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expert verlag Tübingen
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Die Vielschichtigkeit von Informationsströmen Smart Cities | Automatisierung | Mobilfunk | Urbane Mobilität | Datenmanagement | Krisenkommunikation 3 · 2017 Urbane Kommunikation URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Trinkwasser-Verordnung Kommunikation Erdgas und Erneuerbare Smart Grids Power-to-X Digitalisierung Wasser 4.0 L-/ H-Gas Wärmemarkt VERNETZUNG Gas und Strom Nitratabbau Energie-Impuls Sektorenkopplung Erdgasmobilität Smart City www.gat-wat.de Get together 28. bis 30. November 2017, Koelnmesse DVGW Leitkongress mit großer Technikmesse www.gat-wat.de HAUPTSPONSOR Programm und Anmeldung auf www.gat-wat.de 1 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, im postindustriellen Zeitalter sind Daten der Rohstoff für viele neue Technologien und Anwendungen. Datenströme aus ganz unterschiedlichen Quellen, aus Autos, Mobilfunknetzen, Wettersensoren oder Stromzählern lassen sich sammeln, verknüpfen, auswerten und zur Basis innovativer Dienstleistungen oder Produkte machen. Durch das Übereinanderlegen großer heterogener Datenmengen können bislang unkalkulierbare Situationen analysiert und so komplexe Infrastrukturen und Versorgungseinrichtungen ereignisnah und effizient gesteuert werden. Datenmaterial aus Fahrzeugen und Verkehrsinfrastruktur hilft dabei, Verkehrsströme zu entzerren. Unregelmäßig erzeugter Wind- oder Sonnenstrom wird dank Daten aus unzähligen Sensoren und mithilfe intelligenter Netze und Speichertechnologien zu einer festen Größe der Energiewende. Digitale Bewegungsmuster von Personen im Stadtraum erlauben Rückschlüsse auf Sicherheit oder Gefahrenlage. Die technischen Möglichkeiten durch Digitalisierung sind enorm und wir stehen erst am Anfang einer gewaltigen digitalen Revolution. Smarte Städte, in denen Bewohner in smarten Gebäuden oder autonomen Fahrzeugen mit der ganzen Welt vernetzt leben und arbeiten, liegen im Zeitgeist. Ist doch heute schon kaum denkbar, ein paar Tage ohne moderne Kommunikationsmittel auszukommen - ohne App mit Geodaten und Restaurant-Tipps, ohne Beauty-Blogs und Likes. Doch bei aller Begeisterung für die neuen Technologien stellt sich die Frage, ob wirklich alles, was digitalisierbar ist, auch digitalisiert werden sollte. Ob alle Daten, die sich sammeln lassen, auch gesammelt werden müssen. Was, wenn die Datenflut und die daraus gewonnenen Erkenntnisse den Bürgern über den Kopf wachsen? Wenn uns künstliche Intelligenz eines Tages, vielleicht ohne dass wir es merken, die Entscheidungen komplett abnimmt und wir uns in unserer Freiheit beschnitten fühlen? Digitale Transformation muss deshalb mit Augenmaß stattfinden. Sie sollte nicht Selbstzweck sein, sondern Bereicherung - um beispielsweise Bürger mithilfe digitaler Werkzeuge stärker in gesellschaftlich relevante Entscheidungen einzubinden. Die Autoren der vorliegenden Ausgabe jedenfalls nehmen das Thema „Urbane Kommunikation“ in vielen spannenden Facetten auf. Lesen Sie selbst. Ihre Christine Ziegler Redaktionsleitung „Transforming Cities“ Urbane Kommunikation - die Vielschichtigkeit von Informationsströmen 2 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES INHALT 3 · 2017 Seite 12 Seite 18 Seite 24 © Fraunhofer IAO © Space Hog Graphics © König FORUM Interview 4 Urbane Zukunft: Smart, digital und lebenswert? Dipl.-Geogr. Susanne Schatzinger, Leiterin Smart Urban Environments, Fraunhofer IAO, Stuttgart Standpunkt 8 Arbeit in einer vernetzten Welt Rahild Neuburger 30 Die Stadt von morgen kann auf Gas nicht verzichten Gastbeitrag von Prof. Dr. Gerald Linke, DVGW- Vorstandsvorsitzender Veranstaltungen 12 Co-Creation in der Stadtentwicklung Integrierte Beteiligungsprozesse an der Schnittstelle digital - analog Sven Dübner, Nora Fanderl, Constanze Heydkamp 16 1. Smart-City-Kongress an der Universität Speyer Zweitägige Veranstaltung zu den Chancen und Risiken der Digitalisierung in Kommunen Mario Martini, Michael Kolain 18 Die Smart City Charta für Deutschland Chancen und Risiken der digitalen Transformation ausbalancieren Peter Jakubowski, Eva Schweitzer 19 PMRExpo 2017 PRAXIS + PROJEKTE 21 Neue Indikatoren für Städte Glücklich in Wuppertal - Eine App für Glück, Wohlstand und Beteiligung Hans Haake, Kai Ludwigs, Katharina Schleicher 24 Urbane Choreografie als Kunst im öffentlichen Raum Digitale Werkzeuge für Wasser-, Licht- und Klangtechnik Klaus W. König 33 Modernisierung eines Warnmeldesystems für das Stromnetz Störungen schnell erkennen und beheben Thanh-An Pham 36 Intelligente Räume im ÖPNV Nahtlose Mobilität durch Verknüpfung physischer und digitaler Elemente Levent Toprak, Christian Scherf 40 Londoner Personennahverkehr fährt mit Cloud von AWS Transport for London nutzt Amazon Web Services für ÖPNV der Extraklasse Giulio Soro 3 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES INHALT 3 · 2017 Seite 36 Seite 47 © pixabay Seite 54 © Fraunhofer FOKUS/ O. Lang © Dörr THEMA Urbane Kommunikation 42 Wasserwirtschaft 4.0 Neue Technologien für das Wassermanagement der Zukunft Emanuel Grün, Heiko Althoff 47 Automatisiertes Fahren in urbaner Umgebung Herausforderungen aus der Sicht der Stadt- und Verkehrsplanung Heinz Dörr, Viktoria Marsch, Andreas Romstorfer 54 Vernetzte Krisenkommunikation Kommunal, regional, national, international - Warnsystem KATWARN bietet Informationen aus einer Hand Niklas Reinhardt, Lary Schlüssel 58 Wie Mobilfunkdaten der Smart City nützen Anonymisierte Bewegungsströme aus Mobilfunknetzen unterstützen schon heute Stadt- und Verkehrsplaner Marie Cécile Schneider, Sigrun Beige 63 Informationsplattform für urbane Daten Datenmanagement über offene urbane Plattformen für Smart Cities Lutz Heuser 70 MaaS kommt in Fahrt Mit Mobility-as-a- Service wird die digitale Transformation erfahrbar Marko Javornik 74 Deutsch- Kolumbianische Kooperation zu urbaner Mobilität Bessere Kommunikation für bessere urbane Mobilität - Projekt MoviCi Mirko Goletz, Mathias Höhne 78 Digitale Tools für urbane Mobilität in China The German Traffic and Environment-Monitoring- System (TEMsys) goes to China (GIP2China) Alexander Sohr, Xiaoxu Bei FOKUS Fachliteratur 82 Die politische Ökonomie der Energiewende Rezension von Kurt Berlo und Oliver Wagner vom Wuppertal Institut zum Buch von Tobias Haas Forschung + Lehre 84 Online oder Offline? Lehre und Lernen im Zeitalter der Digitalisierung an der Hochschule Koblenz PRODUKTE + LÖSUNGEN 86 Dezentrale Anlagen, virtuelle Kraftwerke Intelligente Lösungen für die Stromerzeugung in Zeiten der Energiewende 88 App und Online-Shop für Meridian, BOB und BRB Mit Anbindung C-Tarif, Verspätungsalarm, PayPal und Kreditkarte 88 Impressum 4 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Urbane Zukunft: Smart, digital und lebenswert? Die Welt scheint sich immer schneller zu drehen. Vor allem Städte stehen vor Herausforderungen, die so weitreichend und komplex sind, dass herkömmliche Handlungsweisen nicht mehr tragen. Es braucht dringend neue Konzepte, um all den drängenden Veränderungen durch fortschreitende Urbanisierung, Klimawandel, Unwägbarkeiten in Politik und Finanzwelt gerecht zu werden. Doch wie lassen sich die städtischen Funktionen aufrechterhalten, wenn das System Stadt einem ständigen Wandel unterworfen ist? Wo bleibt die Lebensqualität von Bürgern und Besuchern in immer dichter besiedelten und zunehmend teuren Stadtzentren? Ist Digitalisierung der Königsweg aus allen Problemen? - Über Risiken und Chancen, Ideen und Projekte für zukunftsfähige Städte sprach Dipl.-Geogr. Susanne Schatzinger, Leiterin Smart Urban Environments, Fraunhofer IAO, Stuttgart im Interview mit Transforming Cities. Klimawandel, demografische Entwicklung und Migration - Themen, die uns künftig weltweit sehr beschäftigen werden. Warum sind besonders Städte von den Veränderungen betroffen? Sicherlich sind Städte als Ballungszentren besonders von diesen Themen betroffen, aber die Auswirkungen sind auch im städtischen Umland und im ländlichen Raum zu spüren. Der Klimawandel macht sich überall bemerkbar, aber in den dicht bebauten und stärker versiegelten Städten kann beispielsweise Wasser von Starkregenereignissen oft nicht so gut abfließen. Städte haben aber auch einen Vorteil bei extremen Wetter und Naturkatastrophen: Wichtige Helfer, wie Feuerwehr, Polizei, THW oder Krisenzentren sind meist direkt vor Ort. Auch der demografische Wandel betrifft Städte natürlich genauso wie den ländlichen Raum. Ein Unterschied ist zum Beispiel, dass Städte einen hohen Anteil an Single-Haushalten verzeichnen. Blickt man ein paar Jahre in die Zukunft wird klar, dass wir neue Konzepte für die Pflege dieser Menschen im Alter benötigen werden. Migrationsbewegungen wirken sich insofern auf Städte anders aus als auf ihr Umland, als sich die Migranten vor allem in großen Städten die meisten Chancen erhoffen. Hier finden sie mehr potenzielle Arbeitsplätze und fühlen sich schneller heimisch, denn hier ist die Wahrscheinlichkeit höher, Menschen aus dem gleichen Herkunftsland zu treffen, oder mehr Menschen, die Englisch sprechen. Somit sind Migranten in Städten kulturell, aber auch mit der Versorgung mit Lebensmitteln aus ihren Heimatländern leichter eingebunden. Auf welche urbanen Bereiche wirken sich die genannten Herausforderungen am stärksten aus? Urbanität ist ein komplexes Gefüge aus vielen verschiedenen Sektoren wie beispielsweise Infrastruktur, Architektur, Mobilität, Energie, Sicherheit bis hin zu sozialen Themen. Da diese miteinander zusammenhängen, sind alle Bereiche von den Herausforderungen betroffen. Das soziale Gefüge wird sich in den nächsten Jahren durch Zuwanderung und demografischen Wandel ändern und wir müssen uns folgenden Fragen stellen: Wie wollen wir in Städten künftig zusammenleben? Wie schaffen wir es, Menschen von außerhalb zu integrieren oder alte Menschen in unserer schnelllebigen Welt mitzunehmen? Das Miteinander aller Altersgruppen kann durch Wohnprojekte weiter gefördert werden. Um soziale Themen wirklich umsetzen zu können, müssen Städte auf Quartiersebene ansetzen. Je mehr Menschen Dipl.-Geogr. Susanne Schatzinger, Leiterin Smart Urban Environments, Fraunhofer IAO, Stuttgart. © Fraunhofer IAO 5 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview in die Städte ziehen, desto relevanter werden dann auch Fragen rund um die Infrastruktur. Vor allem die Mobilitätsinfrastruktur ist jetzt schon in vielen Städten am Rande ihrer Kapazität. Beispiel Energieversorgung: Ein Großteil der erzeugten Energie wird in Städten verbraucht, wie können demnach vor allem Kommunen zur Energiewende beitragen? Indem sie die Energie nachhaltig produzieren, dezentrale Versorgung für Quartiere implementieren, gegebenenfalls Elektroautos sinnvoll in Quartiere integrieren, aber auch, indem Energie sinnvoll genutzt wird. Ich finde die Strategie „Tübingen macht blau“ ein gelungenes Beispiel dafür, wie eine Kommune ganz unterschiedliche Akteure mitnimmt, damit diese eine richtige Einstellung zum Thema Energie entwickeln und entsprechend ihr Verhalten beim Energieverbrauch ändern. Der Wert von Energie muss uns bewusst werden. Betriebliche Mobilitätskonzepte, der Umstieg vom Auto auf das Fahrrad können Ansätze sein, aber auch die Beantwortung der Fragen: Wann schaltet man die Waschmaschine an? Braucht man wirklich eine Klimaanlage oder reicht es, mit Beschattung zu arbeiten? Welche Konzepte brauchen Städte, um aus dem Teufelskreis aus Verkehrskollaps, Luftverschmutzung, Lärmbelastung, Dieselgate bei gleichzeitig stark anwachsendem Mobilitätsbedürfnis der Bürger zu finden? Gerade in Städten wie Stuttgart ist das wirklich das Thema unserer Zeit, mit dem sich Mobilitätsforscher, Verkehrsplaner, die Stadtverwaltung, Ministerien und Bürger beschäftigten. Ich wünschte, man könnte für all diese Themen einfache und schnelle Antworten finden, aber wir befinden uns hier in einem komplexen Zusammenspiel aus gebauter, nicht so einfach zu verändernder Infrastruktur, politischem Willen und städtischem Commitment. Die Forschung ist sich einig, dass wir ganzheitliche, integrierte Konzepte brauchen - nicht isolierte Ansätze, die beispielsweise lediglich bestimmte Fahrzeugtypen verbieten. Wenn man den Bürgern nur Restriktionen, jedoch keine Anreize oder Alternativen bietet, führt das nicht zu einem Umdenken oder gar zu Verhaltensänderungen. Genau das ist aber wesentlich, um einen Wandel herbeizuführen. Basis dafür ist ein entsprechendes politisches Übereinkommen und der Invest in ein adäquates Mobilitätsangebot. Dies enthält echte Alternativen zum Auto, Qualitätssteigerung im ÖPNV, Ausbau von Ladeinfrastruktur und Fahrradschnellwegen, sichere Abstellmöglichkeiten für Fahrräder und Mikrofahrzeuge, aber auch die Auseinandersetzung mit Verkehrsreduktion durch Telearbeit - also eine ganzheitliche Herangehensweise. Ein spezieller Punkt ist das Thema Elektromobilität. Dies ist in der breiten öffentlichen Diskussion angekommen, aber die Menschen sind noch nicht bereit dazu, umzusteigen. Das liegt zum einen daran, dass es nicht genügend Anreize oder Restriktionen gibt, aber auch daran, dass viele Menschen immer noch nicht in direkte Berührung mit der Elektromobilität gekommen sind, die Fahrzeuge bisher nicht ausprobieren konnten. Die Stadt Stuttgart will beispielsweise Parkplätze im öffentlichen Raum der Innenstadt rückbauen. Warum nicht diese in Zukunft ausschließlich und kostenlos für Elektrofahrzeuge und Hybride zur Verfügung stellen? Woher soll das Geld für den Stadtumbau kommen? Das ist auch eine spannende Frage, die sich sicher nicht ganz einfach beantworten lässt. Public- Private-Partnerships bieten hier viel Potenzial. Baugemeinschaften können ein Ansatz sein. In vielen europäischen Städten ist auch das Thema Co-Funding verbunden mit Co-Creation durch Bürger und Wirtschaft im Kommen. Urbanität ist ein komplexes Gefüge aus vielen verschiedenen Sektoren wie beispielsweise Infrastruktur, Architektur, Mobilität, Energie, Sicherheit bis hin zu sozialen Themen. Sind alternative Geschäftsmodelle notwendig und welchen Part kann und muss die Wirtschaft übernehmen? Geschäftsmodelle in und für die Stadt stehen im Fokus eines unserer aktuellen Projekte, dem EU- Projekt „Smarter Together“. Hier arbeiten wir mit drei so genannten Lighthouse-Cities, Lyon, München und Wien, zusammen. Diese widmen sich speziellen Stadtteilen und betreiben dort unter anderem Stadtumbau und entwickeln smarte Quartiere. Hier spielt das Thema Geschäftsmodelle im Sinne von Betreibermodellen eine große Rolle. Ich denke, dass hier idealerweise auch ein guter Mix aus öffentlichen, kommunalen Partnern und der Wirtschaft notwendig ist. Und hier muss 6 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview eben auch die Wirtschaft in die Pflicht genommen werden. Wirtschaft und Städte müssen häufig besser miteinander kommunizieren − und dass schon, bevor man über Geschäftsmodelle nachdenkt. Städte und Wirtschaft sollten im ständigen Austausch stehen und gemeinsam agieren. Deswegen haben wir mit der Morgenstadt-Werkstatt letztes Jahr ein Veranstaltungsformat geschaffen, das solch einen Austausch fördert. alles sein kann. Heute springt jeder auf den Zug „Digitalisierung“ auf, aber ich glaube, dass Städte auch mit Intelligenz und Cleverness zu neuen Konzepten kommen können, die nicht immer nur digital sein müssen. Die Digitalisierung ist ein sehr wichtiges Querschnittsthema, das uns auf eine neue Stufe in der Stadtentwicklung heben kann, aber sie ist eben auch nicht das Allheilmittel. Digitales Bürgerbüro, Smart City, Smart Grid - ist die Digitalisierung in deutschen Städten und Gemeinden überhaupt schon auf dem Stand der Zeit? Oder umgekehrt: Sind alle Bevölkerungsgruppen schon bereit, sich auf digitale kommunale Angebote einzulassen? Welche Ängste gilt es zu zerstreuen? Was bedeutet, „auf dem Stand der Zeit“ zu sein? Natürlich sind im internationalen Vergleich viele, besonders asiatische Städte weiter als wir, diese haben aber zum Teil auch ganz andere politische Systeme, bei denen neue Dinge viel schneller und einfacher implementiert werden können. Zudem muss eine Lösung, die in China gut ist, nicht unbedingt auch für uns funktionieren. Den Stand der Zeit würde ich also nicht überbewerten und jede Stadt sollte eigene Digitalisierungslösungen für ihre Bedürfnisse finden. Bei der Entwicklung von digitalen Dienstleistungen sollten alle, auch die älteren Bevölkerungsgruppen, miteinbezogen werden. Dies gelingt an vielen Stellen indem für neue digitale Services eine jeweils analoge Version zur Verfügung gestellt wird. Die Themen Daten und Datensicherheit sorgen nicht nur in Deutschland für große Ängste und Vorbehalte, denen mit Transparenz und guten Lösungen entgegengewirkt werden kann. Interessant ist, dass viele Menschen bei Facebook und anderen sozialen Netzwerken bedenkenlos ihre Daten und Standorte freigeben, der Stadtverwaltung oder anderen Behörden aber weniger Vertrauen entgegenbringen. Ein Grund ist sicher die Attraktivität und der Nutzen dieser Produkte, der höher gewichtet wird, als die Datensicherheit. Blick in die Zukunft: Welche neuen digitalen Dienstleistungen werden Kommunen künftig anbieten (müssen) und wie werden sie die Kommunikation zwischen Bürgern und Verwaltung verändern? Das ist abhängig von den einzelnen Kommunen. Im Bereich der Mobilität gibt es schon viele Beispielkonzepte wie die digitalen Informationssysteme, neue Formen von Parkleitsystemen unter Einbezug von Parkplätzen im öffentlichen Raum, die Abbildung von Wegeketten etc. Die Entwicklung solcher Lösungen sollten nicht nur Unternehmen, sondern Kommunen übernehmen. Nur durch die interdisziplinäre, behördenübergreifende Zusammenarbeit werden wir es überhaupt schaffen, die Städte zu verändern. Wie lassen sich gewachsene Strukturen und Standards in Stadtverwaltungen und Behörden auf ganz neue Anforderungen anpassen? Stadtverwaltungen arbeiten, funktionieren und denken sehr stark in Silos. Ein Ressort ist für Mobilität zuständig, das andere für Infrastruktur, das dritte für die Bürgerverwaltung und so weiter. Notwendig wäre stattdessen ein sektorenübergreifendes Denken. Dazu sind Städte nicht immer unbedingt bereit. Um aber überhaupt übergreifende Ressorts in den Stadtverwaltungen zu implementieren, braucht es in der Regel Akteure, die das wirklich möchten und umsetzen können. Dazu gehört zuallererst ein Bürgermeister, der es wagt, hier Neuland zu betreten. Stadtverwaltungen sind durchaus modern und kennen sich gut aus mit neuen Themen, aber sie schaffen es eben nicht, übergreifend zu denken. Und genau das sollte in Zukunft geändert werden. Welche Rolle wird interdisziplinäre und behördenübergreifende Zusammenarbeit spielen, um komplexe und weitreichende Entscheidungen mittel- und langfristig treffen zu können? Damit benennen Sie sogleich die Herausforderung und deren Lösung: Nur durch die interdisziplinäre, behördenübergreifende Zusammenarbeit werden wir es überhaupt schaffen, die Städte zu verändern. Wie wichtig sind digitale Technologien für die Entwicklung von Städten? Digitale Technologien können viele Probleme einfach und mit wenig Aufwand lösen, wenn man sie geschickt einsetzt. Deswegen denke ich, dass die Digitalisierung uns in den Städten sehr stark weiterbringen wird. Aber ich bin auch der Meinung, dass Digitalisierung allein nicht die Lösung für 7 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Die Stadt Reutlingen vernetzt im Projekt „Smart Urban Services“ intelligent die verschiedensten Akteure. In der Innenstadt wurde eine intelligente Infrastruktur von Sensoren aufgebaut, deren Daten in einer Datenplattform zusammenfließen und ausgewertet werden. Zusätzlich wurde eine Dienstleistungsplattform geschaffen, mit Hilfe derer neue, auf die Bedürfnisse der Stadt angepasste Dienstleistungen entwickelt werden. Weitere Möglichkeiten für digitale Dienstleistungen sind natürlich Bürgerdienste, die man vereinfachen kann, indem man sich vor dem Gang zum Bürgeramt schon online anmelden oder relevante Daten eingeben kann. Thema Sicherheit: Ist der Schutz sensibler Bürger- Daten oder kritischer Infrastrukturen nicht eine wesentliche Voraussetzung für die Digitalisierung urbaner Systeme? Es ist erfolgskritisch für Kommunen, sich mit dem Thema Sicherheit auseinander zu setzen. Bürgerdaten sollten wesentlich besser geschützt sein als viele andere Daten, die momentan im Internet ermittelbar sind. Bevor Kommunen dies nicht nachvollziehbar gewährleisten können, werden die Vorbehalte bestehen bleiben. Angesichts vieler kritischer Punkte: Gibt es positive Beispiele für eine nachhaltige Digitalisierung? Positive Beispiele für eine nachhaltige Digitalisierung sind für mich Ideen und Konzepte, die nicht Top- Down entschieden werden, sondern die Bottom-Up aus den Bedürfnissen der Bürger heraus entstehen. Dazu gehört beispielsweise die Start-Up-Kultur und die Entwicklung von neuen Services und Dienstleistungen. Auch hier gilt: je mehr offene Daten die Stadt den Bürgern zu Verfügung stellt, desto mehr gute Beispiele werden künftig entstehen. Wie wird die Morgenstadt-Werkstatt, die am 28. und 29. November 2017 stattfinden wird, das Thema aufgreifen? Die diesjährige Morgenstadt-Werkstatt veranstaltet das Fraunhofer IAO gemeinsam mit dem Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration Baden-Württemberg. Die Landesregierung will Baden-Württemberg zur digitalen Leitregion entwickeln und hierfür wurde die ressortübergreifende Digitalisierungsstrategie entwickelt. Als größte Veranstaltung im Rahmen dieses Programms trägt diese daher den Titel „Morgenstadt-Werkstatt meets Digitale Zukunftskommune@BW“. Die Themen Daten und Datensicherheit sorgen nicht nur in Deutschland für große Ängste und Vorbehalte, denen mit Transparenz und guten, nachvollziehbaren Lösungen entgegengewirkt werden kann. Wie bereits im letzten Jahr ist die Veranstaltung vor allem dem Austausch zwischen Kommunen, Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen gewidmet - also genau die Punkte, die als erfolgskritisch für die zukünftige (digitale) Stadtentwicklung sind. Unser Programm ist sehr vielfältig und wächst ständig weiter. Konkret sind verschiedene interaktive Formate geplant wie Kreativ-Workshops, Makeathons, Speed-Meetings und Impulsvorträge. Mit dabei sind Akteure wie das Polizeipräsidium Stuttgart mit dem Thema Community Policing: Wie kann die Polizei in Zukunft digital mit den Bürgern kommunizieren und welche neuen Risiken entstehen beispielsweise durch Smart Homes? Vertreter verschiedener Versicherungen beschäftigen sich mit der Frage: Welche neuen Themen kommen durch die Digitalisierung auf kommunale Versicherer in Zukunft zu? Auch der Verband Smart Home and Living ist dieses Jahr wieder dabei. Ein Themenschwerpunkt liegt im Bereich Start-Ups, die in speziell auf deren Herausforderungen zugeschnittenen Workshops von Fraunhofer-Experten gecoacht werden. Eine Ausstellung zeigt spannende Lösungsansätze aus dem „Living Lab Ludwigsburg“ sowie Seilbahnlösungen der Firma Doppelmayr. Highlight ist der „Smart City Makeathon“, der diesmal mit drei Parallelslots zu Themen wie Photonik, Robotik und Digitalisierung viele spannende und kreative Lösungen, Apps und Prototypen hervorbringen wird. Frau Schatzinger, vielen Dank für das Gespräch. Heute springt jeder auf den Zug „Digitalisierung“ auf, aber ich glaube, dass Städte auch mit Intelligenz und Cleverness zu neuen Konzepten kommen können, die nicht immer nur digital sein müssen. 8 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Ausgangspunkt: Vernetzung und Digitalisierung Die seit Jahren fortschreitende Digitalisierung durchdringt zunehmend sämtliche Lebensbereiche, seien es das private Umfeld und die Bewältigung des privaten Alltags, der berufliche Kontext und die Formen des Arbeitens und Zusammenarbeitens, die Kommunikation und das soziale Miteinander sowie mittlerweile auch die Interaktion zwischen Gegenständen auf der Basis des Internets - das sogenannte Internet der Dinge. Diese Entwicklung erstaunt nicht vor dem Hintergrund der im Wesentlichen Arbeit in einer vernetzten Welt Digitalisierung, Informations- und Kommunikationstechniken, Arbeitswelt, Arbeitsformen Rahild Neuburger Digitalisierung und Vernetzung verändern die Arbeitswelt in mehrfacher Weise: Arbeitsinhalte verändern sich, es wird neue Berufe und Tätigkeitsfelder geben, in der öffentlichen Diskussion wird häufig von Automatisierungseffekten gesprochen und es kommt zu neuen Arbeitsformen - sowohl in Unternehmen wie auch zwischen Unternehmen. Diskutiert werden in diesem Zusammenhang flexible Arbeitsformen oder auch vernetzte und virtuelle Organisationsstrukturen. Eine wesentliche Basis für deren Realisierung sind vernetzte informations- und kommunikationstechnische Infrastrukturen, die es letztlich erlauben, dass jeder mit jedem über das Internet vernetzt ist und in Konsequenz die für die Durchführung der Arbeitsaufgaben erforderlichen Informationszugriffe sowie Kommunikationsmöglichkeiten realisierbar sind. Diese veränderten Formen der Arbeit stehen im Vordergrund der folgenden Ausführungen. © pixabay 9 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt dahinterstehenden technischen und ökonomischen Entwicklungen der Informations- und Kommunikationstechniken (vor allem: Rechnerleistung, Bandbreiten der Datenübertragung, elektronische Speichermedien) einer exponentiellen Leistungssteigerung einerseits bei einem exponentiellen Kostenverfall andererseits. Als Folge setzt sich zunehmend eine informations- und kommunikationstechnische vernetzte Infrastruktur durch, deren Konsequenzen vergleichbar sind mit denen der Industrialisierung oder davor zu beobachtender einschneidender Entwicklungen. Nicht umsonst wird daher in diesem Zusammenhang häufig auch von vierter industrieller Revolution gesprochen. Im Ergebnis entsteht neben der physischen Welt eine digital-vernetzte Welt, deren kontinuierliche Weiterentwicklung nicht mehr aufzuhalten ist und die gravierende Veränderungen mit neuen Chancen, aber auch neuen Herausforderungen erwarten lässt. Welche Szenarien sich diesbezüglich für die Organisation der Arbeitsteilung in und zwischen Unternehmen ergeben, soll im folgenden Beitrag skizziert werden. Arbeit vernetzt sich zunehmend Im Zuge der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung stellen Informations- und Kommunikationstechnologien und darauf basierende Innovationen Instrumente und Tools zur Verfügung, die zum einen den Arbeitsalltag des Einzelnen zum Teil ganz neuartig unterstützen können. Zum anderen eröffnen sie für Unternehmen neue Möglichkeiten der Gestaltung sowie der Steuerung der Arbeitsteilung innerhalb und zwischen Unternehmen. In Folge ergeben sich einerseits für den Einzelnen neue Optionen für die individuelle Gestaltung der Arbeitsprozesse; zum anderen verändern sich klassische Unternehmensstrukturen. Der arbeitende Mensch in einer vernetzten Welt Auf der Ebene des Individuums, das heißt des arbeitenden Menschen, ist gegenwärtig in Literatur und Praxis eine vielfältige und zum Teil auch kontrovers geführte Diskussion zu beobachten. Sie reicht von den erheblichen Chancen der Digitalisierung zum Beispiel in Form flexibler Arbeitsmodelle oder einer besseren Vereinbarkeit von Arbeits- und sozialem Leben über die Risiken der ständigen Erreichbarkeit und damit zusammenhängender Burn-Out-Gefahren bis hin zu eher düsteren Szenarien, in denen jeder Einzelne in prekären Arbeitsverhältnissen um Projekte und Aufträge kämpft. Ohne derartige Szenarien zu verharmlosen oder die Diskussion hier vertieft aufzugreifen, ist zunächst festzuhalten, dass vernetzte digitale Technologien einerseits neue Arbeitsmittel zur Verfügung stellen, die den Arbeitsalltag des Menschen erheblich unterstützen können. Zum anderen eröffnen vernetzte digitale Technologien für den Einzelnen ganz neuartige Freiheiten bei der Arbeitsgestaltung, da diese immer weniger zeitlich und/ oder örtlich gebunden ist. Zunächst lässt sich insbesondere Wissens-Arbeit - zunehmend aber auch industrielle Produktionsarbeit - örtlich und zeitlich flexibel gestalten oder auch flexibel in Projekte einbringen. Wo und zu welcher Zeit insbesondere Wissensarbeiter ihre Kompetenzen jeweils einbringen, ist letztlich unabhängig von existierenden Büro-Arbeitsstrukturen - wenn die erforderlichen vernetzten Infrastrukturen die Integration der Kompetenzen oder auch den Zugriff auf erforderliche Informationen und Kommunikationspartner erlauben. In Folge ist eine zunehmende Entkoppelung der Arbeitsprozesse von bestimmten Orten (insbesondere Fabrik oder Bürogebäude) bzw. Zeiten (fest getaktete Arbeitszeiten) zu beobachten, die zu zeitlich und örtlich flexiblen Arbeitsformen führt. Hierzu zählen Formen der mobilen Telearbeit, bei denen die Mitarbeiter an unterschiedlichen Orten (am heimischen Arbeitsplatz, beim Kunden, im Zug oder Flugzeug sowie in externen Büros) zu flexiblen Zeiten ihr Arbeitspensum bewältigen. Konkrete Beispiele gibt es mittlerweile viele; sie reichen von klassischer Home-Arbeit oder Teleheimarbeit zu alternierenden Modellen mit einem Mix aus Heimarbeit und stationärer Arbeit bis hin zu Formen der mobilen Arbeit. Immer mehr Unternehmen bieten derartige flexible Arbeitsformen an. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Häufig stellen flexible Arbeitsformen ein Incentive dar, um gerade jüngeren Mitarbeitern die Chance zu bieten, berufliche und private Verpflichtungen zu kombinieren. Oft geht es aber primär um Kosten- und Rationalisierungseffekte durch die Einsparung von Büroarbeitsplätzen. So gibt es mittlerweile immer mehr Unternehmen mit weniger Büroarbeitsplätzen als Mitarbeiter. Flankiert werden diese Maßnahmen oft durch entsprechende Betriebsvereinbarungen, die unterschiedliche Formen der Vertrauens-Arbeitszeit und Vertrauens-Arbeitsort berücksichtigen. Arbeitsteilung in einer vernetzten Welt Gerade für Unternehmen entstehen durch digitalvernetzte Technologien jedoch noch weitere neue Chancen. Sie können unter anderem global vernetzt und kooperativ agieren, virtuelle und innovative 10 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Formen der Arbeitsteilung praktizieren und dabei beispielsweise weltweit verfügbare Kompetenzen in den eigenen Wertschöpfungsprozess einbinden. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang insbesonders virtuelle Teams oder virtuelle Unternehmen. Hierunter ist eine auf der Internet-Technik basierende, zeitlich meist begrenzte Zusammenarbeit zu verstehen, bei der sich verschiedene Mitarbeiter zu einem unternehmensübergreifend agierenden Team (virtuelles Team) oder sogar verschiedene Unternehmen zu einem Unternehmenskonglomerat (virtuelles Unternehmen) konfigurieren, um einen bestimmten Auftrag oder ein bestimmtes Projekt durchzuführen. Jeder im virtuellen Team bzw. virtuellen Unternehmen agierende Part konzentriert sich dabei auf seine jeweiligen Kernkompetenzen, die sich im virtuellen Team oder virtuellen Unternehmen sinnvoll ergänzen. Nach Abschluss des Projektes bzw. des Auftrages löst sich das virtuelle Konstrukt mitunter wieder auf. Exemplarisch verdeutlichen lässt sich diese Entwicklung an Hand eines international agierenden Übersetzungsdienstleisters. Aus einem Netzwerk von weltweit verteilten, jeweils auf unterschiedliche Sprachen und Fachbereiche spezialisierten Übersetzern, Freelancern und Übersetzungsbüros konfigurieren sich auftragsbezogen diejenigen zu einem virtuellen Team, die für die Abwicklung dieses Auftrages die erforderlichen Sprach- und Fachkompetenzen besitzen. Nach Abschluss des Auftrages löst sich das Team wieder auf und jeder Beteiligte engagiert sich im nächsten anstehenden Projekt. Durch vernetzt-digitale Technologien entstehen somit neuartige Möglichkeiten für die flexible Einbindung von Freelancern bzw. externen Arbeitskräften einerseits sowie die Organisation und Gestaltung der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen andererseits. Verstärkt werden diese Tendenzen durch eine weitere informations- und kommunikationstechnisch bedingte Entwicklung - das sogenannte crowd-sourcing. Hier werden anstehende Arbeitsaufträge in kleine bis sehr kleine Arbeitseinheiten geteilt und auf einer crowd-sourcing-Plattform als Auftrag eingestellt. Freelancer oder andere nach Arbeitsaufträgen suchende Personen können diese Mini-Arbeitsaufträge bearbeiten und dann wieder auf die Plattform stellen. Aus Unternehmenssicht lassen sich somit nicht nur Arbeitsplätze flexibel gestalten und die Zusammenarbeit unternehmensintern sowie unternehmensübergreifend vernetzt und virtuell gestalten; durch das crowd-sourcing entsteht eine Form der Auslagerung von Arbeitsaufträgen, die über das klassische Outsourcing weit hinausgeht. Denn durch die Möglichkeit, Arbeitsaufträge unterschiedlicher Komplexität und Umfangs an anonyme weltweit agierende Arbeitskräfte zu verteilen, entstehen vollkommen neuartige Potenziale für die Organisation der Wertschöpfungsprozesse. In Konsequenz lösen sich existierende, mitunter hierarchische Arbeitsstrukturen auf und wandeln sich in flexible, unternehmensintern und standortübergreifend vernetzte Strukturen, bei denen die Mitarbeiter zeitlich und örtlich flexibel in die Unternehmen eingebunden sind. Die Folge ist eine stärkere Flexibilisierung der individuellen Arbeit - unternehmensextern durch neue Beschäftigungsformen (zum Beispiel Projektmitarbeiter, Crowdsourcees, virtuelle Formen der Arbeitsteilung etc.) und unternehmensintern durch flexible Arbeitszeiten und -orte, diverse Formen der Telearbeit, Teams sowie eine Abflachung von Hierarchien. Dadurch verändert sich die Arbeitsteilung in und zwischen Unternehmen. Innerhalb der Unternehmen ersetzen flexible Formen der Zusammenarbeit klassische Dienstwege; zwischen Unternehmen bilden sich neuartige Formen der Kooperation zwischen den Akteuren der Wertschöpfungskette und/ oder durch die Einbeziehung von Freelancern und Kunden heraus. Zudem entwickeln sich neuartige Arbeitskonzepte. Beispiele dafür sind innovative Bürokonzepte wie beispielsweise Co-working Center oder Smart Working Center (wie in Korea oder in den Niederlanden), in denen Freelancer nach dem Motto „your office is where you are“ wohnortnah (zeitweise oder auch längerfristig) ihren Tätigkeiten nachgehen und letztlich neuartige Formen von Infrastrukturen für Leben und Arbeiten entstehen lassen. Von den Nutzern digitaler Technologien sind diese Entwicklungen durchaus gewünscht. Die Phase-V der Zukunftsstudie des „Münchner Kreis“ zeigt in einer internationalen Befragung von 7275 Personen in sechs Ländern (Deutschland, China, Südkorea, USA, Brasilien, Indien) deutlich, dass der Wunsch nach Selbstbestimmung und Eigenverantwortung von Arbeit sehr hoch ist. So konstatierten schon 2012 lediglich 30 % der befragten Nutzer, dass die klassische Grenze zwischen Arbeitsleben und Freizeit noch existiert, nur 26 % wünschen sich zukünftig eine Trennung zwischen Berufs- und Privatleben. Dies deutet darauf hin, dass viele Nutzer schon jetzt mit derartigen Formen der Arbeit konfrontiert sind und diese jetzt und zukünftig wohl überwiegend auch akzeptieren. Gleichzeitig verdeutlichen die Ergebnisse dieser „Münchner Kreis“-Zukunftsstudie, dass wohl neben dem Kernbedürfnis nach „stress- und sorgenfreiem Arbeiten“ ein steigendes Bedürfnis nach intelligenten Werkzeugen sowie der 11 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt intensiven Nutzung sozialer Netzwerke in zukünftigen Arbeitsprozessen existiert - zwei Bedürfnisse, denen durch die Digitalisierung und ihren Vernetzungsmöglichkeiten zukünftig noch stärker Rechnung getragen werden kann. Konsequenzen im urbanen Kontext Gerade im urbanen Kontext und in der gegenwärtig aktuellen Diskussion um Smart City-Konzepte bergen flexible Arbeitsformen, wie sie hier geschildert wurden, weitere Potenziale, die nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Diese betreffen insbesondere Konsequenzen flexibler Arbeitsformen auf Mobilität wie auch auf die Mobilitätsvermeidung. Zum einen können flexible Arbeitsformen zu einer Flexibilisierung der Mobilitätserfordernisse führen, in deren Konsequenz die häufig problematisierte Auslastung der Infrastrukturen (insbesondere Straße, Schiene etc.) geringer wird. Je mehr Personen flexibel zu unterschiedlichen Zeiten arbeiten, desto mehr verteilt sich die erforderliche Verkehrsauslastung. In Folge können flexible Arbeitsformen zu einer Entlastung der Verkehrssituationen in Innenstädten führen. Derartige Zusammenhänge sollten in die Gestaltung zukünftiger Smart-City-Konzepte bzw. in die Entwicklung entsprechender Mobilitätskonzepte in Städten berücksichtigt werden. Noch wichtiger sind jedoch möglicherweise die Potenziale der Mobilitätsvermeidung durch flexibel-vernetzte Arbeitsformen. Je mehr sich flexibelvernetzte Arbeitsformen wie beispielsweise Homearbeit, mobile Arbeitsformen, virtuelle Teams/ Unternehmen oder auch innovative Bürokonzepte wie die oben angesprochenen Co-Working-Center oder Smart-Working-Center durchsetzen, desto weniger müssen sich die beteiligten Personen fortbewegen, so dass physische Mobilität vermieden werden kann. Gerade in Städten können derartige Konzepte somit zu einer echten Entlastung der Verkehrssituation führen. Unterstützt wird dieser Trend durch Technologien der Augmented Reality oder Virtual Reality, wodurch sich manche vormals Face-to-Face-geführte Interaktions- und Kommunikationsprozesse oder auch physische Arbeitsprozesse durch die Verlagerung in den virtuellen Raum ersetzen lassen. Aber - wird dies alles dazu führen, dass an die Stelle industriell-geprägter Arbeitsstrukturen, die ohne physische Mobilität nicht denkbar waren, jetzt flexibel vernetzte Arbeitsstrukturen treten, die auf Formen der virtuellen Mobilität basieren? Die Potenziale hierfür sind da; neben den technischen und organisatorischen Voraussetzungen ist jedoch noch mehr erforderlich. Hierzu zählen