Wüstenrot. Schriftenreihe EnEff: Stadt. Hrsg.: pro: 21 GmbH, Bonn. Fraunhofer IRB Verlag, 2015. Die Versorgung mit Wärme und Kälte hat einen Anteil von rund 56- % am Endenergieverbrauch in Deutschland. Der weitaus größte Teil des thermischen Energiebedarfs wird mit fossilen Energieträgern gedeckt, während Erneuerbare Energien noch eine untergeordnete Rolle spielen. Für eine sichere, umweltverträgliche und auf Dauer bezahlbare Energieversorgung ist es erforderlich, den Bedarf an Wärmeenergie erheblich zu senken und die Versorgung auf Erneuerbare Energien umzustellen. Die bisher erzielten Fortschritte bleiben allerdings deutlich hinter der erforderlichen Entwicklung zurück. Der Energieverbrauch für Wärmezwecke weist lediglich einen leicht sinkenden Trend auf und der Beitrag der Erneuerbaren Energien zur Deckung des Wärme- und Kältebedarfs ist in den vergangenen Jahren nur minimal gestiegen. Der Wärmesektor wird daher oft auch als „schlafender Riese“ bezeichnet. Einerseits macht er den größten Teil des Endenergieverbrauchs in Deutschland aus und hat somit ein großes Effizienz- und CO 2 -Minderungspotenzial, andererseits ist er aufgrund der Vielfalt der Akteure und der Komplexität schwer zu steuern. Der bislang mangelnde Fortschritt ist verschiedenen Studien und Akteuren zufolge darauf zurückzuführen, dass die politischen Zielvorstellungen bislang zu unverbindlich und unzureichend mit Instrumenten und Maßnahmen unterlegt sind, um die Potenziale von Energieeffizienz und Erneuerbaren Energien (Solarthermie, Geothermie, Biomasse und Wärme aus regenerativ erzeugtem Strom) zu heben. Zudem fehlen politische Zwischenziele für die Jahre nach 2020 bis 2050. Quelle: www.forschungsradar.de, Oktober 2016 METAANALYSE WÄRMEWENDE Dipl.-Ing. Klaus W. König Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Bewirtschaftung und Nutzung von Regenwasser, Fachjournalist kwkoenig@koenig-regenwasser.de AUTOR Bild 9: Technik für die multifunktionale Nutzung von Agrarflächen bei gleichzeitiger Reduzierung der Erschließungskosten für oberflächennahe Geothermie © Doppelacker GmbH 70 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte Grünflächen- und Landschaftspflege in urbanen Räumen - ein kostspieliges Unterfangen? Grünflächen in Kommunen haben nicht nur eine große ökologische Bedeutung, sondern übernehmen als Erholungsräume und Begegnungsorte auch wichtige soziale Funktionen. Die Wertschätzung, die die Menschen diesen Freiräumen beimessen, lässt sich auch an deren signifikant positivem Einfluss auf die Boden- und Immobilienpreise nachweisen [1]. Doch nicht nur der Bestand von Grün- und Freiflächen, auch deren Pflegezustand ist ein wichtiger, den Wert von Grundstücken und Immobilien beeinflussender Faktor. Budinger [2] kommt zu dem Schluss, dass Grün- und Freiräume in der Stadt zukünftig stärkere Berücksichtigung bei Stadtplanern und Investoren finden sollten, da diese neben dem Imagegewinn auch eine Wertsteigerung für die Quartiere im Umfeld versprechen. Sie können darüber hinaus ein wichtiges Auswahlkriterium für Unternehmen sowie Wohnortsuchende und damit wichtiger Standortfaktor im Wettbewerb mit anderen Städten oder Kommunen sein. Obgleich sich Pflegemaßnahmen angesichts der umrissenen Wirkungen gesamtwirtschaftlich lohnen und von den Grünflächen- und Gartenämtern entsprechend priorisiert werden müssten, sparen viele Städte und Kommunen in Zeiten knapper Haushalte, insbesondere bei freiwilligen Aufgaben wie der Grünflächen- und Landschaftspflege [3]. Für den Aufbau und die Pflege von Hecken, die im Zuge von Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen angelegt wurden, ist in Sachsen nach gängiger Praxis [4] der Verursacher von Eingriffen für einen Zeitraum von 25-Jahren verantwortlich. Seit 2013 haben Verursacher von Eingriffen die Möglichkeit, die Ausgleichs- und Entwicklungsmaßnahmen durch die Sächsische Landsiedlungs GmbH (Ökoagentur) abwickeln zu lassen. Sofern die dauerhafte Pflege solcher Flächen von Kommunen ausgeführt wird, besteht jedoch die Gefahr steigender Haushaltsausgaben - unabhängig davon, ob die Pflegemaßnahmen durch einen kommunalen Bauhof oder durch beauftragte gewerbliche Garten- und Landschaftsbauunternehmen erfolgen. Um auch bei angespannter Haushaltslage einen möglichst guten Pflegezustand der Grünflächen zu gewährleisten, sind übertragbare kosteneffiziente Lösungsansätze und Praxisbeispiele gefragt. Kulturlandschaftsmanagement für eine nachhaltige Stadtraumentwicklung Im Fokus des vom BMBF im Rahmenprogramm FONA (Forschung für eine Nachhaltige Entwicklung) geförderten Verbundprojektes stadt PARTHE land steht das Partheland, eine Kulturlandlandschaft entlang des Partheflusses, die - geprägt durch einen hohen Grünlandanteil mit geschützten Arten und Lebensraumtypen sowie zahlreichen Grünflächen und Heckenstrukturen - den Stadtkern von Leipzig mit dem Umland verbindet. Das skizzierte Projektgebiet in der wachsenden Metropolregion ist durch Flächeninanspruchnahme, Zerschneidung infolge von Infrastrukturmaßnahmen sowie Nutzungsänderungen der landwirtschaftlichen Flächen bedroht. Aufgrund ihrer Kleinstrukturiertheit ist die Unterhaltung der Pflegeflächen sehr Biomasse in der Stadt Chancen für eine grüne Energieversorgung Grünflächenmanagement, Energetische Quartiersversorgung, Laubbrikettierung, Biomeiler Torsten Schmidt-Baum, Ronny Wirkner Kommunale Grünflächen übernehmen viele wichtige Funktionen. Jedoch fallen bei der Pflege und Unterhaltung neben Arbeitskosten auch Kosten für die Entsorgung der Reststoffe an. Zugleich bieten Reststoffe aber auch die Chance, fossile Brennstoffe zu ersetzen und damit CO 2 einzusparen. Im Fachbeitrag werden innovative Lösungsansätze vorgestellt, die im Rahmen eines Projektes aus dem Förderbereich „Nachhaltiges Landmanagement“ des BMBF entwickelt wurden. Ziel ist die Identifizierung höherwertiger Nutzungsmöglichkeiten bislang vornehmlich im Entsorgungsfokus stehender Reststoffe. 71 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte kostenintensiv. Grundintention des Projektes ist es, Lösungen für die Implementierung eines Managementsystems aufzuzeigen das geeignet ist, speziell bei der Grünlandbewirtschaftung, der Flurgehölzpflege, dem Flurgehölzumbau und der Reststoffverwertung innovative Bewirtschaftungskonzepte und Dienstleistungsangebote umzusetzen und weiter zu entwickeln. Ganzheitliche Lösungen brauchen eine ganzheitliche Betrachtung Für den Aufbau erfolgreicher Wertschöpfungsketten in der Kulturlandschaftspflege werden organisatorische und strukturelle Innovationen durch gezielte Verbundlösungen zwischen in der Grünflächen- und in der Landschaftspflege tätigen Akteuren angestrebt. Die Herausforderung besteht darin, diskontinuierlich anfallende Reststoffströme zu identifizieren, um sie, wenn möglich gebündelt, sowohl stofflichen und/ oder energetischen Verwertungswegen zuzuführen. Auf Grundlage klar definierter Quellen und Berechnungswege [5] wurden bestehende Geoinformationen und Statistiken vom Deutschen Biomasseforschungszentrum gGmbH (DBFZ) ausgewertet (Bild 1). Damit ließ sich zunächst das Biomasseaufkommen in Grünanlagen, Gartenland, Friedhöfen, Sport- und Freizeitanlagen im Partheland abschätzen und das technische energetische Potenzial ermitteln. Außerdem wurden die Schlüsselakteure der Grünflächen- und Landschaftspflege identifiziert sowie Mengenaufkommen von Reststoffen im Jahresverlauf und bestehende Entsorgungs- und Verwertungswege anhand von Fragebögen und vertiefenden leitfadengestützten Interviews