Transforming cities
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Energie, Wasser und Mobilität für urbane Regionen Mieterstrom | Solarkataster | Wärmewende | Regenwassermanagement | Abwasserbehandlung | Mobility as a Service 2 · 2018 Versorgung von Städten URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN SEKTORKOPPLUNG, POWER-TO-X, GESICHERTE VERSORGUNG, DEZENTRALITÄT UND FLEXIBILITÄTEN BIG DATA ANALYTICS, BLOCKCHAIN, DIGITALE INFRASTRUKTUR UND SMARTE ANWENDUNGEN INNOVATIVE GESCHÄFTSFELDER UND KOOPERATIONEN FÜR KMU, E-MOBILITÄT UND SMART CITIES 13. - 14. Juni 2018 STATION-Berlin www.bdew-kongress.de Hauptsponsor BDEW KONGRESS 2018 Dr. Gerhard Holtmeier GASAG Dr. Joachim Kolling BMW Group Lex Hartman TenneT TSO Christian Meyer-Hammerström Osterholzer Stadtwerke Peter Altmaier BMWi Dr. Rolf Martin Schmitz RWE Dr. Egon Westphal Bayernwerk Dr. Johannes Teyssen E.ON Dr. Susanna Zapreva enercity - Stadtwerke Hannover Dr. Marie-Luise Wolff ENTEGA Svenja Schulze BMU Matthias Taft BayWa 1 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, Städte befinden sich definitiv im Wandel. Ängste, Skepsis und das Bestreben, die „guten, alten Zeiten“ gerne bewahren zu wollen, halten die Verstädterung, also den massenhaften Zuzug der Menschen vom Land in die Ballungszentren dieser Welt, nicht auf. Das belegt die Statistik: Bereits heute leben weltweit mehr als die Hälfte aller Menschen in Städten. Um das Jahr 1900 waren es erst rund zehn Prozent. Vor allem die Metropolen in Schwellen- und Entwicklungsländern sind Ziele einer gewaltigen Landflucht. Doch auch in den Industrienationen besitzen Großstädte eine enorme Anziehungskraft, bieten sie doch mehr Chancen auf einen guten Job sowie bessere Lebensbedingungen - mit mehr Qualität und Vielfalt bei Bildung, Gesundheitsversorgung und kulturellen Angeboten. Bis zum Jahr 2050 soll die Weltbevölkerung nach vorsichtiger Schätzung der Vereinten Nationen insgesamt auf mindestens 9,6 Milliarden anwachsen. Der Anteil der Stadtbewohner soll dann bis zu drei Viertel davon betragen - also über sieben Milliarden. Kaum vorstellbar: In nur drei Jahrzehnten leben dann doppelt so viele Menschen wie heute in München oder in London, in Shanghai, Tokio oder in Dehli. Schon jetzt verbrauchen Städte den größten Teil der genutzten Energie und der verfügbaren Rohstoffe. Verschmutzte Luft, Lärm, Müllberge und Wohnraummangel sind längst Realität in den meisten Metropolen der Welt. Die Verkehrssituation in vielen Innenstädten, aber auch Einzugsgebieten, stößt an die Grenzen der Belastbarkeit. Und die reinen Zahlen machen deutlich, dass die eigentlichen Herausforderungen erst noch bevorstehen, wenn die Entwicklung einfach so weiter geht. Kernfragen sind also: Kann die Versorgung von Städten und ihren Bewohnern mit Nahrungsmitteln und Wasser, Energie und Wohnflächen, mit Bildung und Mobilität innerhalb relativ kurzer Zeit überhaupt auf das Doppelte hochgefahren werden? Lässt sich der CO 2 -Ausstoß bei solchem Wachstum trotzdem irgendwie unter die jetzigen Werte drücken? Innerhalb der bestehenden Strukturen und mit altbewährten Mitteln wird dies sicher nicht gelingen. Deshalb ist Umdenken notwendig. Neue Ideen sind gefragt - zum Systemwechsel in der Energieversorgung und bei der Mobilität, zum nachhaltigen Umgang mit Ressourcen und Flächen, aber auch für das Zusammenleben und die gemeinsame Organisation des Wandels. Dank digitaler Technologien ist heute schon Vieles möglich. Forscher und Praktiker arbeiten bereits an etlichen erfolgversprechenden Lösungen. Einige davon stellen wir hier im aktuellen Heft vor. Lesen Sie selbst. Ihre Christine Ziegler Redaktionsleitung „Transforming Cities“ Versorgung von Städten Energie, Wasser und Mobilität für urbane Regionen 2 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES INHALT 2 · 2018 Seite 17 Seite 22 Seite 26 © Phoenix Contact © IZES gGmbH © Güteschutz Kanalbau FORUM Interview 4 Urbane Mobilität Ralf Frisch, Solution Director MaaS - Mobility as a Service bei der PTV Group, Karlsruhe, im Interview Veranstaltungen 7 Städte haben Schlüsselrolle beim Klimaschutz Resilient Cities Congress des Städtenetzwerks ICLEI in Bonn PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation 8 Kommunikation bei Katastrophen und in Krisen verbessern Projekt AlphaKomm: Austausch und Zusammenarbeit im Ernstfall Michael Hahne, Marie Bartels Mobilität 12 Flexibler und bedarfsgerechter Nahverkehr Start des Live-Betriebs im „Reallabor Schorndorf“ Energie 14 Mieterstrom macht Quartiere smart Intelligente Energieversorgung vernetzt Gebäude, Anlagen, Sektoren und verbessert so die Lebensqualität Florian Henle 17 Erfolgreich durch stetige Innovation Das Melderelais und seine Geschichte Torsten Linnemann, Volker Knack 20 Energiespeicher- Lösungen für Chinas wachsende Metropolen Valerie Daldrup, Tobias Janoschka 22 Autarke, regenerativ betriebene Ladeinfrastruktur Projekt OptiCharge: optimiertes, speichergestütztes Laden von Elektrofahrzeugen Stephan Schulte, Bodo Groß Infrastruktur 26 Hessische Gesetzgeber setzen weiter auf Qualifikation RAL-Gütesicherung Kanalbau in EKVO bis 2025 festgeschrieben 28 Betriebshöfe - jeder bewirtschaftet Regenwasser auf seine Art Wie erfüllen kommunale und private Verkehrsbetriebe das Wasserhaushaltsgesetz? Klaus W. König 32 Neue Wege in der Regenwasserbewirtschaftung Moderne und leistungsstarke Kunststoffhohlkörperrigole statt Regenwassermulde Andreas Amft 34 Rigole für Industrie und Innenstadt Regenwasser-Retention ist Pflicht, auch wenn oberirdisch die Fläche fehlt Barbara Sahler 3 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES INHALT 2 · 2018 Seite 28 Seite 38 © König Seite 56 © Ursula Eicker © Grüning/ Hilbrands THEMA Versorgung von Städten 38 Wassersensible Zukunftsstädte Überflutungsrisiken und Konzepte zur klimasensitiven Stadtentwicklung Helmut Grüning, Eske Hilbrands 44 Sicheres und unfallfreies Arbeiten in verfahrenstechnischen Anlagen der Abwasserbehandung Lars Schnieder, Tim-Colin Uhde 48 Energiegewinnung aus Abwasser Erfahrungen in der Nutzung einer innovativen Wärmequelle im Emschergebiet Adrian Treis, Emanuel Grün, Michael Becker 53 Potenzial Digitalisierung Denkansätze für die kommunale Wasserwirtschaft Ronald Schmidt-Vollus, Florian Goppelt, Thomas Hieninger 56 Urbane Simulation - ein deutscher Ansatz für New York Bottom-Up-Methode zur urbanen Gebäudesimulation in Brooklyn Ursula Eicker, Verena Weiler, Sally Köhler, Ursula Pietzsch 62 Landesweites Solar- Kataster für Hessen Martina Klärle, Ute Langendörfer 66 Energielandschaften - ein Blick in die Glaskugel Wie Gleichstrom das Orts- und Landschaftsbild verändern könnte Sandra Sieber 72 Energieversorgung in der Stadt der Zukunft Darum scheitern dezentrale Lösungen in Mietimmobilien Antje-Mareike Dietrich, Dennis Ebeling 78 Strom und Wärme gemeinsam denken Städte helfen, erneuerbare Energien zu integrieren Philipp Riegebauer, Thomas Spiegel 82 Klimafreundliche Wohnbauten mit Gleichstrom Bewertung exemplarischer Lösungen für die elektrische Versorgung von zukünftigen Siedlungen Gonca Gürses-Tran, Christian Haag 85 Niedertemperatur- Wandtemperierung Minimalinvasiver Baustein für die Wärmewende Christoph Schmidt, Bodo Groß FOKUS Fachliteratur 88 Die Zukunft unseres Wassers in öffentlicher Hand Globale Erfahrungen mit Rekommunalisierung 88 Impressum 4 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Wo stoßen die Verkehrskonzepte, wie wir sie bisher kennen, an ihre Grenzen? Die Beobachtung, die wir machen ist, dass Menschen immer mobiler werden. Ein bemerkenswertes Phänomen ist, dass die Mobilität mittlerweile alle Altersgruppen durchzieht. Während früher mit steigendem Alter der Bewegungsradius deutlich abnahm, sind heutzutage vor allem ältere Generationen umtriebig und erkunden die Welt. Das ist zum einen dem gestiegenen Wohlstand, der allgemeinen Gesundheit, aber vor allem auch der Einfachheit des Reisens geschuldet. Trotzdem gilt für viele nach wie vor: wenn du mobil sein willst, nimm das Auto. Durch die gestiegene Reisebereitschaft sind immer mehr Fahrzeuge auf unseren Straßen unterwegs, da ist es nicht verwunderlich, dass Großstädte und Ballungsräume wie das Ruhrgebiet vor einem Mobilitäts-Kollaps stehen. Wenn sich nichts nachhaltig ändert, wird der Straßenverkehr als logische Konsequenz in nur ein paar Jahren zusammenbrechen. Urbane Mobilität Städte als Anbieter multimodaler Verkehrssysteme zur Gewährleistung sozial und ökologisch nachhaltiger Mobilität Städte stehen weltweit vor großen Herausforderungen sozialer, politischer und wirtschaftlicher Natur. Ganz aktuell sind Verkehrsüberlastung und gesundheitsschädliche Emissionen von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren vielerorts im Fokus. Wie Verkehrssysteme ganz neu gedacht werden müssen, um ein funktionierendes und umweltverträgliches Mobilitätsangebot zu schaffen, erörtert Ralf Frisch, Solution Director MaaS - Mobility as a Service bei der PTV Group, Karlsruhe, im Interview. Eine Möglichkeit, dem entgegenzuwirken, ist, den Öffentlichen Personennahverkehr attraktiver zu gestalten. Wenn das Angebot so überzeugend ist, dass Pendler, Reisende und Co. für ihre Wege lieber den ÖV nutzen, als das Auto zu nehmen, dann haben wir nicht nur unseren Straßen etwas Gutes getan, sondern die komplette Grundhaltung der Menschen verändert. Wie wir das anstellen? Mit Innovation und Vernetzung. Welches sind die hauptsächlichen Treiber für Veränderungen? Veränderungen passieren immer dann, wenn eine Situation für den Nutzer unbefriedigend ist. Aus der Unzufriedenheit entstehen Ideen, die wiederum durch technologische Innovationen umgesetzt werden. Für uns im verkehrlichen Umfeld gab es drei Treiber: Treiber 1: Die „jungen Wilden“ wie Uber und Lyft haben den kompletten Markt umgestülpt. Sie haben erkannt, auf was ihre potenzielle Kundschaft gewartet hat: Flexibilität in der Fortbewegung, verknüpft mit der einfachen Nutzung eines Smartphones. Ohne gesetzliche Restriktionen haben sie ihre Vision in kürzester Zeit auf die Straße gebracht. Der kommerzielle Erfolg gibt ihnen Recht. Was das wiederrum für die Städte, den Verkehr, die traditionellen Angebote und die Umwelt bedeutet, ist eine andere Frage. Aber unterm Strich ist es ihnen zu verdanken, dass die Mobilitätswelt aufgerüttelt und Mobility as a Service salonfähig wurde. Treiber 2: Unsere bereits angesprochene gestiegene Mobilität ist ein Grundtreiber für das wechselnde Angebot. Taxen, wie sie bisher unterwegs sind, sind nicht mehr zeitgemäß und damit für den Kunden unattraktiv. Sie sind zu teuer, zu unflexibel, nicht kostentransparent und je nach Gebiet schwer zu kriegen. Treiber 3: Wir sind 24/ 7 überall auf der Welt vernetzt. Als Endverbraucher kann ich Informationen über verschiedene Endgeräte (Smartphone, Smartwatch, Tablet, etc.) jederzeit abrufen und teilen. Und ja, auch im Angebot tut sich was. Autonome Fahrzeuge erreichen spätestens mit der Einführung von 5G einen straßentauglichen Zustand. Auch hier ist vor allem die Vernetzung eine treibende und entscheidende Kraft. Wie werden digitale Technologien das Verkehrsgeschehen verändern? Ich würde gerne ein Beispiel aus dem letzten Jahrhundert anführen. Es gibt eine Aufnahme der 5th Avenue aus dem Jahr 1900 und 1913. Während 1900 ein Automobil in Mitten von zig Postkutschen zu se- Ralf Frisch Solution Director MaaS. © PT V Group 5 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview hen ist, ist es nur 13 Jahre später genau andersrum: In Mitten von hunderten Automobilen findet sich nur noch eine Postkutsche. Ich glaube, wir stehen heute an einem ähnlichen Punkt. Das Verkehrsgeschehen wird aktuell komplett neu erfunden. Ausgelöst durch die Faktoren, die ich bereits nannte, ist die Mobilität dabei, sich um 180-Grad zu drehen. Die Veränderungen passieren dabei immer schneller und schneller. Welchen Stellenwert haben große Datenmengen, die von städtischen Infrastrukturen erfasst werden (können)? Daten sind in unserer Zeit das digitale Gold. Für uns als Softwarefirma haben Daten einen sehr hohen Stellenwert. Je mehr Daten wir zur Verfügung haben, umso besser sind unsere Verkehrsmodelle, umso genauer können wir das Verkehrsgeschehen prognostizieren. In der Prognose liegt auch der Unterschied zu anderen Anbietern wie zum Beispiel Google, deren Verkehrslage alleine auf Daten beruht. Erst im Zusammenspiel mit einem Modell ist eine qualitativ hochwertige Prognose möglich und es können auch temporäre Netzeinschränkungen wie etwa eine Baustelle adäquat berücksichtigt werden. Wie sollten multimodale Verkehrssysteme für Städte konzipiert werden? Multimodale Konzepte werden ohne eine nachhaltige Verknüpfung mit dem vorhandenen ÖPNV einer Stadt nicht bestehen können. Das bedeutet aber vor allem für die etablierten Betreiber, dass sie ihr Angebot anpassen und ausbauen müssen. Wenn dies nicht schnell genug von statten geht, übernehmen den Job andere. Dabei ist es doch eine grandiose Chance für die Betreiber. Wenn sie beispielsweise ihre schienengebundenen Angebote clever mit ondemand Services ergänzen, werden sie vom Betreiber zum umfassenden Mobilitätsdienstleister und verzeichnen damit bestimmt sogar mehr (begeisterte) Fahrgäste. Aus meiner Sicht ist der Sharing- Ansatz Dreh- und Angelpunkt der neuen Mobilität. Er ist nicht nur Zeichen für eine neue Denkweise und Geisteshaltung, er wird auch ein wichtiger Bestandteil sein im Kampf für saubere Luft und Staueindämmung. Dazu gibt es bereits mehrere Studien. Die bekannteste: die Lissabon-Studie der OECD, „Organisation for Economic Co-operation and Development“. In der Untersuchung, an der die PTV Group als Mitglied des Corporate Partnership Boards mitwirkte, wurden die Auswirkungen, die die Einführung von Shared Mobility, MaaS und autonomen Fahrzeugen auf den traditionellen Verkehr zur Folge haben, prognostiziert. Das Ergebnis dieser und auch von Folgestudien ist im Ansatz immer das gleiche: Sharing und die Verknüpfung mit dem bestehenden ÖV ist der Schlüssel. Die Wichtigkeit und Bewertung solcher Ansätze ist für alle Beteiligten entscheidend: Städtische Verwaltungen, Verkehrsbetriebe sowie Flottenbetreiber und Automobilhersteller sind von dieser Entwicklung gleichermaßen betroffen. Ist die Sharing Economy - also etwas zu nutzen, statt es zu besitzen - aus Ihrer Sicht ein starker Trend oder doch nur zeitweiliger Hype? Die Umsetzung wird entscheiden, ob der Trend zur Gewohnheit wird oder als Übergangsphase in Vergessenheit gerät. Aktuell wird der Hype von allen kritisch beäugt. Eine vernünftige Einführung und ein funktionierender Betrieb werden ausschlaggebend sein, wenn es darum geht, die Fahrgäste von den neuen Angeboten zu überzeugen. Die Vorreiter kämpfen mit rechtlichen Restriktionen, die den Betrieb erschweren oder manchmal sogar ganz aufhalten. Ich glaube aber, dass es tatsächlich ein starker Trend ist und kein Hype. Aktuell möchte keine Stadt oder Region diese Bewegung verpassen und investiert daher in entsprechende Piloten. Es muss aber auch im Interesse des ÖV-Betreibers liegen, sich zum Mobilitätsdienstleister wandeln zu können. Die neuen Angebote werden, wenn sinnvoll aufeinander abgestimmt, zu mehr Fahrgästen bei reduzierten Kosten, bzw. zu mehr Fahrzeugauslastung führen. Das sollte im Sinne jedes ÖV-Betreibers liegen. Wird Individualverkehr in Städten künftig die Ausnahme sein? Ich hoffe ja. Aber das wird am Ende vom Angebot abhängen, das Städte und Verkehrsbetreiber umsetzen werden. Ist das Angebot so gut, dass ein Umdenken stattfindet, dann wird ein Paradigmenwechsel eingeläutet, der zur Folge hat, dass der IV zum großen Teil reduziert werden kann. Damit wird eigentlich klar: Der Kern des Mobilitätsgedankens muss sich nah am Nutzerverhalten/ -anspruch orientieren. Stichwort: Mobility as a Service. Wird das Mobilitätsangebot zunehmend von vielen verschiedenen Marktteilnehmern bestimmt werden? Verkehr ist ein Multi-Player Geschäft. Es gibt bereits viele Anbieter und es werden noch mehr hinzukommen. Der Schlüssel wird sein, dass diese Player in die aktive Kommunikation gehen und miteinander reden müssen. Um die Frage von vorhin aufzugreifen: Die Abstimmung zwischen den Anbietern wird ebenfalls darüber entscheiden, ob der Sharing- 6 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Ansatz ein Hype bleibt oder ein Trend wird. Ich gehe nicht davon aus, dass eine Stadt in der Regel nur einen Anbieter haben wird. Nehmen Sie Hamburg als Beispiel, hier soll die Mobility Platform nach dem Wiener Modell (Upstream) von der Hamburger Hochbahn betrieben werden, als Player waren unter anderem Moia, IOKI und Moovel im Gespräch. Letztendlich hat Moia den Zuschlag erhalten und darf nun sein Ride-Pooling-Konzept mit Elektro-Shuttles ab Anfang 2019 auf Hamburgs Straßen realisieren. 1 Wie groß könnte der Anteil autonomer Verkehrsmittel werden? Irgendwann einmal wird es nur noch autonome Fahrzeuge geben. Beweist sich die Technologie, und davon gehe ich aus, dann wird es über Kurz oder Lang für die Betreiber verpflichtend. Es gibt ein Zitat von Bundeskanzlerin Angela Merkel 2 : „Wir werden in 20 Jahren nur noch mit Sondererlaubnis selbstständig Auto fahren dürfen.“ Da der Autofahrer, also wir selbst, das größte Risiko auf unseren Straßen darstellt, ist dieser Gedanke gar nicht weit hergeholt. Wem gehören bei MaaS die „Produktionsmittel“, also Infrastruktur, Technik, usw. - wer ist also (rechtlich) für was verantwortlich? Das ist ein wunder Punkt. Diese Frage beschäftigt derzeit die gesamte Industrie. Es gibt unterschiedliche Ansätze und Modelle, die gegensätzlichsten sind: Der Wien-Ansatz: Die Stadt selbst betreibt eine Plattform für Open Shared Mobility: Upstream ist eine öffentliche Plattform mit dem Ziel, alle digitalen Mobilitätsservices zusammenzubringen und somit für Transparenz und Vernetzung zu sorgen. Das hat klare Vorteile. Die Stadt hat die Verkehrshoheit und weiß, was auf ihren Straßen passiert und kann bei Bedarf regulierend gegensteuern. Es ist aber rechtlich (noch) nicht möglich, die Teilnahme verpflichtend zu machen, das schränkt die Einflussnahme natürlich ein. Der Manchester-Ansatz: Sehr viel offener ist da die Stadt Manchester an die Sache rangegangen und mit ihr London, New York und viele weitere Großstädte. Die Stadtverwaltung hatte von Beginn an kein klar definiertes Konzept und hat den Playern viele Freiräume gewährt. Das bringt viel Innovation, vor allem die Bürger waren zufrieden, für die Straßen kann es aber auch eine erhebliche Mehrbelastung bedeuten. 1 Quelle: https: / / ecomento.de/ 2018/ 04/ 30/ elektroauto-ride-poolinghamburg-genehmigt-vw-fahrdienst-moia/ 2 https: / / www.welt.de/ politik/ deutschland/ article165359594/ Als- Merkel-in-die-Zukunft-blicken-soll-lacht-das-Auditorium.html Was können Kommunen tun, damit urbane Mobilität nicht ausschließlich zum Wirtschaftsfaktor wird, sondern weiterhin in Form kommunaler Daseinsvorsorge den Bürgern zugutekommt? Ich glaube, der Wien-Ansatz ist ein gutes Vorbild. Durch das Mitspracherecht der Stadt muss die kommunale Daseinsvorsorge mittels Subventionen sichergestellt sein. Speziell bei der kommunalen Daseinsvorsorge wird die Thematik „autonomes Fahren“ zum Tragen kommen. Fällt der Fahrer bei diesem Angebot weg, spart der Betreiber eine Menge Geld, da gerade der Fahrer das Teuerste am ganzen Angebot ist. Hier wird die Rechnung wieder spannend. Und: Welche Chancen und Möglichkeiten gibt es für kommunale Akteure? - Etwa im fachübergreifenden Zusammenspiel verschiedener Behörden und Institutionen? Es gibt eine interessante Kollaboration von Wien und Hamburg. Da Wien auf diesem Feld bereits viel Erfahrung sammeln konnte, unterstützt die Stadt jetzt Hamburg mit ihrer Expertise. Die Städte arbeiten enger und vor allem offener zusammen, sogar über Ländergrenzen hinweg. Das ist ein interessanter Aspekt, der so nicht zu erwarten war. Wie wichtig ist die strategische Kooperation zwischen Kommunen, Technologieanbietern und Fahrzeugherstellern? Diese Frage wird darüber entscheiden, ob MaaS als Konzept funktionieren wird oder nicht. Ob es ein vorübergehender Hype ist oder ein Trend bleibt. Aus meiner Sicht ist die strategische Kooperation aller Akteure entscheidend für den Erfolg. Wird mit den angesprochenen Konzepten eine Verkehrswende - hin zu einer sozial und ökologisch nachhaltigen Mobilität zu schaffen sein? Natürlich. Wenn alle Verkehrsteilnehmer miteinander vernetzt sind, die Nutzung auf ein handelbares Minimum reduziert wird, dann brauche ich kein Auto, das den Großteil des Tages nutzlos rumsteht. Dann können Parks und Spielplätze aus den Parkflächen entstehen und für ein lebenswertes Umfeld sorgen, das wiederum der Zufriedenheit aller dient. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal die Lissabon-Studie anführen: Die Ergebnisse belegen, dass durch den Einsatz eines solchen Mobilitätsformats die Luftqualität verbessert wird und „tote“ Räume, wie Parkflächen, plötzlich frei werden. Diese können für andere, zwischenmenschliche und soziale, Zwecke genutzt werden. Das ist ein Ziel, auf das wir gerne hinarbeiten. 7 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Veranstaltungen 7 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES Staatsekretär Jochen Flasbarth: „Städte und Regionen haben eine Schlüsselrolle beim Klimaschutz. Weltweit sind 1500 Städte im Netzwerk ICLEI verbunden. In Bonn beraten Städte-Vertreter aus aller Welt, was auf kommunaler Ebene für den Klimaschutz getan und wie dem Klimawandel begegnet werden kann. Im Idealfall werden die Klimaaktivitäten aller Regierungsebenen aufeinander abgestimmt. Der Talanoa-Dialog ist eine Möglichkeit, dies zu organisieren. Er bietet ferner die Gelegenheit, Stimmen verschiedener Akteure weltweit zusammenzutragen - darunter auch die Visionen und Selbstverpflichtungen der Städte und Regionen - um die positive Dynamik von Paris aufrechtzuerhalten und die Verbesserung der national festgelegten Beiträge (NDCs) bis 2020 anzuregen.“ Zwei Beispiele eines deutschen ICLEI-Mitglieds und eines asiatischen Städteverbundes veranschaulichen die Klimaschutzbemühungen auf kommunaler Ebene. Münster ist eine der 22 deutschen Städte, die Mitglied im Netzwerk ICLEI ist. Die Stadt setzt für den Klimaschutz auf Kooperation. Die dortige „Allianz für Klimaschutz“ soll relevante Akteure zusammenführen, um gemeinschaftlich konkrete lokale Klimaschutzprojekte zu entwickeln. Gleichzeitig verpflichten sich die an der Allianz beteiligten Akteure, ihre Treibhausgasemissionen zu mindern. Damit tragen sie zur Umsetzung der anspruchsvollen Klimaziele der Stadt Münster bei. Bis 2050 sollen die Treibhausgasemissionen um 95 % und der Endenergieverbrauch im Vergleich zu 1990 um 50 % reduziert werden. Eine CO 2 -Minderung in Höhe von 21 % konnte bis 2015 bereits erreicht werden. Der „Masterplan 100 % Klimaschutz“ überträgt die Vision der Stadt Münster in eine konkrete Strategie bis 2050. Der Masterplan und die Allianz werden im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative (NKI) des Bundesumweltministeriums gefördert. 1 Auch bei dem Projekt „Ambitious City Promises - Klimafreundliche Stadtentwicklung in südostasiatischen Großstädten“ geht es darum, die Aktivtäten lokaler zivilgesellschaftlicher Akteure im Sinne ambitionierter kommunaler Verpflichtungen zu bündeln. Das internationale Städtenetzwerk ICLEI ist an dem Projekt der Internationalen Klimaschutzinitiative (IKI) des Bundesumweltministeriums beteiligt und unterstützt die Entwicklung ganzheitlicher Klimastrategien in Hanoi (Vietnam), Jakarta (Indonesien) sowie Pasig City (Philippinen). Ein wichtiger Projektpartner ist die Regierung der Metropolregion Seoul (Korea), die bereits 2015 einen anspruchsvollen Minderungsplan veröffentlicht hat. Das „Versprechen von Seoul“ sieht eine Treibhausgasminderung von 25 % bis 2020 und von 40 % bis 2030 gegenüber 2005 vor und definiert konkrete Maßnahmen für die Sektoren Energie, Transport, Ressourcenmanagement, Wasser, Gesundheit, urbane Landwirtschaft und städtische Planung. 2 1 https: / / www.stadt-muenster.de/ klima/ allianz-fuer-klimaschutz/ foerderung-durch-das-bundesumweltministerium.html https: / / www.klimaschutz.de/ stadt-münster---masterplan-100-klimaschutz 2 https: / / www.international-climate-initiative.com/ de/ nc/ details/ ? p rojectid=543&cHash=9a405fa6e545b0dbd9b433a3def344b2 http: / / www.iclei.org/ activities/ agendas/ low-carbon-city/ ambitious-city-promises.html http: / / www.iclei.org/ fileadmin/ user_upload/ ICLEI_WS/ Documents/ Publications/ ACP_brochure_v6.pdf Städte haben Schlüsselrolle beim Klimaschutz Resilient Cities Congress des Städtenetzwerks ICLEI in Bonn Das Klimaabkommen von Paris bindet alle staatlichen Ebenen zur Bewältigung des Klimawandels ein. Auf der lokalen Ebene sind dies Städte und Kommunen. Das Städtenetzwerk ICLEI, zu dem auch 22-deutsche Städte gehören, traf sich im April in Bonn zum „Resilient Cities Congress“. Rund 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer tauschten ihre Erfahrungen über Klimaschutzmaßnahmen und Klimakooperationen aus. Der Kongress ist offizieller Bestandteil des Talanoa-Dialogs. Talanoa ist ein fidschianisches Prinzip der Entscheidungsfindung und bezeichnet einen offenen Dialog, der alle Akteure einbezieht. © pixabay 8 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation Vor-die Lage kommen Risiken und Kritikalitäten Kaskadeneffekte und Abhängigkeiten organisationsübergreifende Maßnahmenkoordination Lagebewertung Austausch von Lageinformationen Vordie-Lage kommen In großen Städten sind meist unabhängige Organisationen wie Polizei, Feuerwehr, Verwaltungen, Hilfsorganisationen und Infrastrukturbetreiber für die Versorgung und den Schutz der Bürger verantwortlich. Führt diese Entkopplung zur Effizienzsteigerung im Regelbetrieb, hat sie in Krisen- und Katastrophensituationen zur Folge, dass Kommunikation zwischen den Organisationen nur zögerlich anläuft, der Informationsaustausch nicht die Bedarfe deckt und es bei der Interpretation und Bewertung von Informationen zu Missverständnissen kommt. Bei der Maßnahmenkoordination werden nicht alle Organisationen eingebunden, Ziele und Prioritäten nicht abgesprochen und Einzelmaßnahmen nicht miteinander synchronisiert. Typische Ursachen sind fehlende Routinen, mangelndes Vertrauen, fehlende Kommunikations- und Kooperationspläne, Stress, hohe Auslastung mit eigenen Herausforderungen sowie suboptimale Krisenmanagementsysteme [1]. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Programms der Bundesregierung „Forschung für die zivile Sicherheit“ geförderte Projekt AlphaKomm hat sich mit der Frage beschäftigt, wie die organisationsübergreifende Kommunikation zwischen Entscheidern unterstützt und verbessert werden kann. Anhand von Daten aus zwei im Projekt durchgeführten Krisenstabsübungen Kommunikation bei Katastrophen und in Krisen verbessern Projekt AlphaKomm untersucht organisationsübergreifenden Austausch und koordinierte Zusammenarbeit im Ernstfall Krisenkommunikation, Krisenmanagement, Kommunikationstechnologien, Datenaustausch Michael Hahne, Marie Bartels Krisen und Katastrophen erfordern die Kooperation mehrerer Organisationen. In der Praxis werden Informationen dabei oft nicht weitergeleitet, missverstanden oder führen nicht zu den erforderlichen Maßnahmen. In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt AlphaKomm wurde ein Modell entwickelt, um organisationsübergreifende Zusammenarbeit zu unterstützen. Es umfasst ein Konzept zur Verbesserung der präventiven Kommunikation sowie Empfehlungen, wie Krisenkooperationssysteme die Erarbeitung eines geteilten Lageverständnisses und die Koordination von Maßnahmen unterstützen können. Bild 1: Bestandteile organisationsübergreifender Krisenkommunikation. © Hahne/ Bartels sowie vier Szenarioanalysen wurde untersucht, wie Entscheider zur Erarbeitung eines geteilten Lageverständnisses und zur Koordination abgestimmter Maßnahmen kommunizieren. Ein Kommunikationsmodell wurde abgeleitet, dass Inhalte klassifiziert und nach ihrer zeitlichen Abfolge und Häufigkeit ordnet. Den größten Anteil am Projekt hatte die „akute Notfallkommunikation“. Dabei erarbeiten die Organisationen ein geteiltes Lageverständnis, indem sie Informationen über akute Ereignisse oder Maßnahmen austauschen und hinsichtlich möglicher Zusammenhänge und Gefahren gemeinsam bewerten. Auf dieser Grundlage werden die Maßnahmen koordiniert, Rollen und Aufgaben verteilt und die Bereitstellung und Verteilung von Ressourcen abgestimmt. „Vorsorgliche Krisenkommunikation“ spielt hingegen nur eine untergeordnete Rolle. Organisationen identifizieren aus der akuten Lage resultierende Kritikalitäten, Kaskadeneffekte und Risiken für andere Organisationen und Systeme der Stadt. Sie legen Prioritäten fest und koordinieren präventive Maßnahmen, um eine Ausbreitung zu vermeiden und 9 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation eine nachhaltige Verfügbarkeit von Bewältigungsmitteln und Einsatzkräften zu gewährleisten (Bild 1). Ermöglicht erst die vorsorgliche Krisenkommunikation eine nachhaltige und effiziente Bewältigung, setzt diese Kommunikation Vertrauen und ein wechselseitiges Basisverständnis zwischen den Organisationen voraus. Der Handlungsdruck, der sich durch die Volatilität, Komplexität, Unsicherheit und Ambiguität von Krisensituationen ergibt, macht den Wissensaufbau in der Krise jedoch nur schwer möglich. Vorsorgliche Krisenkommunikation erfordert daher vor allem geeignete präventive Formate, um Wissen auszutauschen, Kommunikations- und Kooperationspläne abzustimmen sowie Vertrauen aufzubauen. Werden diese Grundlagen schließlich in gemeinsamen Übungen angeeignet und verfestigt, können Missverständnisse und Fehlannahmen auf allen Ebenen der Kommunikation nachhaltig vermieden werden. Präventive Anwendergremien Teil des entwickelten Modells zur Krisenkooperation ist daher ein Anwendergremium, an dem jeweils ein bis drei festgelegte Vertreter aller Organisationen in regelmäßigen Abständen teilnehmen, um über Fragen und Probleme der organisationsübergreifenden Krisenkooperation zu sprechen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen (Bild- 2). Durch hohe personelle Kontinuität haben die Teilnehmer Zeit, sich kennenzulernen, Vertrauen aufzubauen und sich eine gemeinsame Wissensbasis zu erarbeiten. Die Wissensbasis sollte durch fachliche Inputs zu aktuellen Themen sowie zu Fragen guten Krisenmanagements ergänzt werden. Auch auf eine strukturierte Moderation ist Wert zu legen. Unter diesen Voraussetzungen können selbst hochkomplexe und sensible Themen offen diskutiert und gemeinsame Lösungen entwickelt werden. Zur inhaltlichen Erarbeitung der erforderlichen Wissens- und Vertrauensbasis haben sich folgende Methoden bewährt: 1. Erfahrungsaustausch Gute Zusammenarbeit in Krisenlagen setzt voraus, dass die Organisationen ihre Arbeitsweisen wechselseitig nachvollziehen können. Dazu sollten sie sich wechselseitig ihr Krisenmanagement vorstellen. Insbesondere Aufgaben und Abläufe, Erreichbarkeiten und Ansprechpartner sowie Möglichkeiten und Grenzen zur Unterstützung sollten ausgetauscht werden. So können Entscheidungen besser nachvollzogen und die Koordinationsbereitschaft erhöht werden. Zudem ermöglicht der Erfahrungsaustausch eigene Strukturen und Prozesse zu reflektieren und im besten Fall Anregungen für Verbesserung zu erhalten. 2. Szenarioanalyse Krisensituationen werden oft dadurch verschärft, dass die beteiligten Organisationen nur über unzureichendes Wissen der wechselseitigen Abhängigkeiten, Kritikalitäten, Vulnerabilitäten und damit verbundenen Risiken verfügen. Mit Hilfe von Szenarioanalysen können diese Zusammenhänge entlang der zu erwartenden Auswirkungen in verschiedenen Krisenverläufen gut herausgearbeitet werden. 3. Aktuelle Stunde Die regelmäßige Auseinandersetzung mit real eingetretenen und prominenten Ereignissen, wie zum Beispiel aktuellen Stromausfällen oder Großbränden, Bild 2: Sitzung des Alpha- Komm Anwendergremiums. © Hahne/ Bartels ermöglicht eine realistische Einschätzung bestehender Prozesse sowie der Praxistauglichkeit neuer Prozesse. Auch wenn die Ereignisse nicht als Krisen wahrgenommen werden, zeigen zu Tage tretende Probleme dennoch oft Verbesserungsbedarf auf. 4. Prozessentwicklung Zur Ableitung geeigneter und an die Anforderungen der jeweiligen Region angepasster Kommunikations- und Koordinationsprozesse hat es sich bewährt, das Gremium in kleinere Gruppen aufzuteilen, dort Lösungsvorschläge erarbeiten zu lassen und diese im Anschluss im Plenum gemeinsam zu reflektieren und zusammenzuführen. Krisenkooperationssysteme In vielen Städten werden zunehmend Softwarelösungen eingesetzt, um die Koordination in Krisen- und Notfalllagen zu unterstützen. In der Praxis scheitern jedoch nach wie vor viele dieser Systeme an der Gebrauchstauglichkeit in der akuten Lage oder der mangelnden Berücksichtigung des kollaborativen Charakters von Krisen [2]. Es wird umgekehrt aber oft vernachlässigt, dass erfolgreiche Zusammenarbeit durch Technik allein nicht gelingen kann. Nur dort, wo ausreichend Vertrauen geschaffen, sich Netzwerke zwischen den 10 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation Akteuren der Organisationen etabliert haben und eine geteilte Wissensbasis etabliert wurde, können technische Unterstützungssysteme die Kooperation effektiv unterstützen. Lassen sich diese Grundlagen mit dem beschriebenen Anwendergremium erarbeiten, können darauf aufbauend wichtige Prozesse der Zusammenarbeit in Krisen durch Krisenkooperationssysteme unterstützt werden. Nachfolgend werden einige Lösungsvorschläge für typische Herausforderungen bei der Kooperations vorgestellt, die im Laufe des Projekt in einem Softwaredemonstrator (Alpha- Ware) umgesetzt und im Rahmen einer Krisenstabsübung evaluiert wurden: Kontakt aufnehmen Kommunikation setzt voraus, dass die beteiligten Organisationen über aktuelle Kontaktdaten verfügen, zu jeder Zeit erreichbar sind und kompetentes Personal als Ansprechpartner zur Verfügung steht. Krisenkooperationssysteme sollten daher darauf ausgelegt sein, an 24/ 7 verfügbaren Stellen in den Organisationen im Hintergrund zu laufen und im Falle einer Aktivierung bei allen angeschlossen Organisationen Alarm zu schlagen. Läuft die Zusammenarbeit an, sollte darüber hinaus eine Übersicht der teilnehmenden Organisationen, Personen und Krisenstäbe zur Verfügung stehen und der Status der Datenverbindung angezeigt werden. Erstinformation mitteilen Um allen Organisationen eine Prüfung der eigenen Betroffenheit zu ermöglichen, müssen Erstinformationen über eingetretene Ereignisse frühzeitig geteilt werden. Anders als Telefone ermöglichen es Krisenkooperationssysteme Mitteilungen gleichzeitig an alle weiterzuleiten. Typische Informationen betreffen neue Ereignisse, Maßnahmen, Prognosen oder Unterstützungsanfragen, die mit Hilfe spezifischer Eingabeformulare eine passgenaue Informationserfassung und Weitergabe ermöglichen. Drei Prinzipien sollten die Mitteilungen erfüllen: 1. Sich auf wesentliche Informationen beschränken. Im Fall von Ereignissen sind dies beispielsweise: die Art, der betroffene Bereich, mögliche Auswirkungen sowie eine zeitliche Einordnung. 