insbesondere entsprechende Kompetenzen bei allen Betroffenen, ergebnisorientierte Führungskonzepte, die Anpassung der Unternehmenskultur sowie die unternehmerische und auch gesellschaftliche Akzeptanz flexibler Arbeitsformen, die auf Vertrauens-Arbeitszeit und Arbeitsort basieren und virtuelle Interaktions- und Kommunikationsmechanismen zugrunde legen. In der jüngsten Zukunftsstudie des „Münchner Kreis“, die sich mit Fragen der intelligent-vernetzten Mobilität auseinandergesetzt hat, stimmten 55 % der befragten 498 Mobilitätsexperten der These „Neue Technologien (zum Beispiel Virtual Reality, Hologramme) werden in Zukunft physische Mobilität durch virtuelle Mobilität ersetzen“ zu. Es wird spannend, wie sich dies zukünftig weiter entwickelt und welche Rolle dabei flexible Arbeitsformen spielen. QUELLEN: • MÜNCHNER KREIS: Innovationsfelder der digitalen Welt. Bedürfnisse von übermorgen. Berlin, 2013, MÜNCHNER KREIS. www.muenchner-kreis.de • MÜNCHNER KREIS: Arbeit in der digitalen Welt - Zusammenfassung der Ergebnisse der AG1-Projektgruppe anlässlich der IT-Gipfelprozesse 2013 und 2014. Berlin, 2014, BMWi. URL: http: / / www.it-gipfel. de/ IT-Gipfel/ Navigation/ mediathek • MÜNCHNER KREIS: Mobilität.Erfüllung.System - Zur Zukunft der Mobilität 2025+. Zukunftsstudie Phase VII, München 2017. • Picot, A., Hopf, S. und Neuburger, R.: Die Zukunft der Arbeit in der digitalen Welt - Herausforderung für die Wirtschaftsinformatik, in: Brenner, W., Hess, Th. (Hrsg.): Wirtschaftsinformatik in Wissenschaft und Praxis, (2014) S. 299-308. Springer/ Gabler, Heidelberg. Dr. Rahild Neuburger Ludwig-Maximilians-Universität Fakultät für Betriebswirtschaft Kontakt: neuburger@lmu.de AUTORIN 12 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Veranstaltungen Die wachsende Bedeutung von Open Innovation für die Stadtentwicklung Inspiriert durch die Öffnung von ehemals unternehmens- und forschungsinternen Prozessen im Kontext der Open Innovation steigt vor dem Hintergrund von NIMBY (not-in-my-backyard) und DIY (do-it-yourself) die Forderung von Bürgerinnen und Bürgern nach einer stärkeren Beteiligung an stadtentwicklungsrelevanten Entscheidungsprozessen. Gleichzeitig gewinnen die Fragestellungen, mit welchen sich Städte konfrontiert sehen, an Komplexität und können lediglich zusammen mit Nutzern, Anbietern, Planern und Entscheidern bearbeitet werden. Insbesondere der für viele Menschen abstrakte Prozess der Digitalisierung unserer Städte wird unser Leben so tiefgreifend verändern, dass er nicht ohne die Beteiligung der städtischen Akteure an wesentlichen Entscheidungen erfolgen sollte. Während das Konzept Smart City noch in der Kritik steht, stark von IT-Unternehmen getrieben zu sein, hat sich der allgemeine Konsens verbreitet, dass neue urbane Lösungen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gemeinschaftlich entwickelt werden müssen. Dabei ermöglicht gerade die Digitalisierung neue Governance-Formate in der Stadtentwicklung, die Wissen, Bedarfe und Kompetenzen der Bürgerinnen und Bürger sowie der lokalen Wirtschaft, der Wissenschaft und zivilgesellschaftlicher Initiativen berücksichtigen. Hierbei können durch die Transdisziplinarität neue handlungs- und forschungsrelevante Impulse Eingang in die Stadtentwicklung finden, die der städtischen Verwaltung fernen Lebenswelten und Praktiken entspringen. Derartige Impulse sind ausschlaggebend für die Entwicklung innovativer Lösungen zur Erfüllung der heutigen und zukünftigen Nutzerbedarfe. Co-Creation - Gemeinsam etwas erschaffen Das Stufenmodell der Beteiligung von Sherry Arnstein, die „Ladder of Citizen Participation“, welche acht Intensitätsstufen der Partizipation definiert, zeigt deutlich, dass Beteiligung nicht gleich Beteili- Co-Creation in der Stadtentwicklung Co-Creation in der Stadtentwicklung Integrierte Beteiligungsprozesse an der Schnittstelle digital - analog Co-Creation, Stadtentwicklung, digitale Beteiligungsformate, Makeathons Sven Dübner, Nora Fanderl, Constanze Heydkamp Mit dem Trend zur Digitalisierung wird der Konsens, dass urbane Lösungen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gemeinschaftlich zu konzipieren und zu entwickeln sind, zunehmend relevant. Neben einer Vielzahl von Governance-Formaten, die hier ansetzen, schaffen digitale Werkzeuge Optionen zur Integration lokaler Akteure in stadtentwicklungsrelevante Entscheidungs- und Umsetzungsprozesse. Wie aber sehen entsprechende Formate aus? Und wie wird sichergestellt, dass die Impulse einer heterogenen Akteurslandschaft gleichermaßen beachtet werden? FORUM Veranstaltungen 13 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Veranstaltungen gung ist. Arnstein definiert als geringste Form von Beteiligung die Informationsbereitstellung, der die vollständige Abgabe der Entscheidungsmacht gegenübersteht. Nach dem Verständnis der Autoren ist Beteiligung als Farbkasten zu interpretieren: Für jede Fragestellung ist eine individuelle Mischung von Beteiligungsintensitäten notwendig, um zu einem erfolgreichen Ergebnis zu gelangen. Die zentralen Aspekte von Co-Creation sind dabei Ideengenerierung und Kooperation. Um gemäß urbaner Herausforderungen neue Lösungen zu entwickeln, steht nach dem Co-Creation-Ansatz die Zusammenarbeit von transdisziplinären Akteuren im Fokus, die gemeinsam Herausforderungen in einem „Prozess des Schaffens“ adressieren. Unabhängig von fachlichen Hintergründen wird hier auf Augenhöhe gemeinsam etwas erschaffen, von der ersten Idee über die Konzeption bis hin zur (prototypischen) Umsetzung. Folgende drei Grundregeln werden von den Autoren dieses Artikels als wesentlich für Co- Creation erachtet:  Kreativität: Antworten auf komplexe Fragestellungen und Herausforderungen zu finden, benötigt ein entsprechend komplexes Set von Fähigkeiten, (Alltags-)Wissen und Expertise. Co-Creation-Formate fördern Kreativität in der Entwicklung von innovativen und an vielfältigen Bedarfen orientierte Lösungen durch die Integration heterogener Akteure.  Identität: In der Gestaltung des direkten Lebensumfelds ist die Identifikation der Nutzer mit dem öffentlichen Stadtraum relevant. Durch das Adressieren von Bedarfen und das gemeinschaftliche Entwickeln von Lösungen kann das Identifikationspotenzial maximiert werden, was wiederum das Verantwortungsbewusstsein für Entstandenes und dessen Kontext zur Folge hat und dementsprechend für die Akzeptanz von neuen Lösungen relevant ist.  Solidarität: Zur Integration heterogener Fähigkeiten, Expertisen und Wissen ist die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure auf Augenhöhe notwendig. Das „voneinander Lernen“ im Schaffensprozess steht im Vordergrund und bezieht sich auf das Alltagswissen von Anwohnern und Nutzern, das Wissen zu formellen Stadtentwicklungsprozessen (rechtlichen Einschränkungen, Prozessabläufen) sowie auf Technologiewissen. Co-Creation kann uns in verschiedenen Kontexten begegnen. In diesem Beitrag soll der Makathon als Veranstaltungsformat thematisiert werden, welcher das Prinzip Co-Creation aufgreift und anwendet. Der Begriff Makeathon setzt sich als Neologismus aus den Wörtern „make“ (engl. machen) und Marathon zusammen. Die Zielsetzung ist, in einem begrenzten zeitlichen Rahmen nicht nur Ideen zu entwickeln und zu konzeptionieren, sondern diese auch prototypisch umzusetzen. Bild 1: 360°-Aufnahme von der Eröffnungsfeier des Stadtlabors © Fraunhofer IAO FORUM Veranstaltungen 14 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Veranstaltungen Fallbeispiel Ludwigsburg: Drei Makeathons zwischen analoger und digitaler Realität Die Stadt Ludwigsburg nimmt eine Vorreiterrolle in Baden-Württemberg im Sinne einer nachhaltigen und integrierten Stadtentwicklung ein - stets mit einem Blick in die Zukunft. Die Digitalisierung des Stadtraums spielt deshalb inhaltlich eine ebenso wichtige Rolle wie die Methodik des Beteiligungsprozesses. Diese fundamentale Grundidee spiegelt sich auch in einem Forschungsprojekt wider, welches im Rahmen der zweiten Phase des Wettbewerbs Zukunftsstadt in Ludwigsburg durchgeführt wird. Die Zielsetzung des Fördermittelgebers ist, dass die beteiligten Kommunen ein umfassendes Konzept zur Planung und Umsetzung einer in der ersten Projektphase gemeinschaftlich entwickelten nachhaltigen und ganzheitlichen Zukunftsvision 2030+ erarbeiten. Perspektivisch widmet sich die voraussichtlich im Jahr 2018 anschließende dritte Phase der konkreten Umsetzung der Vision in sogenannten „Reallaboren“. Vor diesem Hintergrund werden in Ludwigsburg in der zweiten Förderphase des Wettbewerbs drei aufeinander aufbauende Veranstaltungen im Makeathon-Format durchgeführt, welche einerseits die Zukunft des Stadtraums sowie andererseits die Stadtentwicklung der Zukunft mit einem Fokus auf neuen digitalen Lösungen adressieren. Es gilt zum einen mittels transdisziplinärer Zusammenarbeit zu neuen Erkenntnissen und Handlungsansätzen zu gelangen. Zum anderen sollen innovative Ideen und mögliche Maßnahmen zur „Ertüchtigung“ des öffentlichen Raums identifiziert und hinsichtlich ihres Nutzens und ihrer Potenziale bewertet werden. Ziel des Forschungsprojekts ist es darüber hinaus, den strukturierten Co-Creation-Prozess als neues Governance-Format zu erproben. Damit können weiterhin Impulse für die Stadtverwaltung und -politik gegeben werden, die in Strategien sowie aktuelle Planungen einfließen. Während sich der erste Makeathon im Juli 2017 auf die Gestaltung des sogenannten Stadtlabors bezog, stehen bei der zweiten und dritten Veranstaltung die direkte Umgebung und das Quartier im Fokus. Zusammen mit einer heterogenen Mischung von lokalen Akteuren werden stadtrelevante Fragestellungen bearbeitet und Lösungsideen prototypisch in den Stadtraum übertragen. Die digitale Ebene wird dabei im Sinne einer erweiterten Realität als integrierter Bestandteil der Lösungen verstanden. Entsprechend der Zieldefinition der Makeathons werden folgende Bausteine in ihrer Konzeption und Durchführung als zentral erachtet:  Enabler: Initiiert durch die Stadt Ludwigsburg werden die Makeathons gemeinschaftlich durch das Fraunhofer IAO als Vertreter der Stadtforschung mit dem lokalen Kreativitätsinkubator Tinkertank konzipiert und durchgeführt.  Fragestellung: Als thematische Grundlage dient eine von Seiten der Stadt identifizierte und möglichst offen formulierte Herausforderung bzw. Fragestellung, die dem Kreativprozess ausreichend Raum gibt. Der Anwendungsbezug wird in den Makeathons durch die räumliche und thematische Verortung in der Ludwigsburger Weststadt geschaffen, einem urbanen Quartier, das einer hohen Entwicklungsdynamik ausgesetzt ist.  Akteure: Die Teilnehmenden werden gemäß ihrer Expertise und ihrem Bezug zum lokalen Kontext ausgewählt, um Lösungen entlang der konkreten städtischen Bedarfe zu entwickeln. Sie vertreten die lokale Kreativwirtschaft, ansässige Unternehmen, die Fachbereiche der städtischen Verwaltung sowie die Bürgerschaft aus dem Quartier. Dementsprechend decken sie ein differenziertes Set an Fähigkeiten und Wissen ab.  Prozess: Um in dem 15-stündigen offenen Innovationsprozess zielgerichtet Lösungen zu entwickeln, ist der Ablauf der Makeathons in die drei Phasen Ideengenerierung, Experimentieren und Prototypenentwicklung strukturiert. Jeder Phase geht eine Gruppenfindungsphase voraus, bei der sich die Teilnehmenden gemäß ihrer Expertise und ihres Interesses im Team verorten. Die Integration der Ergebnisse wird durch den kontinuierlichen Dialog zwischen den Arbeitsgruppen sichergestellt.  Stadtlabor: Der Austragungsort der Makeathon- Reihe erfüllt neben einer Werkstatt-Funktion auch eine Ausstellungs- und Informationsfunktion. Der im ersten Makeathon gestaltete Raum stellt die Infrastruktur und Ausstattung für weitere Co-Creation Prozesse bereit und entwickelt sich mit jeder Veranstaltung weiter. Im Projektverlauf wird das Stadtlabor für weitere Veranstaltungen und Formate geöffnet, um Teilhabe an aktueller Stadtentwicklung zu ermöglichen und diese zu verstetigen.  Materialien: Digitale und analoge Materialien sowie die zur Verfügung stehenden Werkzeuge sind die Grundlage für den Kreativprozess. Neben physischen Materialien (Paletten, Pflanzen, Schnüren oder Stoffbahnen) stehen den Teilnehmern digitale Materialien (städtische Datensätze oder Karten) zur Verfügung. Im Prozess werden die Teilnehmer bei Bearbeitung der Materialien und Anwendung der Werkzeuge unterstützt. 15 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Veranstaltungen Digitale Methoden eröffnen einen neuen Gestaltungsraum Städte sind immer mehr, als mit bloßem Auge wahrgenommen werden kann. Daher ist es naheliegend, die Digitalisierung des Stadtraums durch eine passende Dimension der Visualisierung und Kommunikation zu erweitern. Dieser Ansatz wird durch die Integration von Augmented und Virtual Reality mit deren vielfältigen Einsatzmöglichkeiten in dem Makeathon-Format verfolgt und wird auf zwei Arten eingesetzt: Als prozessbegleitendes Mittel zur Prototypenentwicklung und -erprobung einerseits, andererseits aber auch als Werkzeug zur Entwurfsdarstellung im gebauten Stadtraum. Mit Hilfe von Augmented Reality-Darstellungen, also computergestützten Visualisierungen, welche die reale Welt um virtuelle Aspekte erweitern, kann beispielsweise ein digitaler Stadtspaziergang realisiert werden. Hierbei werden Ideen und Gestaltungsvorschläge aus dem Makeathon in den tatsächlichen Stadtraum integriert und visualisiert, um deren Eignung und Potential in der realen Umgebung zu evaluieren. Zukünftige Entwicklungen wie die Integration von Bäumen oder einer Sitzbank in einem konkreten städtischen Kontext lassen sich dabei ebenso in den Raum projizieren, wie historische Ansichten eines Straßenzugs. Neben ersten Visualisierungen entstehen im Makeathon möglicherweise analoge Prototypen, wie beispielsweise temporäre bauliche Interventionen auf Parkflächen oder sogenannte Pop-Up-Möbel für öffentliche Plätze, die wiederum um digitale Elemente, wie Zusatzinformationen zu vor Ort erfassten Wetterdaten oder verwendeten Baumaterial sinnvoll ergänzt werden können, um einen Mehrwert für Nutzer zu stiften. Virtual Reality hingegen beschreibt die interaktive Darstellung und Wahrnehmung einer computergenerierten Wirklichkeit in Echtzeit. Durch sie können zum Beispiel 360°-Kameraaufnahmen mit einem geeigneten Ausgabegerät (zum Beispiel Head-Mounted-Displays) für Nutzer erlebbar gemacht und mit zusätzlichen Inhalten angereichert werden, ohne dass diese sich am Aufnahmeort befinden müssen (siehe Bild 1). Nicht zuletzt führt eine interaktive Plattform im Projekt diese beiden Ansätze zusammen und bietet einerseits Raum für die Diskussion der in den Makeathons entwickelten Ideen und regt andererseits zur analogen und digitalen Weiterentwicklung dieser Ideen anhand eigener Bedarfe auch außerhalb des Stadtlabors an. Das Hochladen der eigens weiterentwickelten Lösungsvorschläge schafft wiederum eine neue Form der Beteiligung an Stadtentwicklungsprozessen und öffnet sie für neue Zielgruppen. Ein Blick in die Zukunft des Stadtlabors Mit dem Makeathon-Format werden Impulse gesetzt und ein neues Verständnis im Sinne der Co-Creation von gemeinschaftlicher Stadtentwicklung vor Ort etabliert, das auch auf andere Quartiere übertragen werden kann. Dies ist durch temporäre oder mobile Stadtlabor-Einrichtungen möglich, die flexibel eingesetzt werden können. Herausforderung des Makeathon-Formats: Es muss sichergestellt werden, dass die aus der lokalen Umgebung generierten Ideen in einen Stadtentwicklungsprozess mit bestehenden Rahmenbedingungen einfließen können. Analog zur Innovationstheorie von Rogers liegt der entscheidende Schritt hierbei im Übergang von der Erfindung zur Innovation, also der Verbreitung der Erfindung im Raum. Das gemeinschaftliche Erarbeiten einer Lösung durch Anbieter (Stadt) und Nutzer (Bürger, Wirtschaft, etc.) im Co-Creation-Prozess erscheint ausschlaggebend für deren Anwendbarkeit und ist mit der Diffusion der Erfindung gleichzusetzen. Weiterhin ist zu beachten, dass neue Governance-Formate nicht herkömmliche ersetzen, sondern diese lediglich im Zusammenspiel funktionieren. Ähnlich dem Farbkasten-Prinzip der Beteiligungsintensität muss stets die richtige Mischung von Formaten in Abhängigkeit von der Fragestellung ausgewählt werden. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, können zukünftige „Smart-City Themen“ gleich im Entwicklungsprozess adressiert werden, um digitale Entwicklungen entlang der Bedarfe zu lenken, Skepsis gegenüber Unbekanntem zu nehmen und Anwendbarkeit sowie Verständnis zu etablieren. Sven Dübner Fraunhofer IAO, Stuttgart Kontakt: sven.duebner@iao.fraunhofer.de Nora Fanderl Fraunhofer IAO, Stuttgart Kontakt: nora.fanderl@iao.fraunhofer.de Constanze Heydkamp Fraunhofer IAO, Stuttgart Kontakt: constanze.heydkamp@iao.fraunhofer.de AUTOR I NNEN 16 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Veranstaltungen Wachsende Luftverschmutzung, steigende Verkehrsdichte und anschwellender Ressourcenverbrauch ringen den Entscheidungsträgern kreative Lösungen für die Gestaltung der Stadt der Zukunft ab. Auch im ländlichen Raum bringt der Daseinsvorsorgeauftrag in einer sich wandelnden Gesellschaft tradierte administrative Strategiekonzepte an ihre Grenzen: Die Abwanderung sowie Überalterung der Bevölkerung und das damit verbundene Ausbluten der öffentlichen Infrastruktur sind Vorboten eines Strukturwandels der kommunalen Öffentlichkeit. Die Entgrenzung von Raum und Zeit, welche die Digitalisierung ermöglicht, birgt das Potenzial, den hereinbrechenden Transformationsprozess im Interesse des Gemeinwohls zu gestalten. Die ersten Anwendungen Künstlicher Intelligenz verlassen gerade die Versuchslabore. Sie verbinden die öffentlichen Infrastrukturknotenpunkte in einem „Internet der Dinge“ zu einem neuen Miteinander. In diesem Vernetzungsgefüge verheißt pro futuro beispielsweise die Blockchain-Technologie einen effizienten und kooperationsfreundlichen technischen Abwicklungsrahmen für Transaktionen ohne zentralisierte Hierarchien. Im Angesicht der neuen Möglichkeiten haben es sich Smart Cities weltweit zur Aufgabe gemacht, die sich in ihrem Stadtgebiet anhäufenden Datenhalden nicht brachliegen zu lassen, sondern 1. Smart-City-Kongress an der Universität Speyer Zweitägige Veranstaltung am 16. und 17. Oktober 2017 zu den Chancen und Risiken der Digitalisierung in Kommunen Mario Martini, Michael Kolain Der „Smart City-Kongress“ an der Universität Speyer nimmt aktuelle Trends und Debatten zur digital vernetzten Stadt in den Blick. Die zweitägige Tagung fokussiert nicht nur Fragen nach den regulatorischen und binnenorganisatorischen Herausforderungen für die öffentliche Verwaltung, sondern auch Möglichkeiten der Kooperation zwischen staatlichen und privaten Stellen. Das vielseitige Programm richtet sich an Interessierte aus Verwaltung, Wissenschaft, kommunalen Unternehmen, Zivilgesellschaft und Wirtschaft. Veranstalter sind die Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (Bonn). Bevor eine Kommune auf den verlockenden Zug der „Smart City“ aufspringt, sollte sie den Fahrplan genau studieren. Sonst lautet ihr Zielbahnhof womöglich „digitale Fremdbestimmung“. 17 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Veranstaltungen Prof. Dr. Mario Martini Lehrstuhl für Verwaltungswissenschaft, Staatsrecht, Verwaltungsrecht und Europarecht an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und Leiter des Programmbereichs „Transformation des Staates in Zeiten der Digitalisierung“ am Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Kontakt: martini@uni-speyer.de Michael Kolain Forschungsreferent am Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Kontakt: kolain@foev-speyer.de sie in Echtzeit auszuwerten, aus ihnen Muster und Entscheidungsvorschläge zu generieren und in einem digitalen Ökosystem zusammenzuführen - mit dem Ziel, das urbane Leben nachhaltiger und lebenswerter zu machen. Sie folgen damit dem einleuchtenden Leitgedanken: Wer mehr über die Lebenslagen der Bevölkerung weiß, kann das Gemeinwesen besser nach den individuellen Bedürfnissen gestalten. Manche Smart City - etwa Singapur mit dem Schlachtruf „everyone connected to everything, everywhere, all the time” - gleicht in ihrem Technikhype allerdings eher einem digitalen Panoptikum Orwell ’schen Ausmaßes denn einem Hort futuristischer Persönlichkeitsentfaltung. Prima facie unscheinbare Erhebungen wie Verkehrsmessungen lassen bei flächenhafter Verbreitung und systematischer Zusammenführung der Daten Rückschlüsse zu, die eine nachhaltige Ausstrahlungswirkung auf die Entfaltung von Privatheit zeitigen können. Nicht allein Effizienz, sondern ein breiteres Bündel an Gemeinwohlzielen sollte daher den digitalen Neustart der Kommunen anleiten. Die Grundfrage muss lauten: Wie lassen sich die Wertschöpfungschancen der Digitalisierung nutzen, ohne von ihren Risiken langfristig überrollt zu werden? Die klassische Kommunalverwaltung ist mit den hochkomplexen technologischen und organisatorischen Innovationsansätzen eines digital vernetzten Gemeinwesens oftmals überfordert - zu sehr hält sie das Alltagsgeschäft im Bann. So entwickelt sich in Zeiten sich überschlagender digitaler Disruptionen das Leitmotiv eines kommunalen „Do it yourself“ immer mehr zu einer Chimäre. Umso bereitwilliger dienen sich Industriepartner und Beratungsunternehmen als Werkmeister an, um dem öffentlichen Sektor beim Aufbau einer „Smart City“ unter die Arme zu greifen: Sie halten innovative Technologien und ausgefeilte Lösungsansätze für die digital vernetzte Stadt bereit. Wesensgemäß haben die Anbieter dabei zuvörderst ihre eigene Wertschöpfung im Blick. Offene Standards und transparente Datenströme liegen nicht in ihrem originären Interesse - im Gegenteil: Sie wollen ihre Betriebsgeheimnisse schützen und ihre aufwändig entwickelten Lösungen möglichst vielen Kunden - verpackt in vertraglichen Bindungen - schmackhaft machen. Die kommunale Infrastruktur profitiert dann zwar von dem Sachverstand Privater, macht sich von ihnen aber auch langfristig abhängig. Bevor eine Kommune auf den verlockenden Zug der „Smart City“ aufspringt, sollte sie daher den Fahrplan genau studieren. Sonst lautet ihr Zielbahnhof womöglich „digitale Fremdbestimmung“. Wie es gelingen kann, in der schönen neuen Welt der Smart City Persönlichkeitsschutz, tragfähige Organisationsstrukturen und IT-Sicherheit auf der einen sowie Benutzerfreundlichkeit der Angebote, Partizipation und Ko-Kreation auf der anderen Seite zu einer diskursiven wie harmonischen Grundlage des Zusammenlebens zu fusionieren, ist bislang allenfalls in Ansätzen geklärt. Die Rechtsordnung ist aufgerufen, einen sachgerechten regulatorischen Handlungsrahmen mit innovationsfreudigen Experimentierspielräumen für die Künstliche Intelligenz und die Big-Data-Anwendungen der Smart City zu etablieren: Er sollte auf der einen Seite Wertschöpfung und Wohlstand ermöglichen, zugleich aber auch den Gemeinden und ihren Bürgern die Selbstbestimmung über die Gestaltung ihres Gemeinwesens nicht aus der Hand schlagen. AUTOREN Der „Smart City-Kongress“ an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer am 16. und 17. Oktober 2017 schafft eine Plattform des Austauschs zwischen Wissenschaft und Praxis, um die brennenden Zukunftsfragen rund um digital vernetzte Kommunen zu diskutieren. Eine Anmeldung ist erforderlich und über das Tagungssekretariat unter folgenden Kontaktdaten möglich: • Tel.: 06232/ 654-229 oder -269 • Fax: 06232/ 654-488 • E-Mail: tagungssekretariat@uni-speyer.de Die Tagung ist kostenpflichtig. Sie ist grundsätzlich (nach näherer Maßgabe landesrechtlicher Regelungen) als Fortbildungsveranstaltung bzw. Fachlehrgang anerkennungsfähig. Die Vorträge finden in der Aula der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer statt. Weitere Infos unter: http: / / www.uni-speyer.de/ de/ lehrstuehle/ martini/ weiterbildung.php SMART CITY-KONGRESS IN SPEYER 18 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Veranstaltungen Technik und Wissenschaft ebenso wie Märkte entfalten gerade bei der Digitalisierung gewaltige Kräfte. Politik und Verwaltung stehen in der Stadtentwicklung - wie Saskia Sassen es formuliert hat - vor der Aufgabe, „die Technologien zu urbanisieren“. Die „Smart City Charta: Digitale Transformation in den Kommunen nachhaltig gestalten“ leistet genau dazu einen wichtigen Beitrag. Sie versteht sich als Impulsgeber und Wertekompass auf dem Weg in die digitale Zukunft unserer Städte. Große Bedeutung kommunaler Digitalisierungsstrategien „Smart Cities sind nachhaltiger und integrierter Stadtentwicklung verpflichtet“ stellt die Charta gleich zu Beginn heraus. Die Digitalisierung bietet Städten, Kreisen und Gemeinden Chancen auf dem Weg der nachhaltigen Entwicklung und kann ressourcenschonendere, bedarfsgerechtere Lösungen für zentrale Herausforderungen der Stadtentwicklung unterstützen. Die Digitalisierung ist aber auch selbst eine Herausforderung für die Stadtentwicklung, wenn es um die Herausbildungen von Digital- Kompetenzen, um neue Kooperationsformen mit der Wirtschaft aber auch um die Vermeidung einer weiteren digitalen Spaltung unserer Gesellschaft geht. Um die Chancen für die Stadtentwicklung zu ergreifen, ist eine der zentrale Forderungen der Charta, auf breiter gesellschaftlicher Basis kommunale Digitalisierungsstrategien zu erarbeiten, die Anwendungsfelder für die Digitalisierung identifizieren, aber auch Organisationsfragen in den Kommunen selbst adressieren. Digitalisierung soll „sowohl im sozialen, ökologischen wie auch ökonomischen Sinne nachhaltigen Zielen dienen und darf diesen nicht entgegenwirken.“ Diesen bewussten Umgang mit Digitalisierung bezeichnet die Charta als „digitale Transformation“. Transparenz, Teilhabe und Integration als Erfolgsbedingungen Die digitale Transformation wird nur gelingen, wenn Transparenz, Teilhabe sowie Integration als wichtige Imperative ernst genommen werden. Technik darf eben nicht als Selbstzweck missverstanden werden, sie muss zum Wohle der Menschen entwickelt werden, was dann auch zu einer Stärkung der kommunalen Demokratie beitragen kann. Inwieweit Kommunen digitale Chancen tatsächlich werden nutzen können, hängt entscheidend vom kontinuierlichen Ausbau der relevanten Infrastrukturen ab. Und dies gilt gleichermaßen für urbane Zentren wie für ländliche Räume. Je mehr es dabei zu einer Vernetzung bisher sektoraler Infrastrukturen untereinander kommt, desto wichtiger werden Fragen der Sicherheit und dauerhaften Funktionsfähigkeit dieser Systeme. Die Smart City Charta für Deutschland Chancen und Risiken der digitalen Transformation ausbalancieren Peter Jakubowski, Eva Schweitzer FORUM Veranstaltungen CCO Licence © Space Hog Graphics 19 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Veranstaltungen Dipl.-Volkswirt Dr. Peter Jakubowski Leiter Referat I 5 - Digitale Stadt, Risikovorsorge und Verkehr Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung Kontakt: peter.jakubowski@bbr.Bund.de Eva Schweitzer Referat I 5 - Digitale Stadt, Risikovorsorge und Verkehr Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung Kontakt: eva.schweitzer@bbr.bund.de In der Stadt der Zukunft werden Daten in allen Lebensbereichen eine herausragende Bedeutung haben. Die Charta gibt hierzu eine Reihe von Empfehlungen, die im Kern einen verantwortungsvollen Umgang mit neuen Daten sowie eine möglichst breite kommunale Datenhoheit einfordern. Oberstes Ziel ist es, die Privatheit des Einzelnen und die Selbstbestimmung und Handlungsfähigkeit der Kommunen aufrechtzuerhalten. Damit die Digitalisierung in den Kommunen in diesem Sinne positiv gestaltet werden kann, wird es darauf ankommen, dass die Kommunen selbstbewusste Akteure der Digitalisierung werden. Neues Forschungsfeld des BBSR Zur Unterstützung der Anliegen der Charta startet das BBSR im Herbst 2017 ein neues Forschungsfeld „Smart Cities - Digitale Lernlabore“. Mit Hilfe von Data Analytics sollen die Potenziale von großen und neuen Datensätzen für städtische Belange sowie die Rahmenbedingungen ihrer Nutzung untersucht werden. Zur Stärkung digitaler Kompetenzen sollen außerdem zielgruppenspezifische, quartiersbezogene Ansätze der Medienbildung in der Zivilgesellschaft weiter entwickelt werden. Die Charta ist auf Deutsch und Englisch erschienen. Eine zweite Veröffentlichung dokumentiert zusätzlich den Dialogprozess. Download der Publikationen als barrierefreie ⁄ barrierearme PDFs unter www.bbsr.bund.de: Smart City Charta: Digitale Transformation in den Kommunen nachhaltig gestalten (Deutsch/ Englisch) Smart City-Charta: Digitale Transformation in den Kommunen nachhaltig gestalten (Charta und Prozessdokumentation) AUTOR I NNEN PMRExpo 2017 Vom 28. bis zum 30. November 2017 findet die 17. PMRExpo in Köln statt. Die internationale Fachmesse hat sich in den letzten Jahren zur europäischen Leitmesse für Professionellen Mobilfunk und Leitstellen entwickelt. Sie wird 2017 wiederum wachsen: Aufgrund der enormen Ausstellernachfrage wurde die Ausstellungsfläche fünf Monate vor Veranstaltungsbeginn um 360 m 2 auf nunmehr etwa 4400 m 2 erweitert. Über 4000 Besucher aus Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS), Ministerien, Behörden, Industrie, Energieversorgungsunternehmen und Fachhandel werden 2017 in der Koelnmesse erwartet. Wachstum und Internationalisierung der PMRExpo basieren auch auf der ständigen Weiterentwicklung ihres Programms. Hierzu zählen die PMR-Konferenz, der Leitstellenkongress, eine Fachtagung für die Energiewirtschaft und täglich wechselnde Fachforen. Das zweitägige Career- Programm für Studenten und Young Professionals wird 2017 noch weiter ausgebaut. Fachtagung für die Energiewirtschaft Die eintägige Fachtagung beleuchtet am 29. November PMR-Themen, die speziell auf die Belange der Energieversorgungsunternehmen ausgerichtet sind. Zu den Themen zählen: sichere Kommunikation für die kritische Infrastruktur, Energie, Best Practice, Wasserstoff, Netzersatzanlagen zur Stromversorgung von Funksystemen, Smart-Meter-Gateway-Kommunikationslösungen, Kommunikationslösungen bei Verteilnetzbetreibern, Kommunikation in Meldestellen, Multichannel-Alarmierung und das Netz 450connect. Aktuelle Informationen und Details zur PMRExpo: www.pmrexpo.de © PMRExpo Hier klicken Sie richtig! IV online: Neuer Look - mehr Nutzen Die Webseite von Internationales Verkehrswesen hat ein neues Gesicht bekommen. Die aktuellen Webseiten unseres Magazins bringen eine frische Optik und eine Reihe neuer Funktionalitäten. Vor allem aber: Die Webseite ist im Responsive Design gestaltet - und damit auch auf Mobilgeräten wie Smartphones und Tablets bestens lesbar. Schauen Sie doch einfach mal rein! Informiert mit einem Klick Das finden Sie auf www.internationalesverkehrswesen.de:  Aktuelle Meldungen rund um Mobilität, Transport und Verkehr  Termine und Veranstaltungen in der aktuellen Übersicht  Übersichten, Links und Ansprechpartner für Kunden und Leser  Autoren-Service mit Themen, Tipps und Formularen  Beitragsübersicht und Abonnenten-Zugang zum Heftarchiv © Clipdealer www.internationalesverkehrswesen.de Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl M.A., Dipl.-Ing. Christine Ziegler VDI Schliffkopfstraße 87 | 72270 Baiersbronn-Buhlbach + 49 (0)7449.91386.43 | office@trialog.de 21 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation Städte, ob als geographische, soziale oder politische Einheit, bauen nicht nur angesichts der rapide fortschreitenden Urbanisierung ihren Einfluss stetig aus- [1]. Entsprechend werden auch fortlaufend Debatten darum geführt, was eigentlich Ziele und Aufgaben von Städten sind, und wie diese in konkreten Messsystemen verankert werden können. Dabei spiegeln diese Debatten die nationalen und internationalen Arbeiten an Indikatorensystemen „beyond GDP“ wieder- [2, 3]. Einige Städte haben sich sowohl Wohlstand bzw. Wohlbefinden (Well-Being) als auch Nachhaltigkeit (Sustainability) als übergreifendes Ziel gesetzt, mit dem Potenzial, bisher dominante Wirtschaftszahlen besser einzuordnen und teilweise zu relativieren. Die zugehörigen Indikatorensysteme (Beispiel: wellbeing.smgov. net für Santa Monica oder www. happycity.org.uk für Bristol) sind meist ein Zusammenführen vorhandener statistischer Indikatoren zu einem breiten Themenspektrum (vgl. Bild 1). Auf diesem Weg kann mit vertretbarem Aufwand eine andere Ausrichtung des Handelns von Politik, Verwaltung und Stadtgesellschaft unterstützt werden. Durch Lücken in der Verfügbarkeit von Daten entstehen allerdings gewisse Verzerrungen. Eine der zentralen „Lücken“ in diesen (urbanen) Indikatorensystemen sind Informationen zu den subjektiven Wahrnehmungen der Bürger. Sie sind aus mindestens zwei Gründen von Bedeutung: Zum einen ist die subjektive Lebenszufriedenheit (kurz: Glück) Teil fast aller vorgeschlagenen Indikatorensysteme, liegt aber auf Ebene von Städten kaum vor. Für (Bundes-)Länder gibt es Daten aus weltweiten Befragungen. Zum anderen wird in Städten sehr deutlich, dass die Statistiken nur einen Teil der Wahrheit erzählen. Eine gute Kriminalitätsstatistik allein schafft kein Sicherheitsgefühl, hohes durchschnittliches Einkommen kompensiert fehlenden sozialen Zusammenhalt nicht. Zwar dürfen Befragungsdaten keine „alternativen Fakten“ werden, sie sind jedoch unverzichtbar für die Bewertung und Einordnung der Entwicklung einer Stadt. Informationen dazu, wie glücklich die Menschen in einer Stadt sind, welche Faktoren dazu beitragen und wie dieses Glück mit anderen Faktoren zusammenhängt, ermöglichen eine bessere Kalibration jeglicher Indikatorensysteme. Glücklich in Wuppertal - die App Seit Mai 2017 gibt es für die Stadt Wuppertal eine neue App für iOS und Android, die das Erheben von subjektiven Wahrnehmungen erleichtert, eine direktere Form von Neue Indikatoren für Städte Glücklich in Wuppertal - Eine App für Glück, Wohlstand und Beteiligung Hans Haake, Kai Ludwigs, Katharina Schleicher Einkommen Zufriedenheit Sicherheit Arbeit Wohnen Bildung Freizeit Gemeinschaft Gesundheit Engagement Umwelt Bild 1: Exemplarische Dimensionen eines urbanen Indikatorensystems. © Wuppertal Institut © pixabay 22 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation Feedback an Politik und Verwaltung ermöglicht und eine Diskussion um Glück in Wuppertal anregen soll. Sie kombiniert vier Module, die weitgehend frei kombiniert werden können:  Ein Fragebogen, der intuitiv und schnell beantwortet werden kann, mit Fragen zum subjektiven Wohlbefinden auf verschiedenen Skalen der Glücksforschung, Bewertungen verschiedener Aspekte der Stadt Wuppertal (orientiert an „Wohlstandsdimensionen“, Bild 1) und zuletzt demographischen Daten  Ein Glückstagebuch, dass über eine Woche jeden Abend den Ablauf des Tages mit den zugehörigen Stimmungen erfasst  Momentaufnahmen, für die viermal am Tag Aktivitäten und Stimmungen abgefragt werden  Ein selbst initiiertes Feedback, dass jederzeit zu Zuständen oder Ereignissen in der Stadt gegeben werden kann, die glücklich oder unglücklich machen Die Module 1 bis 3 können viermal im Jahr wiederholt werden. Wenn die App, unterstützt durch die Anreizstruktur (siehe unten), auf einem hohen Anteil der Endgeräte installiert bleibt, entsteht so in einem Teil des Datensatzes ein Panel, in dem über Befragungsperioden hinweg Vergleiche gezogen werden können. Die App baut auf Infrastruktur und Erfahrungen der Happiness Research Organisation auf, die in verschiedenen Bereichen Pionierarbeit bei der digitalen Erfassung von Glück leistet. Die Anpassung an Wuppertal in einem Prozess mit Stakeholdern und die Zusammenführung mit einem breiteren Set von Wohlstandsindikatoren wird vom Wuppertal Institut durchgeführt, unterstützt von lokalen (Stadtsparkasse Wuppertal und Wuppertaler Stadtwerke) und regionalen (Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung) Partnern. Glücklich in Wuppertal - lokale Einbindung und Anreize zur Nutzung Natürlich ist eine intuitiv zu nutzende App, die an den aktuellen Stand der Glücksforschung und der Entwicklung alternativer Wohlstandsindikatoren anknüpft, nur ein Baustein des Projektes. Im Sinne einer transformativen Wissenschaft, die sich gemeinsam mit lokalen Partnern in gesellschaftliche Transformationsprozesse einbringt, geht es auch darum, die App in der Stadt Wuppertal bekannt zu machen und eine Nutzung ihrer Ergebnisse zu ermöglichen. Das begann schon bei der Entwicklung der App in einem Prozess, in dem einerseits die lokalen Partner ihre Expertise einbringen konnten, andererseits in zwei Workshops und Gesprächen mit Stakeholdern (Zivilgesellschaft, Verwaltung, Statistik...) besonders relevante Themen identifiziert wurden. Auch die Einbindung in weitere laufende Projekte zu Wohlstandsindikatoren für Wuppertal knüpft an einen breiten Partizipationsprozess an. In der Bewerbung der App seit Mai 2017 zeigen sich die Vorteile einer starken lokalen Vernetzung: Ob durch Berichterstattung in den Medien, Poster und Postkarten in der Stadt oder sogar Info-Bildschirme an Geldautomaten: Die App wurde über Dutzende von Kanälen bekannt gemacht. Für die Nutzer wurde ein attraktives Bündel von Anreizen geschnürt:  Die Möglichkeit, die eigene Stadt zu unterstützen und zu beeinflussen  Ein Anreiz, sich selber bewusster mit dem eigenen Glück auseinander zu setzen und persönliche Auswertungen zu erhalten  Für die ersten 1000 Nutzer ein Guthaben von 5 EUR pro Quartal, die an Wuppertaler gemeinnützige Projekte gespendet werden können Auch Politik und Verwaltung waren frühzeitig eingebunden, was besonders für die Verwertung der Ergebnisse aus der App zentral ist. Hier wird sich in den nächsten Monaten zeigen, ob die App ihr Potenzial jenseits der Wissenschaft entfalten kann - als ein Bild 2: Serie von Screenshots aus der App. © Wuppertal Institut 23 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation Hans Haake Gastwissenschaftler und Doktorand Wuppertal Institut für Klima, Energie, Umwelt GmbH hans.haake@wupperinst.org Kai Ludwigs Direktor Happiness Research Organisation info@happiness-research.org Katharina Schleicher Wissenschaftliche Mitarbeiterin Zentrum für Transformationsforschung und Nachhaltigkeit schleicher@uni-wuppertal.de zusätzliches Instrument für Bürgerbeteiligung im weiteren Sinne. Denn eine solche App ermöglicht es nicht nur, neue Zusammenhänge zwischen Glück und diversen Entwicklungen in einer Stadt zu erkennen, sie gibt Politik, Verwaltung aber auch Zivilgesellschaft in einer ganz neuen zeitlichen und räumlichen Auflösung „Feedback“ von einer großen Zahl von Menschen. Auch wenn Repräsentativität im ersten Schritt nicht komplett zu gewährleisten ist, so sind Rückmeldungen von idealerweise mehreren Tausend Bürgern ein durchaus relevanter Bezugspunkt. So könnte eine Verwaltung spezifische Problempunkte zeitnah identifizieren und angehen. Politische Debatten um die Entwicklung einer Stadt können anders geführt werden. Glücklich in Wuppertal - Status und Zeitplan Von Mai bis Anfang Juli hat die App in Wuppertal den Zielwert von 1000 Nutzern der App erreicht, etwa 200 weitere Fragebögen wurden auf der Website ausgefüllt. Eine erste Analyse der Daten zeigt, dass grundsätzlich viele gesellschaftliche Gruppen aus allen Stadtteilen teilgenommen haben, und dass die Ergebnisse an vielen Stellen sowohl in sich als auch im Abgleich mit der internationalen Glücksforschung plausibel sind. Nach der nächsten Befragungsrunde Ende August wird die Analyse im Detail beginnen und deren Ergebnisse im Herbst der Öffentlichkeit vorgestellt. An dieser Stelle wird sich zeigen, welche Rückschlüsse die Daten erlauben und wie diese Rückschlüsse von der Stadt insgesamt und besonders der Wuppertaler Politik aufgenommen werden. Nur wenn ein klarer Mehrwert vor Ort entsteht, ist es sinnvoll, die App auch über die einjährige Pilotphase weiterzuführen, hin zum Verlässliche und exakte Echtzeitdaten als Schlüssel zum intelligenten Netzwerk. Aktuelle Kommunikationsplattformen für mobile oder stationäre Funkauslesung, zum Aufbau einer zukunftssicheren, erweiterbaren Infrastruktur. Info.de@sensus.com www.sensus.com ersten dauerhaften „urbanen Wohlbefindenspanel“ weltweit. Die Beschäftigung mit Glück und Wohlstand ermöglicht es einer Stadt, immer wieder die Frage danach zu stellen, was sie eigentlich leisten kann und will und wohin ihre Entwicklung gehen soll. Jede Transformation braucht eine solche Selbstvergewisserung. LITERATUR [1] WBGU - Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen: Der Umzug der Menschheit: Die transformative Kraft der Städte. Berlin, 2016. WBGU. [2] OECD: How ’s Life? : Measuring Well-Being. Paris, 2011, OECD Publishing. [3] Stiglitz, J. E., Sen, A., Fitoussi, J.