erfasst. In Workshops wurden die Erhebungsergebnisse mit den Schlüsselakteuren erörtert und gemeinsam mögliche Ansätze zur höherwertigen Nutzung der biogenen Reststoffe identifiziert [6]. Auf diese Weise konnten Stoffströme nachgezeichnet und die wichtigsten Reststofftypen identifiziert werden, für die kostengünstigere Verwertungsmöglichkeiten gefunden werden sollen. Städte voll ungenutzter Energie Die Potenzialanalyse zeigte, dass der Bioabfall im Projektgebiet - trotz hoher Grünflächen- und Grünlandanteile - den größten Primärenergiebeitrag zur energetischen Versorgung von Gebäuden und Quartieren leisten könnte. Technisch ausgereifte Verfahren stehen hierfür zur Verfügung. So kann in Trockenfermentationsanlagen im diskontinuierlichen Batchbetrieb aus Bioabfall Biogas zur nachträglichen Strom- und Wärmeproduktion in Blockheizkraftwerken gewonnen werden. In einem nachgeschalteten Verfahren werden die Gärreste in einem aeroben Intensivrotteprozess hygenisiert und - in Mischung mit Rohkompost - zu Kompost verarbeitet. Erfahrungen aus der Flächenpflege zeigen, dass hoher Entsorgungsaufwand (Arbeitsaufwand und Kosten) vor allem für halmgutartige Biomasse, Laub sowie Reisig aus der Landschafts- und Grünflächenpflege besteht. Diese Reststoffe werden bisher im Wesentlichen kostenpflichtig in verschiedene Kompostwerke im Leipziger Raum abgegeben und dort kompostiert [6]. Die geschützten Grünlandflächen werden aufgrund von Naturschutzauflagen zu (verschiedenen) festen Zeiträumen gepflegt. Die Silierung und effiziente Vergärung des anfallenden Materials in vorhandenen Biogasanlagen erscheint wegen der zumeist späten Mahdtermine und des daraus resultierenden dürftigen Energiegehaltes des Mahdgutes sowie des geringen Massenanfalls nicht praktikabel. Bei Reisig ist die thermische Verwertung schwierig. Holzheizkraftwerke, bislang potenzielle Abnehmer dieser minderen Holzqualitäten, bevorzugen derzeit bessere Qualitäten - dank der niedrigen Marktpreise von Hackschnitzeln. Das anfallende Laub eignet sich - abhängig von der Baumart - nur bedingt zur Kompostierung, so dass auch hier wie für die beiden zuvor genannten Reststofftypen alternative Verwertungswege gesucht werden. Eine Möglichkeit zur Wertschöpfung von Biomasse aus der Landschafts- und Grünflächenpflege ist die Wärmeerzeugung im Biomeiler. Der besteht aus einer Kompostmiete, mit der aus Biomasse einfach und kostengünstig Wärmeenergie gewonnen wird (Bild 2). Die bei der aeroben Kompostierung entstehende Zersetzungswärme wird durch ein mit Wasser oder Luft gefülltes Schlauchsystem abgeführt und Bild 1: Bestehende Geoinformationen und Statistiken des Deutschen Biomasseforschungszentrums gGmbH (DBFZ) wurden ausgewertet. © DBFZ 72 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte kann ein benachbartes Gebäude mit Wärme versorgen. Dieses einfache Prinzip geht auf den französischen Forstwirt Jean Pean zurück und wurde seither von zahlreichen Anwendern weiterentwickelt. Der Biomeiler eignet sich für kleine und mittlere landwirtschaftliche Betriebe mit Wärmebedarf beispielsweise für Stall, Gewächshaus oder Wirtschaftsgebäude. Weitere Anwendungen sind für kleinere Industriehallen, Unternehmen im Garten- und Landschaftsbau oder Reiterhöfe denkbar. Kleine Kommunen könnten durch die Nutzung der in den örtlichen Bauhöfen anfallenden Reststoffe den Grundwärmebedarf ihrer Kitas, Schulen oder öffentlichen Gebäude decken oder unterstützen. Der durch den biologischen Abbau entstehende Kompost bietet als Dünger, Bodenverbesserer und Kultursubstrat einen Mehrwert. Biomeiler lassen sich idealerweise mit Solarthermie zu einer kombinierten solar-bio-basierten Wirtschaft verbinden, da sich im Herbst der Solarertrag verringert, zugleich aber große Mengen an Grünschnitt für die Befüllung der Biomeiler anfallen, um den zunehmenden Wärmebedarf der Objekte zu decken. Auch für die Aufbereitung von Laub zu Brennstoff, der in Heiz(kraft)werken genutzt werden kann, wurden bereits entsprechende Prozesstechniken von verschiedenen Herstellern entwickelt, die sich vor dem Markteintritt befinden oder bereits konkret in ersten Kommunen geplant werden. So wurde beispielsweise von einem bei Ibbenbüren ansässigen Unternehmen eine Laubbrikettiermaschine entwickelt, die die Weiterverarbeitung von vorgetrocknetem Laub zu Laubbriketts ermöglicht. Verbrennungsversuche in dem betriebseigenen Biomasseheizwerk fielen - auch hinsichtlich der Emissionswerte - sehr vielversprechend aus. Die Investition soll sich nach derzeitigem Kenntnisstand innerhalb von sechs Jahren amortisieren und lohnt sich vor allem für Kommunen, die das Laub, statt es bisher kostenpflichtig zu entsorgen, zu Brennstoff aufbereiten und in eigenen Heiz(kraft)- Werken energetisch nutzen. Auch Halmgut ließe sich mit der genannten Technik zu Brennstoffbriketts pressen. Das Energiepotenzial von 2 - 2,5 kg Laubbriketts entspricht etwa dem von 1 L Heizöl. Klimaschutzmanager Christoph Runst und Energie- und Klimaschutzkoordinator Johann SingerI der Stadt Leipzig schätzen, dass sich die Einbindung eines Biomasse-Heizwerkes in das bestehende Wärmenetz am ehesten realisieren ließe. Hierzu müssten geeignete Standorte an der Stadtgrenze gefunden werden. Nicht zuletzt weisen auch die zahlreichen heckenartigen Strukturen, die im Rahmen der Landschaftspflege auf den Stock gesetzt werden müssen, trotz einem in der Regel geringen Stück-Masse-Verhältnis ein hohes Energiepotenzial auf. Um jedoch die ökologische Notwendigkeit der Pflege unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten durchführen zu können, ist ein überregionales Management erforderlich. Gelungene Beispiele finden sich unter anderem im Landkreis Steinfurth, wo, angestoßen über ein Interreg-Projekt, ein Wallheckenmanagement zur ökologischen Pflege und gezielten Nutzung des anfallenden Materials etabliert wurde [7]. Für die einzelnen Eigentümer und Bewirtschafter war neben der überregionalen Organsisation der aufwändigen und kaum rentablen Pflege wichtig, zusätzlich zur Inwertsetzung einen regionalen Beitrag zum Klima- und Ressourcenschutz zu leisten. Ein weiteres Beispiel für eine zielführende überregionale Bewirtschaftung von Heckenstrukturen ist das Modell der Schleswiger Stadtwerke. Sie beziehen in einem Umkreis von 20 km um das Heizwerk Gildestraße holzartiges Landschaftspflegematerial aus den in Schleswig-Holstein bekannten Wallhecken (Knicks), um damit ein Nahwärmenetz mit einer Länge von 1100 m für 83 Haushalte zu betreiben [8]. Derzeit wird ebenfalls im Partheland versucht, ein eigentümerübergreifendes Management unter Koordination des lokalen Zweckverbands anzustoßen. Ziel dabei ist, die Funktionsfähigkeit der Flurgehölze langfristig sicherzustellen. Bei diesem Projekt konnte bereits beispielhaft nachgewiesen werden, dass mit bislang defizitären Pflegemaßnahmen, inzwischen sogar Einnahmen erzielt werden können. Grünflächenmanagement - ein lohnender Ansatz? Die verschiedenen Akteure, die im Partheland im Bereich der Grünflächen- und Landschaftspflege tätig sind, haben, bedingt durch ihre institutionellen Ziele und Aufgaben, jeweils einen eigenen Blickwinkel auf die Pflege und Entwicklung ihrer Flächen sowie auf die Entsorgungswege der anfallenden „Reststoffe“. Im Fokus des Teilprojektes standen da- Bild 2: Ein Biomeiler besteht aus einer Kompostmiete, mit der aus Biomasse einfach und kostengünstig Wärmeenergie gewonnen wird. © www.nativepower.de 73 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Energie für Städte her zunächst, die