2. Standardisiertes Abfrageschema mit Möglichkeiten zur qualitativen Ergänzung. Bild 3: Räumliche Darstellung von Ereignissen und Maßnahmen im Krisenkooperationssystem AlphaWare. © Hahne/ Bartels 3. Beschränkung auf mittelschwere und schwere Ereignisse, um Informationsüberflutung zu vermeiden. Die Bewertung obliegt dabei der meldenden Organisation. Zusammenhänge verstehen Aufgrund der Mitteilungen prüfen Organisationen ihre Betroffenheit vor dem Hintergrund räumlicher, zeitlicher oder sachlicher Zusammenhänge. Daher sollten Krisenkooperationssysteme Mitteilungen in verschiedenen Kontexten anzeigen. Im räumlichen Kontext bieten sich Kartendarstellungen an, in denen betroffene Gebiete als Punkt oder Polygone eingetragen werden können. Distanzen oder Überschneidungen von Ereignissen und Maßnahmen werden so unmittelbar sichtbar (Bild- 3). Im zeitlichen Kontext lassen sich Inhalte auf einem Zeitstrahl abbilden. Dort können Beginn, prognostizierte Dauer sowie zeitliche Abhängigkeiten etwa zwischen Maßnahmen angezeigt werden. Für den sachlichen Kontext bieten sich Tabellendarstellungen an. So sind verschiedene Sortier- und Filtermöglichkeiten leicht umzusetzen. Über Messengerfunktionen lassen sich Mitteilungen kollaborativ und situationsangepasst um weitere Informationen oder relevante Nachfragen ergänzen, um Zusammenhänge herauszuarbeiten und schriftlich hervorzuheben. Kritikalitäten und Risiken identifizieren An dieser Stelle verschiebt sich der Fokus in Richtung vorsorgliche Krisenkommunikation mit dem Ziel „vor die Lage“ zu kommen. Krisenkooperationssysteme können eine kollaborative Zuordnung akuter und möglicher Betroffenheiten zu den entsprechenden Ereignissen ermög- 11 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation lichen, wodurch mögliche Auswirkungen und Risiken unmittelbar sichtbar werden. Zu ihrer Bewertung sollten Nachfragen und Diskussionen über ein Messengersystem ermöglicht werden, aus denen sich das geteilte Lageverständnis ergibt. Indem die Kommunikation nicht primär bilateral beispielsweise über Telefon erfolgt, lassen sich Nachfragen und Antworten nachvollziehen und auf mögliche Relevanz für die eigene Organisation prüfen. Koordination anbahnen Aus dem geteilten Lageverständnis leiten die Organisationen schließlich Maßnahmenanforderungen ab. Diese erfordern die Synchronisation von Teilmaßnahmen oder Anfragen zu konkreten Unterstützungsbedarfen etwa von externen Kräften und Mitteln. Krisenkooperationssysteme können die Anbahnung zum Beispiel durch im Vorfeld zu befüllende Datenbanken mit organisationsspezifischen Kompetenzen, Rollen und Aufgaben unterstützen. Durch Eingabeformulare wird das Stellen von Unterstützungsanfragen erleichtert. Um über die Dauer einer Krise den Überblick zu behalten und die Maßnahmenfortschritte zu kontrollieren, können Nutzer durch Abonnement- oder Erinnerungsfunktionen selektiv auf dem Laufenden gehalten werden. Maßnahmen koordinieren Die eigentliche Koordinationsarbeit erfordert direkte Kommunikation zwischen den Organisationen. Die Implementierung eines Messengersystems wurde bereits empfohlen. Es sollten sowohl offene als auch geschlossene Kommunikationsräume angeboten werden, um zum Beispiel zunächst bilateral Kooperationsmöglichkeiten zu erörtern, bevor diese als konkrete Maßnahmen mitgeteilt werden. Ein integriertes Messengersystem bietet etwa im Unterschied zu WhatsApp den Vorteil, dass Mitteilungen direkt mit konkreten Ereignissen oder Maßnahmen verknüpft werden können. Das größte Unterstützungspotenzial liegt in der Aufbereitung von Informationen durch Systematisierung und Visualisierung sowie in der Verbreitung und Kontextualisierung von Kommunikation. Daher bilden multikontextuelle Informationsübersichten sowie messengerähnliche Kommunikationstechnologien wichtige Querschnittsfunktionen guter Krisenkooperationssysteme. Aus technischer Sicht sind webbasierte, installationslose Client-Server zu empfehlen, um den einfachen Zugang unabhängig vom Standort und den in den Organisationen verwendeten Betriebssystemen zu ermöglichen. Um auch dann weiterarbeiten zu können, wenn die Datenverbindung zwischen den Clients und / oder dem Server abreißt oder nur noch eingeschränkt zur Verfügung steht, sollten Datenbanken zu jeder Zeit sowohl auf den Clients als auch dem Server zur Verfügung stehen und die zu übertragende Datenmenge auf ein Minimum reduziert werden. Fazit Das vorgeschlagene Modell einer Krisenkooperation unterstützt die zentralen Herausforderungen bei der Kooperation in Krisensituationen: die Erarbeitung eines geteilten Lageverständnisses und die Koordination von Maßnahmen. Um nicht nur auf akute Ereignisse reagieren zu können, sondern „vor die Lage“ zu kommen, müssen Lageverständnis und Maßnahmenplanung an den mittel- und langfristigen Risiken ausgerichtet werden. Dazu sollten sich die regional verantwortlichen Organisationen regelmäßig zum präventiven Austausch über mögliche Krisen zusammensetzen. Sie sollten sich über ihre Vorgehensweisen, mögliche Risiken und gemeinsame Bewältigungsprozesse abstimmen. Das erarbeitete Wissen sollte in gemeinsamen Übungen erprobt und vertieft werden. Ohne präventive Kooperation ist eine effektive softwaretechnische Unterstützung in der Krise nicht möglich. Ist dies gewährleistet, können Krisenkooperationssysteme einen wichtigen Beitrag zur Unterstützung der Kontaktaufnahme, der Übermittlung von Erstinformationen, der Aufbereitung von Zusammenhängen, der Bewertung von Kritikalitäten und Risiken sowie zur Anbahnung, Durchführung und Kontrolle gemeinsamer Maßnahmen einen wichtigen Beitrag leisten. LITERATUR [1] Steigenberger, N.: Organizing for the Big One. A Review of Case Studies and a Research Agenda for Multi-Agency Disaster Response. In: J Contingencies & Crisis Man 24 (2), (2016) S. 60-72. DOI: 10.1111/ 1468-5973.12106. [2] Nestler, S.: Evaluation der Mensch-Computer-Interaktion in Krisenszenarien/ Evaluating human-computer-interaction in crisis scenarios. In: i-com 13 (1), (2014) S. 53-62. Dipl. soz. tech. Michael Hahne Stellv. Bereichsleiter „Sicherheit - Risiko - Privatheit“ Technische Universität Berlin Zentrum Technik und Gesellschaft Kontakt: hahne@ztg.tu-berlin.de Marie Bartels, M.A. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum Technik und Gesellschaft Technische Universität Berlin Kontakt: bartels@ztg.tu-berlin.de AUTOR I NNEN 12 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Schorndorfer Bürger als Teilhaber und Mitentwickler „Im Reallabor Schorndorf haben wir ein zukunftsweisendes Mobilitätskonzept für den öffentlichen Nahverkehr entwickelt, das wir jetzt in der Praxis erproben. Unser flexibler Bedarfsbus ist von Beginn an fester Teil des öffentlichen Nahverkehrs - also auch in die Netz- und Preisstruktur des regionalen Verkehrsverbunds- VVS integriert“, erläutert DLR-Forscher und Projektleiter Matthias Klötzke bei der Eröffnung des Live-Betriebs. „Die Schorndorfer Bürgerinnen und Bürger sind Teilhaber und Mitentwickler. Ihre Ideen, Erfahrungen und Anregungen sind elementarer Bestandteil des Forschungsprojekts und maßgeblich für dessen weiteren Verlauf“, so Klötzke weiter. „Ich freue mich, dass in Schorndorf, der Geburtsstadt Gottlieb Daimlers, neue Formen der Mobilität erprobt werden. Wenn wir die Zukunft, wie im Falle des Reallabor-Projekts mitgestalten können, dann sind wir als innovative Stadt natürlich gerne mit dabei - gerade auch im Bereich des ÖPNV. Denn der künftige Erfolg des öffentlichen Nahverkehrs wird davon abhängen, wie es gelingt, das Angebot noch mehr an die individuellen Ansprüche und Wünsche der Nutzerinnen und Nutzer anzupassen. Mit dem Reallabor und unserem flexiblen Busbetrieb gehen wir genau diesen Schritt. Und wir sind sehr gespannt, wie die Bürgerinnen und Bürger das neue System annehmen“, sagte der Schorndorfer Oberbürgermeister Matthias Klopfer. So funktioniert der Bedarfsbus Zentrales Element des Buskonzepts ist das digitale Bestellsystem. Der Nutzer übermittelt per Smartphone-App, Heimcomputer, Telefon oder über insgesamt 13 teilnehmende Einrichtungen, Geschäfte, Restaurants und Cafés seinen Fahrtwunsch, Flexibler und bedarfsgerechter Nahverkehr Start des Live-Betriebs im „Reallabor Schorndorf“ Busfahren nach Bedarf statt Fahrplan - das ist der Grundgedanke im „Reallabor Schorndorf“. Ziel dieses europaweit einmaligen Forschungsprojekts unter Leitung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist es, den öffentlichen Nahverkehr flexibler und nachhaltiger zu gestalten und gleichzeitig enger an den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer auszurichten. Nach rund zwei Jahren Entwicklungs- und Vorbereitungszeit ist am 10. März 2018 der Pilotbetrieb des neuartigen Buskonzepts im nahe Stuttgart gelegenen Schorndorf gestartet. Zu den Partnern der DLR-Verkehrswissenschaftler gehören die Stadt Schorndorf, der Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS), Knauss Linienbusse, die Hochschule Esslingen sowie das Zentrum für interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung (ZIRIUS) der Universität Stuttgart. Bild 2: Bedienoberfläche für Busfahrer. © DLR Bild 1: App zum Reallabor Schorndorf. © DLR 13 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität sprich wann und wo er abgeholt werden will. Das Bestellsystem berechnet dann die reale Abholzeit und teilt dem Nutzer mit, wo er vom Bus abgeholt wird. Neben den bisherigen Haltestellen gibt es mehr als 200 potenzielle Ein- und Ausstiegsorte, sogenannte virtuelle Haltepunkte. Bisher liegt der durchschnittliche Weg zum nächsten Busstopp bei rund 500 Metern. Mit dem neuen Konzept verkürzt sich die Wegstrecke auf 150 bis 200 Meter - ein Vorteil nicht nur für mobilitätseingeschränkte Personen. Gleichzeitig fährt der Bus nur, wenn er gebraucht wird. So lassen sich unnötige Leerfahrten vermeiden und Ressourcen gezielter einsetzen. Nach dem Start des Pilotbetriebs am 10. März 2018 werden jeweils im Zeitraum von Freitagnachmittag bis Sonntagnacht ein bis zwei Kleinbusse - oder bei erhöhtem Fahrgastaufkommen auch ein regulärer Omnibus - flexibel und bedarfsgerecht eingesetzt. Diese Bedarfsbusse ersetzen zwei Linien im Süden Schorndorfs. Außerhalb dieses Zeitraums gilt der bisherige reguläre Fahrplan. Forschungsschwerpunkte: Partizipation, Bedien- und Fahrzeugkonzept Der Aspekt der Partizipation der Bürger bildet einen wichtigen Forschungsschwerpunkt im Reallabor Schorndorf. Über die ganze Laufzeit des Projekts sind die Schorndorfer Bürger und kommunalen Gremien in die Arbeiten eingebunden, beispielsweise mittels öffentlichen Informationsveranstaltungen, Befragungen, als Testnutzer und in Mobilitätswerkstätten. Auf diese Weise nutzen die Projektpartner das vorhandene Wissen der Bürger, erfassen Wünsche und Anforderungen und fördern so die Akzeptanz und Transparenz des Projekts. „Da es keine festen Haltestellen, Routen und Fahrpläne gibt, mussten wir bei der Entwicklung unseres Bedienkonzepts viele neue Herausforderungen meistern - vor allem was die Kommunikation zwischen Nutzern, Busfahrern und der Disposition über das digital gestützte Bestellsystem betrifft“, erklärt DLR-Forscherin Laura Gebhardt. Fahrgäste sollen ihre Angaben schnell und einfach übermitteln können. Im Hintergrund wertet die rechnergestützte Disposition die Fahrtwünsche aus und erstellt mit Hilfe eines Algorithmus daraus Routen für die einzelnen Umläufe. Auf der Empfängerseite benötigen die Busfahrer entsprechende Nutzeroberflächen, um diese Routen umzusetzen. „Deshalb sind wir gespannt, wie sich die von uns entwickelten Systeme im Praxistest bewähren, was gut funktioniert und wo es noch Verbesserungsbedarf gibt“, so der Projektleiter Matthias Klötzke. Zusätzlich zur Entwicklung des Bestellsystems machen sich die Wissenschaftler im Reallabor Schorndorf auch über innovative Fahrzeugkonzepte Gedanken, die den Anforderungen eines bedarfsorientierten Buskonzepts am besten gerecht werden: Größe, Zahl der Sitzplätze und Innenraumgestaltung fließen da- REALLABOR SCHORNDORF Das „Reallabor Schorndorf: Zukunftsweisender Öffentlicher Verkehr - Bürgerorientierte Optimierung der Leistungsfähigkeit, Effizienz und Attraktivität im Nahverkehr (BOOLEAN)“ ist eines von sieben Forschungsprojekten, die gefördert vom badenwürttembergischen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst zukunftsfähige Lösungen für Herausforderungen in Ballungsräumen erproben. In den Reallaboren stoßen Wissenschaftler zusammen mit Kommunen, Unternehmen und Bürgern Veränderungen in der Stadt an und begleiten, beobachten und analysieren diesen Innovationsprozess. Das „Reallabor Schorndorf “ erhält eine Förderung von rund 1,2 Millionen Euro über eine Projektlaufzeit von drei Jahren. bei genauso ein wie Fragen nach der geeigneten Antriebstechnologie, dem Energieverbrauch und nach Emissionen. Erste Konzeptstudien und Modelle werden im Herbst präsentiert. Bild 3: Erste Fahrt des flexiblen Bedarfsbusses. © DLR 14 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Die Herausforderung in der städtischen Entwicklung liegt in der Gestaltung lebenswerter Räume. Die Lebensqualität in immer komplexeren und größeren Ballungsgebieten aufrecht zu erhalten, erfordert einen zunehmend effizienten, klima- und umweltfreundlichen Umgang mit den natürlichen Ressourcen sowie Angebote zum sozialen Miteinander wie zum Beispiel das Car-Sharing. Technik und Digitalisierung sind dabei kein Selbstzweck, sondern richtig genutzt, sehr wirkungsvolle Mittel zum Zweck, nämlich die Lebensqualität zu erhalten und idealerweise zu verbessern. Vernetzung ist das Fundament einer Smart City Um natürliche Ressourcen effizient zu nutzen, ist die Verknüpfung und somit das Teilen der benötigten Mittel zwischen Sektoren, Anlagen und Akteuren entscheidend. Die intelligente Energieversorgung wird dabei immer Mieterstrom macht Quartiere smart Eine intelligente Energieversorgung vernetzt Gebäude, Anlagen, Sektoren und verbessert so die Lebensqualität Florian Henle Das Rückgrat intelligenter Städte ist ihre zunehmend dezentrale und digitale Energieinfrastruktur. Sie bietet Schnittstellen für diverse Dienstleistungen und Anlagentechnik und steigert damit die Effizienz des Gesamtsystems. Ein ideales Testfeld sind die Microgrids städtischer Quartiere. Hier werden dezentrale Stromproduktion und Strombedarf aufeinander abgestimmt, über Bewohner, Heizungsanlagen, Speicher, Elektroautos und Co. hinweg. Das ermöglicht eine optimierte Ressourcennutzung und Prozessgestaltung, die für die urbane Entwicklung immer wichtiger wird. Bild 1: Quartier Lok.West in Esslingen. © RVI GmbH 15 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie mehr zur zentralen Schnittstelle. Sie ist ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens und Treiber der Entwicklungen in nahezu allen großen Bereichen. Durch die Abstimmung von Energieerzeugung und -bedarf können beispielsweise schon heute in einzelnen Quartieren Ressourcen effizienter genutzt werden. Gleichzeitig wird die Netzinfrastruktur entlastet. Genauso bietet die Integration von smarten Elektrogeräten in die Energienetze neue Geschäftsmodelle und mehr Komfort dank effizienter Prozesse. Angesichts der komplexen Verflechtungen und schnellen Transformationen in einer Stadt sind hierzu intelligente Prozesse wichtig. Sie erfordern ein umfassendes Datenmanagement. Die Steuerung gemäß festgelegter Regeln, die aus Big-Data-Analysen heraus entwickelt werden, wird zunehmend durch komplett automatische, mittels künstlicher Intelligenz koordinierter Systeme ersetzt. Smart Grids im Mieterstrom Laut Experten des Fraunhofer Instituts ist die Stadt der Zukunft polyzentrisch strukturiert. Die Entwicklung von dezentralen Stadtvierteln hat den Vorteil, dass die infrastrukturelle Komplexität abnimmt und neue Konzepte leichter und schneller erprobt werden können. Ein ideales Beispiel hierfür ist die Mieterstromversorgung. Mieterstrom bezeichnet die Versorgung der Bewohner eines Gebäudes oder auch ganzer Quartiere mit lokal erzeugter Energie. Das Ganze erfolgt in der Regel über smarte Netze, in denen alle Energieerzeuger und -abnehmer mittels intelligenter Messgeräte, sogenannter Smart Meter, vernetzt sind. Für den Erfolg smarter Netze ist die technologieoffene Gestaltung wichtig. Hier besteht jedoch noch Nachholbedarf, weil die Schnittstellen zwischen den Anlagen keine gemeinsame Sprache haben. Hersteller haben sich daher in Allianzen zusammengeschlossen mit dem Ziel, Standardisierungen in der Gerätekommunikation zu erarbeiten. Gelingt hier der Durchbruch, sind energieeffiziente Lösungen durch eine flexible, herstellerunabhängige und aufeinander abgestimmte Verbrauchssteuerung der Geräte im Smart Home auf breiter Ebene möglich. Sektorenkopplung Mit der Zunahme neuer großer Stromverbraucher wie zum Beispiel Wärmepumpen wächst das Interesse, lokal erzeugten Strom in anderen Sektoren zu nutzen. Das senkt etwa den zum Betrieb der Wärmepumpe angesetzten Primärenergiefaktor und hilft, Gebäudeeffizienz-Kriterien der Energieeinsparverordnung und hoher KfW-Förderungen zu erfüllen. So treibt die Vernetzung technischer Anlagen die Energiewende in unterschiedlichen Sektoren voran. Wärmepumpen beziehen aber nicht nur Strom aus dem Netz, sie können umgekehrt auch netzstabilisierende Energiedienstleistungen erbringen. Denn durch ihren Pufferspeicher sind sie in der Lage, zeitversetzt Strom aufzunehmen, etwa wenn Überschussstrom im Netz vorhanden ist. Genauso werden Blockheizkraftwerke durch Mieterstrom effizienter genutzt, weil der hier vor allem im Winter erzeugte Strom direkt in die lokale Stromversorgung einfließt. Integrierte Elektromobilität Die Verbreitung von E-Ladestellen in den Städten nimmt in den nächsten Jahren, politisch und wirtschaftlich gefördert, stark zu. Sie sinnvoll in die Energienetze zu integrieren, erfordert ein intelligentes Lademanagement und die Kombination mit weiteren Anlagen, etwa Stromspeichern. Das erhöht den Anteil erneuerbarer Energien, der zum Laden der Fahrzeuge zur Verfügung steht und senkt die Stromkosten. Die Integration von E-Ladestellen in die Energienetze fördert ferner die Entwicklung neuer 2 3 3 . 6 0 9 2 B U S W A R T E S T A N D P o r t a l k r a n Hütte W A S W A S W A S T A T N S T A T N S T A T N A l t e s Z o l l a m t C a f é , B i s t r o Platz der Deutschen Einheit B W a W a 2 W a 2 N e c k a r R o ß n e c k a r R o ß n e c k a r 1 0 B 1 2 7 0 K M e t t i n g e r S t r a ß e G a y e r n w e g B o s c h s t r a ß e D a i m l e r s t r a ß e D i e s e l s t r a ß e U n t e r e r N e c k a r h a l d e n w e g M e t t i n g e r S t r a ß e O t t o s t r a ß e S c h l a c h t h a u s s t r a ß e Bahnhof K a n d l e r s t r a ß e M a r t i n s t r a ß e F l e i s c h m a n n s t r a ß e M e t t i n g e r S t r a ß e K a n d l e r s t r a ß e S c h e l z t o r s t r a ß e M a r t i n s t r a ß e K o l l w i t z s t r a ß e F l e i s c h m a n n s t r a ß e Bahnhofplatz 5 9 5 5 5 1 5 2 5 6 5 4 6 0 3 5 5 0 4 9 3 2 5 7 5 8 1 1 3 4 8 3 3 3 0 3 4 3 0 7 1 5 3 6 8 3 6 1 0 3 8 1 0 9 5 2 6 3 1 2 2 2 1 8 1 0 1 9 9 9 7 8 1 5 9 5 9 1 8 7 6 5 1 5 / 1 1 4 1 0 8 8 9 1 5 8 5 8 3 2 6 1 3 4 8 8 1 7 9 7 7 7 5 5 2 2 8 2 / 1 4 6 5 0 4 5 2 2 5 3 2 2 2 2 / 1 4 7 2 4 2 3 2 2 2 1 6 9 7 1 2 5 / 1 5 6 5 4 5 0 4 8 4 6 4 4 2 4 3 4 5 5 3 2 4 2 0 4 7 2 1 1 5 0 / 1 4 5 4 3 5 0 1 8 1 0 4 6 4 1 4 2 3 9 2 / 1 2 / 2 2 / 3 4 1 3 6 1 7 4 6 3 2 / 1 3 5 9 3 4 3 4 3 2 4 4 4 0 4 2 3 2 / 2 3 5 3 7 3 7 1 3 3 3 1 3 0 2 8 3 2 2 8 / 1 2 9 3 4 3 4 / 1 2 5 3 7 2 6 / 2 3 0 3 9 3 6 3 8 2 6 3 5 3 2 9 2 6 1 6 1 1 2 7 2 8 2 6 / 1 2 6 2 7 1 4 2 4 1 0 3 0 2 2 4 2 4 2 4 / 1 1 9 5 2 2 2 9 3 1 3 3 2 7 / 1 2 1 1 9 / 1 1 7 2 2 1 8 2 4 / 1 1 6 1 2 0 1 4 4 2 1 8 7 1 1 1 8 1 2 2 2 0 2 5 2 0 1 6 1 2 2 7 1 1 / 2 1 5 1 1 / 1 V I I I I I V V I V I V V I V IV IV I V I V I V I V I V I V I V I V I V I V I V I V I V I V I V V V V V V I I V I I V V V V I V I V I V V V V I V I V I V I V V V V I V I V V V V I V V I I I I I I 4 P 4 P 5 P 3 P 4 P 9 P 3 P C a r - S h a r i n g ö f f e n t l i c h e T i e f g a r a g e V 6 P D E N K M A L V I K K B a h n h o f I I - I I I V I 3 P 1 9 P 2 P C a r - S h a r i n g 1 3 P 1 2 P T G T G T G T G T G T G T G T G T G T G T G T G Rossneckar H o t e l Platz R o s s n e c k a r Steg S t e g D e n k m a l G e w e r b e Wohnhof F a m i l i e n W o h n h o f B i l d u n g T e c h n o l o g i e U f e r p r o m e n a d e S k u l p t u r A k t i o n s f e l d e r S p i e l u n d S p o r t N e c k a r w i e s e n S t u f e n a n s W a s s e r Neckaruferpark C a f é A k t i o n s f e l d B e g e g n u n g v o r h a n d e n e N a t u r s t e i n m a u e r B a l k o n A u f z u g T r e p p e n a n l a g e R a d u n d F u ß w e g N a t u r s t e i n m a u e r n R a m p e S t e g T r e p p e n t u r m P a n o r a m a w e g b a r r i e r e f r e i e r A u s g a n g B a h n h o f H o c h w a s s e r s c h u t z d u r c h D a m m b a l k e n S t e g v o r K a n a l m a u e r T G Westpark S c h a l l s c h u t z w a n d S c h a l l s c h u t z w a n d N a h v e r s o r g u n g E i n z e l h a n d e l C a f é W o c h e n m a r k t C a f é G e w e r b e 5 P 4 P 2 P D u r c h g a n g E G 6 P E i s e n b a h n - D r e h s c h e i b e n A n l i e f e r u n g W o h n e n W o h n e n W o h n e n R a m p e n h a u s 8 P B ü r o B ü r o D e s i g n S c i e n c e - C e n t e r G a s t r o n o m i e M a r k t h a l l e S t u d e n t e n - W o h n e n W o h n e n M u l t i f u n k t i o n s b a n d Grüne Fuge A n l i e f e r u n g A n l i e f e r u n g A n l i e f e r u n g Uferspitze Jugend- Spielplatz S k a t e n B e a c h v o l l e y b a l l Stadtteilplatz Quartiersplatz M u l t i f u n k t i o n s b a n d 8 P 1 2 P 1 1 P Z u f a h r t P a r k p l ä t z e 7 P o d e r B u s V I I V V V I V G e w e r b e 4 2 P 9 P S t u d e n t e n 1 0 P G e w e r b e E G G e w e r b e E G S i t z u n d S p i e l s c h e i b e F l e i s c h m a n n s t r a ß e 7. September 2011 Die Neue Weststadt Esslingen . Rahmenplan | Stadt Esslingen am Neckar | LEHEN drei . Architektur Stadtplanung . SRL BDA . Feketics Schuster | frei raum concept Sinz-Beerstecher + Böpple Landschaftsarchitekten BDLA LAGEPLAN M 1 : 1.000 Schneidekante Schneidekante Bild 2: Rahmenplan neue Weststadt Esslingen. © RVI GmbH 16 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Elektromobilitätskonzepte wie E- Car-Sharing, E-Roller und E-Bikes. Schließlich bieten diese Angebote den Bewohnern ein Mehr an Komfort ohne Mehrkosten. In Zukunft übernehmen Elektrofahrzeuge mit ihren Batterien - genauso wie Wärmepumpen - netzstabilisierende Funktionen. Wird weniger Strom produziert als benötigt, speisen die parkenden Elektroautos Strom aus ihren Batteriespeichern ins lokale Netz. Besteht hingegen ein Überschuss an Strom, werden sie durch intelligentes Lademanagement direkt geladen. Solche Vehicle2Grid- Konzepte werden bereits in mehreren Forschungsprojekten erprobt. Sharing Economy Das Teilen von Gegenständen und Dienstleistungen ist im städtischen Leben seit einigen Jahren präsent. AirBnB und Uber haben die Entwicklungen vorangetrieben. Kann in Zukunft zwischen einzelnen Haushalten Strom geteilt werden, sind neue Ansätze geschaffen, die das Gemeinschaftsgefühl und zugleich eine effiziente Ressourcennutzung stärken. In Mieterstromprojekten wird das heute schon umgesetzt und Strom innerhalb großer Mehrfamiliengebäude und Quartiere geteilt. Es ist eine wichtige Entwicklung, um die dezentrale Stromversorgung fair zu gestalten und alle Haushalte einzubeziehen. Aktuell sind dem Teilen von Strom über Gebäude und Siedlungen hinaus aus regulatorischen Gründen noch Grenzen gesetzt (siehe auch Beitrag ab Seite 72). Beispiel smartes Mieterstromkonzept In Esslingen entsteht derzeit das Quartier Lok.West (Bilder 1 und 2). Das erste und später zweitgrößte Gebäude Béla wird diesen Sommer fertiggestellt. Es beherbergt auf etwa 5600 m 2 neun Gewerbeeinheiten und 132 Wohneinheiten mit 21 bis 150 m 2 . Bis 2022 werden insgesamt rund 500 Einbis Vier-Zimmer- Wohnungen und private sowie öffentliche Grünflächen und Höfe gebaut. Geplant, realisiert und später auch verwaltet wird das gesamte Quartier Lok.West vom Saarbrücker Immobilienentwickler RVI. Zur klimaneutralen Energieversorgung - eine Forderung der Stadt Esslingen - wurde auf dem ersten Gebäude Béla eine Photovoltaik-Dachanlage errichtet (Bild 3). Zusammen mit einem BHKW werden bis zu 70 % des Strombedarfs gedeckt - und das ohne Speicher. Das Mieterstromangebot und ein intelligentes Versorgungskonzept mittels Smart Grid, Smart Metern, smarten Apps und smarten Haushaltsgeräten machen dies möglich. So werden beispielsweise die Mieter in Lok.West per App über die aktuelle Energieerzeugung und den Verbrauch in ihrem Gebäude informiert. Ziel ist es, dass sie bevorzugt dann Strom verbrauchen, wenn ein Stromüberfluss besteht. Denn die Zukunft liegt nicht allein im Energie sparen durch effiziente Geräte und eine gute Gebäudedämmung, sondern genauso im Wissenstransfer, um bewusst Energie verbrauchen zu können. Digitale Transaktionsmodelle Mit ihren smarten Microgrids sind Mieterstromprojekte zudem ideal geeignet, energiewirtschaftliche Prozesse zu simulieren. Dazu werden in Feldtests kleine Strommengen in Peer-to- Peer-Prozessen gehandelt und abgerechnet. Ermöglicht wird das durch den Einsatz von Smart Metern, mit denen Lokalstrommengen in Echtzeit und vollautomatisch gemessen, abgerechnet und übertragen werden. Es ist die Basis für neue energiewirtschaftliche Prozesse wie zum Beispiel das Bilanzkreismanagement. Künftig können so auch flexible Tarife angeboten werden. Das heißt, ein Haushalt, der gezielt dann Strom nutzt, wenn viel produziert wird, kann seine Stromkosten senken. Das fördert ein energiebewusstes Verhalten und ist der Einstieg in eine integrierte und variable Abrechnung. Die Beispiele in den verschiedenen Bereichen zeigen, welche einflussreiche und gestaltende Rolle der Energieversorgung in der städtischen Entwicklung zukommt. Ihr Einfluss reicht weit über die Strom- und die Wärmeversorgung hinaus, bis in die Finanz- und Mobilitätsstrukturen hinein. Die derzeit entstehenden ökologischen Musterquartiere wie das Esslinger Quartier Lok. West sind mit ihrem intelligenten Energiekonzept eine tragende Säule künftigen Wohnens. Florian Henle Gründer und Geschäftsführer Polarstern GmbH Kontakt: mieterstrom@polarstern-energie.de AUTOR Bild 3: Quartier Lok.West aus der Vogelperspektive. © RVI GmbH 17 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie RWE suchte seinerzeit nach einer Lösung, die Meldungen, Fehler und Statusinformation vor Ort visuell anzeigt. Außerdem sollten die Daten über spezielle Kontakte an eine übergeordnete Leittechnik übertragen werden können. Ende der 1950er Jahre standen andere Technologien zur Verfügung als heute. Das galt ebenso für die Meldetechnik und die notwendige Spannungsversorgung in den Umspannstationen. Aus den vorliegenden Rahmenbedingungen resultierte die wichtige zusätzliche Anforderung, dass sich die Meldungen bei einem Ausfall der lokalen Energieversorgung - also einem Schwarzfall der Station - weiterhin speichern lassen. Ferner sollten sie dem Servicetechniker zur einfachen und schnellen Fehlerbehebung dauerhaft dargestellt werden können. Auf der Grundlage dieser Ansprüche von RWE hat der Ingenieur und Unternehmer Helmut Mauell neue Ideen und Technologien entwickelt, um die gewünschten Funktionen bereitzustellen. Dazu kombinierte er die damals vorhandene Relaistechnik mit neuen mechanischen Funktionalitäten. Mechanischer Meldespeicher zur Detektierung von Fehlerursachen Im Ergebnis umfasste das Mauell- Portfolio ein neues Melderelais, aus dem die erste Melderelais-Generation MR10/ MR20 Erfolgreich durch stetige Innovation Das Melderelais und seine Geschichte Energieversorgung, Meldetechnik, Melderelais, Umweltbedingungen, technische Enwicklung Torsten Linnemann, Volker Knack Als Ingenieur und Inhaber eines kleinen in Essen ansässigen Unternehmens hat Helmut Mauell schon frühzeitig mit dem Energieversorger RWE zusammengearbeitet. Im Jahr 1957 wurde er von RWE mit einer neuen Anforderung hinsichtlich der Überwachung von Schaltanlagen in Umspannwerken und Transformatorstationen angesprochen. Daraus ist die erste Melderelais-Generation MR10/ MR20 entstanden, die auch nach 60 Jahren und vielen Weiterentwicklungen noch immer eingesetzt wird. Melderelais im Buchholz-Schutz von Transformatoren. © Phoenix Contact 18 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie hervorgegangen ist. Die Geräte zeichneten sich unter anderem durch einen innovativen mechanischen Meldespeicher aus. Die eingehende Meldung wurde über eine Mechanik so lange mechanisch gespeichert, bis sie ein Techniker manuell mit einem Rücksetzknopf quittierte. So konnte der Betreiber auch Stunden oder Tage nach einem Ereignis herausfinden, was den Fehler genau verursacht hatte. Zu der Zeit war das ein absolutes Novum. ihm Recht, es fanden sich schnell weitere Kunden und Anwendungen im energietechnischen Umfeld. Aufgrund der verschiedenen Zielgruppen und Applikationen musste Mauell ständig neue Varianten und Modelle des Melderelais entwickeln. Deshalb ist aus dem ursächlichen Melderelais MR10 eine Gerätefamilie entstanden, die sich in ganz unterschiedlichen Anwendungen nutzen lässt. Durch ihre hohe Flexibilität hat sich die Komponente rund um den Globus einen festen Platz in den Anlagen der Energieversorgungsunternehmen gesichert. Heute werden somit weiterhin standardmäßig Melderelais MR10 im Bereich der Buchholz-Überwachung der Transformatoren verwendet (Bild 1). Sicheres Erfassen und Anzeigen von Erdschlüssen Mit der technologischen Entwicklung der Umspannwerke erhöhte sich ebenfalls die Anzahl der Informationen, die zum sicheren und zuverlässigen Betrieb der Anlagen benötigt wurden. Daher sind Meldekombinationen aufgekommen, welche die Integration von bis zu 150 Meldungen in einem kompakten Gehäuse erlaubten (Bild 2). Über die Jahre kamen weitere Anforderungen hinzu. So wurden die Umwelt- und technologischen Bedingungen, unter denen die Relais störungsfrei arbeiten, stetig ergänzt. Die konventionelle Relaistechnik war beispielsweise nicht in der Lage, sehr kurze Impulse - sogenannte Wischerimpulse - nach einer L e i s t un g s s c h a l te r- A u s lö s u n g sicher zu erkennen. Das Melderelais muss ein solches Signal innerhalb eines einstelligen Millisekundenbereichs detektieren und sicher darauf reagieren. Vor diesem Hintergrund erarbeitete Mauell eine neue Funktion und baute sie in das Gerät ein, um den neuen Rahmenbedingungen zu begegnen. Die Melderelais-Familie wurde also sukzessive weiterentwickelt. Unter anderem ist ein Erdschlussmelderelais geschaffen worden, das sich direkt an eine Dreieckswicklung anschließen ließ, sodass Erdschlüsse im Spannungsbereich zwischen 30 V und 100 V sicher erfasst und angezeigt werden konnten. Das technologische Problem löste Mauell durch eine kreative Idee: Die Leistung der Spule wurde durch eine mechanische Umschaltung derart angepasst, dass sie im gesamten Spannungsbereich (30 V bis 100 V) langfristig und zuverlässig betrieben werden konnte. Ohne diesen technologischen Kniff der mechanischen Umschaltung der Spulenanschaltung wäre die Spule bei steigender Erdschlussspannung zerstört worden. Eindeutige Darstellung der Drehrichtung Als weitere interessante Lösung hat sich ein mechanisches Anzeigerelais erwiesen, das die Drehrichtung in einem Drehstromsystem darstellt. Die Drehrichtungserkennung ist notwendig, damit unterschiedliche Drehstromnetze miteinander gekoppelt werden können. Alle Netze müssen nämlich die gleiche Drehrichtung haben. Ansonsten kann sie der Anwender nicht galvanisch miteinander verbinden. Das steigert die Versorgungssicherheit und ermöglicht eine schnellere Wiederherstellung der Stromversorgung im Fehlerfall. Wer die Auslösung eines Leistungsschalters in einem Umspannwerk selbst erlebt hat, weiß, dass das laute Geräusch mit dem Knall einer großen Explosion vergleichbar ist. Beim Auslösen werden zudem erhebliche Erschütterungen im Umspannwerk freigesetzt, welche die dort Mauell zeigte sich so von seiner Erfindung begeistert, dass er RWE von der Verwendung des neuen Melderelais überzeugen konnte. Daraufhin baute der Tüftler sofort die Produktion des Produkts in seinem kleinen Unternehmen auf. Der Erfolg gab Bild 1: Das Melderelais MR 11 ist einer der Klassiker des umfassenden Portfolios. © Phoenix Contact Bild 2: Das auf der Melderelaistechnik basierende Meldetableau ist einfach handhabbar, übersichtlich und sicher. © Phoenix Contact Bild 3: Trotz hoher Umweltanforderungen können die Melderelais in der Petrochemie eingesetzt werden. © Phoenix Contact 19 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie verbauten mechanischen Komponenten nicht beeinflussen dürfen. Deshalb wurde eine spezielle Mechanik für die Melderelais entwickelt. Sie war schockfest und daher gegen den Einfluss der Erschütterungen resistent. Die Geräte konnten folglich ebenfalls in erdbebengefährdeten Regionen der Welt installiert werden. Neue Materialien für extreme Umweltbedingungen Neben den technologischen Weiterentwicklungen änderten sich im Laufe der Zeit der Vertrieb und die Einsatzorte der Relais. Die Erfahrungen, die Mauell auf dem deutschen Markt gesammelt hatte, wurden durch die Zusammenarbeit mit großen Schaltanlagenbauern um neue Anforderungen aus dem internationalen Umfeld ergänzt. So verwendete das Unternehmen für die Relaiskontakte neue Materialien, die extremeren Umweltbedingungen standhielten, als sie in Deutschland vorzufinden sind. Abgesehen von der Robustheit erhöhte sich auch die Leitfähigkeit, sodass die Relais mit Kleinsignalen, die aufgrund der Nutzung von Elektronik immer häufiger in den Umspannwerken vorkamen, umgehen konnten. Darüber hinaus bot Mauell besonders hochwertige Kontakte an, wie sie in der petrochemischen Industrie erforderlich sind. Auf diese Weise eröffneten sich den Relais weitere Anwendungsbereiche. Durch die Verwendung in der Ölindustrie wurde der geografische Einsatzort der Melderelais erweitert, denn in der Petrochemie mussten sie höhere Temperaturen und Luftfeuchte-Bedingungen aushalten, für die sie anfangs nicht entwickelt worden waren (Bild 3). Damit es bei solch anspruchsvollen Umgebungsbedingungen nicht zu Ausfällen kam, war das Problem einer möglichen Betauung zu lösen. Mauell machte die Spulen deswegen tropenfest und konzipierte entsprechende Gehäuse. Zeitliche Darstellung von Meldefolgen Das innovative mittelständische Unternehmen pflegte einen partnerschaftlichen Kontakt zu seinen Anwendern. Durch die Kundennähe wurden ständig neue, individuelle Anforderungen an die Melderelais gestellt, sodass neben dem ursprünglichen Relaistyp MR10 die Variante MR20 entstand. Sie umfasste sämtliche Funktionen des MR10, verzichtete jedoch auf die mechanische Speicherung von Meldungen und konzentrierte sich auf deren visuelle Anzeige auf der Gerätefront. Die kontinuierliche Weiterentwicklung der Anlagen- und Automatisierungstechnik in den unterschiedlichen Industrien forderte stetig neue Funktionen von den Meldesystemen. Ab einem gewissen Zeitpunkt waren diese mit einem elektromechanischen System nicht mehr technisch und wirtschaftlich umsetzbar. Deshalb entstanden die ersten vollelektronischen Meldesysteme, die kompakter als mechanische Lösungen bauen sowie zusätzliche Funktionen enthalten. Dazu gehören integrierte akustische Signalisierungen, beispielsweise eine Hupe. Die elektronischen Meldesysteme ermöglichen ferner die Abbildung von kundenspezifischen Meldesequenzen sowie die zeitliche Darstellung von Meldefolgen. Durch die Meldefolge lässt sich zum Beispiel im Fehlerfall der ursächliche Grund der Störung einfacher und schneller ermitteln. Derzeit werden die elektronischen Meldesysteme in verschiedenen Industrien genutzt und durch standardisierte Protokolle an das Leit- und Steuerungssystem angebunden. Neue Anwendungsbereiche für bewährte Technik Neue Technik und Elektronik hat die mechanischen Meldesysteme bis heute nicht vollständig ersetzen können. Sogar jetzt ergeben sich noch neue Anwendungsbereiche. Als aktuelles Beispiel sei der Einsatz in Windenergieanlagen genannt (Bild 4). Dort werden die mechanischen Melderelais zur Überwachung der hochwertigen und teuren Getriebetechnik verwendet. Ihre Geschichte geht also weiter, denn gute Produkte finden immer ihren Markt. Mehr Informationen: www.phoenixcontact.de/ energie Torsten Linnemann Manager Sales Automation Products Phoenix Contact Energy Automation GmbH, Velbert Kontakt: torsten.linnemann@phoenixcontact.com Volker Knack Industry Management T&D Phoenix Contact Energy Automation GmbH, Velbert Kontakt: volker.knack@phoenixcontact.com AUTOREN Bild 4: Moderne Windenergieanlagen nutzen betriebsbewährte Melderelaistechnik. © Phoenix Contact 20 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie In China gibt es verschiedenen Schätzungen zufolge etwa 100- Millionenstädte, die rasant wachsen und große Mengen bezahlbarer und umweltfreundlicher Energie benötigen. Im Jahr 2030, so das Ziel, sollen in China rund 20 % des Stroms mit erneuerbaren Energien erzeugt werden. Mit diesen Ausbauzielen legt die chinesische Regierung das Fundament für einen grundlegenden Umbau seines Energieversorgungssystems. Parallel boomt der Ausbau grüner „Smart Cities“, die möglichst energiesparend sein sollen und auf intelligente Energiemanagementsysteme setzen. Laut 13. Fünfjahresplan der Regierung soll eine dezentrale Energieerzeugung in Einklang mit effizienter Laststeuerung entwickelt werden. Das flexible Zusammenspiel von Stromerzeugung, Speicherung und Verbrauch setzt intelligente Stromnetze („Smart Grids“) voraus. Eine Herausforderung für die Realisierung der grünen „Smart Cities“ ist jedoch nach wie vor die Zwischenspeicherung der erneuerbaren Energien, die naturgemäß stark schwanken und zeitweilig in sehr großen Mengen anfallen. Ehrgeizige Ziele nachhaltig erreichen Als Lösung bieten sich verschiedene Batteriespeicher an: Zu den Klassikern zählen Lithiumionen- Akkus, deren Einsatz in dichtbesiedelten Gebieten aufgrund der ihnen innewohnenden Brandgefahr nur unter Einhaltung teurer Sicherheitsmaßnahmen möglich ist. Bis 2021 plant China seinen Vorsprung auf dem Gebiet der Lithiumionen-Akkus weiter auszubauen und eine jährliche Produktionskapazität von 120 GWh zu installieren. Innovative Redox-Flow-Batterien made in Germany könnten China jedoch helfen, seine ambitionierten Ziele auf nachhaltige Art und Weise zu erreichen: Die JenaBatteries GmbH überführt die sicheren und kostengünstigen Speichersysteme zurzeit in die Produktion. Die organischen Redox-Flow-Batterien auf Basis von in Salzwasser gelösten Aktivstoffen machen Strom aus erneuerbaren Energien rund um die Uhr zugänglich, sie sind nicht brennbar oder explosiv und machen den Abbau von seltenen Schwermetallen überflüssig. Ermöglicht haben die vielversprechende Innovation Forschungsergebnisse Shenzhen - wachsende Hightech-Metropole im Süden Chinas. © Valerie Daldrup Energiespeicher- Lösungen für Chinas wachsende Metropolen Erneuerbare Energien, Energiemanagement, Intelligente Stromnetze, Batteriespeicher, Millionenstädte, China Valerie Daldrup, Tobias Janoschka Innovative Redox-Flow-Batterien made in Germany könnten China helfen, seine ambitionierten Ziele beim Ausbau erneuerbarer Energien umweltfreundlich, sicher und kostengünstig zu erreichen. Organische Redox-Flow- Batterien speichern erneuerbare Energien ressourcenschonend, sicher und kostengünstig. © JenaBatteries GmbH und Patente des „Center for Energy and Environmental Chemistry (CEEC)“ der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Für das Jenaer Netzwerk ist China ein wichtiger Markt, um solche innovativen und nachhaltigen Technologien zu internationalisieren. China bietet neben hervorragend aufgestellten Großserienherstellern und einem großen Absatzmarkt zudem ein erkennbar stärker werdendes kreatives Innovationsumfeld, in dem die deutsche Wettbewerbsfähigkeit in verschiedenen Technologiebereichen im Smart City- Kontext durch partnerschaftliche Zusammenarbeit gestärkt werden kann. Wissenschaftler und Unternehmer des Jenaer Netzwerks diskutierten im November 2017 in Guangzhou und Shenzhen auf Messen und Veranstaltungen, wie auf dem Asia Pacific Smart City Development Forum, bereits über Kooperationsmöglichkeiten zur Weiterentwicklung und über einen Transfer von Konzepten und Technologien für Chinas wachsende Metropolen. Potenzielle chinesische Kooperationspartner zeigten sich sehr interessiert an der Anwendung und Produktion der innovativen Energiespeicher. Ein wichtiger Schritt, um in Zukunft mit chinesischen Partnern weiter an Lösungen zur Verbesserung von Energiesicherheit und Klimaschutz zu arbeiten. BMBF-Kampagne „Shaping the Future - Building the City of Tomorrow“ Die Initiative USCC („Urban Solutions for Connected Cities“) der Friedrich-Schiller-Universität Jena und weiterer Partner wie der JenaBatteries GmbH wird im Rahmen der internationalen Kampagne des Bundesministeriums für Bildung und Forschung „Shaping the Future - Building the City of Tomorrow“ gefördert. Die BMBF-Kampagne bietet zehn ausgezeichneten Forschungsnetzwerken aus Deutschland eine Plattform, ihre Projekte für nachhaltige Stadtentwicklung im Ausland zu präsentieren und sich weltweit mit starken Partnern zu vernetzen. Schwerpunktländer der Aktivitäten sind China, Indien, Vietnam, Kolumbien, USA. In Zusammenarbeit mit Dipl. Biol., M.Sc. Ulrike Wolpers, science stories. Links: www.connected-cities.net www.research-in-germany.org/ shapingthe-future https: / / www.facebook.com/ Research. in.Germany https: / / twitter.com/ researchgermany Dipl.