-P.: Report by the Commission on the Measurement of Economic Performance and Social Progress, 2009. AUTOREN 24 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Die Bedeutung städtischer Brunnen hat sich komplett gewandelt. Obwohl ihre Wasserqualität um ein Vielfaches besser sein dürfte als im Mittelalter, werden dezent Schilder angebracht mit der Warnung: „Kein Trinkwasser! “ Wozu sind sie denn überhaupt noch da, diese Wasseroasen im Inneren unserer Siedlungen? Erinnerung an alte Zeiten - die wir selbst nicht mehr erlebt haben? Als hier noch das lebensnotwendige Wasser geholt, in Kannen und Kübeln nach Hause getragen wurde, gab es für das Waschen der Wäsche, gewerbliche Nutzung und Viehtränke klare Regeln und separate Brunnenbecken. Mit der öffentlichen Trinkwasserversorgung sind solche „manuellen Versorgungszentren“ im wahren Sinn des Wortes über-flüssig geworden. Dennoch werden sie erhalten, manchmal sogar neu Klaus W. König In Zürich, Memmingen, Badenweiler und Bonlanden/ Iller sind neuerdings auf Stadtplätzen, in Stadtparks und öffentlich zugänglichen Gärten bei der Neugestaltung besondere Attraktionen zu finden: Selbsttätig ablaufende Choreografien, die bestimmten Tagesrhythmen folgen oder natürliche Ereignisse wie Wind, Erdbewegungen oder Infraschall nutzen. Im Verborgenen geben digitale Werkzeuge dazu Impulse für Wasserbewegung, Lichtreflexion und Klang. Von Künstlern programmiert, entstehen so urbane Orte des sinnlichen Erlebens. Urbane Choreografie als Kunst im öffentlichen Raum Digitale Werkzeuge für Wasser-, Licht- und Klangtechnik Bild 1: Der Freiheitsbrunnen in Memmingen. Bronzestele mit Licht und Wassernebel, automatisch gesteuert. © Metallatelier PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Bild 2: Der Wassernebel ist stetig im Wandel und schwer fassbar, ein Sinnbild für die Freiheit, das Motiv des Brunnens. © Metallatelier 25 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum errichtet. Urbaner Zierrat? Städtisches Mobiliar ohne Funktion? Kitsch? Kunstobjekte? Was findet wirklich statt? Sinnliches Erleben des Elementes Wasser möglicherweise - falls davon tatsächlich etwas Interessantes zu sehen, zu hören oder zu begreifen ist. Interaktion von Kunst und Mikroklima Beispiel Memmingen, Freiheitsbrunnen am Weinmarkt: Hier waren und sind ein Marktplatz, eine Wegkreuzung, Gaststätten, Haltepunkte öffentlicher Verkehrsmittel, Lade- und Lieferzonen. Ein Brunnenstandort wie vor Jahrhunderten. Nur der Brunnen selbst ist ein neuer und anderer. Ein Kunstobjekt im öffentlichen Raum, mit klarer historischer Botschaft zur Freiheit der Bauern, aber ganz ohne Wasser - jedenfalls ohne flüssiges. Zu Recht, meint David Fuchs, der das gelegentlich Nebel sprühende Metallobjekt nach einer Idee von Andy Brauneis realisiert hat. „Was wir nach wie vor wollen und auch brauchen, sind Orte der Begegnung im öffentlichen Raum. Hier können wir uns mit anderen verabreden, austauschen, auch allein aufhalten und etwas sinnlich Wahrnehmbares erleben“, meint Fuchs. Er ist Inhaber des Metallateliers in Deggenhausen am Bodensee und leitet ein Team, das seit Jahrzehnten außergewöhnliche Aufgaben übernimmt. Der 2016 fertig gestellte Brunnen in der Innenstadt von Memmingen steht für eine historisch bedeutende Auseinandersetzung zwischen der Freien Reichsstadt und den Bauern der Umgebung. Bei ihm tritt statt flüssigem Wasser versprühter Nebel in Erscheinung. Die Umgebung versorgt er mit periodisch austretenden Schwaden. Die szenische Beleuchtung erfolgt nach einem ausgeklügelten Steuerungskonzept, das Teil der Brunnenskulptur ist. Kunst und Freiraum wird damit neu erlebbar. Nur wenn es in Memmingen regnet, wird der Freiheitsbrunnen wirklich nass. Das Versprühen des Nebels braucht mit 100- L pro Stunde wesentlich weniger Wasser, als ein herkömmlicher großer Stadtbrunnen. Zudem bringt die Verdunstung in der warmen Sommerzeit angenehme Kühlung auf dem Weinmarkt. Derlei Motive entsprechen dem internationalen Trend der wasserorientierten Stadtplanung, die eine Verbesserung des Mikroklimas und der urbanen Lebensqualität zum Ziel hat. Die Erscheinungsform dieses Brunnens wandelt sich permanent. Dafür sorgt die Steuerung der Sprühdüsen und der Beleuchtung, aber auch die Temperatur und Luftfeuchtigkeit auf dem Platz. Bei Windstille und 100- % Luftfeuchte entsteht viel sichtbarer Sprühnebel, der an den Boden des Platzes sinkt. Ist es hingegen warm, windig und trocken, verschwindet der Nebel, da das versprühte Wasser sofort verdunstet. Eine Interaktion von Kunst und Mikroklima also, die von unterschiedlicher Beleuchtung profitiert. Das Licht schaltet sich abends, wenn es dunkel wird, automatisch ein. Dann variiert dessen Intensität so, als würde es „atmen“ - die Helligkeit nimmt langsam zu, bis zum maximalen Wert, und dann allmählich wieder ab. In der Morgendämmerung gehen die Strahler automatisch aus. Ist der gesprühte Nebel im unteren Teil der Stele mal dichter und damit lichtundurchlässiger, kommt weiter oben kaum genug Licht an, um die mehr als 9-m aufstrebende Metallkonstruktion zur Geltung zu bringen. Ist der Nebel vor allem oben, wirkt die Stele hingegen insgesamt hell und hoch. Sanfte Inszenierung einer Thermalquelle Beispiel Badenweiler, Inhalatorium: Der für die künstlerische und gestalterische Konzeption verantwortliche Hendrik Porst hat für Ramboll-Studio Dreiseitl großartig und einfühlsam den historischen Ort neu interpretiert, an dem die Römerquelle Tag für Tag rund 1 Mio. L ausschüttet. Wesentliches Element ist eine Freitreppe mit integriertem Wasserlauf. Im Gebäude symbolisieren eine Quellschale und ein Trinkbrunnen aus Bronze den hohen Geschäftsführer und Inhaber ist David Fuchs. Der Schwerpunkt liegt auf dem Werkstoff Metall in Kombination mit Wasser, Licht/ Glas, Klang, Kinetik und Steuerung. Im Jahr 1985 entstand das Metallatelier, um Entwürfe der Objekt- und Kirchenkunst von Freunden - ergänzt mit den Gedanken von David Fuchs - zu realisieren. Heute umfasst das Spektrum der realisierten Kundenwünsche Kunst, Design und Architektur. www.metallatelier.de METALLATELIER GMBH IN DEGGENHAUSEN/ BODENSEE Bild 3: Wassertreppe vor dem Inhalatorium Badenweiler. Wassermenge, -bewegung und Beleuchtung variieren und schaffen so eine anmutige Inszenierung. © König  26 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Stellenwert des Thermalwassers für Badenweiler. Diese Wertschätzung wird gesteigert durch die sorgsam programmierte Choreografie des Metallateliers zu Menge, Bewegung und Beleuchtung - eine sanft anmutende Inszenierung innerhalb und außerhalb des Inhalatoriums. Die runde Quellform in der Raummitte zieht die Aufmerksamkeit der Besucher am stärksten auf sich. Sie erhält das unbehandelte Quellwasser direkt aus einer der Zisternen, der Choreografie gemäß abwechselnd mit etwas mehr oder weniger Zulauf. Zyklisch gesteuerte Pumpentechnik füllt die innere Quellschale von unten. Der Programmablauf besteht aus zahlreichen Abschnitten, die durch Zusatz von Luft auch akustisch abwechselnde Strömungsgeräusche bewirken. Unter anderem beleuchtet ein LED-Projektor morgens und abends die Wasseroberfläche von der Raumdecke aus und erzeugt auf der Bronze der inneren Schale vielfältige Muster. Diese erscheinen, wie von Geisterhand gezeichnet, im Spiegelbild an der Decke sehr deutlich. Sanft, wie es aus der Mitte emporkommt, verschwindet das Wasser wieder außen über den Rand strömend in der darunterliegenden Schale. Von dort aus verlässt es das Inhalatorium im unterirdischen Abflussrohr, wird in der Technik darunter aufgefangen und weiterverwendet für den Wasserlauf in der Außentreppe. Für diese Wassertreppe wurde ein Umwälzkreislauf eingerichtet, der aufgrund seines Pufferspeichers auch dann funktioniert, wenn der Zulauf von der Quellschale, entsprechend der programmierten Steuerung, geringer wird oder ganz aussetzt. Um den hygienischen Standard zu erfüllen, wird das Umwälzwasser aufbereitet und durch regelmäßig zugeführtes Quellwasser aufgefrischt. Unterhalb der Gemeinde Badenweiler treffen alle Teilströme der Römerquelle wieder zusammen - mit ganz wenigen Ausnahmen. Was vom Trinkbrunnen abfließt, muss aus hygienischen Gründen in die Abwasserkanalisation. Bewässerungsrohre als Resonanzkörper Beispiel Zürich-Schwamendingen, Sportanlage Heerenschürli: Das 2009 unterirdisch eingebaute Klangfeld Cassiopeia beruht auf Idee und Konzept des Schweizer Künstlers Andres Bosshard. Es besteht aus vier klingenden- Steinplatten (elektromechanisch betrieben) sowie zwei Tropfkörpern aus Metall und vier Bronzetrommeln (wasserbetrieben). Diese Instrumente sind verteilt auf drei Schächte und werden durch MIDI (Musical Instrument Digital Interface) automatisch bespielt. Elektronik und Wasserverteilung mit Steuereinheit befinden sich in zwei weiteren Schachtbauwerken. Wie ein Hörlabyrinth ist das Klangfeld an beiden Enden mit den kilometerlangen Bewässerungsrohren der Sportanlagen verbunden, um den gesamten Hall-Raum dieser weit verzweigten Unterwelt als Resonanzkörper akustisch nutzen zu können. Laut Bosshard entsteht so „eine ungewohnte Geräuschkulisse, die jahraus jahrein aufhorchen lässt. Diese Anlage wird nicht nur gelegentlich anders programmiert, sondern kann auch aktiv bespielt werden“. Die Stadt Zürich gab auf ihrer Website dazu bekannt: „Dort werden hin und wieder Konzertveranstaltungen stattfinden - eine Auszeit für den Sport und eine Extraspielzeit für die Kunst“. Die Technik, mit der Steuerung in ihrem Zentrum, ist überflutungssicher ausführt. Wie wichtig das ist, hat ein regionales Hochwasser im Jahr 2012 gezeigt: Im Bereich des Klangfeldes stand die Sportanlage Heerenschürli unter Wasser, ohne dass die Elektrik Schaden genommen hat. Die Beckhoff-Steuerung wurde von Olaf Matthes programmiert. Live eingespielte Sequenzen von Zoro Babel - Klangkünstler und Klangregisseur aus München - sind dort abgespeichert, editiert und abgelegt. Zufallsgesteuert und nach Tageszeit sortiert wird die Installation genauso angesteuert wie bei der Live-Einspielung, die mit Keyboard und Drumpad erfolgte. Babel hat Serpentinplatten als Klangsteine ausgesucht. Sie sind frei schwingend gelagert und befinden sich in Kanalröhren mit 300- mm Durchmesser. Der Serpentin - ein Granitschiefer - klingt gut und lässt sich gut spalten. Traditionell werden damit Dächer gedeckt. Lauter oder leiser Ton wird über die Bestromungszeit der Magnetspule geregelt, 30- Anschläge pro Sekunde bei voller Dynamik Bild 4: Quellschale aus Bronze im Inhalatorium Badenweiler. © König 27 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum „Die Entwicklung der Wellengeber war nach 20 Jahren Erfahrung auf diesem Feld nicht das Problem. Wellenchoreographien in 56 verschiedenen Mustern, entwickelt von meinem Sohn Martin Fuchs, werden auf Knopfdruck in immer neu gemischten Dreiergruppen abgespielt - eingerahmt von Grillen, Zikaden, Fröschen, seltsamen Vögeln, Bienen, Spechten - allesamt vom Klangregisseur, meinem Bruder Zoro Babel, auf einem digital nachgebauten Synthesizer aus den 70ern zum Leben erweckt. Ein zweiter Taster sorgt für die dazupassenden Konzerte, eingespielt vom Cellisten Mathis Mayr. Der Sonnengesang, professionell gesprochen von Caspar - Zoros elfjährigem Sohn - ist ergreifend. Dann kehrt wieder Ruhe ein. Der Taster wird rot und lässt sich eine Zeit lang nicht mehr drücken. Jetzt übernimmt die Natur. Aber was soll passieren, wenn nichts passiert? Die Wellengeber künstlich mit Choreografien füttern? Welche natürlichen Schwingungen sind dauerhaft präsent und zugleich geeignet für die Modulation des Wassers - und sind unseren Sinneswahrnehmungen entzogen? Die Lösung lautet: Infraschall, zwischen 10 und 0,5 Hz, verstärkt und direkt auf die Wellenerzeuger gegeben. Eine Autotür schlägt, ein Traktor DAVID FUCHS ZUM WASSER-PROJEKT KLOSTER BONLANDEN fährt vorbei, ein Windstoß - all das erzeugt nun wunderschöne Wellenbilder! Infraschall-Signale können auch den Weg von weit her zum Teich im Kloster finden. Bei der Suche nach Wellen bin ich mit sensiblen seismischen Sensoren nebenbei auf die Bodenunruhe aufmerksam geworden. Der Boden schwingt unablässig - mal ganz leicht, mal wieder kräftig und intensiv. Das ergibt wunderbare Wellenformen, aber oft mit einer zu niedrigen Frequenz, so dass eine Abbildung als Welle auf dem Teich nicht zielführend wäre. Zoro hatte schließlich die Idee, den geplanten Springbrunnen damit zu modulieren. Wir entwickelten einen dicken, gläsernen, weichen und laminaren Strahl, welcher mit ungefiltertem Teichwasser funktioniert. Dieser zeichnet die seismischen Schwingungen mal ruhig, mal aufgeregt, aber mit hoher Dynamik in den Teich. Die Besucher sind begeistert, wenn ihre Schritte und Sprünge in dem zitternden Wasserstrahl sichtbar werden. Dazwischen setzt die automatische Steuerung immer wieder zufällig eingefügte Pausen, denn auch die Ruhe ist hier wesentlich! “ David Fuchs. © König sind das Maximum. Um die richtige Anschlagdynamik zu realisieren, wird die Magnetspule für 4,5 - 30-ms mit 600 W Strom versorgt. Der Anker - mit Hochenergiemagneten bestückt - schnellt nach oben und schlägt die Steinplatte an. 30 Schläge in der Sekunde pianissimo bis forte sind möglich. Vom Metallatelier wurde in Tests herausgefunden, dass speziell diese Steinklänge unbeschadet durch die Kanalisation wandern und auch an abgelegenen Hör-Orten noch einen schönen Klang haben. Aufgrund der Laufzeitunterschiede der Klänge entsteht ein dreidimensionales Hörerlebnis, welches mit ein wenig Phantasie ein unterirdisches Höhlensystem vermuten lässt. Die Trommeln werden mit einem scharfen Wasserstrahl angespielt und erzeugen so Streicher-Klänge. Sie bestehen aus einer dünnen Bronze-Membran, die auf einen massiven Bronzekörper aufgespannt ist. Allerdings sind alle vier unterschiedlich gestimmt und unterscheiden sich durch die Art des auftreffenden Wasserstrahls. Die beiden Tropfkörper sind gleich aufgebaut, jedoch in verschiedenen Materialien ausgeführt. Dadurch werden die verschiedenen Klangcharakteristika der Metalle Edelstahl Rostfrei und Bronze hörbar. Töne werden erzeugt, indem sich durch kontinuierlichen Wasserzulauf eine beweglich gelagerte Schale füllt und kippt. Dabei entstehen im darunter liegenden Resonanzkörper Tropfgeräusche, die über den Schalltrichter nach oben durch die Schachtabdeckung geleitet werden. Wenn die Schale zurück kippt, wird der metallene Resonanzkörper zusätzlich wie ein Gong angeschlagen. Bilder 5 und 6: Sportanlage Heerenschürli, Zürich. Elektromagnetisch und wasserbetriebenes Klangfeld Cassiopeia. © Metallatelier  28 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Infraschall, Wasserwellen und Klangregie Beispiel Kloster Bonlanden: Die Franziskanerinnen von Bonlanden erschaffen nach und nach außergewöhnliche Möglichkeiten, um naturgemäßes Füreinander, Miteinander und Nebeneinander auf dem Klostergelände wahrzunehmen. Die Haltung der Schwestern, die im süddeutschen Illertal nach den Idealen des heiligen Franziskus von Assisi leben, finden in die Klosteranlage. Dort war vieles schon präsent: Die Sonne, das Wasser, die Fische, die Vögel, die Natur des Waldes, die Ruhe. Mit der Neugestaltung wollen die Schwestern das Hinhören und Hinsehen schärfen, das Erleben der Natur und ihrer Elemente in der Umgebung des Wassers zusätzlich vertiefen. Fertigstellung war im Juli 2017. Einen besonderen Beitrag zum Erkennen der Naturphänomene von „Schwester Wasser“ leisten auch hier Objekte des Metallateliers aus Deggenhausen, in Verbindung mit Klanginstallationen von Zoro Babel. David Fuchs beschreibt seine Herangehensweise an diese ihm von den Ordensschwestern übertragene Aufgabe so: „Der Löschteich lag ruhig und glatt im Windschatten der Bäume. Was soll hier künstlerisch passieren? Einen Stein werfen, die sich ausbreitenden Wellenringe bestaunen. Ein zweiter Stein, die beiden Wellenbilder interferieren miteinander. Die Wellen werden am Ufer reflektiert. Physik als Teil der Natur wird sichtbar und offenbart einen wesentlichen Charakterzug des Wassers. Nachhören den Klängen der Natur - auch Klang ist Welle. Den Sonnengesang akustisch erleben. Lautsprecher im Wald verstecken, damit Klang, gefiltert durch Laub und Bäume, wieder natürlich wird. Mit Geräuschen die Atmosphäre verdichten. Die Idee war geboren.“ Dipl.-Ing. Klaus W. König Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Bewirtschaftung und Nutzung von Regenwasser, Fachjournalist kwkoenig@koenig-regenwasser.de AUTOR det einen sinnlich wahrnehmbaren Ausdruck im Sonnengesang- Weg. Mehrere Stationen sollen die Möglichkeit bieten, Aspekten wie Wind, Feuer, Wasser, Erde im Sonnengesang des heiligen Franziskus nachzuspüren. Ein Teil davon ist der 2015 fertig gestellte Garten „Mutter Erde“, mit begehbarem Labyrinth, ein anderer Teil ist der 2017 veränderte Löschweiher am Waldrand zu Ehren der „Schwester Wasser“, eingebun- Ausgangspunkt der Klanginstallation war der Sonnengesang des heiligen Franziskus. „Trobator“ nannte man im 13. Jahrhundert Franziskus den Dichter, Komponist und Sänger. Seine Vielseitigkeit war für uns Inspiration, das Sprechen, den Gesang, die Musik und die Geräusche in einen gemeinsamen Kontext zu bringen. Den Kern bildet die Aufzeichnung des Textes (Caspar Lesjak, 11 Jahre alt), um den sich das gesamte Musik- und Geräuschmaterial rankt. Die Huldigung der Schöpfung, von einem Kind gesprochen, gibt uns die Möglichkeit, ungefiltert und auf natürliche Weise ihrer Bedeutung zu folgen. Franziskus erzählt vom Phänomen des Lebens, das uns der Herr schenkt und bedankt sich auf berührende Weise bei dem Höchsten, ohne dessen Namen zu nennen. Wir haben uns entschieden, Klänge aus der Natur mit Mitteln der synthetischen Klangerzeugung zu generieren. Sie werden über unterschiedliche Lautsprecher wiedergegeben: Vier im Karree mit 360 ° Abstrahlwinkel um das Wasser herum und drei mit 45 °, etwas abseits im angrenzenden Wald verortet. Diese Klangarchitektur gibt mir die Möglichkeit, auf die Akustik des Ortes einzugehen und verschiedene Raumwirkungen zu erzeugen. Diverse Wettersituationen und bereits existierende Geräusche werden integriert. Die „synthetischen Klangskizzen“ setzen sich von der Natur subtil ab. Sie verdichten die flüchtigen Naturgeräusche zu Symbolen, irritieren durch ihren eigentümlichen Charakter und verführen zum Zuhören. Besucher können per Knopfdruck Musikpassagen mit Kindergesängen und Violoncello sowie Synthesizer abspielen. Auch sind Anspielungen auf Sirenenklänge zu hören, die dazu aufrufen, der Natur mit Achtsamkeit zu begegnen. ZORO BABEL ZUM WASSER-PROJEKT KLOSTER BONLANDEN Zoro Babel. © König Bild 7: Kloster Bonlanden: Wellenchoreographien, entwickelt von Martin Fuchs. © König M E D I E N P A R T N E R K O O P E R A T I O N S - P A R T N E R 29. und 30. November 2017 Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, Stuttgart Dabei sein kann jeder, der die digitale Zukunft von Städten und Kommunen mitgestalten möchte egal ob Studierende, Unternehmen oder Bürgerinnen und Bürger. www.morgenstadt.de Digitalisierung und Datenverwaltung Mobilitätssysteme und neue Verkehrsträger Cyber Crime und Cyber Security Neue Formen des Arbeitens Sicherheit im Quartier Dezentrale Energiesysteme Stadtgärten und grüne Nachbarschaften Digitale Verwaltung und offene Datenportale Smart Home and Living Kreativ-Workshops | Speed-Dating Impulsvorträge | Makeathon | Ausstellung MORGENSTADT-WERKSTATT MEETS DIGITALE ZUKUNFTSKOMMUNE@BW 30 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Weniger CO 2 in der Mobilität durch Gas Die enormen energie- und klimapolitischen Herausforderungen in der Mobilität lassen sich nur durch das Zusammenwirken verschiedener Technologien und Antriebsformen lösen. Bis eine vollständige Umstellung auf „saubere Mobilität“ gelingt, sind schnelle Lösungen mit „quick wins“ gefragt. Denn derzeit verursacht der Mobilitätssektor rund 160-Mio. t CO 2 , das sind ungefähr ein Viertel der gesamten CO 2 -Emissionen in Deutschland. Mit etwa 95- % macht dabei der Straßenverkehr den „Löwenanteil“ aus. Bereits heute sparen nach uns vorliegenden Berechnungen die gut 77 000 in Deutschland zugelassenen Erdgas-Pkw im Vergleich zu Fahrzeugen mit Ottomotor jährlich mehr als 44 000 Tonnen CO 2 ein. Im Gesamtkontext nur eine vergleichsweise kleine Zahl, doch sie macht deutlich, was bei einem großformatigen Umstieg von mehreren Millionen Fahrzeugen möglich ist. Dass hier durch den Einsatz von CNG und LNG erhebliche Einsparpotenziale vorhanden sind, hat die Politik erkannt und kürzlich den Steuervorteil für komprimiertes Erdgas als Kraftstoff im Personenverkehr bis 2026 fortgeschrieben. Noch klimafreundlicher werden gasbetriebene Fahrzeuge, wenn dem fossilen Energieträger Erdgas regenerativ erzeugtes Biogas beigemischt wird: Bei reinem Grüngas-Betrieb mit synthetischen Kraftstoffen nimmt der Ausstoß von Kohlendioxid sogar um 97-% ab. Darüber hinaus sinken durch den Erdgasantrieb auch die Stickoxid- und Feinstaubemissionen spürbar. Deshalb erfüllen Erdgasfahrzeuge schon lange die strenge Abgasnorm Euro 6, die seit 2014 für Neuzulassungen von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor verbindlich ist. Besonders wichtig für den urbanen Raum: Erdgasfahrzeuge dürfen in allen Umweltzonen fahren. Gleiches gilt für den Lkw-Güterverkehr. Auch hier steht eine ausgereifte Technologie zur Verfügung, um mit Hilfe von Flüssigerdgas Treibhausgase zu reduzieren. Vor allem für den öffentlichen Personennahverkehr in Ballungsgebieten eine interessante Option. Es steht außer Frage, dass sich durch den Fuel-Switch, also den Ersatz von Diesel durch CNG und LNG, erhebliche Klimaschutzeffekte realisieren lassen. Im von der EU-Kommission geförderten „LNG Blue Corridor“-Projekt im Bereich des Schwerlast-Lkw-Verkehrs zeigte sich, dass durch den Einsatz von LNG rund 15 % CO 2 -Emissionen im Vergleich zu herkömmlichen Diesel-Lastkraftwagen eingespart werden können. Werden auf Gas-/ LNG optimierte Motoren eingesetzt, sind weitere zweistellige Prozentverbesserungen erreichbar. Prof. Dr. Gerald Linke, DVGW-Vorstandsvorsitzender. © DVGW Die Stadt von morgen kann auf Gas nicht verzichten Gastbeitrag von Prof. Dr. Gerald Linke, DVGW-Vorstandsvorsitzender Der demographische Trend ist eindeutig. Von den ländlichen Regionen geht es hinein in die urbanen Zentren. Doch wie wird dieser Lebensraum in Zukunft aussehen? Klar ist: Ein leistungsfähiger öffentlicher Personennahverkehr wird immer wichtiger werden. Zugleich verdichten sich die Anzeichen dafür, dass die Zukunft des Personenindividualverkehrs in elektrischen Antrieben liegt. Gleichzeitig stellt der Klimawandel mit heißen Sommermonaten und verstärkten Starkregenereignissen Stadtplaner und Immobilienentwickler vor ganz neue Herausforderungen. Hinzu kommen weitere digitale Evolutionen - vielleicht sogar Revolutionen - die einst getrennte Sektoren miteinander koppeln und weitgehend autonome Funktionsabläufe ermöglichen. Noch zeichnet sich kein konsistentes Bild ab, doch nahezu alle Experten sind sich einig, dass in der Stadt von morgen Energie ein zentrales Thema sein wird. Das Anforderungsprofil ist vielfältig: Es reicht von einer umweltgerechten leistungsfähigen Mobilität über die Bereitstellung von Wärme und Kälte bis zu vielfältigen elektrischen Anwendungen. Fest steht, dass diese Energie immer stärker regenerativ erzeugt werden muss. Fest steht auch, dass Gas und „grüne Gase“ einen wichtigen Beitrag zu einer sicheren und umweltgerechten Energieversorgung leisten werden. 31 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Erneuerbare Energie und moderne Heiztechnologien Der zweite Bereich betrifft die Erzeugung von Wärme und Kälte. Derzeit entfällt ungefähr ein Drittel des gesamten Endenergieverbrauchs in Deutschland auf das Heizen und Klimatisieren von Gebäuden sowie auf die Warmwasserbereitung. Den weitaus größten Anteil hat daran der Haushaltssektor mit rund 18 Mio. Wohngebäuden. Der Gebäudesektor verbraucht aber nicht nur viel Energie, sondern weist auch erhebliche Anteile treibhausgasintensiver Brennstoffe auf. So stehen Erdöl und Kohle zusammengenommen immer noch für mehr als ein Viertel des Endenergieverbrauchs. Um klimafreundliches Wohnen zeitnah und kosteneffizient zu ermöglichen, müssen verschiedene Maßnahmen eingeleitet und umgesetzt werden. Die Ablösung von Erdöl und Kohle durch Gase ist der erste Schritt und ermöglicht ein schnell zu realisierendes erhebliches Plus an Klimaschutz zu minimalen volkswirtschaftlichen Kosten. Parallel dazu sollte eine möglichst flächendeckende Umstellung auf moderne Heiztechnologien erfolgen. Als zweiter Schritt ist langfristig die signifikante Erhöhung des Anteils „grüner Gase“ im Gasmix anzustreben. Dies bietet insbesondere für stark verdichtete Ballungsräume mit hohem Altbaubestand und den hier typischerweise begrenzten Potenzialen für die Absenkung des Wärmebedarfs interessante Lösungen. So machen es „grüne Gase“ in Verbindung mit moderner Mikro-KWK-Technik und energetischen Effizienzmaßnahmen möglich, die für den Gebäudesektor in den nächsten Dekaden veranschlagten drastischen Emissionsminderungsziele zu erreichen. Dezentrale KWK-Anlagen können ihre Vorteile ausspielen Eng verbunden mit der Wärmeerzeugung ist die Nutzung von elektrischer Energie, insbesondere für die stark wachsende Zahl intelligenter Haushaltsysteme. Da der erforderliche Strom im städtischen Gebiet aufgrund der räumlichen Gegebenheiten nicht über Solardächer und Windräder erzeugt werden kann, sind Alternativen gefragt. Wie bereits erwähnt, kann die Mikro-KWK-Technologie hier ihre Vorteile ausspielen, indem sie neben Wärme auch Strom erzeugt und diesen ins städtische Netz einspeist. Das ist Energieeffizienz pur. Der nächste Verbesserungsschritt zur weitgehenden Klimaneutralität setzt dann aber den Einsatz von mehr „grünen Gasen“ oder synthetischen Gasen voraus. Eine Schlüsselrolle kommt dabei der Power to Gas-Technologie zu. Sie ermöglicht, überschüssigen Ökostrom durch Elektrolyse in Wasserstoff oder synthetisches Erdgas umzuwandeln, ins Erdgasnetz einzuspeisen und so den Endverbrauchern zuzuleiten. Schon heute kann die Gasnetz-Infrastruktur in den bestehenden unterirdischen Gasspeichern etwa 200 TWh aufnehmen, was in etwa einer deutschen Versorgungssicherheit von 2 000 Stunden entspricht. Potenziale nutzen, Sektoren koppeln Die Chancen, die Gas beziehungsweise „grüne Gase“ in den Bereichen Mobilität, Wärme und Strom bieten, sind bekannt. Um sie optimal zu nutzen, kommt es darauf an, sie sinnvoll miteinander zu verbinden.  32 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Die politischen Implikationen einerseits und das Potenzial der technischen Innovationen andererseits werden auf der gat 2017, Deutschlands Leitforum der Gaswirtschaft, vom 29. - 30. November in Köln erörtert. Zu den vorrangigen Diskussionspunkten gehören auch die Themen „Gas & Erneuerbare Energien“ und „Sektorenkopplung“. Die gat 2017 ist die zentrale Informations- und Diskussionsplattform für technische und kaufmännische Fach- und Führungskräfte und Jahr für Jahr wichtiger Impulsgeber für die Branche. Auf 10 000 m² Ausstellungsfläche präsentieren vom 28. - 30. November 2017 rund 200 Aussteller innovative Produkte und Dienstleistungen. Fachmesse, Kongress und zwei kommunikative Abendveranstaltungen bieten ideale Gelegenheiten, persönliche Netzwerke gezielt zu erweitern. www.gat-wat.de INFORMATIONS-PLUS: Das Stichwort lautet: Sektorenkopplung. Hinter dem Begriff verbirgt sich die integrierte Betrachtung von Energieinfrastrukturen, Energieträgern, Anwendungsbereichen und Verbrauchssektoren. Auf eine einfache Formel gebracht, hießt das: Die Sektorenkopplung sorgt für die Einbindung und Integration bislang weitgehend getrennter Sektoren in ein insgesamt leistungsfähigeres Gesamtsystem. Auf diese Weise können erneuerbare Energien (als Gas oder Strom) in allen Sektoren zum Einsatz kommen. Gleichzeitig spielen Gase und die Gasinfrastruktur eine entscheidende Rolle bei der Stabilität des Systems. Beides zusammen ermöglicht mit Hilfe von Technologien wie Power-to-Gas, erneuerbaren Strom langfristig zu speichern, zu transportieren und bedarfsgerecht zur Verfügung zu stellen. Die Lücke zwischen Stromverbrauch und erneuerbarer Erzeugung lässt sich so erfolgreich schließen. Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Um die Energiewende von morgen bezahlbar und damit sozialverträglich zu gestalten, sollten die bereits existierenden Netze genutzt und weiterentwickelt werden. Gerade urbane Großräume haben hier gute Voraussetzungen, um ihre Zukunft weitgehend klimaneutral zu gestalten. Weitere Informationen senden wir Ihnen gerne zu. Ihre Ansprechpartnerin: Nicole Gotta Tel. +49 (0) 30/ 28 44 94-213 nicole.gotta@ew-online.de • Fachmesse • PMR-Konferenz • Leitstellenkongress • PMRExpo Career • Fachforen • Fachtagung PMR für EVU Eine Veranstaltung von 28. bis 30. November 2017 Koelnmesse 2017 Bei Interesse an der Teilnahme als Aussteller schreiben Sie bitte an: ausstellung@ew-online.de Weitere Infos finden Sie unter www.pmrexpo.de oder auf unseren Social Media-Kanälen: 33 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie 33 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES Die Dortmunder Netz GmbH (DONETZ) ist eine 100-prozentige Tochter der Dortmunder Energie- und Wasserversorgung GmbH. DONETZ verantwortet die Strom-, Gas- und Wassernetze in Dortmund, die Gas- und Wassernetze in Herdecke sowie Teile des Wassernetzes in Holzwickede. Beschäftigt sind in der GmbH mit Sitz am Günter-Samtlebe-Platz rund 390 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das Unternehmen stellt anderen Versorgern die Leitungen zur Verfügung. Im Bereich des Stromnetzes unterhält DONETZ neben den 22-Umspannanlagen mit insgesamt 33- Trans- Modernisierung eines Warnmeldesystems für das Stromnetz Störungen schnell erkennen und beheben Energieversorgung, Versorgungssicherheit, Warnmeldesystem, Fernwirktechnik Thanh-An Pham Mit dem Neubau einer Hauptverteilerstation hat die Dortmunder Netz GmbH (DONETZ) die Energieversorgung des Dortmunder Stadtteils Husen durch ein innovatives Konzept auf die Zukunft ausgerichtet. Das neue Warnmeldesystem von Phoenix Contact trägt zu einer einfachen und schnellen Fehlersuche bei, sodass sich Störungen umgehend beheben lassen und ein hochverfügbarer Netzbetrieb sichergestellt ist. © Phoenix Contact PRAXIS + PROJEKTE Energie formatoren ebenfalls 38- Hauptverteilerstationen mit jeweils 10- kV Spannung. Das Unternehmen versorgt über 370 000 Haushalte sowie Industriebetriebe in Dortmund inklusive der angrenzenden Stadtteile mit Energie. Im Rahmen ihres Aufgabenspektrums hat DONETZ im Jahr 2015 die Hauptverteilerstation im Dortmunder Stadtteil Husen erneuert. Zwei Einspeisungen der Umspannanlage Methler beliefern die Hauptverteilerstation mit einer Spannung von 10 kV. Die beiden Sammelschienenabschnitte, die jeweils acht Felder umfassen, sorgen dann für die hochverfügbare Energieverteilung. Während des Neubaus hat das dreiköpfige Projektteam - bestehend aus Tobias Sommer (Anlagen und Kabeltechnik), Klaus Bölkow (Instandsetzung Schalt anlagen, Schutz- und Stationsleittechnik) und Marc Buchholz (Service Fernwirktechnik und technische Netze) - die Entwicklung eines neuen Warnmeldesystems gemeinsam mit Phoenix Contact begleitet. 34 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Einfache Nachrüstung in bestehenden Anlagen „Ende des Jahres 2013 hatten wir im Kundenmagazin Update von Phoenix Contact einen Applikationsbeitrag gelesen, in dem die gemeinsame Erarbeitung eines Warnmeldesystems durch das Bild 1: Klaus Bölkow, bei DONETZ für die Instandhaltung Schaltanlagen, Schutz- und Stationsleittechnik verantwortlich, und seine Kollegen legten beim neuen Warnmeldesystem Wert auf die Beibehaltung der bekannten Bedienphilosophie. © Phoenix Contact Bild 2: Das Axioline F-System erfasst die DC-220-V-Signale direkt mit einer Stoßspannungsfestigkeit von 5 kV. © Phoenix Contact Damit das gemeinsam erarbeitete System zukunftssicher ist, muss es sich vor allem einfach in sämtlichen Hauptverteilerstationen und Umspannanlagen nachrüsten lassen. Aufgrund des dort begrenzten Platzangebots setzt das unter anderem eine kompakte Bauform der Lösung voraus. „In unseren Anlagen werden die Meldungen über eine batteriegepufferte DC-220-V-Spannung aufgenommen“, erläutert Tobias Sommer. „Da wir auf eine zusätzliche Koppelebene verzichten wollten, die entsprechenden Platz im Schaltschrank beansprucht, müssen die DC-220-V-Signale direkt erfasst werden (Bild 2)“. Kommunikative Anbindung an die Fernwirktechnik Nachdem Phoenix Contact auf der Hannover Messe 2015 die Ein- und Ausgabemodule des Die Produktfamilie Axioline F von Phoenix Contact bietet sich als besonders robustes I/ O-System zur Nutzung im Energieumfeld an (Bild-4). Dem Energiemarkt stehen mit dem Buskoppler sowie verschiedenen I/ O-Modulen alle Lösungen für den branchenüblichen Übertragungsstandard IEC 61850 zur Verfügung. Vervollständigt wird die Axioline F-Serie durch die modularen Kleinsteuerungen. Der Buskoppler leitet die Daten sowohl über das MMSals auch über das schnelle GOOSE-Protokoll weiter und unterstützt zudem den Fernwirkstandard IEC 60870-5-101/ 104. Aufgrund der normgerechten Umsetzung der Kommunikation gemäß IEC 61850 und IEC 60870-5-104, die durch das weltweit anerkannte Institut KEMA zertifiziert ist, wird die Interoperabilität des Systems sichergestellt. Die I/ O-Module bieten für jeden Einsatz die passenden digitalen Eingänge und Relaisausgänge. Hinzu kommt, dass die Module die spezifischen Anforderungen des industriellen Energieumfelds erfüllen. Darunter fallen beispielweise die erhöhte Nennspannung von DC 220 V sowie die Stoßspannungsfestigkeit von 5 kV. Wie sämtliche Geräte des Axioline-Systems zeichnen sich die I/ O-Module durch eine besonders hohe Störfestigkeit bis 8 kV, die Robustheit gegenüber mechanischen Belastungen - wie Schocks - bis 30 g sowie die schnelle Signalerfassung (<1 ms) aus. Dabei wird beim I/ O-System auf den Einsatz von Trennscheiben verzichtet, sodass die Module beliebig mit den übrigen Komponenten des Axioline F-Portfolios kombiniert werden können. UMFASSENDES PORTFOLIO FÜR DIE IEC 61850-ÜBERTRAGUNG Unternehmen und einen Energieversorger beschrieben wurde“, erinnert sich Tobias Sommer. Über das Warnmeldesystem werden den Instandhaltungs- Mitarbeitern die in der Anlage aufgetretenen Fehlerzustände visualisiert. So haben sie die Möglichkeit, die Störungen schnell zu beseitigen und einen effizienten Netzbetrieb sicherzustellen. „In der Vergangenheit wurden zuerst Fallklappenrelais und später ein nicht mehr auf dem Markt erhältliches Meldesystem eingesetzt, um die Warn- und Störmeldungen anzuzeigen“, berichtet Klaus Bölkow (Bild 1). „Bei der Entwicklung des Meldesystems der dritten Generation sollte die den Mitarbeitern vertraute Bedienphilosophie der bisherigen Lösungen beibehalten werden, sodass kein Einarbeitungsaufwand entsteht“. 