unterschiedlichen Interessenlagen zu erfassen und im Sinne einer regionalen Verwertungsstrategie in Einklang zu bringen, um dann nach entsprechenen Lösungen zu suchen. Dabei müssen die jeweils ökonomischen Möglichkeiten und die Mengenpotenziale beachtet und in geeigneter Form zusammengeführt werden. Reststoffnutzung in urbanen Räumen gehört auch zur Aufgabenstellung des Projekts KuLaRuhr - „Nachhaltige urbane Kulturlandschaft in der Metropole Ruhr“. Hier wird die Bewirtschaftung und Erhaltung urbaner Flächen und damit die Nutzung anfallender Biomassen mit einer CO 2 -neutralen Energieproduktion unter Einbeziehung der 460 km 2 großen Fläche des Emscher Landschaftsparks kombiniert, sofern bestimmte Voraussetzungen auf kommunaler Ebene (Wärmesenke, Biomasseumfang/ -qualität, Kooperationsmöglichkeiten mit der Landwirtschaft) gegeben sind [3]. Bei der gegenwärtigen Situation im Partheland wäre dafür im Vergleich jedoch ein Paradigmenwechsel vom Reststoff (Entsorgungsfokus) zum Rohstoff (Nutzungsfokus) notwendig. Zudem müssten die vielen parallel laufenden Konzepte, die es aufgrund diverser Eigentums- und Bewirtschaftungsverhältnisse oder unterschiedlicher Zuständigkeiten gibt, koordiniert und optimiert werden. Fazit Für die gezielte Bewirtschaftung von Grünflächen sind entsprechende Informationssysteme notwendig, denn zuerst müssen Daten und Fakten zu den Flächen, deren Unterhaltung und Bewirtschaftung gesammelt werden, wie beispielsweise Art, Qualität, und Mengen des Materials sowie der Zeitraum des Anfallens. Zusammen mit funktionalen Parametern sowie planerischen und rechtlichen Rahmenbedingungen sorgt ein umfängliches Grünflächenmanagementsystem für die gezielte Nutzung und Verwertung der bei der Pflege anfallenden Biomassen, einschließlich den damit verbundenen Logistikaufgaben. Eine flächenübergreifende Bewirtschaftung, um auch mitunter anfallende Kleinstmengen bündeln zu können, wird jedoch häufig aufgrund unterschiedlicher Eigentumsverhältnisse erschwert oder steht wegen fehlender Zuständigkeiten nicht im Fokus. Entsprechend wäre es sinnvoll, offene Systeme bereitzustellen, um so Transparenz zu schaffen und Reststoffe, die bis dato mit öffentlichen Mitteln kostenpflichtig entsorgt werden müssen, in den Rohstofffokus zu rücken und damit neue Marktchancen zu eröffnen. LITERATUR [1] Kowarik, I., Bartz, R., Brenck, M.: Ökosystemleistungen in der Stadt. Gesundheit schützen und Lebensqualität erhöhen, 2016. Zuletzt geprüft am 20.04.2017. [2] Budinger, A.: Städtische Freiräume als Faktoren der Wertsteigerung von Grundstücken. neue Ausg. Uelvesbüll: Der Andere Verlag, Dortmunder Beiträge zur Landschafts- und Umweltplanung, 2, 2014. [3] Sures, B.: Nachhaltige urbane Kulturlandschaft in der Metropole Ruhr (KuLaRuhr). Übersichtsbericht Verbundvorhaben, 2015. Online verfügbar unter http: / / w w w. k ular uhr.de / inde x .php/ er gebni s s e.html , zuletzt geprüft am 16.05.2017. [4] Bayerische Kompensationsverordnung (BayKompV) vom 7. August 2013 (GVBl. S. 517, BayRS 791-1-4-U). ht tp: / / w w w.ge s et ze bayern.de / Content / Docu ment/ BayKompV/ true? AspxAutoDetectCookieSupp ort=1, zuletzt geprüft am 18.05.2017 [5] Brosowski, A., Adler, P.: Ergebnisvorstellung technische Biomassepotenziale. Vortrag beim 14. Workshop Bioenergie-Regionen, am 11.3.2014 in Straubing. https: / / www.dbfz.de/ index.php? id=809&L=0 [6] Etterer, F.: stadtPARTHEland Kurzbeschreibung, https: / / stadtpartheland.de/ ? page_id=12, zuletzt geprüft am 16.05.2017. [7] Engemann, R.: Energiequelle Wallhecke - stoken op streekhout, in: 2012-11-27-praesentation-interreghecken_rosendahl-1.pdf. Online verfügbar unter https: / / www.google.de/ url? sa=t&rct=j&q=&esrc=s&s ource=web&cd=5&ved=0ahUKEwjpicuJ1L X TAhXLbl AKHRkVAysQFgg-MAQ&url=http%3A%2F%2Fwww. gemeinde-senden.de%2Ffileadmin%2Fuser_uploa d%2Fdokumente%2Fpolitik%2Fsitzungskalender% 2F2012-11-27-praesentation-interreghecken_rosendahl.pdf&usg=AFQjCNGWLHgtPD-BqXddT7_- JkcS- BU9-g&cad=rja, zuletzt geprüft am 16.05.2017. [8] Thrän, D. et al.: Fokusheft Landschaftspflege. Programmbegleitung des BMU-Förderprogramms „Energetische Biomassenutzung“. Hg. v. DBFZ. Leipzig, 2011. Dr. forest. Torsten Schmidt-Baum Wissenschaftlicher Mitarbeiter Bereich Bioenergiesysteme (BS) Deutsches Biomasseforschungszentrums gGmbH DBFZ, Leipzig Kontakt: torsten.schmidt-baum@dbfz.de Dr. rer. nat. Ronny Wirkner Wissenschaftlicher Mitarbeiter Bereich Bioenergiesysteme (BS) Deutsches Biomasseforschungszentrums gGmbH DBFZ, Leipzig Kontakt: ronny.wirkner@dbfz.de AUTOREN 74 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Fachliteratur Im Übereinkommen von Paris, dem 2016 in Kraft getretenen globalen Klimavertrag der Nationalstaaten, wurde nicht weniger als die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft beschlossen. Auch Deutschland hat sich international zu einem Beitrag zur globalen Klimagasreduktionen und zur Generationenaufgabe „Klimaschutz“ verpflichtet. Mindestens 80 %, möglichst 95 % der Erneuerbare Wärme Kommunale Vorbilder zum Nachahmen Klimaschutz, erneuerbare Energien, Wärmewende, CO 2 -Einsparung, Förderprogramme Jan Walter Das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) veröffentlicht ein Themenheft zu kommunalen Aktivitäten und Potenzialen für die Wärmewende vor Ort. Neun Textbeiträge und zwei Exkurse zeigen auf, wie Kommunen sich bereits heute für die Wärmewende vor Ort einsetzen. Möglichkeiten bestehen sowohl im direkten Aufgabenbereich, zum Beispiel durch Umstellung der Wärmeversorgung eigener Liegenschaften, als auch mittelbar durch Unterstützung kommunaler Akteure - durch Fördern, Beraten, Netzwerken, bis hin zur Erstellung eigener Planungswerkzeuge. Mit Beiträgen unter anderem aus Chemnitz, Heidelberg, Marburg, Stuttgart, den Landkreisen Nordfriesland, Osnabrück und dem Rhein-Hunsrück-Kreis. Treibhausgase im Vergleich zu 1990 möchte die Bundesregierung bis zum Jahr 2050 einsparen [1]. Die ersten Einsparungen waren aufgrund des Zusammenbruchs der alten DDR-Wirtschaft Solarthermie im Freiland mit Einbindung in ein Nah- und Fernwärmenetz. © Acron-Sunmark A / S 75 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Fachliteratur verhältnismäßig schnell erreicht. Danach blieb der Ausstoß an Treibhausgasen eher konstant und nach neuesten Zahlen scheint momentan sogar der Mustersektor „Strom“ zu schwächeln. Denn lediglich im Strombereich gab es beim Ausbau der Erneuerbaren einen wirklichen Durchbruch. In 2016 ist das Wachstum nach zuletzt rasantem Anstieg allerdings vorerst zum Halten gekommen. Dennoch liegt der Anteil der Erneuerbaren im Stromsektor bereits auf etwa dem sechsfachen Niveau im Vergleich zum Verkehrsbereich und über doppelt so hoch verglichen mit dem Anteil erneuerbarer Wärme (Bild 1). Die Energiewende ist ein wesentlicher Baustein im Kampf gegen den Klimawandel. Sie kann als Summe aller Anstrengungen im Strom-, Wärme- und Verkehrsbereich beschrieben werden, die zur Substitution fossiler und nuklearer durch regenerative Energieträger sowie zur Reduktion des Energieverbrauchs führen. Nicht selten wird die Energiewende jedoch als reine „Stromwende“ betrachtet. Energiewende bedeutet aber Strom-, Verkehrs- und eben auch Wärmewende. Ohne den massiven Ausbau erneuerbarer Wärme, gepaart mit enormen Anstrengungen im Bereich der energetischen Gebäudesanierung, aber auch im Bereich Prozesswärme, lassen sich diese Ziele nicht erreichen. Wie wichtig der Wärmesektor ist, wird allein anhand seiner Größe deutlich. In Deutschland werden für die