-Volksw. Valerie Daldrup USCC-Netzwerkkoordinatorin Friedrich Schiller Universität Jena Servicecenter für Forschung und Transfer (SFT) Kontakt: valerie.daldrup@uni-jena.de Dr. Tobias Janoschka JenaBatteries GmbH Kontakt: contact@jenabatteries.de AUTOR I NNEN Funke Kunststoffe GmbH Tel.: 02388 3071-0 www.funkegruppe.de Die Sickermulde mit Substrat zur Behandlung von belasteten Niederschlagswasserabflüssen • bindet Öl/ Schwermetalle • bildet belebte Bodenzone • schützt das Grundwasser 22 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Die Kernkomponenten der Opti- Charge-Ladestation (Bild 1) sind die regenerative Energieerzeugung in Form einer Photovoltaik- Anlage (PV-Anlage), die Vanadium-Redox-Flow-Batterie (VRFB) als Energiespeicher und ein Energiemanagementsystem (EMS) zur Regelung der Energieflüsse. Zu Beginn des Vorhabens wurde die Anlage modelliert, um die Kernkomponenten der Ladestation auszulegen. Dazu wurden die historischen Nutzungsdaten der bei der IZES gGmbH vorhandenen Dienstfahrzeuge sowie der PV-Ertrag für den geplanten Standort in das Modell eingearbeitet. Die PV-Anlage mit 10,3 kW Peak wurde direkt auf dem Carport installiert, der die vier Ladepunkte - drei mit 22 kW und einer mit 3,7 kW Ladeleistung - sowie den VRFB-Container überdacht. Für den Container wurde eine Speicherkapazität von 120 kWh und eine maximale Lade-/ Entladeleistung von 30 kW ermittelt. Neben diesen Anforderungen konnte auch die gesamte Messtechnik, die EDV-Infrastruktur für das Monitoring, die Datenbanken sowie das EMS und der PV-Wechselrichter im Batteriecontainer untergebracht werden. Im Gegensatz zu anderen Batterietypen haben Flussbatterien - zu denen auch die VRFB gehört - den Vorteil, dass Leistung und Autarke, regenerativ betriebene Ladeinfrastruktur Projekt OptiCharge: optimiertes, speichergestütztes Laden von Elektrofahrzeugen Elektromobilität, Ladeinfrastruktur, regenerative Energieerzeugung, Speichertechnik Stephan Schulte, Bodo Groß Im Rahmen des Vorhabens OptiCharge wurde am Standort der IZES gGmbH im InnovationsCampus Saar in Saarbrücken gemeinsam mit den Verbundpartnern TU Kaiserslautern, SCHMID Energy Systems GmbH und der Universität des Saarlandes eine regenerativ betriebene, speicherunterstützte Ladestation mit vier Ladepunkten realisiert. Mittels eines intelligenten, modellprädiktiven Energiemanagementsystems wird eine überwiegend regenerative Ladung der Fahrzeuge gewährleistet. Am 11. April 2018 erfolgte die offizielle Inbetriebnahme der Anlage. Im Folgenden werden die Komponenten des Systems vorgestellt und über die Vorteile des in dieser Kombination einzigartigen Systems berichtet. © IZES gGmbH 23 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Energie unabhängig voneinander skaliert werden können. Die Energie wird in einem flüssigen Elektrolyt in Form von gelösten Vanadiumionen in unterschiedlichen Oxidationsstufen gespeichert. Die verfügbare Energiemenge lässt sich durch die Größe der Elektrolyttanks festlegen. Die Leistung wird durch die Anzahl und den Aufbau der sogenannten Stacks bestimmt. Jeder Stack besteht aus einer Vielzahl von gestapelten Einzelzellen, durch die das Elektrolyt gepumpt wird. Im Stack wird die chemisch gespeicherte Energie in elektrische Energie umgewandelt. Für die OptiCharge-Ladestation werden sechs Stacks mit je 5 kW Leistung eingesetzt. Neben der bereits genannten unabhängigen Skalierbarkeit von Energie und Leistung bietet die VRFB zahlreiche weitere Vorteile, die sie als stationären Energiespeicher für regenerativ betriebene Ladestationen qualifiziert. Dazu zählt die hohe Zyklenfestigkeit des Elektrolyts, wodurch mehrere Elektroautos pro Tag geladen werden können und die geringe Selbstentladung, wodurch regenerativ erzeugter Strom auch über längere Zeit nahezu verlustfrei gespeichert werden kann. Der Elektrolyt ist außerdem weder brennbar noch explosiv und gewährleistet damit eine hohe Eigensicherheit des Speichersystems. Obwohl Flussbatterien schon lange bekannt sind, besteht bei dieser Technologie im Vergleich zu Lithiumionen- Speichern noch ein großes Optimierungs-Potenzial. Ein Teilziel im Projekt OptiCharge ist daher die weitere Verbesserung der Funktionsmaterialien der VRFB durch die Universität des Saarlandes. Projektiert und gebaut wurde der VRFB-Container von der Schmid Energy Systems GmbH in Freudenstadt. Die Ladestation wird überwiegend zur Ladung der drei elektrischen Dienstfahrzeuge der IZES gGmbH genutzt. Die Nutzung ist aber auch für Gastlader möglich, sofern sich diese vorher registriert haben und dem EMS bei Ankunft den aktuellen Ladezustand, die verfügbare Ladezeit und den gewünschten Ladezustand bei Abfahrt mitgeteilt haben. Die Dienstfahrzeuge werden über ein im Rahmen des Projekts entwickeltes Buchungssystem verwaltet. Dieses schlägt dem Benutzer nach Eingabe von Abfahrts- und Rückkehrzeitpunkt sowie der geplanten Strecke die geeigneten Fahrzeuge vor. Mit der aktuell am IZES vorhandenen Fahrzeugflotte können alle Fahrten bis 120 km rein elektrisch bedient werden. Besteht Bild 1: Anlagenschema der OptiCharge- Ladestation. © IZES gGmbH Ladepunkt 1: Typ 2, Modus 3 22 kW 32A ~400V PV - Anlage Speicher = ~ WR = ~ WR Netz BMS Batteriemanagementsystem Energiemanagement -system Peripherie E-Fahrzeuge 3 Ladesäulen inkl. Zähler Zähler VRFB Übergabepunkt Bezug = Lieferung = 0 100% Autarkie Zähler Zähler Zähler Datenweg Energiefluss PV-Prognose Fremdlader- Schnittstelle Buchungs- System Mess- und Datenbankserver 24 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie am Zielort die Möglichkeit einer Zwischenladung, verdoppelt sich die Reichweite entsprechend. Somit lassen sich rund 80 % der Dienstfahrten mit regenerativ geladenen Elektrofahrzeugen durchführen. Nach Auswahl durch den Benutzer werden dem EMS alle zur Optimierung der Ladeperioden benötigten Daten mitgeteilt. Neben diesen Daten sind dem EMS alle wichtigen Fahrzeug- und Anlagenparameter bekannt. Zusätzlich werden die Ergebnisse einer PV-Ertragsprognose vom EMS für die nächsten Tage verarbeitet. Anhand dieser Daten weist das EMS den Fahrzeugen Ladeperioden zu und passt die Ladeleistung der aktuellen bzw. prognostizierten PV- Leistung an. Ist mehr PV-Leistung vorhanden als benötigt wird, entscheidet das EMS abhängig von den geplanten Fahrten, ob die überschüssige Energie in die angeschlossenen Fahrzeuge geladen oder für spätere Fahrten im stationären Speicher zwischengespeichert wird. Ziel des EMS ist immer, die erzeugte PV- Leistung möglichst vollständig selbst zu nutzen und damit das Netz zu entlasten und Kosten zu sparen. Gleichzeitig muss die Mobilität immer gewährleistet werden. Das EMS greift auf eine Datenbank zu, in welcher die Fahrzeugsowie die Anlagendaten, wie Ladesäulentyp und die Leistungsdaten der regenerativen Energieerzeugung, gespeichert sind. Alle Komponenten des EMS sind modular aufgebaut, wodurch es vom Einfamilienhaus mit PV-Anlage und kleinem Speicher bis zum Firmenfuhrpark mit stationärem Speicher und Flottenmanagement skaliert werden kann. Verantwortlich für die Entwicklung des EMS ist die Technische Universität Kaiserslautern. Bild 2 zeigt die Ladestation nach Abschluss aller Baumaßnahmen inklusive der drei elektrischen Dienstfahrzeuge der IZES gGmbH. Nach der erfolgten Inbetriebnahme beginnt nun die Hauptbetriebs- und Monitoringphase des Projekts. Anhand der erfassten Daten kann der Autarkiegrad belegt werden bzw. lässt sich erheben, wie nahe man dem Ziel „100 % regenerativ betriebene Ladeinfrastruktur im Realbetrieb“ kommen kann. Entscheidend, um dieses Ziel zu erreichen, ist neben den technischen Voraussetzungen, wie der Kommunikation zwischen den Komponenten und der Effizienz der Teilsysteme, vor allem auch das Nutzerverhalten. Je früher eine Fahrt geplant wird, desto besser kann das EMS die verfügbare PV-Energie auf die Fahrzeuge aufteilen. Außerdem kann mit geringeren Ladeleistungen geladen werden, wodurch die Effizienz gesteigert wird. Weiterhin sollen die erfassten Daten genutzt werden, um das Modell der Anlage zu verbessern, um so bei Projektabschluss ein zuverlässiges Planungstool für weitere Anlagen in ähnlicher Konfiguration zu erhalten. In dieses Tool werden auch die durch den Betrieb der Anlage gemachten Erfahrungen einfließen. Neben der Verantwortung für Planungstool und Monitoring sind Betrieb der Anlage sowie Leitung und Koordination des Projekts Aufgabe der IZES gGmbH. Das Vorhaben OptiCharge begann am 1. August 2015 und endet am 31. Dezember 2018. OptiCharge wird durch die Energie SaarLorLux AG und die GIU mbH & Co. Flächenmanagement Saarbrücken KG unterstützt. Das Vorhaben wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie unter dem Förderkennzeichen 03ET6053 A-D gefördert und fachlich vom Projektträger Jülich begleitet. Infos zum Projekt OptiCharge: www.projekt-opticharge.de Bild 2: OptiCharge- Ladestation am Standort der IZES gGmbH in Saarbrücken. © IZES gGmbH Stephan Schulte, M. Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter IZES gGmbH, Institut für Zukunfts- Energie- und Stoffstromsysteme Kontakt: schulte@izes.de Dr. Bodo Groß Leiter Arbeitsfeld „Technische Innovationen“ IZES gGmbH, Institut für Zukunfts- Energie- und Stoffstromsysteme Kontakt: gross@izes.de AUTOREN Digitalisierung versus Lebensqualität Big Data | Green Digital Charter | Kritische Infrastrukturen | Privatheit | Sharing-Systeme 1 · 2016 Was macht Städte smart? URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Mit veränderten Bedingungen leben Hochwasserschutz und Hitzevorsorge | Gewässer in der Stadt | Gründach als urbane Klimaanlage |Baubotanik 1 · 2017 Stadtklima URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Lebensmittel und Naturelement Daseinsvorsorge | Hochwasserschutz | Smarte Infrastrukturen | Regenwassermanagement 2 · 2016 Wasser in der Stadt URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Verbrauchen · Sparen · Erzeugen · Verteilen Energiewende = Wärmewende | Speicher | Geothermie | Tarifmodelle | Flexible Netze | Elektromobilität 2 · 2017 2 · 2017 Stadt und Energie ISSN 2366 7281 g URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Erlebnisraum - oder Ort zum Anbau von Obst und Gemüse Urban Farming | Dach- und Fassadenbegrünung | Grüne Gleise | Parkgewässer im Klimawandel 3 · 2016 Urbanes Grün URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Die Lebensadern der Stadt - t für die Zukunft? Rohrnetze: von Bestandserhaltung bis Digitalisierung | Funktionen von Bahnhöfen | Kritische Infrastrukturen 4 · 2016 Städtische Infrastrukturen URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Die Vielschichtigkeit von Informationsströmen Smart Cities | Automatisierung | Mobilfunk | Urbane Mobilität | Datenmanagement | Krisenkommunikation 3 · 2017 Urbane Kommunikation URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Angri ssicherheit · Betriebssicherheit · gefühlte Sicherheit IT-Security | Kritische Infrastrukturen | Notfallkommunikation | Kaskadene ekte | Vulnerabilität | Resilienz 4 · 2017 4 · 2017 Sicherheit im Stadtraum URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Was macht Städte smart? Soft Data | IT-Security | Klimaresilienz | Energieplanung | Emotionen | Human Smart City | Megatrends 1 · 2018 Die intelligente Stadt URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN WISSEN FÜR DIE STADT VON MORGEN www.transforming-cities.de/ einzelheft-bestellen | www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren 26 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Hessische Gesetzgeber setzen weiter auf Qualifikation RAL-Gütesicherung Kanalbau in EKVO bis 2025 festgeschrieben Ende letzten Jahres hat das Hessische Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (HMUKLV) in Wiesbaden die konsolidierte Fassung der Abwassereigenkontrollverordnung (EKVO für Hessen) als verbindlich rechtswirksam erklärt. Mit der Fortschreibung der jetzt novellierten EKVO Hessen bis zum Jahr 2025 setzt das Ministerium auch in puncto Qualifikation weiterhin Maßstäbe: Es werden Anforderungen gestellt an die fachtechnische Eignung der Betriebe oder Stellen, die mit der Zustandserfassung von Abwasserkanälen und -leitungen zu beauftragen sind. Der Nachweis der fachtechnischen Eignung im Sinne des Gütezeichens Kanalbau RAL-GZ 961 wird ausdrücklich auch von den sogenannten Stellen gefordert. Hiermit gemeint sind unter anderem öffentliche Auftraggeber, die die Zustandserfassung eigenständig durchführen. Betreiber in der Pflicht Grundlage für die EKVO Hessen bildet der Paragraph 61 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG). Danach ist der Betreiber einer Abwasseranlage verpflichtet, den Zustand, die Funktionsfähigkeit, die Unterhaltung und den Betrieb sowie Art und Menge des Abwassers und der Abwasserinhaltsstoffe selbst zu überwachen. Nähere Ausführungen, wie diese Überwachung im Einzelnen zu erfolgen hat, gibt das WHG nicht. Dies ist der Grund, warum die einzelnen Bundesländer ergänzende Regelungen treffen können, wie es bereits im Hessischen Wassergesetz erfolgt ist. Gewöhnlich regeln die EKVOs über gegebene Anforderungen, die Art und den Mindestumfang der durchzuführenden Eigenkontrollen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Zustandserfassung von Abwasserleitungen und -kanälen. Aber auch Regenentlastungsanlagen und Regenrückhaltebecken, Kläranlagen, die direkt in Gewässer einleiten sowie die Kontrolle von Indirekteinleitern durch die Betreiber der nachfolgenden kommunalen Abwasseranlagen unterliegen meist den EKVOs. Hessen mit Vorreiterrolle In diesem Zusammenhang nimmt das Bundesland Hessen eine Vorreitertolle ein: Bereits in der EKVO, die im Jahr 2000 in Kraft trat, war die Forderung nach einer Eignungsprüfung für Fachfirmen verankert, die Abwasserleitungen und -kanäle untersuchen. Damit wurde nachdrücklich die Forderung der Auftraggeber und Fachfirmen untermauert, dass nur solche Unternehmen mit den Kanaluntersuchungen beauftragt werden dürfen, die neben dem Nachweis ihrer Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit auch die Erfüllung der Anforderungen RAL-Gütesicherung GZ 961 nachweisen. Basierend auf den diesbezüglichen guten Erfahrungen der letzten Jahre und nicht zuletzt vor dem Hintergrund der fachlichen Anforderungen, die ein Unternehmen zur Verleihung eines Gütezeichens nachweisen muss sowie der Neutralität für die die Gütesicherung Kanalbau steht. Die Neutralität vom RAL Deutsches Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung e. V. wird durch die ausgewogene Zusammensetzung des Kuratoriums sichergestellt. Es besteht aus Vertretern von 15-Spitzenverbänden, vier Bundesministerien, drei Bundesämtern sowie ordentlichen Mitgliedern von RAL. Im Einzelnen heißt es im Paragraph 3, Absatz 1: „Mit der Überprüfung von Abwasserleitungen und -kanälen dürfen nur Betriebe oder Stellen beauftragt werden, die die Anforderungen nach Anhang 1 Nr. 6 Abs. 1 erfüllen.“ Und weiter im Anhang 1: „Betriebe oder Stellen, die mit der Zustandserfassung von Abwasserkanälen und -leitungen beauftragt werden, müssen vor Auftragsvergabe und während der Werkleistung die erforderliche Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit nachweisen. Der Nachweis gilt als erbracht, wenn der Betrieb oder die Stelle die Anforderungen der vom Deutschen Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung e.V. (RAL) Bild 1: Prüfingenieur Norbert Nielsen begrüßt, dass die Anforderungen der RAL-Gütesicherung GZ-961 in der EK VO von Hessen nach wie vor verankert sind. © Güteschutz Kanalbau 27 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur herausgegebenen Gütesicherung Kanalbau RAL-GZ 961 oder gleichwertige Anforderungen erfüllt. Die Anforderungen sind erfüllt, wenn der Betrieb oder die Stelle im Besitz des RAL-Gütezeichens für den jeweiligen Ausführungsbereich oder die jeweilige Beurteilungsgruppe ist. Die Anforderungen sind ebenfalls erfüllt, wenn der Betrieb oder die Stelle die Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit unter Beachtung der Anforderungen der Güte- und Prüfbestimmungen RAL- GZ 961 nachweist.“ „Dass die Gütesicherung Kanalbau RAL-GZ 961 auch weiterhin in der EKVO als Nachweis über die Eignung gefordert wird, ist für alle Beteiligten von Vorteil“, betont Dipl.-Ing. Norbert Nielsen aus Reinheim (Odenwald), einer der vom Güteausschuss der Gütegemeinschaft Kanalbau beauftragten Prüfingenieure. „Sowohl die Kommunen als Betreiber der Abwasseranlagen als auch Ministerien und zuständige Wasserbehörden können sich dann darauf verlassen, dass die Zustandserfassung durch die beauftragten Unternehmen verlässlich auf hohem fachlichen Niveau durchgeführt werden.“ Hoher Stellenwert Als Nachweis der durchgeführten Eigenkontrolle dient der sogenannte Eigenkontrollbericht, der jährlich verfasst und den zuständigen Wasserbehörden vorzulegen ist. Neben den Stammdaten des Kanalnetzes, dem Umfang und der Einstufung der optischen Inspektion bzw. Druckprüfung, dem Sanierungsbedarf des Kanalnetzes und Informationen zu Zuleitungskanälen, enthält der Mustervordruck für den Eigenkontrollbericht eine verbindliche Erklärung, die abfragt, ob das mit der Durchführung der Untersuchungen beauftragte Unternehmen den Nachweis über die geforderte Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit erbracht hat. Spätestens hier wird deutlich, welch hohen Stellenwert die Gütesicherung Kanalbau im Hessischen Umweltministerium einnimmt. Derzeit gibt es in Hessen etwa 500 Kanalnetzbetreiber, die als berichtspflichtig im Sinne der Eigenkontrollverordnung gelten. Da die Kanalnetze dieser Betreiber an unterschiedliche kommunale Kläranlagen angeschlossen sein können, werden mehr als 1000 Kanalbetzberichte pro Berichtsjahr vorgelegt. So wurde beispielsweise im Jahr 2011 in Hessen nach Auswertung der Eigenkontrolldaten über insgesamt 36 511 km öffentliches Kanalnetz berichtet, was rund 90 % des Erdumfanges am Äquator entspricht. Dabei teilte sich das Kanalnetz auf in 27 563 km Mischwasser-, 3885 km Schmutzwasser- und 5063 km Regenwasserkanäle. Wichtiger Bestandteil des Anlagevermögens Diese Zahlen machen deutlich, wie wichtig die Frage nach einer gesicherten Kontrolle der Abwasserleitungen und -kanäle hinsichtlich ihrer Funktionsfähigkeit ist. Bleibt zu wünschen, das auch andere Bundesländer dem Vorbild Hessens folgen werden: „Unsere Abwasserleitungen und -kanäle sind ein wichtiger Bestandteil des kommunalen Anlagevermögens und stellen in der Regel den werthaltigsten Immobilienbesitz einer Kommune dar. Regelmäßige, fachlich einwandfrei durchgeführte Kontrollen dienen nicht nur dem Erhalt dieses Vermögens sondern leisten auch einen wichtigen Beitrag zum Schutz von Grundwasser und Boden und damit nicht zuletzt unserer Trinkwasserversorgung“, so Nielsen. „Und gerade diese wichtige Aufgabe in den Händen qualifizierter Unternehmen zu wissen, ist eine gute Sache.“ Bild 3: Die Bekanntgabe der konsolidierten Fassung der novellierten EK VO Hessen erfolgte im Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen. © Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Wiesbaden Bild 2: In den Güte- und Prüfbestimmungen RAL-GZ 961 sind die Anforderungen an das Unternehmen definiert. © Güteschutz Kanalbau 28 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Waschwasserrecycling ist für Waschanlagen vorgeschrieben. Die Betriebsleiter beider Objekte haben seit 2003 bzw. 2005 sehr gute Erfahrung mit der Kombination von Waschwasseraufbereitung und Regenwassernutzung gemacht. Übereinstimmend wird festgestellt, dass weiches Regenwasser zu diesem Zweck besser geeignet ist als Trinkwasser. Eine Fachschrift des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen aus dem Jahr 2015 bestätigt dies. Reinigung der Schienenfahrzeuge in Immendingen, Portalwaschanlage mit Regenwasser Die Hohenzollerische Landesbahn (HzL) bedient als Privatbahn im Süden Baden-Württembergs Bahnstrecken und Buslinien. Seit ihrer Gründung im Jahr 1899 hat sie sich von einer Kleinbahn zum mittelgroßen Anbieter mit 60- Triebwagen und 50 Omnibussen entwickelt. Die HzL betreibt drei Waschanlagen an verschiedenen Orten. Dabei anfallendes Abwasser muss laut gesetzlichen Vorgaben gereinigt und wiederverwendet werden. Das schreibt der Anhang 49 der Abwasserverordnung vor. Besonders bei der hier vorgestellten Zug-Waschanlage ist, dass sie die normalen Wasserverluste im Kreislaufverfahren statt mit Trinkwasser durch Regenwasser ausgleicht. Damit erfüllt die HzL Forderungen des Wasserhaushaltgesetzes (WHG 2009) nach einer dezentra- Betriebshöfe - jeder bewirtschaftet Regenwasser auf seine Art Wie erfüllen kommunale und private Verkehrsbetriebe das Wasserhaushaltsgesetz (WHG 2009)? Regenwasserbewirtschaftung, Waschwasseraufbereitung, Betriebshöfe Klaus W. König Gemeinden, Landkreise und Bundesländer unterhalten Betriebshöfe mit Fuhrparks und Werkstätten. Regenwasserbewirtschaftung in Verbindung mit Waschwasseraufbereitung ist für die meisten dieser Einrichtungen selbstverständlich - auch bei privaten sowie kommunalen Verkehrsbetrieben mit Bussen und Bahnen. Im nachfolgenden Beitrag werden die Betriebswerkstatt der Hohenzollerischen Landesbahn in Immendingen und des Regensburger Kommunalen Fahrzeugparks vorgestellt. Bild 1: Betriebswerkstatt der Hohenzollerischen Landesbahn in Immendingen. Zur Instandhaltung und Pflege der Schienenfahrzeuge gehört eine Wäsche pro Woche in der Portalwaschanlage mit Kreislauf- und Regenwasser. © König 29 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur len Bewirtschaftung von Niederschlag. Dies geschah schon viele Jahre bevor das Bundesgesetz am 1. März 2010 in Kraft getreten ist. Die Regenwassernutzung bei HzL ist ein Beitrag zum nachhaltigen Umgang mit Wasser und zahlt sich Jahr für Jahr bei den Betriebskosten aus. Für die Schienenfahrzeug-Instandhaltung und -Pflege wurde der Service-Stützpunkt in Immendingen errichtet und im Jahr 2003 in Betrieb genommen. Hinter einem der Einfahrtstore steht die Portalwaschanlage. Hier werden täglich fünf bis sechs Schienenfahrzeuge gereinigt. Helmut Müller, Leiter der Betriebswerkstatt in Immendingen, lässt etwa 25 Wäschen wöchentlich durchführen, jeder Zug ist einmal pro Woche dran. „Wie bei einer Portalwaschanlage üblich, bewegen sich die Reinigungsbürsten selbständig über das Fahrzeug - auch am Dach“, sagt Müller. „Für jeden Zugtyp haben wir ein passendes Reinigungsprogramm in der Anlagensteuerung gespeichert. So werden Spiralfedern an der Seite der Fahrzeuge von den Bürsten automatisch umfahren. Auch Front und Heck mit ihren fettigen Puffern bekommen eine entsprechend angepasste Behandlung“. Abwasser, das von der Vorwäsche der Züge stammt oder unabhängig von der Waschanlage in der Werkstatt anfällt und mineralölhaltige Kohlenwasserstoffe enthalten kann, wird mit einer Abscheideanlage Klasse I und Klasse II nach EN 858/ DIN 1999-100 behandelt, bevor es in den öffentlichen Abwasserkanal gelangt. Dass für die Wäsche Regenwasser zur Verfügung steht, hat mehrere Vorteile. Zunächst verringert sich die Niederschlagsgebühr an die Kommune für die genutzte Menge - sie wurde schließlich nicht an den Kanal abgegeben. Allerdings muss dies durch einen zusätzlichen Wasserzähler nachgewiesen werden. Dann entfällt in der gleichen Menge Trinkwasser, das ansonsten zum regelmäßigen Auffüllen der Waschwasservorlage benötigt worden wäre. Auch dafür wird die Gebühr gespart. Weitere Vorteile ergeben sich, wie bei der nachfolgend beschriebenen Bus-Waschanlage, aus der „weichen“ Beschaffenheit des Regenwassers. Reinigung der Busse in Regensburg: Durchfahrwaschanlage mit Regenwasser Die Regensburger Kommunaler Fahrzeugpark GmbH (RFG) mit rund 60 Mitarbeitern unterhält bereits seit 1964 den Betriebshof in der Markomannenstraße und ist unter anderem für 110 Stadtlinienbusse zuständig. Die bestehende Bus-Waschanlage war nicht mehr sanierungsfähig und musste von Grund auf neu konzipiert werden. Damit bot sich die Gelegenheit, zum Ausgleich des Verschleppungsverlustes (Wasserverlust an den Oberflächen von Waschhalle und Fahrzeugen sowie bei der Schlammentsorgung, etwa 30 % pro Waschgang) REGENWASSERNUTZUNG Eine besondere Form der Regenrückhaltung vor Ort ist die Regenwassernutzung. Damit lässt sich zusätzlich Trinkwasser einsparen. Üblicherweise wird dafür das Niederschlagswasser der Dachflächen verwendet. Die Möglichkeiten, Regenwasser ohne Probleme als Rohstoff in Haus und Natur zu verwenden, sind vielfältig; die Technik dafür ist vorhanden. Regel der Technik (Stand Mai 2018): DIN 1989-1: 2002-04 Besonderheit: Mitteilung an Wasserversorger und Gesundheitsamt vor dem Bau der Anlage erforderlich. Bild 2: Elektrische Steuerung der Portalwaschanlage in Immendingen. Kreislauf- und Regenwasser können beliebig für einzelne Waschschritte eingesetzt werden. © König Bild 3: Betriebshof Regensburger kommunaler Fahrzeugpark. Gelenkbus in der Durchfahr- Waschanlage, speziell eingestellt für eine Waschzeit von einer Minute. © König 30 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur einen Teil des auf den Dachflächen der 3-teiligen Abstellhalle anfallenden Regenwassers zu verwenden, anstatt weiterhin Trinkwasser „zu kaufen“. Das Auffüllen geschieht durch Regenwasser, welches aus dem Vorlagebehälter im letzten Spülgang auf die Fahrzeuge gesprüht und dann Bestandteil der Kreislaufführung wird. Dass Regenwasser statt Trinkwasser kontinuierlich zum Ausgleich der fehlenden Menge verwendet wird, bringt Einsparungen bei den Trinkwassergebühren mit sich. Betriebskosten für Pumpenstrom und Filterreinigung müssen gegengerechnet werden, fallen erfahrungsgemäß jedoch kaum ins Gewicht. Für die Instandhaltung und Pflege der Busse wurde im Jahr 2005 die neu erstellte Halle in Betrieb genommen. Hinter einem der Einfahrtstore steht die Waschstraße. Hier fahren witterungsabhängig bis zu 60- Fahrzeuge pro Tag durch. Der Niederschlag von etwa 1000 m² Dachfläche wird per Filterschacht gereinigt, in einem Großbehälter mit 66 m³ Fassungsvermögen gesammelt und von dort in den Vorlagebehälter gepumpt. Zur Waschwasseraufbereitung dient eine bauaufsichtlich zugelassene Kreislaufbehandlungsanlage. Sie besteht aus mehreren unterirdisch eingebauten Behältern. Im ersten erfolgt die Vorbehandlung durch Schlammfang und Vorabscheider. Dabei werden sowohl absinkende wie auch aufschwimmende Stoffe zur weitgehenden Entlastung und Schonung der nachfolgenden Anlagentechnik zurückgehalten. Im zweiten Becken erfolgt die mechanisch-biologische Aufbereitung, im dritten lagert das so gereinigte Wasser, bis es im oberirdischen Vorlagebehälter benötigt wird. In bestimmten Zeitabständen, abhängig von der Außentemperatur, wird dieses bereitstehende Betriebswasser umgewälzt, um einer Geruchsbildung vorzubeugen. Aus der Zisterne wird Regenwasser ebenfalls in einen oberirdischen Vorlagebehälter gepumpt, kann dort jedoch ohne Belüftungsmaßnahmen bevorratet werden, da es keine nennenswerten organischen Bestandteile hat. Somit können Betriebs- und Regenwasser beliebig für einzelne Waschschritte eingesetzt werden. Die Beschaffenheit des von Natur aus weichen Regenwassers ist ideal, denn es hinterlässt keine Kalkschleier auf Lack und Scheiben. Und es reduziert vor allem im Winter die Leitfähigkeit des Betriebswassers, das heißt, es gleicht die durch mehrfache Bundesweit gültige gesetzliche Grundlage: Nach dem aktuellen Wasserhaushaltsgesetz WHG 2009, gültig seit 1. März 2010, hat die ortsnahe Bewirtschaftung von Regenwasser Priorität. Ziel von Gesetzgebung und Normen ist, dass künftig im Zuge der Oberflächenentwässerung der natürliche Wasserhaushalt weitgehend erhalten wird. Das Nutzen von Regenwasser als so genanntes Betriebswasser anstelle von Trinkwasser schont Ressourcen - spart Trinkwasser, Energie und Kosten - im Sinne von Vermeidung. Wo aber Betriebswasser nicht gebraucht wird oder seine Verwendung nicht wirtschaftlich wäre, soll der Niederschlag über Gründächer verdunstet, im Untergrund versickert oder ins Oberflächengewässer abgeleitet werden. Regelwerke, Stand Mai 2018: Für die Grundstückentwässerung gilt DIN 1986-100 als Ausgangsnorm. Die zur Zeit aktuelle Ausgabe ist von Dezember 2016. Für das Ableiten in Oberflächengewässer liegt der Gelbdruck des Arbeitsblattes DWA-A 102 vor (inhaltsgleich mit BWK-A 3). Bis zum Ende der Entwurfsphase gelten noch DWA-M 153 und BWK-M3/ -M7. Für Anlagen zur Versickerung von Niederschlagswasser ist DWA-A 138, Stand April 2005, die zentrale technische Regel. Für die versickerungsfähigen Verkehrsflächen ist FGSV M V V R2, Ausgabe 2013, maßgeblich. Für Regenwassernutzungsanlagen gilt DIN 1989-1 von April 2002, ab Juni 2018 abgelöst durch DIN EN 16941-1. GESETZE UND NORMEN Fahrzeugwaschanlage Kreislaufwasserbehandlungsanlage NeutraClear Steuerung Regenwassernutzung für Fahrzeugwäsche Vorbehandlungsbecken Behandlungsbecken Betriebswasservorlage Probenahmeschacht Bild 5: Regenwasserbewirtschaftung in Verbindung mit Waschwasseraufbereitung. Funktionsschema Recycling rechts und Regenwassereinspeisung links. © Mall Bild 4: Betriebshof Regensburger kommunaler Fahrzeugpark. Sammelleitung für Regenwasser vom Dach der Einstellhalle. Auf dem Weg in den unterirdischen Regenspeicher wird das Niederschlagswasser in einem Filterschacht gereinigt. © König Aufbereitung allmählich ansteigende Salzkonzentration des recycelten Waschwassers aus. Trinkwasser, insbesondere aus Grund- und Quellwasser, das mit Gestein in Berührung kommt und Mineralstoffe auslöst, hat seinerseits eine hohe Leitfähigkeit und hinterlässt Rückstände auf den Fahrzeugen. Es eignet sich daher zur Auffrischung des Waschwassers weniger gut als Regenwasser. Auch die Trinkwassergebühren sprechen dagegen. Darüber hinaus erfüllt die RFG Forderungen des Wasserhaushaltgesetzes (WHG 2009) nach dezentraler Bewirtschaftung von Niederschlag - und begann damit schon 5 Jahre, bevor dieses Bundesgesetz am 1. März 2010 Gültigkeit bekam. Im Rückblick stellt der stellvertretende Betriebsleiter Andreas Riebel, fest, dass die Regenwassernutzung bei der RFG nicht nur ein Beitrag zum Umweltschutz ist, sondern sich auch auf lange Sicht bewährt. „Den über 12 Jahre nahezu störungsfreien Betrieb führe ich vor allem auf das wirksame Verfahren und die unkomplizierte Technik unserer Waschwasseraufbereitung zurück. Kein störender Geruch! Wir haben eben nicht die billigste, wohl aber die zuverlässigste Anlage gekauft“. Fachschrift Fahrzeugwäsche Vom Ausschuss für Betriebshöfe und Werkstätten des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen Die „Fahrzeugwäsche bei Bussen und Bahnen“ hat sich für die Verkehrsunternehmen im VDV in der Vergangenheit mehr und mehr als ein wichtiges Thema mit großer wirtschaftlicher Bedeutung und hoher Öffentlichkeitswirksamkeit erwiesen. Gleichwohl wird es inhaltlich bisher nur am Rande in verschiedenen VDV- Schriften behandelt. Die Ziele dieser Schrift sind dementsprechend die Stärkung der Kompetenz der Verkehrsunternehmen bei Beschaffung oder Erneuerung einer Waschanlage und der zugehörigen Kreislaufwasserbehandlungsanlage. Die Auswahl und Anwendung der Reinigungsmittel wird in diesem Zusammenhang ebenfalls als wichtiges Kriterium betrachtet. Die Schrift soll auch eine Unterstützung für die Planung der Betriebsabläufe rund um den Waschprozess geben. Sie soll darüber hinaus die wirtschaftlichen Gesichtspunkte, die zu einer Entscheidung für den Einsatz des einen oder anderen Systems wesentlich sind, und die immer mehr in den Vordergrund tretenden rechtlichen Aspekte der Betreiberverantwortung und des Arbeitsschutzes aufhellen. QUELLEN • VDV-Schrift 861, Stand 04/ 2015, zu beziehen beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e. V. Köln • Regenwasserbewirtschaftung und Niederschlagswasserbehandlung, Planerhandbuch. (Hrsg.: ) Mall GmbH, Donaueschingen, 2018. • König, K. W.: Ratgeber Regenwasser. Für Kommunen und Planungsbüros. Rückhalten, Nutzen, Versickern und Behandeln von Regenwasser im Siedlungsgebiet. Hrsg.: Mall GmbH, Donaueschingen, 7.-Auflage, 2018. solution software für die smart city von morgen Maßgeschneidertes Energiedatenmanagement Flexible Visualisierung und Bedienung der Wasserversorgung Steuerung und Überwachung des öffentlichen Nahverkehrs Gebäudeautomation zenon www.copadata.com/ smartcity Mehr Infos? Schreiben Sie an: george.dal@copadata.de Microsoft Partner of the Year: 2016 Public Sector: CityNext 2017 Internet of Things (IoT) Winner Dipl.-Ing. Klaus W. König Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Bewirtschaftung und Nutzung von Regenwasser, Fachjournalist kwkoenig@koenig-regenwasser.de AUTOR 32 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Die Classen Gruppe ist Produzent, Lieferant und Sortimentsdienstleister für naturbelassene Holzprodukte für den Innenausbau. Das Unternehmen entwickelt und produziert hochwertige Bodenbeläge ausschließlich in Deutschland und gehört zu den weltweit führenden Anbietern von Laminatböden. Schon frühzeitig nach der Wende wurden die Weichen für den Produktionsstandort Baruth/ Mark im strategischen Berliner Umland gelegt. Das starke Wachstum des Unternehmens machte es dann notwendig, den Standort der gestiegenen Nachfrage anzupassen und auszubauen. Deshalb galt für die notwendige Überplanung der Liegenschaft auch, die innerbetrieblichen logistischen Aspekte stärker zu berücksichtigen. So wurde dem Planungsteam schnell klar, dass die Produktions- und Logistikhallen idealerweise dort erweitert werden mussten, wo sich bereits das offene, zentrale Regenversickerungsbecken Systemtechnik am alten Standort fiel. Die Versickerungsfähigkeit des Untergrundes wurde mittels Versickerungsversuchen nachgewiesen, der kf-Wert wurde mit 1,0 x 10 - 4 m/ s ermittelt. Die mit diesem Wert durchgeführten Berechnungen nach DWA-A-138 für das bestehende Versickerungsbecken und die in den 15 Jahren gemachten Betriebserfahrungen am Standort bestätigen den damals angenommen Wert. Auch die vorgeschalteten Bauwerke wie Reinigungsbecken und Absetzbecken erfüllen weiterhin voll und sicher ihre Funktion und konnten ohne weiteres an die neuen Rahmenbedingungen angepasst werden. Der Grundwasserstand wurde ebenfalls durch eine Pegelbohrung nachgewiesen. Danach steht das Grundwasser etwa 10,00-m unter Geländeoberkante an. Der Flurabstand der Versickerungsanlage verändert sich nicht, er beträgt auch weiterhin rund 4,00 m. Neue Wege in der Regenwasserbewirtschaftung Moderne und leistungsstarke Kunststoffhohlkörperrigole statt Regenwassermulde Andreas Amft Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung sowie der Schutz von Klima und Umwelt sind für die Classen Gruppe und deren Mitarbeiter verpflichtende Grundwerte. Diese Unternehmensphilosophie steht auch für einen nachhaltigen Umgang mit Niederschlagsabflüssen. befand. In Vorbereitung auf den anstehenden Hallenneubau wurde das Becken durch eine moderne, unterirdische und zugleich überbaubare Versickerungsrigole ersetzt. Alternativ hätte ein neuer Ablaufkanal über mehrere hundert Meter bis über die derzeitigen Grundstückgrenzen des Unternehmens Classen hinweg errichtet werden müssen, um außerhalb ein neues Versickerungsbecken zu bauen. Wegen der Kosten, dem nicht zur Verfügung stehenden Grundstück sowie einer generellen Ungewissheit über die sonstigen Rahmenbedingungen (wie zum Beispiel Versickerungsfähigkeit, Grundwasserabstand) außerhalb der Grundstücksgrenzen, entschied man sich gegen eine solche Lösung. Da sich gerade die Versickerungsfähigkeit am alten Standort der Anlage über viele Jahre hinweg als sehr leistungsfähig und störungsfrei gezeigt hatte, lag es nahe, dass die Wahl auf eine neue Bild 1: (links) Nahezu fertiggestellte Enregis Hochlast Regenwasserversickerungsanlage. © Enregis Bild 2: (rechts) Wasserhaltemaßnahme während der Vorbereitung der späteren Rigolenbzw. Retentionskörperaufstandsfläche. © Enregis 33 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Da die Einleitstelle selbst nicht verändert wurde, sondern sich die Veränderungen ausschließlich in der Ausgestaltung der Versickerungsanlage ergaben, konnte auch weiterhin die bestehende wasserrechtliche Genehmigung als Betriebsgrundlage herangezogen werden. (vorliegende Genehmigung nach § 8 WHG). Die neue, unterirdische Versickerungsanlage, aufbauend auf modernen Hochlastspeicherkörpern von Enregis wurde entsprechend der DWA-A-138 neu berechnet. Die hierbei ursprünglich zugrunde liegende Einleitmenge von 1204 l/ s wird trotz der zusätzlich anzuschließenden Fläche aus dem Hallenneubau nicht überschritten (Ared = 9,54 ha x 120 l/ (sxha) = 1144,8 l/ s). Da die unterirdische Versickerungsrigole überbaut werden sollte, kam gerade auch der Auswahl des richtigen, leistungsstarken Systems sowie der generellen technischen Ausgestaltung der Rigole große Bedeutung zu. Die Entscheidung fiel dann auf das Hochleistungs- ENREGIS/ X- Box ® bzw. ENREGIS/ Controlbox ® - System. Neben einer extrem hohen Berstdruckfestigkeit, sowohl in vertikaler als auch in horizontaler Wirkrichtung, weist dieses System eine Vielzahl von weiteren Systemvorteilen, gerade im Hinblick auf die Funktionalität, aus. Mit einer zertifizierten Berstdruckfestigkeit von > 600 kN/ m² kann der Retentionskörper selbst bei extrem oberflächennahem Einbau aufnehmen und langfristig sicher ins Erdreich ableiten. Die Enregis Kunststoffhohlkörperelemente können direkt auf das tragfähige Erdreich in der Baugrube aufgestellt und sofort mit Standardmaterialien gemäß DIBt bzw. Herstellervorgaben verfüllt werden. Eine zusätzlich innenliegende, über die Gesamtlänge der Anlage integrierte Inspektions- und Filterstufe mit einer Nennweite von > DN 500 schützt den Retentionsspeicher sowie das anstehende Erdreich nachhaltig vor Verschlammung. Sollten im Störungsfall vorgeschaltete Filtersysteme nicht fachgerecht betrieben werden, schützt diese zusätzliche Filterstufe das System. Ein späterer Zugang zum System, für etwaige Wartungs- oder Spülvorgänge erforderlich, wird durch die im Enregis System ebenfalls integrierten DN 600 Kontrollschächte und über > 500 mm große Spül- und Kontrollkanäle sichergestellt. Bedingt durch die Leichtmodulbauweise des Systems konnte die rund 2733 m³ große Retentions-/ Versickerungsanlage in kürzester Zeit umgesetzt werden. Die veranschlagte Bauzeit wurde sogar unterschritten. Die Regenwasserbehandlungs- und Retentions-/ Versickerungsanlage wurde für eine fünfjährige Überschreitungshäufigkeit eines Starkregenereignisses, wie es nach DWA-Regelwerk (Arbeitsblatt DWA-A 138) empfohlen wird, ausgelegt. Fazit: Besondere Anforderungen im Industriebau erfordern sehr spezifische Lösungsansätze. Positiv, wenn Auftraggeber, Planungsverantwortliche, Verarbeiter und nicht zuletzt Hersteller neben den ökonomischen auch die ökologischen Aspekte gleichbedeutend bewerten, gemeinsam vorantreiben und infolge auch gemeinsam umsetzen können. Das vorliegende Beispiel zeigt sehr deutlich, dass es eine Vielzahl von Lösungsvarianten gibt, die einen umweltgerechten Umgang mit Niederschlagswasser, selbst im Industriebau ermöglichen. Manchmal ist auch ein Umdenken im Einsatz von Technologien erforderlich. Bild 3: (links) Schaffung eines Planums sowie einer Ausgleichschicht gemäß Herstellerbzw. DIBt Vorgaben. © Enregis Bild 4: (rechts) Einbau des zertifizierten Enregis Hochlast Regenwasserretentionskörpers ENREGIS/ X-Box ® / ENREGIS/ Controlbox System ® . © Enregis Dipl. Wirtsch.