35 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Echtzeit-I/ O-Systems Axioline- F für DC- 220 V vorgestellt hatte, konnte das um die Energie-Spezialisten des Blomberger Unternehmens ergänzte Projektteam mit der Detailplanung beginnen. Neben der Hardware-Ausprägung in drei verschiedenen Varianten - 48 Signale für Hauptverteilerstationen, 128 Signale für Umspannanlagen mit einem Transformator und 184 Signale für Umspannanlagen mit drei Transformatoren - waren insbesondere eine einheitliche Bedienoberfläche sowie die kommunikative Anbindung an die Fernwirktechnik zu realisieren. „Die beiden bis dato genutzten Systeme verfügten weder über eine Datenübertragung noch eine Protokollierung“, so Marc Buchholz. „Im Gegensatz dazu sollte die neue Warnmeldelösung ein integraler Bestandteil unserer Fernwirktechnik sein“. In den Hauptverteilerstationen verwendet DONETZ das Kommunikationsprotokoll IEC 60870-5- 104 als Standard. „Im Zuge der Neugestaltung des Warnmeldesystems haben wir viele weitere Themen überdacht“, fährt Marc Buchholz fort. „Beispielsweise soll die Zeitsynchronisation der Schutzgeräte über das Warnmeldesystem erfolgen, was den zusätzlichen Aufwand der Konfiguration des Stationsbusses einspart“. Außerdem waren dem Dortmunder Projektteam die Protokollierung aller Ereignisse sowie die Fernauslesung des Protokolls als neue Funktionen wichtig. „Auf diese Weise sind wir bei einer Störung zukünftig in der Lage, den genauen Ablauf von aufeinander folgenden Ereignissen zu analysieren“, so Marc Buchholz weiter. „Das steigert sowohl die Effizienz im Betrieb als auch in der Instandhaltung“ (Bild-3). Schnelle Umsetzung kleiner Optimierungen Nachdem Phoenix Contact das von DONETZ erstellte Lastenheft umgesetzt hatte, begann im Herbst 2015 die intensive Testphase der neuen Warnmeldelösung. „In dieser Zeit haben wir das System umfassend geprüft und kleinere Optimierungspotentiale festgestellt, die von Phoenix Contact aufgenommen und in kurzer Zeit realisiert worden sind“, berichtet Klaus Bölkow. Weil in die Lösung zahlreiche neue Funktionen - wie die Sperrung und Simulation von Meldungen - integriert wurden, mussten die DONETZ-Mitarbeiter die Handhabbarkeit und den Nutzen der Funktionen für ihre Tätigkeiten bewerten. Das Warnmeldesystem wurde dann im November 2015 in Husen in die neu errichtete Hauptverteilerstation eingebaut und ging im Dezember 2015 in Betrieb. „Wir haben die Zusammenarbeit mit den Energie-Spezialisten von Phoenix Contact als partnerschaftlich, vertrauensvoll und im Ergebnis erfolgreich erlebt“, sind sich die drei DONETZ- Projektmitglieder einig. „Unsere Anforderungen wurden aufgenommen und zur Zufriedenheit umgesetzt. Nun können wir noch schneller auf Störungen reagieren und die Netzverfügbarkeit weiter erhöhen“. Bild 3: Auf dem in der Schaltschranktür installierten Anzeige- und Bediengerät können sich die Mitarbeiter alle Warnmeldungen übersichtlich darstellen lassen. © Phoenix Contact Bild 4: Das I/ O-System Axioline F zeichnet sich unter anderem durch hohe Robustheit und Störfestigkeit sowie eine schnelle Signalerfassung aus. © Phoenix Contact Thanh-An Pham Industriemanagement Energie Phoenix Contact Deutschland GmbH info@phoenixcontact.de www.phoenixcontact.de AUTOR 36 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Sprechen wir von Transforming Cities, Smart Cities oder Intelligent Cities, so sprechen wir von Stadträumen, ohne dabei Räume in unseren Ausführungen explizit relevant zu machen. Lassen Sie uns daher den Beitrag mit einer kurzen raumsoziologisch, theoretischen Einleitung beginnen. Intelligente Räume im ÖPNV Nahtlose Mobilität durch Verknüpfung physischer und digitaler Elemente Soziale Räume, digitale Vernetzung, Smart Ticketing Levent Toprak, Christian Scherf Raumsoziologisch betrachtet sind Räume nichts Gegebenes, sondern sie werden erst durch soziale Prozesse konstituiert. In Bezug auf digitale Räume, die uns alltäglich auf mobilen Endgeräten als Abbildungen, Referenzräume oder erweiterte Räume begegnen, ist dies nicht anders: Erst durch die Vernetzung und Interaktion von Objekten und Lebewesen sowie die Erstellung und Nutzung von Zwischendimensionen in Form von digitalen Schnittstellen entstehen intelligente Räume. Der Beitrag skizziert dies am Beispiel zweier Ticketing-Systeme im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Raumgestaltung durch mehrdimensionale Verknüpfung Nach der Raumsoziologie ist der Raum keine gesetzte physikalische Größe 1 . Raum ist kein Gebilde, kein Container oder Behälter, den man meint, füllen oder „smartifizieren“ zu können. Räume werden in sozialen Prakti- 1 Vgl. hier und im Folgenden Löw 2001. ken der alltäglichen Interaktion zwischen Elementen und Lebewesen sowie als allgemeine Synthese- und Verknüpfungsleistung wahrgenommener Objekte erst konstituiert. So sind es nicht die physischen Räume, die verändert oder transformiert werden, sondern die Wahrnehmung der Akteure, ihre Praktiken und daraus abgeleiteten Handlungen definie- Berliner Hauptbahnhof. © pixabay 37 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität ändern, besteht darin, in der „digitalen Sprache“ zu Der öffentliche, urbane Verkehr der Zukunft lässt sich als kurze Geschichte erzählen. Die Begebenheit ist nicht real - noch nicht. Stefanie Bender lebt mit ihren beiden Kindern in der früheren Bundeshauptstadt Bonn 2 . Sie ist Anfang 50 und Geschäftsführerin eines kleinen Beratungsunternehmens. Wie viele Stadtbewohnerinnen dieser Zeit, besitzt Frau Bender kein privates Auto mehr, sondern hat sich bei einem der Mobilitätsprovider angemeldet. Der Provider, nennen wir ihn „MobyCol“, organisiert die Abrechnung mit allen genutzten Mobilitätsdienstleistern. Örtliche Busse und Bahnen zählen ebenso dazu, wie Car- und Bikesharing, moderne Mitfahrplattformen oder das klassische Taxi. Der Zugang erfolgt über die Smartphone-App von „MobyCol“. Frau Bender erinnert sich manchmal an die Anfänge der Mobiltelefonie in den 90er Jahren. Damals musste sie ja auch nicht mit jedem Netzbetreiber einen separaten Vertrag eingehen. Seltsamerweise war dies im öffentlichen Nahverkehr lange Zeit anders: Fast jede Metropolregion hatte ihren eigenen Verkehrsverbund mit eigenen Ticketautomaten, ring- oder wabenförmigen Tarifzonen sowie gesonderte Beförderungsbedingungen und Betriebszeiten. Kaum vorstellbar, denkt Frau Bender, als sie von Bonn zu einem Kurzurlaub nach Stuttgart startet: Reisende mussten sich in jeder Stadt neu orientieren. Sie kauften Fahrkarten aus Papier, mussten passendes Bargeld haben und kleine rote Stempelgeräte suchen. Heute steht ihr Provider ständig in Kontakt mit den Verkehrsanbietern, auch wenn der ÖPNV-Kilometer außerhalb 2 Leserinnen und Leser des Buches „Schlaue Netze“ von Weert Canzler und Andreas Knie kennen Frau Bender aus den „Szenarien des Gelingens“ (oekom Verlag, München 2013, S. 103 ff.). ren das Umfeld. Räume werden jedoch nicht per se, also ohne jeglichen äußeren Einfluss konstituiert. Sehr wohl spielen soziale, ökonomische, politische und natürliche Strukturen, physische Elemente sowie gesellschaftlich produzierte Gebilde - zum Beispiel Konzepte des Hoheitsgebietes oder Geschäftsgebietes - eine große Rolle. Der Stadtraum ist also ein Ergebnis sozialer Prozesse und Arrangements sowie physischer, natürlicher, wirtschaftlicher und politischer Strukturen. Damit die Transformation von Städten hin zu intelligenten Räumen gelingt, muss zunächst verstanden werden, dass physische Elemente und Lebewesen per se miteinander vernetzt sind. Hinsichtlich der Digitalisierung von Räumen reicht eine informationsseitige Vernetzung, also das Erzeugen von digitalen Abbildungen physischer Infrastrukturen, bei weitem nicht aus. Es bedarf einer mehrdimensionalen Verknüpfung der neu hinzugefügten digitalen Elemente, der physischen und sozialen Welt. Dann ist eine Unterscheidung zwischen physischem, sozialem und digitalem Raum auch nicht mehr zwangsläufig notwendig. Der digitale Raum ist auch ein sozialer Raum, der ebenso durch rekursive soziale Prozesse konstituiert wird und in sich weitere Interaktionen und Handlungen beeinflusst. Die angestrebte digitale Transformation im Verkehr setzt letztlich neben digitalen Informationen und Abbildungen von Infrastrukturen die Verknüpfung verschiedenster Verkehrssysteme voraus. Hierzu gehört auch die Integration der Tarif- und Abrechnungssysteme von Verkehrsanbietern, die bisher in der Logik ihrer eigenen Systeme denken. Die aktuelle Situation im ÖPNV steht einer solchen mehrdimensionalen Verknüpfung entgegen. Fast jeder ÖPNV- Anbieter hat sein eigenes System: Die Nutzer müssen sich überall neu orientieren. Eine zentrale Voraussetzung, dies zu DIE NAHTLOSE MOBILITÄT DER ZUKUNFT ihrer „Homezone“ des Mittelrheins etwas teurer ist. Diesen Aufpreis zahlt Frau Bender gern, schließlich braucht sie sich auch am Zielort um nichts mehr zu kümmern: Ihre „MobyCol- App“ ist längst geöffnet und der Fernmodus „Your Tour“ aktiviert. Die App erkennt via Geokoordinaten, Beschleunigung und Umgebungssensoren das jeweilige Verkehrsmittel und den Anbieter. Seitdem der Standort des Fahrgastes metergenau ermittelt und sekündlich abgeglichen wird, sind auch die Check-Points überflüssig, vor die früher das Smartphone beim Ein- und Ausstieg zu halten war. Nach ihrem Eintreffen am neueröffneten Stuttgarter Hauptbahnhof, steigt Frau Bender einfach vom ICE in die nächste Straßenbahn. Ticketautomaten und Stempelgeräte sieht sie nirgends mehr. Die alte Angst, damit zu viele Menschen von der Nutzung des ÖPNVs auszuschließen, erwies sich als unbegründet. Selbst Benders hochbetagte Mutter, die lange den Schritt scheute, besitzt mittlerweile eines der neuen Armbandgeräte für ältere Menschen, die sich automatisch in den Seniorentarif des örtlichen Verkehrsbetreibers einwählen. In Stuttgart funktionieren die neuen Systeme besonders gut. Schließlich hat die Stadt seit der teuren EU-Klage wegen Überschreitung der Feinstaubobergrenze erheblich in die digitale Infrastruktur des ÖPNVs investiert, um den PKW-Verkehr zu reduzieren. Fehlbuchungen oder Falscherkennungen gibt es kaum noch und falls doch, werden sie meistens durch die automatische Plausibilitätsprüfung zugunsten der Kundinnen und Kunden rausgerechnet. Im ÖPNV zahlt binnen 24 Stunden niemand mehr, als den Preis einer Tageskarte. Eine Bildschirmberührung zeigt die Übersicht aller genutzten Verkehrsmittel samt Anbieter, zurückgelegter Strecken mit Kosten pro Kilometer und gegebenenfalls Aufpreise.  38 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Physischer Raum Digitaler Raum Luftlinientarif Ticket Easy € € € sprechen, um die Nutzerfreundlichkeit der angebotenen Dienste deutlich zu erhöhen 3 . Komplizierte Ticketing- und Abrechnungssysteme gehören im Zeitalter der Digitalisierung in den Hintergrund, fließendes „Nutzen ohne Nachzudenken“ dagegen in den Vordergrund. Wir erleben den Verkehrsraum im ÖPNV derzeit noch als begrenzten Raum. Diese Grenzen sind nicht nur physischer, sondern vor allem politischer Art. Eine nahtlose Mobilität und intelligente Räume werden die Attraktivität und Nutzung des öffentlichen Verkehrs stark erhöhen. Dies setzt die Aufhebung von Grenzen voraus. Erst durch reibungslose und einfache Übergange zwischen Verkehrsmitteln können wir von einer gelungenen Transformation in der digitalen Mobilität sprechen. Hindernisse der Gegenwart Eine „ticketfreie“ Urlaubsreise im ÖPNV zweier Städte verschiedener Regionen: Das ist heute kaum möglich. Warum eigentlich? Zwar bestehen seit etwa 50 Jahren Verkehrsverbünde, die einheitliche Tarife und Tickets auf nunmehr rund 70- % des deutschen Bundesgebietes sicherstellen, aber die aktuell 58 Verbünde haben ihrerseits unterschiedliche Regeln und Systeme 3 Zur Bedeutung digitaler Medien für die Mobilität der Zukunft siehe Canzler/ Knie 2016. entwickelt 4 . Die beispielweise vor über zehn Jahren gestartete Initiative „Handyticket Deutschland“ des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen, vermochte es bislang nicht, eine deutschlandweit nahtlose Mobilität auf einem einheitlichen Medium zu gewährleisten. Das „Handyticket Deutschland“ wurde 2015 nur auf knapp einem Viertel der Bundesfläche angeboten 5 . So besteht weiterhin ein komplexes Geflecht von Nahverkehrsregionen, die Reisende in jeder Großstadt vor neue Herausforderungen stellen, denn eine Weiterfahrt im ÖPNV verlangt die Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten. Immerhin ist es der Deutschen Bahn gelungen, wenigstens auf Fernverkehrsfahrten per BahnCard die Mitbenutzung des ÖPNVs ohne Zusatzticket zu ermöglichen (City-Ticket). Jedoch gilt das City- Ticket nur für eine Fahrtrichtung und begrenzte Stadtbereiche in aktuell 124 Städten 6 . Es existiert schlichtweg kein digitales System, mit dem sich alle Fahrgastbewegungen einheitlich erfassen, zuordnen und abrechnen lassen. Selbst innerhalb der Verbünde sind komplizierte Verfahren der Einnahmeaufteilung unter den Verkehrsbetreibern 4 Zahlen nach Dümmler 2015, S. 4. 5 Angabe nach Scherf/ Nordhoff 2016, S. 65. 6 Eine Übersicht der Städte mit City-Ticket hat die DB hier zusammengestellt: https: / / www.bahn.de/ p/ view/ bahncard/ vorteile/ cityticket.shtml notwendig. Erste Versuche zur Digitalisierung des Vertriebs sind zwar gestartet, allerdings unterliegen alle ÖPNV-Betriebe den Aufgaben der Daseinsvorsorge, das heißt, dass sie nach den gesetzlichen Regeln der Personenbeförderung agieren müssen. Hierzu zählen unter anderem die Beförderungs- und Tarifpflicht, nach denen der ÖPNV grundsätzlich allen Menschen offenstehen muss und für alle Tarifänderungen Genehmigungen einzuholen sind. Des Weiteren sind erhöhte Anforderungen an die Barrierefreiheit zu erfüllen: So soll auch Personen ohne Smartphone und Onlineanmeldung die Nutzung des ÖPNV immer möglich bleiben. Dies hat zur Folge, dass ältere Vertriebswege und Verfahren mit Papierfahrscheinen fortgeführt werden und kompatibel bleiben müssen. Im Unterschied dazu setzten etwa führende Carsharing-Anbieter ganz auf das Smartphone und schaffen ältere Zugangsmedien, zum Beispiel Chipkarten, bereits wieder ab. Wege in die Zukunft Trotz der erschwerenden Rahmenbedingungen unternehmen einzelne Verbünde Anstrengungen, wenigstens die regionalen Vertriebs- und Zugangssysteme an die digitalen Medien anzupassen. Hierzu zählt etwa der Verkehrsverbund Rhein-Neckar (VRN). Laut eigenem Bekunden möchte sich dieser Verbund zu einem „Mobilitätsverbund“ weiterentwickeln, indem die Entwicklung zusätzlicher Angebote und Dienste aufgegriffen wird 7 . Zu den Maßnahmen gehört auch die Nutzung des ÖPNVs via Smart- 7 Vgl. VRN (Hrsg.): Vom Verkehrsverbund zum Mobilitätsverbund - VRN wird multimodal. Pressemitteilung vom 27. Juni 2013, Verkehrsverbund Rhein-Neckar, online unter: http: / / www.vrn.de/ vrn/ aktuelles/ presse/ meldungen/ 010042/ index. html, Zugriff am 10. März 2014. Bild 1: Verknüpfung zwischen physischem und digitalem Raum am Beispiel eines Umstiegs im ÖPNV. © InnoZ GmbH 39 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität phone, wie sie seit wenigen Jahren in Heidelberg erprobt wird. Die Berechnung des Fahrpreises basiert hierbei auf dem Ein- und Auschecken an der Ziel- und Endhaltestelle pro Fahrt (Check-In/ Check-Out). Der Preis besteht aus einem Grundbetrag und einem Kilometerpreis der Luftlinie zwischen den beiden Haltestellen (Bild 1, links). Es wird daher nicht die exakte, zurückgelegte Fahrstrecke erfasst, sondern die Entfernung zwischen den Koordinaten der Zu- und Ausstiegsstellen. Etwaige Fehlerkennungen - etwa bei nebeneinanderliegenden Haltestellen verschiedener Linien - muss der ÖPNV-Nutzer selbstständig auf seinem Smartphone korrigieren. Dazu braucht er spezifische Kenntnisse über Haltestellen, Liniennummern etc., um falsche Zuordnungen im System zu erkennen. Das Missbrauchspotenzial wird im Vergleich zu der Quote von „Schwarzfahrern“ bei herkömmlichen Tarifsystemen dennoch als geringer eingeschätzt 8 . Da die Deutsche Bahn das System „Touch & Travel“, auf dem der Luftlinientarif basiert, zum Jahresende 2016 einstellte, war der VRN gezwungen, das System in Eigenregie fortzusetzen. Zwar konnte der Luftlinientarif damit aufrechterhalten werden, doch steigern verbundeigene Systeme potenziell die Gefahr von Friktionen und Inkompatibilität. Eine vollständige Automatisierung besteht zudem nicht. Dennoch findet das Prinzip erste Nachahmer: Ein ähnliches System wie im VRN wird seit Kurzem vom benachbarten Verkehrsverbund KVV in Karlsruhe getestet 9 . 8 Vgl. Schmidt/ Schweizer 2016, S. 25f. 9 Vgl. K V V (Hrsg.): K V V führt in Karlsruhe Luftlinientarif ein. Pressemeldung vom 8. Juni 2017, Karlsruher verkehrsverbund, online unter: https: / / www.kvv.de/ aktuell/ pressemitteilungen/ meldungen/ article/ kvv-fuehrt-luftlinientarif-ein.html, Zugriff am 13. Juli 2017. Bedeutend weiter geht der Ansatz des Berliner Start-ups „Motion Tag“. Hier werden nicht nur die Start- und Endpunkte von ÖPNV-Fahrten erfasst, sondern die genaue Fahrtstrecke „von Tür zu Tür“ (Bild 1, rechts). Die verwendeten Verkehrsmittel werden aufgrund von Geokoordinaten und Beschleunigungsdaten automatisch erkannt. Mit der Pilotanwendung „Ticket Easy“ würde im Falle der Realisierung ein durchgehend digitales und automatisiertes Ticketing entstehen, das für jedes genutzte Verkehrsmittel - Bus, Bahn, Leihrad, Taxi oder Carsharing-Auto - die exakt zurückgelegte Strecke abrechnet (pay-as-you-go) 10 . Jeder Nutzer könnte sich anhand der zurückgelegten Kilometer bzw. benötigten Fahrzeiten leicht eine Übersicht über die Kosten verschaffen. Insgesamt fällt auf, dass die geschilderten Ansätze und Ideen umso genauer und automatisierter sind, je enger die Verknüpfung zwischen dem physischen Stadtraum und dem digital abgebildeten Raum ausfällt. Bei dem Luftlinientarif besteht die Verknüpfung nur an zwei Punkten pro Fahrt. Die Nutzer müssen bei naheliegenden Haltestellen eventuell noch manuell nachhelfen, um die Verknüpfung zwischen physischem und digitalem Raum zu einem sozialen Raum adäquat herzustellen. Bei „Ticket Easy“ findet hingegen ein nahezu permanenter Abgleich zwischen physischem und digitalem Raum ohne Zutun der Nutzer statt, indem im Zeitabstand von wenigen Sekunden ständig Bewegungsdaten zur Fahrzeug-Erkennung mitgeteilt werden. 10 Vgl. Alina Günder: MotionTag erfindet Stadtmobilität neu, in: Home & Smart, online unter: https: / / www.homeandsmart.de/ modalyzer-app-verandert-stadtmobilitaet, Zugriff am 23. Juli 2017. LITERATUR: [1] Canzler, W., Knie, A.: Schlaue Netze - Wie die Energie- und Verkehrswende gelingt. München: oekom, 2013. [2] Canzler, W., Knie, A.: Die digitale Mobilitätsrevolution - Vom Ende des Verkehrs, wie wir ihn kannten. München: oekom, 2016. [3] Dümmler, O.: Erfassung und Bewertung der Arbeit von Verkehrsverbünden. Dissertation, Technische Universität Kaiserslautern, 2015. Online unter: http: / / nbn-resolving.de/ urn/ resolver.pl? urn: nbn: de: hbz: 386kluedo-40694, Zugriff am 24. Juli 2017. [4] Löw, M.: Raumsoziologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 2001. [5] Scherf, C., Nordhoff, S.: InnoZ Mobilitätsmonitor - Mobilitätsumfeld Digitalisierung, in: Internationales Verkehrswesen, Jg. 68, Ausg. 2, 2016, S. 63-67. [6] Schmidt, R., Schweizer, T.: Der neue Luftlinien-Tarif in Heidelberg, in: Der Nahverkehr. Jg. 34, Ausg. 1/ 2 (2016), S. 22-27. M. A., Soz. tech. Levent Toprak Programmleitung Intelligent City Programm Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) GmbH, Berlin Kontakt: levent.toprak@innoz.de Dipl.-Soz. tech. Christian Scherf Solution Transfer und Schriftleitung Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) GmbH, Berlin Kontakt: christian.scherf@innoz.de AUTOREN 40 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Mehr als 1,3 Mrd. Fahrgäste im Jahr, 402 km Streckenlänge und 270 Stationen: Das sind die Statistiken allein für die Londoner U-Bahn. Zusätzlich verwaltet die ÖPNV-Dachgesellschaft Transport for London sämtliche Eisenbahnverbindungen in der britischen Hauptstadt sowie den Bus-, Passagierschifffahrts- und Güterverkehr, die legendären schwarzen Taxis, den Unterhalt der wichtigsten Hauptstraßen und ist darüber hinaus zuständig für die Förderung des Fahrrad- und Fußgängerverkehrs. Täglich gilt es rund 30 Mio. Fahrten reibungslos durchzuführen. Informationen dazu sowie zu allen anderen Themen des Londoner Nahverkehrs finden die Kunden von TfL auf der Website der Verkehrsgesellschaft. An durchschnittlichen Tagen fallen dabei rund 700 000 Visits mit mehr als drei Mio. Page Views an. Kommt es jedoch zu einer besonderen Verkehrslage - beispielsweise durch starken Schneefall - oder streikt das Personal, steigen die Seitenzugriffe schnell um das Zwanzigfache. Mit Daten zu perfektem Kundenservice Doch nicht nur solche unvorhersehbaren Lastspitzen stellten sich für die IT-Abteilung als problematisch heraus. Auch die zunehmende Nutzung mobiler Endgeräte durch die Fahrgäste seit den Zehner-Jahren erforderte dynamischere Inhalte mit personalisierten und standortbasierten Informationen sowie Zusatzangeboten wie beispielsweise aktuelle Nachrichten und Status- Updates zu den Verkehrsmitteln. Dabei bringt die wachsende Nutzung des Online-Angebots über Smartphones, Tablets und ähnliche Geräte eine weitere Herausforderung mit sich. Denn eine nicht unerhebliche Zahl von Entwicklern greift mittlerweile auf die Daten von TfL zu, um Apps und andere Dienstleistungen für die Mobilität in London bereitzustellen. Natürlich möchte die Verkehrsgesellschaft dieser Community möglichst reibungslos entsprechend umfangreiche Echtzeitinformationen zur Verfügung stellen, damit Fahrgäste den bestmöglichen Service auch abseits der Schienen und Straßen bekommen. Darüber hinaus wollen auch immer wieder Forschungseinrichtungen auf den Datenbestand von TfL zugreifen. Entsprechende Informationen konnten jedoch bislang nur auf Anfrage und sehr eingeschränkt bereitgestellt werden. Mit Volldampf in die Wolke Um diese Herausforderungen zu meistern, entschied sich das Digital-Team von TfL Mitte 2012 dazu, seine IT-Infrastruktur in die Cloud von Amazon Web Services zu migrieren. Dabei sprachen vor allem die hohe Flexibilität, die transparente Kostenstruktur sowie die Skalierbarkeit für AWS. Diese Vorteile haben seit Einführung der Cloud-Dienste auch Londoner Personennahverkehr fährt mit Cloud von AWS Transport for London nutzt Amazon Web Services für ÖPNV der Extraklasse Giulio Soro Die Website des Verkehrsverbunds Transport for London (TfL) ist die Hauptanlaufstelle für alle, die den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in der britischen Hauptstadt nutzen. Informationen zur Oyster Card, Reiseplanung oder Netzpläne: Touristen, Pendler und Londoner machen sich hier schlau über die „Tube“, London Overground und die berühmten roten Doppeldeckerbusse. Möglich wird dieser umfangreiche Online-Service seit 2012 durch die Cloud- Dienste von Amazon Web Services. © AWS 41 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Schliffkopfstraße 22 | D-72270 Baiersbronn Tel.: +49 7449 91386.36 | Fax: +49 7449 91386.37 office@trialog.de | www.trialog-publishers.de dazu geführt, dass bereits weitere Abteilungen von TfL Interesse an einer entsprechenden Migration geäußert haben. Dank seiner Cloud-Infrastruktur konnte AWS der Verkehrsgesellschaft ebenfalls dabei helfen, ihren Datenschatz zu heben und Entwicklern, Kunden und Forschungseinrichtungen zur Verfügung zu stellen. So kann mittlerweile tatsächlich der gesamte Datenbestand, also beispielsweise Informationen über den Verkehrsfluss, technische Störungen, Streiks, anonymisierte Informationen zu Ticketverkäufen oder ähnliches, inklusive umfangreicher Echtzeitinformationen schnell und unkompliziert bereitgestellt werden. Rund 8 200 Entwickler greifen aktuell für knapp 500 Smartphone-Apps auf die Daten zu - damit die Fahrgäste von TfL und die zahlreichen Touristen, aber auch Londoner selbst, stets ein Maximum an Information zur Hand haben. So nutzen bereits 42- % aller Londoner Apps, die auf Daten von TfL zurückgreifen. Für die Zukunft sind allerdings auf Grundlage dieser Datenbestände auch umfassende Smart-City-Konzepte möglich, wenn damit beispielsweise dynamisch auf ein erhöhtes Fahrgastaufkommen reagiert werden kann oder Ampelschaltungen aufgrund der Verkehrslage vollautomatisch angepasst werden. Bei TfL werden zahlreiche AWS- Dienste eingesetzt. Auf einer AWS EC2-Umgebung laufen unter anderem MongoDB Datenbanken, SQL-Server sowie selbstverwaltete Oracle-Instanzen. Die IT-Abteilung verlässt sich aber auch auf Amazon S3, Amazon Route53, Amazon SQS, Amazon RDS, Amazon SNS sowie Amazon Glacier - und die genutzten Services werden immer zahlreicher. So betreibt TfL heute rund 50 Node-Instanzen. Zum Start reichten noch zwölf Instanzen aus. Darüber hinaus setzt die Gesellschaft 20 Entwicklungsumgebungen ein und zusätzlich zwei weitere für die Website und eine für die Reiseplanung. Diese Umgebungen werden von zwei internen DevOps-Teams betreut. Des Weiteren ermöglicht ein externer Managed-Service-Anbieter Support zu jeder Tages- und Nachtzeit. Eine Cloud für die Zukunft Neben der zahlreichen Vorteile im Bereich der Datennutzung und -verwertung überzeugte die AWS-Infrastruktur noch in einem anderen Bereich: Dank der stundengenauen Abrechnung und der automatischen Skalierung konnte TfL die Betriebskosten deutlich senken. Nicht zuletzt deswegen, weil die IT-Abteilung keine Überkapazität mehr bereithalten muss, um mögliche Lastspitzen kompensieren zu können. Insgesamt steht TfL jedoch noch am Anfang der Migration in die Cloud. Der Leiter des TfL-Digital- Teams, Phil Young, vergleicht den Prozess mit dem Wenden eines Supertankers. Nichtsdestotrotz gibt es bereits große Pläne für die nahe und mittlere Zukunft. So wollen die Verantwortlichen zum Beispiel die Daten der Signalsysteme noch besser nutzen, um präzisere Aussagen zur Verkehrssituation in London machen zu können. Außerdem sollen anonymisierte Daten aus dem Ticketverkauf dabei helfen, die Customer Experience fortlaufend zu verbessern. Doch bereits heute lässt sich, unabhängig von allen Plänen, mit Sicherheit sagen, dass dank des Umzugs in die Cloud die TfL optimal für die Zukunft gerüstet ist. Giulio Soro Head of Solutions Architecture Emerging Markets/ RoEMEA Public Sector Amazon Web Services Kontakt: gsoro@amazon.com AUTOR Unsere neuen Kontaktdaten Verlag und Redaktion sind umgezogen Redaktionsleitung: Leserservice/ Vertrieb: Anzeigenservice: Dispo/ Onlinetechnik: Tel.: +49 7449 91386.43 christine.ziegler@transforming-cities.de Tel.: +49 7449 91386.39 service@trialog.de Tel.: +49 7449 91386.46 anzeigen@trialog.de Tel.: +49 7449 91386.47 dispo@trialog.de 42 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Kommunikation Einführung Die Abwasserwirtschaft zählt zu den Kritischen Infrastrukturen in Deutschland. Emschergenossenschaft und Lippeverband (EGLV) bewirtschaften in NRW die Flusseinzugsgebiete der Emscher und der Lippe mit einer Einzugsgebietsfläche von rund 4100 km² als sondergesetzliche Wasserverbände. Sie reinigen das Abwasser von 7,3 Mio. Einwohnergleichwerten mit insgesamt 59 Kläranlagen mit Größenordnungen ab 2000 EW bis hin zu 2,4 Mio. Einwohnergleichwerten. Zudem betreiben EGLV mit ihren rund 1600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern 352 Pumpwerke sowie rund 1300 km Abwasserkanäle sowie 438 Regenwasserbehandlungsanlagen und 57 Hochwasserrückhaltebecken. Viele der Kläranlagen und Pumpwerke sind im Zeitraum zwischen 1980 und 1995 zuletzt modernisiert oder ertüchtigt worden und stehen in der nahen Zukunft zur Re- Investition an. Für Emschergenossenschaft und Lippeverband gelten zudem die Bestimmungen des im vorletzten Jahr in Kraft getretenen IT-Sicherheitsgesetzes Wasserwirtschaft 4.0 Neue Technologien für das Wassermanagement der Zukunft Wasserwirtschaft 4.0, Digitalisierung, IT-Infrastruktur, Re-Investitionen, Datensicherheit Emanuel Grün, Heiko Althoff Emschergenossenschaft und Lippeverband (EGLV) reinigen das Abwasser von rund 7,3 Mio. Einwohnergleichwerten. Viele der Kläranlagen und Pumpwerke wurden zwischen 1980 und 1995 zuletzt modernisiert oder ertüchtigt. Bei den schon bald notwendigen Re-Investitionen müssen auch neue Bestimmungen und Rechtsverordnungen zu Kritischen Infrastrukturen und Mindestanforderungen an IT-Sicherheitsstandards eingehalten werden. Im Rahmen der anstehenden Maßnahmen sollen vielversprechende Optionen zur Digitalisierung in der Wasserwirtschaft in Betracht gezogen werden. Bild 1: „Kläranlage Bottrop bei Nacht © EGLV/ Sven Breszyk “ THEMA Urbane Kommunikation THEMA Urbane Kommunikation 43 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES und der damit einhergehenden Rechtsverordnung zur Definition Kritischer Infrastrukturen. Die neuen vom Gesetzgeber im BSI-Gesetz (BSIG) definierten Anforderungen an die Betreiber Kritischer Infrastrukturen stellt Unternehmen, welche die in der BSI-Kritisverordnung (BSI-KritisV) definierten Schwellenwerte erreichen oder überschreiten, vor die Herausforderung, bis zum 2. Mai 2018 geeignete Schutzmaßnahmen nach dem Stand der Technik für die IT-Infrastrukturen zu implementieren. Betroffene Abwasserentsorger müssen zudem innerhalb von zwei Jahren angemessene organisatorische und technische Vorkehrungen zur Vermeidung von Störungen ihrer informationstechnischen Systeme treffen. Dies betrifft insbesondere die Verfügbarkeit, Integrität, Authentizität und Vertraulichkeit der Systeme und Daten. Für die Abwasser/ Wasser-Branche gibt es aktuell den ersten branchenspezifischen Sicherheitsstandard, der unter anderem die regulatorischen Mindestinhalte eines IT-Sicherheitsstandards definiert [1]. Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, sich im Vorfeld anstehender Re-Investitionen mit den Möglichkeiten und Chancen zu beschäftigen, die sich im Zuge der sich weiterentwickelnden Techniken bieten. Die Trends Industrie 4.0, das Internet der Dinge sowie die Virtualisierung in der IT eröffnen für die Zukunft vielversprechende Optionen, um die Arbeitswelt und die Prozesse auch in der Wasserwirtschaft weiter zu verbessern. Hinzu kommt, dass auch auf den wasserwirtschaftlichen Anlagen mobile Endgeräte weiter Einzug halten, um den Arbeitsalltag zu erleichtern und praktikabler zu gestalten. Mit der angekündigten neuen Generation des Mobilfunks (5G) werden deutlich gesteigerte Bandbreiten und Latenzzeiten kleiner 1-ms - auch im ländlichen Raum - erwartet. Miteinher gehen dabei deutlich geringere Energieverbräuche für die Mobilgeräte mit dem selbst batteriebetriebene Endgeräte bis zu 5 Jahren online sein können [2]. Die Technik ist bereits in der Erprobung und wird voraussichtlich ab 2020 in Deutschland zur Verfügung stehen. In der Übergangszeit bis 2020 steht seit Juni 2017 das Narrowband IoT (Internet of Things - Internet der Dinge) in Deutschland zur Verfügung. Auch diese Funktechnologie verlängert die Batterielebensdauer von zum Beispiel Sensoren um Jahre und schafft es gleichzeitig, Daten auch durch dicke Wände und über weite Strecken zu versenden - allerdings mit der Einschränkung von zunächst nur niedrigen Bandbreiten für kleine Datenmengen [3]. Es ist davon auszugehen, dass in absehbarer Zeit nahezu alle in der Wasserwirtschaft eingesetzten Anlagenbauteile, Sensoren, Aktoren und Messgeräte IP „sprechen“ werden, d.h. sie können über eine standardisierte Infrastruktur entweder kabelgebunden oder per Mobilfunk jeweils direkt angesprochen werden bzw. Daten gezielt versenden. Damit wird dann durch die vollständige Vernetzung die weitergehende Nutzung der Daten zur gemeinsamen Analyse in einem System möglich. BigData erreicht die Wasserwirtschaft. Perspektiven der Wasserwirtschaft Die „Wasserwirtschaft 4.0“ wird von vielen Experten der Branche zeitnah erwartet [4]. Die Möglichkeiten, die sich zukünftig bieten werden, können zum heutigen Zeitpunkt wenn überhaupt nur erahnt werden. Denkbar sind beispielsweise bessere Starkregenvorhersagen in Ballungszentren durch die Nutzung von bestehenden Regensensoren der Automobile, die sich auf den Straßen bewegen oder die weitergehende Regenwasserbehandlung durch intelligente Netzsteuerungsmechanismen, die in Echtzeit das Einzugsgebiet vollständig erfassen und regeln. Für die Gewässer sind Apps denkbar, die den Bürgern jederzeit Auskunft über die aktuelle Wasserqualität „ihres“ Flusses geben. Sicher ist jedoch, dass neben der Steigerung der ökonomischen Effizienz vor allem neue Möglichkeiten für den Umwelt- und Ressourcenschutz sowie den Arbeitsschutz erwartet werden können. Konsequenterweise ist die IT dabei der maßgebliche Treiber. Für Emschergenossenschaft und Lippeverband bedeutet das die Chance, mit neuen Techniken weitere Potentiale zu nutzen, und sie beschäftigen sich intensiv mit der „Wasserwirtschaft 4.0“. Neben der Netzwerkinfrastruktur spielen dabei insbesondere zentrale Virtualisierungstechniken etwa für Prozessleitsysteme zur Anlagensteuerung und damit einhergehende wirtschaftliche Vorteile (unter anderem: zentrales Engineering, Standardisierung, Unabhängigkeit von Anlageerrichtern) eine wichtige Rolle. Vorgehensweise bei Emschergenossenschaft und Lippeverband Klassische, in der Wasserwirtschaft etablierte Vorgehensweisen zur Projektbearbeitung benötigen Zeit. So sind Planungsdauern für Vorhaben von ein bis drei Jahren nicht unüblich. Diese Zeitdauern erscheinen für die neuen Techniken zu langsam. Das mit Wasserwirtschaft 4.0 einhergehende Innovationstempo der IT-Branche erfordert hier ein Umdenken bzw. eine andere Vorgehensweise, um zeitnah auch verwertbare Ergebnisse zu erzielen, die dann weiter verbessert werden können und Grundlage für zukünftige Entwicklungen und Standards darstellen. 