Wärmebereitstellung 56 % des gesamten Endenergiebedarfs aufgewendet, der größte Teil davon im Gebäudebereich [2]. Da für den Kampf gegen den Klimawandel tatsächlich nicht allein der Stand der Treibhausgasemissionen zu einem bestimmten Stichdatum relevant ist, sondern vor allem die Menge der Gesamtemission, die sich bis dahin in der Atmosphäre angesammelt hat, muss im Wärmesektor sehr bald sehr viel stärker umgesteuert werden, als es bis heute in Deutschland passiert. Je später damit begonnen wird, desto aufwändiger und teurer werden die in der Zukunft notwendigen Maßnahmen. Das neue Themenheft rückt den Aspekt der erneuerbaren Wärme in den Fokus und stellt dabei, dem Reihencharakter entsprechend, nicht nationale Strategien in den Vordergrund, sondern setzt sich mit den zahlreichen kommunalen Ansätzen für eine zunehmend erneuerbare Wärmeversorgung auseinander. Viele Kommunen haben bereits verstanden, dass Energiewende mehr als „Stromwende“ bedeutet. Tatsächlich können die Kommunen, unterstützt von Bund und Ländern, einen besonders wichtigen Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele im Wärmebereich leisten. In ausführlichen Beiträgen und kurzen Exkursen aus der kommunalen Praxis werden im Themenheft kommunale Ansatzpunkte präsentiert. Die aufgeführten Maßnahmen und Potenziale sollen weitere Kommunen zur Entwicklung von Strategien und Projekten vor Ort motivieren. Das Bild 1: Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch, am Endenergieverbrauch für Wärme und für Verkehr; Entwicklung von 1990 bis 2016. © Umweltbundesamt (UBA) 76 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Fachliteratur Engagement fängt meist bei den eigenen Liegenschaften an. So berichtet ein Autor aus der Landeshauptstadt Stuttgart, wie das städtische Energiemanagement mithilfe des selbst entwickelten Instruments eines stadtinternen Contractings die Wärmewende für viele eigene Liegenschaften einleiten konnte. Lokale Akteure können darüber hinaus über kommunale Beratungsangebote und Förderprogramme aktiviert werden, wie das Beispiel der Stadt Marburg zeigt. Das neue „Informations- und Planungsportal Industrielle Abwärme“ (PInA) des Landkreises Osnabrück ist ein Instrument zur Wärmekartierung. Es ermöglicht unter anderem, zukünftig gezielt Wärmenehmer und Wärmegeber zusammenzuführen. Stadtplanerische Instrumente ermöglichen es Kommunen, ihren Wirkkreis zu erhöhen und Ziele im Bereich Klimaschutz und Daseinsvorsorge zu realisieren. Die Errichtung erneuerbarer kommunaler Wärmenetze in großen Städten wie in kleinen Gemeinden geben wichtige Impulse für Klimaschutz, Daseinsvorsorge und regionale Wertschöpfung. Aufbau und Optimierung kommunaler Wärmenetze unter Nutzung von erneuerbaren Energien werden gleich in mehreren Beiträgen beschrieben. Aus Chemnitz wird ein städtisches Beispiel vorgestellt, in dem die Einbettung in Stadtentwicklungsprozesse und deren Steuerung von besonderer Bedeutung ist. Anhand des nordfriesischen Gemeinde Sprakebüll kann die vorbildliche Errichtung eines kleinen dörflichen Wärmenetzes durch die engagierten Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde betrachtet werden und im Rhein- Hunsrück-Kreis entstehen jedes Jahr neue Wärmenetze auf Basis erneuerbarer Energien. In Neuerkirch-Külz wurde letztes Jahr das erste Wärmenetz mit Einbindung der Freiflächensolarthermie des Landes Rheinland-Pfalz errichtet. Der abschließende Beitrag des Themenheftes greift Bedeutung und Potenziale von Wärmenetzen für die Wärmewende in deutschen Kommunen mit besonderem Blick auf die Einbindung von Solarthermie-Freiflächenanlagen auf. Letztere haben in Deutschland noch den Charme des „Exotischen“. Der Trend kommt aber nicht aus dem fernen Süden, sondern aus dem europäischen Nachbarland Dänemark. Seit 2010 werden in dänischen Städten und Gemeinden in wachsender Geschwindigkeit und Größe Solarthermie-Freiflächenanlagen mit einer Gesamtleistung von inzwischen mindestens 800 MW in kommunale Wärmenetze eingebunden. Der Autor stellt Praxisbeispiele aus dem In- und Ausland vor. Auch hierzulande machen sich klimaaktive Kommunen auf den Weg, die Energie der Sonne ohne Umwege und im großen Stil in Wärmenetze einzuspeisen. Die Technologie ist ausgereift und bei einem Wärmegestehungspreis von drei Cent pro Kilowattstunde mit Förderung oder rund fünf Cent ohne Förderung sehr wirtschaftlich. Die bedeutendste Herausforderung für Kommunen ist dabei das Thema Flächensicherung. Es zeigt sich, dass Kommunen, die früh die Weichen für die Energiewende gestellt haben, bereits heute beachtliche ökonomische, ökologische und soziale Erfolge vorweisen können. Zugleich haben sie gute Chancen, auf Grundlage gewonnener Erfahrungen, finanzieller Sicherheiten und der von den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort entwickelten Akzeptanz und Affinität auch beim nächsten und übernächsten Schritt der Energiewende IKT 2% Beleuchtung 3% mechanische Energie 39% Raumwärme 27% Warmwasser 5% sonstige Prozesswärme 22% Klimakälte 0% sonstige Prozesskälte 2% Bild 2: Energieverbrauch nach Anwendungsbereichen in Deutschland 2015 (insgesamt 8877 Petajoules). © BMWI 77 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Fachliteratur erneut die Nase vorne zu haben. Engagierte sich beispielsweise eine Kommune in der Vergangenheit erfolgreich für Windenergie in Bürgerund/ oder kommunaler Hand vor Ort, so kann sie nun mit mehr Erfahrung und Finanzmitteln die Errichtung eines kommunalen Wärmenetzes angehen. Neueinsteiger sollten sich aber nicht abschrecken lassen. Ihre Ziele erreichen solche Kommunen, die das Thema strategisch und umfassend angehen und Erfolge wie Misserfolge - eigene sowie die anderer Kommunen - analysieren, von Erfahrungen profitieren und auch mal zum Telefonhörer greifen, um herauszufinden, wie andere mit einer ähnlich gelagerten Herausforderung umgegangen sind. Kommunalpolitische Ziele bezüglich des Einsatzes erneuerbarer Wärme zu beschließen, kann sinnvoll sein. Wichtig ist es, dann auch verbindliche Richtlinien und Entscheidungskriterien für die Verwaltung zu formulieren. So ist die Festlegung beispielsweise auf angemessene Amortisationszeiten wichtig. Wenn die kommunalen Finanzen dies zulassen, kann die Klimaschutzwirkung dabei zusätzlich über einen fiktiven CO 2 -Preis finanziell darstellbar gemacht und in die Wirtschaftlichkeitsberechnung mit einbezogen werden [3]. In jedem Fall wird eine Entscheidung für erneuerbare Energieträger zugleich auch die Themen Daseinsvorsorge, Wirtschaftsförderung und regionale Wertschöpfung [4] positiv beeinflussen. Ausgehend von den eigenen vorbildhaften Aktivitäten können sodann auch Bürgerinnen und Bürger, Gewerbe, Handel und Dienstleiter sowie gegebenenfalls sogar die Industrie vor Ort im Sinne des Klimaschutzes eingebunden werden. LITERATUR [1] Energiekonzept der Bundesregierung: Deutschlands Weg zu einer bezahlbaren, zuverlässigen und umweltschonenden Energieversorgung 2010/ 2011. Download: www.bundesregierung.de/ Content/ DE/ Statische- Seiten/ Breg/ Energiekonzept/ auftakt.html [2] Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Energiedaten: Gesamtausgabe, Berlin, (2017) S. 16. Download: w w w . b m w i . d e / R e d a k t i o n / D E / I n f o g r a f i k e n / E n e r g i e / Energiedaten/ Energiegewinnung-und- Energieverbrauch/ energiedatenenergiegewinnung-verbrauch-09.html [3] Institut für Zukunftsstudien un d Te c h n o l o g i e b e w e r t un g (IZT) gGmbH (Hrsg.) Erneuerbare Energien in Kommunen optimal nutzen - Denkanstöße für