-Ing. Andreas Paul Amft Geschäftsführender Gesellschafter ENREGIS GmbH Kontakt: andreas.amft@enregis.de AUTOR 34 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Sammeln und Zurückhalten (lat. retinere) ermöglicht mehrere dezentrale Bewirtschaftungsmethoden, die gemäß technischem Regelwerk DWA-A 102/ BWK-A 3 [1] mit hoher Wahrscheinlichkeit ab 2019 in Deutschland Voraussetzung für Baugenehmigungen sein werden: Die verzögerte Ableitung, die Versickerung und zunehmend auch die Verdunstung. Neu ist dann, dass alle drei Versionen zugleich realisiert sein müssen, und zwar in dem Verhältnis der lokalen Wasserbilanz, das vor der Bebauung im ungestörten Zustand vor Ort gegeben war. Erforderlich ist in jedem Fall eine Speicherbzw. Retentionsanlage, in der das Wasser zur weiteren Bewirtschaftung bereitgehalten wird - allerdings soweit gereinigt, dass es in Grund- und Oberflächengewässer eingeleitet werden darf. Zur Nachverdichtung in Industrie und Innenstadt brauchen wir dazuhin Lösungen, die ohne Oberfläche auskommen und den Niederschlag in die Trennkanalisation oder - mit Ausnahmegenehmigung - in den Mischkanal einleiten, wie im nachfolgend beschriebenen Beispiel. Retention im Tunnel Gefragt sind also unterirdische Speicherräume, um die immer kostbarer werdenden urbanen Geländeflächen für andere Zwecke freizuhalten. Dennoch sollen die Speicher belastbar sein, denn der Platz darüber wird erfahrungsgemäß für Verkehrsflächen genutzt, in der Industrie auch als Materiallager. Tiefbau-Unternehmen haben bei derartigen Anforderungen traditionell Rigolen (der Begriff stammt laut Duden aus dem niederländischen und französischen) mit Grobkies oder Schotter gebaut und dabei Material einer einzigen Sieblinien-Fraktion ohne Feinanteile verwendet. So konnten die Zwischenräume der Steine Wasser aufnehmen. Allseitig war ein wasserdurchlässiges Geotextil erforderlich, damit in die Hohlräume von außen nicht Erde oder Sand eingeschwemmt wurde. Doch diese Bauweise hat Nachteile: Nur etwa 30 % des Rigolenvolumens sind Hohlräume. Außerdem belasten Gewinnung und Transport des mineralischen Materials die Umwelt mehr als die heute übliche Rigole für Industrie und Innenstadt Regenwasser-Retention ist Pflicht, auch wenn oberirdisch die Fläche fehlt Barbara Sahler Der in Zukunft wohl bedeutendste Baustein zur Regenwasserbewirtschaftung in bestehenden Siedlungsgebieten, in dicht bebauten Industrieregionen und ebenfalls in neu zu erschließenden Flächen von Ballungsräumen ist die Retention des Niederschlagswassers. Bild 1: In einem hoch verdichteten innerstädtischen Industriegebiet in Stuttgart wurde die unterirdische Retention des Niederschlagswassers eingesetzt - der in Zukunft wohl bedeutendste Baustein dezentraler Regenwasserbewirtschaftung. © König 35 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Lösung: In modularer Bauweise werden statisch ideale Kunststoffelemente mit mehr als 90 % Hohlraum zusammengefügt und nach außen durch ein Geotextil geschützt. Das Rigolenvolumen und damit der Aushub beträgt nur noch ein Drittel. Diese Module sind umso beliebter, je weniger tief sie eingebaut, je leichter sie zu handhaben und je kompakter sie zu transportieren sind. Im Wettbewerb stehen Blockrigolen aus kubischen Elementen - übergroßen Bierkästen gleich, deren Hersteller sich leicht anhand der Materialfarbe ermitteln lässt - und ein gelbes Tunnelsystem. Ableitung mit Drossel Überlastete Kanalnetze führen dazu, dass beim Nachverdichten in Bestandsgebieten Baugenehmigungen die Auflage zur dezentralen Regenwasserbewirtschaftung enthalten. Wenn aber die bestehenden Möglichkeiten ausgeschöpft sind und die Versickerung aus geologischen Gründen nicht möglich oder wegen Altlasten im Untergrund nicht zulässig ist, bleibt nur der Kanalanschluss mit gedrosselter Ableitung - wie im vorliegenden Fall in einem hoch verdichteten innerstädtischen Industriegebiet eines Stuttgarter Sportwagenherstellers. Die Stadtentwässerung Stuttgart hat die Regenwassereinleitung bei diesem Objekt auf den Maximalwert von 37,7 Liter pro Sekunde beschränkt. Marian Dürrschnabel, Teamleiter des Produktmanagements beim Rigolen-Hersteller BIRCO GmbH, entschied sich für eine statische Drossel mit Lochblende: „Diese reguliert zuverlässig den Ablauf des zurück gehaltenen Regenwassers. Wir haben sie leicht zugänglich für die Inspektion in einem separaten BIRCO-Systemschacht untergebracht.“ Stauraumdimensionierung im Nachweisverfahren Die Stadtentwässerung will bei Niederschlag keine größeren Volumenströme im Mischkanal haben als zuvor. So musste auf dem Gelände des expandierenden Betriebes ein Stauraum her, aus dem Regenwasser automatisch und zeitverzögert erst dann eingeleitet wird, wenn die Kläranlage den ersten Schwall aus der Umgebung bereits verarbeitet hat. Im Interesse der Bauherrschaft sollten weder Geländefläche noch umbauter Raum dazu geopfert werden. Die Planer für Technische Gebäudeausrüstung der Deerns Deutschland GmbH haben sich dieser Herausforderung angenommen. Zur Dimensionierung des erforderlichen Stauraums gilt das Arbeitsblatt DWA-A 117 [2]. Wo früher noch das einfache Verfahren angewandt wurde, bedient man sich heute der in- Das Arbeitsblatt DWA-A 117 [2] ist im Bereich der gesamten Abwasserableitung zwischen der Grundstücksentwässerung und dem Gewässer anwendbar. Es regelt die Bemessung und den Nachweis von Regenrückhalteräumen. Gründe für die Anordnung von Regenrückhalteräumen sind zum Beispiel die Begrenzung von Gebietsabflüssen, Kosteneinsparungen beim Bau von Entwässerungssystemen, der Anschluss von Neubaugebieten an ausgelastete Entwässerungssysteme oder die Sanierung überlasteter Kanalnetze. Angesichts der Investitionen, die für den Bau von Abflusssystemen und Rückhalteräumen erforderlich sind, kommt einer nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgerichteten Konzeption und Bemessung von Rückhalteräumen große Bedeutung zu. Einflüsse auf das Bemessungsergebnis könnten sich aus möglichen Auswirkungen des Klimawandels ergeben. Die heute vorliegenden Niederschlagsprojektionen weisen eine sehr große Variabilität auf. Für die Bemessung von Rückhalteräumen ist dabei insbesondere die Zunahme von lokalen Starkregenereignissen von Bedeutung, die zu einer Erhöhung der erforderlichen Rückhaltevolumina führen könnten. Aufgrund der großen regionalen Variabilität und der großen Unsicherheiten der prognostizierten Niederschlagsentwicklung wird jedoch von einem Klimawandelzuschlag im Bemessungsgang abgeraten. Vielmehr sind bei der Planung - auch im Hinblick auf die Ziele einer integralen Siedlungsentwässerung - Möglichkeiten zur späteren Erweiterbarkeit des Rückhalteraums und zur Verringerung des Niederschlagswasseranfalls zu berücksichtigen. Eine detaillierte Darstellung der möglichen Auswirkungen ist auch im DWA-Themenband „Klimawandel - Herausforderungen und Lösungsansätze für die deutsche Wasserwirtschaft“ enthalten. Das Arbeitsblatt richtet sich insbesondere an planende Ingenieure, Aufsichtsbehörden und Kommunen. Quelle: http: / / www.dwa.de/ dwa/ shop/ REGENRÜCKHALTERÄUME UND STARKREGENEREIGNISSE zwischen detaillierteren Niederschlagsdaten und schafft mit Hilfe deutlich verbesserter Rechnerkapazitäten Ergebnisse nach dem so genannten Nachweisverfahren. Der Planungsaufwand dabei ist deutlich höher, aber gerechtfertigt, da für den Betreiber das Risiko unkalkulierbarer Schäden infolge Unterbemessung ebenso reduziert wird wie kostspielige Überbemessungen. Bild 2: Geländeschnitt mit Regenentwässerung von Hausdach und befestigter Fläche, Kontrollschacht inklusive Sandfang sowie Anschluss an den unterirdischen Stauraum. Dieser dient hier mit allseitiger Abdichtung als Retentionsrigole, bei anderen Objekten ohne Abdichtung als Versickerungsrigole. © BIRCO 36 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Schwerlast oben, Grundwasser unten Der Auftrag an den Generalunternehmer Moser GmbH & Co. KG enthielt unter anderem den Bau eines unterirdischen Rückhalteraumes von 75 m³ Volumen mit Abflussdrossel inklusive Anschluss der Regenentwässerung eines neuen Gebäudes und des asphaltierten Innenhofs (der für Lieferverkehr sowie als PKW- Parkplatz genutzt wird). „Gefordert war eine Rigole in flacher Bauweise wegen des hohen Grundwasserstandes. Zugleich sollte darüber, und das bei nur wenig Überdeckung, Schwerlastverkehr möglich sein“, erinnert sich Andreas Olmosi, Projektleiter beim Bauunternehmer MOSER. „Da gibt es kaum Alternativen, wenn die Bauherrschaft wie hier auch noch zusätzlich die Möglichkeiten einer Kamera-Inspektion und einer leichten Zugänglichkeit für Wartung wünscht“. Bei nur 405 mm Scheitelhöhe werden immerhin 880 L Speichervolumen pro Tunnelelement erreicht. Ein Element ist an der Basis 2300 mm lang und 865-mm breit. Überdeckt wird es beispielsweise mit Schotter der Körnung 16 - 32 mm. Das durch das DIBt in Berlin zugelassene Rigolen-Produkt Nr. Z-42.1-525 ermöglicht dauerhaften Schwerlastverkehr SLW 60 bei einer Mindestüberdeckung von nur 1,00 m. Für Transport und Lagerung sind die Einzelteile kompakt. Auf eine Palette passen 40 Tunnelelemente SC-310 mit einem Speichervolumen von 36 m³. Eine Person allein kann die Tunnel verlegen und verbinden - dank des geringen Gewichts von 17,5 kg pro Element und der kraftschlüssigen Steckverbindung. Für Großprojekte können so innerhalb kurzer Zeit selbst große Rigolen wirtschaftlich installiert werden. Abdichtung nach allen Seiten Zunächst ist es wichtig zu wissen, dass BIRCO Rigolentunnel von StormTech ® auch für die Regenwasserbehandlung mit anschließender Versickerung konzipiert wurden. Aus diesem Grund wird die Anlage mit einem Schutzvlies umhüllt, welches das Eindringen Bild 3: Abdichtung der Retentionsrigole nach unten und zur Seite. Die schwarze Dichtungsbahn wird abschnittsweise auf einem Schutzvlies ausgelegt und verschweißt. © BIRCO Bild 4: Sieben Reihen BIRCO Rigolentunnel von StormTech ® SC- 310 mit insgesamt 75 m³ Retentionsvolumen, davon vier Reihen als Sedimentationstunnel mit Zulauf DN 315. © BIRCO Bild 5: Die oberseitige verschweißte Dichtungsbahn der Rigole wird mit Schutzvlies abgedeckt. © BIRCO Bild 6: Anschluss BIRCOsir Punkteinlauf 40 x 40 cm mit Gussabdeckung E 600, für die Entwässerung der Verkehrsflächen, mit zusätzlicher Entlüftungsfunktion. © BIRCO 37 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur von Erde und Sand von außen verhindert, Wasser jedoch von innen her allseitig gut austreten lässt. Als Stauraum mit verzögerter Ableitung zur Kanalisation funktioniert die Rigole allerdings nur dank einer dauerhaften, verschweißten Abdichtung. Hier wurde eine glatte schwarze Folie aus PE HD mit 2,0 mm Dicke und DIBT-Zulassung verbaut. „Sie ist wurzelfest, beständig gegen Nagetiere und wird vor allem bei Lagerhallen, Gefahrgutlagern sowie im Straßen- und im Deponiebau eingesetzt. Als Schutzlage haben wir ein Multicolor-Faservlies mit 400 g Flächengewicht verwendet“, sagt Frank Müller, geschäftsführender Gesellschafter der F+T Müller GmbH. Sein Betrieb erfüllt die Qualitätsziele der Überwachungsordnung des Arbeitskreises Grundwasserschutz e.V. Zusammenfassung Regenwasserbewirtschaftung ist objektspezifisch. Auch in Innenstädten und Industriegebieten geht es darum, Niederschläge dem natürlichen Wasserkreislauf möglichst umweltverträglich zur Verfügung zu stellen. In vielen Fällen profitiert das Stadt- und Gebäudeklima, die Kanalisation wird entlastet. Wassergesetze, Verordnungen und kommunale Satzungen sind ebenso darauf ausgelegt wie die Regeln der Technik. Dennoch wird in Einzelfällen, vor allem bei nachträglicher Verdichtung im Bestand von Siedlungs- und Gewerbegebieten, ein Kanalanschluss für die Regenableitung erforderlich sein und auch genehmigt werden - allerdings mit vorgeschalteter Rigole als Puffervolumen und mit gedrosselter Ableitung. Bei unterirdischer Ausführung müssen Bauweise und Material dauerhaft beständig und statisch ausreichend belastbar sein. Systemen, bei denen Schächte, Hohlkörper, Leitungen und Drosselorgan ebenso wie Schutz- und Dichtungsfolien als Einheit angeboten werden, gehört die Zukunft - zumal, wenn sie sich schnell und unkompliziert verarbeiten lassen, mit einer geringen Bauhöhe auskommen sowie für Inspektion und Wartung vollständig und leicht zugänglich sind. LITERATUR [1] Entwurf Arbeitsblatt DWA-A 102/ BWK-A 3: Grundsätze zur Bewirtschaftung und Behandlung von Regenwetterabflüssen zur Einleitung in Oberflächengewässer. DWA Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V., Hennef. In Zusammenarbeit mit BWK Bund der Ingenieure für Wasserwirtschaft, Abfallwirtschaft und Kulturbau, Düsseldorf, Okt. 2016. [2] DWA-A 117: Bemessung von Regenrückhalteräumen (Dez. 2013). DWA Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V., Hennef. Korrigierter Stand: Feb. 2014. [3] Umwelt - Behandeln, Rückhalten und Versickern. Intelligentes Regenwassermanagement. Hrsg.: BIRCO, Baden-Baden, Juni 2016. LINKS • Baudokumentation als Zeitraffervideo auf YouTube: www. birco.de/ einbau-stuttgart • Wartungs- und Reinigungsfilm auf YouTube: www.birco.de/ rigolentunnel-wartung Der globale Wasserkreislauf ist der Antrieb allen Lebens auf der Erde. Er bestimmt Klima, Fauna, Flora und Bodenzusammensetzung - von seinem Funktionieren hängt auch das menschliche Leben ab. Kondensation: Das aufsteigende Wasser kühlt in den höheren Luftschichten ab und kondensiert - Wolken entstehen. Je kühler die Luft ist, desto weniger Wasser kann sie aufnehmen. Sind die Wolken bereits mit Wasser gesättigt, kommt es zu Niederschlag. Verdunstung: Vor allem über den Meeresoberflächen verdunsten riesige Wassermengen, in geringeren Teilen auch über dem Festland. Die Verdunstung wirkt zusätzlich auf das Mikroklima - lokal senkt sie die Temperaturen um bis zu 2 Kelvin. Der Wasserdampf steigt in die kühlere Atmosphäre auf. Versickerung: Wie gut das Niederschlagswasser versickern kann, hängt von vielen Faktoren ab: unter anderem von Treibhauseffekt, Emissionen, Umleitung natürlicher Wasserwege und Bodenversiegelung. Niederschlag: Regen ist die häufigste Form des Niederschlags. Täglich werden enorme Mengen atmosphärischen Wassers in einem riesigen Kreislauf umgesetzt. Allein in Deutschland fallen rund 800 mm im Jahr - das sind 800 Liter pro Quadratmeter. Starkregen: Plötzlicher heftiger Niederschlag führt zu urbanen Sturzfluten und damit zu Gefahren für Verkehr und Bausubstanz - bei oft unterdimensionierter Kanalisation. Abhilfe: Dezentrale Regenwasserbewirtschaftung und/ oder Retention mit verzögerter Ableitung. Quelle: Umwelt - Behandeln, Rückhalten und Versickern [3]. GLOBALER WASSERKREISLAUF, BEGRIFFE Barbara Sahler Sachverständigen- und Fachpressebüro König Kontakt: mail@klauswkoenig.com AUTORIN Bild 7: Anschluss BIRCOsir Punkteinlauf 40 x 40 cm mit Gussabdeckung E 600, für die Entwässerung der Verkehrsflächen, mit zusätzlicher Entlüftungsfunktion, verschweißt mit der oberseitigen Dichtungsbahn der Rigole. © BIRCO 38 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Extremwetterlagen und Stadtentwicklungen Aus den genannten Entwicklungen resultieren unterschiedliche Folgen: Niederschlag aus intensiven Regenereignissen wird auf befestigten Flächen gesammelt und unmittelbar in die Kanalisation eingeleitet, die für extreme Ereignisse aber nicht ausgelegt ist. Es kommt zu lokalen Überflutungen. Kanalisierte und durch Bebauung eingeschnürte kleine Stadtgewässer werden durch intensive Niederschläge zu reißenden Strömen, die erhebliche Schäden anrichten können. Hitzeentwicklungen im urbanen Raum werden zunehmen, denn durch die enge Bebauung kommt es zu einem geringen Luftaustausch. Außerdem fehlen verdunstungsspezifische Kühlprozesse. In diesem Beitrag werden Risiken und Möglichkeiten der Stadtentwicklung im Zusammenhang mit entwässerungsspezifischen Anforderungen thematisiert. Ein Schwerpunkt sind dabei Überflutungen, die im besiedelten Bereich als „urbane Sturzfluten“ bezeichnet werden. Kanalnetzdimensionierung und urbane Sturzfluten Durchschnittlich fallen in Deutschland etwa 800 mm Niederschlag pro Jahr (= 800 l/ m²). Diese Größenordnung stellt grundsätzlich kein entwässerungsspezifisches Problem dar. Im Gegenteil, die klimatischen Bedingungen sind äußerst günstig. Wassermangelprobleme sind in Deutschland bislang seltene Phänomene in außergewöhnlich trockenen Sommern. Solange sich der Niederschlag gleichmäßig über Wassersensible Zukunftsstädte Überflutungsrisiken und Konzepte zur klimasensitiven Stadtentwicklung Urbanisierung, Klimawandel, Wasserhaushalt, Überflutungen, Regenwassermanagement, Stadtklima Helmut Grüning, Eske Hilbrands Das Leben in urbanen Räumen wird für Menschen zunehmend attraktiver. Bereits heute leben etwa 50 % der Menschen in Städten. Tendenz zunehmend. Die Vereinten Nationen prognostizieren eine Zunahme der Weltbevölkerung bis 2050 von derzeit 7,5 auf 9,5 Milliarden Menschen. 80 % der Weltbevölkerung werden dann in Städten leben. Ein Großteil der sogenannten Megacitys liegt in Küstennähe und wird von einem Anstieg des Meeresspiegels besonders betroffen sein. Aber nicht nur Megacitys wie Tokio, New York oder Paris werden als attraktiver Platz zum Leben und Arbeiten wahrgenommen, auch Städte wie Münster, Düsseldorf oder Stuttgart stehen vor der Herausforderung, dass weit mehr Wohnraum benötigt wird, als kurzfristig zur Verfügung gestellt werden kann. Das hat zur Folge, dass Grundstückspreise ständig steigen und jeder Quadratmeter bebaut und befestigt wird. Diese Entwicklung hat maßgeblichen Einfluss auf urbanhydrologische Prozesse und das Stadtklima. Veränderungen des globalen Klimas verschärfen diese Situation. Es ist davon auszugehen, dass extreme Wetterphänomene wie Starkregen und längere Hitzeperioden zunehmen werden. Auswirkung Örtlichkeit Überflutungshäufigkeiten Gering Agrarland (Acker, Weideflächen) 1 in 2 a Mittel bis stark Wohngebiete 1 in 20 a Stark Stadtzentren 1 in 30 a Sehr stark Kritische Infrastruktur (unterirdische Verkehrsanlagen, Krankenhäuser etc.) 1 in 50 a Tabelle 1: Empfohlene Häufigkeiten für kanalindizierte Überflutungen nach DIN EN 752 und DWA-M 119 [1, 2]. 39 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten das Jahr verteilt, verschwindet der Regen zumeist unbemerkt in der Kanalisation. Problematisch sind intensive Starkregen, die im urbanen Raum zu lokalen Überflutungen führen (urbane Sturzfluten). Die Folgen sind hohe wirtschaftliche Schäden, beispielsweise durch vollgelaufene Keller, bis hin zur Zerstörung von infrastrukturellen Systemen und Gebäuden. Im schlimmsten Fall sind Menschenleben gefährdet. Beispiele dazu wurden in den letzten Jahren verstärkt öffentlich wahrgenommen. Kommt es zu intensiven überregionalen Niederschlägen, die zu einem Hochwasser in Gewässern führen, die teilweise durch urbane Bereiche verlaufen, sind dramatische Situationen wie in Braunsbach und Simbach im Jahr 2016 die Folge. Bei Überflutungen ist grundsätzlich zu unterscheiden, ob die Ursache großräumige Regenereignisse sind, die weitgehend unbesiedelte Flussgebiete betreffen (fluviale Ereignisse) oder ob Siedlungsgebiete und kleine lokale Gewässer betroffen sind (pluviale Ereignisse). Große Gewässer reagieren auf lokale Starkregen kaum. Dagegen können sich kleine Gewässer oder sogar temporär trockenfallende Rinnen (sogenannte „schlafende Gewässer“) innerhalb kürzester Zeit bei lokalen Starkregen in reißende Sturzbäche verwandeln. Extreme Beispiele intensiver Niederschläge mit der Folge urbaner Sturzfluten sind: Berlin (2017): etwa 150 mm in 24 Stunden Dortmund (2008): bis zu 200 mm in 6 Stunden Münster (2014): etwa 300 mm in 7 Stunden Kein Kanalnetz ist für Abflüsse, die bei derartigen Extremereignissen auftreten, ausgelegt. Doch was kann, respektive muss ein Kanalnetz aufnehmen und ableiten? Zur Bemessung der Kanalisation werden Niederschläge statistisch nach Dauerstufen und Wiederkehrzeit ausgewertet. Der Deutsche Wetterdienst wertet Starkregen statistisch auf der Basis langjähriger Niederschlagsmessungen aus und überträgt die Werte auf ein deutschlandweites Rasternetz (KOSTRA-DWD). Die Charakterisierung eines Niederschlagsereignisses erfolgt durch die drei Parameter: Regendauer (D), Wiederkehrzeit (T N ) und Regenhöhe (h N ). Die für die Bemessung zugrunde gelegten Bemessungsniederschläge sind dann ein Kompromiss zwischen technisch/ wirtschaftlicher Machbarkeit und einer Risikoabschätzung. Dabei orientieren sich Wasserwirtschaftler an urbanen Strukturen und legen die statistische Häufigkeit einer möglichen Systemüberlastung fest. Je größer das Risiko eines Schadens, umso seltener das zugrunde gelegte Niederschlagsereignis. Tabelle 1 zeigt diesen Zusammenhang. Der sogenannte „Jahrhundertregen“ ist dabei kein Orientierungsmaßstab, sondern häufigere und damit auch weniger intensive Niederschlagsereignisse. Nach DWA-M 119 sind Starkregen definiert als: „Regenereignisse, die in einzelnen Dauerstufen Regenhöhen mit Wiederkehrzeiten T N ≥ 1 a aufweisen“. Bei der Bemessung eines Kanalnetzes werden je nach Risikoeinschätzung sogenannte Bemessungsregen verwendet, deren Bemessungs- und Einstau-Wiederkehrzeiten zwischen T N = 1 a und 5 a liegen. Bei diesen Regen darf es noch nicht zur Überflutung kommen. Eine Überflutungssituation darf rein statistisch gesehen in Bereichen mit kritischer Infrastruktur nur einmal in 50 Jahren auftreten. Die Angaben in Tabelle 1 dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Überflutungen mit den derzeitigen Möglichkeiten der Simulation nicht eindeutig nachzuweisen sind. Die Abflussprozesse auf der Oberfläche sind zu komplex. Dennoch sind zur Analyse der Überflutungsgefährdung unterschiedlich detaillierte und aufwändige methodische Ansätze verfügbar. Durch Kombination der Kanalnetzberechnungsmodelle mit zweidimensionalen Oberflächenabflussmodellierungen sind Fließwege und überflutungsgefährdete Bereiche zu ermitteln (Bild 1). Diese Instrumente ermöglichen zwar eine Analyse der Prozesse, aber keinen Nachweis der Systeme. In der öffentlichen Wahrnehmung schwierig, ist die Einordnung des Risikos einer Überflutungssituation. Schmitt [4] greift die häufig durch Fehlinterpretationen geprägte Klassifizierung von Extremereignissen durch Wiederkehrzeiten auf. Er Bild 1: Ergebnis einer Überflutungssimulation zur Darstellung überflutungsgefährdeter Bereiche - die roten Punkte stellen Wasseraustritt aus der Kanalisation dar. © Hochschule Bremen [3] 40 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten schlägt einen dimensionslosen Index vor, der mit aufsteigendem Wert eine größere Überflutungsgefahr anzeigt. Mit dieser einfachen Kennzahl wird vermieden, dass sich Betroffene nach einem seltenen Ereignis in Sicherheit wiegen, weil ein Ereignis mit einer bestimmten Wiederkehrzeit in den nächsten Jahren nicht mehr vorkommen würde. Eine Umfrage der FH Münster bei Betroffenen einer Überflutung zeigt, dass diese Haltung durchaus realistisch ist. Darüber hinaus meinen manche Anwohner, dass die Kommune Maßnahmen zu treffen hat, die eine Schädigung des Privateigentums künftig ausschließen. Das Abschieben der Verantwortung ist ein zutiefst menschliches Verhalten. Doch letztlich muss jeder Verantwortung übernehmen und zwar für Entwicklungen in der Vergangenheit und für künftige Maßnahmen: Der Schutz vor außergewöhnlichen Starkregenereignissen ist nicht nur Aufgabe der Kommune als Kanalnetzbetreiber. Der Schutz des eigenen Gebäudes ist eine Privatangelegenheit. Für die zunehmende Flächenbefestigung sind nicht nur Städteplaner verantwortlich. Straßen und Wohnflächen nutzt jeder. Hier sind außerdem Verkehrsplaner und vor allem politische Vertreter gefordert. Die Zuständigkeiten für Maßnahmen bei unterschiedlichen Regenereignissen zeigt Bild 2. Bei Regen, die eine Überflutung hervorrufen, müssen sämtliche Akteure aktiv werden. Die Maßnahmen nach der Dimensionierung der Kanalisation reichen dabei von der Einrichtung temporärer Überflutungsbereiche (multifunktionale Flächen) bis hin zu Maßnahmen auf den Privatgrundstücken (zum Beispiel durch druckdichte Kellerfenster). Massive Störung des natürlichen Wasserhaushalts Aufgrund der klimatischen Veränderungen wird erwartet, dass künftig die Häufigkeit und Intensität lokaler Starkregen zunehmen wird. Außerdem werden längere Hitzeperioden in den Sommermonaten prognostiziert [6]. Städtebauliche Entwicklungen verschärfen die daraus resultierenden Probleme. Durch fehlende Grünflächen und die enge Bebauung wird die kühlende Wirkung von verzögerten Verdunstungsprozessen durch Pflanzen Überstaufreiheit Überstaufreiheitt Bemessungsregen seltene Starkregen außergewöhnliche Starkregen Entwässerungssystem inkl. Rückstausicherungen in Gebäuden Verkehrs- und Freiflächen (temporäre „Nutzung“) gezielter Objektschutz (öffentlich/ privat) Überflutungsschutz Schadensbegrenzung … Bild 2: Aufgabenaufteilung zum Schutz vor Überflutungen. © DWA [5] Bild 3: Degradiertes Stadtgewässer in unmittelbarer Gebäudenähe. © Grüning/ Hilbrands 41 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten aufgehoben, außerdem wird der eingeschränkte Luftaustausch begünstigt. Es kommt zu Hitzestaus, die während heißer Sommermonate die Bewohner belasten. In Innenstädten wird jede verfügbare Fläche befestigt und bebaut. Innerhalb kürzester Zeit wird der Oberflächenabfluss auf diesen Flächen gesammelt und in die Kanalisation eingeleitet. Verdunstung und Versickerung, die den natürlichen Wasserhaushalt prägen, finden nicht mehr statt. Oberflächenabflüsse, die in kürzester Zeit in die Kanalisation eingeleitet werden, führen zur Systemüberlastung. Es kommt unmittelbar zu stoßartigen Systementlastungen in naheliegende Gewässer, die anschwellen und über die Ufer treten. Menschen siedeln bevorzugt in unmittelbarer Gewässernähe, obwohl bekannt ist, dass Gewässer systembedingt Hochwasser führen können. Die Nähe zum Wasser ist praktisch und attraktiv. Gebäude reichen in urbanen Räumen bis unmittelbar an das Gewässerufer (Bild 3). In der Kulturlandschaft wurde Gewässern der Raum genommen. Sie wurden begradigt, in ein enges Korsett gezwängt und die Auen degradiert. Der enge Raum führt zu höheren Fließgeschwindigkeiten. Bei einem Hochwasser fehlt der Platz. Vielfach wurden kleinere Fließgewässer sogar schlicht kanalisiert. In Kanäle gezwängt leiten diese ehemaligen Bäche dann Oberflächenabflüsse und den gewässerspezifischen Basisabfluss in Rohrleitungen unterhalb der Verkehrsflächen ab. Diese Entwicklungen führen dazu, dass Prozesse des natürlichen Wasserhaushaltes massiv gestört werden. Das Grundproblem der zunehmenden Flächenbefestigung ist die Einschränkung von Verdunstungsprozessen und die Ableitung statt der Versickerung des Niederschlagswassers. Konzepte, die auch in eng besiedelten urbanen Räumen dazu führen, dass der natürliche Wasserhaushalt unterstützt wird, sind eine wichtige Voraussetzung für angenehme Lebensbedingungen. Hier muss ein Umdenken stattfinden. Wasser in der Stadt darf nicht nur zum Entsorgungsproblem reduziert werden, sondern muss Teil der Gestaltung urbaner Lebensräume sein. Städtebauliches Umdenken - Konzepte gegen Starkregen und Hitze Ziel künftiger Entwicklungen muss eine kombinierte Betrachtung städtebaulicher und entwässerungstechnischer Aspekte sein. Dabei sind neue Konzepte zu entwickeln und „alte Sünden“ zu beseitigen. Zu dem umfangreichen Maßnahmenpaket zählen: Multifunktionale Flächen und Notwasserwege zum Rückhalt und zur gezielten Ableitung von Oberflächenabflüssen bei Starkregen Flächenabkopplung (Entsiegelung) und Grünflächen zur Unterstützung der Versickerung und Verdunstung Maßnahmen an Gebäuden beispielsweise durch Fassaden- und Dachbegrünung Erlebbare Gewässer durch offene Gewässerführung und Rückbau oder Umgestaltung degradierter Auen und Randzonen Die Komplexität dieses Ansatzes, der ein Umdenken bei vielen städtebaulichen und entwässerungstechnischen Prozessen erfordert, zeigt die Gewässersituation im teilweise dicht besiedelten Ruhrgebiet. Aufgrund der quasi explosiven industriellen Entwicklungen und dem Bevölkerungszuwachs zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden Gewässer im Ruhrgebiet begradigt und kanalisiert. Im Emschersystem sind unter anderem aufgrund der bergbaubedingten Einflüsse auf die Topografie die meisten Gewässer als Teil des Abwasserentsorgungssystems umgestaltet worden. Auf einer Länge von 350 km wurden offene Gewässern zu begradigten, mit Sohlschalen ausgebauten offenen Abwasserrinnen mit natürlichem Bachabfluss. Die Emschergenossenschaft entwickelt in Kooperation mit den Kommunen Konzepte zur naturähnlichen Umgestaltung dieser degradierten Gewässer. Das Dilemma der eingeschränkten Möglichkeiten verdeutlicht Bild 4. Bild 4: Öffnung eines ehemals kanalisierten Stadtgewässers in beengten Verhältnissen. © Grüning/ Hilbrands 42 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Hier wurde ein kanalisiertes Gewässer wieder in das Stadtbild als offenes Gewässer eingefügt. Völlig unnatürlich verläuft dieses Gewässer begradigt und tief eingeschnitten im Straßenquerschnitt. Immerhin ist es aber aus der Kanalisation entflochten, offen und begrünt. Mehr Platz zur Gewässergestaltung war aufgrund der bestehenden Bebauung nicht verfügbar. Derartige Lösungen werden in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Hier ernten Gewässer- und Stadtplaner nicht nur Lob, wenn der Gedanke der erforderlichen wassersensitiven Stadtentwicklung nicht nachvollzogen wird. Bild 5 Entwurf eines mehrstöckigen Wohngebäudes mit vertikaler Begrünung in München. © Architekturbüro Aika Schluchtmann Bild 6: Dschungel-Stadt Liuzhou in China. © Entwurf des Architekturbüros Stefano Boeri 43 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Prof. Dr.-Ing. Helmut Grüning Fachhochschule Münster - Campus Steinfurt Inst. für Infrastruktur · Wasser · Ressourcen · Umwelt Kontakt: gruening@fh-muenster.de Eske Hilbrands Fachhochschule Münster - Campus Steinfurt Inst. für Infrastruktur · Wasser · Ressourcen · Umwelt Kontakt: hilbrands@fh-muenster.de Ziel muss es sein, Gewässer und entwässerungstechnische Lösungen erlebbar zu machen. Ein Beispiel dafür sind multifunktionale Flächen, die während eines intensiveren Regens als Überflutungsraum mit Retentionswirkung genutzt werden und anschließend wieder zu unterschiedlichen Nutzung (Sport, Spielplatz etc.) verfügbar sind. Doch wie können Gebäude im beengten urbanen Raum künftig wasser- und klimasensitiv gestaltet werden? Konzepte bis hin zu Visionen zeigen Entwürfe innovativer Architekten und Stadtplaner. Der Entwurf eines 16-stöckigen Gebäudes mit vertikaler Begrünung, begrünten Terrassen und einem Dachgarten der Architektin Aika Schluchtmann zeigt, dass eine Symbiose aus Lebensqualität und Ökologie mitten in einer Großstadt möglich ist (Bild 5). Bei knapper Flächenverfügbarkeit bzw. um Flächenbefestigungen gering zu halten, muss Raum durch Höhe geschaffen werden. Dass es möglich ist, Stadtquartiere so zu gestalten, dass dem natürlichen Wasserhaushalt unbebauter Flächen weitgehend entsprochen wird, zeigen Uhl und Wietbüscher [7]. Das Konzept zur städtebaulichen Gestaltung des neues Wohnquartiers Oxford auf der Konversionsfläche einer ehemaligen Kaserne in Münster sieht Dachbegrünungen, Oberflächenentwässerung in offenen Rinnen und Gräben, Regenwasserspeichermulden und ein Wasserspiel im Zentrum des Quartiers vor. Köster et al. [8] berichten über ambitionierte Schwammstadtkonzepte in China. Das von der chinesischen Regierung initiierte Projekt hat das Ziel, dass 70 % des Regenwassers im urbanen Raum zurückgehalten und einer Nutzung zugeführt wird. Zukunftsweisende Konzepte entwickelt der italienische Architekt Stefano Boeri. Vertikale Wald-Hochhäuser nach seinen Entwürfen gibt es schon in der Schweiz und in Mailand. In Süd-China hat der Bau der Dschungel-Stadt Liuzhou bereits begonnen (Bild 6). Hier sind nicht nur Parks, Gärten und Straßen begrünt, sondern auch die Gebäude selbst werden konsequent bepflanzt. Im Jahr 2020 sollen die ersten Bewohner einziehen [9]. Die Bilder 5 und- 6 zeigen, dass hohe Gebäude durchaus ökologische Funktionen übernehmen können. Ein wichtiger Aspekt urbaner Begrünung darf dabei nicht außer Acht gelassen werden: Grün braucht dauerhaft Pflege. Beeindruckenden Bildern innovativer Stadtentwicklungskonzepte stehen irritierende Eindrücke bisweilen verwahrloster Grünflächen im öffentlichen Verkehrstraum entgegen. Hier fehlt es noch an Konzepten. Dabei profitieren von naturähnlich gestalteten urbanen Lebensräumen so viele: das kleinste Insekt und am meisten der Mensch. AUTOR I NNEN LITERATUR [1] DIN (2017) DIN EN 752 Entwässerungssysteme außerhalb von Gebäuden, Deutsches Institut für Normung e. V., Berlin, Juli 2017. [2] DWA Merkblatt DWA-M 119: Risikomanagement in der kommunalen Überflutungsvorsorge für Entwässerungssysteme bei Starregen, Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA) Hennef, 2016. [3] HSB: Ermittlung von Überflutungsgefahren mit vereinfachten und detaillierten hydrodynamischen Modellen. Praxisleitfaden, erstellt im Rahmen des DBU-Forschungsprojektes „KLASII“. Lehrgebiet Siedlungswasserwirtschaft, Hochschule Bremen, Oktober 2017. [4] Schmitt T. G.: Starkregenindex zur Kommunikation von Überflutungsursachen und Risiken. In: KA Korrespondenz Abwasser, Abfall (61), Nr. 8, (2014) S. 681-687. [5] DWA: Prüfung der Überflutungssicherheit von Entwässerungssystemen. Arbeitsbericht der DWA-AG ES-2.5. In: KA-Abwasser, Abfall (55), Heft 9, (2008) S. 972-976. [6] IPCC: Managing the Risks of Extreme Events and Disasters to Advance Climate Change Adaption. A Special Report of Working Groups I and II of the Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Cambridge University Press, Cambridge, UK, and New York, NY, USA (2012) pp 582. [7] Uhl M., Wietbüscher M.: Wasser im neuen Wohnquartier Oxford Kaserne in Münster. In: Praxiswissen Herausforderung Regenwasser, (2017) S. 14-19, DIV Deutscher Industrieverlag Essen. [8] Köster S., Elsner K., Feng T., Beier M.: Was bedeutet die Umsetzung des Schwammstadtkonzeptes für das urbane Wassermanagement in Metropolregionen? In: Gewässerschutz - Wasser - Abwasser, Schriftenreihe des Instituts für Siedlungswasserwirtschaft der RWTH Aachen, Band 247, (2018) S. 4/ 1-4/ 15. [9] Kramper, G.: https: / / www.stern.de/ wirtschaft/ immobilien/ china-baut-eine-gruene-dschungel-stadtgegen-den-smog-7514600.html, (2017), besucht am 16.04.2018. 