44 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Kommunikation Die weltweite Entwicklung der neuen Techniken ist idealerweise so sorgfältig wie nötig zu betrachten und zu bewerten. Denn es gilt, nur erfolgversprechende Techniken weiter zu verfolgen. Emschergenossenschaft und Lippeverband haben hierzu das „Core-Team“, eine Arbeitsgruppe, gegründet, das aus sechs ausgewählten Mitarbeiten unterschiedlicher Fachdisziplinen besteht. Das Core-Team setzt sich fachlich frei und unabhängig mit der neuen Welt auseinander. Zentrale Voraussetzung für die Wasserwirtschaft 4.0 ist das Vorhandensein eines sicheren, verlässlichen und zukunftsoffenen IT-Netzwerks, auf das die Wasserwirtschaft 4.0-Technologien aufsetzen kann. Das Core-Team hat das neue und sichere Infrastruktur-Netzwerk für die IT von EGLV entworfen, aufgebaut, getestet und etabliert. Weitere Ziele sind die weitergehende Nutzung der Virtualisierungs-Techniken zur Vereinfachung der Anlagenbedienung, die Sicherstellung der Kompatibilität mit dem IT-Sicherheitsgesetz, die Untersuchung der Chancen der BigData-Techniken und die Untersuchung der insgesamt mit den neuen Techniken einhergehenden Möglichkeiten der weitergehenden Automatisierung der Prozesse der Wasserwirtschaft im Sinne der Anlagensicherheit. Dazu startet das Core-Team beispielsweise auch Pilotprojekte, die, unterstützt von einzelnen Fachabteilungen, dazu dienen, die Praktikabilität neuer Techniken direkt zu testen und entsprechende Erfahrungen kurzfristig zu sammeln. Das Core-Team hält insgesamt den Überblick über die verfügbaren und bei Emschergenossenschaft und Lippeverband tatsächlich eingesetzten Techniken. Die nachstehend dargestellten Ergebnisse der Pilotvorhaben belegen die Wirksamkeit der gewählten agilen Vorgehensweise. Proof of Concept-Methodik und Pilotvorhaben Pilotvorhaben für die Wasserwirtschaft 4.0 werden bei Emschergenossenschaft und Lippeverband als „Proof of Concept“ behandelt. Für das Projektmanagement bedeutet dies die schrittweise Umsetzung in Meilensteinen, die die prinzipielle Durchführbarkeit der Vorhaben prüfbar belegen. Ein Proof of Concept bietet jeweils die Chance, eine Risikominimierung für das Unternehmen frühzeitig vorzunehmen und dabei gleichzeitig die kritischen Stellschrauben eines Vorhabens kennenzulernen. Wesentliche Grundvoraussetzung für die Erprobung der neuen Techniken ist die zukünftige IT-Infrastruktur. Sicherheitstechnische Aspekte der IT stehen dabei mit der Betriebssicherheit der Anlagen gemeinsam an erster Stelle. Sichere Vernetzung bislang getrennter Systeme Zukünftig werden Emschergenossenschaft und Lippeverband die bislang getrennten Netzwerke der Betriebs-IT und der Office-IT zusammen in einem physikalischen, aber logisch getrennten Netzen sicher betreiben. Ein erstes Pilotvorhaben war die technische Zusammenführung der bislang getrennten Netze der Betriebs- und Office-IT an einem Anlagenstandort im Lippeverbandsgebiet und deren Anbindung an die Hauptverwaltung. Jetzt werden sowohl die Officeals auch die Betriebs-IT über die gleiche Datenleitung bedient. Logisch sind die Netze weiterhin getrennt und nach den neuesten Standards verschlüsselt. Die Hardware (Kabel, Switche, Router, …) ist dadurch vereinheitlicht und schlanker geworden. Auch Risiken, die durch die versehentliche Verbindung der getrennten Netze entstehen könnten, sind damit ausgeschlossen. Der Pilot wurde erfolgreich bereits in 2016 abgeschlossen. Ein von EGLV beauftragter Penetrationstest („Hackerangriff“) bestätigte die hohe Sicherheit des neu konzeptionierten Netzwerks. Das Konzept sieht zudem technisch mehrere Rückfallebenen vor, die je nach Anlagenbedeutsamkeit bzw. Gefahrenpotenzial bei Ausfall gestaffelt ausgebaut werden können. Das bedeutet, dass falls die Anbindung einer Anlage über eine angemietete Leitung ausfällt, automatisch auf eine andere Datenanbindung (zum Beispiel Mobilfunk) umgeschaltet wird. Das „neue Infrastrukturnetzwerk“ von Emschergenossenschaft und Lippeverband ist damit bereits heute verfügbar, genügt den Ansprüchen an die IT- Sicherheit und bildet für alle folgenden Wasserwirtschaft 4.0-Vorhaben die wesentliche Grundlage. Weitere Entwicklungen werden auf ihm aufbauen und es ist beliebig skalierbar. Mehrwert für den Anlagenbetrieb Ein weiteres Pilotvorhaben beschäftigte sich mit der Nutzung der über das neue Infrastrukturnetzwerk an allen dezentralen Anlagenstandorten dann für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verfügbaren Dienste. An einem Pumpwerk wurde so mit den neuen Techniken ein ThinClient-Arbeitsplatz geschaffen, mit dem der Betrieb nunmehr auch vom Pumpwerk aus auf die normale Büro-IT und die dortigen Laufwerke sowie das Portal zugreifen kann. Planunterlagen aus dem Office-Netzwerk stehen somit beispielsweise direkt am Pumpwerk zur Verfügung. Dies ermöglicht zugleich den Zugriff auf das Betriebsführungssystem mit dem die Planung, Steuerung, Kontrolle und Dokumentation betrieblich durchzuführender Aufgaben erfolgt. Gleich- THEMA Urbane Kommunikation 45 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES zeitig wurde ein Voice-Over-IP-Telefonanschluss im Pumpwerk eingerichtet, der ebenfalls über das neue Netzwerk an die zentrale Telefonanlage in der Hauptverwaltung angeschlossen ist. Zudem wurde der gesicherte Zugriff auf das Prozessleitsystem des Pumpwerks über ein mobiles Tablet für den zuständigen Betriebsmitarbeiter realisiert (siehe Bild- 2). Der Pilot konnte Anfang 2017 ebenfalls erfolgreich abgeschlossen werden. Perspektivisch kann so zukünftig auch der Zugriff auf alle Anlagen eines Betriebsbereichs ermöglicht werden. Durch die Unabhängigkeit von stationären IT-Systemen können Wegezeiten verkürzt werden. Es ergibt sich eine größere Nähe zum Anlagenprozess und bei Bedarf ein schneller Überblick über den Zustand aller Anlagen. Virtualisierung und Standardisierung von Prozessleitsystemen Ein wichtiges Pilotvorhaben umfasst den Aufbau eines virtuellen Prozessleitsystems für eine Kläranlage der Ausbaugröße 5000 EW im westlichen Lippegebiet, die derzeit im Zuge einer ohnehin anstehenden Re-Investitionsmaßnahme modernisiert wird. Erstmals wird hier der Verzicht auf ein proprietäres Prozessleitsystem auf der Anlage getestet - an dessen Stelle tritt dann ein virtuelles Prozessleitsystem, das auf verbandseigener Hardware an einem zentralen Standort gehostet wird. Es wird erwartet, dass auf Grundlage dieser Lösung auch eine visuelle Standardisierung der Steuerung der Kläranlagen weiter umgesetzt werden kann. Perspektivisch sind die Programmierungen und Darstellungen der Kläranlagen von Emschergenossenschaft und Lippeverband zukünftig einheitlich. Entsprechend können dann Programmanpassungen oder -verbesserungen mit einem Knopfdruck auf alle Anlagen verteilt werden. Der Aufwand für das Engineering sowie Wartung und Instandhaltung der Software-Systeme verringert sich deutlich. Die Ausrüstung der Kläranlage des Lippeverbands läuft derzeit, die Inbetriebnahme mit der neuen Technologie wird noch im Herbst 2017 erfolgen. Emschergenossenschaft und Lippeverband erwarten aus dieser Anwendung neben Erkenntnissen zur betrieblichen Praktikabilität zusätzlichen Erfahrungsgewinn zur genaueren Abschätzung von Vorteilen aus der Standardisierung von Hard- und Softwarekomponenten sowie den Aufbau personeller Kompetenzen für den Umgang mit Standardbausteinen. Verbesserung der Datensicherheit Weitere Piloten beschäftigen sich mit dem Einsatz von kleiner kostengünstiger PC-Hardware im Zusammenhang mit der Entwicklung einer darauf integrierten hardwarebasierten Verschlüsselung, die bis heute als nicht „knackbar“ gilt, und dem ersten Herantasten an die Möglichkeiten der BigData- Technologie im Zusammenhang mit InMemory- Datenbanken. Die Ergebnisse dieser Piloten liefern weitere Erkenntnisse für den sicheren Umgang mit großen Datenmengen. Bild 2: Mobiler Zugriff auf Prozessleitsysteme erleichtert den Arbeitsalltag. © EG/ LV 46 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Kommunikation Implementierung in den betrieblichen Alltag Ergebnisse aus den Pilotvorhaben des Core-Teams werden in einem nächsten Schritt in den Prozessabläufen getestet und einer Wirtschaftlichkeitsbetrachtung unterzogen. Hierzu existiert im Betrieb eine sogenannte „Treibergruppe“, ebenfalls interdisziplinär besetzt, die die vertiefte Betrachtung unter betrieblichen Alltagsbedingungen bewertet. Hierbei werden unter anderem alle betrieblichen Fragen geklärt [5]. Da die Wasserwirtschaft 4.0 nicht nur eine fachliche Herausforderung darstellt, sondern auch die Organisation und jeden einzelnen Mitarbeiter fordert, kommt der zeitnahen Kommunikation von Ergebnissen, Anforderungen und Bewertungen durch die Treibergruppe insbesondere in die Betriebsmannschaft eine besondere Bedeutung zu. Die Hinweise aus der Betriebsmannschaft zu innovativen betriebsnahen Verbesserungen, die ebenfalls im Sinne der Wasserwirtschaft 4.0 stehen, können als Anregung zur grundsätzlichen Betrachtung in den Projekten berücksichtigt werden. Dieses Zusammenspiel ermöglicht einerseits die Betriebsmannschaften in der vergleichsweise kurzen verfügbaren Zeit an die neue Technik heranzuführen und zugleich Erkenntnisse zur betrieblichen Praktikabilität zu berücksichtigen. Standards sind fortzuschreiben Ein zentrales Thema, das mit der Virtualisierung noch weiter an Bedeutung gewinnen wird, ist die damit notwendige Weiterentwicklung der zugehörigen Standards. Denn so bieten sich später in der Betreuung der Anlagen neue Möglichkeiten. Beispielsweise sind die heute auf den Betriebsanlagen von Emschergenossenschaft und Lippeverband eingesetzten, zahlreichen unterschiedlichen Prozessleitsysteme von ebenfalls unterschiedlichen Anlagenerrichtern in den 80er und 90er Jahren programmiert worden. Ihre Pflege verursacht nennenswerten Aufwand und führt oft dazu, dass nur noch der ursprüngliche Anlagenerrichter als Einziger in der Lage ist, dringend erforderliche Anpassungen im Prozessleitsystem vorzunehmen. Mit der Virtualisierung bietet sich hier zum Beispiel die Möglichkeit, eigene Programmierbausteine einzusetzen, die auch von eigenem Personal gepflegt und verbessert werden können. Gleichzeitig ist die schnelle Reparatur oder der Austausch von standardisierten Bauteilen grundsätzlich von Vorteil für die Instandhaltung und die hohe Verfügbarkeit unserer Anlagen. Zusammenfassung und Ausblick Emschergenossenschaft und Lippeverband beschäftigen sich intensiv mit den Möglichkeiten der Wasserwirtschaft 4.0. Dazu wurde ein klar strukturierter Prozess definiert und Core-Team sowie Treibergruppe gegründet, die zentral für die Verbände das Thema steuern, begleiten, bewerten und vorantreiben. Mit Pilotvorhaben (Proof of Concept) werden vielversprechende Ideen in kurzer Zeit getestet und bewertet. Mit diesem agilen Vorgehen lassen sich verlässliche neue Techniken risikominimiert schnell unternehmensweit einzuführen. Neben der bereits gelösten wichtigen Voraussetzung eines sicheren Infrastrukturnetzwerks beschäftigen sich andere Pilotvorhaben derzeit mit der Virtualisierung von Prozessleitsystemen, die zukünftig das Engineering sowie Wartung und Instandhaltung der zahlreichen Anlagen vereinfachen wird. Schritt für Schritt sind EGLV somit auf dem Weg in die Wasserwirtschaft 4.0. LITERATUR [1] Terhart, L., Engelhardt, N.: Der neue Standard für die IT-Sicherheit von Anlagen der Branche Wasser/ Abwasser, Essener Tagung 2017, Aachen, Tagungsband 245, 11/ 1-11/ 8. [2] Ericsson White Paper: Cellular networks for massive iot, Uen 284 23-3278, Januar 2016, abgerufen unter https: / / www.ericsson.com/ res/ docs/ whitepapers/ wp_iot.pdf am 12.04.2017. [3] Deutsche Telekom: Erste Narrowband Service Pakete in Deutschland auf dem Markt, Juni 2017, abgerufen unter https: / / www.telekom.com/ de/ medien/ medieninformationen/ detail/ erste-narrowband-iot-servicepakete-in-deutschland-auf-dem-markt-497480 am 19.07.2017. [4] Bröker, S.: Wasserwirtschaft 4.0: Ökonomische Effizienz und neue Möglichkeiten für den Gewässerschutz, KA Korrespondenz Abwasser 2017, 64 (4), S. 284-287. [5] Obenaus, F.: Digitalisierung als Modernisierungsimpuls für Anlagenerneuerung und -betrieb in der Wasserwirtschaft, KA Korrespondenz Abwasser 2017, 64 (6), S. 496-500. AUTOREN Dr. Emanuel Grün Vorstandsmitglied Wassermanagement und Technische Services, Emschergenossenschaft/ Lippeverband Kontakt: gruen.emanuel@eglv.de Dipl.-Ing. Heiko Althoff Stabsstellenleiter Wassermanagement Emschergenossenschaft/ Lippeverband Kontakt: althoff.heiko@eglv.de THEMA Urbane Kommunikation 47 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES Strategien zur Automatisierung des Kraftfahrverkehrs Die politischen Strategiepapiere der EU, in Deutschland und Österreich folgen weitgehend den Visionen der Automobilwirtschaft. 1 Dahinter steht als Triebfeder die Befürchtung der Erzeugerländer, von den USA, China und Ostasien auf den Absatzmärkten überholt zu werden. Es geht um den Erhalt der europäischen Wettbewerbsfähigkeit. Gelockt wird von der Automobilindustrie mit dem vielfältigen Kundennutzen, der durch die Fülle der Assistenzsysteme den KFZ-HalterInnen zu Gute kommen soll, wie der Spurhalte-, Überhol-, Einpark- oder Notbremsassistent. Ferner wird über Use Cases nachgedacht, die mobilitätseingeschränkten Personen zusätzliche Bewegungsmöglichkeiten mit einem Fahrzeug bieten werden, und über die Automatisierung der Lieferlogistik, die den Dienstleistern vor allem Personalkosten sparen helfen soll. Die Automatisierungsfunktionalitäten bestehen grob gesprochen aus der Sensorik verschiedener sich mehr oder minder ergänzender Positions- und Detektionstechnologien (wie Radar, Kamera, Laser, GPS), aus der die Signale interpretierenden Soft- 1 ERTR AC (2015): Automated Driving Roadmap. ERTR AC Task Force „Connectivity and Automated Driving“. Brussels. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) (2015): Strategie automatisiertes und vernetztes Fahren. Berlin Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) (2016): Automatisiert-vernetzt-mobil: Aktionsplan automatisiertes Fahren. Wien. ware, die ihrerseits mit Datenbanken (zum Beispiel zur Objekterkennung) und mit Daten aus der Cloud (zum Beispiel zur Beurteilung des Verkehrszustands im Wegenetz) hinterlegt sein muss, und schließlich aus der darauf reagierenden (mittels Entscheidungsalgorithmen) und steuernden (mittels Befehlsalgorithmen) Software, die auf das Fahrwerk (Lenkung) und den Antriebsstrang (Fahrdynamik) wirken, um so dem Fahrer als Arbeitserleichterung zu assistieren oder ihn zeitweilig bis gänzlich zu ersetzen. Auf der Road Map der fahrzeugseitigen Automatisierung sind fünf Entwicklungsstufen (SAE-Levels) 2 bis zur vollen Autonomie des Fahrzeugbetriebes, was also letztlich einen personallosen oder gar insassenfreien Fahrbetrieb bedeutet, definiert. Je höher der Automatisierungsgrad am Fahrzeug ist, desto mehr steigt der Bedarf und die Notwendigkeit des Datenaustausches mit anderen Fahrzeugen (v2v) im unmittelbaren Umfeld, aber auch aus der durchfahrenen Umgebung, von der sich beispielweise Fahrzeuge aus Anlagen des ruhenden Verkehrs 2 SAE-Levels: SAE (Standards Automotive Engineering) International hat fünf Stufen der Automatisierung definiert, die von den Assistenzsystemen über die Teilautomatisierung (Fahrer muss System überwachen und jederzeit die Steuerung voll übernehmen können), die Hochautomatisierung (Fahrer muss der Aufforderung zur Übernahme der Steuerung nachkommen) bis zur Vollautomatisierung (Fahrer ist in definierten Anwendungsfällen von der Steuerung befreit und kann sich andere Tätigkeiten in diesem Zeitraum widmen) reicht. Die höchste Stufe ist das Autonome Fahren des KFZ („Driverless“) mit oder ohne Passagieren, wobei auch die Apparaturen für die Steuerung wegfallen. Automatisiertes Fahren in urbaner Umgebung Herausforderungen aus der Sicht der Stadt- und Verkehrsplanung Automatisierungsstufen, Umgebungserkennung, öffentlicher Raum, Mobilitätsgruppen Heinz Dörr, Viktoria Marsch, Andreas Romstorfer Digitalisierung und Automatisierung bemächtigen sich der Mobilität als Daseinsbedürfnis und des Verkehrssystems als dienende Infrastruktur. Die Ausrüstung der Verkehrsmittel, vor allem der Kraftfahrzeuge, schafft veränderte Bedingungen für die Ausübung der Mobilität durch die Bevölkerungsgruppen in ihren Lebensräumen. Nutzen und Nachteile sind daher aus deren Blickwinkel in Wechselwirkung mit den fahrzeugseitigen Automatisierungstechnologien, die teilweise oder gänzlich ein fahrerloses Bewegen der Fahrzeuge im Verkehrsnetz ermöglichen werden, zu beleuchten. 48 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Kommunikation Automatisierungsoptionen in der urbanen Verkehrsorganisation Das Mobilitätssystem ist als Daseinsanspruch aller mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Möglichkeiten ausgestatteten Mobilitätsgruppen anzusehen. Die Gestaltung der Mobilität in der Zukunft betrifft nicht allein technologische Aspekte (Stichwort 4.0), sondern ist auch mit den gegensätzlichen Leitvorstellungen von zentraler Lenkung und individueller Bewegungsfreiheit zu verknüpfen. Schließlich mussten Standards wie Barrierefreiheit für mobilitätseingeschränkte Personen, Bevorrangungen für den öffentlichen Verkehr oder die Verkehrsberuhigung in Wohngebieten mancherorts mühsam errungen werden. Daran, und nicht nur am Kundennutzen des Autokäufers, werden der allgemeine Nutzen und vorhersehbare Nachteile der Automatisierungstechnologien im urbanen Verkehrssystem zu bewerten sein. Prinzipiell sind spurgebundene Verkehrssysteme prädestiniert für die Automatisierung des Betriebes im Verkehrsnetz. Die Schienenbahnen haben schon vor Jahrzehnten mit der Linienzugbeeinflussung und dem fahrerlosen Betrieb von U-Bahnen einiges vorweggenommen, was beim Verkehrsträger Straße erst mit hohem Aufwand hergestellt werden müsste. Technisch dafür in Frage kommen auch Straßenbahnen, aber einen fahrerlosen Betrieb im Straßenraum einzuführen, wäre eine politisch heikle Angelegenheit. Der Boom von Straßenbahnprojekten führt zu einer Neugestaltung der Verkehrsflächen, wobei mehr oder minder Flächen für den motorisierten Individualverkehr reduziert und auf die anderen Verkehrsträger umverteilt werden. Das kann zur Folge haben, dass sich die Übersichtlichkeit und Berechenbarkeit für die Automatisierungstechnologien entweder erleichtern oder vor allem an den Knoten schwieriger gestalten. Denn jeder Knoten wird bei einem solchen Umbau nach den örtlichen Gegebenheiten individuell gestaltet, um möglichst allen verkehrsteilnehmenden Gruppen Bewegungskomfort und -sicherheit zu bieten Bild 1 (links): Die neue Tramtrasse in der Mitte einer radialen Achse im südlichen Vorortegürtel von Paris ( T 7 bei Bretagne). Bild 2 (Mitte): Objektreiche Umgestaltung eines Verkehrsknotens an der Porte de Pantin in Paris nach dem Straßenbahnneubau ( T 3b) Bild 3 (rechts): Klare horizontale und vertikale Organisation der Funktionsflächen der Verkehrsträger, wie im jungen Wissenschaftsquartier Berlin-Adlershof, kommt der Automatisierung im Fahrbetrieb entgegen. © Dörr (alle Bilder des Artikels) in den Hauptverkehrsstrom einflechten. Es steigt des Weiteren der Bedarf an einer übergeordneten Vernetzung der Fahrzeuge in den Verkehrsflüssen, etwa um einer Staubildung vorzubeugen, womit der Datenaustausch mit der Verkehrsinfrastruktur (v2i) und ihrem zeitnahen Verkehrskapazitätsmanagement (v2tm2v) angesprochen wird. 3 Das Kraftfahrzeug in der solitären Betrachtung Derzeit vermittelt die Fachdebatte, sofern sie in den Communities der Verkehrsforschung und Stadtplanung überhaupt geführt wird, den Eindruck, dass ein Kraftfahrzeug in der Automatisierungsforschung und Komponentenentwicklung als ein Solitär-Objekt betrachtet wird, das eine Singularität in der Ereignisauslösung bzw. -bewältigung darstellt. Eine Aufbereitung der Umgebung, in der entlang eines Fahrweges Ereignisse auftreten, die eine automatisiert ablaufende Reaktion erforderlich machen, scheint vorderhand auf sehr abstrakter Ebene und nur für Einzelereignisse im Verkehrsfluss stattzufinden. Liest man bei den Auswertungen der KiD 2012 (Kraftfahrverkehr in Deutschland) nach, dann zeigt sich, dass der PKW im üblichen privaten Einsatz eine durchschnittliche werktägliche Fahrleistung von 49-km (in Österreich ca. 35-km) zurücklegt und sich dabei nur 65-min im Fahrbetrieb befindet. 4 Der Pkw wird also hauptsächlich als Nahverkehrsmittel benutzt, das im Übrigen meist schwach besetzt ist. Das ist ein guter Grund, den Fokus auf den Nahverkehr in den Ballungsräumen zu legen, wo vielfältige Herausforderungen auf die automatisierten Fahrzeuge warten. 3 Eine thematisch umfassende Einführung bietet der bei Springer Open erschienene Sammelband: Maurer, M.; Gerdes, J. Ch., Lenz, B. u. Winner, H. (Hrsg.): Autonomous Driving. Technical, Legal and Societal Aspects. Berlin-Heidelberg, 2016. 4 Kraftfahrzeugverkehr in Deutschland 2010 (KiD 2010), Vortrag von Christian NEEF zur Abschlussveranstaltung am 24. April 2012 beim BMVBS in Bonn: Wie oft, wozu, womit und wann? Neue Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Kraftfahrzeugverkehr. THEMA Urbane Kommunikation 49 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES (Bild 1 bis 3). Eine erweiterte Systembetrachtung erfährt das automatisierungstechnologische Anwendungsfeld im Straßenverkehr durch die Einbeziehung des Verhaltens von noch nicht automatisiert-motorisierten VerkehrsteilnehmerInnen und von nichtmotorisierten Mobilitätsgruppen, die die Fahrbahnen mitbenützen, parallel begleiten oder queren (Bild 4 und 5). Stadtplanung und Verkehrsnetzentwicklung Aus demokratiepolitischen Überlegungen ist ein sachlich-realistischer Diskurs aufgrund der Inanspruchnahme öffentlicher Räume und der breiten Betroffenheit Dritter einzufordern. 5 Die Konsequenzen für den Betriebsablauf des Gesamtverkehrs auf dem dafür vorgesehenen Straßennetz mit seiner hierarchischen Funktionsaufteilung vom Fernverkehr über den Stadtverkehr bis zur Quartierserschließung haben noch wenig konzeptive Überlegungen in den kommunalen bzw. regionalen Mobilitätsplänen gezeitigt. Je mehr sich die urbane Mobilität intensiviert und der innerstädtische Verkehr in Hinblick auf die verwendeten Verkehrs(hilfs)mittel diversifiziert, desto aufwändiger gestaltet sich aus Gründen der Verkehrssicherheit und des Mobilitätskomforts die Flächenaufteilung für die Bewegungen der Mobilitätsgruppen. Neben den verkehrsfunktionellen Überlegungen sind außerdem städtebaulich-ästhetische Aspekte in die Planung miteinzubeziehen, wenn eine gewisse örtliche Identität im Stadtraum erhalten werden soll. Nicht zu übersehen ist dabei auch der Wandel der städtebaulichen Raumkonzepte, die zwischen den Prinzipien der horizontalen Funktionstrennung und der vertikalen Funktionsmischung je nach Zeitgeist auf der Suche nach dem 5 Dazu wurde vom Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) eine Ethik-Kommission „Automatisiertes und Vernetztes Fahren“ eingerichtet, deren Bericht im Juni 2017 vorgestellt wurde. Die darin formulierten Grundsätze müssten nun im Rahmen der bevorstehenden Testfälle operationalisiert werden. idealen Modell der Stadtlandschaft hin und her pendeln. Das bedeutet, die Planung ist mit historisch gewachsenen persistenten, aber auch überkommenen Siedlungsstrukturen konfrontiert, die alle so ihre Tücken oder Gunstfaktoren für die Stadt- und Verkehrsplanung der Zukunft aufweisen. Die Orientierung an emergenten Technologien, verborgen eingebaut in Fahrzeugen, hatte bislang wenig Beachtung gefunden, weil man in der klassischen Verkehrsplanung auf die Bedarfsprognose und das Bestandswachstum der Verkehrsmittel konzentriert war, weniger auf die Eigenheiten ihres fahrdynamischen Verhaltens und noch weniger auf ihre Berechenbarkeit und Vertrauenswürdigkeit im Verkehrsablauf. Die sich herausstellenden Konflikte, wie zwischen dem Kraftfahrverkehr und dem Radverkehr, wurden, so es räumlich möglich war, durch Entflechtung von Verkehrsflächen und Benutzungsregulierungen aufgelöst. Diese Separierungsstrategie hat in jüngerer Zeit wieder zu einer, allerdings räumlich sehr begrenzten Gegenbewegung geführt, nämlich der herunterregulierten Mischverkehrsfläche (Shared Space, Begegnungszonen, Anliegerzonen etc.), wo die persönliche Verantwortung (in Form von Rücksichtnahme) stringente Flächenzuweisungen und Benutzungsgebote zumindest teilweise ersetzen soll (Bilder 7 und 8, 11 bis 13). Der urbane Verkehrsraum stellt sich als ein Patchwork aus historisch bestimmten Netzstrukturen, unterschiedlich dynamischen Veränderungen im Bau- und Nutzungsgefüge und zusätzlich verfeinerten Raumansprüchen der Mobilitätsgruppen dar. Die Segregation von soziokulturellen Daseins- Bild 4 und 5: Szenerie eines urbanen Knotens zweier Hauptverkehrsstraßen als Interaktionsraum von Mobilitätsgruppen und Szenengenerator für die Entwicklung von Automatisierungsszenarios (in Wien-Floridsdorf ). 50 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Kommunikation äußerungen, gerade im Mobilitäts- und im Verkehrsverhalten, trägt noch ein Übriges zur Komplexität bei. Eine ortsspezifisch vorgenommene Kategorisierung von Verkehrsflächen nach ihrer Benutzbarkeit, ihrer Beschaffenheit und ihrer Nutzungsnachbarschaft kann der Evaluierung dienen, mit welchen Randbedingungen der Einsatz automatisierter Fahrzeuge künftig zurechtkommen müssen wird und ob allenfalls bestimmte Regulierungen nach der StVO ins Auge gefasst werden sollten. Zudem kann eine solche GIS-gestützte Aufnahme für die Generierung von Szenen im Verkehrsgeschehen zur Konstruktion von Testanordnungen nützlich sein (Bild 6). 6 6 Zur methodischen Vorgangsweise der Szenenidentifikation und der Ableitung kritischer Interaktionen zwischen den verkehrsteilnehmenden Mobilitätsgruppen in örtlich konkreten Szenerien, etwa anhand eines stark befahrenen Straßenknotens, ist im Internationalen Verkehrswesen Nr. 3/ 2017 ein Beitrag von denselben AutorInnen erschienen. Städtebauliche Strukturen als Randbedingungen Während in den altstrukturierten innerstädtischen Stadtteilen das Verkehrswegenetz in seiner Konfiguration weitgehend persistent bleibt, können sich die Geschoßnutzungen je nach Immobiliennachfrage permanent verändern mit einer Tendenz zur Intensivierung, wofür Stellplätze oftmals in den Gebäuden aufwändig nachgerüstet werden. Die Fließverkehrsflächen können jedoch kaum ausgeweitet werden. Altstädtische Zentren weisen, das trifft insbesondere auf Österreich zu, verwinkelte unregelmäßige Straßenverläufe auf, die mit kleinräumig wechselnden Befahrungsbedingungen einhergehen und lokaler Verkehrsregelungen bedürfen. Sie bieten sich als Begegnungszonen an, wo die Funktionsflächen nur durch die Oberflächengestaltung angedeutet sind (Bild 7 und 8). In City- Bild 6: Die Mobilitätsorganisation nach ihrer Verkehrsflächenausstattung im Wandel städtebaulicher Konzepte von den 1930er Jahren bis heute (Innsbruck- Nordwest). THEMA Urbane Kommunikation 51 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES Geschäftsstraßen ist mit verstärktem Lieferverkehr und mit Spitzenfrequenzen von nichtmotorisierten VerkehrsteilnehmerInnen zu rechnen, zudem werden sie oftmals von ÖV-Bussen bedient. Außerdem sind Gastgärten und verschiedenstes Straßenmobiliar allgegenwärtig (Bild 8). Die Stadterweiterungen des späten 19. Jahrhunderts haben das rektanguläre Baublock-Rastersystem mit hierarchisch abgestuften Straßenprofilen eingeführt, sodass die Verkehrsinfrastruktur recht günstig berechenbare Befahrungsbedingungen aufweist, aber der Nutzungsdruck schafft Engpässe und Blockierungen, unter anderem durch Lieferverkehre und Baustellen, in den Straßenschluchten (Bild 9 und 10). Die aufgelockerten Wachstumsringe nach dem Zweiten Weltkrieg lassen den Wandel der städtebaulichen Prinzipien gut ablesen, die sich im Zwei- Dekaden-Rhythmus den Bedürfnissen der Zeit angepasst haben. Der freistehenden Scheibenbebauung mit vorgeschalteten Stellplatzflächen folgte ab den 1970er Jahren die Verbannung des ruhenden Verkehrs in den Untergrund oder manchmal in Parkhäuser, jedenfalls verbunden mit einem Etagenwechsel. Dadurch konnte das Wohnquartier in sich verkehrsberuhigt werden, wenngleich befahrbare Wege für Notfall-, Wartungs- und Entsorgungsdienste vorhanden sein müssen. Auch die Spielregeln für ein etwaiges (teil)automatisiertes Fahren dieser Dienste innerhalb von Wohnanlagen müssen noch definiert werden. Das genossenschaftliche Wegenetz einer Gartenstadtgründung der 1930er Jahre kennt nur reduzierte Profile, keine Fußwege oder Bordsteinkanten und ist bei schmalen Parzellenbreiten (etwa 7 m) von einer dichten Abfolge von Garagenzufahrten und Hauseingängen gekennzeichnet. Überhaupt fließen hier in der Benutzung der öffentliche Raum und die privaten Räume ineinander, was besondere Obacht bei der Durchfahrt erforderlich macht (Bild 11). Eine ruhige Wohnsiedlung der 1960er Jahre zeigt die alltägliche Trivialität einer Erschließungsstraße, wo Konfliktsituationen zwischen Schrägparkern, Fußgängergruppen und dem automatisierten Fahrzeug entstehen könnten (Bild 12). Die nach dem Lehrbuch geplante Anliegerstraße heutzutage lässt fragen, mit welcher Normgeschwindigkeit angesichts des Bremsweges sie künftig automatisiert befahren werden sollte, und ob dem Radfahrer im Hintergrund sicherheitshalber nachgefahren wird (Bild 13). Eine besondere Entwicklung haben die radialen Ausfallstraßen genommen, die einem rasanten Strukturwandel der angrenzenden Nutzungen unterliegen, so sind kleinteilige Gewerbestandorte zu großflächigen Handelsstandorten umfunktioniert worden, deren Verkehrserzeugung beträchtliche Ausmaße zu Spitzenzeiten der Konsumnachfrage annehmen kann. Hierbei werden, abgesehen vom Berufspendelverkehr, die zeitlichen Schwankungen im Verkehrsgeschehen und damit in der Verkehrsqualität besonders manifest. Das bringt rhythmische Veränderungen im Fahrzeugmix (nach verschiedenen Fahrzeugklassen, wie PKW, Lieferfahrzeuge, Busse oder schwere LKW) und im Level of Service (Verkehrsqualität und Fließgeschwindigkeit im Verkehrsstrom) im Stadtstraßennetz mit sich. Objekterkennung und „Prediction“ Die abgebildeten Beispiele sind eine Auswahl anderweitiger Befassungen der AutorInnen, die Orte tun dabei nichts zur Sache und stellen keine Testfälle zum Thema dar. Sie sollten aber aufzeigen, mit welchen Herausforderungen in der realen Umwelt die Technologieentwicklungen konfrontiert sind und Hinweise darauf geben, welche Verwaltungskörper und Interessenverbände rechtzeitig Fragen stellen und Aufklärung verlangen sollten. Gerade im urbanen Verkehrsraum stellen sich im Niedriggeschwindigkeitsbereich der ersten und Bild 7 und 8: Begegnungszone in der Altstadt (Wien-Herrengasse), links, und in der vorstädtisch-barocken Geschäftsstraße (Wien-Mariahilferstraße), rechts. 52 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Kommunikation letzten Meter vor allem im nachgeordneten Straßennetz die Fragen nach der bodennahen Objekterkennung, etwa der Bordsteinerkennung, falls vorhanden, weil abgesenkt oder von Stellplätzen verstellt, oder der Bodenmarkierungs- und Verkehrszeichenerkennung, solange sie keine Signale aussenden. Des Weiteren handelt es sich um die Erkennung nahe der angepeilten Kfz-Bewegungsbahn aufgestellter statischer Objekte (wie Lichtmasten, Zeitungsspender, Verkehrszeichen oder stabförmige Rückhalteobjekte). Sie werden in einem Objektklassifikator als unbeweglich gespeichert sein. Aber dabei treten nicht nur nationale, sondern auch regionale Eigenarten auf. Sodann sind es die sich bewegenden Objekte- =- Subjekte im Umfeld der Fahrbahn und der angrenzenden Verkehrsflächen, deren Trajektorien zu vermessen und deren raumgreifende Handlungsoptionen abzuschätzen und schließlich deren situatives Verhalten (Vertrauensgrundsatz ? ) einzuschätzen sein werden. Mit der Hochautomatisierung des KFZ kann der Bremsweg vor allem bei niedrigem Geschwindigkeitsniveau deutlich verkürzt werden, weil die Reaktionszeit des Menschen wegfällt, aber der Entscheidungsalgorithmus muss über das Durchsetzen (zum Beispiel gemäß der StVO) oder das Nachgeben befinden. Damit werden auch grundsätzliche moralische Fragen aufgeworfen. 7 7 Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur (2017): Bericht der Ethik-Kommission Automatisiertes und Vernetztes Fahren. Berlin Einschätzen heißt für die Fahrzeugsteuerung vorausschauen, vorhersehen und vorabentscheiden. Vorausschauen bedeutet, ausreichend Blickfeld bzw. Detektionsraum zu haben. Vorhersehen bedeutet, das erkannte Bild in Hinblick auf potenzielle Interaktionen zu interpretieren und Vorabentscheiden bedeutet eine steuernde Reaktion darauf einzuleiten. Bisher hat der häufig als fehleranfällig und als Sicherheitsrisiko denunzierte Mensch diese spontanen Anforderungen im täglichen Verkehrsgeschehen erfüllt. Dieser „Mensch- Maschine-Paarvergleich“ wird beim schrittweisen Verantwortungs- und Funktionstransfer eine spannende Auseinandersetzung werden, die in die Teststrategien methodisch eingebaut werden müssen, ehe eine Zulassung für den alltäglichen Straßenverkehr erwirkt wird. Welchen Prinzipien gehorcht diese „Prediction“? Ableitungen aus den Grundsätzen der StVO, nämlich für die Leichtigkeit, Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs Sorge zu tragen, werden allein nicht ausreichen, weil der inhärente Zielkonflikt nunmehr systemtechnologisch aufzulösen sein wird und nicht mehr dem Menschen situativ delegiert werden kann. Diesbezüglich bildet auch das Selbstverständnis der Autohersteller und ihrer Kundschaft einen Wertehintergrund für die Programmierung von Algorithmen, etwa was den künstlichen Fahrstil anbelangt. Ein Premium-Wagen, der andauernd im Stop-and-Go-Modus zurücksteckt, ist wohl schwer vorstellbar. Es sind also statische Randbedingungen der Fahrwege (geoinformationell gut zu bearbeiten, jedoch aufwändig zu pflegen) und dynamische Randbedingungen im zeitlichen Verkehrsablauf (statistisch brauchbar zu ermitteln, aber möglicherweise ist die Volatilität des Verkehrsaufkommens entscheidend) Bild 9 (links außen): Ständiger Umbau im Bankenviertel von Frankfurt am Main. Die Breite der Gehwege ist den Bürospitzenzeiten geschuldet. Bild 10 (links innen): Nutzungsdruck im Baublock-Raster und Nichtvermehrung der Straßenfläche im Hauptbahnhofsviertel von Frankfurt am Main. THEMA Urbane Kommunikation 53 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES Dipl.-Ing. Dr. rer. nat. Heinz Dörr Beratender Ingenieur für Raum- und Verkehrsplanung arp - planning.consulting.research Kontakt: heinz.doerr@arp.co.at Dipl.-Ing. Viktoria Marsch Ingenieurin für Verkehrslogistik und Ressourcenmanagement arp - planning.consulting.research Kontakt: viktoria.marsch@arp.co.at Dipl.-Ing. (FH) Andreas Romstorfer, M.A. Ingenieur für Logistik, Transport und Verkehrsdienste arp - planning.consulting.research Kontakt: a.romstorfer@arp.co.at in das Automatisierungssystem einzubringen. Nicht übersehen werden dürfen exogene Interventionen aus der umgebenden Nutzungsstruktur, die die Verkehrserzeugung, aber auch das Verkehrsverhalten der unterschiedlichen Mobilitätsgruppen im öffentlichen Raum betreffen und als Eventualitäten auf den Fließverkehr einwirken können. Ihre mit ausreichender Sicherheit versehene Implementierung stellt eine gewaltige Herausforderung dar. Als Anlassfälle können der Unterrichtsbeginn und -schluss von Schulen, die Nähe von Seniorenresidenzen zu ÖV-Haltestellen oder Ausfahrten von Industriestandorten mit einbiegendem Schwerverkehr angeführt werden. Im letzten Fall kann die Interkonnektivität zwischen den Fahrzeugen hilfreich sein. Fazit und Ausblick Eine Frage wird sein, inwieweit die Hochautomatisierung zu einer Verstetigung und Vergleichmäßigung in den Verkehrsabläufen beitragen wird und welche Effekte auf nichtmotorisierte Mobilitätsgruppen zu erwarten sind. Ein skeptischer Aspekt ist außerdem, ob derart die letzten Kapazitätsreserven im urbanen Straßennetz ausgereizt werden, also mehr KFZ-Verkehr ermöglicht wird. Potenzielle Verlierer sind dann die anderen Verkehrsmodi im Umweltverbund. Die Stadt als ein lebendiger Organismus und Ort räumlich konzentrierter Ausübung der Daseinsgrundfunktionen, die allesamt mit Verkehrszwecken verbunden sind, stellt sowohl einigermaßen standardisierbare als auch sehr individuelle Anforderungen - also x2v - an die Mobilitätstechnologien, die nicht nur am kraftfahrzeugseitigen Nutzen ausgerichtet werden sollten. Nach der „autogerechten Stadt“ folgt nicht notwendigerweise die „auto 2 matisierte Stadt“(! ). Das urbane Milieu wird sich in einigen Strukturen an die Digitalisierung seines komplexen „Metabolismus“ anpassen, in anderen Strukturen, die seine Lebensqualität und Identität ausmachen, aber auch widerständig zeigen. Unter anderem das herauszufinden, sollten die urbanen Testfelder in Deutschland, wie in Berlin, Braunschweig, Dresden, Düsseldorf, Hamburg, Heilbronn, Ingolstadt oder München, im Rahmen einer begleitenden und beobachtenden Forschung ermöglichen. AUTOR I NNEN Bild 13: Zeitgenössische Anliegerstraße eines Neubauquartiers in München- Schwabing. Bild 11: Erschließung einer überformten Gartenstadt aus den 1930er Jahren (Innsbruck-Am Lohbach). Bild 12: Ruhiges intimes Wohnquartier aus den 1960er Jahren in Rum bei Innsbruck. 54 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Kommunikation Sicherheit ist heute eines der wichtigsten gesellschaftlichen Themen. Ob Extremwetter und Klimawandel, Terrorgefahr und internationale Krisen oder das ganz alltägliche Leben in einer technisierten Welt - bei Gefahrensituationen, Unglücksfällen und Katastrophen ist es wichtig, die Menschen schnell und genau zu informieren. Vernetzte Krisenkommunikation Kommunal, regional, national, international - Warnsystem KATWARN bietet Informationen aus einer Hand Katastrophenschutz, öffentliche Sicherheit, Gefahrenabwehr, Warnsystem, Mobilfunk Niklas Reinhardt, Lary Schlüssel Seit 2011 ist das vernetzte Warnsystem KATWARN (kurz für: Katastrophen-Warnung) für viele Millionen Nutzerinnen und Nutzer in Deutschland im Einsatz. Per Smartphone-App, digitalem Fahrplan oder Bordcomputer von PKW informiert es über Gefahrensituationen in Kommunen, Ländern, auf Bundesebene und seit Juni sogar international. Die Nachrichten mit kurzen Verhaltensinfos stammen von autorisierten Sicherheitseinrichtungen und wenden sich an die direkt betroffenen Menschen. Doch ebenso vielfältig wie die Gefahren sind auch die Zuständigkeiten für die Warnung der Menschen: Involviert sind die Landkreise, Städte und Bundesländer sowie der Bund mit ihren jeweiligen Einrichtungen und Behörden. Dazu zählen zum Beispiel die Feuerwehr, die Polizei, die Landesumweltämter, der Deutsche Wetterdienst und viele mehr. Hinzu Bild 1: Warnhinweis von KATWARN auf dem Smartphone - die zuständige Feuerwehr meldet in diesem Fall einen Großbrand in der direkten Umgebung. © Fraunhofer FOKUS/ O. Lang THEMA Urbane Kommunikation 55 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES KATWARN-2.0 verantwortliche Landräte oder Oberbürgermeister und sogar zum Beispiel Landesministerien bei einem Warneinsatz automatisch mitinformiert werden, sodass die Information dort immer gebündelt vorliegt und nicht viele lokale Einsätze zu einem unübersichtlichen Nebeneinander führen (Bild 1). Für die Sicherheit der Nutzerinnen und Nutzer der Smartphone-App setzt das System technisch gesehen einerseits auf ortsbezogene Warnungen für den aktuellen Aufenthaltsort der Nutzer sowie andererseits für frei wählbare Ortsfavoriten (Adressen oder Ortspunkte): Über die Ortungsfunktion des Smartphones erfolgt bei Aufenthalt oder bei (späterem) Betreten eines Gefahrengebiets eine automatische Alarmierung und es erscheinen Sicherheitsinformationen sowie kurze Verhaltenshinweise von den zuständigen Sicherheitsbehörden. Durch die optional hinzuzufügenden Ortsfavoriten erhalten die Nutzerinnen und Nutzer zudem positionsunabhängig Warnungen zu den von ihnen ausgewählten Gebieten. Dies können zum Beispiel der Wohnort der Eltern, die Adresse des Kindergartens oder der Ferienort sein. Darüber hinaus informieren ortsunabhängige Themenabonnements für Großveranstaltungen wie zum Beispiel das Oktoberfest in München und das Musikfestival „Rock im Park“ bereits bei der Anreise über Betriebsstörungen oder gefährlichen Massenandrang. KATWARN - eine kontinuierliche Weiterentwicklung 2001 Fraunhofer FOKUS und die öffentlichen Versicherer beginnen die Arbeit am ersten Unwetterwarnsystem für Mobiltelefone (WIND) 2008 Die positiven Erfahrungen mit WIND sollen auf wetterunabhängige Warnungen übertragen werden - KATWARN wird geboren 2009 Im ostfriesischen Aurich werden erste KATWARN-Tests durchgeführt 2011 KATWARN wird deutschlandweit als SMS- und E-Mail-Dienst zur Verfügung gestellt 2012 Mit der KATWARN-App für iPhone werden positionsbezogene Warnungen dank der Schutzengel-Funktion ermöglicht 2013 Mittlerweile nutzen unter anderem die Großstädte Hamburg und Berlin KATWARN - auch eine App für Android Phone gibt es nun 2014 Gemeinsam mit Microsoft und dem „Landesverband Bayern der Hörgeschädigten e.V.