die Praxis. Kapitel 2.3 „Eine strategische kommunale Energiepolitik“, (2007) S. 21ff. Projektbericht im Rahmen des Projekts Strategische Kommunale Energiepolitik zur Nutzung Erneuerb arer Ener g ieträger (ske2p). Download: www.izt.de/ fileadmin/ downloads/ pdf/ SKEP/ SKEP_EE_in_Kommunen.pdf [4] Online-Wertschöpfungsrechner erneuerbare Energien der A EE: ht tp: / / w w w.kommunal erneuerbar.de/ de/ kommunalewertschoepfung/ rechner.html Klimaschutz & erneuerbare Wärme Beispiele, Aktivitäten und Potenziale für die kommunale Wärmewende Klimaschutz & erneuerbare Wärme Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.), 2017, 88 S., vierfarbig, zahlreiche Abbildungen. Kostenfreier Download und Bestellung: https: / / difu.de/ 11215 In der Publikationsreihe „Themenhefte“ greift das Deutsche Institut für Urbanistik nach und nach Schnittstellen des kommunalen Klimaschutzes zu verschiedenen Handlungsfeldern auf. Ziele, Aufgaben und Inhalte des jeweiligen Themenbereichs werden aufbereitet und konkrete Erfahrungen aus der Praxis unterschiedlicher Kommunen und Institutionen dargestellt. „Klimaschutz & erneuerbare Wärme“ ist die zwölfte Ausgabe der Reihe, in der bisher die folgenden Themen behandelt wurden: • Klimaschutz & erneuerbare Wärme • Klimaschutz & Fläche • Klimaschutz & Klimaanpassung • Klimaschutz & Partizipation • Klimaschutz & Beschaffung • Klimaschutz & Soziales • Klimaschutz & Mobilität • Klimaschutz & Biodiversität • Klimaschutz & Unternehmen • Klimaschutz & Abfallwirtschaft • Klimaschutz & Abwasserbehandlung • Klimaschutz & Denkmalschutz DIFU THEMENHEFTE AUTOR Jan Walter Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter im Bereich Umwelt, Deutsches Institut für Urbanistik (Difu) Kontakt: walter@difu.de 78 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Forschung + Lehre Die Hochschule Ruhr West (HRW) mitten im Herzen des Ruhrgebiets, mit den beiden Standorten Mülheim an der Ruhr und Bottrop, ist eine noch junge Hochschule. Im Jahr 2009 gegründet, stieg die Studierendenzahl seitdem von Jahr zu Jahr von anfangs 80 kontinuierlich auf nunmehr über 6000 an. Inzwischen ist die HRW fester Bestandteil und Innovationsmotor der Region. Als Hochschule der angewandten Wissenschaften wird Spitzenforschung in den Bereichen der Ingenieurs-, Natur- und Wirtschaftswissenschaften betrieben. So entsteht derzeit ein Kompetenzzentrum für Zirkuläres Wirtschaften am Standort Bottrop. Das vom Land NRW mit EUR 4,5 Mio. geförderte Projekt ist nur eines von vielen Beispielen, bei denen die HRW in puncto Nachhaltigkeit vorangeht. An dieser Erfolgsgeschichte haben auch die Studierenden der HRW einen maßgeblichen Anteil. Mit unkonventionellen Ideen und unbeirrbarer Zielstrebigkeit haben Sie immer wieder den Mut, neue Wege zu gehen. Dass sich dieser Mut lohnt, zeigen zahlreiche erfolgreiche Projekte. Energie- und Umwelttechnik) organisiert. Schwerpunkt der wissenschaftlichen Konferenz sind die Themen Energie und Wasser. In 15-minütigen Vorträgen mit anschließenden Diskussionsrunden werden Arbeiten aus den Bereichen Energietechnik, Energiewirtschaft, Energieeffizienz, Netze, Erneuerbare Energien, Wasserökonomie, Umweltschutz und Ressourceneffizienz vorgestellt. Zusätzlich werden weitere Arbeiten in Form von Postern präsentiert. Dieses Format regt zu regen Diskussionen an, denn kritische Fragen und der gegenseitige Austausch von Ideen sind ausdrücklich erwünscht. Dazu eingeladen sind VertreterInnen aus Industrie und Wirtschaft, wissenschaftlicher Verbände und der Stadt Bottrop. Die Wissenschaft der HRW wird durch ihre ProfessorInnen, wissenschaftlichen MitarbeiterInnen und natürlich durch ihre Studierenden repräsentiert. Ziel ist die engere Vernetzung der einzelnen Interessensgruppen. So können Synergien geschaffen werden, die als Grundlage für Innovationen dienen. Dies bringt allen Beteiligten Vorteile und schafft große Potenziale für die Region. Um bei der Konferenz präsentieren zu dürfen, mussten sich die Studierenden mit einem einseitigen Abstract ihrer Arbeit bewerben. Ein Komitee aus vier ProfessorInnen und drei Studierenden wählte dann die Themen, die zur Konferenz zugelassen werden. Bei anderen Konferenzen sind es UnternehmensvertreterInnen oder WissenschaftlerInnen, die Vorträge halten. Bei der Energiekonferenz sind es Studierende, die einladen, durch das Programm führen und präsentieren. Die HRW bleibt hier ihrem Mut, neue Wege zu gehen, treu und rückt die zukünftigen Fachkräfte Bei der Formular Student Germany, einem internationalen Wettbewerb für elektrisch betriebene Rennautos mit 115 Teilnehmern aus aller Welt, fährt der von Studierenden entwickelte und gebaute Flitzer der HRW seit Jahren um die vorderen Plätze mit. Eine besondere Erfolgsstory hat auch das Ruhr West Consulting e. V. zu erzählen - das erste, von aktiven Studierenden der HRW betriebene, studentische Consultingbüro für Unternehmen aus der Region. Um diese und viele weitere spannende Projekte der Öffentlichkeit vorzustellen, wird dieses Jahr am 9. Juni erstmals eine Studentische Energiekonferenz an der HRW stattfinden. Bei der ganztägigen Veranstaltung erhalten die Studierenden der HRW die Gelegenheit, ihre besten Projekt- und Abschlussarbeiten als Vorträge oder Posterpräsentationen vor einem vielfältigen Publikum zu präsentieren. Das Besondere: Auch die Energiekonferenz ist ein Projekt von Studierenden. Sie wird hauptverantwortlich von Johanna Banken und Torsten Weber (beides Studierende der Studierende gehen neue Wege 1. Studentische Energiekonferenz an der Hochschule Ruhr West (HRW) Mülheim/ Bottrop © HRW 79 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Forschung + Lehre in den Mittelpunkt des Geschehens. Den Studierenden wird so die Möglichkeit gegeben, frühzeitig Kontakte in die Wirtschaft und in die wissenschaftliche Welt zu knüpfen und ihre eigene Zukunft zu gestalten. Die Unternehmen wiederum profitieren davon, frühzeitig potenzielle ArbeitnehmerInnen kennenzulernen und sich anhand der vorgestellten Arbeiten ein Bild machen zu können - eine ganz neue Qualität des ersten Kontaktes. Im Anschluss an die Konferenz bietet ein „Get Together“ mit Snacks und Getränken allen Beteiligten ausreichend Gelegenheit für intensive Gespräche. In lockerer Atmosphäre können neue Kontakte geknüpft und der Tag gemeinsam beschlossen werden. Unterstützt wird die Veranstaltung vom Cluster Energie- Forschung der Energieagentur NRW. Die Teilnahme an der Konferenz ist kostenlos. Anmeldung und Kontakt: Studentische Energiekonferenz Campus Bottrop Lützowstr. 