44 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Gefährdungen im Betrieb von Anlagen der Abwasserbehandlung Anlagen der Abwasserbehandlung kombinieren physikalische, chemische und biologische Verfahren zur Behandlung der anfallenden Abwässer. Hieraus resultiert eine hohe Komplexität der eingesetzten Maschinentechnik und den damit verbundenen Ar- Sicheres und unfallfreies Arbeiten in verfahrenstechnischen Anlagen der Abwasserbehandung Abwasserbehandlung, Arbeitsschutz, Betriebssicherheit, verfahrenstechnische Anlagen, Maschinenrichtlinie Lars Schnieder, Tim-Colin Uhde Kommunale Wasserwirtschaftsbetriebe beschaffen und betreiben komplexe verfahrenstechnische Anlagen zur Behandlung von Abwässern. Im Zuge der Reinigung von anfallenden Abwässern werden Stoffe hinsichtlich der Zusammensetzung, Art und der Eigenschaften verändert. Hierbei werden physikalische, chemische und biologische Verfahren eingesetzt. Kommunale Wasserwirtschaftsbetriebe streben hierbei ein hohes Schutzniveau zur Unfallverhütung an. Sie sind auch bestrebt, im Betrieb ihrer Anlagen alle geltenden einschlägigen Gesetze und Richtlinien zu erfüllen. Dieser Beitrag beleuchtet ausgehend von den verfahrenstechnischen Produktionsschritten mögliche Gefährdungen im Betrieb von Anlagen der Abwasserbehandlung. Der Beitrag zeigt auf, welche Schritte kommunale Wasserwirtschaftsbetriebe unternehmen müssen, um geltendem Recht zu entsprechen. beitsaufgaben in Betrieb und Instandhaltung. Die Beschäftigten in Abwasserbehandlungsanlagen sind zahlreichen Gefährdungen ausgesetzt. Eine Kenntnis dieser Gefährdungen ist unerlässlich, um sie durch gezielte technische und organisatorische Maßnahmen von den Mitarbeitern abzuwenden. Das Spektrum bestehender Gefährdungen wird Bild 1: Mechanische Gefährdungen entstehen durch umlaufende Räumer an Klärbecken. © pixabay 45 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Räume feucht und nass, eng und leitfähig sind wie zum Beispiel Schächte, Kanäle Stahlkonstruktionen wie Stege, Podeste und Brücken sowie Betriebsräume mit kompakt gebauten Anlageteilen wie Pumpenkeller. Brand- und Explosionsgefährdungen: Durch unzulässig in die Kanalisation eingeleitete brennbare Flüssigkeiten wie Benzin besteht auch in den Einlaufbereichen der Kläranlagen Explosionsgefahr - zum Beispiel in Einlaufbauwerken, Pumpwerken und Rechenanlagen. So muss bei der Schlammfaulung und allen nachgeschalteten Faulgas führenden Anlagenteilen, aber auch bei langen Verweilzeiten von Abwasser oder Klärschlamm in der Abwasserbehandlungsanlage mit Explosionsgefahr durch Faulgas gerechnet werden. Die zuvor genannten Gefährdungen bestehen insbesondere dann, wenn Wartungs- und Reparaturarbeiten durchgeführt werden. Die häufigste Unfallursache - etwa ein Drittel aller meldepflichtigen Unfälle - sind Stolper-, Rutsch- und Sturzunfälle bei Kontrollgängen oder Wartungsarbeiten. Des Weiteren werden für Instandhaltungsaktivitäten oftmals bestehende Schutzmechanismen deaktiviert oder aber Abdeckungen für Reinigungsarbeiten oder zur Störungsbeseitigung entfernt. Gegebenenfalls werden Instandhaltungsarbeiten auch im Betrieb oder bei nicht ausreichend gesicherter Anlage „mal eben schnell“ durchgeführt. Durch fehlerhaftes Ingangsetzen von Anlagen - während Arbeiten daran ausgeführt werden - kann es schnell zu Gefährdungen kommen. Abschalteinrichtungen für Energiequellen sind daher angemessen zu kennzeichnen und das Personal angemessen über die Gefahren und die korrekten Verhaltensweisen zu unterweisen. nachfolgend anhand der verschiedenen Verfahrensschritte exemplarisch verdeutlicht: Mechanische Gefährdungen ergeben sich insbesondere - aber nicht nur - in der ersten mechanischen Reinigungsstufe der Abwasserbehandlung. Konkret wird in dieser ersten Stufe des Verfahrens ein erheblicher Teil der Schwebstoffe entfernt. Beispielhafte Gefährdungen sind hierbei Gefahren des Einzugs von Mitarbeitern am Hebewerk, welches das Abwasser von einer niedrigen auf eine höhere Ebene „anhebt“. Des Weiteren bestehen an unzureichend gesicherten bewegten Maschinenteilen Quetschgefahren wie zum Beispiel an Sandfang, Rechenanlagen, Räumerbrücken oder aber Pressen für Rechengut und Schlämme. Biologische Gefährdungen bestehen vor allem in der zweiten biologischen Verfahrensstufe. In dieser zweiten Stufe des Verfahrens werden mikrobiologische Abbauvorgänge gezielt dazu genutzt, weitere Fraktionen aus dem Abwasser herauszulösen. In dieser Verfahrensstufe bestehen potenzielle gesundheitliche Bedrohungen insbesondere durch Bakterien und Viren im Abwasser. Insbesondere bei der Reinigung, Instandhaltung oder Reparatur beispielsweise von Behältern kommen Mitarbeiter in Berührung mit Verunreinigungen oder möglicherweise durch den Austrag von Aerosolen in Kontakt mit Legionellen. Chemische Gefährdungen bestehen vor allem in der dritten chemischen Reinigungsstufe. Hierbei werden chemische Reaktionen wie Oxidation und Fällung angewandt. Es kommt hier zum Beispiel bei Kontroll- und Wartungsarbeiten vor allem an den Lager- und Dosieranlagen zu Gefährdungen durch gesundheitsgefährdende, ätzende, giftige und reizende Hilfsstoffe zur Abwasserreinigung. Beispiele hierfür sind Gefahrstoffe wie Fällungs- und Flockungsmittel (zum Beispiel: Eisen(III)-chlorid oder Polymerlösungen). In umschlossenen Räumen von abwassertechnischen Anlagen wie Schächten, Kanälen und anderen unterirdischen Bauwerken oder Behältern müssen die Beschäftigten mit dem Auftreten gesundheitsgefährlicher Atmosphäre rechnen. Durch Fäulnisprozesse entsteht das sehr giftige Gas Schwefelwasserstoff (H 2 S), darüber hinaus Kohlendioxid (CO 2 ), Methan (CH 4 ), und es tritt Sauerstoffmangel auf. Durch unzulässige Einleitungen oder undichte Systeme können ebenfalls Gefahrstoffe eindringen. Elektrische Gefährdungen bestehen insbesondere durch Fehlfunktionen oder bei der Fehlersuche, aber auch durch die Verwendung für den jeweiligen Einsatzbereich ungeeigneter Geräte. Eine erhöhte elektrische Gefährdung besteht zudem, wenn Bild 2: Beurteilung der Explosionsgefährdung einer abwassertechnischen Anlage am Beispiel von Faultürmen. © pixabay 46 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Pflichten des Herstellers verfahrenstechnischer Anlagen der Abwasserbehandlung Die Maschinenrichtlinie [1] regelt das Inverkehrbringen und somit den freien Warenverkehr von Maschinen im Europäischen Wirtschaftsraum. Die europäischen Vorgaben der Maschinenrichtlinie sind in Deutschland mit der Neunten Verordnung zum Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (Maschinenverordnung - 9. GPSGV) in nationales Recht überführt worden [2]. Der Rechtsbegriff einer „Maschine“ ist hierbei sehr weit gefasst. Auch eine „Gesamtheit von Maschinen“, die im allgemeinen Sprachgebrauch als Maschinenanlage, verkettete Anlage oder komplexe Anlage bezeichnet wird, ist eine Maschine im Sinne der Maschinenrichtlinie. Für eine verkettete Anlage sind die folgenden Kriterien maßgeblich [3]: Produktionstechnischer Zusammenhang: Der produktionstechnische Zusammenhang ist dadurch charakterisiert, dass die Maschinen bzw. unvollständige Maschinen als Gesamtheit angeordnet sind, zusammenwirken und betätigt werden, um, ausgerichtet auf ein gemeinsames Ziel (die Reinigung von Abwässern), eine Einheit zu bilden. Bei verfahrenstechnischen Anlagen zur Abwasserbehandlung ist ein solcher produktionstechnischer Zusammenhang gegeben. Sicherheitstechnischer Zusammenhang: Tritt an einer Maschine bzw. unvollständigen Maschine ein Ereignis auf, das zu einer Gefährdung an anderen Maschinen bzw. unvollständigen Maschinen der Anlage führen kann, sind auf die Gesamtheit abgestellte sicherheitstechnische Maßnahmen erforderlich. In diesem Fall spricht man von einem sicherheitstechnischen Zusammenhang, der dadurch gekennzeichnet ist, dass zum Beispiel durch eine auf die Maschinenanlage abgestellte Sicherheitssteuerung oder über nicht zu dieser Steuerung gehörende Sicherheitsbauteile, wie feststehende trennende Schutzeinrichtungen, die Sicherheit der Gesamtheit gewährleistet ist. Für eine verfahrenstechnische Anlage der Abwasserbehandlung ist somit für die Gesamtheit der Maschinen eine CE-Konformität zu erreichen. Hierbei stellt sich die Frage, wer als Systemintegrator agiert und diese Tätigkeit auf übergeordneter Ebene durchführt und Teil-Konformitätsaussagen zusammenfasst und die spezifischen sicherheitstechnischen Fragen der Zusammenfügung im verfahrenstechnischen Zusammenhang betrachtet. Der Betreiber einer verfahrenstechnischen Anlage zur Abwasserbehandlung kann also durchaus auch selbst zum Hersteller werden, wenn zum Beispiel durch ihn Einzelmaschinen beschafft werden, die dann als Gesamtheit zusammenwirken. Auch bei technischen Änderungen an vorhandenen Anlagen kann der Betreiber zum Hersteller werden, wenn er diese wesentlich verändert. Diese Veränderung sollte in jedem Fall genau untersucht und im Hinblick auf neue Gefährdungen oder Gefährdungserhöhungen bewertet werden. Pflichten des Betreibers verfahrenstechnischer Anlagen der Abwasserbehandlung Die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) ist die deutsche Umsetzung der Arbeitsmittelrichtlinie 89/ 655/ EWG, später ersetzt durch Richtlinie 2009/ 104/ EG, sie regelt in Deutschland die Bereitstellung von Arbeitsmitteln durch den Arbeitgeber, die Benutzung von Arbeitsmitteln durch die Beschäftigten bei der Arbeit sowie den Betrieb von überwachungsbedürftigen Anlagen im Sinne des Arbeitsschutzes. Anlagen von denen spezielle Gefährdungen wie Absturz, Explosion, Brand oder Druck ausgehen, gelten nach der Betriebssicherheitsverordnung als überwachungsbedürftige Anlagen. Dies trifft durchaus auch auf einzelne Maschinenteile zu. Insofern obliegen dem Betreiber verfahrenstechnischer Anlagen zur Abwasserbehandlung - trotz Vorliegens einer Konformitätserklärung zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme - weitere Verpflichtungen. Es ist ein umfassendes Schutzkonzept aufzustellen, welches die folgenden Aspekte umfasst: eine einheitliche Gefährdungsbeurteilung der Arbeitsmittel sicherheitstechnische Bewertung für den Betrieb überwachungsbedürftiger Anlagen „Stand der Technik“ als einheitlicher Sicherheitsmaßstab, der jedoch einem stetigen Wandel unterliegt und sofern einer kontinuierlichen Bild 3: Instandhaltungsarbeiten als häufige Unfallursache. © pixabay 47 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Beobachtung bedarf, um hier ggf. bezüglich der umzusetzenden Sicherheitsmaßnahmen „nachzujustieren“. geeignete Schutzmaßnahmen und Prüfungen Berücksichtigung weiterer Mindestanforderungen für die Beschaffenheit von Arbeitsmitteln, soweit sie nicht durch harmonisierte europäische Richtlinien, zum Beispiel die Druckgeräterichtlinie, ATEX-Produktrichtlinie oder Aufzugsrichtlinie geregelt sind. Es ist noch einmal explizit darauf hinzuweisen, dass nach geltendem Recht (insbesondere Betriebssicherheitsverordnung), Anlagen in explosionsgefährdeten Bereichen vor der erstmaligen Inbetriebnahme, nach prüfpflichtigen Änderungen und insbesondere aber auch wiederkehrend mindestens alle sechs Jahre von einer zur Prüfung befähigten Person auf Explosionssicherheit zu prüfen sind. Das Ergebnis dieser Überprüfung ist zu dokumentieren und dem Explosionsschutzdokument beizufügen. Es wird also deutlich, dass die Betriebssicherheit keine einmalige Übung ist, sondern die kontinuierliche Aufmerksamkeit des Managements erfordert. „Wesentlichen Änderung“: Wenn der Betreiber zum Hersteller wird Verfahrenstechnische Anlagen der Abwasserbehandlung sind langlebige Investitionsgüter. Es bleibt daher nicht aus, dass diese über ihren Lebenszyklus einer Veränderung unterliegen. Ursächlich hierfür sind neben möglichen technologischen Obsoleszenzen auch steigende rechtliche Anforderungen an die Ausgangsqualität des Wassers aus der Kläranlage. Es stellt sich hierbei die Frage, ob für jede Änderung ein aufwändiges Verfahren der Konformitätsbewertung zu durchlaufen ist. Hierfür ist der Begriff einer „wesentlichen Änderung“ maßgeblich (vgl. hierzu die umfassende Darstellung in [4]). Grundsätzlich muss ein Produkt, an dem nach seiner Inbetriebnahme erhebliche Veränderungen oder Überarbeitungen mit dem Ziel der Modifizierung seiner ursprünglichen Leistung, Verwendung oder Bauart vorgenommen worden sind, als neues Produkt angesehen werden. Eine solche Pauschalierung ist in der Praxis nicht abbildbar. Es hat sich daher in der deutschen Rechtsauslegung bewährt, dass eine Änderung nur dann wesentlich ist, wenn eine neue Gefährdung bzw. eine Erhöhung eines vorhandenen Risikos vorliegt und die vorhandenen Schutzmaßnahmen hierfür nicht ausreichend oder geeignet sind. In diesem Fall ist ausgehend von einer Risikoanalyse die Betrachtung weiterer Schutzmaßnahmen erforderlich, die unter der Verantwortung des Herstellers (jetzt: des Betreibers) ablaufen. Zusammenfassung und Fazit Die Sicherheit verfahrenstechnischer Anlagen endet nicht zum Zeitpunkt ihrer Inbetriebnahme. Mit der Aufnahme des Betriebs gelten verfahrenstechnische Anlagen der Abwasserbehandlung als „überwachungsbedürftige Anlagen“ und müssen daher im Interesse des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer die Anforderungen der Betriebssicherheitsverordnung erfüllen. Zuwiderhandlungen und Versäumnisse können im Falle von Unfällen schwerwiegende haftungsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, die in Bußgeldern oder Haftstrafen münden können. Die Langlebigkeit der Investitionsgüter und stetige Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen (insbesondere des Umweltrechts) erfordern stetige Anpassungen der Anlage an den aktuellen Stand der Technik. Hierbei werden Betreiber rechtlich gesehen zu Herstellern der verfahrenstechnischen Anlage und müssen die Anforderungen der Maschinenrichtlinie erfüllen. LITERATUR [1] Richtlinie 2006/ 42/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 über Maschinen und zur Änderung der Richtlinie 95/ 16/ EG (Neufassung). Veröffentlichtung: ABl. EG Nr. L 157/ 24, 09.06.2006. [2] Neunte Verordnung zum Produktsicherheitsgesetz (Maschinenverordnung) vom 12. Mai 1993 (BGBl. I S. 704), die zuletzt durch Artikel 19 des Gesetzes vom 8. November 2011 (BGBl. I S. 2178) geändert wurde. [3] Interpretationspapier zum Thema „Gesamtheit von Maschinen“ - Bek. d. BMAS v. 5.5.2011, IIIb5-39607-3. [4] Bundesministerium für Arbeit und Soziales Produktsicherheitsgesetz/ 9. ProdSV (Maschinenverordnung) Interpretationspapier zum Thema „Wesentliche Veränderung von Maschinen“ (Bek. des BMAS vom 09.04.2015 - IIIb5-39607-3 - im GMBl 2015, Nr. 10, S. 183-186). Dr.-Ing. Lars Schnieder Leiter des Assessment Service Centers ESE Engineering und Software-Entwicklung GmbH Kontakt: Lars.schnieder@ese.de Tim-Colin Uhde Lead Assessor Maschinensicherheit und Betriebssicherheit im Assessment Service Center ESE Engineering und Software-Entwicklung GmbH Kontakt: Tim-colin.uhde@ese.de AUTOREN 48 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Abwasser als Energieträger Bedingt durch sein Temperaturniveau und durch den gleichförmigen Temperaturverlauf stellt Abwasser eine ideale Wärmquelle für den Betrieb von Wärmepumpen dar, die ganzjährig mit einem guten Wirkungsgrad betrieben werden können. Messungen in den Kanälen der Emschergenossenschaft zeigen ein Jahresmittel der Abwassertemperatur von rund 14 °C. Im Winter liegen die mittleren Monatstemperaturen bei etwa 12 °C, während sie im Sommer auf Mittelwerte von über 17 °C ansteigen können. Wie in Bild 1 dargestellt, zeigt die Abwassertemperatur deutlich geringere Schwankungen als die Lufttemperatur. Insbesondere im Winter führen Niederschläge auf kalte Oberflächen oder auch Schmelzwässer zu einer Abkühlung des Abwassers, die zu Temperaturen unter 10 °C führen kann . Diese Abkühlung ist jedoch bedingt durch fortdauernde Einleitung warmen Abwassers und auch durch die Wärme des Erdbodens, der Abwasserkanal liegt in einer Tiefe von rund 10-m, lediglich von kurzer Dauer. Im Sommer können dagegen kurzfristig Maximaltemperaturen von über 20 °C auftreten. Die Komponenten einer Wärmegewinnungsanlage aus Abwasser bestehen aus bewährter Technik, für die mittlerweile langjährige Betriebserfahrungen vorliegen (Bild 2). Da bei der Abwasserwärmenutzung Wärmepumpentechnik eingesetzt wird, ist der geeignete Anwendungsfall eine Energieversorgung im Grundlastbereich bei Niederenergiesystemen mit geringen bis mittleren Vorlauftemperaturen bis etwa 60 °C. Im Sommer lässt sich der Prozess auch umkehren und zur Gebäudekühlung nutzen. Detailliert dargestellt sind der Aufbau einer solchen Anlage und auch die Randbedingungen in [1]. Die Wirtschaftlichkeit von Anlagen steigt mit der Größe des Energiebedarfs. Deshalb ist die Abwasserwärmenutzung insbesondere für größere Abnehmer mit möglichst ganzjährig hohem Wärmebzw. Kältebedarf wie zum Beispiel Schwimmbäder, öffentliche Verwaltungen, Krankenhäuser, große Siedlungsgebiete und Gewerbestandorte geeig- Energiegewinnung aus Abwasser Erfahrungen in der Nutzung einer innovativen Wärmequelle im Emschergebiet Abwasserwärmenutzung, Wärme aus regenerativen Quellen, Wärmewende, CO 2 -Reduktion, Energiekarte Adrian Treis, Emanuel Grün, Michael Becker Zentrale Ziele der Energiewende in Deutschland beinhalten den Ausbau erneuerbarer Energien, eine Steigerung der Energieeffizienz sowie die Reduktion von Treibhausgasen. Für die Umsetzung dieser Ziele liegt besonders im Hinblick auf den Wärmemarkt noch erhebliches Potenzial brach. Mit dem Energieträger Abwasser steht eine einheimische, lokale, regenerative und langfristig verfügbare Quelle zur Verfügung, die diesen Zielen in hohem Maße Rechnung trägt. Unter Nutzung moderner Wärmepumpentechnologie kann das Abwasser sowohl zur Wärme-, als auch Kälteproduktion verwendet werden und einen Baustein für eine integrale Stadtentwicklung bereitstellen. Die Energiegewinnung aus Abwasser kann hierzu sowohl modular in der Entwicklung von Quartieren und im Neubaubereich, als auch im Rahmen der energetischen Sanierung von Bestandsbauten eingesetzt werden. Bild 1: Monatsmittel der Abwassertemperatur im Marbachkanal im Vergleich zur Außenlufttemperatur. © EGLV 49 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten net. Ideal sind Heizzentralen mit einem minimalen Wärmebedarf von 150-kW, besser 300-kW, bzw. Wärmepumpen mit einer Leistung ab 100- kW. Die Entfernung des Objektes zum Abwasserkanal, genauer dem Einbauschacht, sollte möglichst gering sein, damit die Kosten der Leitungsführung nicht zu groß werden. Auch die zusätzlichen Wärmeverluste über die Länge der Strecke sind zu berücksichtigen. Motivation der Emschergenossenschaft Die Emschergenossenschaft (EG) ist seit mehr als 100 Jahren als Wasserwirtschaftsverband für die öffentlich rechtliche Daseinsvorsorge in der Region aktiv [3]. Zu ihren gesetzlich geregelten Aufgaben gehören die Abwasserbeseitigung, das Hochwasserrisikomanagement, die Regenwasserbewirtschaftung, die Verbesserung des ökologischen Zustandes der Gewässer und die Gewässerunterhaltung. Im Sinne einer integralen Wasserwirtschaft untersucht die EG zudem Strategien als Antwort auf den Klimawandel und die daraus entstehenden vielfältigen Herausforderungen. Dabei ist der Fokus nicht nur auf die Wasserwirtschaft gerichtet, sondern auch auf eine vielfältige Zusammenarbeit mit Akteuren der Industriemetropole Ruhr, zum Beispiel im Rahmen von Stadtentwicklungs-, Ökologie- und Bildungsprojekten [4]. Vor diesem Hintergrund sieht die Emschergenossenschaft die Rückgewinnung der im Abwasser befindlichen Wärme als eine innovative und nachhaltige Form der Wärmegewinnung (AWN), die einen Beitrag zur dezentralen Energieversorgung vor Ort leisten kann und an vielen Stellen wirtschaftlich umgesetzt werden kann. Aufgrund der Dichte der Bebauung und der hohen Abwassermengen bietet das Emschergebiet ein hohes Potenzial zur Erschließung dieser Wärme. Mit dem Großprojekt zum Umbau des Emschersystems, in dessen Verlauf rund 420-km neue Kanäle mit großem Durchmesser errichtet werden [5], ist der Einbau einer Abwasserwärmenutzungsanlage im Rahmen des laufenden Umbaus leicht möglich. AWN - Erhebliches Potenzial Die Herausforderung bei der Umsetzung von Anlagen besteht zunächst einmal in der Identifikation geeigneter Standorte. Hierzu hat die EG in Form einer Energiekarte eine web-basierte Plattform für interne Planungszwecke aber auch für externe Interessenten (Kommunen, Planungsbüros, Bauherren) geschaffen, die grundlegende Informationen zu den Nutzungsmöglichkeiten von Abwasserwärme in übersichtlicher Form bereit stellt [6]. Basierend auf Kanalinformationen, einer Analyse potenzieller Nutzer im Umfeld der Kanäle sowie einer Auswertung von Leistungsdaten von 59 umgesetzten Anlagen, steht somit eine Potenzialabschätzung für die Nutzung von Abwasserwärme bereit, die die Identifikation potenzieller Nutzer vereinfacht und die Wärmeentzugsleistung einzelner Kanalabschnitte fundiert darstellt. Grundlage der Energiekarte bildet eine GIS-Analyse, die in Bild 3 dargestellt ist. Zur Identifikation geeigneter Kanalabschnitte wurden in Anlehnung an [1] Durchmesser, Trockenwetterabfluss sowie Haltungslänge und Gefälle herangezogen. Im Umfeld von 300 m um die Kanalhaltungen wurden auf Basis von digitalen Daten der RVR-Realnutzungskartierung [7] sowie unter Berücksichtigung des Atlas der Gewerbe- und Industriestandorte Metropole Ruhr (RuhrAGIS) [8] potenzielle Nutzer identifiziert. Bild 2: Komponenten einer Abwasserwärmenutzungsanlage nach [2]. © EGLV Bild 3: Ablaufschritte zur Erstellung der Energiekarte. © EGLV 50 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Die energetischen Potenziale verdeutlichen die folgenden Zahlen: Insgesamt sind rund 280 km Kanalhaltungen für die AWN geeignet. Die mittlere Entzugsleistung für eine Anlage beträgt 195- kW. Unter Berücksichtigung der Restriktionen für die Installation von Wärmetauschern ergibt sich eine thermische Gesamtleistung von rund 662 MW. Unter Annahme einer Wärmepumpe mit einer Jahresarbeitszahl ( JAZ) von 4 könnte somit eine Heizleistung von rund 883 MW realisiert werden. Die JAZ beschreibt dabei das Verhältnis von gewonnener Wärme zu eingesetzter Energie. Eine JAZ von 4 beschreibt beispielsweise eine Gewinnung von 4 kWh Wärme für Heizung und Kühlung aus 1 kWh Strom und 3 kWh Umweltwärme bzw. -kälte. Im Umfeld der geeigneten Kanalhaltungen wurden 352 potenzielle Abnehmer identifiziert, die zur Ermittlung besonders geeigneter Standorte weiter priorisiert wurden. Als Kriterien wurden die potenzielle Entzugsleistung der Kanalisation, die Entfernung zum Kanal, die Randbedingungen zur Errichtung der Anbindungsleitung, die Nachbarschaft zu eigenen Liegenschaften sowie der Ausschluss von Fernwärmegebieten herangezogen. Aus den 352 identifizierten Standorten wurden 50 Standorte mit der höchsten Priorität (Bild 4), 71 Standorte mit einer mittleren Priorität und 231 Standorte mit geringerer Priorität ermittelt. Als nächster Erweiterungsschritt sollen geplante Bauvorhaben von Siedlungs- und Gewerbeflächen im Umfeld der Gewässer in die Energiekarte aufgenommen werden. Neubaumaßnahmen bieten im Gegensatz zur Anwendung im Bestand oft den Vorteil eines geeigneten energetischen Standards für die AWN. Wichtig ist allerdings eine frühzeitige Berücksichtigung der AWN als eine Option in der Planung der energetischen Versorgung des Standortes. Mit der Energiekarte steht nunmehr eine Planungsgrundlage für Gespräche mit potenziellen Abnehmern von Abwasserwärme und für weitere Umsetzungen von Anlagen zur Verfügung. Umsetzungs- und Betriebserfahrungen am Beispiel Nordwestbad in Bochum Seit dem Jahr 2010 betreibt die EG in Kooperation mit der Stadtwerke Bochum GmbH eine Anlage zur Versorgung des Nordwestbads im Bochumer Stadtteil Hofstede (Bild 5). Der in unmittelbarer Nähe neu errichtete Marbachkanal mit einem Durchmesser von DN 3000 mm bildet den Einbauort des Wärmetauschers. Planungsbeteiligte waren die Emschergenossenschaft als Kanal- und Kläranlagenbetreiberin, die Stadtwerke Bochum GmbH als lokaler Energieversorger sowie die Stadt Bochum als Betreiberin des Schwimmbads. Die Zuständigkeitsgrenzen wurden zwischen den Beteiligten klar definiert. So zeichnet die Emschergenossenschaft für alle kanalseitigen Fragestellungen verantwortlich. Die Grenze endet an der Oberkante des Schachtbauwerks. Alle Punkte, die die Zuleitungen sowie die Schwimmbadtechnik betreffen, befinden sich in der Verantwortung der Bild 4: Standorte mit höchster Priorität. © EGLV Bild 5: Nordwestbad in Bochum. © EGLV Beschreibung Wert Einheit Minimale Abwassertemperatur 12 °C Minimale verfügbare Wärmeleistung im Abwasser 800 kW Jahreswärmebedarf Nord-West Bad 2450 MWh/ a Thermische Leistung Spitzenkesselanlage (Bestand) 2 x 720 kW Elektrische Leistung BHKW Modul ca. 50 kW Thermische Leistung BHKW Modul ca. 90 kW Tthermische Leistung Wärmepumpe (Grundlast) ca. 190 kW Vollbenutzungsstunden Wärmepumpe 6.500 h/ a Tabelle 1: Kennzahlen der Abwasserwärmenutzungsanlage am Nordwestbad in Bochum. 51 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Stadtwerke Bochum GmbH. Diese wiederum haben einen eigenen Wärmelieferungsvertrag mit der Stadt Bochum abgeschlossen. Die Gesamtkosten des Projektes beliefen sich auf rund 800 000 €. Das Gesamtprojekt wurde aus Mitteln des Umweltinnovationsfonds des Umweltbundesamtes mit 30 % der Investitionskosten gefördert. Kennzahlen der Anlage sind in Tabelle 1 ausgeführt. Der errichtete Abwasserwärmetauscher hat eine Länge von 46 m und entzieht dem Abwasser eine Wärmeleistung von 150 kW. Als mittlerer Trockenwetterabfluss Q t24 ergibt sich ein Wert von rund 140 l/ s. Aus Gründen der Betriebssicherheit und zur Erreichung einer höheren Variabilität im Betriebsablauf wurde der Wärmetauscher in zwei getrennten Strängen mit jeweils 18 und 28 Elementen ausgeführt (siehe Bild 6). Da die Fertigstellung des Kanalabschnitts zeitlich mit dem Vorhabenbeginn zusammenfiel, bestand die Möglichkeit, die externen Wärmeübertrager vor Inbetriebnahme des Kanals auf der Sohle zu installieren (Bild 7). Somit konnten Kosten für eine Wasserhaltung vermieden werden. Der Einbau einer Anlage in die Kanalisation kann in Abhängigkeit von der Größe mehrere Tage in Anspruch nehmen. Bei der hier vorgestellten Anlage war die kanalseitige Installation der Wärmeübertrager einschließlich der Absperrarmaturen in fünf Tagen abgeschlossen. Als Anlagenkonzeption wurde eine Kombination aus Wärmepumpe mit angeschlossenem BHKW umgesetzt. Das BHKW liefert dabei den zum Betrieb der Wärmepumpe notwendigen Strom, sodass vollständig auf eine externe Stromzufuhr verzichtet werden kann. Die vorhandene Erdgasheizung ergänzt die multivalente Energieversorgung. Um hohe Laufzeiten der Wärmepumpe zu gewährleisten, wird die erzeugte thermische Energie der Wärmepumpe zur Grundlastversorgung des Nordwestbads herangezogen. Die zuführenden PE-Rohrleitungen zur Heizzentrale wurden frostfrei verlegt. In der Heizzentrale des Schwimmbads wurden zur gleichen Zeit die Umbauten durchgeführt und die Wärmepumpe sowie das Blockheizkraftwerk (siehe Bild 8) installiert. Eine Analyse der Wärmeerzeugung ergibt einen mittleren Deckungsgrad von 65 % des Gesamtwärmebedarfs durch die Abwasserwärmenutzungsanlage. Die Arbeitszahl der Wärmepumpe liegt bei rund 3,5. Dies entspricht einer CO 2 -Einsparung von rund 220 t pro Jahr (etwa 40 %) gegenüber der konventionellen Erdgasheizung. Eine mehrfache Begehung des Wärmetauschers durch die Betriebsabteilung zeigte, bis auf den bereits bei der Dimensionierung der Anlage berücksichtigten Biofilm, keine relevanten Ablagerungen, Bild 6: Schema des Wärmetauschers. © EGLV Bild 7: Eingebaute Wärmetauscherelemente. © EGLV die zu einer Verringerung des Wärmeübertrags und zu betrieblichen Beeinträchtigungen führen könnten. Wie die Temperaturmessungen am Beginn und Ende der Wärmetauscherstrecke zeigen, liegt die mittlere Temperaturabsenkung des Abwassers hier bei etwa 0,4 °C und somit in einem unkritischen Bereich hinsichtlich des Kläranlagenbetriebs In Bezug auf die Laufzeitstabilität der Anlage kam es zu einer nennenswerten Betriebsstörung in der nunmehr 8-jährigen Betriebszeit. Im September 2014 kam es zu einem Druckabfall im Primärkreislauf der Wärmepumpe. Dies führte zu einem Stillstand der Anlage. Ursache war eine Undichtigkeit an einer Übergangskupplung zwischen dem Übertritt der Anbindungsleitung aus dem Schacht an den Wärmetauscher. Zur Reparatur wurde der Kanal am oberhalb gelegenen Stauraumkanal abgeschiebert, sodass eine neue Edelstahlkupplung eingesetzt werden konnte. Die erfolgreiche Reparatur im laufenden Betrieb unterstrich noch einmal die Praxistauglichkeit dieser Art der Energieversorgung. Durch geänderte Befestigungen und Kupplungsstücke sind in den aktuellen Ausführungen des Wärmetauschers vergleichbare Probleme nicht mehr zu erwarten. 52 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Ausblick Die Umsetzung und der Betrieb von Anlagen zur Energiegewinnung aus Abwasser wird zukünftig in Aufgabenteilung zwischen der EG und ihrer hundertprozentigen Tochtergesellschaft BETREM Emscher Brennstoffe GmbH durchgeführt. Die EG als Eigentümerin der im Abwasser befindlichen Wärme vermarktet diese über ihre Tochtergesellschaft BE- TREM. Aktuell in Umsetzung befinden sich die Wärmeversorgung eines Seniorensitzes in Dortmund und einer Schule in Oberhausen. Weitere Gespräche zur Nutzung der Energiequelle Abwasser zur Wärme- und Kälteversorgung von Gewerbestandorten sowie von Stadtquartieren an verschiedenen Standorten im Emscher und auch im Lippegebiet laufen, sodass das vielversprechende Potenzial weiter gehoben werden kann . Literatur [1] Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. Hrsg.: Merkblatt DWA-M 114. Energie aus Abwasser - Wärme- und Lageenergie, Hennef, 2009. [2] Mitsdoerffer, R. et al.: Zum Heizen und Kühlen gibt es Abwasser, wwt Wasserwirtschaft Wassertechnik, Heft 11-12 (2006), S. 8. [3] EG/ LV (2018): http: / / www.eglv.de/ wasserportal/ startseite/ . Stand: 16.04.2018 [4] Becker, M., Schumacher, R., Siekmann, M.: Zukunftsinitiative „Wasser in der Stadt von morgen“ - ein kooperationsorientierter Ansatz zur Verbesserung des Stadtklimas. In: Johannes Pinnekamp (Hg.): 51. Essener Tagung für Wasser- und Abfallwirtschaft. „Wasserwirtschaft im Umbruch“. Essen, 14.-16.03.2018. Aachen: Ges. zur Förderung der Siedlungswasserwirtschaft an der RWTH Aachen (Gewässerschutz - Wasser - Abwasser, 239), (2018) S. -03/ 01-03/ 12. Bild 8: Wärmepumpe; Blockheizkraftwerk mit neu geschaffenem Betriebsraum. © EGLV [5] EGLV: http: / / www.eglv.de/ emschergenossenschaft/ emscher-umbau/ . Stand: 16.04.2018 [6] EG/ LV: http: / / www.arcgis.com/ apps/ MapTools/ index.html? appid=4f3a0bb060204625ad0afcaf6def3 7f9. Stand: 16.04.2018 [7] Regionalverband Ruhr: Geodaten der Flächennutzungskartierung, Stand Juli 2007, Essen. [8] Wirtschaftsförderung metropoleruhr GmbH): Atlas der Gewerbe- und Industriestandorte Metropole Ruhr der Wirtschaftsförderung metropoleruhr GmbH, Stand Juli 2016, Essen. AUTOREN Dipl. Geograph Adrian Treis Technisches Hochwassermanagement Emschergenossenschaft Kontakt: treis.adrian@eglv.de Dr. Emanuel Grün Vorstandsmitglied Wassermanagement und Technische Services, Emschergenossenschaft Kontakt: gruen.emanuel@eglv.de Dipl.-Ing. Michael Becker Abteilungsleiter Wasserwirtschaft Emschergenossenschaft Kontakt: becker.michael@eglv.de 53 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten „Digitalisierung“ ist der Wandel vom Analogen hin zum Digitalen. Beginnend mit der Erfassung analoger Informationen und deren anschließender Umwandlung in digitale Daten werden diese gesammelt und gespeichert. Jedoch ist es im Zuge der Digitalisierung zwingend erforderlich, Daten nicht nur zu sammeln, sondern diese Daten auch zu nutzen. Die Datensätze sollten nachfolgend verwertet werden und können damit zur Wissensgenerierung beitragen. Der globale Trend, über alle Branchen hinweg, geht in Richtung einer vermehrten Anhäufung von digitalen Daten, da die Digitalisierung und der damit einhergehende Besitz von Daten als Potenzial zur Prozess- und Effizienzsteigerung und somit als Möglichkeit zur Gewinnsteigerung verstanden wird. Dieser Ansatz wird auch bei Digitalisierungsüberlegungen in der Wasserwirtschaft - gemeint sind kommunale Wasserversorger und Abwasserentsorger - verfolgt [1]. Daraus ergibt sich die Fragestellung, wie sich die Digitalisierung vorteilhaft in die Wasserwirtschaft integrieren lässt. Sinnvolle Zielgrößen sind hierbei die Energie- und Ressourceneffizienz, die Wasserqualität, die Verfügbarkeit und Sicherheit, welche verbessert werden können. Im Folgenden sollen diese Zielgrößen anhand von praktischen Anwendungen aus der Wasserwirtschaft nun veranschaulicht werden. Potenzial Digitalisierung Denkansätze für die kommunale Wasserwirtschaft Digitalisierung, Wasserwirtschaft, Effizienz, Versorgungssysteme Ronald Schmidt-Vollus, Florian Goppelt, Thomas Hieninger In sämtlichen Industriesparten wird von einer zunehmenden Digitalisierung gesprochen. Dieser Trend kann auch auf die Wasserwirtschaft von Städten und Kommunen übertragen werden, wobei hier das Potenzial der Digitalisierung bisweilen noch lange nicht ausgeschöpft ist. Anhand von Beispielen werden in diesem Artikel Ziele der Wasserwirtschaft erörtert und mögliche Lösungsansätze für die Integration der Digitalisierung zur Erreichung dieser Ziele gegeben. © pixabay 54 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Eine Steigerung der Energieeffizienz kann durch geeignete Betriebsplanung und Betriebsweise erreicht werden. Dies darf jedoch nicht zulasten der Verfügbarkeit geschehen. Unter dem Begriff der Verfügbarkeit ist sowohl das Sicherstellen von ausreichend Wasser als auch die Verfügbarkeit von Entsorgungsanlagen bei Extremwetterlagen zu verstehen. Durch datenbasierte prädiktive Steuerstrategien eines Ver- oder Entsorgungssystems lassen sich unter anderem Füllstände von Trinkwasserspeichern, nach geschätzten zukünftigen Tagesgängen, basierend auf ausgewählten Wetterdaten und den jeweiligen Wochentagen vorausplanen. Des Weiteren kann sowohl der Energiebedarf als auch die Leckagerate durch sinnvolle Druckabsenkung in einzelnen Teilen eines Versorgungsnetzes gemindert werden. Möglich ist dies durch entsprechendes Anpassen der Betriebszustände von Pumpen, welche bis zu 90 % des Energiebedarfs in Versorgungsunternehmen verursachen können [2]. Eine große zukünftige Herausforderung, mit der sich kommunale Versorger auseinandersetzen müssen, ist die Ressource Wasser selbst. Einerseits wird die Ressource Wasser zur Senkung des Wasserstresses eingespart, andererseits wird die Ressource Wasser vermehrt benötigt, um den zuverlässigen Betrieb von Abwassersystemen zu gewährleisten. Durch den Einsatz von wassersparenden Technologien in Haushalten und Industrie sowie dem daraus resultierenden Rückgang des Wasserverbrauchs sind die teils stark veralteten Leitungssysteme zunehmend mit dieser neuen Situation überfordert. Ein zu geringer Wasserverbrauch kann zu örtlichen Verstopfungen im System führen, wodurch mittels Spülvorgängen zusätzliches Wasser „verschwendet“ werden muss, um diesen Verstopfungen entgegenzuwirken. Die Digitalisierung kann hierbei helfen, das System automatisiert zu analysieren und somit gezielt Reinigungsvorgänge durchzuführen. Weitere Möglichkeiten, wie die Digitalisierung zur Wasserschonung beitragen kann, stellt eine datenbasierte Leckagendetektion sowie eine flächendeckende Überwachung des Grundwasserspiegels dar. Für die Versorger steht neben der Ressource Wasser auch die Qualität des Wassers im Fokus. Zur Sicherstellung einer hohen Wasserqualität ist es notwendig, dass eine kontinuierliche Überwachung der Brunnenalterung, des Wasseralters in Leitungen sowie von Wasseraufbereitungsprozessen stattfindet. Aufgrund dessen, dass ein Großteil unseres Trinkwassers aus Brunnen gewonnen wird, ist es notwendig, Alterungsprozesse frühzeitig zu erkennen. Zur Sicherstellung der Wasserqualität bei der Aufbereitung mithilfe von Ozon, UV-Bestrahlung oder Filtration ist eine laufende Kontrolle charakteristischer Werte unumgänglich. Hierfür sind Messdaten bereitzustellen, welche Fördermengen, Betriebsstunden, Stromverbrauch, Wasserstand und eine Vielzahl von Qualitätsparametern enthalten. Neben diesen prozessrelevanten Zielgrößen spielt in der Digitalisierung auch der Aspekt Sicherheit eine tragende Rolle. Sicherheit bedeutet zunächst die Sicherheit der gesammelten Daten an sich. Sicherheit meint aber auch den Schutz der Umwelt vor dem Wasser. Was die Datensicherheit betrifft, so sind sensible Daten, welche zum Beispiel durch Bild 1: Aufgaben der Digitalisierung in der Wasserwirtschaft. © Schmidt-Vollus 55 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten digitale Wasserzähler erzeugt werden und einzelne Haushalte betreffen, generell zu schützen. Hingegen können informative Daten wie Wasserqualität, aktuelle Grundwasserstände usw. der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, ähnlich der Übertragung von Webcams oder Wetterdaten. Die Steuerung der Anlagen selbst ist jedoch vor manipulativen Eingriffen zu schützen, da aufgrund der wachsenden Digitalisierung die Vernetzung einzelner, zuvor als Inselsystem agierender Anlagen zunimmt. Ein Angriff auf vernetzte und für den Menschen lebensnotwendige Wasserversorgungssysteme kann zu fatalen Folgen führen. Beim Schutz der Umwelt vor dem Wasser besteht vor allem bei den Abwassersystemen Handlungsbedarf. Im Falle von Extremwetterlagen kann es zur ungeklärten Regenwasserausleitung in die natürlichen Gewässer kommen, zudem können lokale Überschwemmungen durch überflutete Stauraumkanäle auftreten. Basierend auf Kurzfristwetterdaten, hydrodynamischen Echtzeitmodellen und prädiktiven Regelungen lassen sich im Allgemeinen für Abwassersysteme optimierte Fahrweisen ableiten. Als Vorzeigebeispiel wäre hier das Projekt Real- Time Control Wien zu nennen [3]. Ebensolche Modelle sind ein wichtiges Werkzeug, um die Digitalisierung effizient zu nutzen. Hierbei ist zwischen datenbasierten Ansätzen und modellbasierten Ansätzen zu unterscheiden. Datenbasierte Ansätze greifen auf gesammelte Datenmengen zu, welche mit entsprechenden statistischen Methoden analysiert und ausgewertet werden. Modellbasierte Ansätze beschreiben Zusammenhänge anhand geltender physikalischer Gleichungen, welche entsprechend parametriert und verifiziert werden müssen. Sie lassen sich gut für die Beschreibung einfacherer Teilsysteme verwenden, wohingegen datenbasierte Ansätze speziell dann eingesetzt werden, wenn physikalische Zusammenhänge nicht mehr ohne Weiteres angegeben werden können. Bei komplexen Systemen wie der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung ist es daher sinnvoll, Hybridmodelle anzuwenden. Entsprechend geeignete Modelle dienen nicht nur zur optimierten Fahrweise von Anlagen, sondern können auch zu Diagnosezwecken herangezogen werden. Beispielhaft zu nennen wären im Abwasserbereich die Detektion von Verstopfungen bei Pumpen oder in Rohrsegmenten sowie im Versorgungsbereich die Erfassung und Beurteilung von Leckagen. Darüber hinaus können sämtliche weitere Aufbereitungsschritte der Ver- und Entsorgung ebenfalls durch daten- und modellbasierte Diagnose- und Regelungskonzepte verbessert werden. „Digitalisierung in der Wasserwirtschaft“ bedeutet neben der Anpassung der prozessrelevanten Vorgänge stets auch den Einbezug und die Unterstützung der Mitarbeiter. So können beispielsweise durch die flächendeckende Einführung von Wasserzählern Auslesevorgänge beschleunigt und vereinfacht werden. Außerdem ist darauf zu achten, dass Mitarbeiter ausreichend geschult und in Digitalisierungsprozesse miteinbezogen werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Digitalisierung als unterstützende Maßnahme konkret dabei helfen soll, sowohl organisatorische als auch technische Prozesse zu verbessern, Mitarbeiter zu entlasten und nachhaltige Lösungen für die Zukunft zu gestalten. Letztendlich wird es dadurch dem Betreiber ermöglicht, die Effizienz zu steigern und Betriebskosten zu senken. LITERATUR [1] German Water Partnership, „Wasser 4.0“ [2] Coelho, B.: „Efficiency Achievement in Water Supply Systems-A Review”, Renewable and Sustainable Energy Reviews, 2014. [3] Fuchs, L. et al.: „RTC - Real-Time Control for the Sewer System of the Vienna City”, 2002. HINWEIS Vortrag „Digitalisierung in der Wasserwirtschaft zur Qualitätsstiegerung und Erhöhung der Ressourceneffizienz“ von Professor Schmidt-Vollus auf den Nürnberger Kolloquien zur Trinkwasserversorgung Termin: 18.09.2018 Ort: Stadthalle Fürth Prof. Dr.