“ wird die App für Windows Phones gestartet 2015 In Rheinland-Pfalz geht KATWARN auf Ebene eines Flächenbundeslandes - zudem wird KATWARN am weltweit größten Chemie-Standort BASF SE zur Warnung der Mitarbeiter eingeführt. Des Weiteren wird die digitale Vernetzung mit Warnungsmultiplikatoren vertieft: Anzeigetafeln der Berliner Verkehrsbetriebe und Panels der WALL AG zeigen aktuelle Sicherheitsinformationen von KATWARN 2016 Neben dem Themen-Abo fürs Oktoberfest warnt KATWARN jetzt beispielsweise auch Musikfans bei „Rock im Park“ - Besucher können so bereits bei der Anreise vor Massenandrang oder ähnlichem gewarnt werden 2017 KATWARN goes international: Dienstreisende und Urlauber erhalten ab sofort Warnungen aus Deutschland und Österreich. Die Polizei Hessen nimmt KATWARN landesweit in Betrieb kommen Versorgungseinrichtungen mit wesentlicher Bedeutung für die Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Funktionen - sogenannte Kritische Infrastrukturen - wie zum Beispiel Elektrizitätswerke oder Flughäfen oder auch sicherheitsrelevante Industrieunternehmen wie etwa Chemiewerke, die für die Sicherheit von Mitarbeitern und Anwohnern auch eigenständig Verantwortung tragen. Auf der anderen Seite dieser komplexen Sicherheitsarchitektur stehen die Menschen, die im Alltag von diesen Fragen möglichst unbehelligt sein wollen, aber im Notfall einheitlich informiert werden müssen. Zum einen, um Missverständnisse und Unklarheiten durch verschiedene Absender auszuschließen. Zum anderen, um abgestimmte Reaktionen und Handlungsweisen zu initiieren. Innerhalb dieses komplexen Netzwerkes aus Gefahren, Absendern von Warnungen, Empfangsmedien und betroffenen Menschen als Warnempfänger fungiert das Warnsystem KATWARN wie eine Art Knotenpunkt und Verteilersystem (Tabelle 1). Dieser deutschlandweit einheitliche Service übermittelt autorisierte Warnungen von Leitstellen, Landeslagezentren und Bundesbehörden an die Menschen im Gefahrengebiet. Pro Jahr werden so rund 10 Mio. Warnnachrichten kostenlos an die Bevölkerung gesendet. Die Einsätze reichen von Extremwettern und Wirbelstürmen über Großbrände und Bombenfunde bis hin zu Amoklagen und Terrorwarnungen. Das wichtigste Ziel ist dabei, möglichst viele Personen direkt am Ort der Gefahr zu erreichen und gleichzeitig Nebeneffekte wie den „Katastrophentourismus“ abzuwenden. Daher ist das System speziell für die Anforderungen der Kommunen ausgerichtet, bei denen in Deutschland die Hauptlast der Gefahrenabwehr für die öffentliche Sicherheit liegt. Von der Gefahr zur Warnung Über ein Redaktionssystem erhalten die verantwortlichen Stellen einen gesicherten Zugriff auf eine nutzerfreundliche Eingabemaske. Diese ermöglicht es ihnen, eigenständig die vorliegende Gefahr sowie zugehörige Warntexte und Handlungsempfehlungen anzugeben und schließlich die zu bewarnenden Gebiete und Personen festzulegen. Auf Knopfdruck werden die Warnungen anschließend abgesendet und erreichen je nach Orts- oder Themenbezug die betroffenen Empfangsmedien. Dabei ist im KATWARN-System hinterlegt, welche Befugnisse der einzelne Absender hat, sodass beispielsweise die kommunale Gefahrenabwehr eines Landkreises nicht Warnungen für den Nachbarlandkreis oder für das ganze Bundesland aussenden kann. Zudem können mit dem neuen Redaktionssystem Tabelle 1: Das Warnsystem von den Anfängen bis heute. 56 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Kommunikation Vernetzte Technologie und Prozesse Gerade bei großen Gefahrenlagen, wie etwas Industrieunfällen, bietet die technische Vernetzung durch KATWARN große Vorteile. Neben den Städten Ludwigshafen und Mannheim nutzt etwa der weltgrößte Chemiestandort BASF SE das Warnsystem bereits seit 2015 für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf dem Werksgelände. Im Gefahrenfall können das Unternehmen intern und die angrenzenden Städten Ludwigshafen und Mannheim öffentlich mit KATWARN warnen. Auf diese Weise kann ein Warnprozess über verschiedene Verantwortungsträger und -gebiete hinweg in die Wege geleitet werden, der auch aktualisierte Informationen und schließlich die Entwarnung umfasst. Das Versenden der Warnungen auf die Smartphones der betroffenen Menschen hat wiederum den Vorteil, dass die Personen über die Ortungsfunktion, Schutzengel genannt, an ihrem aktuellen Standort über den ganzen Zeitraum der Gefahr hinweg erreicht werden können. Da im heutigen Alltag viele Technologien digital und vernetzt sind, nutzt KATWARN über die App hinaus die Möglichkeit, Menschen in Gefahr noch besser zu informieren. Nicht zuletzt deshalb ist KATWARN in diesem Jahr eine Kooperation mit dem Automobilhersteller Ford GmbH eingegangen, dank derer die KATWARN- Warnungen auch direkt über den Bordcomputer von PKWs ausgespielt werden können. Mit der Anbindung von statischen Endgeräten wie digitalen Werbetafeln oder elektronischen Fahrplänen an Bus- und U-Bahnhöfen in Berlin können zudem Passanten erreicht werden, die nicht über ein Smartphone verfügen. Weitere Anknüpfungspunkte sind beispielsweise auch Call-Center und Taxirufe, Newsportale und Websites sowie automatisierte Gebäudetechnologien und viele mehr (Bild 2). KATWARN-Roaming Die steigende Mobilität der Bevölkerung betrifft natürlich auch das Überschreiten von Staatsgrenzen - zum Beispiel als Urlauber oder Dienstreisender. Dafür wurde KATWARN um eine spezielle Roaming- Technologie erweitert, die die internationale Verbreitung ermöglicht. Seit der ersten internationalen Einführung von KATWARN im Juni dieses Jahres gibt es neben dem deutschen nun auch das österreichische KATWARN- System, das in der alleinigen Verantwortung Österreichs liegt. Trotz dieser klaren Trennung können die Nutzerinnen und Nutzer sowohl über die eine als auch über die andere nationale KATWARN-App alle Warnungen kostenfrei empfangen, wenn sie betroffen sind und den Schutzengel aktiviert haben. Die KAT- WARN-Roaming-Technologie ermöglicht also den Empfang von Warnungen über internationale Grenzen und nationale KATWARN-Apps hinweg - und dies einheitlich in der Warnung, Darstellungsweise und Nutzung. Für den „Normalbürger“ ein starker Vorteil, sich nicht auf andere „Standards“ einstellen zu müssen, und Abstimmungen in Grenzgebieten werden natürlich ebenfalls vereinfacht. Während des Oktoberfests 2017 in München ist zudem die Freischaltung der Mehrsprachigkeit geplant, um im Gefahrenfall auch die vielen internationalen Besucherinnen und Die K ATWARN-App bietet ortsbasierte Warnungen und Verhaltenshinweise für den aktuellen Standort sowie für bis zu sieben frei wählbare Orte. Diese Auswahl kann jederzeit aufgehoben, angepasst und bei Bedarf ausgeschaltet werden. Kostenlos herunterladen für: • iPhone • Android Phone • Windows Phone Alternativ bietet K ATWARN kostenfreie Warnungen per SMS/ Email für ein Postleitzahlgebiet: • SMS an Servicenummer: 0163/ 755 88 42 • Inhalt: K ATWARN 12345 muster@mail.de (für Postleitzahl 12345 und optionale Email-Adresse) Mehr Infos unter: www.katwarn.de WIE MELDE ICH MICH AN? Bild 2: KATWARN ist ein vernetztes Warnsystem mit einer Vielzahl digitaler Schnittstellen. © Fraunhofer FOKUS THEMA Urbane Kommunikation 57 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES Besucher des Fests zu warnen. Hier arbeitet das System mit vorgefertigten und abgestimmten Textbausteinen, die auch von Mitarbeitern in Leitstellen ohne entsprechende Fremdsprachenkenntnisse verwendet werden können. Damit ist KATWARN technisch auch für eine Vernetzung mit dem fremdsprachigen Ausland gerüstet. Die Vorteile eines vernetzten Warnsystems sind:  Geeignet für unterschiedlichste Gefahren (sogenannter Multi-Hazard-Ansatz)  Geeignet für unterschiedlichste Empfangsgeräte (sogenannter Multi-Channel-Ansatz)  Orts- und themenbezogene Warnung (keine Warnung nach dem Gießkannenprinzip! )  Selbstständige Nutzung durch verschiedene autorisierte Einrichtungen und Behörden  Verantwortlichkeiten im System hinterlegt  Einheitliche Ansprache der Empfänger  Internationale Nutzung und Mehrsprachenfähigkeit (ab Oktober) • Regel- und Krisenkommunikation über Funk (z.B. Satelliten) • Multichannel-Alarmierung • Alternative Notstromversorgungskonzepte von Funksystemen Fachtagung PMR für EVU Weitere Informationen senden wir Ihnen gerne zu. Ihre Ansprechpartnerin: Silvia Amoako Tel.: +49 (0) 69 710 46 87-173 silvia.amoako@ew-online.de 28. bis 30. November Koelnmesse 2017 Eine Veranstaltung von Mehr Informationen erhalten Sie unter: www.pmrexpo.de oder Mittwoch, 29. Nov. 2017 „Sichere Kommunikation für die kritische Infrastruktur Energie“ AUTOREN Niklas Reinhardt Leitung Kommunikation Innovationszentrum Öffentliche Sicherheit Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme (FOKUS) Kontakt: niklas.reinhardt@fokus.fraunhofer.de Lary Schlüssel Mitarbeiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme FOKUS Geschäftsbereich ESPRI Kontakt: lary.schluessel@fokus.fraunhofer.de 58 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Kommunikation Mobilfunkdaten aus den Handynetzen der deutschen Mobilfunkanbieter gehören zu den neuesten und umfassendsten Datenquellen, die der Verkehrsplanung in der Smart City heute zur Verfügung stehen. Im Regelbetrieb von Telefónica Deutschland etwa werden Mobilfunkdaten von über 47 Mio. Wie Mobilfunkdaten der Smart City nützen Anonymisierte Bewegungsströme aus Mobilfunknetzen unterstützen schon heute Stadt- und Verkehrsplaner Big Data, Anonymisierung, Verkehrsplanung, Smart City, öffentlicher Nahverkehr, Emissionsschutz Marie Cécile Schneider, Sigrun Beige Ob zur Planung von flexiblen Verkehrssystemen oder zur Analyse von Schadstoffemissionen - aus Mobilfunkdaten erstellte Frequenzzählungen und Analysen helfen bereits heute, gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen. Durch ein TÜV-geprüftes Anonymisierungsverfahren wird hierfür der stetige Datenstrom aus den Handynetzen von Telefónica Deutschland für smarte Städte nutzbar. Erst Anfang des Jahres hat das Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) das Potenzial von Mobilfunkdaten für die Verkehrsplanung bestätigt. mobilen Kundenanschlüssen erzeugt. Jeden Tag, wenn Handys, zum Beispiel beim Surfen oder Telefonieren, mit den Mobilfunkzellen kommunizieren, entstehen über fünf Milliarden Datenpunkte, die in aggregierter Form Bewegungsströme abbilden können. © Todor Tsvetkov THEMA Urbane Kommunikation 59 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES wäre es möglich, kontinuierliche Informationen zur allgemeinen Verkehrsnachfrage zu gewinnen. Damit könnten wir unsere eigenen manuellen Verkehrserhebungen, die wir in größeren Abständen durchführen, ergänzen. Ein Vorteil dabei wäre, dass wir Kosten für punktuelle Erhebungen - beispielsweise bei bestimmten Ereignissen - einsparen könnten“ [2]. Zur Verdeutlichung der heute schon bestehenden Möglichkeiten von Mobilfunkdaten führt das Fraunhofer IAO beispielhafte Analysen für die Stadt Stuttgart mit anonymisierten Daten von Telefónica Deutschland durch. Kurzfristig können Mobile Network Data dazu dienen, bestehende Verkehrsmodelle zu prüfen und zu ergänzen. Mittelfristig ermöglicht die weitere Entwicklung von speziellen Algorithmen und Modellen eine bessere Planung von Mobilitätssystemen sowie neue Erkenntnisse für den Personenverkehr. „Das beträchtliche Potenzial von Mobile Network Data kann nur durch das begleitende Angebot entsprechender Analysewerkzeuge realisiert werden“, fassen die Autoren der Studie Alexander Schmidt und Tobias Männel zusammen [1]. Bild 1: Anonymisierung der Mobilfunkdaten von Telefónica Deutschland. © Telefónica NEX T Bild 2: Analyse von Bewegungsströmen über Mobilfunkzellen. © Fraunhofer IAO Solche Daten stellen für gesellschaftliche und wirtschaftliche Fragen, vor allem auf dem Weg einer Stadt zur Smart City, einen großen Schatz dar. Gleichzeitig unterliegen sie dem Fernmeldegeheimnis nach dem deutschen Telekommunikationsgesetz (§ 88 TKG), das weltweit mit die strengsten Anforderungen an den Datenschutz stellt. Unter Einhaltung der Vorgaben des TKG hat Telefónica Deutschland in Begleitung der Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationssicherheit über mehrere Jahre ein Anonymisierungsverfahren entwickelt, dass diese Mobilfunkdaten sicher anonymisiert und so für aggregierte Analysen auswertbar macht. Dies geschieht durch die 2016 gegründete Tochterfirma Telefónica NEXT. Die diesem Verfahren zugrunde liegende „Data Anonymization Platform“ (DAP) wurde vom TÜV mit dem Siegel „Geprüfter Datenschutz“ ausgezeichnet. Wie auch bei der individuellen Befragung von Personen ist es verkehrsplanerisches Ziel, Aussagen über das Mobilitätsverhalten von Gruppen zu treffen, nicht über Einzelpersonen. Entsprechend sind in anonymisierten Mobilfunkdaten - genau wie in konventionell erhobenen Befragungsergebnissen - keine individuellen Reiserouten oder persönlichen Daten enthalten oder rekonstruierbar. Mobilfunkdaten in der Verkehrsplanung Die Anwendbarkeit der Mobilfunkdaten für die Verkehrsplanung hat das Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (Fraunhofer IAO) in Stuttgart in der im Februar 2017 veröffentlichten Studie „Potenzialanalyse zur Mobilfunkdatennutzung in der Verkehrsplanung“ [1] untersucht und damit einen wichtigen Grundstein für die Nutzung von Mobilfunkdaten in der Smart City gelegt. Prof. Anette Weisbecker, stellvertretende Institutsleiterin des Fraunhofer IAO, erklärt: „Unsere Studie zeigt, dass Mobile Network Data einen positiven Beitrag zur Verkehrsplanung leisten können. Die Daten sind zeitlich und räumlich hochaufgelöst vorhanden und ermöglichen neue Einblicke in die Einflussfaktoren des urbanen Verkehrs“ [2]. Um das Potenzial der Mobilfunkdaten für die Verkehrsplanung zu ermitteln, verglich das Fraunhofer IAO Mobilfunkdaten (Mobile Network Data) mit existierenden Erhebungsmethoden wie beispielsweise der Befragung von Reisenden, automatischen Zählstellen oder GPS-Daten. Zudem wurden 18 Experten aus Unternehmen, Interessensverbänden, Forschung und Politik zu den Potenzialen der Daten interviewt. So sagt etwa Thomas Hachenberger, Geschäftsführer des Verkehrs- und Tarifverbundes Stuttgart: „Mit Hilfe der Mobilfunkdaten 60 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Kommunikation schnittlich viele Menschen aus dem Stuttgarter Nordosten und dem Gebiet Vaihingen (Nord)/ Büsnau anreisen, wo es viele Studentenwohnheime gibt. Der Detailgrad der Datenanalyse zeigt sich vor allem im Vergleich mit einer weiteren öffentlichen Veranstaltung, dem Stuttgarter Weindorf, das die Innenstadt um zahlreiche Stände mit regionalen Weinen und Spezialitäten bereichert. Im Gegensatz zum Cannstatter Frühlingsfest erzeugt das Weindorf keinen signifikanten zusätzlichen Verkehr in Richtung Stuttgart-Mitte (PLZ 70173). Stattdessen verdeutlicht die Analyse (Bild 4), dass sich während der Weindorf-Wochen die An- und Abreisezeiten in das Gebiet zeitlich nach hinten verschieben, was vor allem ab 13 Uhr deutlich wird. „Diese Verschiebung indiziert, dass vor allem Bewohner und Pendler des Innenstadtbezirkes ihren Feierabend und Samstag im Weindorf verbringen“ [1]. Da es sich bei den Arbeitsplätzen in Innenstädten zu einem großen Anteil um Bürojobs handelt, sollten sich die vorrangigen Einzugsgebiete des Weindorfes erheblich von dem durch Arbeiter und Studenten geprägten Cannstatter Frühlingsfest unterscheiden“, schließen Männel/ Schmidt. Tatsächlich zeigen die Daten überdurchschnittliche Anreisen aus den bürgerlich geprägten, südlichen Stadtteilen Degerloch, Möhringen und Sillenbuch sowie aus dem benachbarten Stuttgart-Feuerbach (Bild 5) [1]. Bewertung neuer Mobilitätskonzepte In der Smart City ist es anhand von Mobilfunkdaten zum Beispiel kurzfristig möglich, Zubringerlinien im ÖPNV sowohl für entsprechend stärker nachgefragte Routen als auch zeitlich anzupassen. Mittel- und längerfristig lassen sich Verkehrssysteme für komplette Städte nachfrageorientiert überdenken, wie eine Untersuchung mit der Mitfahr-App „flinc“ für das Stadtgebiet Hamburg zeigt [3]. Auf Basis der anonymisierten Mobilfunkdaten von Telefónica NEXT untersucht flinc die Auswirkungen eines haltestellenbasierten Shuttle-Systems für die Hansestadt, das Passagiere durch einen Algorithmus auf die Fahrzeuge mittels Pooling verteilt. Ziel des Systems ist nichts weniger, als den motorisierten Individualverkehr komplett zu ersetzen - und das bei Wartezeiten von unter fünf Minuten nach Bestellung einer Fahrt. Hamburg kämpft bereits jetzt mit akuter Parkplatznot für die mittlerweile 761 655 zugelassenen Pkw [4], die im Schnitt 23 Stunden pro Tag ungenutzt bleiben [3] und dadurch wertvollen Platz einnehmen. Basis der Untersuchung ist eine über zwei Monate aus Mobilfunkdaten ermittelte Quelle- Die Stuttgarter Forscher haben mithilfe der Daten von Telefónica Deutschland, unterstützt durch den Schweizer Analysepartner Teralytics, untersuchen können, wie sich lokale Ereignisse auf den Verkehr im Großraum auswirken. Für das Frühlingsfest auf dem Cannstatter Wasen weist die Analyse eine Erhöhung des Zielverkehrs um bis zu 40- % im Vergleich zu einer Referenzwoche außerhalb der Volksfestzeit aus. Die hohe zeitliche Auflösung der Daten ermöglicht untertägige Analysen, bei denen die Daten stundenfein zwischen der Referenzwoche und dem Frühlingsfest verglichen werden. Die zusätzlichen Wege entfallen insbesondere auf die späten Nachmittage der Wochentage; freitags und samstags dehnen sich die Rückreisen bis in die frühen Morgenstunden aus [1]. Weitere externe Einflussfaktoren auf die Größe des Besucherstromes, die in der Betrachtung exemplarisch herangezogen werden, sind das Wetter (Niederschläge) und ein Feuerwerkstermin. Die räumliche Auflösung der Daten bewegt sich innerstädtisch auf der Ebene PLZ5, die in der Stuttgarter Innenstadt recht kleinräumig gelagert sind. So ergibt die Analyse zum Beispiel, dass überdurch- Bild 3: Einfluss von Wetter und Sonderereignissen. © Telefónica NEX T Bild 4: Verkehrsaufkommen in der Stuttgarter Innenstadt während und außerhalb des Weinfests. © Telefónica NEX T THEMA Urbane Kommunikation 61 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES Ziel-Matrix mit rund 35 Mio. Fahrten im Stadtgebiet Hamburg, unterteilt nach Stunden und Postleitzahlen, wohingegen herkömmliche umfragebasierte Erhebungsmethoden einen deutlich kleineren Datensatz mit einigen tausend Fahrten erzeugen. Die Untersuchung ergibt, dass mit einem Sicherheitspuffer für Ausfälle, Unwetter, etc. rund 22 000 Shuttles nötig wären, um alle innerstädtischen Fahrten abzudecken. Dies entspricht einer Reduzierung des Fahrzeugbestandes um rund 97- %. So könnte Hamburg als Smart City mit Shuttle-System deutlich mehr Lebensqualität für seine Bürgerinnen und Bürger erreichen, was Flächenverbrauch, Wartezeiten im Stau, Lärm- und Schadstoffemissionen sowie weitere Kenngrößen betrifft [3], und so auch der Stadtplanung neue Spielräume eröffnen. Messung von Schadstoffemissionen Auch die Reinhaltung der Luft lässt sich mit Mobilfunkdaten-basierten Analysen unterstützen, wie ein Pilotprojekt von Telefónica NEXT, Teralytics und der South Pole Group mit der Stadt Nürnberg zeigt, das vom EU-Programm Climate-KIC im Rahmen des „Low Carbon City Lab“ (LoCaL) gefördert wird (Bild- 6) [5]. Hier konnten die Projektpartner über zwei Monate 1,2 Mio. Wegstrecken in Form einer Quelle-Ziel-Matrix ermitteln und daraus mit Hilfe eines Dispersionsmodells die Schadstoffbelastung, indem sie auch zusätzliche Informationen über Schadstoffe des Umweltbundesamtes zu einzelnen Verkehrsträgern sowie Wetterdaten miteinbezogen. Durch den Vergleich mit vorhandenen Messwerten aus Nürnberg konnte die Genauigkeit der Methode gut überprüft werden. So zeigte sich beispielsweise, dass die durch stationäre Messstationen bekannte Luftqualität in der Nürnberger Stadtmitte sich mit den Berechnungen auf Grundlage der Mobilfunkdaten annähernd deckt [6]. Climate-KIC hat die Förderung bereits für ein Folgeprojekt verlängert, in dem die Methodik bis Ende 2017 weiterentwickelt wird, um Städten neue Möglichkeiten im Kampf gegen Luftverschmutzung und Smog zu geben. Datenschutz in der Smart City Analysen großer Datenbestände (Big Data) bergen für Anwendungen in der Smart City ein immenses Potenzial. Um dieses Potenzial zu nutzen, müssen die Bürgerinnen und Bürger allerdings nachvollziehen können, welchen Nutzen ihre Daten stiften können, wer sie verwenden darf und vor allem, wie ihre Privatsphäre dabei gewährleistet bleibt. Die Datensouveränität des Einzelnen inklusive Wahlmöglichkeiten ist dabei eine Voraussetzung. Telefónica Deutschland etwa bietet Mobilfunkkunden die Möglichkeit, sich auch von der anonymisierten Datenanalyse ausnehmen zu lassen, und geht damit über gesetzlich vorgegebene Datenschutzerfordernisse hinaus. Das gewählte dreistufige Anonymisierungsverfahren der DAP macht es selbst für Mitarbeiter unmöglich, aus den Daten Rückschlüsse auf Einzelpersonen zu ziehen. Die anonymisierten Daten werden je nach Fragestellung aggregiert und transformiert, also nur als Gruppensegmente je nach Fragestellung ausgegeben und gegebenenfalls mit weiteren Datenquellen, beispielsweise Zensusdaten, verschnitten. Die Untersuchung anonymisierter Daten bietet gerade für neuartige und innovative Anwendungen der Datenanalyse, wie sie für die Smart City unterstellt werden können, den Vorteil, dass auch explorative Analysen datenschutzkonform möglich sind. Die EU-Datenschutzgrundverordnung wird die Verwendung nicht anonymisierter, personenbezogener Daten ab 2018 weiter deutlich einschränken. Bild 5: Einzugsgebiet des Stuttgarter Weindorfs. © Telefónica NEX T Bild 6: Schematischer Vergleich von Emissionsmessungen. © Telefónica Deutschland 62 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Kommunikation Fazit/ Ausblick Mobilfunkdaten in anonymisierter Form stellen einen Datenstrom für Smart Cities dar, der vielfältige Anwendungsmöglichkeiten bietet. Erfolgreich erprobt ist der Einsatz für verkehrsplanerische Zwecke, sowohl was den öffentlichen als auch den Individualverkehr betrifft. Methoden zur einfachen Emissionsmessung in der Stadt sind in Grundzügen vorhanden und werden aktuell weiterentwickelt. Um dieses Potenzial zu nutzen, müssen die Bürgerinnen und Bürger allerdings nachvollziehen können, welchen Nutzen ihre Daten stiften können, wer sie verwenden darf und vor allem, wie ihre Privatsphäre dabei gewährleistet bleibt. Neben der oben am Beispiel der Stadt Stuttgart beschriebenen Angebotsanpassung und -optimierung können Mobilfunkdaten generell im Rahmen der Infrastrukturplanung eingesetzt werden. Mit Hilfe von Verkehrsaufkommensanalysen in einem bestimmten Korridor kann der Bedarf für neue Infrastrukturen ermittelt und eine anschließende Evaluation der gebauten Infrastrukturen durchgeführt werden. Letzteres gilt auch für die Bewertung der Wirksamkeit von Verkehrsbeeinflussungsmaßnahmen und neuen Mobilitätskonzepten. So kann die Situation vor und nach deren Einführung untersucht und verglichen werden, und zwar relativ zeitnah und kostengünstig im Vergleich zu klassischen Erhebungsmethoden mit Fragebögen und Interviews. Zusätzlich denkbar ist die Nutzung von Mobilfunkdaten zur Validierung bestehender Verkehrsmodelle, welche ebenfalls meist auf recht teuren Befragungen mit mehr oder minder großen Stichproben beruhen. Umfangreichere Befragungen werden aufgrund der anfallenden hohen Kosten lediglich in Intervallen von mehreren Jahren durchgeführt. Dahingegen stehen Mobilfunkdaten binnen kurzer Zeit zur Verfügung, sobald Änderungen im Verkehrssystem vorgenommen werden. Perspektivisch ermöglichen Mobilfunkdaten eine Längsschnittbetrachtung auf das Mobilitäts- und Verkehrsverhalten, da dynamische Daten für einen längeren Zeitraum vorliegen. Bisher wenig untersucht ist der Bereich des Personen-Fernverkehrs, wo Mobilfunkdaten, vor allem bei größeren Distanzen, nützliche Ergebnisse liefern können. Im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung der Städte können darüber hinaus Verlagerungspotentiale vom motorisierten Verkehr auf den Umweltverbund, d.h. auf den ÖPNV, Rad- und Fußverkehr, analysiert werden. LITERATUR: [1] Männel, T., Schmidt, A.: Potenzialanalyse von Mobilfunkdaten in der Verkehrsplanung. Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO (2017). http: / / www.iao.fraunhofer.de/ lang-de/ images/ iao-news/ telefonica-studie.pdf (letzter Zugriff: 14.07.2017) [2] Fraunhofer IAO (2017): http: / / www.iao.fraunhofer. de/ lang-de/ ueber-uns/ presse-und-medien/ 1817smarte-datenanalyse-fuer-verkehr-in-stuttgart. html (letzter Zugriff: 14.07.2017) [3] Frick, C., Heß, S., Keck, M.: Erneuerung der städtischen Mobilität - Wie kann ein Shuttle-System den kompletten motorisierten Individualverkehr in Hamburg ersetzen? flinc GmbH, 2016. http: / / flott-shuttle.de/ flinc-Studie-Mobilitaet-Hamburg_2016-11.pdf (letzter Zugriff: 14.07.2017) [4] Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein: Statistische Berichte. Kraftfahrzeuge in Hamburg 2015/ 2016. https: / / www.statistik-nord.de/ zahlen-fakten/ transport-verkehr/ strassenverkehr/ dokumentenansicht/ kraftfahrzeuge-in-hamburg/ (letzter Zugriff: 14.07.2017) [5] Climate-KIC: Innovative monitoring of CO 2 for transport (IMC4T). http: / / local.climate-kic.org/ projects/ innovative-monitoring-of-co2-for-transport/ (letzter Zugriff: 14.07.2017) [6] Telefónica Deutschland: Analyse der Luftqualität mit Mobilfunkdaten erfolgreich erprobt. https: / / blog.telefonica.de/ 2017/ 04/ pilotprojekt-von-telefonica-next-south-pole-group-und-teralytics-analyse-der-luftqualitaet-mit-mobilfunkdaten-erfolgreich-erprobt/ (letzter Zugriff: 14.07.2017) AUTORINNEN Marie Cécile Schneider Senior PR and Marketing Manager Telefónica Germany NEXT GmbH Kontakt: Cecile.schneider@telefonica.com Dr. sc. Sigrun Beige Take-to-Market Analyst Transport Analytics Telefónica Germany NEXT GmbH, Berlin Kontakt: Sigrun.beige@telefonica.com THEMA Urbane Kommunikation 63 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES Urbane Daten sind Grundlage für die Kommunikation der Smart City. Die Vielschichtigkeit einer Stadt und deren Kommunikationsströme führt zu einer Vielzahl verschiedener Daten. Heute bereits in großen Mengen vorhanden, werden diese Daten im Zuge der Digitalisierung von Wirtschaft, Gesellschaft und Städten in den nächsten Jahren erheblich zunehmen. Urbane Daten, die den Städten schon heute zur Verfügung stehen, sind zum Beispiel Verkehrsdaten aus Verkehrsleitzentralen, Signalschaltzeiten von Ampelkreuzungen, Energieverbräuche der Stadtwerke, Sensordaten, Baustelleninformationen, angemeldete Veranstaltungen, Umwelt-Messwerte von Luft und Emissionen - um nur einige zu nennen. Diese „Daten sind die Rohstoffe des 21. Jahrhunderts“, sagte Angela Merkel am 2. November 2015 auf einer Veranstaltung in Berlin. Für Städte bedeutet dies, dass sie einen Schatz wertvoller Ressourcen halten. Nun sind aber die originären Daten eben Rohstoffe und erst die Verarbeitung von Rohstoffen zu Endprodukten - wie bei Rohöl zu Benzin oder Heizöl - erzeugt die Wertschöpfung und den Nutzen für den Verbraucher. Übertragen gesehen, muss es den Städten gelingen, ihre Daten so zu integrierten und zu strukturieren, dass Bürger, Unternehmen oder Verwaltungen sie nutzen können. Aus Big Data müssen Smart Data werden. Urbane Daten als Kommunikationswerkzeuge zu nutzen Eine Herausforderung für die neue Nutzung vorhandener urbaner Daten ist die Heterogenität der Daten und die verteilte Zuständigkeit über verschiedene Ämter einer Stadt. So ist für die Anmeldung einer Veranstaltung das Ordnungsamt zuständig, die Informationen zu Staus oder zu erhöhtem Verkehrsaufkommen durch parkplatzsuchende Teilnehmer dieser Veranstaltung kommen im Verkehrsamt an. Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass offen ist, wie die Technologie für Kommunikationsströme in den nächsten Jahrzehnten aussehen wird. Ebenfalls ist offen, wie sich das Kommunikationsverhalten der Bürger oder der Unternehmen entwickeln wird. Welche technischen Informationsplattform für urbane Daten Datenmanagement über offene urbane Plattformen sichern die Managementfähigkeit und Nachhaltigkeit der komplexen Datenstruktur einer Smart City Smart City, Urban Data, Kommunikationsinfrastruktur, Datenplattform, Sensordaten, UrbanPulse, Bad Hersfeld, Köln, Darmstadt Lutz Heuser Mit UrbanPulse hat [ui! ] - the urban institute ® eine Echtzeit-Sensor-Datenplattform entwickelt, die der Vision von offenen städtischen Plattformen folgt, wie sie von der Europäischen Innovationspartnerschaft Smart Cities and Communities (EIP-SCC) zum Ausdruck gebracht wird. UrbanPulse ist eine auf Basis von Microsoft Azure entwickelte Informationsplattform für urbane Daten. Sie verfügt über eine hoch skalierbare Architektur für Datenverarbeitung und Analyse für die einfache Integration von Sensoren und anderen urbanen Managementsystemen. Praxisbeispiele unter anderem aus Bad Hersfeld, Köln und Darmstadt zeigen den konkreten Nutzen für Bürger und Verwaltung. © pixabay 64 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Kommunikation Systeme werden sich durchsetzen? Welche Endgeräte werden verwendet, um sich über die Verkehrssteuerung einer Stadt zu informieren? Werden es die Navigationsgeräte von Individualfahrzeugen sein oder individuelle Navigation auf dem Smartphone unabhängig vom Fahrzeug? Werden sich Smart Meter zur Steuerung der Energieverbräuche und Haushaltsgeräte durchsetzen? Welche Daten werden zukünftig die intelligenten Straßenlaternen an die Stadt liefern? Durch solche Unwägbarkeiten ist es schwierig für Kommunen, Investitionsentscheidungen für eine Kommunikationsinfrastruktur oder für Systeme zu treffen, die zwei und mehr Jahrzehnte Bestand haben sollen. Die Lösung liegt daher in dem Ansatz, alle Informationen so zu digitalisieren, dass die heterogenen Daten je nach Bedarf neu strukturiert und verwendet werden können. Die Art der Hardware oder der Endgeräte darf keine Rolle spielen. Wie die urbane Kommunikation im Jahr 2030 genau aussehen wird, ist offen. Sicher ist, dass Daten und Informationen den Puls einer Stadt bestimmen werden und offene urbane Daten-Plattformen die Basis der digitalen Stadt bilden werden. Die offene urbane Echtzeitplattform Mit UrbanPulse hat [ui! ] - the urban institute ® in der stetigen Zusammenarbeit mit städtischen Partnern eine Echtzeit-Sensor-Datenplattform entwickelt, die der Vision von offenen städtischen Plattformen folgt, wie sie von der Europäischen Innovationspartnerschaft Smart Cities and Communities (EIP) zum Ausdruck gebracht wird. UrbanPulse wurde auf Basis von Microsoft Azure als Informationsplattform für urbane Daten entwickelt. Sie verfügt über eine hoch skalierbare Architektur für Datenverarbeitung und Analyse, mit einem speziellen Konnektor-Framework für die einfache Integration von Sensoren und anderen urbanen Managementsystemen. Letztendlich bietet UrbanPulse auf Basis von Smart-Services einen vollständig integrierten Zugang zu urbanen Sensordaten aus den unterschiedlichen städtischen Domänen. So kombiniert UrbanPulse die vielfältigen Datenquellen einer Stadt, um diese besser visualisieren und verstehen und so besser auf die Bedürfnisse einer Stadt reagieren zu können. Städtische Verwaltung, Unternehmen und Einzelpersonen können die von UrbanPulse gesammelten, erzeugten und bereitgestellten Informationen nutzen, um ihre individuellen Entscheidungen zu optimieren und ihre digitalisierten Dienste und Prozesse zu verbessern. Als Plattformlösung stellt UrbanPulse Schnittstellen zu mehreren Kommunikationsstandards bereit. Auf diese Weise können neue Datenquellen einfach und wirtschaftlich integriert werden und damit Echtzeitinformationen von unterschiedlichen Sensoren und Managementsystemen geteilt werden. Bild 2 gibt einen Überblick über die Architektur von UrbanPulse. Die Datenquellenschicht zeigt exemplarisch die verschiedenen Arten von Datenquellen, die mit der Plattform verbunden werden könnten. Die Schnittstellen von UrbanPulse sind hoch skalierbar und unterstützen mehrere gleichzeitige Verbindungen. Ein Messaging-System verteilt die empfangenen Nachrichten an die Verarbeitungsschicht, welche die Kernmodule der Plattform Die digitalen Werkzeuge für Smart Cities werden urbane offene Datenplattformen sein Die von der EU-Kommission unterstützte „European Innovation Partnership for Smart Cities and Communities (EIP SCC)” ist eine Initiative in der unterschiedliche kommunale Vertreter zusammenarbeiten und spezielle Themen der Smart City diskutieren. Ein wesentliches Zwischenergebnis im Bereich „Integrierte Infrastrukturen und Open Data“ ist die Forderung nach offenen urbanen Datenplattformen als wichtige Voraussetzung für die schnelle Umsetzung von Smart City-Lösungen, die für jeden in der Stadt zugänglich sind. Der erste Schritt in diese Richtung ist die „Urban Platforms Initiative”, in der drei Gruppen mitarbeiten: die Angebotsseite, hauptsächlich Städte, die Anbieterseite und die Standardisierungsinstanzen. Mit der Absichtserklärung „Offene Urbane Plattformen für Smart Cities und Regionen”, will die Initiative offene urbane Datenplattformen fördern. Aktuell haben über 40 Unternehmen und rund 25 Städte die Erklärung unterzeichnet. Gemeinsam sollen Anforderungen an offene Schnittstellen für offene urbane Plattformen definiert werden. Die Datenplattform Urban Pulse des Urban Software Instituts ist eine der ersten urbanen Datenplattformen, die diese Anforderungen in der Architektur umgesetzt hat. Bild 1: Schematische Darstellung einer „Open Urban Plattform“ in ihrem Ecosystem. © [ui! ] EU-INITIATIVE THEMA Urbane Kommunikation 65 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES enthält. Diese bestehen aus mehreren Speicher-, Analyse- und sogenannten Complex Event Processing-Modulen. Die Module der Integrations-Schicht (Outbound Interfaces) sind verantwortlich für die Datenverteilung und Bereitstellung, zum Beispiel über die Standards HTTPS, Secure Websocket oder AMQP. Auf dieser Schicht aufbauend können alle Arten von Anwendungen, Verwaltungstools und Dienstleistungen betrieben werden, die in Echtzeit Ereignisse oder historische Datensätze verwenden. Jedes der UrbanPulse Module fungiert als sogenannter Mikro-Service, der dem Gesamtsystem spezielle Funktionen anbietet. Die Interaktion zwischen den Modulen wird durch ein Bussystem realisiert, das asynchrone Kommunikation ermöglicht. Dieser Ansatz erlaubt es, die Plattform über mehrere Instanzen zu verteilen und damit zu skalieren, abhängig von den erforderlichen Ressourcen. Damit eignet sich UrbanPulse für kleine Pilotprojekte genauso wie für die Echtzeit-Verarbeitung von Sensordaten aus eine gesamten Stadt. Integration heterogener Datenquellen Für die Integration der unterschiedlichen heterogenen städtischen Datenquellen, bietet [ui! ] eine Reihe von Konnektoren für verschiedene offene sowie proprietäre Schnittstellen an. Mit Konnektoren können die häufig innerhalb einer Domäne verschlossenen heterogenen Datenquellen in die Lage versetzt werden, Daten an UrbanPulse zu senden. Jeder [ui! ] CONNECTOR ist eine modulare Anwendung, die es ermöglicht, selbst Datenquellen mit spezifischen Schnittstellenanforderungen oder auch bestehende gewachsene Systeme, sogenannte Legacy-Systeme, an UrbanPulse anzubinden. Eine bidirektionale Verbindung ist dabei nicht erforderlich. Die Konnektoren ermöglichen es somit, urbane Daten in Echtzeit von einer großen Anzahl von Informations-, Management- und Sensorsystemen an UrbanPulse zu übermitteln. Von den UrbanPulse Schnittstellen empfangene Ereignisdaten werden zunächst geprüft und anschließend an den Eventspeicher, die Event Prozessoren sowie an die Analytics Module weitergeleitet. Das gesamte System ist eventgetrieben und das Complex Event Processing-Modul wird zur Analyse, zur Aggregation und zur Erzeugung von Ereignissen auf Basis der städtischen Daten verwendet. Diese Eventanalyse erfolgt durch die Definition sogenannter virtueller Sensoren. Virtuelle Sensoren können automatisch auf Basis von vordefinierten Operationen erstellt oder manuell registriert werden. Die vordefinierten Operationen umfassen Standardoperationen wie zum Beispiel Minimum, Maximum und den Durchschnitt der betrachteten Messwerte von verschiedenen Sensoren einer Kategorie. Ebenfalls ist es möglich, Grenzwerte für mehrere Bereiche und unterschiedliche Zeitfenster zu definieren, aus denen Ereignisse betrachtet werden sollen. Das Speichermodul sammelt die unterschiedlichen Daten und nutzt den Microsoft Azure Storage Cloud Service, um diesen in einem sogenannten Dokumentenspeicher zu persistieren. Der Dokumentenspeicher ist so eingerichtet, dass er zum einen erlaubt, große Datenmengen zu speichern und zum anderen schnelle Antwortzeiten zu erzielen, wenn größere Zeiträume historischer Daten abgefragt werden. Im Analytics-Modul können mittels Big Data- Auswertungen Analysen aufgrund historischer und Echtzeitdaten entwickelt werden. Auch eine Einbindung eigener Analysemodule ist möglich. Bild 2: Integration heterogener Datenquellen mittels Connector- Architektur. © [ui! ] 66 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Kommunikation Die Outbound-Schnittstellen verbinden die Anwendungen mit den Plattform-Services. Damit eine Wiederverwendbarkeit der empfangenen Daten ermöglicht werden kann, werden alle Daten in offenen standardisierten Formaten verarbeitet und übermittelt. Zudem werden sämtliche Analysefunktionen als Service entwickelt. Aus diesem Grund kann die UrbanPulse Schnittstelle (API) auch als Fassade für die städtischen Datenquellen und Analyse Services angesehen werden. Die Kommunikation zwischen den Plattform-Services und den Applikationen wird durch eine Kombination aus Pub-/ Sub- Systemen für Ereignisdaten und REST-Schnittstellen für persistente Daten realisiert. Die Management-Module verwalten die Konfiguration des gesamten Systems und steuern die einzelnen Komponenten der Plattform. Eine Reihe von REST-APIs ermöglicht es Benutzern, Sensoren, Konnektoren sowie Abonnements für Ereignisse zu verwalten. Die Architektur ist in ihren unterschiedlichen Ebenen darauf ausgerichtet, die Realität von städtischen Akteuren widerzuspiegeln: Smart Cities die auf dem Reißbrett entstehen, wird es in Europa kaum geben, stattdessen sind Städte und ihre (Daten)-Infrastruktur gewachsene Systeme, mit vielen unterschiedlichen vorhandenen Systemen und Formaten. Mit der Konnektor-Architektur können diese bestehenden Systeme einbezogen werden, ohne ganze Systeme auszutauschen oder sich auf bestimmte Systeme festzulegen. Wenn in einer Stadt oder einem städtischen Unternehmen neue Systeme oder Datenquellen hinzukommen, können diese kurzzeitig eingebunden werden. Datensicherheit - urbane Plattformen als Teil der digitalen Infrastruktur Urbane Daten werden zunehmend zu einer entscheidenden Ressource. Die Nachfrage steigt. Das Beispiel Verkehr zeigt, dass auch wenn Städte nicht selbst aktiv werden, andere Akteure ins Spiel kommen, beispielsweise um als Verkehrsteilnehmer zu erfahren: „Wo ist gerade Stau in der Stadt? “ Städte, wie Darmstadt verwenden hier ihre Verkehrsdaten wieder, die von Sensoren und Radarsystemen an Ampeln stammen und kontinuierlich auf dem Verkehrsleitrechner eingehen. Diese werden über die Plattform UrbanPulse Bürgern in einer Kartenansicht zur aktuellen Verkehrslage zur Verfügung gestellt. Aber auch in anderen Städten kennt man Kartenansichten zu Staus in der Stadt, nur werden hier oft Daten indirekt über die Nutzungsprofile von mobilen Endgeräten gesammelt und ausgewertet - zum Teil ohne dass dies den Nutzern bewusst ist. Dabei sind Städte grundsätzlich im Vorteil und könnten ihr vorhandenes Wissen in Form von Daten und Diensten Bürgern und Unternehmen in geeigneter Form zur Verfügung stellen. Viele Daten in einer Stadt, wie Füllstände von öffentlichen Mülleimern, oder die Meldung eines Umweltsensors über schädliche Klimagase sind nicht personenbezogen. Andere, wie die Nutzung von Radarsystemen für die Verkehrsüberwachung, könnten auf einzelne Fahrzeughalter zurückverfolgt werden. Kamerasysteme integrieren deshalb die Unkenntlichmachung von Nummernschildern in ihren Managementsystemen. Kritische Infrastrukturen wie die Beleuchtung von Straßen unterliegen strengen Auflagen, um ihre Einsatzfähigkeit sicherzustellen - losgelöst davon, ob Daten zur Helligkeit oder von Bewegungssensoren zur Lichtsteuerung später an eine urbane Plattform weitergeleitet werden. Im Kontext der Wiederverwendung von Daten ist die Sicherheit der verwendeten Daten entscheidend. Daten können entweder direkt, etwa von einem Sensor, an die Plattform gesendet werden oder, wie es meistens der Fall ist, erst in einem eigenen Managementsystem vorverarbeitet werden. Eine Magnetspule in der Fahrbahn vor einer Ampel meldet etwa, ob sie in diesem Moment belegt ist oder frei. Das übergeordnete Managementsystem verarbeitet diese einzelne Daten dann zu Aussagen über den Verkehr an dieser speziellen Ampel: Ist gerade Stau, Stop-and-go oder fließender Verkehr. Aus dem Managementsystem heraus wird auch entschieden, welche Daten an die offene urbane Plattform weitergeleitet werden: Rohdaten, zusammengefasste, aggregierte Daten oder im Fall von personenbezogenen Daten nur in anonymisierter Form. Die Datenplattform im Einsatz in Bad Hersfeld Die Datenplattform UrbanPulse ist ein zentraler Punkt der Smart City-Strategie von Bad Hersfeld als eine umfassende und offene Datenplattform, in der Daten und Ergebnisse ganz unterschiedlichster Formate verarbeitet werden können. Auf der CeBIT 2017 hat Bad Hersfelds Bürgermeister Thomas Fehling die Installierung der Datenplattform Urban- Pulse bekannt gegeben. Anwendung Stadtbus-System Konkreter Anlass der Kooperation für die Kreisstadt war zunächst die Optimierung des lokalen Stadtbus-Systems, das sie durch ihre Tochter Wirtschaftsbetriebe Bad Hersfeld GmbH betreibt. Der Bereich Nahverkehr der Wirtschaftsbetriebe Bad Hersfeld erwirtschaftet jedes Jahr einen Fehl- THEMA Urbane Kommunikation 67 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES betrag von 300 000 bis 400 000 EUR. Ziel war, den Stadtbus ab 2022 ohne Defizit zu betreiben. Bei dieser deutlichen Kostenoptimierung soll aber das bisher bestehende Beförderungsniveau in Bad Hersfeld mindestens erhalten bleiben. Dazu sollen Daten aller heutigen und zukünftigen technischen Innovationen im Bereich der Fahrzeug- und Verkehrsentwicklung aufbereitet werden. Es müssen somit für wesentliche Kostenfaktoren des Busbetriebs die Einsparpotenziale und Lösungen bis zur geplanten Ausschreibung im Jahr 2021 gefunden werden. Dabei wird die Plattform von [ui! ] das Echtzeit- Datenzentrum darstellen. Informationsquellen, die für ein innovatives autonomes Stadtbussystem benötigt werden, sind zum Beispiel:  Ampeldaten zur Kommunikation der autonomen Fahrzeuge  Daten über lang- und kurzfristige Straßensperrungen (etwa Baustellen und aktuelle Feuerwehreinsätze)  Wetterdaten (verkehrsbezogene Wetterdaten wie Glatteis etc.)  Daten der Routenplanung inklusive Fahrtwünschen  Daten über die Fahrtreichweite mit der vorhandenen Energie oder  Fahrzeugstörungsmeldungen Anwendung Hessentag 2019 Mit dem Hessentag 2019 findet in Bad Hersfeld ein Großereignis mit mehreren Hunderttausend Besuchern statt. In Bad Hersfeld sind die Herausforderungen dabei aufgrund der topografischen Lage besonders stark ausgeprägt. Die Shuttlebuskosten von den Parkplätzen zu den Veranstaltungsorten werden derzeit auf 500 000 bis 600 000 EUR geschätzt. Die für einen Hessentag üblichen Kosten in diesem Bereich belaufen sich auf 250 000 bis 300 000 EUR. Ziel ist es, die Shuttlebuskosten auch in Bad Hersfeld auf diese Größenordnung zu beschränken. Dies erfordert ein neues Modell zum Betrieb der Shuttlebusse. Vorgesehen ist, den Shuttle-Service mit Kooperationspartnern durch autonome Bussysteme betreiben zu lassen und den Hessentag als Showcase für diese Technologie zu nutzen. Auch hier soll das Datenmanagement über die Plattform UrbanPulse abgewickelt werden. Weitere künftige Anwendungsbereiche Schließlich ist UrbanPulse durch die offene Architektur geeignet, auch weitere Datenmengen aus dem Verkehrs-, Umwelt- oder Energiebereich zu verarbeiten. Bürgermeister Fehling rechnet im Bereich der Datenplattformen in den nächsten eineinhalb Jahren mit der Durchsetzung eines technischen Standards. Bild 3: Kartenansicht der Datenplattform im Einsatz. © [ui! ] 68 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Kommunikation Die Urbane Datenplattform Urban Pulse als Service aus der (Microsoft Azure ® ) Cloud  Darmstadt Verkehrsverflüssigung mittels Bereitstellung von Echtzeit-Verkehrsdaten des Verkehrsmanagementsystems an Fahrer und Fahrzeuge. Technologie: [ui! ] TRAFFIC  Köln Bereitstellung von Umweltdaten, Verkehrsdaten und Energieverbräuchen als offene Sensordatenplattform  Innsbruck Erweiterung des Service-Portfolios eines lokalen Energieversorgers in Richtung Energieeffizienz- Management von Gewerbeflächen, Wohnkomplexen und Quartieren  Wiesloch Bereitstellung intelligenter Beleuchtung in Kombination mit öffentlichem WiFi und Umweltanalytik Das Cockpit für den Bürgermeister Bürger und Unternehmen erwarten von der Smart City konkrete Vorteile, die es ohne Digitalisierung nicht gegeben hätte. Datenplattformen als Kommunikationsinfrastruktur für Städte müssen Informationen in Echtzeit und geeignete Handlungsempfehlungen ausgeben. In Bad Hersfeld nutzt der Bürgermeister das [ui! ] COCKPIT. In einer komprimierten graphischen Oberfläche zeigen Kacheln individuell gewählte Indikatoren in Echtzeit wie freie Parkplätze, Lärmbelastung, Witterungsbedingungen an der Freilichtbühne und Feinstaubwerte. Die Datenplattform ermöglicht es, die Daten nicht nur für eine grafische Darstellung aufzubereiten, sondern auch verschiedene Messwerte miteinander zu kombinieren. Auch eine analytische Auswertung der Daten erfolgt: So werden Lärmmessungen, die von Bürgern über eine App vorgenommen werden können, auf einer Karte dargestellt und sensibilisieren damit für Gegenden mit hoher gefühlter Lärmbeeinträchtigung. Eine Auswertung der Messdaten erfolgt in der sogenannten „Eventstream“- Komponente: Die Daten werden bewertet, und zum schnellen Überblick farblich markiert dargestellt. Auch eigene Regeln können definiert werden - so kann beispielsweise die Stadtverwaltung über einen Anstieg der Feinstaubwerte alarmiert werden. Im Zusammenspiel der unterschiedlichen Messungen werden Zusammenhänge in der Stadt schneller deutlich und laufende Smart City-Maßnahmen werden zentral erläutert. Erreichbar ist das [ui! ] COCK- PIT für jedermann in der Stadt in Internet unter: https: / / badhersfeld.urbanpulse.de/ Bild 4: [ui! ] Cockpit zur Visualisierung der Datenplattform in Bad Hersfeld. © [ui! ] AUTOR Prof. Dr. Lutz Heuser CEO Urban Software Institute GmbH [ui! ] Kontakt: info@the-urban-institute.de THEMA Urbane Kommunikation 69 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES WISSEN WAS MORGEN BEWEGT Schiene, Straße, Luft und Wasser, globale Verbindungen und urbane Mobilität: Viermal im Jahr bringt Internationales Verkehrswesen fundierte Experten-Beiträge zu Hintergründen, Entwicklungen und Perspektiven der gesamten Verkehrsbranche - verkehrsträgerübergreifend und zukunftsorientiert. Ergänzt werden die deutschen Ausgaben durch die englischsprachige Themen-Ausgabe International Transportation. Mehr dazu im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen gehört seit 1949 zu den führenden europäischen Verkehrsfachzeitschriften. Der wissenschaftliche Herausgeberkreis und ein Beirat aus Professoren, Vorständen, Geschäftsführern und Managern der ganzen Verkehrsbranche verankern das Magazin gleichermaßen in Wissenschaft und Praxis. Das technisch-wissenschaftliche Fachmagazin ist zudem Wissens-Partner des VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld. INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN - DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN »Internationales Verkehrswesen« und »International Transportation« erscheinen bei der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Baiersbronn-Buhlbach, www.trialog-publishers.de URBAN SOFTWARE INSTITUTE GMBH [UI! ] - THE URBAN INSTITUTE ® ist ein führendes Software- und Beratungsunternehmen und Inkubator für Smart City-Lösungen in den Themen nachhaltige städtische Mobilität, emissionsarmer Verkehr, integrierte Straßenbeleuchtung, Energiemanagement für Stadtquartiere und integrierte Infrastrukturen. Die Kunden sind Kommunen, Städte, Metropolregionen sowie kommunale und privatwirtschaftliche Unternehmen. Mit Hilfe der strategischen Beratung und den Produkten von [ui! ] können die Kunden ihre ambitionierten Klimaziele, nachhaltige Mobilitäts- und Energiekonzepte im urbanen Raum sowie den Aufbau, die Umsetzung und den Betrieb von digitalisierten Smart City-Infrastrukturen schneller, effizienter und nachhaltiger erreichen. Zum Portfolio gehören die Produkte [ui! ] UrbanPulse, [ui! ] COCKPIT, [ui! ] TRAFFIC, [ui! ] INTEGRATION, [ui! ] ENVIRONMENT und [ui! ] CROSSFLEET. Das Unternehmen wurde im Jahr 2012 von Prof. Dr. Dr. h.c. Lutz Heuser, CEO und CTO, gegründet und hat über alle Standorte 35- Mitarbeiter. Die [ui! ] Gruppe hat Standorte in Chemnitz, Darmstadt, Walldorf und Berlin sowie in Ungarn, USA und Australien. Der Firmensitz ist in Chemnitz. www.the-urban-institute.de 70 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Kommunikation Mobility-as-a-Service (MaaS) wird aus Sicht des Endkunden eine durchgängige und integrierte Mobilitätserfahrung sein - mit geringeren Kosten im Vergleich zum privaten Fahrzeug, weniger Stau und einer verringerten CO 2 -Belastung für die Umwelt. Individueller Transport und öffentlicher Nahverkehr verschmelzen hierbei zu einem integrierten Service, der größtmögliche individuelle Flexibilität bietet. IT-technische Grundlage hierfür sind unter anderem Cloud-Plattformen, die Technologien wie offene APIs sowie Big Data und Predictive Analytics nutzen. In den letzten Jahren hat sich bereits eine Vielzahl alternativer Mobilitätsanbieter etabliert wie beispielsweise Uber, BlaBlaCar, Tamyca, Flinkster, DriveNow oder Car2Go. Hinzu kommen Insellösungen einzelner Regionen, wie zum Beispiel Avant2go, eine innovative Car-Sharing-Lösung nur für Elektro- MaaS kommt in Fahrt Mit Mobility-as-a-Service wird die digitale Transformation erfahrbar MaaS, Mobility-as-a-Service, Verkehrskonzepte, Transportsysteme, Mobilität, Elektrofahrzeuge Marko Javornik Heutige Verkehrsinfrastrukturen sind vor allem auf den Individualverkehr mit dem eigenen Auto ausgelegt. Die Konsequenz davon: 20-% mehr Staus in Deutschland im Jahr 2016 im Vergleich zum Vorjahr, laut ADAC. Hinzu kommen immer wieder drohende Fahrverbote durch die Feinstaubbelastung in Innenstädten. Zukünftige Verkehrskonzepte müssen daher den Menschen und seine Transportbedürfnisse stärker in den Mittelpunkt stellen und ein Ökosystem für universelle Mobilität bieten. Hier entsteht ein Markt mit riesigem Wachstumspotenzial für IT-Anbieter, Automobilhersteller und Verkehrsunternehmen. Bild 1: Car-Sharing- Anbieter wie Car2Go beziehen ihre Attraktivität auch aus der Digitalisierung der gesamten Abläufe: Kunden reservieren und zahlen bequem per Smartphone- App ihr Fahrzeug. © Car2Go THEMA Urbane Kommunikation 71 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES fahrzeuge im slowenischen Ljubljana. Ihre Attraktivität beziehen diese Angebote aus der Digitalisierung der gesamten Abläufe. Kunden bestellen die für sie passende Mobilität per Smartphone-App oder Webbrowser und setzen sich anschließend direkt in das gewünschte Fahrzeug oder lassen sich bequem abholen. Laut einer Untersuchung des Marktforschungsinstituts YouGov hat in 2016 fast jeder fünfte Deutsche (17- %) schon einmal ein Sharing-Angebot aus dem Bereich Mobilität genutzt. Was für eine umfassende Mobility-as-a-Service-Lösung jedoch fehlt, ist eine durchgängige Vernetzung aller Transportinfrastrukturen, inklusive Massentransport, und eine Lösung für die letzte Meile. Gleichzeitig erlebt auch die Automobilindustrie einen Wandel. Für die jüngere Generation gilt das Auto längst nicht mehr als Statussymbol und der Wunsch nach einem eigenen Fahrzeug ist weniger ausgeprägt, so das Ergebnis einer weltweiten Untersuchung der Markenberatung Prophet aus dem Jahr 2015. Auch diese Entwicklung zeigt, dass die Zeit reif ist für neue Mobilitätsdienste. Treiber für MaaS Ein wesentlicher Treiber für MaaS ist die Digitalisierung. Die Nutzung von Smartphones mit Alwayson-Internet und Social Media-Kanälen führt dazu, dass Kunden ständig in Kontakt mit ihrer Mobilitätsplattform stehen. So könnte MaaS zu einer täglich genutzten Lösung rund um den persönlichen Transport werden. Je mehr Angebote schließlich in einer MaaS-Plattform vereint sind und je intelligenter sich die Lösungen auf die individuellen Gewohnheiten des Nutzers einstellen, desto wertvoller wird dieser Dienst für den Endkunden. Lösungen für Predictive Analytics, also vorausschauende Analysen, spielen hier eine wichtige Rolle, denn nur durch die konsequente Auswertung großer Datenmengen im Rahmen von Big Data-Projekten lassen sich die notwendigen Informationen zur Steuerung der Verkehrsströme ermitteln. Außerdem lassen sich die Bewegungsmuster von Nutzern durch die Stadt immer klarer analysieren, sodass Software-Lösungen wiederkehrende Muster erkennen. Dies lässt es nach einiger Zeit zu, sehr präzise Vorhersagen über die Bewegungen der Anwender zu machen. So kann die MaaS-Plattform schließlich proaktiv personalisierte Transportvorschläge unterbreiten, auch ohne Anfrage von Nutzern. Eine übergreifende Verkehrsinfrastruktur könnte so Passagierströme im Berufsverkehr oder bei Veranstaltungen optimal auf die vorhandenen Transportkapazitäten verteilen und damit die Effizienz des gesamten Systems wesentlich steigern. Was wird für MaaS benötigt? Um ein neues Transport-Ökosystem zu etablieren, ist IT-Infrastruktur notwendig - etwa eine Open Mobility Cloud, die alle Marktteilnehmer zusammenbringt. Auf dieser zentralen Plattform erfolgt die Integration neuer MaaS-Angebote über offene Schnittstellen - Stichwort API-Economy. Neue Marktteilnehmer können hier mit innovativen Geschäftsmodellen teilnehmen und erleben durch die Open API-Economy keine wesentlichen Eintrittsbarrieren. Nutzerdaten zu Verkehrswegen und die Auslastung der Transportinfrastruktur bilden die Basis für immer wieder neue und individualisierte Angebote. Mit der Zeit entstehen so auf einer MaaS-Plattform immer mehr Dienste und die Attraktivität der Plattform steigt weiter. Dazu zählen neben den klassischen Angeboten für Mitfahrgelegenheiten, von Fahrdienstleistern und für Car-Sharing beispielsweise auch neue On-demand-Angebote für Minibusse. Ebenfalls wichtig für den Erfolg: Bestehende regulatorische Vorschriften müssen verändert werden, da diese auf ein vom Automobil dominiertes Stadtbild angepasst sind. Hier fehlen heute noch entsprechend modifizierte Regularien, die beispielsweise selbstfahrende Autos unterstützen. Individualisierte Services sichern den Erfolg Die Auswertung von persönlichen Reisegewohnheiten der Kunden erlaubt es den Marktteilnehmern, hoch individualisierte Angebote zu erstellen und gleichzeitig die Komplexität eines multimodalen Transportsystems zu verbergen. Für den Erfolg ist es außerdem entscheidend, dass Nutzer die Angebote sehr einfach über ihre Smartphones oder Webbrowser abrufen können. Dazu zählt auch, den Kunden ein Preismodell in Form einer Pauschale anzubieten, ähnlich einer Monatskarte für heutige S-Bahnfahrten. Bild 2: Eine MaaS- Plattform sollte eine Vielzahl von Dienste unterstützen, wie Mitfahrgelegenheiten, Fahrdienstleister, Car-Sharing oder auch neue Ondemand-Angebote für Busse. © Comtrade 72 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Kommunikation Anwender digitaler Serviceplattformen sind es zudem gewohnt, dass die angebotenen Dienstleistungen persönlich auf sie abgestimmt werden. Dies wird heute schon realisiert bei Online-Serien- und Filmplattformen, bei Social Media-Diensten und Suchmaschinen. Mit der Migration von Mobilität ins digitale Zeitalter sind die Erwartungen an die digitalen Mobilitätsdienstleistungen vergleichbar mit den Plattformdiensten anderer Online-Anbieter. Daher müssen sich die Teilnehmer an einer MaaS-Plattform um einen hohen Grad an Individualisierung und Anpassbarkeit bemühen. Chatbots übernehmen die Beratung Immer mehr Unternehmen setzen für die Kundenberatung sowie für Service und Support auf Chatbots. Über einen Webbrowser oder eine Messaging-Plattform auf dem Smartphone interagieren Anwender mit den Chatsystemen und erhalten Antworten auf ihre Fragen. Der Eindruck von Intelligenz der Chatbots kommt durch die semantische Analyse der Benutzereingaben zustande. Mögliche Lösungen und Antworten für das jeweilige Fachgebiet werden in Dialogen hinterlegt, die den Nutzer ähnlich wie ein Service-Mitarbeiter durch ein Beratungsgespräch führen. Erkennt ein Chatbot beispielsweise, dass der Nutzer ein Tarifsystem im öffentlichen Nahverkehr nicht versteht, fragt er typische Probleme ab, die sich in Verkaufsgesprächen mit anderen Kunden ergeben haben. Im Dialog geht der Bot dann weitere Fragen durch, grenzt das Problem ein und liefert zuvor hinterlegte Antworten. Wird ein Chatbot innerhalb einer MaaS-Plattform eingesetzt, ist der Gesprächspartner des Bots bekannt. Somit können weitere Kontextinformationen aus dem Anwenderprofil verwendet werden, wie zum Beispiel bevorzugte Transport- oder Zahlungsmittel oder ein möglicher VIP- oder Vielfahrerstatus. Auch ist es möglich, die Standortinformation eines Smartphones auszuwerten, sodass der Weg zur nächsten Servicestelle mit einem menschlichen Berater angezeigt wird. Im Fall automatisierter Verkehrskonzepte werden Chatbots zum universellen Mobilitätsberater. Diese Systeme helfen dem Kunden rund um die Uhr dabei, transportmittelübergreifend die schnellste Route oder die kostengünstigste Alternative aufzuzeigen. Dies alles in Form eines Chats in natürlichsprachlicher Form, also ohne Spezialkommandos und ohne umständliche Eingabemasken. Big Data-Analysen sorgen für mehr Intelligenz IT-Systeme für Big Data und Predictive Analytics werden in künftigen MaaS-Ökosystemen eine wichtige Rolle spielen. Nach Schätzungen von Comtrade Digital Services könnten sich damit bis zu 80- % aller Reisen vorhersagen und so durch das System planen lassen. Für den Anwender ergeben sich kürzere Transportzeiten und verringerte Wartezeiten in Staus oder beim Umsteigen. Städte könnten Verkehrsströme besser steuern und blockierte Straßen vermeiden, während Autovermieter und Car-Sharing-Dienste ihren Fuhrpark optimal einsetzen. Bild 3: Mobility-as-a- Service wird den Massentransport weiter stärken und dem Endkunden durch Predictive Analytics optimale Verkehrswege vorschlagen. © Deutsche Bahn AG THEMA Urbane Kommunikation 73 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES Bis zur Haustüre fahren Eine der größten Herausforderungen von MaaS bleibt jedoch die erste und die letzte Meile. Der individuelle Transport bis vor die Haustür erfolgt häufig noch durch ein Taxi, den eigenen PKW, ein Fahrrad oder ganz klassisch zu Fuß. Künftige Lösungen könnten elektrische Roller wie E-Scooter oder Fahrräder zur Miete umfassen, aber es sind auch autonome Micro-Cars für ein bis zwei Personen denkbar, die nur den Transport vom Bahnhof bis zur Haus- oder Bürotür übernehmen. Neue Geschäftsmodelle entwickeln Wie die vielfältigen Anforderungen künftiger Transportkonzepte zeigen, sind neue Geschäftsmodelle dringend notwendig. Besonders für Startup-Unternehmen bieten sich hier vielfältige Chancen, mit frischen Ideen Kunden zu überzeugen und etablierte Marktteilnehmer zu mehr Innovationen zu bewegen. Um neue Ideen zu diskutieren, veranstaltete Comtrade Digital Services im Juni 2017 in Berlin einen Business Hackathon für neue MaaS-Geschäftsmodelle. Auf dem Event entwickelten internationale und interdisziplinäre Teams neue Vorschläge für ein digitales und vernetztes Ökosystem für alle Mobilitätsanbieter. Eine der Ideen ist die Internet-Plattform Move4- Less, die verfügbare Mobilitätsanbieter wie Sammeltaxis, öffentliche Verkehrsmittel bis hin zum Fahrradverleih mit Datenanalysen verbindet. Für den Nutzer ergibt sich eine nahtlos ineinander übergreifende Mobilitätserfahrung und Ticketabrechnung. Ergänzt wird dies von einer datengesteuerten Anzeigenplattform, über die Unternehmen zielgruppengenau und basierend auf dem Zielort des Reisenden individuelle Werbung ausspielen können. Ein weiteres Ergebnis ist das Konzept für PackShare. Mit diesem Geschäftsmodell könnten die Herausforderungen rund um die Auslieferung von immer mehr Paketen und Waren in Stadtgebieten adressiert werden. Hierfür würde PackShare eigene Logistik-Hubs außerhalb der Stadtgrenzen betreiben, während intelligente und elektrisch betriebene Transporter mit optimierten Routen die Pakete innerhalb der Stadt ausliefern. Auf dem ersten Platz der entwickelten Ideen ist MoveYa gelandet: Bei dieser Idee können Nutzer ihre persönlichen Anforderungen und Präferenzen bei der Verwendung von Transportmitteln definieren. Über eine MaaS-Plattform lassen sich die verfügbaren Transportoptionen filtern und die Reiseplanung erfolgt anbieterübergreifend auf Basis der individuellen Wünsche. So entsteht ein hoch individualisierter Mobilitäts-Service, wie er auch innerhalb dieses Beitrags diskutiert wird. Ausblick Zu den größten Herausforderungen bei neuen Mobilitätslösungen zählt die Transformation von einer fahrzeugzentrierten Betrachtung hin zu einem Modell, bei dem der Endanwender im Mittelpunkt steht. Ein erfolgreiches MaaS-Konzept muss daher Predictive Analytics und Big Data einsetzen, um personalisierte Dienste automatisiert zu realisieren. Außerdem sind neue Arten der Interaktion mit dem Kunden notwendig, um beispielsweise mit Chatbots auch die jüngere Generation anzusprechen. Die Bundesregierung von Deutschland unterstützt die Entwicklung übergreifender Mobilitätskonzepte. So forderte Verkehrsminister Alexander Dobrindt Anfang 2017 deutschlandweite Mobilitätsplattformen, die überregional Fahrgastinformationen verknüpfen. „Wir müssen die Digitalisierung und die Vernetzung in diesem Bereich voranbringen“, so die zentrale Aussage. Neue Geschäftsmodelle innerhalb des Ökosystems sollten daher einen Digital-first-Ansatz wählen und dem Kunden von Anmeldung über Reservierung bis zum Bezahlen eine digitale Prozesskette bieten. MaaS wird damit zu einer stärkeren Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln führen, während individuelle Lösungen dabei helfen, die letzte Meile zu überbrücken. Elektrisch betriebene Transportmittel, darunter auch autonome Fahrzeuge, dürften künftig zu einem festen Bestandteil urbaner Mobilität werden und damit helfen, Lärm und Feinstaubbelastung zu reduzieren und die Lebensqualität in der Stadt zu steigern. Bild 4: Die Verbreitung von Smartphones führt dazu, dass Kunden ständig in Kontakt mit ihrer Mobilitätsplattform stehen. So wird MaaS zu einer täglich genutzten Lösung rund um den persönlichen Transport. © Comtrade AUTOR Marko Javornik Vice President und General Manager Mobility & Travel Comtrade Digital Services Kontakt: marko.javornik@comtrade.com 74 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Kommunikation Deutsch-Kolumbianische Kooperation zu urbaner Mobilität Bessere Kommunikation für bessere urbane Mobilität - Bericht aus dem Projekt MoviCi Smart Mobility, Öffentlicher Verkehr, Ride-Selling, Kolumbien Mirko Goletz, Mathias Höhne Die Digitalisierung eröffnet der urbanen Kommunikation und damit den Konzepten für eine intelligente urbane Mobilität völlig neue Wege. In Kolumbien ist die Dynamik besonders rasant. Wie im Zeitraffer entsteht hier eine Vielzahl neuer Verkehrsdienstleistungen. Deutsche Wissenschaftler des Expertennetzwerks MoviCi [1] führen im Rahmen der internationalen BMBF-Kampagne „Shaping the Future - Building the City of Tomorrow“ in Kolumbien eine Reihe von Vernetzungsworkshops durch, um voneinander zu lernen und gemeinsam Lösungen der urbanen Kommunikation und Mobilität zu entwickeln. Medellín. © pixabay THEMA Urbane Kommunikation 75 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES Wie und wie rasch wir uns in Städten fortbewegen können, hängt unter anderem von der Kommunikation zwischen den Akteuren im urbanen Raum ab. Neue Mobilitätskonzepte haben das Potenzial, die Lebensqualität in Städten zu erhöhen. Zurzeit schränken Wartezeiten an Haltestellen und Bahnhöfen, Staus, Unfälle und Parkplatznot unsere urbane Mobilität immer weiter ein. Deutsche Mobilitätsforscher schauen mit Interesse auf die Entwicklungen im Mobilitätsmarkt in Kolumbien, von dem wir wertvolle Erkenntnisse gewinnen können. Wir haben dazu das deutsch-kolumbianische Expertennetzwerk MoviCi (Movilidad urbana en ciudades intelligentes (Urbane Mobilität in der Smart City) gegründet, in dem sich die deutschen und kolumbianischen Wissensgemeinschaften auf dem Feld der urbanen Mobilität bei der Entwicklung von Zukunftslösungen in ihren Erfahrungen, ihrem Know-how und den Technologien bei der Digitalisierung des urbanen Verkehrs austauschen und ergänzen. Vielfältige und dynamische Mobilität durch informelle Verkehrsanbieter Kolumbien hat im Gegensatz zu Deutschland deutlich mehr Erfahrung mit dezentral organisierten Verkehrsanbietern. Bis vor 25 Jahren gab es in dem lateinamerikanischen Land nur wenige öffentliche Verkehrsmittel, überwiegend waren es alte Busse, die mit gemächlichem Tempo unterwegs waren. Heute bestimmt mit Schnellbussen (BRT), Metro und Straßenbahn, Seilbahnen, Bici-taxis (Fahrradrikschas), Leihfahrrädern und öffentlichen wie privaten Taxis eine bunte Mischung von formellen und informellen Anbietern und Verkehrsmitteln das Straßenbild. Für deutsche Verkehrsforscher ist das sehr interessant, weil uns diese praktische Erfahrung im Umgang mit vielen Akteuren aufgrund unseres stärker regulierten Verkehrssystems fehlt. Dies umso mehr, da auch in Deutschland die Digitalisierung unzählige Möglichkeiten eröffnet. So ist in den letzten Jahren besonders in den Städten die Heterogenität der Verkehrsanbieter stark angestiegen. Der Blick nach Kolumbien kann also wertvolle Erkenntnisse liefern, wie sich eine größere Vielfalt öffentlicher Verkehrsanbieter auswirkt und integrieren lässt. Allein das vielfältige Angebot an Verkehrsdienstleistungen in Kolumbien ist aus deutscher Sicht beeindruckend. Durch weniger strikte Regulierungen entwickelt sich der Verkehrssektor viel differenzierter und dynamischer als bei uns. Wie im Zeitraffer können wir in einer Art Reallabor zusehen, wie sich formelle und informelle Angebote den Markt aufteilen. In Medellín, der zweitgrößten Stadt Kolumbiens, gehören Seilbahnen, Bikesharing und Bici-taxis zum alltäglichen Verkehrsgeschehen dazu, ebenso wie der US-amerikanische Ride-Selling-Anbieter UBER. In Deutschland spielen Ride-Selling-Anbieter bislang ja nur eine untergeordnete Rolle, Seilbahnen sind im urbanen Verkehr bislang kaum bekannt und Bici-taxis, zu denen wir gleich kommen, eher etwas für Touristen als für den Alltagsverkehr. First&Last Mile zwischen Haustür und Haltestelle im Visier der deutschen Forscher An vielen Haltestellen des TransMilenio BRT-Systems [2] in Bogotá stehen die Bici-taxis bereit, um die letzte Strecke zum Arbeitsplatz oder nach Hause zurückzulegen. Dieses beliebte Mobilitätsangebot ist informell, d.h. wird privatwirtschaftlich und in der Regel ohne Lizenz erbracht. Es ist für die deutschen Verkehrsforscher besonders interessant, da hiermit ein Problem angegangen wird, das auch in Deutschland existiert: Die Überbrückung des Zu- und Abgangsweges zum Öffentlichen Verkehr: Denn die erste und die letzte Meile zwischen Haus-, bzw. Bürotür und Bus- oder Bahnhaltestelle bergen ein hohes Potenzial, um Zeit einzusparen und damit die Attraktivität des öffentlichen Verkehrs zu verbessern. Dies liegt darin begründet, dass die Wege von und zur Haltestelle unverhältnismäßig viel Reisezeit in Anspruch nehmen im Vergleich zur eigentlichen Fahrtzeit mit dem Bus oder der Bahn. Digitale Tools für Verkehrsmodellierung und -management machen Städte lebenswerter Wie in jeder echten Partnerschaft profitieren natürlich beide Seiten von der internationalen Zusammenarbeit. So haben deutsche Wissenschaftler des Netzwerks MoviCi digitale Werkzeuge entwickelt, die ihren kolumbianischen Partnern helfen können, das rasant gestiegene Verkehrsaufkommen in Kolumbien besser modellieren und managen zu können. Tatsächlich hat sich das Verkehrsaufkommen in den letzten zehn Jahren in kolumbianischen Städten verdoppelt. Inzwischen leben 36- Mio. der insgesamt 47- Mio. Kolumbianer in Städten, das sind über 75- % der Gesamtbevölkerung, Tendenz steigend. Ein weiteres Problem ist die zunehmende Ausdehnung der Städte, die dazu führt, dass die Wege aus den Vororten zum Arbeitsplatz im Stadtzentrum immer länger werden. Für kolumbianische Arbeitnehmer ist es nicht ungewöhnlich, zwei bis drei Stunden am Tag für den Arbeitsweg aufzubringen. 76 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Kommunikation Die unterschiedlichen Expertisen der Netzwerkpartner erlauben es, die Stadt als großes Ganzes zu betrachten und die digitalen Tools zu identifizieren, die benötigt werden, um die Stadt trotz steigender Mobilitätsraten und Distanzen zum Stadtinneren lebenswerter zu machen. Fehlplanungen durch vorherige Simulation vermeiden Zur besseren Verkehrsplanung haben die deutschen Wissenschaftler des DLR eine Open Source Software für die Verkehrssimulation entwickelt, kurz „SUMO“ (Simulation of Urban Mobility) [3]. Diese nutzen auch akademische Partner in Kolumbien, etwa die Universität Nacional in Medellín mit dem Projekt MOYCOT [4]. Sie passen sie an die örtlichen Gegebenheiten kolumbianischer Städte an und erweitern sie. Die Software simuliert den Verkehrsfluss in einer Stadt zu einer bestimmten Uhrzeit. Bevor in einer Stadt zum Beispiel eine neue Umgehungsstraße gebaut wird oder eine Stadtautobahn verbreitert wird, können Verkehrsplaner mit der Software simulieren, wie die veränderte Infrastruktur den Verkehr in der Stadt beeinflussen wird. So lassen sich Fehlplanungen vermeiden, Zeit und Ressourcen einsparen und das Verkehrsmanagement auf Faktengrundlage verlässlich optimieren - das ist für kolumbianische Städte mit ihrer starken Urbanisierungsrate und dem rasant steigenden Verkehrsaufkommen ein bedeutender Gewinn. Mobilität geht alle an Bei der Entwicklung von Zukunftsstrategien für eine intelligente urbane Mobilität und der Einführung neuer Technologien gilt es zunächst, eine grundlegende Herausforderung zu meistern: den transdisziplinären Dialog und die Zusammenarbeit vieler Akteure. In Deutschland gibt es eine lange Tradition, bei gesellschaftlichen Problemlösungen wie der urbanen Mobilität mit allen beteiligten Akteuren aus Wissenschaft, Industrie sowie Kommunen und Verkehrsanbietern gemeinsam und transdisziplinär Lösungen zu erarbeiten. Um diese besondere Form der Vernetzung und Zusammenarbeit auch seinen kolumbianischen Partnern nahe zu bringen, veranstaltet das Netzwerk MoviCi im Rahmen der BMBF-Kampagne in Kolumbien verschiedene Vernetzungs-Workshops und andere Events. In einer Reihe von Veranstaltungen sprechen die Experten des Netzwerks die verschiedenen Akteure der Mobilitätswirtschaft an, zu denen Entscheidungsträger aus Industrie, Kommunen und Verkehrsunternehmen sowie der Wissenschaft zählen. Bereits im März 2017 war das Netzwerk mit seinen Projekten auf der internationalen Fachmesse Andinatraffic [5] in Bogotá vertreten. Als nächstes auf dem Programm steht am 30. November 2017 ein Workshop in Calí, gemeinsam mit dem kommunalen Verkehrsunternehmen Metro- Calí. Dieser richtet sich an Verkehrsunternehmen und Kommunen mit dem Ziel, die Herausforderungen des Mobilitätswandels für den öffentlichen Verkehr zu beleuchten. Im nächsten Jahr findet dann vom 18 - 20. April 2018 ein wissenschaftliches Symposium in Medellín unter dem Titel SmartMobility statt. Mehr Infos zu allen Veranstaltungen sowie die Möglichkeit, sich zu diesen anzumelden, finden sich auf der Website des Projektes [1]. Bild 1: Die Verkehrssimulation SUMO, die inzwischen auch Fahrradverkehr simulieren kann. Sie wird auch in Kolumbien eingesetzt, so im Projekt MOYCOT in Medellín. © DLR THEMA Urbane Kommunikation 77 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES BMBF-Kampagne „Shaping the Future - Building the City of Tomorrow“ Das Projekt MoviCi wird im Rahmen der internationalen BMBF-Kampagne „Shaping the Future - Building the City of Tomorrow“ gefördert. Die Kampagne bietet zehn ausgezeichneten Forschungsnetzwerken aus Deutschland eine Plattform, ihre Projekte für nachhaltige Stadtentwicklung im Ausland zu präsentieren und sich weltweit mit starken Partnern zu vernetzen. Schwerpunktländer der Aktivitäten sind China, Indien, Vietnam, Kolumbien und die USA. QUELLEN: [1] Projekt-Website von movici, mit Informationen zum Netzwerk und anstehenden Events in Kolumbien: http: / / www.movici.co [2] Transmilenio: http: / / www.transmilenio.gov.co/ [3] Website von SUMO: http: / / sumo.dlr.de [4] Proyecto Modelamiento y Control de Tráfico Urbano en la ciudad de Medellín (MOYCOT) http: / / gaunal. unalmed.edu.co/ moycot/ principal/ [5] Webautritt der ITS-Fachmesse Andinatraffic: http: / / at.sofexamericas.com/ AUTOREN Mirko Goletz Wissenschaftlicher Mitarbeiter DLR Institut für Verkehrsforschung Abteilung Mobilität und Urbane Entwicklung Kontakt: mirko.goletz@dlr.de Mathias Höhne Geschäftsfeldentwicklung DLR Institut für Verkehrssystemtechnik Abteilung Verkehrsmanagement Kontakt: mathias.hoehne@dlr.de Digitalisierung versus Lebensqualität Big Data | Green Digital Charter | Kritische Infrastrukturen | Privatheit | Sharing-Systeme 1 · 2016 Was macht Städte smart? URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN g Mit veränderten Bedingungen leben Hochwasserschutz und Hitzevorsorge | Gewässer in der Stadt | Gründach als urbane Klimaanlage |Baubotanik 1 · 2017 Stadtklima URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Lebensmittel und Naturelement Daseinsvorsorge | Hochwasserschutz | Smarte Infrastrukturen | Regenwassermanagement 2 · 2016 Wasser in der Stadt URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Verbrauchen · Sparen · Erzeugen · Verteilen Energiewende = Wärmewende | Speicher | Geothermie | Tarifmodelle | Flexible Netze | Elektromobilität 2 · 2017 2 · 2017 Stadt und Energie URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Erlebnisraum - oder Ort zum Anbau von Obst und Gemüse Urban Farming | Dach- und Fassadenbegrünung | Grüne Gleise | Parkgewässer im Klimawandel 3 · 2016 Urbanes Grün URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Die Lebensadern der Stadt - t für die Zukunft? Rohrnetze: von Bestandserhaltung bis Digitalisierung | Funktionen von Bahnhöfen | Kritische Infrastrukturen 4 · 2016 Städtische Infrastrukturen URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Das Fachmagazin Transforming Cities informiert Fach- und Führungskräfte viermal jährlich branchenübergreifend über Hintergründe, Entwicklungen und Perspektiven der Veränderungen in urbanen Regionen und ihren Einzugsgebieten. Es greift die Herausforderungen auf, denen sich Gestalter, Verwalter und Erhalter im urbanen Kontext zunehmend gegenüber sehen und vertieft diese Themen mit Beiträgen anerkannter Experten aus Wissenschaft und Praxis. Anspruch des Magazins ist die ganzheitliche Analyse und Aufbereitung von Kernfaktoren zur aktiven Gestaltung der Stadt von morgen. Es wendet sich an die Entscheider in Verwaltungen und Stadtwerken, an Planungs- und Konstruktionsbüros, Hochschulen und Institute sowie Unternehmen. Jetzt: Transforming Cities ein Jahr lang zum halben Preis lesen, als Printausgabe oder ePaper, anschließend zum Normalpreis: www.transforming-cities.de/ starterabo/ Den urbanen Wandel gestalten Technisch-wissenschaftliche Beiträge zur Transformation von Städten TRIALOG PUBLISHERS VERLAGSGESELLSCHAF T | SCHLIFFKOPFSTR ASSE 22 | 72270 BAIERSBRONN-BUHLBACH | TELEFON: (0) 7449 91386-36 | FA X: (0) 7449 91386-37 Eigenanzeige.indd 1 14.08.2017 17: 13: 15 In Zusammenarbeit mit Dipl. Biol., M.Sc. Ulrike Wolpers, science stories. Links: www.research-in-germany.org/ shaping-the-future https: / / www.facebook.com/ Research.in.Germany/ https: / / twitter.com/ researchgermany 78 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Kommunikation Digitale Tools für urbane Mobilität in China The German Traffic and Environment-Monitoring-System (TEMsys) goes to China (GIP2China) TEMsys, umweltgerechter Verkehr, Umwelt- und Verkehrsmonitoring, urbane Mobilität Alexander Sohr, Xiaoxu Bei Noch neun Monate touren Alexander Sohr und seine Kollegen vom Expertennetzwerk „GIP2CHINA“ im Rahmen der internationalen BMBF-Kampagne „Shaping the Future - Building the City of Tomorrow“ durch mehrere Millionenstädte unterschiedlicher Provinzen Chinas und stellen Stadtplanern und Entscheidungsträgern aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft ihr Innovationspaket für ein effektives und umweltgerechtes Verkehrsmanagement vor. Sie knüpfen dabei an die ermutigende Erfolgsstory der chinesischen Metropole Huainan an, die ihre Verkehrs- und Umweltprobleme mit Innovationen „made in Germany“ bewältigte. Bild 1: Peking: Trotz gut ausgebauter Infrastruktur entstehen täglich große Staus. © DLR THEMA Urbane Kommunikation 79 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES Chinesische Stadtplaner und Verkehrsmanager profitieren doppelt Verkehrsmanagementzentralen gehören heute auch in China zu den alltäglichen Einrichtungen der Verkehrspolizei. Neu und auch im europäischen Raum wenig verbreitet sind die verschiedenen Bausteine des Innovationspakets TEMsys, die alle zusammenwirken und zu einem nachhaltigen Verkehrssystem und mehr Umweltschutz beitragen. Damit wird Stadtplanern und Verkehrsmanagern in chinesischen Millionenmetropolen ein maßgefertigter Werkzeugkoffer angeboten, mit dem wachsende Umwelt- und Verkehrsprobleme bewältigt werden können. Denn Tag für Tag nimmt der motorisierte Verkehr in den Städten zu und belastet die Luft mit immer mehr Schadstoffen und Treibhausgasen. Schon jetzt legen Millionen neuer Fahrzeuge in den Stadtgebieten den Berufsverkehr lahm, verschmutzen die Luft und überfüllen die Parkplätze. Diese spiegeln den hohen Lebensstandard der Bevölkerung wider, der sich in Folge des rasanten Wirtschaftswachstums erheblich gesteigert hat. In China gibt es allein 100 sogenannte „2.- Reihe- Städte“ mit über fünf Mio. Einwohnern, die extrem schnell wachsen und einen großen Bedarf an umweltgerechtem Verkehr haben. In der „3. Reihe“ stellt sich ein ähnliches Bild dar: Hier warten zirka 200- Städte mit ähnlicher Größe wie Huainan (2,3- Mio. Einwohner) auf nachhaltige Lösungen für den Verkehr, nicht zuletzt weil der Druck der Regierung und der internationalen Staatengemeinschaft zunimmt. Die innovativen Bausteine des Traffic and Environment Monitoring Systems (TEMsys) Das Innovationspaket TEMsys (Bild 3) umfasst verschiedene Bausteine und ermöglicht der Verkehrspolizei und den Stadtplanern in China erstmals ein verbessertes umweltfreundliches und sicheres Verkehrsmanagement in Echtzeit. Anschaulich zeigen farbige Grafiken online an, welche Straßen aktuell überlastet sind, in welchen Hochrisikobereichen mit Unfällen zu rechnen ist und wo der aktuelle Verkehr wie viele Schadstoffe ausstößt. In einem nächsten Schritt können die Verkehrsmanager Gegenmaßnahmen planen. Wie diese sich tatsächlich auf den aktuellen Gesamtverkehr in der Stadt auswirken würden, können sie direkt von der Verkehrsmanagementzentrale aus mit Hilfe des Tools zur Simulation der urbanen Mobilität (SUMO) überprüfen. Das Besondere an diesem Innovationspaket ist die Art und Weise, wie die vielschichtigen Ströme von Echtzeitinformationen zur aktuellen Verkehrs- und Umweltsituation erschlossen, gebündelt, ausgewertet und anschaulich und benutzerfreundlich mit passenden Handlungsempfehlungen aufbereitet werden. Wie TEMsys funktioniert Die Online-Informationsplattform in den Verkehrszentralen empfängt rund um die Uhr in Echtzeit Informationen über den aktuellen Verkehrs- und Umweltzustand in der Stadt. Diese Informationen stammen von unterschiedlichen statischen Detektoren im Stadtgebiet. Eingesetzt werden zum Beispiel Videodetektoren und klassische Schleifendetektoren, die in Kreuzungsnähe verbaut sind. Sie erfassen das Verkehrsaufkommen nur an einem Punkt, aber dafür „fahrzeugfein“. Diese statischen Detektoren werden kombiniert mit dynamischen Erfassungsmethoden der sogenannten „Floating Car Daten“. Das sind entsprechend ausgestattete Fahrzeuge, die im Verkehr mitschwimmen. Sie liefern ihre Position ständig an die Zentrale und repräsentieren den Verkehr, der sie umgibt. Bild 2: Floating Car Daten-System im Einsatz in der Verkehrsmanagementzentrale der Stadt Hefei, China. © DLR Bild 3: Innovationspaket TEMsys ( Traffic and Environment Monitoring System). © DLR 80 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Kommunikation Mikroskopische Verkehrserfassung sagt Unfälle voraus Das vom DLR entwickelte Kreuzungsmonitoring schaut noch feiner auf den Verkehr und kann vorhersagen, wo sich die Fahrzeuge in den nächsten Millisekunden befinden werden. Dadurch kann das System auch Beinahe-Unfälle vorhersagen und Gefahrenzonen an Kreuzungen identifizieren, die Menschenleben gefährden und den Verkehr zum Erliegen bringen können. All diese Daten fließen im Online-Informationstool TEMPo zusammen und weisen auf farbigen Karten die Hotspots aus, an denen der Verkehr nicht funktioniert oder wo besonders viele schädliche Abgase in die Luft gelangen. Für die Polizei vor Ort in den Millionenstädten ist es eine große Verbesserung, akute Hotspots in Echtzeit auf einen Blick erkennen und im nächsten Schritt entschärfen zu können. Gefahrenpotenziale entschärfen - aber wie? Überlastungen und Gefahrenpotenzialen im Stadtverkehr lässt sich mit einer optimierten Signalschaltung oder mit infrastrukturellen Veränderungen begegnen. Der Verkehrsfluss an Ampeln kann zum Beispiel durch veränderte Ampelphasen und spezielle Links-Abbiegerampeln verbessert werden. Die Mobilität lässt sich aber auch durch ein Fahrverbot - zum Beispiel im Bereich der Innenstadt - nachsteuern oder durch eine Einschränkung des Verkehrs etwa in Maut-Bereichen. All diese Maßnahmen können die Verantwortlichen in den Verkehrsmanagementzentralen der Städte im Vorhinein mit der Software SUMO (Simulation for Urban Mobility) testen. SUMO bildet den echten Verkehr mikroskopisch, also fahrzeugfein, ab, sagt das Verkehrsaufkommen voraus und erlaubt es, geplante Maßnahmen zu bewerten. Planer können zum Beispiel im Voraus überprüfen, wie sich die Sperrung bestimmter Straßen oder die Einrichtung von verkehrsberuhigten Innenstadtbereichen auf den Verkehr und die Umwelt auswirken würden. Virtuelles Stauspiel bringt Aha-Erlebnis Interessierten wird auf den DLR-Roadshows eine Art „Virtuelles Stauspiel“ angeboten, das aus dem echten SUMO-Tool ausgekoppelt wurde. Dabei kann jeder selbst versuchen, ein hohes Verkehrsaufkommen in einer Millionenstadt zu managen und Ampelschaltungen von Hand zu steuern. Das ist für die Spieler immer ein echtes Aha-Erlebnis, denn in Kürze entstehen überall noch mehr Staus. Es überrascht die meisten zu erleben, wie wichtig, aber auch wie schwierig es ist, den Verkehrsfluss zu steuern. Das Spiel sensibilisiert dafür, wie komplex so eine Stausituation ist. Denn es ist äußerst anspruchsvoll, hohes Verkehrsaufkommen koordiniert über die ganze Stadt zu managen. Bild 4: Die Daten der Floating Cars erlauben es, die Verkehrslage in Berlin in Echtzeit abzubilden. © DLR Nächste Etappen der Roadshow Im Oktober ist eine weitere Roadshow in Chengdu und in den Städten in der Sichuan-Provinz geplant. Bereits im Vorfeld haben Verantwortliche für das Verkehrsmanagement eines Distrikts der 15-Millionen-Metropole Chengdu Interesse an dem Innovationspaket gezeigt. Dort gibt es bereits ein fortschrittliches Verkehrsmanagement, aber die Umweltdaten waren noch nicht im Blickfeld. In diesem Fall kann das Angebot ganz gezielt an die besonderen Ansprüche und Bedürfnisse in dieser Stadt angepasst werden. Die DLR-Experten und das Technologiepaket sind vom 24. bis 31. Oktober 2017 auf der „The 12th EU - China Business and Technology Cooperation Fair“ in Chendu, China. BMBF-Kampagne „Shaping the Future - Building the City of Tomorrow“ Das Projekt GIP2China wird im Rahmen der internationalen BMBF-Kampagne „Shaping the Future - Building the City of Tomorrow“ gefördert. Die Kampagne bietet zehn exzellenten Forschungsnetzwerken aus Deutschland eine Plattform, ihre innovativen Projekte für nachhaltige Stadtentwicklung im Ausland zu präsentieren und sich weltweit mit starken Partnern zu vernetzen. Schwerpunktländer der Aktivitäten sind China, Indien, Vietnam, Kolumbien und die USA. In Zusammenarbeit mit Dipl. Biol., M.Sc. Ulrike Wolpers, science stories. Links: Shaping the Future - Building the City of Tomorrow: https: / / www.research-in-germany.org/ shaping-the-future.html Netzwerk GIP2CHINA: https: / / www.research-in-germany.org/ shaping-the-future/ research-networks/ giptwochina.html https: / / www.facebook.com/ Research.in.Germany/ https: / / twitter.com/ researchgermany Simulation der urbanen Mobilität (SUMO): http: / / sumo.dlr.de Alexander Sohr Leiter des Netzwerks GIP2CHINA Projektleiter von METRASYS (Mobility for Megacities) Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. in der Helmholtz-Gemeinschaft Institut für Verkehrssystemtechnik Kontakt: alexander.sohr@dlr.de Xiaoxu Bei Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) Institut für Verkehrssystemtechnik Kontakt: xiaoxu.bei@dlr.de AUTOREN Ausgabe verpasst? Digitalisierung versus Lebensqualität Big Data | Green Digital Charter | Kritische Infrastrukturen | Privatheit | Sharing-Systeme 1 · 2016 Was macht Städte smart? URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Mit veränderten Bedingungen leben Hochwasserschutz und Hitzevorsorge | Gewässer in der Stadt | Gründach als urbane Klimaanlage |Baubotanik 1 · 2017 Stadtklima URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Lebensmittel und Naturelement Daseinsvorsorge | Hochwasserschutz | Smarte Infrastrukturen | Regenwassermanagement 2 · 2016 Wasser in der Stadt URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Verbrauchen · Sparen · Erzeugen · Verteilen Energiewende = Wärmewende | Speicher | Geothermie | Tarifmodelle | Flexible Netze | Elektromobilität 2 · 2017 2 · 2017 Stadt und Energie ISSN 2366 7281 g URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Erlebnisraum - oder Ort zum Anbau von Obst und Gemüse Urban Farming | Dach- und Fassadenbegrünung | Grüne Gleise | Parkgewässer im Klimawandel 3 · 2016 Urbanes Grün URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Die Lebensadern der Stadt - t für die Zukunft? Rohrnetze: von Bestandserhaltung bis Digitalisierung | Funktionen von Bahnhöfen | Kritische Infrastrukturen 4 · 2016 Städtische Infrastrukturen URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Transforming Cities 2|2017 Stadt und Energie - Verbrauchen, Sparen, Erzeugen, Verteilen  Energiewende - Wärmewende  Speicher  Geothermie  Tarifmodelle  Flexible Netze  Elektromobilität Transforming Cities 1|2017 Stadtklima - Mit veränderten Bedingungen leben  Hochwasserschutz und Hitzevorsorge  Gewässer in der Stadt  Gründach als urbane Klimaanlage  Baubotanik Transforming Cities 4|2016 Lebensadern der Stadt - Unterirdische und oberirdische Strukturen  Straßenraum - Lebensraum  Kritische Infrastrukturen  Rohrnetze zur Ver- und Entsorgung  Unterirdische Verkehrsbauwerke Transforming Cities 3|2016 Urbanes Grün - Erlebnisraum oder Ort zum Obst- und Gemüse-Anbau  Urban Farming  Dach- und Fassadenbegrünung  Grüne Gleise  Parkgewässer im Klimawandel Transforming Cities 2|2016 Wasser in der Stadt - Lebensmittel und Naturelement  Daseinsvorsorge  Hochwasserschutz  Smarte Infrastrukturen  Regenwassermanagement Transforming Cities 1|2016 Was macht Städte smart? - Digitalisierung versus Lebensqualität  Begrifflichkeiten, Herausforderungen und Chancen  Digitale Werkzeuge für Städte  Schutz kritischer Infrastrukturen  Automatisierung bei Ver- und Entsorgung http: / / www.transforming-cities.de/ einzelheft-bestellen/ Einzelheft bestellen: 82 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Fachliteratur Bei der Vielzahl der Bücher, die in den letzten Jahren zum Thema Energiewende veröffentlicht wurden, ist das über 300 Seiten umfassende Werk von Tobias Haas eine wohltuende Ausnahme. Schon der Titel der Arbeit lässt ahnen, dass es dem Autor um deutlich mehr geht, als um die x-te Darstellung des Nutzens oder Schadens der Energiewende. In ausführlicher Weise wird eine politökonomische Analyse der Energiewende in drei untersuchten Fällen (EU, Deutschland und Spanien) vorgelegt. Dabei gelingt es dem Autor, das Feld der Auseinandersetzungen um die Veränderungen des Energiesystems unter Einbeziehung historischer Ereignisse und Entwicklungen analytisch sehr präzise darzustellen. Die politische Ökonomie der Energiewende, das wird bereits nach Lektüre der zehnseitigen Einleitung klar, deckt ein komplexes Gefüge verschiedener Interessen aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft auf, welches in Deutschland, Spanien und der EU die Dynamiken des Wandels in Richtung einer dezentralen und auf erneuerbaren Energien basierenden Energieversorgung massiv entschleunigt hat. Die Arbeit des Autors basiert auf einer Reihe wissenschaftlicher Voruntersuchungen und 62-Interviews, die er bei verschiedenen Institutionen, Verbänden, Unternehmen, NGOs, Parteien und Einzelpersonen geführt hat. Kenntnisreich und mit einem akribischen Forschungsdrang zeigt Tobias Haas auf, wie sich (seit den 2000er Jahren in Deutschland und Spanien) im fossil-nuklearen Energiesystem zunächst eine „umkämpfte Entwicklung hin zu einem regenerativen Stromsystem“ vollzogen hat. Dabei muss er allerdings konstatieren, dass sowohl in der EU als auch in Deutschland und Spanien eine „Einbremsung“ des Wandels stattfindet. Nicht zuletzt durch die Novellierungen des EEG seit 2012 habe der Gesetzgeber in Deutschland die Ausbaudynamiken der erneuerbaren Energien deutlich reduziert und schrittweise an den Interessen der etablierten Stromerzeugungswirtschaft ausgerichtet. Vor allem mit der Einführung von Ausschreibungs- und Direktvermarktungspflichten habe das EEG das Aktionsfeld von bürgerschaftlich getragener Energiewende massiv begrenzt; obwohl es vornehmlich ihr Verdienst gewesen sei, dass die erneuerbaren Energien im deutschen Stromsektor einen Anteil von derzeit über 30 Prozent erreichen konnten. Der Autor identifiziert aus einer politökonomischen Perspektive weitere Ursachen und Begründungszusammenhänge für die eindämmende Wirkung auf die Bürgerenergiewende. Im Wesentlichen seien die Finanz- und Wirtschaftskrisen seit 2007 in Verbindung mit ihren austeritätspolitischen Bewältigungsstrate- Die politische Ökonomie der Energiewende Deutschland und Spanien im Kontext multipler Krisendynamiken in Europa, Rezension von Kurt Berlo und Oliver Wagner (beide Wuppertal Institut) zum Buch von Tobias Haas © Springer Studium: Volkwirtschaftslehre (Diplom) und Politikwissenschaft (BA) an der Freien Universität Berlin und Universität Kopenhagen (Erasmus) Wissenschaftliche Hilfskraft: an der TU Dresden Akademischer Mitarbeiter: an der Eberhard Karls- Universität Tübingen von 2012 - 2017 Promotion zum Dr. rer. soc. im Jahr 2016 Ab Herbst 2017: Projekt zur politischen Ökonomie der E-Mobilität an der FU Berlin Arbeitsgebiete: Klima-, Energie- und Verkehrpolitik, Internationale Politische Ökonomie, EU © Tobias Haas TOBIAS HAAS 83 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Fachliteratur gien vor allem in Spanien dafür verantwortlich, dass die in Gang gesetzten Dynamiken des Wandels „ausgebremst“ und damit ein rascher Umstieg hin zu einer klimaschutzmotivierten dezentralen Energieversorgung verhindert wurden. Er verweist hier auch auf das wirkungsvolle Agieren gegen die Energiewende, das von einflussreichen industriellen, politischen und gesellschaftlichen Akteursgruppen in den beiden betrachteten Nationalstaaten betrieben wurde. Dennoch sieht der Autor, der sich bereits seit vielen Jahren mit vergleichenden Politikszenarien beschäftigt, noch Chancen, die Entwicklungspfade der Energiewende mithilfe neuer Eigentums- und Partizipationsformen weiterhin in eine dezentrale und demokratische Richtung zu lenken. Dies bedürfe künftig aber einer stärkeren Interessendurchsetzung, die von NGOs und Bürgerenergie-Akteuren ausgehen müsse. Dabei werde derzeit eine Forcierung der Energiewende eher und vor allem durch einen Ausstieg aus der Atomkraft und der Kohleenergie vorangetrieben. Gleichzeitig sieht er auf der „europäischen Maßstabsebene“ die Gefahr, dass in „Verbindung mit drohenden Desintegrationsprozessen (Brexit, Grexit etc.)“ die Dynamiken des Wandels beim nachhaltigen Umbau der Energiesysteme eher weiter geschwächt würden. Tobias Hass resümiert, dass das Projekt „Energiewende“ nur gelingen könne, wenn es zu einer wirklichen und grundlegenden Transformation der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse komme. Eine politisch intendierte, auf weitgehenden Konsens basierende und auf technische Veränderung begrenzte Transition, welche vor allem auf Veränderungen bei den dominanten Akteuren der Energiewirtschaft setze, reiche nicht aus, um die Ziele der Energiewende umzusetzen. Bei seiner vergleichenden Untersuchung verwendet Haas den methodischen Ansatz miteinander konkurrierender Hegemonieprojekte sowie die analytische Methode der vergleichenden Politischen Ökonomie. Dabei unterteilt er in einem Rückgriff auf die Forschungsmethoden von Antonio Gramsci die energiepolitischen Auseinandersetzungen in der umkämpften „Arena der Energiewende“ in ein graues und ein grünes Hegemonieprojekt. Aus seiner Sicht besteht das graue Hegemonieprojekt aus dem herrschenden Energiesystem mit seinen verfestigten Konzernstrukturen und Machtregimen. Demgegenüber sieht er im grünen Hegemonieprojekt die alternativen Akteurskonstellationen angesiedelt, die den Wandel einer fossil-nuklearen Energieversorgung hin zu erneuerbaren Energien forcieren. Auf diese Weise zeigt uns Tobias Haas differenzierte Einblicke in die deutsche, spanische und in die EU-Energiepolitik (mit den dazugehörigen und im Hintergrund agierenden einflussreichen Verbänden, mächtigen Lobbygruppen, ökonomischen Konzerninteressen usw.), was bislang nicht oft derart ausführlich und konsequent aus politökonomischer Perspektive vorgenommen worden ist. Zudem schließt Haas mit seinem politökonomischen Untersuchungsansatz eine Lücke in der Transitionsforschung, wie dies von Frank Geels, einem der exponiertesten Vertreter der Multi-Level-Perspektive, eingefordert wurde. Fazit: Selten werden in einer Forschungsarbeit zum Thema Energiewende (die Tobias Haas im Rahmen einer Dissertation als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Tübingen abgeschlossen hat) die Zusammenhänge zwischen den politökonomischen Kontextbedingungen und den energiepolitischen Auseinandersetzungen derart vielschichtig analysiert und die Untersuchungsergebnisse so fachkundig und versiert aufgefächert. Unseres Erachtens hätte er bei seinem Untersuchungsdesign die Bedeutung der örtlichen Ebene für die Umsetzung der Energiewende und damit den bestehenden Gestaltungsspielraum von Kommunen sowie kommunalen Akteuren wie Stadtwerken stärker berücksichtigen können. Gleichwohl ist das Buch für jeden Wissenschaftler, energiewirtschaftlichen Akteur und für an Energiepolitik interessierte Studierende rückhaltlos zu empfehlen. Dr.-Ing. Kurt Berlo Projektleiter Wuppertal Institut Kontakt: kurt.berlo@wupperinst.org Dipl.-Soz.Wiss. Oliver Wagner Wuppertal Institut Kontakt: oliver.wagner@wupperinst.org AUTOREN 84 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Forschung + Lehre Ein praxisnahes Studium findet heute nicht mehr ohne Laptop, Tablet und Smartphone statt - weder auf Seiten der Studierenden noch auf Seiten der Lehrenden. Auch wenn es Tafel und Overhead-Projektor noch in vielen Räumen gibt, beschäftigen sich Lehrende und Lernende der Hochschule Koblenz mit der Frage, wie sich Lehre und Lernen im Zeitalter der Digitalisierung weiterentwickeln. Im Rahmen einer Projektphase im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften sind fünf Marketing-Studierende dieser Frage nachgegangen. Dazu wurden Schülerinnen und Schüler, Studierende, Lehrende sowie Expertinnen und Experten im Bereich E-Learning befragt, welche Erwartungen, Möglichkeiten und Hindernisse die Digitalisierungsstrategien an Hochschulen beeinflussen. Im Rahmen der Studie loben E-Learning-Experten die Potenziale des digitalen Lehrens und Lernens, die sie besonders in einer Steigerung der Medienkompetenz, der Berücksichtigung von individuellen Lernfortschritten und der Nutzung von zeitlicher und örtlicher Ungebundenheit verdeutlichen. Digitale Elemente, gemeint sind dabei unter anderem Videos, Podcasts oder Chats, sind heute bereits in den meisten Lehrveranstaltungen vorhanden und lösen immer häufiger das klassische Lehrbuch ab. Nicht nur für die sogenannte Generation Z, junge Menschen, die mit Smartphone, sozialen Medien und ständigem Internet- und In- Online oder Offline? Lehre und Lernen im Zeitalter der Digitalisierung Ein praxisnahes Studium findet heute nicht mehr ohne Laptop, Tablet und Smartphone statt - weder auf Seiten der Studierenden noch auf Seiten der Lehrenden. Auch wenn es Tafel und Overhead-Projektor noch in vielen Räumen gibt, beschäftigen sich Lehrende und Lernende der Hochschule Koblenz mit der Frage, wie sich Lehre und Lernen im Zeitalter der Digitalisierung weiterentwickeln. Im Rahmen einer Projektphase im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften sind fünf Marketing-Studierende dieser Frage nachgegangen. Die beteiligten Studierenden von links: Henrietta Rieken, Natalie Raczkowiak, Sabrina Heinrichs, Stefan Hoffmann, Jennifer Derichs. © Hochschule Koblenz 85 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Forschung + Lehre formationszugang aufgewachsen sind, ist dies der richtige Weg. Auch für spezielle Zielgruppen, wie alleinerziehende oder berufstätige Studierende, Fernstudierende oder Studierende mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen, können digitale Lernangebote helfen, Zeit und Raum zu überwinden und somit ein Studium überhaupt erst möglich machen. Doch die Digitalisierung stößt auch an Grenzen. Technische Voraussetzungen sowie didaktische und methodische Kenntnisse der Lehrenden sind unterschiedlich ausgeprägt und rechtliche Rahmenbedingungen oftmals unklar. „Es gibt nicht die eine Antwort, wie man Lehre und Lernen digitalisieren sollte, vielmehr erscheint eine intelligente Verzahnung von Online- und Offline-Stärken als vorteilhaft“, fasst der betreuende Dozent Andreas Hesse die Ergebnisse des Projektes zusammen. In einer Bestandsaufnahme wurden verschiedene Hochschulen hinsichtlich ihres Digitalisierungsgrades verglichen. Dabei kristallisierte sich auch für die Hochschule Koblenz Optimierungsbedarf heraus. Doch was erwarten die zukünftigen Studierenden von einer Hochschule? Einer Umfrage an mehreren Koblenzer Gymnasien und Schulen im ländlichen Raum zufolge, betrachten sich die 18 bis 19-Jährigen als visuelle Lerntypen. Für sie zählen WhatsApp und Snapchat zu den wichtigsten Kommunikationsmitteln. Kostenlose Online- Videos und -Tutorials werden zur Lernunterstützung gerne genutzt und das Internet ist ständiger Begleiter auch bei der Vorbereitung von Klassenarbeiten. Die Jugendlichen zeigen sich betont offen gegenüber elektronischen Unterlagen, Klausuren und Vorlesungen im Live-Stream. Auch bei den aktuell Studierenden dienen virtuelle Informationsmedien als ergänzendes Lernmaterial. Ganz konkret wünschen sich die Studierenden Formate, die digitale Angebote und Präsenzveranstaltungen mischen, wobei die Präsenzformate deutlich überwiegen sollen. Nur fünf Prozent der befragten Schüler und Studierenden fordern ein überwiegend oder gänzlich digitales Angebot. Doch welche Chancen und Hürden sehen Lehrkräfte in der Digitalisierung? Letztlich verantworten und entscheiden die Professorinnen und Professoren, welche Lehrformate sie einsetzen. An den drei Standorten der Hochschule Koblenz wurden daher 53 Lehrkräfte im Bereich Wirtschaft befragt. Die Befragung macht deutlich, dass onlinegestütztes Lernen im Bereich der Kompetenzvermittlung an Grenzen stößt. So lassen sich wichtige Formate wie Gruppenarbeiten besser in Präsenzveranstaltungen umsetzen und auch Unsicherheiten bezüglich der technischen Umsetzbarkeit, des Vorbereitungsaufwandes und Urheberrechtsfragen stellen oftmals ein Hindernis dar. Die Hochschule Koblenz arbeitet beständig daran, die Präsenz- Studiengänge konsequent durch digitale Lern- und Lehrangebote zu ergänzen und sogenannte „ Blended Learning “ - A ngebote auszubauen. Ein E-Learning-Referat bündelt dabei die Expertise auf dem Gebiet der digitalen Lehre. Hier beraten acht Angestellte und zusätzliche Beauftragte in den Fachbereichen die Lehrenden an den drei Standorten der Hochschule zu E-Learning-relevanten Themen, bieten Schulungen an und unterstützen bei der Aufzeichnung und Veröffentlichung von Lehrveranstaltungen. Zu den Blended-Learning-Szenarien gehört auch die Erstellung von Animationen, interaktiven Applikationen, Quiz-Elementen oder spielerischen Lernmodulen. Ein weiterer Baustein der Digitalisierungsstrategie sind die „Open MINT Labs“, virtuelle Labore, die die Studierenden der MINT- Fächer durch Übungsaufgaben, interaktive Simulationen und Anwendungsbeispiele aus der Praxis auf die Arbeit im realen Labor vorbereiten. Und im Verbundprojekt „work&study“ der Hochschulen Koblenz, Worms, Bonn- Rhein-Sieg und htw saar werden für sogenannte nicht-traditionelle Zielgruppen wirtschaftswissenschaftliche Studienangebote entwickelt, die ihnen über zeitlich und räumlich flexible Lernstrukturen eine Teilhabe an der akademischen Bildung ermöglichen. OpenOLAT ist dabei das Learning Management System der Hochschule Koblenz, in dem alle Lehrenden Online-Module zu ihren Veranstaltungen erstellen, den Studierenden Materialien zur Verfügung stellen, Kurse verwalten, Tests abnehmen und sich mit Studierenden und anderen Lehrenden austauschen können. In seinen Projektergebnissen gibt das Team rund um Andreas Hesse Handlungsempfehlungen für eine standortübergreifende Digitalisierungsstrategie, die natürlich - ganz im Sinne der Digitalisierung - nicht mehr in Papierform, sondern als Webseite mit umfangreichen Videos, Infografiken und Präsentationen eingereicht wurde. Informationen zum E-Learning an der Hochschule Koblenz sind unter www.hs-koblenz.de/ e-learning abrufbar. Informationen zur Projektarbeit im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften gibt Andreas Hesse unter ahesse@hs-koblenz.de. Weitere Informationen: http: / / www.hs-koblenz.de 86 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Energie Mit der Energiewende ist dezentrale Steuerung derzeit das große Thema in der industriellen Automatisierung und Energiewirtschaft. Die Verlagerung der rechnergestützten Leittechnik hinaus aus der Zentrale auf die Feldebene oder in ein übergeordnetes Netzwerk macht den Betrieb flexibler, senkt die Kosten und steigert die Effizienz. Diese Vorteile liegen sowohl im Interesse der Stromkunden als auch der Anlagenbetreiber, nachdem auf dem Stromerzeugungsmarkt inzwischen eine deutlich größere Anzahl von Anlagen in direkter Konkurrenz zueinander steht. Dezentrale Anlagen, virtuelle Kraftwerke Intelligente Lösungen für die Stromerzeugung in Zeiten der Energiewende Für Anbieter auf dem Strommarkt, die im Zuge der Umstellung auf eine nachhaltige Energiewirtschaft wettbewerbsfähig bleiben müssen, sind größtmögliche Flexibilität und Effizienz maßgebliche Faktoren. Hierum kümmert sich Mitsubishi Electric mit intelligenter Elektro- und Automatisierungstechnik. Angeboten werden unter anderem skalierbare Prozessleitsysteme für die Optimierung von Stromerzeugungsanlagen unterschiedlicher Leistungsklassen und virtuelle Kraftwerke, die den Umstieg von herkömmlichen Stromerzeugungsquellen auf erneuerbare Energieträger unterstützen, sowie die Versorgungssicherheit und Stabilität der Netze gewährleisten. Bild 2: (unten links) PMSX®pro und PMSX®micro - dezentrale Prozessleitsysteme für Stromerzeugungsanlagen. © Mitsubishi Electric Europe B.V., Thinkstock, ME-Automation Projects GmbH Bild 3: (unten rechts) Virtuelle Kraftwerke für die neuen Herausforderungen der Energiewirtschaft. © Mitsubishi Electric Europe B.V. Bild 1: Mit intelligenter Elektro- und Automatisierungstechnik für die Energiewende. © Getty Images 87 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Energie Die Zukunft ist dezentral Dezentrale Prozessleitsysteme auf der Basis von PMSX ® pro und PMSX ® micro für große und kleine Stromerzeugungsanlagen PMSX ® pro ist Mitsubishi Electrics Prozessleitsystem für Industrieanlagen und Kraftwerke und erfüllt hohe Ansprüche bei Verfügbarkeit, Wirtschaftlichkeit, Erweiterbarkeit und Flexibilität. Es zeichnet sich durch hohe Vereinheitlichung von Leittechnik und anderen Ressourcen, Systemen und Anwendungen im Netzwerk aus. Dabei richtet sich die Topologie der Leittechnik nach der verfahrenstechnischen Struktur des Prozesses: Durch eine horizontale Gliederung der Anlage in Funktionseinheiten mit leittechnischer Zuordnung sind Aktualisierungen und Änderungen jederzeit problemlos möglich - bei unvermindert effizienter Erzeugungs- und Leistungsregelung. Das Steuerungs- und Visualisierungssystem PMSX ® micro basiert auf der größeren Leitsystemversion „pro“, ist jedoch speziell auf kleinere Einrichtungen wie etwa nachhaltige Energieerzeugungsanlagen zugeschnitten. Die Ein-Rechner-Lösung bietet ähnliche leittechnische Funktionen wie für Großanlagen sowie übersichtliche Bedienanzeigen für den Parameterzustand von Aggregaten und Alarmmeldungen. Der Anlagenzustand wird mit Hilfe von Prozessbildern dargestellt, die jederzeit eine vollständige Übersicht über den Status der Anlage erlauben. Virtuelle Kraftwerke Reaktion auf die neuen Herausforderungen der Energiewirtschaft Aufgrund des europäischen Vorstoßes zum Klimaschutz steht die Branche vor der Aufgabe, den Anteil der erneuerbaren Energieträger am Gesamtmix deutlich zu erhöhen. Hieraus ergibt sich für Energieerzeuger, Anlagenbetreiber und Großverbraucher die Notwendigkeit zur Integration einer größeren Anzahl unterschiedlicher Netzeinspeiser, die so koordiniert werden müssen, dass sie sich wie ein einheitliches „virtuelles“ Kraftwerk (Virtual Power Plant, VPP) verhalten. Mitsubishi Electric bietet hierfür eine ganzheitliche VPP- Lösung an, die durch Kombination hochzuverlässiger Software und Hardwarekomponenten des Unternehmens für höchste Effizienz, Zuverlässigkeit und Automatisierung des Gesamtsystems sorgt. Dabei wird jede Anlage für individuelle Bedürfnisse, aber unabhängig von der konkreten Teilnehmerart und -anzahl entwickelt. Das virtuelle Kraftwerk koordiniert intelligent alle Arten von Energieerzeugern vom konventionellen Kraftwerk bis zu erneuerbaren Energieträgern wie Erdwärme, Wind, Solarenergie, Wasserkraft und Biomasse. Mittelspannung Technologie für Energieversorgungsanlagen bis 24 kV Energiesysteme sollen unmittelbar kompatibel zu den betrieb- Bild 4: Die Mittelspannungsschaltgeräte der Serie MS-EBG von Mitsubishi Electric für Systeme zur Verteilung von elektrischer Energie bis 24 kV. © Mitsubishi Electric Europe B.V., Thinkstock Mitsubishi Electric Europe B.V. Mitsubishi-Electric-Platz 1 40882 Ratingen pr@meg.mee.com www.mitsubishielectric.com lichen Gegebenheiten der Anlage und in hohem Maße austauschbar sein. Darüber hinaus soll im Interesse der Bestandsoptimierung die Anzahl der Austauschteile im Sofortzugriff auf ein Minimum reduziert werden, allerdings ohne ein Risiko für verlängerte Ausfallzeiten im Reparaturfall. Mit den Mittelspannungsschaltgeräten der Serie MS-EBG von Mitsubishi Electric lassen sich die genannten Anforderungen perfekt erfüllen. Sie sind erhältlich für Nennspannungen von 3,3- V bis 24 kV bei Nennströmen der Stromschiene von 630 A bis 4000 A. Außerdem erfüllen Sie alle relevanten IEC-Normvorgaben und eignen sich gleichermaßen für Kraftwerksanlagen und kleinere Einrichtungen der Stromerzeugung. Weitere Informationen: https: / / de3a.mitsubishielectric. com/ a/ de/ solutions 88 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Mobilität Impressum Transforming Cities erscheint im 2. Jahrgang Herausgeber Eberhard Buhl, M.A. Verlag Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl | Christine Ziegler Schliffkopfstr. 22, D-72270 Baiersbronn-Buhlbach Tel. +49 7449 91386.36 · Fax +49 7449 91386.37 office@trialog.de · www.trialog.de Redaktionsleitung Dipl.-Ing. arch. Christine Ziegler VDI (verantwortlich) Tel: +49 7449 91386.43 Fax: +49 7449 91386.37 christine.ziegler@transforming-cities.de Anzeigen Tel. +49 7449 91386.46 Fax +49 7449 91386.37 anzeigen@trialog.de Gültige Anzeigenpreisliste Nr. 2 vom 01.01.2017 Vertrieb und Abonnentenservice Tel. +49 7449 91386.39 Fax +49 7449 91386.37 vertrieb@trialog.de Erscheinungsweise Viermal im Jahr Bezugsbedingungen Die Bestellung des Abonnements gilt zunächst für die Dauer des vereinbarten Zeitraumes (Vertragsdauer). Eine Kündigung des Abonnementvertrages ist zum Ende des Berechnungszeitraumes schriftlich möglich. Erfolgt die Kündigung nicht rechtzeitig, verlängert sich der Vertrag und kann dann zum Ende des neuen Berechnungszeitraumes schriftlich gekündigt werden. Bei Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages, bei Arbeitskampf oder in Fällen höherer Gewalt besteht kein Entschädigungsanspruch. Zustellmängel sind dem Verlag unverzüglich zu melden. Es ist untersagt, die Inhalte digital zu vervielfältigen oder an Dritte weiterzugeben, sofern nicht ausdrücklich vereinbart. Bezugsgebühren JahresAbo Print: gedruckte Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 120,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 11,90, Ausland EUR 25,-) JahresAbo ePaper: elektronische Web-Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 120,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), ohne Versandkosten JahresAbo Plus (Print + ePaper): als gedruckte Ausgabe + elektronische Web-Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 160,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 11,90 , Ausland EUR 25,-) StudiAbo ePaper: elektronische Web-Ausgabe. Reduzierter Jahresbezugspreis von EUR 80,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.). Eine aktuelle Studienbescheinigung ist Voraussetzung. Einzelheft Print: gedruckte Ausgabe zum Einzelbezugspreis von EUR 35,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 3,-, Ausland EUR 6,50) Einzelausgabe ePaper: elektronische Web- Ausgabe zum Einzelbezugspreis von EUR 35,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), ohne Versandkosten Campus- und Firmenlizenzen auf Anfrage Organ | Medienpartnerschaft VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld Druck Grafik und Druck GmbH Peter Pöllinger, München Herstellung Trialog, Baiersbronn-Buhlbach, www.trialog.de Titelbild © ClipDealer Copyright Vervielfältigungen durch Druck und Schrift sowie auf elektronischem Wege, auch auszugsweise, sind verboten und bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Abbildungen übernimmt der Verlag keine Haftung. Eine Publikation der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Baiersbronn-Buhlbach ISSN 2366-7281 (print) www.trialog.de/ agb Der Jenaer IT-Dienstleister meisterte in der Softwareentwicklung in Frontend und Backend mehrere Meilensteine, wie die Anbindung des komplexen C-Tarifs der Deutschen Bahn, die Umsetzung des Tarifsystems von Meridian, BOB und BRB, sowie die Einrichtung der Bezahlwege PayPal und Kreditkarte für den Ticketkauf. Einzelfahrkarten, Tagestickets (Guten Tag-Ticket, Bayern-Ticket, Oberlandticket, BOB-MVV-Ticket etc.), nahezu alle MVV- und AVV- Tickets und Nahverkehrstickets wurden realisiert und in App und Webshop verfügbar gemacht. Monats- und Wochentickets oder die Streifenkarte des MVV sind ebenso integriert worden. Als besonderen Service hat die TAF eine Push-Funktion „Verspätungsalarm“ für die App eingerichtet. Für die Fahrplanauskunft wird direkt auf das System „DEFAS“ der Bayerischen Eisenbahngesellschaft mbH zugegriffen. Über die DE- FAS-Anbindung (Durchgängiges Elektronisches Fahrgastinformations- und Anschlusssicherungs- System) können alle Nah- und Fernverkehrszüge in Bayern in Echtzeit beauskunftet werden. „Mit unserer mobilen App, die wir in allererster Linie für Fahrgäste geschaffen haben, die mit uns, also mit Meridian, BOB und BRB unterwegs sind, ist ein Meilenstein geschafft“, freut sich Dr. Bernd Rosenbusch, Vorsitzender der Geschäftsführung der Bayerischen Oberlandbahn GmbH und der Bayerischen Regiobahn GmbH. „Wir können mit der App noch schneller und zielorientierter informieren und Fahrgäste haben mit dieser einen App alles in der Hand, was sie für ihre täglichen Fahrten mit uns brauchen.“ „Wir freuen uns über die Markteinführung der neuen App und des neuen Webshops ‚Meridian BOB BRB‘. Damit haben die Verkehrsunternehmen einen wichtigen Schritt in der Digitalisierung im Personennahverkehr umgesetzt und die Möglichkeit des Ticketkaufes für die Fahrgäste in Bayern, in Deutschland und in Teilen Österreichs (Kufstein/ Salzburg) über moderne Vertriebswege geschaffen“, betont Jörg Wagner, Geschäftsführer der TAF mobile GmbH. Die App „Meridian BOB BRB - Info & Tickets“ ist gratis im Google Play Store und im App Store (iOS) für Fahrgäste mit den vielen Features erhältlich. Der Webshop ist über den Link https: / / tickets.meridian-bob-brb.de erreichbar. Er bietet neben der Möglichkeit zum Kauf von Tickets auch eine Übersicht über die gekauften Tickets. Mit dem mobilen Ticket bequem reisen. © TAF Mobile TAF mobile GmbH Intershop Tower · Leutragraben 1 07743 Jena www.tafmobile.de App und Online-Shop für Meridian, BOB und BRB Mit Anbindung C-Tarif, Verspätungsalarm, PayPal und Kreditkarte Die TAF mobile GmbH hat im Auftrag der Bayerischen Oberlandbahn GmbH (Meridian und BOB) und der Bayerischen Regiobahn GmbH (BRB) für die Fahrplanauskünfte und den Ticketkauf die neue innovative App „Meridian BOB BRB - Info & Tickets“ und den modernen Online-Shop (https: / / tickets.meridian-bob-brb.de) entwickelt. Sicherheit im Stadtraum Am 4. Dezember 2017 erscheint die nächste Ausgabe von Transforming Cities mit dem Themenschwerpunkt  Versorgungssicherheit  IT-Security  Schutz und Überwachung Kritischer Infrastrukturen  Effiziente Beleuchtungstechnik  Sichere Verkehrsbauwerke und Straßenräume  Sauberkeit + gefühlte Sicherheit  Resilienz ISSN 2366-7281 Transforming Cities 3·2017