5 46236 Bottrop studentische-energiekonferenz@ hs-ruhrwest.de www.hochschule-ruhr-west.de/ energiekonferenz Programm Uhrzeit Tagesordnungspunkt ab 8.30 Einlass/ Anmeldung 9.30 - 10.00 Eröffnung und Grußworte: − Studierende der HRW − Gudrun Stockmanns (Präsidentin der HRW) − Bernd Tischler (Oberbürgermeister der Stadt Bottrop) − Dr. Frank - Michael Baumann (Clustermanager CEF.NRW und Geschäftsführer der EnergieAgentur.NRW) 10.00 - 11.00 Präsentationssession 1: − Optimierungspotenziale von Kälte- und raumtechnischen Anlagen nach §12 EnEV - Siedlaczek − Energetische Optimierung des Blockheizkraftwerks Gysenbergpark Herne - Borowycz, Kubis, Oldenburg − Saisonale Wärmespeicherung in Steinkohlebergwerken am Beispiel Prosper Haniel - Schiffer 11.00 - 11.30 Pause 11.30 - 13.00 Präsentationssession 2: − Vereinfachung der Überprüfung von IEC 61850 Prozessbussystemen - Süfke, Kohnen, Preis − Energy 4.0: Chancen und Herausforderungen für Stromverteilnetzbetreiber - Stuhl − Konzept zur Steuerung, Regelung und Simulation von Verteilnetzen - Süfke 13.00 - 14.00 Mittagspause 14.00 - 15.00 Präsentationssession 3: − Aktuelle Tarifstrukturen deutscher Wasserversorger im Diskurs - Stumpe − Nutzungskonkurrenz zwischen Vieh- und Wasserwirtschaft - Jordan − Open Water und Water 2020 - Inderelst 15.00 - 15.30 Pause 15.30 - 16.30 Präsentationssession 4: − Sanierung einer Lüftungsanlage innerhalb einer Waschkaue - Arndt, Kabakci, Paraman, Pörschke − „Corporate Carbon Footprint“ - Studentisches Ingenieurbüro MeHRWatt 16.30 - 17.00 Keynote 17.00 Auszeichnung der besten Arbeiten ab 17.00 Get Together Student der Energie- und Umwelttechnik und Organisator der Studentischen Energiekonferenz „An der HRW werden, im Vergleich zu anderen Hochschulen, sehr viele Projekte von und mit Studierenden durchgeführt - sowohl im regulären Studienverlauf, als auch außerhalb davon. Häufig mit tollen Ideen und völlig neuen Ansätzen. Denn wir Studierende sind noch nicht so sehr in vorgefertigten Denkmustern gefangen wie Menschen, die schon jahrelang in ihrem Beruf tätig sind. Natürlich ist nicht jede Idee von uns Gold wert, dennoch ist die Qualität unserer Arbeiten insgesamt sehr gut, das wird uns von ProfessorInnen und Unternehmen immer wieder bestätigt. Eine Plattform wie die Studentische Energiekonferenz ist die logische Schlussfolgerung, um die Potenziale unserer Arbeiten besser und sinnvoll zu nutzen.“ TORSTEN WEBER Studentin der Energie- und Umwelttechnik und Organisatorin der Studentischen Energiekonferenz „Zusätzlich zu den Bachelor- und Masterarbeiten werden in einigen Modulen auch Projektarbeiten von Studierenden anhand konkreter Aufgaben von Wirtschaftsunternehmen durchgeführt. Das Ergebnis wird zwar vor ProfessorInnen und Auftraggebern präsentiert, verschwindet dann aber schnell in der Schublade und tolle Ideen geraten in Vergessenheit. Mit dieser Konferenz wollen wir Studierende uns eine Plattform schaffen, um unsere Ideen noch einmal vorzustellen und ihre Qualität zu zeigen - auch anderen interessierten Unternehmen. So besteht die Möglichkeit, dass Projekte noch einmal aufgegriffen und deren Potenziale besser genutzt werden. Darüber hinaus inspirieren die Themen Kommilitonen für ein Praxissemester und/ oder eine Abschlussarbeit.“ JOHANNA BANKEN 80 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Energie Häufig fehlen bei Immobilien transparente und verlässliche Daten zum Energieverbrauch. Gerade wenn es um Daten geht, die monatlich oder sogar wöchentlich erhoben werden müssen, liefern die üblichen Quellen keine ausreichende Datenmenge. Ein professionelles und systematisches Energiemanagement (zum Beispiel nach ISO 50.001) erfordert aber gerade mehr und häufiger erhobene Daten für die verschiedenen Energieverbrauchsarten. Mit dieser Aufgabe befassen sich zunehmend Energie- und Liegenschaftsmanager oder Nachhaltigkeitsbeauftragte - ob nun im Unternehmen tätig oder als externe Berater. Weit verbreitet sind immer noch händisch befüllte Papierlisten, die zum Teil gefaxt werden, damit eine andere Person diese schließlich ins System eintippt. Diese veraltete Erfassungsweise hilft kaum; sie verkompliziert das Handling und die Datenqualität ist oftmals dürftig. Anders als angekündigt, erweisen sich Smart Meter bisher nicht als Erlösung. Zähe Diskussionen um Standards sowie Bedenken um die System- und Datensicherheit verzögern einen breiten Rollout. In den kommenden Jahren wird in Deutschland nur ein geringer Teil der Stromzähler auf Smart Meter umgestellt, Gas- und Wasserzähler überhaupt nicht. So wird es auf lange Zeit eine große Zahl mechanischer beziehungsweise nicht-smarter Zähler mit digitalen Displays (sogenannte moderne Messeinrichtungen, mME) geben. Das schafft Unklarheiten für Investitionen: Wann genau soll die Investition vorgenommen werden, und wird es sich mittel- und langfristig wirklich rechnen? Neue Player treiben die Digitalisierung voran Eine Lösung, die das Problem der geringen Transparenz und schlechten Datenqualität beheben kann, bietet das Start-up pixolus mit einem Smartphone- Metering-Ansatz. Mit seiner App pixometer lassen sich Zählerstände über die Kameras in Smartphone oder Tablet abscannen und einlesen. Zudem wird jede Ablesung per Belegfoto festgehalten. pixometer funktioniert bei gängigen Strom-, Gas-, Wasser- und Wärmezählern - sowohl mit mechanischen als auch LC- Displays. Die Ablesedaten liegen direkt vor oder können über ein Webportal verwaltet, aber auch per Schnittstelle (zum Beispiel in eine Energiemanagementsoftware) weitergeleitet werden. Die Nutzung erfordert weder eine spezielle Hardware, noch müsste die bewährte Zählerinfrastruktur modifiziert oder komplett austauscht werden. pixometer ist sowohl losgelöst als Software Development Kit (SDK) wie auch als cloudbasierte Komplettlösung (bestehend aus App, Server und Webportal) nutzbar. Ersteres kann in Apps und Softwaretools integriert werden. So wird die spezielle Technik bereits in Endkunden-Apps (Yello, Stadtwerke Kaiserslautern, rhenag) eingesetzt und zudem von Immobiliendienstleistern sowie branchenübergreifend für das Energiemanagement genutzt. Auch Mieter können per App in die Kundenselbstablesung einbezogen werden. Statt der guten, alten Ablesepostkarte, die zum Jahresende im Briefkasten landet, ermöglichen zeitgemäße Ansätze wie pixometer das direkte Involvement der Verbraucher- Innen. Dabei senkt die spielerische Erfassung Nutzungshürden, das Mehr an Transparenz macht Energieeffizienz greifbar und sensibilisiert so zu einem achtsameren Verbrauch. Per Push- Nachricht können Energiekunden und Mieter regelmäßig zur Ablesung aufgefordert werden. Die mühsame Terminkoordination mit Ablesemitarbeitern entfällt. Eine zusätzliche Visualisierung des Verbrauchs je Sparte samt verbundener Kosten erhöht die Transparenz und der kundenzentrierte Dialog spornt Nutzer an, den Energieverbrauch besser im Auge zu behalten. pixolus GmbH mobile visuelle Datenerfassung Dr. Stefan Krausz Eupener Straße 165 50933 Köln stefan.krausz@pixolus.de http: / / pixolus.de Zählerstände per Tablet oder Smartphone Mehr Transparenz beim Energieverbrauch dank digitaler Verbrauchsdatenerfassung Mögliche Energiefresser identifizieren, um Energieverbräuche zu senken - das ist für alle Arten von Liegenschaften, Wohn- oder Gewerbe-Immobilien, ein Thema von zunehmender Bedeutung. Funktionsübersicht der App pixometer. © pixolus © pixolus 81 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Energie Stromspeicher mit Kapazitäts- und Leistungsreserven Beim Kauf eines Stromspeichers müssen sich Hausbesitzer nicht mehr länger auf eine fixe Größe festlegen. Denn der Pacadu Flex des Herstellers ASD Automatic Storage Device GmbH ist der einzige Speicher zur Anwendung im privaten Bereich, bei dem sich nachträglich völlig einfach und nahezu grenzenlos nicht nur die Kapazität, sondern vor allem auch die Leistung anpassen lässt. Betreiber sind es bisher so gewohnt: Bei der Anschaffung eines herkömmlichen Stromspeichers legt man sich auf eine bestimmte Größe fest. Selbst vorhersehbare oder geplante Änderungen, die die ursprüngliche Leistung und/ oder Kapazität eines einmal dimensionierten Speichers übersteigen, lassen sich mit gewöhnlicher Technologie nicht nachhaltig realisieren. Meist sind Erweiterungen nur innerhalb einer begrenzten Zeitspanne nach der Inbetriebnahme möglich. Dabei ist es sogar recht wahrscheinlich, dass sich mit der Zeit Anforderungen ändern: sei es durch einen erhöhten Verbrauch beispielsweise durch ein