-Ing. Ronald Schmidt-Vollus Forschungsprofessur für Steuerungstechnik Nuremberg Campus of Technology Kontakt: ronald.schmidt-vollus@th-nuernberg.de Florian Goppelt, M.Eng. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Nuremberg Campus of Technology Kontakt: florian.goppelt@th-nuernberg.de Thomas Hieninger, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Nuremberg Campus of Technology Kontakt: thomas.hieninger@th-nuernberg.de AUTOREN 56 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Urbane Simulation - ein deutscher Ansatz für New York In Zusammenarbeit mit US-Partnern haben deutsche Forscher eine Bottom-Up-Methode zur urbanen Gebäudesimulation im New Yorker Stadtteil Brooklyn getestet Stadtsimulation, Energieversorgung , CO 2 -Minderung, Klimaschutz, Bauphysik, Gebäudesanierung Ursula Eicker, Verena Weiler, Sally Köhler, Ursula Pietzsch Mit dem Forschungsnetzwerk CITYtrans, bestehend aus dem Stadtforschungsschwerpunkt der Hochschule für Technik (HFT) Stuttgart und dem Forschungsverbund ENsource, hat Prof. Dr. habil. Ursula Eicker seit dem vergangenen Jahr die Kontakte zu New Yorker Forscherteams intensiviert, die ebenso wie ihre deutschen Kollegen an der nachhaltigen und energieeffizienten Transformation von Städten arbeiten. Eine Unterstützung durch das BMBF ermöglichte es ihr und ihrem Team, vor Ort im „Big Apple“ Sondierungsgespräche zu führen und gemeinsame Projektideen in Workshops auszuarbeiten. Eine ganz konkrete Projektidee haben die Partner bereits umgesetzt. So testeten sie eine an der HFT Stuttgart erarbeitete Bottom-Up-Methode für die Stadtsimulation am Beispiel des New Yorker Stadtteils Brooklyn. Microgrid Projekt in Brooklyn - mit solchen Projekten nähert sich die Stadt New York City ihrem „80 x 50“-Ziel zur Treibhausgasminderung. © Ursula Eicker THEMA Versorgung von Städten 57 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Ebenso wie viele deutsche Städte hat sich auch New York ambitionierte Klimaschutzziele gesetzt. Mit seiner „Roadmap to 80 x 50“ [1] will Bürgermeister Bill de Blasio die Treibhausgase bis 2050 um 80 % senken. Die gebäudebedingten CO 2 -Emissionen liegen dabei heute bei etwa 73 %. In der Roadmap wird die Notwendigkeit der energieeffizienten Sanierung des Gebäudebestands erwähnt, wie dies im Einzelnen umgesetzt werden soll, wird jedoch nicht erklärt. Damit steht New York nicht allein da. Wie CO 2 -Minderungsziele konkret erreicht werden, darüber herrscht unter Stadtplanern und Entscheidern selten Einigkeit. Welche Stellschrauben es zu drehen lohnt und welche Auswirkungen dies wiederum auf andere Bereiche der Versorgung oder des Verbrauchs hat, darüber lassen sich angesichts des komplexen Metabolismus Stadt nur schwer eindeutige und allgemeingültige Aussagen machen. Diese wären aber vor allem für die langfristige Planung immens wichtig, während der die Städte stetig weiterwachsen und mehr Energie brauchen. 1 Verlässliche Planungstools können Antworten geben, wie viel Aufwand notwendig ist, um Reduktionsziele unter zunehmend urbanisierten Bedingungen zu erreichen. „Bottom-up“-Ansätze, insbesondere auf GIS-Basis, versetzen in die Lage, „Was-wäre-wenn“ -Szenarien zu simulieren. 2 Das Stadt- und Energieforschungsteam der HFT Stuttgart arbeitet an einer solchen Entscheidungshilfe durch urbane Simulation auf Basis von CityGML (City Geography Markup Language) - einem international standardisierten Anwendungsschema zur Speicherung und zum Austausch von virtuellen 3D- Stadtmodellen. Den gleichen Weg geht das badenwürttembergische Forschungsnetzwerk ENsource 3 - beide unter Leitung von Prof. Dr. habil. Ursula Eicker. Am Beispiel von fünf Case Studies - von der Insel Mainau bis zum Bosch-Areal in Schwieber- 1 Das United Nations Department of Economic and Social Affairs geht davon aus, dass im Jahr 2050 66 % der Weltbevölkerung in Städten leben werden [2]. Demzufolge müssen Städte, die sich CO 2 - und Energie-Reduktionsziele setzen, eine steigende Bevölkerung und damit eine ausreichende Planung für ihre Energieinfrastruktur berücksichtigen. 2 Der „Top-Down“ -Ansatz leitet die Energieentwicklung des Gebäudebestands vor allem aus sozioökonomischen Veränderungen und Trends ab. Im Gegensatz dazu verwendet der „Bottom-Up“-Ansatz Einzelinformationen der Gebäude- und Energieverbrauchsdaten. Mit statistischen und physikalischen Methoden kann dann der Heizenergiebedarf oder der Kühlenergiebedarf berechnet werden. 3 ENsource - Zentrum für angewandte Forschung Urbane ENergiesysteme und Ressourceneffizienz - ist ein hochschulübergreifender Forschungsverbund, unterstützt vom baden-württembergischen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, zu dem sich mehrere Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) und Universitäten sowie außeruniversitäre Forschungseinrichtungen zusammengeschlossen haben. dingen - untersuchen die Teams, wie sich industrielle Standorte sowie Wohnareale hinsichtlich der Gebäudehülle und der Integration erneuerbarer Energien optimieren lassen. Für jede Fallstudie wird in einem automatisierten Workflow Energie- und Ressourceneffizienz sowie Wirtschaftlichkeit von mindestens drei Szenarien berechnet. Mit Unterstützung der Partner der New York University (NYU), der City University New York (CUNY) und dem Energieversorger ConEdison konnten die Forscher nun erstmals diese Methodik auf eine Fallstudie in New York City anwenden. Die Verfügbarkeit georeferenzierter Daten wie Energieverbräuche großer Gebäude oder aus dem sozialen Wohnungsbau, ein bereits existierendes 3D-CityGML-Modell und das Engagement der Stadt für eine nachhaltige Zukunft machen New York City zu einem optimalen Testfeld für die Leistungsfähigkeit der in Deutschland entwickelten Methode der urbanen Energiesimulation. Um die Genauigkeit des Simulationsprozesses basierend auf 3D-Gebäudemodellen zu bewerten, wurden die Simulationsergebnisse mit gemessenen Energieverbrauchsdaten verglichen. Fallstudie Brooklyn, New York City Die für die Simulation ausgewählte Fallstudie 4 umfasst einen Teil des New Yorker Stadtteils Brooklyn (siehe Bild 1). Sie besteht hauptsächlich aus Downtown Brooklyn, einem dynamischen und schnell wachsenden Wohnviertel mit vielen Restaurants, Geschäften und kleinen Büros. Dieses Viertel ist zwischen den Jahren 2000 und 2009 um 7 % auf 150 000 Einwohner gewachsen und befindet sich weiter im Wachstumstrend. 4 Bearbeitet in der Masterthesis „3D Modelling for urban energy transfomation strategies“ von Mario Orth und Johannes Weigl. Bild 1: Untersuchtes Gebiet im Stadtteil Brooklyn (Gebiet A in grau, Gebiet B und C mit sozialem Wohnungsbau in orange/ rot). © Eicker 58 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Die zunehmende Einwohnerzahl, bereits existierende Probleme in der Stromversorgung, ein weitgehend unsanierter Gebäudebestand sowie die Zielsetzung der Stadt New York zum Ausbau der nachhaltigen Energieversorgung führen zu einem erhöhten Handlungsbedarf. Der Fokus der Untersuchungen lag auf dem Heizenergie-, vor allem aber auf dem Kühlenergiebedarf, der durch die massenhafte Verwendung von elektrisch betriebenen Klimageräten einen erheblichen Anteil am Strombedarf der Stadt ausmacht. Wenn im Zuge einer nachhaltigen energetischen Transformation volatile erneuerbare Energien wie Wind- oder Solarenergie in die Netze integriert werden, muss die Netzstabilität durch intelligente Steuerung sichergestellt werden, um die in New York so gefürchteten Blackouts zu vermeiden. Voraussetzung ist die genaue Kenntnis des Bedarfs. Die Methode Die an der HFT Stuttgart entwickelte Simulationsplattform SimStadt [3] kann jetzt schon für die detaillierte Berechnung des Gebäudeenergiebedarfs, die Auslegung von Wärmenetzen sowie für die Ermittlung des Stromverbrauchs verwendet werden. Sie kombiniert die Geometrieverarbeitung mit verschiedenen Simulationsfunktionen der Modellierungssprache INSEL (www.insel.eu), um zum Beispiel eine Energiebedarfsberechnung nach der europäischen DIN EN ISO 13790 durchzuführen. Die geometrischen Informationen stammen aus 3D-CityGML Modellen. Die im 3D-Stadtmodell enthaltenen Informationen wie beispielsweise Baujahr und Gebäudetyp werden mit Daten aus mehreren Gebäudebibliotheken zur Bauphysik und Gebäudenutzung verknüpft, um anschließend verschiedene Berechnungen bzw. Anwendungen für ein Quartier oder eine ganze Stadt durchzuführen. Die Gebäudebibliotheken orientieren sich an der anerkannten Gebäudetypologie des Instituts Wohnen und Umwelt (IWU) [4], der modulare Aufbau der Bibliothek erlaubt es aber auch, eigene projektspezifische Datenbanken zu erstellen. Weiterhin gibt es eine Nutzungs-Bibliothek, in der Einflussgrößen wie interne Lasten, Luftwechsel, Fahrpläne für das Heizen und Kühlen sowie die dazugehörigen Grenztemperaturen für verschiedene Gebäudenutzungen festgelegt sind. Auch diese Bibliothek kann individuell modifiziert werden. Der in Bild 2 dargestellte Workflow zeigt, wie aus Überfliegungen des Stadtraums 3D-Modelle gewonnen und mit Gebäudeattributen versehen werden. Der sogenannte City Doctor korrigiert automatisch fehlerhafte Geometrien, so dass validierte Daten in die 3DcityDB geschrieben werden können. Anschließend werden vom Workflow Manager verschiedene Simulationen angestoßen, die Daten visualisiert oder in Dateien exportiert. Um die Simulations- Building Physics and Usage Libraries SimStadt 3D City Energy Workflow Manager INSEL Simulation Engine r S 3D CityGML model Building Attributes 2D Map 3D Viewer Export e.g. From PLUTO Database LIDAR Data 3 3 SimStadt INSEL CityDoctor 3DCityDB Geodata Server CityDoctor Geometry Healing PostGres DB 3DCityDB Admin CityD mSta yDoc el Enrichment Energy ADE File Manipulation Engine .gml Bild 2: Aufbau der Sim- Stadt Plattform. © Eicker 59 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten ergebnisse aus Brooklyn zu validieren, wurden sie mit gemessenen und mit auf der NYC Open Data Website [5] bereitgestellten Energieverbräuchen verglichen. Ergebnisse In einem ersten Schritt wurde mit den auf der Simulationsplattform vorgegebenen deutschen Materialdaten für die New Yorker Gebäude gerechnet. Danach wurden die Inputs Schritt für Schritt angepasst, um die lokalen Gegebenheiten von New York City angemessen zu berücksichtigen. Am Ende aller Anpassungen stand die Simulation mit den an die Gebäude und Nutzungen in New York City adaptierten Bauphysik- und Nutzungs-Bibliotheken sowie den lokalen Wetterdaten. In Bild 3 sind die simulierten Werte für den Heizwärme-und Kühlenergiebedarf des gesamten Gebiets in Blau dargestellt, die gemessenen Werte in Orange. Man erkennt eine hohe Abweichung beim Kühlenergiebedarf. Der graue Graph beim Heiz- und Kühlenergiebedarf stellt die extrapolierten Zahlen dar, da bei der Simulation einige Gebäude nicht berechnet werden konnten. Diese wurden basierend auf den simulierten Gebäuden nachträglich auf 100 % hochgerechnet. In Bild 4 sind die gleichen Berechnungen für ein kleines Teilgebiet mit sozialem Wohnungsbau (Gebiet B) dargestellt. Für dieses Gebiet lagen neben Stromverbrauchswerten auch gemessene Wärmeverbräuche vor, so dass Simulation und Messung sowohl für Heizen als auch für Kühlen verglichen werden konnte. Für die hohen Abweichungen beim Kühlenergiebedarf musste es eine Erklärung geben. In der Simulation war das Team davon ausgegangen, dass 100 % der Fläche gekühlt werden, wenn eine bestimmte Außentemperatur erreicht ist. In amerikanischen Gebäuden ist dies allerdings überwiegend nicht der Fall, sondern es werden nur einzelne Räume, wie zum Beispiel das Schlafzimmer, gekühlt (siehe Bild 5). Diese Einschätzung basiert auf Umfragen der Residential Energy Consumption Survey (RECS) im Nordosten der USA, die erhoben hat, dass 14 % der Haushalte überhaupt keine Geräte zur Kühlung in den Wohnung haben, 60 % der Haushalte haben nur Einzelgeräte und keine zentrale Kühlung der Wohnung [6]. In den untersuchten Gebieten in New York City haben 90 % der Mehrfamilienhäuser, die einen Großteil der Gebäude im Gebiet ausmachen, dezentrale Systeme, die nur einzelne Räume kühlen. Daraus resultiert, dass der simulierte Kühlenergiebedarf zweibis dreimal zu hoch ist. Entwicklung von Sanierungsszenarien Das CO 2 -Einsparungsziel der Stadt New York, den CO 2 -Ausstoß bis zum Jahr 2050 um 80 % zu reduzieren, soll unter anderem durch die Optimierung des Gebäudesektors erreicht werden. Neben effizienteren Systemen und der Umstellung auf erneuerbare Energien spielt die Gebäudesanierung eine maßgebliche Rolle. Die Stadt New York gibt an, dass über 90 % der heute bestehenden Gebäude noch im Jahr 2050 existieren werden und derzeit für 73 %, also fast drei Viertel der Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Die Sanierung dieser Gebäude muss in den nächsten Jahrzehnten bewertet und durchgeführt werden. In absoluten Zahlen zielt die Stadt darauf ab, die Treibhausgasemissionen um 44,5 Mio. Tonnen zu reduzieren, mit einer wachsenden Bevölkerung und expandierenden Bauflächen. Bild 3: (oben) Vergleich von simuliertem und gemessenem Heizwärmebedarf (links) und elektrischem Kühlenergiebedarf (rechts) für das gesamte Gebiet A. Fehlende Gebäudeinfos wurden extrapoliert (100 % demand). © Eicker Bild 4: (unten) Vergleich von simuliertem und gemessenem Heizwärmebedarf (links) und elektrischem Kühlenergiebedarf (rechts) für das Teilgebiet B. © Eicker 0 100 200 300 400 500 600 GWH calculated heating demand demand 100% 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 GWH measured cooling energy calculated cooling demand demand 100% 0 1000 2000 3000 4000 5000 6000 7000 MWH measured heating energy calculated heating demand 0 200 400 600 800 1000 1200 1400 MWH measured cooling energy calculated cooling demand 60 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Für das Gebiet A in Brooklyn wurden drei verschiedene Szenarien mit der zuvor an die amerikanischen Gegebenheiten angepassten Simulationsmethodik berechnet (siehe Bild 6): Szenario 1 (Sealing): Dieses Szenario zeigt, was passieren würde, wenn alle Gebäude durch den Austausch von Türen und Fenstern besser gedämmt und luftdichter werden, entsprechend der aktuellen Standards der deutschen EnEV. Szenario 2 (Insulation): Das zweite Szenario umfasst die Reduzierung von Wärmeverlusten durch Wärmedämmung gemäß den neuesten Standards des New Yorker Energieeinsparungscodes (NYCECC) von 2016 [7]. Szenario 3 (S+I): Abschließend werden die Auswirkungen der Implementierung beider Szenarien gleichzeitig gezeigt. Die Ergebnisse werden als reiner Energiebedarf angezeigt, unabhängig von der Systemoptimierung oder Änderungen der Energiequelle. Der direkte Vergleich in Bild 6 zeigt, dass es möglich ist, einen großen Teil des gesamten Energiebedarfs des Gebäudes mit relativ geringem Aufwand durch bessere Luftdichtheit aller Gebäude im Szenario 1 zu reduzieren. Bei einer kompletten Gebäudesanierung wie in Szenario 3 könnte der Heizwärmebedarf sogar um die Hälfte reduziert werden. Die tatsächlichen Einsparungen der einzelnen Gebäude variieren dabei durchaus und die Ergebnisse stellen die Einsparungen im gesamten Gebiet dar. Um die Auswirkungen auf die Umwelt zu veranschaulichen, wurden CO 2 -Emissionsfaktoren auf der Grundlage des „80 x 50“-Berichts verwendet [8]. Die Umrechnung von Energiebedarf zu CO 2 -Emissionen basiert auf Daten aus dem Basisjahr 2005. Unter den gegebenen Umständen kann die Sanierung der 9682 Gebäude in Gebiet A zu einer Reduzierung der Treibhausgasemissionen von 45 % führen. Dies bedeutet eine Einsparung von 229 000 Tonnen CO 2 pro Jahr (Bild 7). Das Tool soll Stadtplanern die Entscheidung erleichtern Der Einsatz der deutschen Simulationsmethode in Brooklyn hat gezeigt, dass sie sehr realitätsnahe Aussagen liefern kann, sofern die lokalen Gegebenheiten und die Nutzung der Gebäude berücksichtigt werden. Mit dem Stadtmodell können Szenarien berechnet werden, die als Entscheidungshilfe für die langfristige Planung dienen. Die Simulation kann Schätzungen dazu liefern, wie sich verschiedene Sanierungsmaßnahmen auf den Energiebedarf in bestimmten Bereichen auswirken. Der Bottom-up-Ansatz ist nützlich, um realistische Szenarien basierend auf Änderungen der physikalischen Eigenschaften der Gebäude zu berechnen. Bild 5: Vergleich der simulierten (links) und tatsächlich gekühlten (rechts) Fläche in den Wohnungen. © Eicker Bild 6: Vergleich der Sanierungsszenarien für Gebiet A. © Eicker 0% -33% -13% -50% -100% -90% -80% -70% -60% -50% -40% -30% -20% -10% 0% 0 200 400 600 800 1.000 1.200 1.400 1.600 1.800 2.000 Baseline Sealing Insulation S+I Demand [GWh] heating 0% -7% -7% -12% -25% -20% -15% -10% -5% 0% 0 50 100 150 200 250 Baseline Sealing Insulation S+I Demand [GWh, electr.] cooling 61 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten New York und Stuttgart arbeiten weiter zusammen „Shaping the Future - Building the City of Tomorrow“ - das Motto der internationalen Kampagne des Bundesministeriums für Bildung und Forschung steht auch für die weitere Zusammenarbeit der HFT Stuttgart, ENsource und der amerikanischen Partner. Im Anschluss an das vom BMBF geförderten Projektes CITYtrans hat das Team um Ursula Eicker gemeinsam mit dem New York Institute of Technology und der City University of New York das Projekt IN-SOURCE: INtegrated analysis and modelling for the management of sustainable urban FWE ReSOURCEs eingeworben, das im Sommer 2018 starten wird. Für dieses Vorhaben rund um den Food-Water-Energy Nexus hat CITYtrans den Weg geebnet. Anfang Juni 2018 werden die deutschen und amerikanischen Teams sich in weiteren Workshops treffen, um Forschungsansätze in diesem Projekt zu diskutieren und auszuarbeiten, und damit noch einen Schritt weitergehen: hier sollen die Abhängigkeiten der Bereiche Energie-, Lebensmittel- und Wasserversorgung (Food-Water-Energy Nexus) untersucht und Optimierungsstrategien zusammen mit kommunalen und industriellen Akteuren erarbeitet werden. Einige der Workshops sind öffentlich - Infos und Anmeldemöglichkeiten gibt es auf der ENsource- Homepage www.ensource.de. BMBF-Kampagne „Shaping the Future - Building the City of Tomorrow“ Das Projekt CITYtrans wird im Rahmen der internationalen Kampagne des Bundesministeriums für Bildung und Forschung „Shaping the Future - Building the City of Tomorrow“ gefördert. Die BMBF-Kampagne bietet zehn ausgezeichneten Forschungsnetzwerken aus Deutschland eine Plattform, ihre Projekte für nachhaltige Stadtentwicklung im Ausland zu präsentieren und sich weltweit mit starken Partnern zu vernetzen. Schwerpunktländer der Aktivitäten sind China, Indien, Vietnam, Kolumbien und die USA. LITERATUR [1] City of New York, Technical Working Group. One City Built to Last. New York City : Mayor ‘s office of sustainability , 2014. [2] United Nations, Department of Economic und Social Affairs. World Urbanization Prospects. New York: United Nations, 2014. ISBN 978-92-1-123195-3. [3] zafh.net. SimStadt. [Online] 2013. http: / / simstadt. eu/ de/ index.html. [4] w w w.episcope.eu/ building-t ypolog y/ countr y/ de/ (Download: „National Typology Brochure“) [5] The City of New York. https: / / opendata.cityofnewyork.us/ . [Online] 2017. https: / / opendata.cityofnewyork.us/ . [6] U.S. Energy Information Administration. Residential Energy Consumption Survey. [Online] 2015. https: / / www.eia.gov/ consumption/ residential/ data/ 2015/ hc/ php/ hc7.7.php. [7] New York City Department of Buildings. NYCECC. [Online] 2011. https: / / www1.nyc.gov/ assets/ buildings/ apps/ pdf_viewer/ viewer.html? file=2011_ ACK- NOWLEDGEMENTS _ENERGY.pdf§ion=energy_ code_2011. [8] The City of New York. Inventory of New York City greenhouse gas emissions. September 2011. Links: www.ensource.de www.research-in-germany.org/ shaping-the-future www.facebook.com/ Research.in.Germany https: / / twitter.com/ researchgermany Prof. Dr. habil. Ursula Eicker IAF-Leiterin an der HFT Stuttgart und Leiterin der Forschungszentren Nachhaltige Energietechnik und EnSource Kontakt: ursula.eicker@hft-stuttgart.de Verena Weiler, M.Sc. Promotionsstudentin am KIT und an der HFT Stuttgart im Bereich der urbanen Energiesimulation Kontakt: verena.weiler@hft-stuttgart.de Sally Köhler, M.Sc. Promotionsstudentin am KIT und der HFT Stuttgart im Bereich Simulation von Energiesystemen Kontakt: sally.koehler@hft-stuttgart.de Ursula Pietzsch, M.A. Projektmanagement CITYtrans Kontakt: ursula.pietzsch@hft-stuttgart.de AUTORINNEN Bild 7: Reduktion der Treibhausgasemissionen bei Sanierungsszenario 3. © Eicker 62 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Nach einer Pilotphase im Jahr 2011, die über 30-Städte und Gemeinden in Mittel- und Südhessen erfasste, liegt seit September 2016 ein technisch rundum erneuertes landesweites Solar-Kataster für alle Gebäude und Freiflächen in Hessen vor. Es gibt allen Hausbesitzerinnen und -besitzern sowie Bürgerinnen und Bürgern in Hessen kostenlos Auskunft darüber, ob sich eine Solaranlage auf dem eigenen Dach lohnt. Ein Wirtschaftlichkeitsrechner berechnet, wie hoch die Investition in eine Anlage wäre und wie viel CO 2 damit eingespart werden könnte. Zielgruppe sind neben Bürgerinnen und Bürgern sowie Hausbesitzerinnen und -besitzern auch Kommunen, Netzbetreiber und Energieversorger. Der Aufbau des hessischen Solar-Katasters geht zurück auf einen gemeinsamen Beschluss der Hessischen Ministerien für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (HMUKLV) und für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung (HMWEVL). Die Erfinderin des Solar-Katasters SUN-AREA, Prof. Dr. Martina Klärle, geschäftsführende Direktorin des Frankfurter Forschungsinstituts für Architektur • Bauingenieurwesen • Geomatik (FFin) an der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS), stellte die Website www. solarkataster.hessen.de gemeinsam mit Hessens Wirtschafts- und Energieminister Tarek Al-Wazir und dem Präsidenten des Hessischen Landesamtes für Bodenmanagement und Geoinformation (HLBG), Dr.-Ing. Hansgerd Terlinden, im Rahmen einer Landespressekonferenz in Wiesbaden vor. Für das landesweite Solar-Kataster Hessen wurden insgesamt rund 5 Mio. Dachflächen sowie Freiareale auf einer Fläche von 21 115 km 2 analysiert. Die Analyse basiert auf sehr hochaufgelösten Daten. Diese stammen aus dem amtlichen Liegenschaftskataster, aus 5600 digitalen Luftbildern und einem flächendeckenden Laserscan Hessens mit mindestens vier Aufnahmepunkten pro Quadratmeter, der durch eine Befliegung gewonnen wurde. Durch eine Verschneidung der 3D-Informationen mit den Katasterdaten sowie einer Simulation der Sonneneinstrahlung über den Tag und das Jahr hinweg kann für jede einzelne Fläche der zu erwartende Stromertrag exakt berechnet werden. Kleinste Strukturen auf Dachflächen (zum Beispiel Schornsteinen und Gauben) und deren Schattenwurf werden erfasst und bei der Berechnung berücksichtigt. Eine Internet-GIS-Karte mit integriertem Wirtschaftlichkeitsrechner zeigt an, ob und wo sich die Investition in eine Solaranlage lohnt. Die Kartenfunk- Landesweites Solar-Kataster für Hessen Erneuerbare Energien, Photovoltaik, Geoinformationssysteme (GIS), Solardachkataster, Hessen, Energiewende Martina Klärle, Ute Langendörfer Das Solar-Kataster Hessen ist der Baustein, um die Energiewende in Hessen voranzubringen. Als Online- Angebot erreicht es viele Menschen, informiert und motiviert zum Bau einer eigenen Solaranlage. Somit ist eines der größten existierenden Solarkataster entstanden, in einer Detailschärfe und mit besonderen Funktionen, wie es sie für ein Flächenbundesland bislang noch nicht gibt. Ein gutes Jahr nach seiner Freischaltung verzeichnete das Internet-Angebot bereits über 130 000 Aufrufe und ist beim eGovernment- Wettbewerb 2017 als bestes Digitalisierungsprojekt ausgezeichnet geworden. Bild 1: Hessens Wirtschafts- und Energieminister Tarek Al-Wazir (Mitte), Projektleiterin Prof. Dr. Martina Klärle (rechts) und Dr.-Ing. Hansgerd Terlinden (links), Präsident des Hessischen Landesamtes für Bodenmanagement und Geoinformation, präsentieren das Solar-Kataster im Rahmen einer Landespressekonferenz in Wiesbaden. © HMEWVL 63 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten tion ist auch für mobile Endgeräte bestens geeignet. Dargestellt wird die Eignung für Solarthermie zur Wärmeerzeugung und Photovoltaik zur Stromerzeugung, letzteres sowohl für Dachflächen als auch für Freiflächen (zum Beispiel Parkplätze oder Böschungen). Die Flächen sind frei wählbar, eine individuelle Berechnung jeder Dach-Teilfläche ist möglich. Der Wirtschaftlichkeitsrechner für Photovoltaik trifft zudem Aussagen zur idealen Anlagengröße im Hinblick auf den Eigenverbrauch und berücksichtigt dabei auch Speicherkapazitäten und die Nutzung der gewonnenen Energie für E-Mobilität. Nach dem ersten Betriebsjahr des Online-Tools wurden Anregungen der Nutzer/ -innen in die Anwendung eingepflegt. Seit September 2017 steht eine Aktualisierung des Solar-Katasters mit zahlreichen Neuerungen zur Verfügung. So können etwa bei Flachdächern die Module nach zwei Seiten (beispielsweise Ost-West) aufgeständert werden, mit variabler Neigung und Ausrichtung. Der Solar-Kataster Hessen versteht sich in erster Linie als eine Dienstleistung für die hessischen Bürger/ -innen, um die Solarenergie in Hessen voranzubringen. Die im Jahr 2017 umgesetzten Neuerungen ermöglichen darüber hinaus noch besser anwendungsorientierte, zielgruppenspezifische Auswertungen, beispielsweise für Kommunen, Netzbetreiber und Energieversorger. Das Solar-Kataster Hessen gibt den Bürgerinnen und Bürgern unabhängige, neutrale Informationen, gibt Investitionsimpulse zur Stärkung der lokalen Wirtschaft, unterstützt Kommunen und Landkreise gezielt bei der Solarförderung, unterstützt die Energieversorger im Sinne einer nachhaltigen Investitionsplanung, ermöglicht diverse Auswertungen für kommunale und andere Verwaltungen. Bild 3: Ausschnitt aus dem Solar- Kataster Hessen - Auswahl mehrerer Dachflächen. © www.solarkataster.hessen.de Bild 2: Ertragsrechner für Photovoltaik: Eingabemaske. © www.solarkataster.hessen.de 64 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Anwendung für Bürger/ -innen Bürgerinnen und Bürger haben ein großes Bedürfnis nach seriösen, unabhängigen Informationen zur solaren Eignung ihres Daches. Das Solar-Kataster Hessen liefert diese Informationen jederzeit online, kostenlos und individuell für jedes Dach. Es gibt Auskunft zu den wichtigsten Fragen: Welche Flächen sind besonders gut geeignet für eine solare Nutzung? Wie kann die hauseigene Solaranlage optimal dimensioniert werden? Wie kann die Solaranlage finanziert werden? Ist eine wirtschaftliche Nutzung zu erwarten? Wie hoch wird die Rendite der Anlage sein, wie hoch der Gewinn nach 20 Jahren? Das kostenfreie, neutrale Informationsportal schafft für Hausbesitzer den Anreiz, sich mit dem Thema einer eigenen Solaranlage auseinanderzusetzen. Die differenzierte farbige Darstellung ermöglicht eine schnelle Einschätzung des solaren Potenzials der Dachfläche. Sie erlaubt eine kleinräumige Beurteilung jeder Teilfläche des Daches. Bild 4: Ertragsrechner für Solarthermie: Eingabemaske. © www.solarkataster.hessen.de Bild 5: Nutzerspezifische Auswertung: Mehrfachauswahl von acht Doppelhäusern. © www.solarkataster.hessen.de 65 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Die Nutzerinnen und Nutzer können die Transparenz der Solareinstrahlung mit einem Schieberegler individuell wählen, um den Grund für etwaige Verschattungen oder die Dachstruktur besser erkennen zu können. Auf dem darunter liegenden Luftbild sind beispielsweise Dachgauben oder benachbarte Bäume als Grund für Verschattungen sichtbar. Über das Navigationsmenü erfolgt der Wechsel zur Ansicht des Potenzials für solarthermische Anlagen. Hier stehen überwiegend die gleichen Funktionen zur Verfügung wie für Photovoltaik, allerdings wird die solare Eignung pauschalisiert angezeigt, da die Dimensionierung einer solarthermischen Anlage von individuellen Faktoren abhängig ist, wie Größe des Haushaltes (Personenzahl), Verbrauchsverhalten der Bewohner/ -innen, individueller Wärmebedarf des Gebäudes, Art der Nutzung der Solaranlage - nur Warmwasserbereitung oder auch Heizungsunterstützung? Anwendung für Kommunen, Energieversorger, Netzbetreiber Das Solar-Kataster ermöglicht zielgruppenspezifische Auswertungen, auch für Kommunen, Netzbetreiber und Energieversorger. Kommunen können gezielt nach großen geeigneten Dachflächen auf kommunalen Gebäuden suchen, um diese zu verpachten oder selbst Solaranlagen zu installieren. Für Kommunen sind außerdem die Informationen interessant, die das Solar- Kataster im Rahmen der Erstellung von Energie- und Klimaschutzkonzepten liefern kann. Energieberatende können Hausbesitzer/ -innen und Gewerbebetriebe mit besonders geeigneten Dächern oder angrenzenden Freiflächen gezielt ansprechen. Insbesondere große gewerbliche Gebäude mit Flachdächern bringen im Falle einer solaren Nutzung oft hohe Erträge. Energieversorger und Netzbetreiber können durch nutzerspezifische Auswertungen herausfinden, wo kleinräumig betrachtet wieviel dezentraler Strom erzeugt werden kann und wie stark sie perspektivisch ihr Netz- und Trafosystem anpassen müssen. Das Solar-Kataster unterstützt somit auch den Aufbau intelligenter Stromnetze (Smart Grids). Schlussbetrachtung Das Solar-Kataster Hessen hat sein Ziel, die Energiewende in Hessen voranzubringen, voll erfüllt. Bei der Präsentation der hessischen „Energie-Agenda“ am 17. April 2018 konnte der Hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir berichten, dass es beim Zubau von Photovoltaik-Anlagen auf Hessens Dächern zwischen 2015 und 2017 einen Anstieg von annähernd 80 Prozent gegeben habe. (Bundesweit lag der Anstieg im selben Zeitraum bei 27 Prozent.) Als wesentlicher Grund für diesen überdurchschnittlichen Anstieg wird in erster Linie das Solar-Kataster genannt. Das Solar-Kataster Hessen wurde außerdem im Rahmen eines eGovernment-Wettbewerbs als bestes Digitalisierungsprojekt 2017 ausgezeichnet. Die Auszeichnung bescheinigt dem Solar-Kataster, die Potenziale neuer technologischer Entwicklungen effektiv zu nutzen und Bürgerinnen und Bürgern einen deutlichen Mehrwert zu bieten. Darüber hinaus sollte nicht vergessen werden, dass neben den Dachflächen auch Fassaden zur Solarstromerzeugung genutzt werden können. Seit Jahrtausenden prägen immer wieder neue Materialien die Baukultur, warum also nicht auch energieproduzierende Materialien und energieaktive Gebäudehüllen? Die Zukunft gehört Gebäuden und Quartieren, die nicht nur CO 2 -neutral sind, sondern in der Summe mehr Energie produzieren, als ihre Bewohner/ -innen verbrauchen. Weitere Informationen: www.solarkataster.hessen.de Prof. Dr. Martina Klärle Fachbereich Architektur • Bauingenieurwesen • Geomatik Frankfurt University of Applied Sciences Kontakt: Martina.klaerle@fb1.fra-uas.de Ute Langendörfer Wissenschaftliche Mitarbeiterin Fachbereich Architektur • Bauingenieurwesen • Geomatik Frankfurt University of Applied Sciences Kontakt: Ute.langendoerfer@fb1.fra-uas.de AUTORINNEN 66 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Die Frage nach den sichtbaren Auswirkungen einer möglichen Transformation der Stromnetze ist gleichzeitig die Frage, welche räumliche Zielstellung mit dem Begriff der Energiewende verbunden wird. Begonnen hat die Energiewende in einem eher lokalen oder regionalen Maßstab. Der eingespeiste EE-Strom konnte von den Verteilernetzen (Nieder- Mittel und Hochspannungsnetz von 400 V bis 100 kV) aufgenommen werden. Bis heute werden rund 99 % des EE-Stroms in das Verteilernetz eingespeist, um von dort bei Bedarf in das Übertragungsnetz (Höchstspannungsnetz 220 und 380 kV) überführt zu werden [1]. Während die Verteilernetze der regionalen und örtlichen Stromverteilung dienen, übernehmen die Übertragungsnetze den Stromtransport im nationalen oder transnationalen Maßstab (Bild 1). In diesem Maßstab ist inzwischen auch die Energiewende angekommen, denn regenerative Energieanlagen sollen dort errichtet werden, wo die natürlichen Energielandschaften - ein Blick in die Glaskugel Wie Gleichstrom das Orts- und Landschaftsbild verändern könnte Energiewende, Stromnetze, Gleichstrom, Quartiersentwicklung, Elektromobilität, EE-Anlagen Sandra Sieber Die Veränderungen des Orts- und Landschaftsbildes durch erneuerbare Energien sind seit den späten 1990er Jahren Gegenstand von Forschungsprojekten und Publikationen. Maßgeblich Landschaftsplaner, Raumplaner und Geographen haben zu diesem Thema gearbeitet. Als neuer Aspekt ist in den letzten Jahren die Transformation der Stromnetze hinzugekommen. Transformation meint dabei tatsächlich weit mehr, als der aktuell diskutierte Ausbau des Hoch- und Höchstspannungsnetzes. Auch die bislang kaum beachteten Nieder- und Mittelspannungsnetze könnten sich im Zuge der Energiewende deutlich verändern. Mit diesen Veränderungen und ihren Auswirkungen auf das Orts- und Landschaftsbild hat sich der Forschungscampus Flexible Elektrische Netze (FEN) befasst. © pixabay 67 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Gegebenheiten besonders gut sind: Windenergie im Norden (hohe Windhöffigkeit) und Photovoltaik im Süden (hohe Globalstrahlung). Zugpferd der Energiewende soll dabei die Offshore-Windenergie werden, hier setzt die Bundesregierung bis zum Jahr 2030 auf einen Zubau von 15 000 MW in deutschen Gewässern. Zum Vergleich: PV-Anlagen kommen in Deutschland derzeit auf rund 40 800 MW installierte Leistung und Onshore-Windkraftanlagen auf etwa 45 000 MW (Stand 2017) [2]. Rückgrat aber auch Kehrseite dieser großmaßstäblich ausgelegten Energiewende ist das Übertragungsnetz mit den aktuell diskutierten neuen Trassen von Nord nach Süd, die zum Teil als Gleichspannungstrassen realisiert werden sollen. Der Forschungscampus Flexible Elektrische Netze setzt bei der Frage nach den Auswirkungen der Stromnetztransformation auf einen anderen Maßstab bei der Energiewende. Fokussiert werden Gleichspannungsnetze und ihre Potenziale im Bereich der Nieder- und Mittelspannung. Damit verbunden ist die Frage, wie sich die Energiewende und ein Netzausbau unter Verwendung der Gleichstromtechnik auf das Orts- und Landschaftsbild auswirken würden, wenn beide stärker auf der lokalen und regionalen Ebene verortet werden. Dabei hätte ein Technologiewechsel von Wechselspannung (AC) zu Gleichspannung (DC) in Bezug auf die Netzinfrastruktur zunächst keine oder kaum sichtbare Auswirkungen auf das Orts- und Landschaftsbild, da der Großteil der Nieder- und Mittelspannungsleitungen bereits unterirdisch verlegt sind [3]. Ob AC- oder DC-Kabel unter Straßen und Gehwegen verlaufen, ist visuell nicht wahrnehmbar. Merkliche Veränderung des Orts- und Landschaftsbildes, die über die Art der verlegten Kabel hinausgehen, können aber durch DC-Netze angestoßen und befördert werden. Diese wirken dann indirekt auf einer semi-visuellen Ebene. Das bedeutet, die durch DC-Netze angestoßenen Veränderungen sind wahrnehmbar, es bedarf jedoch eines spezifischen Fachwissens, um diese Veränderungen auf die DC-Netze zurückzuführen. Die möglichen indirekten Veränderungen oder gar Potenziale der DC- Technologie für die Landschaftsentwicklung lassen sich zu drei Themenkomplexen zusammenfassen: „energetische Quartiersentwicklung und Vernetzung“, „Elektromobilität“ und „größere Freiheitsgrade bei der Standortwahl von EE-Anlagen“. Energetische Quartiersentwicklung und Vernetzung Ausgangspunkt der möglichen Veränderung durch DC-Netze ist das aktuelle Orts- und Landschaftsbild mit seiner noch immer relativ geringen Einspeiseleistung durch kleinteilige regenerative Energie- Bild 1: Die möglichen Ebenen der Energiewende: urban, regional, national-transnational. © Sandra Sieber, 2017 68 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten anlagen im Innenbereich und der hohen Einspeiseleistung durch sehr raumwirksame regenerative Energieanlagen im Außenbereich. Den größten Anteil an der regenerativen Strombereitstellung haben derzeit Windenergieanlagen mit rund 42 %, Biomasse mit 27 % und Photovoltaikanlagen mit 20 %, gefolgt von Wasserkraft mit 11 % (Stand 2017) [4]. Trotz der großen Raumwirksamkeit einiger EE-Anlagen im Außenbereich, dominieren derzeit - bezogen auf die Anzahl - aber die kleinteiligen PV-Anlagen. Brachenverbände gehen aktuell von über 1 500 000 PV-Anlagen und rund 27 000 Onshore-Windenergieanlagen in Deutschland aus [5] (Bild 2). Da die Niederspannungsnetze im Siedlungsbereich auf die monodirektionale Versorgung von Abnehmern (Verbrauchern) ausgelegt sind, sich die Kapazität der verlegten Kabel also am Strombedarf in einem Versorgungsgebiet orientiert, kann es gerade in älteren Quartieren mit nachträglicher Verdichtung zu Engpässen bei der Einspeisung lokaler Erzeuger kommen. Ein hoher Ausbaugrad von EE-Anlagen ist hier aufgrund der fehlenden Netzkapazität nicht immer möglich [6]. Verschiedene Faktoren führen aktuell zu einem Ortsbild mit relativ geringem Anteil an EE-Anlagen und einem Landschaftsbild mit EE-Anlagen und Höchstspannungstrassen, deren Raumwirksamkeit von einem Teil der Bevölkerung als nicht landschaftsbildverträglich bezeichnet wird. Durch DC-Komponenten könnten die bestehenden AC-Netze im Nieder- und Mittelspannungsbereich verdichtet und so ertüchtigt werden. Wie diese Transformation vom jetzigen AC-Netz zu einem künftigen DC-Netz aussehen könnte, wird im Rahmen des Forschungscampus Flexible Elektrische Netze ebenfalls betrachtet. Die Zielstellung einer energetischen Quartiersentwicklung wären Netze, die sowohl eine hohe Einspeisung regenerativer Energie, wie auch eine flexible Vernetzung von Produktion und Verbrauch im Siedlungsbereich erlauben. Durch die (nicht sichtbaren) DC-Komponenten würde sich das Ortsbild sichtbar verändern. Statt kleiner additiver PV-Anlagen auf dem Dach, würden die Hüllflächen der Gebäude selbst „solaraktiv“ zum Beispiel in Form von Fassadenmodulen oder vollflächigen Dacheindeckungen. Dies ermöglicht ein Zusammenrücken von Stromproduktion und Stromverbrauch, die Transportstrecken werden kürzer und damit weniger raumwirksam. Eine dichtere energetische Vernetzung durch unterirdisch verlegte Nieder- und Mittelspannungsnetze könnte den Bedarf an raumwirksamen Höchstspannungstrassen reduzieren, da weniger Strom über längere Strecken transportiert werden muss. Neben dem so reduzierten Ausbaubedarf auf der Höchstspannungsebene könnten durch die stärkere Einspeisung und Nutzung von EE-Strom im Siedlungsbereich auch der Ausbaubedarf an EE-Anlagen und damit der Flächendruck im Außenbereich reduziert werden (Bild 2). Bild 2: Aktuelle Situation ohne DC-Netz - geringer Anteil an (kleinteiligen) EE-Anlagen im Innenbereich, dafür sehr raumwirksame EE-Anlagen im Außenbereich. © Sandra Sieber, 2017 Bild 3: Indirekte Veränderung durch DC-Technik - DC- Netze erlauben eine rhizomorphe Vernetzung auf der Nieder- und Mittelspannungsebene. Kleinteilige EE-Anlagen können in großer Zahl ins Netz integriert werden, um eine energetische Vernetzung auf regionaler Ebene, zwischen Quartieren und im Quartier zu ermöglichen. © Sandra Sieber, 2017 69 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Elektromobilität Schnelles Laden von Elektrofahrzeugen unter einer Stunde bedarf momentan eines Anschlusses an das Mittelspannungsnetz. Zur Schaffung einer leistungsstarken Ladeinfrastruktur könnten DC-Mittelspannungsnetze nach derzeitigem Kenntnisstand eine Option sein. Diese würden das schnelle und simultane Laden mehrerer Fahrzeuge erlauben. Die heutigen AC-Niederspannungsnetze könnten, je nach Tageszeit und aktuellem Strombedarf im Quartier, schon durch das (einige Stunden dauernde) Laden mehrerer Fahrzeuge in einer Straße überlastet sein. DC-Mittelspannungsnetze könnten dementsprechend als Katalysator (Beschleuniger) bei der Verbreitung der Elektromobilität wirken. DC-Mittelspannungsnetze zum Ausbau einer Landeinfrastruktur können wiederum umgekehrt die Etablierung von DC-Netzen im Quartier befördern. Sie wären ein erster (zweckgebundener) Kristallisationspunkt, an den andere Nutzungen andocken könnten, zum Beispiel die Einspeisung von EE-Strom im Quartier. Die Elektromobilität könnte so ein Opener oder Enabler für DC-Netze im Siedlungsbereich sein. Vision sind Quartiere, die neben einem hohen Anteil kleiner EE-Anlagen auch einen hohen Anteil an Elektrofahrzeugen aufweisen würden. Verbunden mit den aktuellen Zielen der Reduktion von Luftschadstoff- und Lärmemissionen würde diese Vision auch die Vakanz von Verbrennungsmotoren enthalten. Energetische Musterquartiere würden sich entwickeln, mit hoher Wohnqualität, geringer Lärm- und Schadstoffbelastung und einem hohen Immobilienwert (Bild 4) [7]. Bild 4: Mit DC-Netzen könnte auch im urbanen Raum eine gute Ladeinfrastruktur geschafften werden. An die neuen DC-Netze docken später auch weitere Nutzungen an. E-Mobilität und DC-Netze würden sich im urbanen Raum gegenseitig befördern. © Sandra Sieber, 2017 Bild 5: Mit Gleichstromnetzen könnten unter bestimmten Voraussetzungen auch Standorte für raumwirksame EE-Anlagen genutzt werden, die heute aufgrund zu hoher Anschlusskosten unrentabel sind. Offen bleibt allerdings, wo solch abgelegene Standorte zur Verfügung stehen und ob raumwirksame EE-Anlagen dort wirklich konfliktärmer etabliert werden könnten. © Sandra Sieber, 2017 70 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Größere Freiheitsgrade bei der Standortwahl von EE-Anlagen Ob die größeren Freiheitsgrade bei der Standortwahl von EE-Anlagen tatsächlich Auswirkungen auf das Landschaftsbild haben würden und, wenn ja, inwiefern diese wahrnehmbar wären, lässt sich derzeit noch nicht ableiten. Diese Option geht davon aus, dass mit DC-Netzen unter Umständen (bei niedrigeren Material- und Installationskosten) auch Standorte für EE-Anlagen in Betracht kämen, die derzeit aufgrund der Leitungskosten unrentabel wären (Bild 5). Ob DC-Netze hier einen Kostenvorteil haben könnten, lässt sich derzeit noch nicht beantworten. Auch wenn DC-Kabel einen Kostenvorteil hätten, so bliebe die Frage, ob es (in Deutschland) überhaupt Standorte gibt, die so weit von Siedlungen entfernt liegen, dass dort ohne Konflikte insbesondere Windenergieanlagen errichtet werden könnten. Abgelegene Standorte könnten gerade wegen ihrer Abgeschiedenheit einen hohen touristischen Wert haben oder als Naturschutzgebiete fungieren, was tendenziell eher zu einer Verschärfung der Akzeptanzproblematik führen würde. Energiewende und räumlicher Bezug Den vorab genannten semi-visuellen Effekten liegt bei näherer Betrachtung auch immer eine strukturelle Ebene zugrunde. Im Bereich der Elektromobilität sind entsprechende politische Zielstellungen förderlich. Beim Thema der größeren Freiheitsgrade bei der Standortwahl von EE-Anlagen wären die gesellschaftlichen Konflikte um die Akzeptanz raumwirksamer EE-Anlagen das strukturelle Moment. Insbesondere bei der energetischen Quartiersentwicklung und Vernetzung bedarf es der politischen und gesellschaftlichen Zielstellung einer eher lokalen Energiewende, im Gegensatz zur derzeitigen großmaßstäblich, also national-transnational ausgerichteten Energiewende. Die Zielstellungen der Energiewende scheinen eine wichtige Stellschraube bei der Frage nach der Entwicklung des Landschaftsbildes zu sein. Eine Energiewende, die stärker auf die regionale Ebene setzt, hat andere sichtbare Auswirkungen auf das Orts- und Landschaftsbild als eine großmaßstäblich gedachte Energiewende (vgl. Bild 6 und Bild 7). Aber sie bietet vielleicht auch eher die Chance, Teil regionalspezifischer Orts- und Landschaftsbilder zu werden. Insbesondere die Energiewende im urbanen und suburbanen Raum bietet daher große Potenziale. Neben ganzen Passivhausquartieren wie in Heidelberg gibt es inzwischen auch größere Büro- und Wohngebäude, die mehr Energie bereitstellen, als sie verbrauchen. [8] Auf der regionalen oder urbanen Ebene würden Energiebedarf und Energieproduktion wieder enger zusammenrücken. Vielleicht auch ein Vorteil im Hinblick auf die sogenannte Sektor-Kopplung, bei der die Bereiche Strom, Wärme und Mobilität stärker verzahnt werden, da die Wärmeversorgung bereits jetzt (und die Mobilität möglicherweise zukünftig) zunehmend strombasiert sind. Selbst Speicherlösungen wären im regionalen und urbanen Maßstab gegebenenfalls leichter und effizienter zu integrieren, was wiederum den Ausbaubedarf im Stromnetz reduziert. Je mehr Energie im Quartier selbst oder in der Region bereitgestellt, verbraucht, umgewandelt oder gespeichert werden kann, desto weniger Energie muss über weite Strecken transportiert werden. Ein Gedanke, der in den nächsten Bild 7: Auswirkung der aktuellen, großmaßstäblichen Energiewende: Die Erzeugungsanlagen rücken aus dem Blickfeld, dafür müssen neue, raumwirksame Übertragungsanlagen die Orte der Stromerzeugung mit den Orten des Stromverbrauchs verbinden. © Sandra Sieber 2017 Bild 6: Derzeitige Zielstellung der aktuellen, großmaßstäblichen Energiewende - raumwirksame EE-Anlagen sollen zunehmend außerhalb des Blickfeldes errichtet werden, wie zum Beispiel im Fall von Offshore- Windenergieanlagen. © Sandra Sieber 2017 71 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Jahren - wenn die verbliebenen Kernkraftwerke abgeschaltet werden sollen (siehe graue Punkte in Bild 1 national-transnationale Ebene) - an Bedeutung gewinnen könnte. Der Ausbaubedarf auf der Mittel- und Niederspannungsebene ist unstrittig, wenngleich er medial oder gesellschaftlich bislang wenig thematisiert wird. Verschiedene Studien gehen davon aus, dass deren Ausbaubedarf bis zum Jahr 2020 oder 2030 auf der Nieder- und Mittelspannungsebene bei gut 160 000 bis 380 000 km liegen könnte. Zum Vergleich: Im Übertragungsnetz wird je nach Studie der Ausbaubedarf auf rund 2500 bis 8500 km geschätzt [9]. Er bietet Chancen zur Gestaltung der Energiewende: kleinmaßstäblicher, kleinteiliger, aber auch vielfältiger, mit besseren Möglichkeiten der Integration in Architektur und Landschaft, mit Technologien, die nicht mehr sichtbar sind, wie Blockheizkraftwerken, Wärmepumpen und Speichern. Auch aus Sicht des Gerechtigkeitselements, spricht einiges dafür: So kann jeder gestaltend an der Energiewende mitwirken, die mögliche Segregation in Schutz- und Schmutzlandschaften (die sich in der aktuellen gesellschaftlichen aber auch landschaftsarchitektonischen Diskussion um raumwirksame EE-Anlagen abzeichnet) könnte entfallen. Die Energiewende ist letztlich eine gesellschaftliche Fragestellung und folgt den vorgegebenen politischen Weichenstellungen, wie sie zum Beispiel im EEG festgelegt werden. Die Weichen stehen derzeit auf Großmaßstäblichkeit und Übertragungsnetz. Die meisten Engpässe beim Ausbau, aber auch die größten Chancen für eine Landschaftsentwicklung mit regenerativen Energien, liegen jedoch auf der Verteilernetzebene. LITERATUR [1] Ohrem, S., Clemens, G.: Die Energiewende findet im Verteilnetz statt, publiziert auf: et Energiewirtschaftliche Tagesfragen (aufgerufen am 15.08.2016). [2] Informationsportal Erneuerbare Energien, Internetseite, https: / / www.erneuerbare-energien.de/ EE/ Navigation/ DE/ Technologien/ Windenergie-auf-See/ Ziele/ ziele.html (aufgerufen am 18.04.2018); Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) (Hrsg.): Erneuerbare Energien in Zahlen. Nationale und internationale Entwicklung im Jahr 2016, Berlin, 2017, S. 8 und S. 10, https: / / www.bmwi.de/ Redaktion/ DE/ Publikationen/ Energie/ erneuerbare-energien-in-zahlen-2016.pdf ? _ _blob=publicationFile&v=8 (aufgerufen am 18.04.2018). [3] Naturschutzbund Deutschland (NABU) e. V.: Stromfluss unter der Erde - Einsatz von Erdkabeln beim Übertragungsnetzausbau, Berlin, 2013, S. 2, http: / / www.energiewende-naturvertraeglich. d e / i n d e x . p h p % 3 F i d =10 0 1& t x _ f e d o w n l o a d s _ pi2[download]=5601 (aufgerufen am 20.03.2018). Dipl.-Ing. (FH) Sandra Sieber Mitarbeiterin im Forschungscampus Flexible Elektrische Netze FEN und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Darmstadt Kontakt: ssieber@la.rwth-aachen.de AUTORIN [4] BUNDESMINISTERIUM FÜR WIRTSCHAFT UND ENER- GIE (BMWi), Erneuerbare Energien in Zahlen - Nationale und internationale Entwicklung im Jahr 2016, Berlin, 2017, https: / / www.bmwi.de/ Redaktion/ DE/ Publikationen/ Energie/ erneuerbare-energien-inzahlen-2016.pdf ? _ _blob=publicationFile&v=8 (aufgerufen am 20.03.2018). [5] Bundesverband WindEnergie e.V., Internetseite, https: / / www.wind-energie.de/ infocenter/ statistiken/ deutschland/ windenergieanlagen-deutschlandIn Deutschland standen (ca. 28.700 Onshore-Windenergieanlagen, Stand 2017); Bundesverband Solarwirtschaft e.V. (BSW-Solar), Statistische Zahlen der deutschen Solarstrombranche (Photovoltaik), https: / / www.solarwirtschaft.de/ fileadmin/ user_upload/ bsw_faktenblatt_pv_4018_4.pdf (Anzahl installierter Photovoltaik-Anlagen bis Ende 2017: 1,64 Mio.) (beide aufgerufen am 19.04.2018). [6] Ullrich, S.: Photovoltaikanlagen am Verteilnetz - Speicher sparen jährlich 150 Millionen Euro fürs Netz, in: Erneuerbare Energien, 18.01.2016, Internetseite, http: / / www.erneuerbareenergien.de/ index.cfm? event=cmp.cst.documen, (aufgerufen 19.01.2016). [7] Drebes, C., Sieber, S.: Städtebauliche Chancen der E- Mobilität - Der Wandel des Mobilitätsverhaltens und seine Auswirkungen auf urbane Räume, in Greenbuilding: nachhaltig planen, bauen und betreiben, Ausgabe 9(3) | Juni 2017, Schiele & Schön, S. 20-24. [8] DETAIL, https: / / www.detail.de/ artikel/ die-zukunftdes-wohnens-aktiv-stadthaus-in-frankfurt-13636/ (aufgerufen am 20.03.2018); AKTIVPLUS e.V., http: / / www.aktivplusev.de/ aktivstadthaus/ (aufgerufen am 20.03.2018). [9] Konrad-Adenauer-Stiftung (HRSG.): Netzausbau in Deutschland - wozu werden die neuen Stromnetze benötigt? Berlin und Wesseling, 2014, http: / / w w w.kas.de/ w f/ doc / kas _ 38837-54 4 -1-30. pdf ? 140919123212 (aufgerufen am 19.04.2018). 72 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Städte sind im Trend. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen werden im Jahr 2050 acht von zehn Europäern in einer Stadt leben [1]. Ein vergleichbarer Trend wird auch für Deutschland beobachtet [2]. Insbesondere Großstädte und Metropolregionen verzeichnen steigende Bevölkerungszahlen. Damit geht ein erhöhter Bedarf an städtischer Infrastruktur einher, der insbesondere die Bereiche Wohnen und Energie betrifft. Gleichzeitig fordert die deutsche Klimapolitik, dass Gebäude energieeffizient und klimafreundlich werden, da sie in Summe für 35 % des Endenergieverbrauchs und für 30 % der CO 2 -Emissionen in Deutschland verantwortlich sind [3, 4]. Für die Stadt der Zukunft stellt sich somit die Frage, wie trotz eines Anstiegs des urbanen Energiebedarfs eine nachhaltige Energieversorgung im Gebäudesektor sichergestellt werden kann. Energiewende und Liberalisierung ermöglichen dezentrale Energieversorgung In Deutschland ist diese Frage eng mit dem Erfolg der sogenannten Energiewende verknüpft. Die Energiewende ist ursprünglich eine Forderung der seit den 1970er Jahren etablierten Umweltbewegung. Das Freiburger Öko-Institut prägte den Begriff Energiewende im Jahr 1980 im Sinne eines Wirtschaftsmodells, das ohne fossile Energieträger auskommt [5]. Im Fokus der Bundespolitik steht dabei die Umstellung der Energieerzeugung auf erneuerbare Energieträger. Seit dem Jahr 1991 fördert der Staat die Installation von Anlagen der regenerativen Energieerzeugung. Zu den zentralen politischen Instrumenten zur Durchsetzung der Energiewende gehört das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG). Seit seinem Inkrafttreten ist der Anteil erneuerbarer Energieversorgung in der Stadt der Zukunft Darum scheitern dezentrale Lösungen in Mietimmobilien Energiewende, dezentrale Energieversorgung, Mieterstrom, Erneuerbare Energien, Speicher, Photovoltaik Antje-Mareike Dietrich, Dennis Ebeling Eine Herausforderung für die Stadt der Zukunft stellt die nachhaltige Energieversorgung im Gebäudesektor bei einem Anstieg des urbanen Energiebedarfs dar. Die dezentrale Energieversorgung birgt hierfür technische Lösungsmöglichkeiten. In Deutschland behindern jedoch regulatorische Eingriffe deren praktische Umsetzung, insbesondere in Mietimmobilien. THEMA Versorgung von Städten © pixabay 73 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Energien am deutschen Strommix von 6,2 % im Jahr 2010 auf 31,7 % im Jahr 2016 stetig gewachsen [6]. Damit stellen die Erneuerbaren bereits jetzt den größten Anteil der Energieträger. Zusätzlich zur Energiewende kam es zu einer Neuordnung der Marktstrukturen im Energiesektor. Die Liberalisierung im Jahr 1998 (Energiewirtschaftsgesetz (EnWG)) trat mit den Zielen an, Wettbewerb im Strom- (und auch im Gasmarkt) zu ermöglichen und dadurch steigende Strompreise zu verhindern. Da die Stromnetze einem natürlichen Monopol entsprechen, werden diese seit 2005 zudem von der Bundesnetzagentur reguliert. Die vier Netzbetreiber müssen seitdem allen Energielieferanten die gleiche Netznutzung ermöglichen. In Folge dessen sank der Anteil der vier großen Energieunternehmen und betrug im Jahr 2016 noch 54 % [7]. Die Zahlen verdeutlichen, dass der wachsende Anteil der Erneuerbaren an der Energieerzeugung mit dem Markteinstieg neuer Akteure verbunden ist. Zur Stärkung des Wettbewerbs spielen die Akteure der dezentralen Energieerzeugung eine besondere Rolle. Dezentrale Energieversorgung meint die Energiebereitstellung durch kleine Anlagen in der Nähe des Verbrauchers [8]. Eine wesentliche Folge der dezentralen Versorgung besteht also darin, dass für die gleiche Energiemenge relativ viele kleine Erzeugeranlagen eingesetzt werden und der Strom unmittelbar vor Ort verbraucht wird. In diesem Zusammenhang wird auch von Energieautonomie gesprochen [9]. Der Begriff impliziert, dass eine dezentrale Energieversorgung unter Umständen dazu führt, dass es systembedingt zu einer Veränderung der Marktstrukturen und der Marktakteure kommt. An die Stelle der klassischen Energieversorger treten beispielsweise Immobilienbesitzer. Forschungsprojekt nimmt technische und wirtschaftliche Machbarkeit in den Fokus Vor diesem Hintergrund untersucht das Forschungsprojekt „Zukunftsraum Wolfsburg“ (Forschungsvorhaben 03ET1327A - „EnEff: Stadt: Wolfsburg Vernetzte Quartiere für den Zukunftsraum Wolfsburg“) dezentrale Versorgungskonzepte und deren Umsetzung beim Neubau von Wohnquartieren. Der Fokus der Untersuchung liegt somit auf der dezentralen Versorgung von Privathaushalten. Neben den technischen Möglichkeiten analysiert das Projekt auch deren wirtschaftliche Machbarkeit. Aus technischer Sicht steht grundsätzlich eine Vielzahl von Lösungen zur Verfügung: PV-Anlagen, (Klein-)Windanlagen, Blockheizkraftwerke (BHKW) oder tiefengeothermische Anlagen. Unter Berücksichtigung der lokalen räumlichen Begebenheiten erwies sich vor allem die Installation von PV-Anlagen und BHKWs im Forschungsraum als praktisch umsetzbar. Um Aussagen zur wirtschaftlichen Machbarkeit treffen zu können, sind die Marktstruktur sowie die rechtlichen Rahmenbedingungen entscheidend. Der deutsche Wohnungsbestand umfasst insgesamt etwa 41 037 Mio. Wohnungen. Davon sind 46 % selbstbewohnt, für 54 % besteht ein Mietverhältnis. Diese hohe Zahl von Mietwohnungen ist eine Besonderheit des deutschen Wohnungsmarktes. In anderen europäischen Ländern ist ihr Anteil geringer, so zum Beispiel in Polen (14,9 %), Schweden (34,4 %) oder Frankreich (42 %) [10]. Daraus folgt, dass nicht nur private Eigenheimbesitzer sondern überwiegend auch Vermieter mit der neuen Rolle als Energieversorger konfrontiert werden. Für Letztere ergibt sich ein Marktpotenzial als dezentrale Energieversorger von rund 22,16 Mio. Wohneinheiten [11]. Während es für die privaten Eigenheimbesitzer das relativ einfache Modell der Eigenversorgung gibt, behindert im Fall von Mietwohnungen der regulatorische Rahmen die Investitionsentscheidung von Immobilienvermietern. Die folgenden Ausführungen gehen auf diesen Aspekt ein. Bild 1 stellt die verschiedenen Kostenbestandteile für konventionellen Strom dar. Zu erkennen ist, dass der Nettopreis für den Strom deutlich unter dem Bruttopreis liegt. Die Beschaffung, der Vertrieb und die Marge betragen gerade einmal 6,42- Cent. Auf diesen Nettobetrag sind allerdings Umlagen, Steuern und Abgaben zu zahlen. Hierzu zählen die EEG-Umlage in Höhe von 6,88- Cent/ kWh und die Netzentgelte für die Nutzung des öffentlichen Stromnetzes in Höhe von durchschnittlich 7,31-Cent/ kWh. Hinzu kommen weitere Steuern und Abgaben, die in Summe 9,25-Cent betragen. So ergibt sich für die Endkunden der durchschnittliche Bruttostrompreis von 29,86- Cent/ kWh (Stand 2017). Damit ein Bild 1: Die verschiedenen Kostenbestandteile beim konventionellen Strom. © Bundesnetzagentur 74 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten finanzieller Anreiz besteht, den Strom zu Hause herzustellen, darf der Preis für dezentral erzeugten Strom nicht über dem Bruttopreis für konventionell erzeugten Strom liegen. Da Umlagen, Netzentgelte, Steuern und Abgaben mit 23,44- Cent/ kWh knapp 78,5 % des Strompreises ausmachen, sind hier die entscheidenden Stellschrauben zu vermuten. Eigenverbrauch und Mieterstrom unterscheiden sich hinsichtlich Steuern und Abgaben Je nach Konstellation der Beteiligten und Art der Umsetzung lassen sich manche Steuern und Abgaben einsparen. Für die Abschätzung von möglichen Preisspielräumen im Status quo ist daher zunächst die Unterscheidung in Eigenverbrauch und Mieterstrom notwendig. Zu den Eigenverbrauchern zählen die Eigenheimbesitzer, die eine Energieerzeugungsanlage installieren und den damit erzeugten Strom selber nutzen. Anlagenbetreiber und Stromletztverbraucher sind in diesem Fall dieselbe Person. Bei Mietwohnungen ist das anders. Im Falle des sogenannten Mieterstroms besteht zwischen Anlagenbetreiber (Vermieter) und Letztverbraucher (Mieter) immer eine Lieferbeziehung. Durch dieses Lieferverhältnis wird der Vermieter nach EnWG als Energieversorgungsunternehmen eingeordnet. Daran sind bestimmte Pflichten, wie die Abrechnung, der Vertrieb und die Messung, geknüpft. Sonderregelungen, die von bestimmten Pflichten befreien, gibt es laut § 5 EnWG lediglich für die Lieferung innerhalb einer Kundenanlage. Ein Lieferverhältnis besteht jedoch auch in diesem Fall. Wie aus Tabelle 1 ersichtlich, haben die Umsatzsteuer, die Stromsteuer, die Netzentgelte und die EEG-Umlage den größten Anteil an den Steuern und Abgaben. Die Umsatzsteuer in Höhe von 19 % wird bei gewerblichem Stromvertrieb fällig und auf den Nettostrompreis inklusive aller Steuern, Abgaben und Umlagen erhoben. Da es sich beim Eigenverbrauch um keinen gewerblichen Vertrieb handelt, fällt sie nicht an. Besteht ein Miet- und somit ein Lieferverhältnis muss die Umsatzsteuer gezahlt werden. Bei geringen Umsätzen (kleiner als 17 500 Euro) kann auf die Kleinunternehmerregel zurückgegriffen werden, die von der Zahlung der Umsatzsteuer befreit. Die Stromsteuer in Höhe von pauschal 2,05 Cent/ kWh fällt gemäß StromStG für jede Entnahme von Strom aus dem Versorgungsnetz durch den Letztverbraucher an. Ausnahmen gibt es zum Beispiel für die Entnahme des Stroms aus einem ausschließlich durch erneuerbare Energieträger gespeisten Netz Steuer/ Abgabe Höhe Grundlagen Umsatzsteuer 19 % Umsatzsteuergesetz (UStG) Stromsteuer 2,050 ct/ kWh Stromsteuergesetz (StromStG) Konzessionsabgabe (abh. von Gemeindegröße) Bis 25 000 EW: 1,32 ct/ kWh Bis 100 000 EW: 1,59 ct/ kWh Bis 500 000 EW: 1,99 ct/ kWh Ab 500 000 EW: 2,39 ct/ kWh 1,66 ct/ KWh Konzessionsabgabenverordnung(KAV), Wolfsburg (LSW, Stand: 2017) Netzentgelte 7,31 ct/ kWh 5,98 ct/ kWh Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), Stromnetzentgeltverordnung (StromNEV), Durchschnitt (Bundesnetzagentur (2017)) Wolfsburg (LSW, Stand: 2017) StromNEV-Umlage 0,388 A ; 0,05 B ; 0,025 C ct/ kWh Stromnetzentgeltverordnung (StromNEV) Abschaltbare-Lasten (Abla)-Umlage 0,006 ct/ kWh Abschaltbarelastenverordnung (AblaV) EEG-Umlage 6,88 ct/ kWh Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) KWK-Umlage 0,463 ct/ kWh Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG) Offshore-Haftungsumlage -0,028 A ; 0,038 B ; 0,025 C ct/ kWh Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) LV A: Für die jeweils ersten 1 000 000 kWh Jahresverbrauch an einer Lieferstelle LV B: Lieferungen über 1 000 000 kWh Jahresverbrauch an einer Lieferstelle (bis 1 000 000 kWh wie LV A) LV C: Lieferung über 1 000 000 kWh Jahresverbrauch an einer Lieferstelle (bis 1 000 000 kWh wie LV A) an produzierendes Gewerbe, deren Stromkosten 4 % des Umsatzes übersteigen Tabelle 1: Umsatzsteuer, Stromsteuer, Netzentgelte und EEG-Umlage haben den größten Anteil an den Steuern und Abgaben. Bild 2: Die Konditionen für Stromeigenverbrauch und für Mieterstrom unterscheiden sich deutlich. © Dietrich/ Ebeling 75 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten oder die Stromerzeugung in einer Anlage mit einer Nennleistung von bis zu 2-MW, wobei der Strom im räumlichen Zusammenhang zur Anlage verbraucht wird (Radius von 4,5 km um die jeweilige Stromerzeugungseinheit nach § 12b Abs. 5 StromStV). Das Einsparpotenzial gilt daher sowohl für den Eigenverbrauch, als auch für den Mieterstrom. Netzentgelte werden auf Basis von § 20 EnWG sowie der StromNEV von den Netzbetreibern für die Nutzung der Netz- und Umspannungsebenen erhoben. Werden diese Netze nicht genutzt, fallen auch keine Netzentgelte an. Auch die Netzentgelte können in den Fällen Eigenverbrauch und Mieterstrom eingespart werden. Das Gleiche gilt für die Strom- NEV-/ Abla-/ KWK- und Offshore-Haftungsumlage, wobei diese teilweise nach Letztverbrauchergruppen gestaffelt sind. Die EEG-Umlage fällt zu 100 % an, sobald ein Lieferverhältnis zwischen dem Anlagenbetreiber und dem Letztnutzer entsteht. Im Fall des Eigenverbrauchs kann die EEG-Umlage auf 40 % reduziert werden. Für kleine Anlagen gilt die sogenannte Kleinanlagenregelung: Wird der Strom aus Anlagen der Stromerzeugung mit einer installierten Leistung von max. 10 kW bis zu einem Eigenverbrauch von 10 MWh pro Jahr erzeugt, ist sogar eine komplette Befreiung von der EEG-Umlage möglich. Dieses Privileg gibt es allerdings nicht für Mieterstrom. Seit Mitte 2017 gilt für neu installierte Anlagen jedoch das Mieterstromgesetz. Demnach kann der Vermieter von einer Mieterstromprämie profitieren. Diese beläuft sich, in Abhängigkeit von der installierten Leistung, auf 2,21 bis 3,81 Cent/ kWh (§ 21 Abs. 3 EEG 2017). Lieferverhältnis entscheidet über die betriebswirtschaftliche Rentabilität Mit Kenntnis dieser Unterteilungen, lassen sich je nach Lieferverhältnis unterschiedlich hohe Steuern, Umlagen und Abgaben festmachen. Zur Verdeutlichung werden für ein Wohnobjekt nachfolgend zwei verschiedene Konstellationen betrachtet (vgl. Bild 2). In der ersten Variante wird die Immobilie von den Eigentümern bewohnt. Der PV-Anlagenbetreiber ist somit gleichzeitig auch Stromletztverbraucher. In der zweiten Variante wird dasselbe Haus betrachtet, allerdings wohnt der Eigentümer dieses Mal nicht in der Immobilie sondern vermietet sie. Die PV-Anlage gehört weiterhin dem Eigentümer, Letztverbraucher ist nun jedoch der Mieter. Dadurch kommt ein Lieferverhältnis zustande. In Bild 3 wird der durchschnittliche Strompreis des Jahres 2017 als Referenzwert genommen (29,86 Cent/ kWh) und davon die anfallenden Steuern, Umlagen und Abgaben abgezogen. Der Restbetrag (grün) gibt den Spielraum an, der für die Anschaffung der Erzeugungsanlage, Gewinnmarge, etc. übrig bleibt. Dargestellt sind in diesem Beispiel die Konstellationen, die in den Fällen Eigenverbrauch und Mieterstrom jeweils die größtmöglichen Preisspielräume einräumen. Für den Eigenverbrauch handelt es sich um den Betrieb einer Inselanlage ohne Netzanschluss, im Bereich Mieterstrom ist es eine Lieferung an den Mieter ohne Nutzung des öffentlichen Netzes. In diesen Fällen kann angenommen werden, dass es eine autarke Versorgung ist ohne Zu- und Verkauf von Strom. Das neue Mieterstromgesetz ist an dieser Stelle nicht berücksichtigt. Hierauf wird im nächsten Abschnitt eingegangen. Bei Vergleich der beiden Varianten ist zu erkennen, dass der Mieterstrom gegenüber dem Eigenverbrauch allein durch die rechtlichen Rahmenbedingungen mit einer Differenz von 11,56 Cent/ kWh fast 40 % des Preisspielraums einbüßt, was die Projektrealisierung von Mieterstrom erschwert. In dieser Gegenüberstellung sind bisher lediglich die Abgaben enthalten, die sich aus Gesetzen und Verordnungen ergeben. Unberücksichtigt sind Anschaffungs- und Betriebskosten der PV-Anlage. Die Anschaffungskosten für eine PV-Anlage mit 5- kWp belaufen sich für eine vierköpfige Familie auf 7000 bis 8000 Euro. Die Betriebskosten inklusive Abschreibungen liegen für die PV-Anlage bei 10 bis 15- Cent/ kWh, je nach Laufzeit der Anlage [12]. Für eine sinnvolle und flächendeckende Nutzung des PV-Stroms sind zudem Speicher nötig. Die Preisspanne für Speicher reicht von 15 Cent/ kWh (13,5- kWh Speicher) bis zu 56 Cent/ kWh (3,6 kWh Speicher) [13]. Im kostengünstigsten Fall lässt sich also mit 25 Cent/ kWh für PV-Anlage und Speicher kalkulieren. In diesem Fall ist die Installation einer PV-Anlage für den Eigenverbrauch umsetzbar, da die Kosten innerhalb des Preissetzungsspielraumes Bild 3: Konstellationen, die in den Fällen Eigenverbrauch und Mieterstrom jeweils die größtmöglichen Preisspielräume ermöglichen. © Dietrich/ Ebeling 76 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten liegen (29,86 > 25- Cent/ kWh). Eine Realisierung für den Mieterstrom ist hingegen nicht wirtschaftlich (18,21 < 25 Cent/ kWh). Selbst bei Betrachtung der Varianten mit den größten Preisspielräumen können daher die Kosten für eine PV-Anlage (inkl. Speicher) in der Variante Mieterstrom nicht gedeckt werden. Anhand dieser einfachen Kostenanalyse ist bereits zu erkennen, dass Mieterstrom aufgrund regulatorischer Eingriffe derzeit nicht rentabel ist. Was beim Eigenverbrauch aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen umsetzbar ist, rechnet sich noch nicht für den Mieterstrom. An dieser Stelle sollte der Gesetzgeber Anpassungen vornehmen. Das Mieterstromgesetz ist ein erster Schritt. Der Stromverkäufer bietet im Fall einer Förderung den Strompreis 10 % unterhalb des örtlichen Grundtarifes an. Er verzichtet auf 2 bis 4 Cent/ kWh. Die vom Staat gezahlte Mieterstromprämie gleicht diesen Verlust wieder aus. Ein höherer Preisspielraum wird für den Produzenten durch die Prämie jedoch kaum generiert. Durch Nutzung des Mieterstromgesetzes kann er lediglich einen Zugewinn von maximal 0,5 Cent/ kWh realisieren. Der Stromkonsument profitiert hingegen von einem günstigeren Strompreis und wird indirekt subventioniert. Eine weitere Hürde stellt die Einordnung des Vermieters als Energieversorgungsunternehmen dar. Sie verursacht weitere Kosten und erfordert energiewirtschaftliches Know-How. Dieses fördert zwar neue Dienstleistungsmöglichkeiten (Messstellenbetrieb, Beratung, Betrieb, etc.) behindert jedoch die Etablierung dezentraler Energieversorger. Zusätzliche Probleme ergeben sich für Wohnungsgenossenschaften und Wohnungsunternehmen, die durch Einnahmen aus der Stromerzeugung ihre steuerlichen Privilegien verlieren können. Dieses kann zu erheblichen Einbußen führen, da steuerlich begünstigte Geschäftstätigkeiten durch die Strombelieferung nun ebenfalls voll besteuert werden. Gleichstellung von Mieterstrom und Eigenverbrauch fördert die Energiewende in Mietimmobilien Die in diesem Aufsatz gewählte Kostengegenüberstellung ist zur Veranschaulichung nur grob skizziert. Dennoch werden die erheblichen Unterschiede in den Finanzierungspotenzialen erkennbar. Nicht berücksichtigt wurde beispielsweise die Eigenverbrauchsquote der Liegenschaft. Bisher wurde angenommen, dass die Versorgung autark ohne Zu- und Verkauf von Strom erfolgt. Dies ist eine der günstigsten Möglichkeiten, ist in der Praxis jedoch oft nur ein Sonderfall aufgrund der Netzentkopplung. In der Realität haben Wohnimmobilien eine relativ geringe Eigenverbrauchsquote von etwa 30 bis 40 %, was einen Stromzu- und -verkauf sowie die Nutzung des öffentlichen Netzes notwendig macht. Durch den Einsatz von Speichern kann diese Quote um etwa 20 bis 30 % gesteigert werden [14]. Speicher ermöglichen es, den tagsüber durch die PV- Anlage produzierten Strom abends zu den privaten Verbrauchsspitzen nutzbar zu machen. Hierfür sind verhältnismäßig große Speicherkapazitäten notwendig, die hohe Anschaffungskosten verursachen. Kleine Speicher mit geringeren Anschaffungskosten hätten zur Folge, dass ein Teil des Stroms in das öffentliche Stromnetz eingespeist wird. Für die Einspeisung wurden 2017 je nach Anlagengröße zwischen 8,51 bis 12,30 Cent/ kWh gezahlt. Dies liegt deutlich unterhalb des durchschnittlichen Strompreises in Höhe von 29,86 Cent/ kWh, den man mit der Nutzung dieses Überschusses einsparen könnte. Daher steigt die Unwirtschaftlichkeit der Anlage, je geringer die Eigenverbrauchsquote ist. Sinnvoller und um einiges effizienter wäre in diesem Zusammenhang der Solaranlagenbau auf Gewerbeimmobilien, wie zum Beispiel Bürogebäuden, da hier der Strombedarf über den Tag erheblich höher ist und so eine deutlich höhere Eigenverbrauchsquote erreicht werden kann. Die dargestellten Beispiele machen deutlich, dass dezentrale Lösungen für den Eigenverbrauch rentabel sind, während sie es für den Mieterstrom aufgrund regulatorischer Hürden noch nicht sind. Ziel sollte es daher sein, die Möglichkeiten des Mieterstroms mit jenen des Eigenverbrauchs gleichzustellen, um das hohe Marktpotenzial des Mietwohnungssektors zu nutzen. LITERATUR [1] United Nations: World urbanization prospects: The 2014 revision, highlights. Department of Economic and Social Affairs. Population Division, United Nations, 2014. [2] Röhl, K. H.: Konzentrations- und Schrumpfungsprozesse in deutschen Regionen und Großstädten bis 2030. IW-Trends-Vierteljahresschrift zur empirischen Wirtschaftsforschung, 40, 4 (2013), S. 81-97. [3] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB): Klimaschutzplan 2050 - Klimaschutzpolitische Grundsätze und Ziele der Bundesregierung, 2016. [4] Deutsche Energie-Agentur: Der dena-Gebäudereport 2016: Statistiken und Analysen zur Energieeffizienz im Gebäudebestand, 2016. [5] Krause, F., Bossel, H., Müller-Reißmann, K. F. : Energie- Wende: Wachstum und Wohlstand ohne Erdöl und Uran, 1981. [6] Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2017). Erneuerbare Energien in Zahlen - Nationale und internationale Entwicklung im Jahr 2016. 77 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten [7] Monopolkommission: Sondergutachten 77: Energie 2017 - Gezielt vorgehen, Stückwerk vermeiden, 2017. http: / / www.monopolkommission.de/ index. php/ de/ gutachten/ sondergutachten/ sondergutachten-77. Zugegriffen am 18.04.2018. [8] Gabler Wirtschaftslexikon: Dezentrale Energieversorgung, 2018. https: / / wirtschaftslexikon.gabler. de/ definition/ dezentrale-energieversorgung-53698. Zugegriffen am 18.04.2018. [9] Scheer, H.: Energieautonomie: eine neue Politik für erneuerbare Energien. Kunstmann, 2005. [10] Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, 2016. Mietrecht und energetische Sanierung im europäischen Vergleich. BBSR-Online-Publikation 13/ 2016. [11] Statistsisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch Deutschland und Internationales 2017. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt, 2017. [12] Rechnerphotovoltaik, 2018. https: / / www.rechnerphotovoltaik.de/ photovoltaik/ kosten-finanzierung/ kosten-preise. Zugegriffen am 22.03.2018. [13] Energieheld, 2018. https: / / www.energieheld.de/ photovoltaik/ stromspeicher/ kosten. Zugegriffen am 22.03.2018. [14] Weniger, J., Quaschning, V., Tjaden, T.: Optimale Dimensionierung von PV-Speichersystemen. pv-magazine Deutschland, 1 (2013), S. 70-75. Dipl.-Volksw. Dr. Antje-Mareike Dietrich Wissenschaftliche Mitarbeiterin TU Braunschweig, Institut für Volkswirtschaftslehre Kontakt: a-m.dietrich@tu-braunschweig.de Wirtschaftsing. Dennis Ebeling, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter TU Braunschweig, Institut für Volkswirtschaftslehre Kontakt: dennis.ebeling@tu-braunschweig.de AUTOR I NNEN WISSEN WAS MORGEN BEWEGT Schiene, Straße, Luft und Wasser, globale Verbindungen und urbane Mobilität: Viermal im Jahr bringt Internationales Verkehrswesen fundierte Experten-Beiträge zu Hintergründen, Entwicklungen und Perspektiven der gesamten Verkehrsbranche - verkehrsträgerübergreifend und zukunftsorientiert. Ergänzt werden die deutschen Ausgaben durch die englischsprachige Themen-Ausgabe International Transportation. Mehr dazu im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen gehört seit 1949 zu den führenden europäischen Verkehrsfachzeitschriften. Der wissenschaftliche Herausgeberkreis und ein Beirat aus Professoren, Vorständen, Geschäftsführern und Managern der ganzen Verkehrsbranche verankern das Magazin gleichermaßen in Wissenschaft und Praxis. Das technisch-wissenschaftliche Fachmagazin ist zudem Wissens-Partner des VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld. INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN - DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN »Internationales Verkehrswesen« und »International Transportation« erscheinen bei der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Baiersbronn-Buhlbach, www.trialog-publishers.de Bildquelle für Bild 1: Bundesnetzagentur, 2017. https: / / www.bundesnetzagentur.de/ SharedDocs/ Bilder/ DE/ Sachgebiete/ Energie/ Verbraucher/ strompreis_2017.jpg; jsessionid=0C069CDB4B7524BE7AC 11AED027D0C7D? _ _blob=normal&v=3. Zugegriffen am 22.03.2018. 78 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Strom und Wärme gemeinsam denken Wie Städte helfen können, erneuerbare Energien zu integrieren Sektorkopplung, Integration erneuerbarer Energien, die Stadt als Inkubator, Flexibilität, Verknüpfung von Strom- und Wärmemarkt, Wärmewende Philipp Riegebauer, Thomas Spiegel Ein Rückgang von fossilen und nuklearen Energieträgern am Primärenergieaufkommen ist die Zielsetzung der Bundesregierung. Dies soll im Wesentlichen durch die fluktuierenden Energieträger Sonne und Wind erreicht werden. Die Integration von zukünftig sehr großen Mengen erneuerbarer Energien kann nur durch Einbeziehung der hohen Nachfrage im Wärmemarkt gelingen. Diskriminierungsfreie Rahmenbedingungen, die Flexibilität zulassen und die Sektorkopplung des Strom- und Wärmemarktes ermöglichen, werden benötigt. Die Stadt mit ihrer hohen Energienachfrage muss Inkubator werden. Konsequent umgesetzt, bringt dies tiefgreifende Veränderungen hinsichtlich des Beitrags von Städten für das Gelingen der deutschen Energiewende mit sich. Der Anteil fossiler und nuklearer Energieträger am Primärenergieaufkommen soll deutlich verringert werden. Dieses Ziel der Bundesregierung kann nur durch den Ausbau der Stromerzeugung mit erneuerbaren Energieträgern kompensiert werden. Wenn der zunehmende Strombedarf von beispielsweise elektrischen Autos durch Kohle- oder Gaskraftwerke gedeckt würde und somit zu einem höheren CO 2 -Ausstoß führte, wäre dies ein Pyrrhussieg. Die Sicherung der Energieversorgung von morgen mit erneuerbaren Energien ist grundsätzlich miteinander Verknüpft. Planbare erneuerbare Energieträger wie Wasserkraft und Biomasse sind allerdings in ihrem Potenzial begrenzt. Energie aus Wind und Sonne dagegen ist fast unbegrenzt verfügbar. Im Jahr 2017 wurden bereits 142 Mrd. kWh Strom aus Sonne und Wind erzeugt und im Jahr 2024 sind 206 Mrd. kWh dieses Stromüberangebotes zu erwarten [1]. Eine wesentliche Einschränkung ist, dass dieser Strom nicht gleichbleibend erzeugt wird und manchmal auch gar nicht zur Verfügung steht. Zeiten mit sehr hoher Einspeisung und einem Überangebot wechseln sich mit Zeiten geringer Produktion ab. THEMA Versorgung von Städten © pixabay 79 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Strom Warmwasser Heizwärme Hamburg, Bremen und Berlin. Zur Deckung werden derzeit hauptsächlich Erdgas und Mineralöl genutzt. Aufgrund ihrer hohen Energienachfrage bieten sich Städte an, Inkubatoren zur Integration von erneuerbaren Energien zu werden. Ausgleich fluktuierender Einspeisung durch angepasste Nachfrage Eine hohe Energienachfrage ist jedoch nur eine Voraussetzung für die Integration eines zeitweisen Stromüberangebotes. Die Stromproduktion aus Wind und Sonne ist sehr unregelmäßig. Ein Ausgleich der fluktuierenden Einspeisung durch angepasste Nachfrage ist somit eine weitere Voraussetzung. 0.0 2.5 5.0 7.5 10.0 12.5 15.0 17.5 0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 4000 4500 5000 Energieverbrauch pro Person [Ø MWh/ Person·Jahr] Einwohnerdichte [Ø Personen/ km 2 ] Musterkreisfläche entspricht 5 TWh/ Jahr; 1 TWh = 1 Milliarden kWh; Berechnung auf Basis des Endenergieverbrauches; Datengrundlage 2014 - 2015 Berlin Energieverbrauch der Haushalte in der Stadt [TWh/ Jahr] Bremen Hamburg Energieverbrauch in allen Sektoren der Stadt [TWh/ Jahr] Für den Erfolg der Energiewende wird entscheidend sein, wie diese fluktuierende Einspeisung sinnvoll in das Energieversorgungssystem integriert werden kann. Mit Pumpspeicherkraftwerken lässt sich Strom in potenzielle Energie wandeln. Die Wasserkraft kann bei Bedarf wieder zur Stromerzeugung genutzt werden, um das Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage auszugleichen. Der Einsatz ist aber in Deutschland aufgrund geografischer Gegebenheiten begrenzt und kaum ausbaubar. Power to Gas arbeitet nach heutigem Stand zu ineffizient und die Entwicklung der Elektromobilität folgt nicht den Erwartungen. Damit werden diese Technologien kurz- und mittelfristig keine wesentlichen Potenziale zur Integration eines zeitweise sehr hohen Überangebotes aus fluktuierenden erneuerbaren Energien bereitstellen können. Stromexporte des in Deutschland subventionierten Stroms aus Sonne und Wind auf transeuropäischer Ebene - welche nicht die Systemstabilisierung zum Ziel haben - sind volkswirtschaftlich nicht sinnvoll. Energiehunger der Städte als Senke für erneuerbare Energien Welche sinnvollen Möglichkeiten gibt es also, ein zeitweiliges Überangebot erneuerbarer Energie kurzfristig zu integrieren? Ein Weg ist, den überschüssigen Strom zur Wärmeerzeugung zu nutzen. Fallen künftig sehr große Mengen Energie an, ist eine hohe Nachfrage nach „Power to Heat“ erforderlich. Städte, mit ihrem gewaltigen Energiehunger, könnten Abnehmer großer regenerativ erzeugter Ernergiemengen sein. Aktuell verbrauchen Städte zwei Drittel der weltweit genutzten Energie, sie sind verantwortlich für rund die Hälfte der globalen Treibhausgasemissionen. Die Verstädterung nimmt immer weiter zu - schneller als zu jedem anderen Zeitpunkt in der Menschheitsgeschichte. Im Jahr 2050 werden dei Viertel der Weltpopulation in Städten leben. Der Energieverbrauch von Hamburg, Bremen und Berlin ist in Bild 1 dargestellt. Bild 2 zeigt, dass die privaten Haushalte mehr als vier Fünftel ihres Energiebedarfs benötigen, um Räume zu beheizen. Private Haushalte haben in Deutschland im Jahr 2016 mit 665 Mrd. kWh erneut mehr Energie fürs Wohnen verbraucht als im Vorjahr. Der Anstieg ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass die Haushalte mehr Energie für Raumwärme nutzten, unter anderem, weil immer mehr Wohnfläche pro Kopf zur Verfügung steht. Berücksichtigt man nur den Heizbedarf, ergibt sich bereits dafür eine Energienachfrage von 60 Mrd. kWh in den betrachteten Städten Bild 1: Energieverbrauch von Hamburg, Bremen und Berlin. © Riegebauer, Spiegel Bild 2: Energiebedarf privater Haushalte. © Riegebauer, Spiegel 80 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Dies verlangt eine vom tatsächlichen Bedarf zeitlich entkoppelte Einspeicherung. Bei Annahme ausreichender Netzkapazitäten ist der Verbrauch von erneuerbarem Strom immer dann stromsystemstabilisierend, wenn dieser in hohem Maße vorhanden ist. Verknüpfung des Strom- und Wärmemarktes Für die Integration bietet die elektrische Wärmproduktion eine Lösung, da durch die thermische Trägheit und eine entsprechende Isolierung die Wärmeproduktion und -abgabe zeitlich verschoben stattfinden kann. Wärmeenergie wird vor allem in der Heizperiode benötigt, und dieser Zeitraum deckt sich grundsätzlich mit der fluktuierenden Einspeisung aus Windenergieanlagen [2]. Überschüssiger Strom aus Photovoltaikanlagen kann für die Deckung des ganzjährigen Warmwasserbedarfs genutzt werden. Die in Bild 2 dargestellte Stromnachfrage eignet sich weniger zur Integration, da diese Mengen nur ein Fünftel der Energienachfrage ausmachen und der Strombedarf unmittelbar gedeckt werden muss, was eine zeitliche Verschiebung erschwert. Für eine flexible elektrische Erzeugung von Raumwärme und Warmwasser eignen sich Heizungssysteme in Privathaushalten oder KWK-Anlagen der öffentlichen Fernwärmeversorgung. Im Grunde ist eine breite technische Basis dafür - mit den individuellen Heizungssystemen in privaten Haushalten und dem Warmwasserspeicher als Herzstück vieler dieser Anlagen - im Markt vorhanden. In Deutschland verfügen drei Viertel der 19 Mio. mit Erdgas oder Heizöl betriebenen Heizungsanlagen über einen oder mehrere Warmwasserspeicher. Allein diese Marktdaten belegen das große Potenzial, um mit überschüssigem regenerativen Strom fossile Brennstoffe zu ersetzen. Eine Einspeicherung kann durch Nachrüstung der im Markt vorhandenen Warmwasserspeicher oder mit innovativer Technik wie thermischer Bauteilaktivierung oder Hochtemperatur-Stein-Speichern erfolgen [2]. Essentielle Voraussetzung ist, dass intelligente Stromzähler mit Kommunikationsschnittstelle Einzug in die Keller finden. Solche Zähler ermöglichen es, Informationen über Stromüberschüsse vom Erzeuger über den Strommarkt bis hin zum Kunden zu kommunizieren. Auch müssen Energieversorger ihre Beschaffungsstrategien an das flexiblere Strombezugsverhalten ihrer Kunden anpassen [3]. Nur so können Flexibilitätspotenziale im Haushaltsbereich erschlossen und als Folge eine Hebelwirkung im Strommarkt initiiert werden. Hemmnisse und Lösungen Die aktuellen regulatorischen Rahmenbedingungen in Deutschland sind das entscheidende Hemmnis einer Marktintegration von Power to Heat. In Summe resultiert dies in einer wirtschaftlich nicht darstellbaren Wärmeerzeugung durch die Nutzung von Stromüberangeboten aus erneuerbaren Energien im Haushaltsbereich [1]. Der an den Kurzfristmärkten gehandelte Strompreis reagiert flexibel auf die Windenergieeinspeisung, stellt jedoch nur einen geringen Teil des zu entrichtenden Strompreises dar. Es existieren elf Preisbestandteile, die gemeinsam den Preis für Strom bilden, welche weitestgehend fix veranschlagt werden. Diese sind vor allem im Privatkundenbereich in absoluter Höhe beträchtlich. Flexibilitätssignale der Kurzfristmärkte werden dadurch weitestgehend eliminiert. Bild 3: Für eine flexible elektrische Erzeugung von Raumwärme und Warmwasser eignen sich Heizungssysteme in Privathaushalten oder KWK-Anlagen der öffentlichen Fernwärmeversorgung. © commons. wikimedia.org/ Pfeifferfranz 81 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Weiteren maßgeblichen Einfluss hat die unterschiedliche Steuer- und Abgabenstruktur für den Bezug von Strom und Wärme. Aufgrund des Mangels an Flexibilität im Strommarkt dienen oftmals Abregelungen erneuerbarer Energien dem Ausgleich zwischen Stromerzeugung und -nachfrage. Neben der Subvention für die Stromerzeugung erhalten Anlagenbetreiber für ihre reduzierte Netzeinspeisung Entschädigungszahlungen. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist es geboten, eine Nutzung des bereits subventionierten Stroms aus erneuerbaren Energien im fossil geprägten Wärmemarkt zu ermöglichen. Die Integration zukünftig steigender Anteile fluktuierender Einspeisung aus erneuerbaren Energien bedingt somit eine neue Abgabensystematik. Diese muss wirtschaftliche Anreize für eine systemdienliche und flexible Stromnachfrage bieten. Diskriminierungsfreie Rahmenbedingungen, die Flexibilität zulassen und damit auch der Sektorkopplung des Strom- und Wärmemarktes dienen, müssen novelliert und technologieoffen formuliert werden. Aus strommarktseitiger Sicht bietet sich eine Argumentation zur Reduzierung von Steuern und Abgaben mit dem Nachweis der ökologischen und systemdienlichen Kriterien von Power to Heat an. Des Weiteren können mögliche Entlastungen auch im Hinblick auf die Wärmemarktseite argumentiert werden. Diese lassen sich vor allem ökologisch begründen, da der Wärmemarkt stark fossil geprägt ist und mit vorzugsweiser Nutzung von Windstrom eine entsprechende Substitution durch erneuerbare Energie erfolgt. Schlussfolgerungen Um die Energiewende erfolgreich zu gestalten, bedarf es einer ganzheitlichen Betrachtung. Neben der allgegenwärtigen Stromwende und der zunehmenden Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien muss auch die Wärmewende in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt werden. Der Wärmemarkt ist bislang fast ausschließlich fossil geprägt. Wird Strom aus erneuerbarer Energieproduktion zur Wärmebereitstellung eingesetzt, wird damit vorwiegend fossile Primärenergie ersetzt. Diese Substitution fossiler Brennstoffe verringert den Primärenergiebedarf und spart CO 2 -Emissionen in beträchtlichem Umfang ein. So ist es energetisch sinnvoller, fossile Brennstoffe im Wärmemarkt durch elektrische Wärmeerzeugung mit einem Wirkungsgrad von 100 % zu ersetzen, als mit Power to Gas-Technologie aufwändig Synthesegas mit deutlich geringerem Wirkungsgrad zu erzeugen. Durch die elektrische Wärmeerzeugung wird einerseits die thermische Dr. Philipp Riegebauer Wissenschaftlicher Mitarbeiter Zentrum für Innovative Energiesysteme Hochschule Düsseldorf Kontakt: philipp.riegebauer@hs-duesseldorf.de Thomas Spiegel, M.Sc., Wissenschaftlicher Mitarbeiter Zentrum für Innovative Energiesysteme Hochschule Düsseldorf Kontakt: thomas.spiegel@hs-duesseldorf.de AUTOREN Trägheit genutzt, um flexibel Strom immer dann zu beziehen, wenn eine hohe Wind- oder Sonnenstromeinspeisung vorhanden ist. Andererseits wird mit der Verknüpfung des Strom- und Wärmemarktes das große Potenzial von Wärmeanwendungen für die Flexibilisierung des Stromsystems erschlossen. Wenn dies konsequent umgesetzt wird, ergeben sich für Städte tiefgreifende Veränderungen. Städte werden Mitgestalter und maßgebliche Teilhaber am Gelingen der deutschen Energiewende. LITERATUR [1] Riegebauer, P.: Connecting the Heat and Electricity Market for Renewable Energy Integration, Bremen, 2016. [2] Adam, M., Riegebauer, P., Spiegel, T.: Energieinfrastruktur der Zukunft: Energiespeicherung und Stromnetzregelung mit hocheffizienten Gebäuden - Windheizung 2.0: Entwicklung von Steuerungssignalen zur systemdienlichen und ökologischen Stromabnahme, Düsseldorf, 2017. [3] Spiegel, T.: Imbalance reduction of energy balancing groups as a means of renewable energy expansion, SDEWES Conference, Digital Proceedings, Dubrovnik, 2017. Bilder 1 und 2 auf Basis eigener Berechnungen mit den Datengrundlagen AGEB, Anwendungsbilanzen für die Endenergiesektoren 2013 bis 2016 sowie öffentlich zugänglichen Informationen der Städte. 82 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Im Jahr 2030 soll, nach den derzeitig andauernden Bestrebungen der Bundesregierung, der Anteil erneuerbarer Energien (im Folgenden mit EE bezeichnet) bereits 50 % der Bruttostromerzeugung betragen. Gleichzeitig wird bis Ende 2022 der vollständige Ausstieg aus der Kernenergie gefordert, die rund 13,1 % der Stromerzeugung ausmacht (Stand 2016). Diese Energiemenge wird bis Ende 2019 noch aus insgesamt sieben Kernreaktoren in das elektrische Netz eingespeist, darunter eines der fünf weltweit größten Kernkraftwerke in Niederbayern an der Isar. Allein der Rückbau eines Reaktorblocks wird durchschnittlich 15 bis 25 Jahren andauern. Die vorliegenden Daten unterstreichen die hohe Relevanz langfristiger Planung im investitionsreichen Energiesektor, um eine sichere Energieversorgung gewährleisten zu können. Durch die bereits langjährige Förderung des Zubaus und Betriebs von EE- Anlagen blicken wir heute auf eine breite Landschaft von dezentralen Anlagen, die die Bevölkerung und Industrie in Deutschland bis hin zu den Nachbarländern mit Strom versorgen. Dies erfolgt bekanntermaßen zu einem Großteil wetterabhängig und ist daher auch stark saisonal geprägt. Aus dieser Entwicklung entstehen wiederum neue Strukturen: Smart Grid, private Stromspeicher, Energieeffizienz- Klimafreundliche Wohnbauten mit Gleichstrom Bewertung exemplarischer Lösungen für die elektrische Versorgung von zukünftigen Siedlungen Wechselstrom (AC), Gleichstrom (DC), Photovoltaik, Energieeffizienz, zuverlässige Energieversorgung, Mieterstrom Gonca Gürses-Tran, Christian Haag Es besteht eine Notwendigkeit für neue Geschäftsmodelle im Kontext der Energiewende, insbesondere mit Fokus auf die Technologieentwicklung bei Erneuerbaren Energien und Speichern. Hier entstehen neue Chancen und Möglichkeiten durch die Transformation des elektrischen Netzes. Der Beitrag zeigt Geschäftsmodelle auf, die Gleichstromtechnologie als zentralen Bestandteil haben und Varianten eines Full-Electric-Hauses präsentieren. Schließlich werden relevante Akteure und innovative Lösungen (beispielsweise H 2 -Tankstellen) im Zusammenhang zu den Geschäftsmodellen für Siedlungen aufgezeigt. Bild 1: Beispielhafte, untertägige, durch PV erzeugte und im Haushalt verbrauchte Energie im Sommer (links) und Winter (rechts) © Gürses-Tran/ FEN GmbH 83 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten bauten sowie flexible Stromtarife prägen in der Folge die deutsche Energiewende. Kostengünstig ist dieser Übergang in eine sichere und saubere Energieerzeugung und -verteilung jedoch nicht. Gerade im Übertragungsnetz aber auch in den Verteilnetzen ist ein massiver Ausbau von Leitungen und weiterer Netzkomponenten notwendig. Diese Kosten werden vor allem von den Bürgern über die Netzentgelte getragen, sie sind aber ebenso relevant für die energieintensive Industrie. Der Forschungscampus Flexible Elektrische Netze (FEN) setzt genau an dieser Stelle mit einem prinzipiell neuen Energieübertragungskonzept an. Die Forschung bei FEN in Aachen fokussiert sich auf die Gleichstromtechnologie im Verteilnetz. Von der Erzeugung über die Transformation und Verteilung bis hin zu den Verbrauchern werden Gleichstromlösungen betrachtet und getestet. Neben der Konzeptionierung, Errichtung und Erprobung einer Gleichstrom-Mittelspannungs-Strecke (MVDC) am Campus Melaten, die mit zehn Millionen Euro aus der Förderinitiative „Forschungscampus-öffentlichprivate Partnerschaft für Innovationen“ des BMBF gefördert wird, unterstützt die FEN GmbH Kurzstudien zum Potenzial der Gleichstrom-Übertragung (DC) in den unterschiedlichsten Bereichen. Ein vielversprechender Bereich wird dabei zukünftig in der Städte- und Quartiersplanung gesehen. Dabei sollen Gesamtlösungen entstehen, die die energieeffiziente und effektive Integration von PV, Wind, aber auch Elektromobilität ermöglichen. FEN analysierte hierfür mögliche Geschäftsmodelle und die jeweiligen Stakeholder und kommuniziert die Ergebnisse in der Region zur Motivation von effizienten Bauvorhaben. Als kleinster Baustein der Quartiersplanung wird beispielweise ein sogenanntes „All-Electric-Haus“ angenommen, welches bei der Wasser- und Raumbeheizung direkt auf elektrische Energie setzt und dabei auf die gängige Öl- und Gasbefeuerung bewusst verzichtet. In einem „Grüne-Wiese“-Ansatz betrachtet die Studie einen Zusammenschluss mehrerer Einfamilienhäuser eines Neubaugebiets, bestehend aus rund zehn rein elektrischen Gebäuden. Zur besseren Abschätzung des Energieverbrauchsprofils besteht die Annahme, dass jedes Haus mit einer vier-köpfigen Familie bewohnt ist. Des Weiteren wird jedes Haus mit je einer 7,8 kWp PV-Anlage und 9 kWh Lithium-Ionen Batterie ausgestattet. Bild 1 zeigt Messwerte der untertägig erzeugten und verbrauchten elektrischen Energie eines Haushalts an exemplarischen Winter- und Sommertagen. Die Grafiken verdeutlichen, wie bereits bekannt, dass die erzeugte Leistung speziell an Sommertagen zu einem Großteil nicht direkt verbraucht wird (grünes Segment), während auch Zeitbereiche auftreten mit höherem Stromverbrauch, gerade wenn keine Sonne scheint (rotes Segment). Ein erster Schritt, um die Nutzung der EE zu erhöhen, ist daher der Zusammenschluss der Häuser und somit der Austausch von gegenwärtigen Überschussmengen. Hierbei spielt der Gleichzeitigkeitsfaktor eine entscheidende Rolle. Je heterogener der Tagesablauf und somit der Energiebezug der einzelnen Verbraucher ausfällt, desto ausgeglichener präsentiert sich die gesamte zu übertragende Leistung in dem jeweiligen Gebiet. Im Gegensatz zu den teilweise bereits etablierten Energie-Community-Ansätzen, würde auch 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 500L H O H 2 H Bild 2: Mit überschüssiger elektrischer Energie kann mittels Elektrolyse Wasserstoff erzeugt und für den späteren Bedarf gespeichert werden. © Volkmann/ FEN GmbH 84 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten physikalisch eine Versorgung von der PV-Anlage des Nachbarn im eigenen Haus möglich werden. Der Einsatz von DC-DC Wandlern im Gegensatz zu AC-DC-Wandlern, um bei einer konstanten Spannung beispielweise den Heimbatteriespeicher aus der PV-Anlage zu speisen, bringt zum einen Kostenaber vor allem auch Effizienzvorteile. Generell kann eine DC/ DC-Übertragung gegenüber einer AC-DC-Übertragung rund 2,5 % bis 10 % Verluste einsparen, was in Abhängigkeit des Spannungslevels sowie der Bauteilgüte variiert. Dabei ist zu beachten, dass die Kosten für noch effizientere Bauteile im oberen Marktsegment rangieren. Neben monetär geprägten Anreizen, kann die Gleichstromtechnologie aber auch neue Topologien hervorbringen und so je nach Anwendung schnellere, sicherere und innovativere Lösungen möglich machen. Auf diesem Grundmodell bauen in einem nächsten Schritt Geschäftsmodelle mit unterschiedlichem Fokus auf. Wie bereits beschrieben, bildet das „All- Electric-Haus“ die kleinste Einheit. Der Zusammenschluss in eine Energie-Community mittels einer physikalischen Niederspannungs-DC-Leitung kann beispielsweise in Form der Straßenbeleuchtungsverkabelung erfolgen oder allenfalls parallel zu dieser. Ob die Energie-Community im Inselbetrieb arbeitet oder über einen konventionellen Netzanschlusspunkt Energie veräußert, wird dabei in den jeweiligen Geschäftsmodellen analysiert. Ebenso könnten die DC-Siedlungsbewohner als Gemeinschaft in eine Kleinwindkraftanlage investieren, um die Versorgung aus EE auch an Wintertagen zu sichern, was sich bei einem Inselbetrieb empfehlen würde. Auch die Elektrolyse aus überschüssiger elektrischer Energie zu Wasserstoff, um das Gas innerhalb einer Mobilitätsstation speichern und verwenden zu können, spielt in einem energieeffizienten Quartier durchaus eine Rolle (siehe Bild 2). AUTOR I NNEN Gonca Gürses-Tran, M. Sc. Wissenschaftliche Angestellte Flexible Elektrische Netze FEN GmbH Kontakt: gguerses@FENaachen.net Dr.- Ing. Christian Haag, MBA Geschäftsführer Flexible Elektrische Netze FEN GmbH Kontakt: info@FENaachen.net Die Studie stellt bis zu sieben Varianten einer DC- Siedlung vor und schätzt das Geschäftspotenzial im Hinblick auf die Faktoren: Wirtschaftlichkeit, Akzeptanz, Skalierbarkeit, Vermarktbarkeit, Reifegrad, Förderungspotenzial und technische Robustheit ab. Die identifizierten, relevanten Stakeholder für die vorgestellt DC-Siedlung sind Hausbesitzer mit hohem Interesse an Eigenstromversorgung, Dienstleister, die EE-Anlagen vermieten oder verpachten, Flächenvermarkter, Siedlungsentwickler und andere. Je nach Blickwinkel kann daher die Attraktivität eines Quartiervorhabens variieren. Insgesamt kann aus der Studie festgehalten werden, dass der Einsatz einer zentralen Batterieeinheit für eine Siedlung als besonders empfehlenswert gilt. Die gesamte Studie zum Download: https: / / fenaachen.net/ blog/ 2017/ 10/ 26/ fen-untersucht-machbarkeit-einer-dc-siedlung/ Digitalisierung versus Lebensqualität Big Data | Green Digital Charter | Kritische Infrastrukturen | Privatheit | Sharing-Systeme 1 · 2016 Was macht Städte smart? URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Mit veränderten Bedingungen leben Hochwasserschutz und Hitzevorsorge | Gewässer in der Stadt | Gründach als urbane Klimaanlage |Baubotanik 1 · 2017 Stadtklima URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Lebensmittel und Naturelement Daseinsvorsorge | Hochwasserschutz | Smarte Infrastrukturen | Regenwassermanagement 2 · 2016 Wasser in der Stadt URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Verbrauchen · Sparen · Erzeugen · Verteilen Energiewende = Wärmewende | Speicher | Geothermie | Tarifmodelle | Flexible Netze | Elektromobilität 2 · 2017 2 · 2017 Stadt und Energie ISSN 2366 7281 g URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Erlebnisraum - oder Ort zum Anbau von Obst und Gemüse Urban Farming | Dach- und Fassadenbegrünung | Grüne Gleise | Parkgewässer im Klimawandel 3 · 2016 Urbanes Grün URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN UUR Die Lebensadern der Stadt - t für die Zukunft? Rohrnetze: von Bestandserhaltung bis Digitalisierung | Funktionen von Bahnhöfen | Kritische Infrastrukturen 4 · 2016 Städtische Infrastrukturen URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Die Vielschichtigkeit von Informationsströmen Smart Cities | Automatisierung | Mobilfunk | Urbane Mobilität | Datenmanagement | Krisenkommunikation 3 · 2017 Urbane Kommunikation URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Angri ssicherheit · Betriebssicherheit · gefühlte Sicherheit IT-Security | Kritische Infrastrukturen | Notfallkommunikation | Kaskadene ekte | Vulnerabilität | Resilienz 4 · 2017 4 · 2017 Sicherheit im Stadtraum URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Was macht Städte smart? Soft Data | IT-Security | Klimaresilienz | Energieplanung | Emotionen | Human Smart City | Megatrends 1 · 2018 Die intelligente Stadt URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN WISSEN FÜR DIE STADT VON MORGEN www.transforming-cities.de/ einzelheft-bestellen | www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren 85 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Die außenliegende Wand- und Lufttemperierung zur energetischen Gebäudesanierung, ein an der Praxis orientierter Ansatz, wurde in mehreren Forschungsprojekten untersucht [1, 2, 3]. Flächentemperierungen erleichtern die Einbindung erneuerbarer Energiequellen und können auf diesem Weg unter anderem die Energiekosten von Gebäuden reduzieren. Der nachträgliche Einbau einer typischen Flächentemperierung ist jedoch nicht immer möglich bzw. mit hohem Aufwand verbunden. In solchen Fällen kann die außenliegende Wandtemperierung (kurz aWT) eine sinnvolle Alternative sein. Außenliegende Wand- und Lufttemperierung Bei der aWT (siehe Bild 1, links) handelt es sich um eine fluidbasierte Flächentemperierung, zum Beispiel aus Kapillarrohrmatten (2), die zwischen unsanierter Außenwand (1) und einem neuen Wärmedämmverbundsystem (kurz WDVS) (3) im Zuge einer energetischen Sanierung des Bestandsgebäudes „von außen“ aufgebracht wird. Die aWT ist somit ein Sonderfall eines thermo-aktiven Bauteilsystems (kurz TABS) [4, 5, 6]. Durch das Aufbringen des WDVS findet gleichzeitig eine energetische Ertüchtigung des Gebäudes statt. Ein wesentlicher Vorteil der aWT ist, dass die Flächentemperierung minimalinvasiv „von außen“ aufgebracht werden kann und die Bewohner des Gebäudes weitestgehend unbeeinträchtigt bleiben bzw. das Gebäude bewohnt bleiben kann. Somit ermöglicht die aWT die Installation von Flächentemperierungen im Gebäudebestand, unabhängig von Raumhöhen und Bodenaufbauten im Inneren und auch unabhängig vom Bewohnungszustand des Gebäudes. Der große Vorteil von Flächentemperierungen (große Fläche, geringe notwendige Temperaturdifferenz zwischen Heizfläche und Raumtemperatur) wird lagebedingt (Außenbauteil und Lage hinter der Bestandswand) bei der aWT noch weiter verstärkt. Eine Weiterentwicklung der aWT ist die sogenannte außenliegende Lufttemperierung (kurz aLT) (Bild 1, rechts). Diese Komponente ermöglicht die Temperierung von Frischluft, durch Schaffung eines Luftspalts (3) zwischen thermisch aktivierter Bestandswand (1- und 2) und WDVS (4). Somit kann auch die Funktion „dezentrales kontrolliertes und temperiertes Lüften“ von außen erschlossen und installiert werden. Anlagentechnisch werden hierfür Klappen, Filter (5-und 6) und ein Ventilator benötigt. Dabei können auch weitere Luftführungsvarianten umgesetzt werden, zum Beispiel „Umlufttemperierung“ oder „Wärmerückgewinnung“. Sinnvolle Wärmequellen für die Komponenten aLT und aWT Der niederexergetische Ansatz der beiden Komponenten aWT und aLT ermöglicht den verstärkten Einsatz von Erneuerbaren Energien für den Gebäudebereich. Insbesondere der Solarthermie und der Niedertemperatur-Wandtemperierung Minimalinvasiver Baustein für die Wärmewende: Integration Erneuerbarer Energien in den Gebäudebestand, zur Abwärmenutzung und zur thermischen Aktivierung der Bestandsstruktur Christoph Schmidt, Bodo Groß Um die energetischen Optimierungspotenziale im Gebäudebestand nutzen und die gesetzten Klimaschutzziele erreichen zu können, muss einerseits die energetische Sanierungsrate sehr deutlich gesteigert und andererseits die verstärkte Integration von Erneuerbaren Energien (kurz EE) in den Gebäudebestand ermöglicht werden. Die Entwicklung von (energetischen) Sanierungsmöglichkeiten für den Gebäudebestand, die gleichzeitig die Integration von EE fördern, erscheint daher als Gebot der Stunde. Bild 1: Schematische Darstellung der außenliegenden Wandtemperierung (links) und der außenliegenden Lufttemperierung (rechts) im Wandquerschnitt. © IZES gGmbH 86 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Bild 2: Fassade im Ausgangszustand (oben links), Fassade mit Kapillarrohrmatten der Wandtemperierung (oben rechts), Einputzen der Matten (Mitte links), Aufkleben der Wärmedämmung (Mitte rechts), Armierung (unten links) und Fassade im sanierten Zustand (unten rechts) © IZES gGmbH 87 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Wärmepumpe kommt dieser Ansatz entgegen. Bei der Wärmepumpe gilt qualitativ: Je geringer die benötigte Heiztemperatur, desto höher die Effizienz (COP/ JAZ) der Wärmepumpe. Bei der Solarthermie steigt mit sinkender Temperaturanforderung der spezifische Kollektorertrag, die aWT/ aLT dient in diesem Fall als (ggf. zusätzliche) Niedertemperatur-Wärmesenke. Dies konnte im Rahmen der Forschungsprojekte bereits mittels Simulationsstudien auch quantitativ nachgewiesen werden. Ökonomisch besonders günstig kann Niedertemperatur-Abwärme mit der aWT und aLT genutzt werden. Abwärmeströme unterhalb von 35 °C sind ansonsten kaum nutzbar. Zusammenfassung aWT/ aLT Insgesamt lassen sich derzeit die folgenden interessanten Aspekte der aWT/ aLT identifizieren: Sanierung von außen, im bewohnten Zustand möglich Niederexergetisches System: Niedertemperatur- Wärmesenke für Wärmepumpe und/ oder Solarthermie und Niedertemperatur-Abwärmeströme Heizen und Kühlen möglich Grundlasttemperierung: Einfache Regelstrategien und ein Selbstregeleffekt (vgl. Fußbodenheizung) Thermische Aktivierung der Bestandsstruktur als Speichermöglichkeit für Wärme/ Kälte Thermische Behaglichkeit kann generell durch erhöhte Oberflächentemperaturen gesteigert werden. Entschärfung der Wärmebrückenproblematik im Gebäudebestand. Als Nachteil der außenliegenden Wandtemperierung ist der statische Wirkungsgrad von rund 90 % zu nennen [1, 2] und der damit einhergehende energetische Mehraufwand im Vergleich zu innenliegenden Systemen. Soll die aWT als alleinige Heizfläche im Gebäude verbleiben, können anspruchsvolle Regelstrategien notwendig sein, da es sich um ein sehr träges Heizsystem handelt. Praktische Umsetzung der außenliegenden Wandtemperierung Die Umsetzung eines Demonstrators bildet den Abschluss des Forschungsprojekts. Primäres Ziel des Demonstrators war, die theoretischen Erkenntnisse zu aWT und aLT durch die praktische Umsetzung zu demonstrieren und nachzuweisen. Hier ist auf der einen Seite die praktische Umsetzung vor Ort auf der Baustelle zu nennen. Andererseits wurde die Integration der Komponenten aWT und aLT in ein niederexergetisches Versorgungssystem konzipiert und realisiert. Auf Grundlage der Messergebnisse, kann eine energetische Bewertung der Komponenten und des gesamten Systems erfolgen. Anhand von begleitenden, extrapolierenden Simulationsstudien können zudem Aussagen zu den Potenzialen der Komponenten und des Systems getroffen werden. Danksagung: Die Projekte LEXU und LEXU II wurden gefördert durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestags unter den Förderkennzeichen: 0327370Y/ T. Wir möchten uns an dieser Stelle für die Unterstützung durch den Fördermittelgeber sowie bei allen Projektpartnern bedanken. Weitere Informationen unter: www.projekt-lexu.de LITERATUR [1] Luther, G., Altgeld, H.: Die außenliegende Wandheizung, In: Gesundheitsingenieur, 1 (2002) S. 8-15. [2] Schmidt, C., Luther, G., Altgeld, H. , Maas, S., Groß, B., Scholzen, F.: „Außenliegende Wandtemperierung“- LowEx-Anwendung zur Temperierung von Bestandsgebäuden und thermischen Aktivierung der Bestandswand: theoretische Grundlagen und Kennwerte, Ernst & Sohn Verlag, Berlin, Bauphysik 39, Heft 4 (2017) S. 215-223. [3] Schmidt, C., Altgeld, H., Groß, B., Luther, G., Schmidt, D.: LEXU II - Einsatz von außenliegender Wandtemperierung bei der Gebäudesanierung, In: Proceedings of CESBP/ BauSim (2016) S. 843-850. [4] Glück,B.: Thermische Bauteilaktivierung, C.F. Müller Verlag, Heidelberg, (1999), ISBN: 3-7880-7674-7. [5] Glück, B.: Möglichkeiten des Energieeinsatzes mit niedrigem Exergiepotenzial zum Heizen und Kühlen von Räumen, in Gesundheits-Ingenieur - Haustechnik, Bauphysik, Umwelttechnik, 122, 1 (2001) S. 3-31. [6] Koschenz, M., Lehmann, B.: Thermoaktive Bauteilsysteme tabs, EMPA Drübendorf, Zürich, (2000) ISBN: 3-905594-19-6. Christoph Schmidt, M.Eng. Wissenschaftlicher Mitarbeiter IZES gGmbH Institut für ZukunftsEnergie- und Stoffstromsysteme Kontakt: schmidt@izes.de Dr. Bodo Groß Leiter Arbeitsfeld „Technische Innovationen“ IZES gGmbH Institut für ZukunftsEnergie- und Stoffstromsysteme Kontakt: gross@izes.de AUTOREN 88 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Fachliteratur Impressum Transforming Cities erscheint im 3. Jahrgang Herausgeber Eberhard Buhl, M.A. Verlag Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl | Christine Ziegler Schliffkopfstr. 22, D-72270 Baiersbronn-Buhlbach Tel. +49 7449 91386.36 · Fax +49 7449 91386.37 office@trialog.de · www.trialog.de Redaktionsleitung Dipl.-Ing. arch. Christine Ziegler VDI (verantwortlich) Tel: +49 7449 91386.43 Fax: +49 7449 91386.37 christine.ziegler@transforming-cities.de Anzeigen Tel. +49 7449 91386.46 Fax +49 7449 91386.37 anzeigen@trialog.de Gültige Anzeigenpreisliste Nr. 3 vom 01.01.2018 Vertrieb und Abonnentenservice Tel. +49 7449 91386.39 Fax +49 7449 91386.37 vertrieb@trialog.de Erscheinungsweise Viermal im Jahr Bezugsbedingungen Die Bestellung des Abonnements gilt zunächst für die Dauer des vereinbarten Zeitraumes (Vertragsdauer). Eine Kündigung des Abonnementvertrages ist zum Ende des Berechnungszeitraumes schriftlich möglich. Erfolgt die Kündigung nicht rechtzeitig, verlängert sich der Vertrag und kann dann zum Ende des neuen Berechnungszeitraumes schriftlich gekündigt werden. Bei Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages, bei Arbeitskampf oder in Fällen höherer Gewalt besteht kein Entschädigungsanspruch. Zustellmängel sind dem Verlag unverzüglich zu melden. Es ist untersagt, die Inhalte digital zu vervielfältigen oder an Dritte weiterzugeben, sofern nicht ausdrücklich vereinbart. Bezugsgebühren JahresAbo Print: gedruckte Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 120,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 11,90, Ausland EUR 25,-) JahresAbo ePaper: elektronische Web-Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 120,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), ohne Versandkosten JahresAbo Plus (Print + ePaper): als gedruckte Ausgabe + elektronische Web-Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 160,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 11,90 , Ausland EUR 25,-) StudiAbo ePaper: elektronische Web-Ausgabe. Reduzierter Jahresbezugspreis von EUR 80,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.). Eine aktuelle Studienbescheinigung ist Voraussetzung. Einzelheft Print: gedruckte Ausgabe zum Einzelbezugspreis von EUR 35,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 3,-, Ausland EUR 6,50) Einzelausgabe ePaper: elektronische Web- Ausgabe zum Einzelbezugspreis von EUR 35,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), ohne Versandkosten Campus- und Firmenlizenzen auf Anfrage Organ | Medienpartnerschaft VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld Druck Grafik und Druck GmbH Peter Pöllinger, München Herstellung Trialog, Baiersbronn-Buhlbach, www.trialog.de Titelbild High voltage post. High-voltage tower sky background, besides the highway. © Clipdealer Copyright Vervielfältigungen durch Druck und Schrift sowie auf elektronischem Wege, auch auszugsweise, sind verboten und bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Abbildungen übernimmt der Verlag keine Haftung. Eine Publikation der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Baiersbronn-Buhlbach ISSN 2366-7281 (print) www.trialog.de/ agb Nach drei Jahrzehnten enorm negativer Auswirkungen schließen viele Städte, Regionen und Staaten das Kapitel der Privatisierung von Wasser. Eine leise Revolution entfaltet sich, indem die Bürger und Bürgerinnen auf der ganzen Welt die Kontrolle über die Wasserdienstleistungen einfordern und die wichtigste Ressource für das Überleben der Menschheit in einer demokratischen, gleichberechtigten und ökologischen Art und Weise nutzen wollen. In den Jahren 2000 bis 2015 wurden 235 Fälle von Rekommunalisierung der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung in 37- Staaten festgestellt. Mehr als 100 Millionen Menschen sind inzwischen von diesem globalen Trend erfasst, und diese Strömung wird in faszinierender Weise immer stärker. Von Jakarta bis Paris, von Deutschland bis zu den Vereinigten Staaten beschreibt das Buch die Erfahrungen einer pulsierenden Bewegung, die das Wasser für sich reklamiert. Die Autoren zeigen auf, wie Rekommunalisierung neue Möglichkeiten zur Entwicklung sozial wünschenswerter, umweltfreundlicher und nachhaltiger hochwertiger Wasserdienstleistungen zum Vorteil der lebenden und der künftigen Generationen erschließt. Dieses Buch will Bürger und Bürgerinnen, Beschäftigte und Politikgestalter und Politikgestalterinnen in die Erfahrungen, Lehren und die gute Praxis für die Rückkehr von Wasser in die öffentlichen Hände einbeziehen. Es ist somit eine wichtige Grundlage für Allianzen, die den Schwung der Veränderungen zu einer demokratischen und nachhaltigen öffentlichen Wasserwirtschaft in eine nicht mehr aufhaltbare Welle verwandeln wollen. Weitere und aktuelle Informationen: https: / / www.tni.org/ en/ work-area/ water-justice Das Buch kann als PDF herunter geladen werden unter: http: / / w w w.aoew.de/ media/ Themen/ Privatisierungen/ OurPublicWaterFuture-DE.pdf. Gedruckte Exemplare sind gegen einen Beitrag von fünf Euro pro Exemplar und der Postgebühr für den Versand bei der AöW-Geschäftsstelle erhältlich. http: / / www.aoew.de/ ISBN/ ISSN 978-3-00-057262-3 Die Zukunft unseres Wassers in öffentlicher Hand HERAUSGEGEBEN VON Satoko Kishimoto, Emanuele Lobina und Olivier Petitjean DEUTSCHE ÜBERSETZUNG Christa Hecht Globale Erfahrungen mit Rekommunalisierung Die Zukunft unseres Wassers in öffentlicher Hand Globale Erfahrungen mit Rekommunalisierung Der Bucherfolg aus 2015 „Our public water future“ der Autoren Satoko Kishimoto, Olivier Petitjean, Emanuele Lobina ist nun auch in Deutsch verfügbar. Übersetzung: Christa Hecht. Urbane Räume und Flächen Am 3. September 2018 erscheint die nächste Ausgabe von Transforming Cities mit dem Themenschwerpunkt Öffentlicher Raum Wege und Verkehrsflächen Versorgungsbauten Urbane Grünzonen Lebensraum Dach und Fassade Städtische Gewässer Unterirdische Infrastruktur