E-Auto, durch eine Wärmepumpe oder durch eine Vergrößerung der Stromquelle, also der PV-Anlage, des Blockheizkraftwerks, usw. Herkömmliche Stromspeicher: Kapazität kurzfristig ja, Leistung jein Zwar kann die Speicherkapazität (Einheit: kWh) auch mit herkömmlicher Technologie angepasst werden - allerdings nur in sehr begrenztem Rahmen und meist nur innerhalb der ersten Monate nach der Installation. Und die Leistung (Einheit: kW) lässt sich bei einem einmal in Betrieb genommenen, herkömmlichen Stromspeicher in der Regel nicht ohne größere Anstrengungen erweitern. Oft ist ein geplanter Ausbau von Leistungsreserven gleichbedeutend mit der Neuanschaffung eines zusätzlichen Systems. Wer also nicht eines Tages eine böse Überraschung erleben möchte, sollte bei der Anschaffung zumindest schon abschätzen können, wie sich sein Verbrauchsverhalten in den kommenden Jahren entwickeln wird. Pacadu Flex: Kapazität ja, Leistung ja Der Pacadu Flex schafft nicht nur die grundsätzliche Möglichkeit, nachträglich auf einfachste Art und Weise, sogar im laufenden Betrieb, zu erweitern, sondern bietet Reserven für beides: Kapazität und Leistung. Anfänglich kleinere Speicher (die kleinste Standardkonfiguration des Pacadu Home 64 liegt bei 2 kW und 5,1 kWh nutzbarer Kapazität) lassen sich auf bis zu 9 kW und 28,8 kWh aufstocken - ein absolut ausreichender Wert für den Einsatz im privaten Umfeld, selbst für größere Anwesen mit hohen Leistungsanforderungen. Ist am Aufstellungsort genügend Platz vorhanden, dann steht mit diesem System darüber hinaus auch einem weiteren Ausbau nichts im Weg. Damit schließt der Pacadu Flex die Lücke zwischen den Heimspeichern und den Projektspeichern, die im industriellen Umfeld eingesetzt werden. ASD Automatic Storage Device GmbH Im Brunnenfeld 6 79224 Umkirch kontakt@asd-sonnenspeicher.com http: / / www.asd-sonnenspeicher.de Stromspeicher Pacadu Flex. © ASD Automatic Storage Device GmbH 82 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Energie Farbige Klappläden vor den alternierenden Fensterflächen, graue Fassadentafeln gerahmt von weißen Putzflächen - die lebhafte, hochwertige Fassadengestaltung ist sicherlich das auffälligste äußere Merkmal der dreibis viergeschossigen Häuser in der Klimaschutzsiedlung. Die Gebäude sind durch Grünanlagen, Aufenthaltsflächen und Erschließungswege klar gegliedert. Für ein verkehrsberuhigtes, kinderfreundliches Wohnen ohne Beeinträchtigung durch fahrende oder parkende PKW sorgt ein Konzept mit Tiefgaragen und individuellen Wohnungszugängen. Ganzheitliches Energiekonzept „Innerstädtisches Wohnen am Wasserturm“ ist ein konzeptionell wegweisendes Siedlungsprojekt, das die Gemeinnützige Wohnung sbaugenossenschaf t von 1897 eG (GeWoGe 1897) gemeinsam mit dem Projektentwickler und Architekten, der Bringsarchitekten GmbH & Co. KG in Mönchengladbach, initiierte. Die Siedlung umfasst nach Abschluss aller fünf Bauabschnitte insgesamt elf Wohngebäude mit 81 genossenschaftlichen Mietwohnungen. Der soeben vollendete erste Bauabschnitt mit fünf bereits bezogenen Mehrfamilienhäusern bietet Wohneinheiten zwischen 37 m² und 113 m² bei einer Gesamtwohnfläche von etwa 2600 m². Wesentliche konzeptionelle Zielsetzung des Projektes war es, unter Einsatz innovativer Gebäudetechnik, hoher Materialstandards und eines nachhaltigen Energiekonzeptes die Verbrauchswerte und Energieemissionen auf ein Minimum zu reduzieren. Ein Auswahlgremium des Bauministeriums Nordrhein- Westfalen zeichnete das Projekt mit dem Prädikat „Klimaschutzsiedlung“ aus. Kernanforderung Energiesparen ist die halbe Miete Klimaschutzsiedlung Mönchengladbach Dass sich energetisch sinnvolles Bauen mit hoher Transparenz, lebhafter Fassadengestaltung und durchdachter Funktionalität verbinden lässt, beweist eine innenstadtnahe Siedlung in Mönchengladbach. Das Prädikat „Klimaschutzsiedlung“ trägt sie aufgrund ihres ganzheitlichen Energiekonzeptes, in das auch hochwertige Fensterelemente und Türen des Systems Schüco Corona SI 82 eingebunden sind. Die Mieter dürfen sich dauerhaft über sehr niedrige Energiekosten freuen. Bild 1: Klimabewusst wohnen auf 3-Liter-Haus- Niveau: Die Klimaschutzsiedlung in Mönchengladbach verbindet bauliche und anlagentechnische Maßnahmen zu einem zukunftsweisenden Gesamtkonzept. © Schüco International KG 83 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Energie für diese Auszeichnung ist ein bilanzierter CO 2 -Grenzwert von <- 9- kg/ m²a. Dieser Grenzwert wird bei der Siedlung mit hervorragenden 5,3 kg/ m²a deutlich unterschritten - das Ergebnis einer konsequenten Vernetzung von baulichen und anlagentechnischen Maßnahmen. Hoher Dämmstandard plus moderne Anlagentechnik Die Kombination von kompakter Massivbauweise mit einem Wärmedämm -Verbunds y s tem (Dämmstärke > 20 cm) und einer vorgehängten, hinterlüfteten Konstruktion mit Fassadenplatten (etwa 12 cm) sorgt für Energieeffizienz. Balkone, deren Laibungen zugleich als Sicht- und Sonnenschutzeinrichtungen dienen, sind als eigenständige Betonkonstruktionen vor die Fassade gestellt, um Wärmebrücken zu vermeiden. Unterhalb der Kellerbodenplatte, bei den Kellerwänden, sowie im Bereich der extensiv begrünten Dachflächen ist der hohe Dämmstandard fortgeführt. Alle Wohnungen sind an eine zentrale Wärmeversorgung über einen Holzpellet-Kessel angeschlossen - hier wurde bewusst eine nachhaltige Heiztechnik auf Basis nachwachsender Rohstoffe gewählt. Die Warmwasserbereitung erfolgt dezentral über Frischwasserstationen in den Wohnungen. Hierdurch werden die Wärmeverluste über Zirkulationsleitungen vermieden, zugleich entfällt der Stromverbrauch für die Zirkulationspumpen. Dezentrale Zu- und Abluftanlagen mit Wärmerückgewinnung sorgen in jeder Wohnung für ein ganzjährig gutes Raumklima ohne Überfeuchtung. Energiesparfenster für höchste Ansprüche Um möglichst energieeffizient einen hohen Tageslichteinfall in die Wohnungen zu gewährleisten, rundete der Architekt das ganzheitliche Energiekonzept mit großflächigen Schüco Fenstersystemen ab. Die besonderen Anforderungen erklärt Architekt Stephan Brings wie folgt: „Die Gebäudehülle ist konsequent mit Baustoffen und Bauteilen höchster Energieeffizienz konzipiert. Das gilt selbstverständlich auch für die Fenstersysteme. Sie sollten einerseits einen hervorragenden U-Wert und verbesserte Sicherheitseigenschaften bieten. Andererseits wollten wir aus gestalterischen Gründen möglichst schmale Profilansichten sowie attraktive farbliche Beschichtungsmöglichkeiten der Profile.“ Eingesetzt wurden Kunststoff- Fensterelemente und Fenstertüren mit Dreifach-Isolierverglasungen aus der Systemfamilie Schüco Corona SI 82. Sie verfügen über drei Dichtungsebenen für optimalen Schutz gegen Wind, Regen und Schall. Die Kombination aus dem 6-Kammer-Profilsystem und Dreifach-Isolierverglasung erreicht mit einem Spitzenwert von Uw = 0,91 W/ (m² K) hervorragende Wärmedämm-Eigenschaften. Zugleich bietet die erhöhte Profilbautiefe von 82 mm verbesserten Einbruchschutz. Bei der Farbwahl für die Systemprofile wurde die Möglichkeit genutzt, Innen- und Außenseite der Elemente verschiedenfarbig zu gestalten. Bei weißen Profilansichten für den Innenbereich erhielten die Fensterprofil-Außenflächen eine glatte anthrazitgraue Folierung. Hierdurch konnte werkstoffübergreifend eine farbliche Korrespondenz zu der Aluminium-Pfosten-Riegelkonstruktion der Treppenraumfassaden hergestellt werden. Die Fenstertüren des Systems Schüco Corona SI 82 bilden aufgrund ihrer identischen Bauart mit gleichen Profilansichten und Profiltiefen eine optische Einheit mit den Fenstern und verfügen zudem über eine barrierefreie Kombischwelle nach DIN 18025. Schüco International KG Karolinenstraße 1-15 33609 Bielefeld info@schueco.com www.schueco.com Hubert-Schlebusch- Straße Klagenfurther Straße Am Steinberg Bild 3: Energetisch sinnvolles Bauen mit einer lebhaften Fassadengestaltung. © Schüco International KG Bild 2: Lageplan der Klimaschutzsiedlung. © Bringsarchitekten GmbH & Co. KG 84 2 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Energie Impressum Transforming Cities erscheint im 2. Jahrgang Herausgeber Eberhard Buhl, M.A. Verlag Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl | Christine Ziegler Marschnerstr. 87, D-81245 München Tel. +49 89 889518.71 · Fax +49 89 889518.75 office@trialog.de · www.trialog.de Redaktionsleitung Dipl.-Ing. arch. Christine Ziegler VDI (verantwortlich) Tel: +49 89 889518.72 Fax: +49 89 889518.75 christine.ziegler@transforming-cities.de Anzeigen Hellfried Zippan Tel. +49 89 889518.74 Fax +49 89 889518.75 hellfried.zippan@trialog.de Gültige Anzeigenpreisliste Nr. 2 vom 01.01.2017 Vertrieb und Abonnentenservice Tel. +49 89 889518.76 Fax +49 89 889518.75 vertrieb@trialog.de Erscheinungsweise Viermal im Jahr Bezugsbedingungen Die Bestellung des Abonnements gilt zunächst für die Dauer des vereinbarten Zeitraumes (Vertragsdauer). Eine Kündigung des Abonnementvertrages ist zum Ende des Berechnungszeitraumes schriftlich möglich. Erfolgt die Kündigung nicht rechtzeitig, verlängert sich der Vertrag und kann dann zum Ende des neuen Berechnungszeitraumes schriftlich gekündigt werden. Bei Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages, bei Arbeitskampf oder in Fällen höherer Gewalt besteht kein Entschädigungsanspruch. Zustellmängel sind dem Verlag unverzüglich zu melden. Es ist untersagt, die Inhalte digital zu vervielfältigen oder an Dritte weiterzugeben, sofern nicht ausdrücklich vereinbart. Bezugsgebühren JahresAbo Print: gedruckte Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 120,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 11,90, Ausland EUR 25,-) JahresAbo ePaper: elektronische Web-Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 120,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), ohne Versandkosten JahresAbo Plus (Print + ePaper): als gedruckte Ausgabe + elektronische Web-Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 160,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 11,90 , Ausland EUR 25,-) StudiAbo ePaper: elektronische Web-Ausgabe. Reduzierter Jahresbezugspreis von EUR 80,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.). Eine aktuelle Studienbescheinigung ist Voraussetzung. Einzelheft Print: gedruckte Ausgabe zum Einzelbezugspreis von EUR 35,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 3,-, Ausland EUR 6,50) Einzelausgabe ePaper: elektronische Web- Ausgabe zum Einzelbezugspreis von EUR 35,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), ohne Versandkosten Campus- und Firmenlizenzen auf Anfrage Organ | Medienpartnerschaft VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld Druck Grafik und Druck GmbH Peter Pöllinger, München Herstellung Trialog, München, www.trialog.de Titelbild © ClipDealer Copyright Vervielfältigungen durch Druck und Schrift sowie auf elektronischem Wege, auch auszugsweise, sind verboten und bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Abbildungen übernimmt der Verlag keine Haftung. Eine Publikation der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, München ISSN 2366-7281 (print) www.trialog.de/ agb „Die Fenstertechnik hat in den letzten Jahren große Fortschritte Richtung Energiesparaspekte gemacht. Moderne Glaselemente lassen aufgrund der stärkeren Rahmenprofile sowie verbesserten Dichtungsebenen deutlich weniger Energie entweichen als ihre Vorgänger aus den 70erbis 90er-Jahren“, weiß Ernst Schneider, Geschäftsführer der SUN- FLEX Aluminiumsysteme GmbH. Dreifach-Verglasungen für gute Dämmwerte In den 70er-Jahren waren einfach verglaste Fenster üblich, die U-Werte von etwa 4,7 bis 6,2 W/ mK erreichten. Auch Fenster mit doppelt verglastem Isolierglas, wie sie in den 90er- Jahren in der Regel verbaut wurden, lassen sich mit modernen Glaselementen nicht mehr vergleichen. Gegenüber üblichen Altbaufenstern verlieren neue Wärmeschutzprodukte laut TÜV Rheinland 50 bis 70 % weniger Energie. „Energieberater empfehlen, bis zu einem U-Wert von 1,9 W/ mK alte Glaselemente austauschen zu lassen, da das Energiesparpotenzial beträchtlich ist und somit Kosten eingespart werden können. Das Falt-Schiebe-System SF 75c hat zum Beispiel einen U- Wert je nach Glas-Rahmenanteil bis 0,85 W/ mK und zeichnet sich durch hochgradige Wärmedämmung aus. Dreifach-Verglasungen sorgen bei diesem System für gute Dämmwerte, die für angebaute und fassadenintegrierte Wintergärten notwendig sind. Verbesserte Dichtungen Seit der Energieeinsparverordnung von 2009 sind hoch wärmedämmende Verglasungen Pflicht. Als Mindeststandard gelten inzwischen Zweischeiben-Wärmeschutzverglasungen, der Trend geht jedoch zur Dreischeiben- Wärmeschutzverglasung. Auch bessere Dichtungen senken den Energieverbrauch. „Wir gewährleisten die Regen- und Winddichtigkeit durch EPDM-Dichtungen in zwei Dichtebenen. Auf nur eine einzelne Dichtungsebene in der Fassade sollte man sich nicht verlassen, auch wenn die äußere Dichtungsebene versagt, darf kein Wasser ins Innere des Gebäudes eindringen“, erklärt Ernst Schneider. Doch das beste Material allein hilft nicht, wenn es unsachgemäß eingebaut wird. Fachgemäßer Einbau ermöglicht, dass Fenster und Türen von außen dauerhaft schlagregendicht und von innen luftdicht bleiben. Dies führt nicht nur zu einem geringeren Energieverbrauch, sondern auch zu einem besseren Schallschutz und wirksamen Schutz vor Schimmel. SUNFLEX Aluminiumsysteme GmbH Im Ruttenberge 12 57482 Wenden info@sunflex.de www.sunflex.de Energie sparen mit hochwertigen Glaselementen Fenster und Glastüren geben dem eigenen Zuhause eine helle, freundliche und offene Atmosphäre. Doch durch Fenster geht viel Wärme verloren, da über sie kalte Luft nach innen dringt, während die Wärme nach draußen entweicht. © sunflex Urbane Kommunikation Am 4. September 2017 erscheint die nächste Ausgabe von Transforming Cities mit dem Themenschwerpunkt Digitale Werkzeuge für Smart Cities Rathaus online Steuerung von Versorgungsnetzen Warnsysteme + Schutzmechanismen Vernetzung im Stadtaum: digital und analog Big Data versus Datenschutz Leitstellen und professioneller Mobilfunk Hauptsponsor Vielfalt der neuen Energiewelt Über 90 Redner diskutieren mit über 1.600 Geschäftsführern und Entscheidern über u.a. folgende Themen: ✓ Digitalisierung ✓ Klimaschutz und Energiewende ✓ Sektorkopplung - Wer macht was mit wem? ✓ Dekarbonisierung als Modernisierung ✓ Herausforderungen für die Regulierung 2030 21.-22.6. / STATION-Berlin Jetzt anmelden: www.bdew-kongress.de C O N V E R G E N C E Industr Y Hören Sie im Plenum u.a. folgende Sprecher: Botschafter Wolfgang Ischinger Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz Peter Altmaier Bundeskanzleramt Magnus Hall CEO, Vattenfall Brigitte Zypries Bundesministerium für Wirtschaft und Energie BDEW KONGRESS 2017 Verbrauchen · Sparen · Erzeugen · Verteilen Energiewende = Wärmewende | Speicher | Geothermie | Tarifmodelle | Flexible Netze | Elektromobilität 2 · 2017 2 · 2017 Stadt und Energie ISSN 2366-7281 Transforming Cities 2·2017 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN
