eJournals

Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
123
2018
34
Daseinsvorsorge für ein funktionierendes Stadtleben Urbane Sicherheit | Mobilität im Stadtraum | Zuverlässige Wasser- und Energieversorgung | Städtische Infrastruktur 4 · 2018 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Gesund und sicher leben in der Stadt Gesund und sicher leben in der Stadt DAS FACHMAGAZIN FÜR DIE JACKENTASCHE Lesen Sie Transforming Cities lieber auf dem Bildschirm? Dann stellen Sie doch Ihr laufendes Abo einfach von der gedruckten Ausgabe auf ePaper um - eine E-Mail an service@trialog.de genügt. Oder Sie bestellen Ihr neues Abonnement gleich als E-Abo. Ihr Vorteil: Überall und auf jedem Tablet oder Bildschirm haben Sie Ihre Fachzeitschrift für den urbanen Wandel immer gri bereit. www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren Trialog Publishers Verlagsgesellschaft | Baiersbronn | service@trialog.de ePaper-EAZ_IV_TranCit.indd 1 12.11.2018 10: 13: 34 1 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, für ein besseres Leben ziehen Menschen in die Städte. Sie wollen von den vielfältigen Möglichkeiten im urbanen Milieu profitieren und erfolgreich und glücklich werden. Denn in den Metropolen konzentriert sich die Wirtschaftskraft ganzer Regionen. Innovation und Fortschritt geschieht in den Zentren. Das Angebot ist riesig im Vergleich zum „platten Land“, sei es bei Ausbildung, guten Jobs, Kultur oder Freizeit. Städte - zumindest die großen - haben rund um die Uhr geöffnet zum Einkaufen, Ausgehen und Feiern, zusammen mit vielen anderen kreativen urbanen Leuten. Wer alles andere als langweilig sein möchte, für den ist Stadt der Sehnsuchtsort schlechthin. Doch wie so oft: Wenn viele das Gleiche wollen und davon immer mehr, übersteigt die Nachfrage das Angebot. Bestehende Strukturen, Gebäude, Straßen, Versorgungseinrichtungen in den Boom-Towns lassen sich nicht über Nacht auf den schnell wachsenden Bedarf anpassen. Dazu fehlen den Kommunen oft die Mittel, in gewachsenen Quartieren fehlt schlicht und einfach der Platz. Im Ergebnis bedeutet dies: Es wird zunehmend enger, lauter, unsicherer. Und das Stadtleben wird für die Bewohner immer teurer. Auch wenn die durchschnittlichen Einkommen in Großstädten über dem Verdienst in der Provinz liegen, zehren die Lebenshaltungskosten das Plus schnell auf. Das liegt vor allem an den explodierenden Mieten und Immobilienpreisen, die sich Normalverdiener oft nicht mehr leisten können. Das vermeintlich leichte urbane Leben gerät in Wirklichkeit zur großen Anstrengung. Um mithalten zu können, braucht es höheren Einsatz, mehr Mobilität, ständige Erreichbarkeit. Die Stressbelastung nimmt zu, und das in einer Stadtumgebung, die immer weniger Raum für Entspannung und Ausgleich bietet, stattdessen reichlich Lärm und schlechte Luft. Daraus erwächst die Gefahr, dass große Teile der Stadtbevölkerung mit diesem beschleunigten, überfordernden und kostspieligen Lebensstil nicht mehr mithalten können. Was es bedeutet, sich abgehängt zu fühlen, ist vielerorts bereits wahrzunehmen: Ganze Viertel verkommen, Gewalt und Vandalismus gehören zum Alltag und der Traum vom Stadtleben wird an den sozialen Brennpunkten zum Albtraum. Europäische Städte sind zwar noch vergleichsweise sicher, doch es gilt, den Trend zu erkennen. Um unsere Städte als lebenswerte Orte zu erhalten, an denen es sich gesund und sicher leben lässt, müssen zukunftsfähige Strategien entwickelt werden. Über Initiativen, Projekte und Ideen dazu lesen Sie in der vorliegenden Ausgabe. Ihre Christine Ziegler Redaktionsleitung „Transforming Cities“ Gesund und sicher leben in der Stadt 2 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES INHALT 4 · 2018 Seite 13 Seite 19 Seite 46 © Barlow © iStock/ solrico © ASE AG FORUM Veranstaltungen 4 33. Oldenburger Rohrleitungsforum Rohrleitungen - Transportmedium für Trinkwasser und Abwasser 7 E-world energy & water 2019: Lösungen für nachhaltige Städte Standpunkt 8 Freie, sichere und gerechte Städte Das Europäische Forum für Urbane Sicherheit Interview 10 Urbane Sicherheit Interview mit Dirk Wurm, Ordnungsreferent der Stadt Augsburg und neuer Vorsitzender des Deutsch- Europäischen Forums für Urbane Sicherheit 13 Die kostbare Ressource Wasser Ein Gespräch mit Maude Barlow, Wasseraktivistin und Trägerin des Alternativen Nobelpreises Christa Hecht PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen 19 Kläranlagen können mehr Christoph Brunner 22 Aquaponik nutzt Grauwasser Häusliches Abwasser: eine Ressource für Energie und Haustechnik Barbara Sahler 26 Grün im Dschungel aus Beton und Asphalt Eignet sich Dachbegrünung für jedes nachhaltige Städtebaukonzept? 30 Regenwasser gewinnbringend verdunsten Hitze und Starkregen - technische Regelwerke ändern sich ab 2019 Klaus W. König Stadtraum 34 Ein Ort für die Stadt der Zukunft Munich Urban Colab Markus Bosch 37 Urban Insight Nachhaltige Entwicklung von Städten der Zukunft Stephan Landau Infrastruktur 40 Zukunft der Visualisierung: Wenn reale und virtuelle Welt verschmelzen Smarte Wartung städtischer Infrastrukturen mittels Mixed Reality Andreas Zerlett 42 Zuverlässige Wasserversorgung ohne Verluste Albstadtwerke setzen auf eine funkbasierte Fernwirklösung Benjamin Fiene Mobilität 46 Mobilitätsherausforderungen annehmen Pedestrian Analytics: Nachhaltige Gestaltung von Transport Hubs Antonia McGrane, Uri Schtalheim, Sebastian Ropers 3 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES INHALT 4 · 2018 Seite 56 Seite 66 © HF T Stuttgart Seite 74 © pixabay Fraunhofer IAO / L AVA 49 Gesunde und intelligente Mobilität in der Designstadt Eindhoven (NL) Das europäisches Projekt Triangulum Bettina Remmele 52 Elektrisch unterwegs Solinger Busnetz auf dem Weg zur Emissionsfreiheit Gabriele Zauke, Daniel Bogatz 54 Umfassend vernetzt Intelligentes Managementsystem vereinfacht Verwaltung und Instandhaltung von Ladestationen für Elektrofahrzeuge THEMA Gesund und sicher mobil 56 Emotionen als Wegweiser zur lebenswerten Stadt Erfassung und Darstellung des emotionalen Erlebens als Impulse für die Stadt der Zukunft Lara Kohn, Habiburrahman Dastageeri, Jan Silberer, Thomas Bäumer, Thunyathep Santhanavanich, Susanne Moulin, Patrick Müller, Volker Coors 63 Vom Stecker zur Spule Drei Thesen zur Zukunft des induktiven Ladens Wolfgang Schade, Christian Scherf 66 Autonomes Fahren im Kontext der Stadt [AFKOS] Zukunft der Mobilität ermöglicht den Raum für grüne Infrastrukturen Claudius Schaufler, Steffen Braun Gesund und sicher leben 70 Strom per Prepaid (Un)sichere Energieversorgung mit Nebenwirkungen Oliver Wagner 74 Dezentrale Energieversorgung zur Stärkung einer resilienten Infrastruktur Ein deutsch-japanischer Vergleich zur Bedeutung von Stadtwerken Kurt Berlo, Oliver Wagner 78 Sichere Trinkwasserversorgung Aspekte der Versorgungssicherheit am Beispiel der Rhein-Main-Region Christian Hähnlein, Ulrich Roth PRODUKTE + LÖSUNGEN Stadtraum 84 NoiseMeter Schallpegelmesser mit Sigfox 84 Impressum 4 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Veranstaltungen Wenn im Februar alles, was im Tiefbau Rang und Namen hat, wieder nach Oldenburg strömt, liegt der Jahrhundertsommer 2018 schon gut ein halbes Jahr zurück. Der Mix aus gefühlten fünf Monaten Dauersommer und punktuell auftretenden sintflutartigen Regenfällen ist für Mensch und Natur eine ernst zu nehmende Herausforderung. Um eine weitere Erderwärmung als Ursache solcher Wetterextreme zu begrenzen, setzt sich die Bundesregierung auf internationaler Ebene für anspruchsvolle Klimaschutzziele ein. Und das ist auch dringend erforderlich, wie der am 8. Oktober 2018 veröffentlichte Zwischenbericht des Intergovernmental Panel On Climate Change (IPCC) deutlich vor Augen führt. Entgegen des bis dato verfolgten Ziels, die Erderwärmung auf 2,0-°C zu beschränken, geht der nun vorgelegte Zwischenbericht davon aus, dass es nur bei einer Beschränkung der Erderwärmung um 1,5-°C gegenüber dem vorindustriellen Niveau möglich sein wird, Menschen vor Extremwetterlagen wie Sturm- und Wasserkatastrophen sowie Dürre- und Trockenheitsszenarien zu schützen. Netzbetreiber vor großen Aufgaben Die zunehmend auftretenden Dürren, mit verheerenden Folgen für die deutsche Landwirtschaft und die Überflutung ganzer Ortschaften aufgrund überlasteter Kanalisationssysteme, sind aktuelle Szenarien, denen man sich an der Jade Hochschule Wilhelmshaven/ Oldenburg/ Elsfleth mit besonderer Aufmerksamkeit widmet. Denn solche Extremwetterlagen - hierin sind sich Experten einig - stellen nicht zuletzt auch Versorger und Netzbetreiber vor große Herausforderungen. Auch leitungsgebundene Infrastrukturen und kommunale Entwässerungssysteme müssen wassersensibel angepasst und konstruktiv auf den Wechsel zwischen lange anhaltenden Trockenperioden und punktuell auftretenden Starkregenereignissen eingestellt werden. Doch wie stellen sich Versorger und Netzbetreiber auf diese Veränderungen ein, wie reagieren sie auf Auswirkungen, die bereits nicht mehr vermeidbar sind? Das Leitthema des 33. Oldenburger Rohrleitungsforums greift die Fragestellungen vor dem Hintergrund der Wetterentwicklung in Mitteleuropa und in Deutschland im Jahr 2018 gezielt auf. Viele der Referate auf der zweitägigen Forumsveranstaltung mit begleitender Fachausstellung handeln von Trinkwasser und Abwasser bzw. den entsprechenden Netzen. Davon unabhängig finden in zahlreichen Vorträgen andere spannende und aktuelle Themen aus der Rohrleitungswelt Eingang in die Programmvielfalt des Oldenburger Rohrleitungsforums - ebenso wie die „Diskussion im Café“ und der 33. Oldenburger Rohrleitungsforum Rohrleitungen - Transportmedium für Trinkwasser und Abwasser Der Klimawandel ist ein Megatrend, mit dem sich alle relevanten Akteure im Tief- und Rohrleitungsbau auseinandersetzen müssen. Aber wie stellen sich Versorger und Netzbetreiber auf klimatische Veränderungen und deren Auswirkungen auf die Leitungsinfrastruktur ein? „Rohrleitungen - Transportmedium für Trinkwasser und Abwasser“ ist das Leitthema des 33. Oldenburger Rohrleitungsforums, das am 14. und 15. Februar 2019 an der Jade Hochschule in Oldenburg stattfinden wird. Es beschäftigt sich mit Klimaanpassungsstrategien vor dem Hintergrund der Wetterentwicklung in Mitteleuropa und in Deutschland im Jahr 2018. Bild 1: Ein extrem heißer und trockener Sommer hat das Stichwort Klimawandel wieder ins Bewusstsein aller zurückgeholt. © pixabay Bild 2: Land unter heißt es in vielen Regionen, wenn das Wasser nach Starkregenereignissen nicht ablaufen kann. © pixabay 5 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Veranstaltungen „Ollnburger Gröönkohlabend“ in der Weser-Ems- Halle, der den ersten Veranstaltungstag traditionsgemäß beschließt. Leitthema ein Volltreffer Der Startschuss für die 33. Auflage des Forums fällt wie in den beiden Vorjahren wieder im Sitzungssaal des ehemaligen Oldenburger Landtagsgebäudes. In der Auseinandersetzung mit Themen wie „+ 2 °: Dann leidet auch die Trinkwasserinfrastruktur! “, „Was wird mit dem Wasser? - GESTERN.HEUTE. MORGEN“ und „Wasserversorgung in Zeiten extremer Wetterereignisse - Erkenntnisse aus dem Jahrhundertsommer 2018“ legen die Einführungsvorträge die Basis für die programmatische Vielfalt der beiden folgenden Veranstaltungstage, bei der ein Schwerpunkt diesmal auf dem Bereich Wasser liegen wird. „Damit haben wir mit Blick auf die aktuelle Entwicklung und die sich hieraus ergebenden Herausforderungen für die gesamte Branche einen inhaltlichen Volltreffer gelandet“, ist Prof. Dipl.-Ing. Thomas Wegener, Vorstandsmitglied des Instituts für Rohrleitungsbau an der Fachhochschule Oldenburg e. V., Geschäftsführer der iro GmbH Oldenburg und Vizepräsident der Jade Hochschule Wilhelmshaven/ Oldenburg/ Elsfleth, überzeugt. „Das Leitthema 2019 „Rohrleitungen - Transportmedium für Trinkwasser und Abwasser“ ist durch die Wetterentwicklung in Mitteleuropa und in Deutschland im Jahr 2018 besonders aktuell geworden“, so Wegener weiter. „Der sehr lange und warme Sommer führte jedenfalls in einigen Gebieten zu erheblichen Ernteeinbußen in der Landwirtschaft, mancherorts gab es auch Beeinflussungen der Trinkwasserversorgung.“ Wegener verweist in diesem Zusammenhang auf Erfahrungen des Oldenburgisch-Ostfriesischen Wasserverbandes (OOWV) oder aber auf die Vorkommnisse in der mittelhessischen Region Vogelsberg und die Stadt Ulrichstein, in der aufgrund der Trockenheit die Trinkwasserversorgung der Kernstadt nicht mehr sichergestellt werden konnte. Kurzzeitig wurde das benötigte Wasser mit Tankwagen geliefert und die Bevölkerung um sparsamen Verbrauch gebeten. Wassersensible Städte Das andere Extrem stellen die Starkregenereignisse dar, mit der auch Menschen in vielen Regionen Deutschlands zunehmend konfrontiert werden. Vielfach führen solche Extremwetterlagen zu temporären Überflutungen ganzer Stadtteile und zeigen dabei in unregelmäßigen Abständen immer wieder die funktionalen Grenzen der bestehenden städtischen Infrastruktur auf. So ist etwa das Entwässerungskanalnetz einer Stadt in der Regel nicht auf solche Abflussmengen ausgelegt. Folge: Mit Erreichen der Kapazität übersteigt der Pegel des Wassers das Straßenniveau. Bauliche Veränderungen des Kanalquerschnittes können hier zwar eine Möglichkeit zur Abhilfe sein, allerdings lassen sich derartig umfassende Maßnahmen volkswirtschaftlich kaum vertreten. Es gilt also, weitere Möglichkeiten auszuloten, wie Städte zunehmend resilienter gegenüber Extremwetterereignissen werden können. Projektarbeit am IRT So leben in der Nordsee-Region beispielsweise 80 Prozent der Bevölkerung in urbanen Gebieten - mehrheitlich in mittelgroßen Städten. Diese Städte stehen infolge des Klimawandels vor immer größer werdenden Herausforderungen, was gezielte Anpassungsstrategien betrifft. Das 2017 gestartete und mit EU-Geldern geförderte Pilotprojekt „Water sensitive Cities: the Answer To CHallenges of extreme weather events“ kurz „CATCH“ hat sich zum Ziel gesetzt, diese Städte im Nordseeraum Bild 3: Zu einer nachhaltigen und sicheren Wasserversorgung gehören Trinkwasserspeicher, die Verbrauchsspitzen abfedern und einen gleichbleibenden Druck im Netz sicherstellen. © Frank GmbH Bild 4: Ein Wasserversorgungsnetz ist niemals fertig. Neue Verfahren und Techniken helfen dabei, Betriebs- oder Instandhaltungskosten zu reduzieren. © Friatec AG 6 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Veranstaltungen bei der Anpassung an Extremwetterereignisse zu unterstützen. „Anhand von sieben Pilot-Städten in Belgien, Dänemark, Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden und Schweden werden unter Leitung des niederländischen Lead-Partners Waterschap-Vechtstromen beispielhafte Klimaanpassungsmaßnahmen entwickelt und in Entscheidungsunterstützungssysteme und Handlungsempfehlungen integriert“, erläutert Dipl.-Ing. Mike Böge, Projektleitung, Jade Hochschule / Institut für Rohrleitungsstechnologie. Am Institut für Rohrleitungstechnologie (IRT) werden laut Böge federführend die wasserwirtschaftlichen Aspekte erarbeitet, die es bei den unterschiedlichen strategischen Anpassungsprozessen zu berücksichtigen gilt. Im Fokus der Projektarbeit steht dabei insbesondere der transnationale Austausch von Erfahrungen sowie das gegenseitige Lernen der projektbeteiligten Kommunen, Netzbetreiber und Hochschulen. Fünf Handlungsstränge Aktuelle Projekte wie diese stehen auf dem Forum an der Jade Hochschule in der Ofener Straße in Oldenburg 2019 im Blickpunkt. Wie gewohnt werden die Tagungsteilnehmer anhand von fünf thematischen Strängen durch das Forum begleitet. Neben „CATCH“ werden sich die Vorträge in Strang 1 unter anderem mit Krisenmanagement, Planung, Bau und Betrieb von Netzen beschäftigen. „Starkregen - nicht nur eine technische Herausforderung“ sowie „Nachhaltige Substanzerhaltung von Kanalnetzen als ein wesentlicher Bestandteil der kommunalen Infrastruktur“ sind hier als stellvertretende Referatsthemen zu nennen. Darüber hinaus geht es im Vortragsblock „Biologische Trinkwasserqualität“ um das neue Arbeitsblatt W 271 und revolutionäre Entwicklungen in der Rohrnetzpflege. Zur besten Sendezeit Die zweite Vortragsreihe ist traditionell den Werkstoffen vorbehalten: Die verschiedenen Hersteller nutzen die Gelegenheit, neue Entwicklungen rund um leistungsfähige Rohrleitungssysteme aus Beton, Guss, Kunststoff, Stahl sowie Steinzeug vorzustellen. Beim dritten Vortragsstrang geht es unter anderem ums Gas. Mit „Nord Stream 2“ steht die Vorstellung eines Super-Projektes auf dem Programm, bei dem es um die Installation einer Offshore Pipeline in der Ostsee geht. „Mit Referaten aus dem Fachgebiet des kathodischen Korrosionsschutzes, dem neuen Bauvertragsrecht sowie über internationale und nationale Leitungssanierungsprojekte haben es weitere aktuelle Themen auf einen Platz zur besten Sendezeit geschafft“, merkt Prof. Wegener an. Kontrovers diskutiert wird wie immer im Rahmen der „Diskussion im Café“, die sich in diesem Jahr mit der Fragestellung, was passiert „Wenn das Erdgas aus NL zur Neige geht…“, ebenfalls dem Thema Gas widmet. Die Diskussion erfährt einen interessanten Auftakt durch einen Impulsvortrag, der sich unter anderem mit den potenziellen Handlungsoptionen der deutschen Gaswirtschaft bei der Verwendung von H-Gas und L-Gas befasst. Grabenlose Verlegetechniken stehen ebenso im Fokus der vierten Vortragsreihe wie Synergien bei Zertifikaten für den Leitungsbau. Der fünfte und letzte Vortragsstrang führt mit Beiträgen über Building Information Modeling (BIM), moderne Betriebsführung, Assetmanagement oder Cybersicherheit den digitalen rote Faden der letzten Foren weiter fort. Mit langjährigen Klassikern wie Fernwärme und Schweißtechnik geht das Forum am Freitagmittag dann zu Ende. Wie in jedem Jahr ist der forumsbegleitende Ausstellungsbereich zwar bereits komplett ausgebucht, jedoch sind Anmeldungen zur Teilnahme am Forum und am Grünkohlabend noch möglich unter: www.iro-online.de Bild 5: Das lichthärtende Schlauchlining wird bereits seit einigen Jahren erfolgreich in der Kanalsanierung eingesetzt. © Diringer&Scheidel Rohrsanierung Bild 6: Die Europäische Gas-Anbindungsleitung (EUGAL) wird auf einer Länge von rund 480 km von der Ostsee durch Mecklenburg- Vorpommern und Brandenburg bis in den Süden Sachsens und von dort über die Grenze in die Tschechische Republik verlaufen. © Gascade 7 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Veranstaltungen Ideen für effizientere Städte - mit dieser Ausrichtung trägt die E-world energy & water 2019 der zunehmenden Urbanisierung Rechnung. Dazu wird der Fokus „Smart City“ um das Themenfeld „Climate Solutions“ erweitert. Ziel ist es, neue Konzepte für die Herausforderungen durch zunehmende Siedlungsverdichtung und den Klimawandel vorzustellen. Damit unterstreicht Europas führende Messe der Energiewirtschaft erneut ihre Schlüsselposition als Leitveranstaltung, von der wichtige Impulse für die Branche ausgehen. Vom 5. bis 7. Februar 2019 zeigen Unternehmen, Institutionen und Startups in der Messe Essen ihre Lösungen rund um die Energieversorgung der Zukunft. Das Spektrum reicht von der Erzeugung über Transport und Speicherung bis hin zu Handel, Effizienz und grünen Technologien. Städte sind einerseits Verursacher und Leidtragende des Klimawandels, nehmen andererseits aber auch eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung innovativer Maßnahmen zum Klimaschutz ein. Durch die Digitalisierung entsteht zunehmend ein intelligentes und ressourcenschonendes Gesamtsystem aus Elektrizität und Wärme, effizienten Gebäuden und elektrischem Transport. Auf dieser Zukunftsvision liegt mit der Verknüpfung der Themenfelder „Smart City“ und „Climate Solutions“ der Schwerpunkt der E-world energy & water 2019. Wichtig bei der Energieversorgung der Zukunft sind vernetzte Angebote. Im Themenbereich Smart Energy, der deutschlandweit größten Plattform dieser Art, präsentieren sich zahlreiche Aussteller mit den Schwerpunkten erneuerbare Energien und intelligente Technologien. Wachstumskurs setzt sich fort Bereits 2018 konnte die Leitmesse der internationalen Energiewirtschaft mit 750 Ausstellern aus 26- Nationen und mehr als 25 000 Besuchern aus 73- Ländern neue Spitzenwerte aufstellen. Der Wachstumskurs setzt sich 2019 fort. Die frisch modernisierten Hallen der Messe Essen ermöglichen eine noch effizientere, ansprechendere Aufplanung. So lässt sich die starke Nachfrage nach zusätzlichen Standplätzen abbilden. Die E-world energy & water erstreckt sich 2019 über die Messehallen 1- bis- 5 und die lichtdurchflutete Galeria. Viele renommierte Branchengrößen haben ihre Stände bereits gebucht, mehr als 85 Prozent der Flächen sind E-world energy & water 2019 zeigt Lösungen für nachhaltige Städte bereits vergeben. Mit dabei sind unter anderem die Unternehmen innogy, E.ON, Vattenfall, SAP, Uniper, Siemens, Shell und Iberdrola. Fachkonferenzen und geführte Rundgänge Flankierend zum Messegeschehen finden auf vier Fachforen in der Messe sowie im Congress Center Essen täglich Expertenvorträge und Podiumsdiskussionen statt. Für das Messepublikum, dessen Fachbesucheranteil bei rund 99 Prozent liegt, wird es zudem auch wieder geführte Messerundgänge geben, die con|energy als Veranstalter der E-world energy & water anbietet. Weitere Informationen: www.e-world-essen.com Impression Halle 3 © Udo Geisler 8 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Das Leben in der Stadt bietet vielerlei Vorzüge. Das dichte Nebeneinander von Wohnen, Freizeit- und Kulturangeboten, Einkaufsmöglichkeiten, Orten des Lernens und der Bildung, vielfältigen Beschäftigungsmöglichkeiten aber auch innerstädtischen Freiraum- und Naturangeboten sind Ausdruck urbanen Lebens in einem produktiven Wettbewerb der Städte um steigende Lebensqualität. Trotz der weltpolitischen Lage bieten die europäischen Städte ihren Bürgern Räume der Sicherheit, der Freiheit und des Wohlbefindens, die weltweit einzigartig sind. Im Rahmen des europäischen Projekts erfreuen sie sich der längsten Friedenszeit, die der Kontinent seit der Antike erlebt hat, und platzieren sich regelmäßig unter den sichersten der Welt. Eine zunehmend wichtige Voraussetzung für ein friedliches und gerechtes Miteinander in Ballungsgebieten ist das Thema Sicherheit und Ordnung. Urbane Sicherheit umfasst eine große Vielfalt von Aufgaben, an ihrer Schaffung und Aufrechterhaltung sind eine Vielzahl von Akteuren beteiligt. Ein Manifest für eine europäische Vision von urbaner Sicherheit Das Manifest „Sicherheit, Demokratie und Städte: Zur Koproduktion von Politiken der urbanen Sicherheit“ ist ein politisches Dokument zur Sicherheit der Städte und Regionen in Europa und zugleich ein Aktionsplan für europäische Kommunen, der in den kommenden Jahren umgesetzt werden wird. Es ist die inhaltliche und politische Grundlage der Zusammenarbeit der rund 250 Mitglieder des Europäischen Forums für Urbane Sicherheit (Efus) aus 16-europäischen Ländern. Basierend auf den langjährigen praktischen Erfahrungen der Efus-Mitglieder, auf konkreten Empfehlungen aus Projekten und Arbeitsgruppen und einem kooperativen Schreibprozess vereint das Manifest das Wissen und die Erfahrung. Es folgt auf die früheren Efus-Manifeste verabschiedet in Neapel, Saragossa und Aubervilliers/ Saint-Denis. Auf der sechsten Efus-Konferenz „Sicherheit, Demokratie und Städte - Zur Koproduktion urbaner Sicherheit“ im November 2017 in Barcelona versammelten sich lokale Mandatsträger, Vertreter der Polizei und der Justiz, Mitarbeiter des Freiwilligensektors, Wissenschaftler, Mitglieder der Zivilgesellschaft und Vertreter der Privatwirtschaft aus 130 Städten, 47 Ländern und fünf Kontinenten. Die rund 800 Teilnehmer verabschiedeten das Manifest als gemeinsames Abschlussdokument. Der kooperative Entstehungsprozess des Dokuments und die breite Basis der praktischen Arbeit der Mitglieder machen das Manifest zu einer starken Stimme für urbane Sicherheit der Kommunen auf der nationalen, europäischen und internationalen Ebene. „Dieses Manifest und die Arbeit der europäischen lokalen und regionalen Behörden zeigen, dass es möglich ist, eine europäische Vision der städtischen Sicherheit zu verwirklichen. Efus legt die endgültige Fassung dieses Manifests den Regierungen und den europäischen und internationalen Institutionen vor. Praktisch und pragmatisch wird das Manifest eine Quelle der Inspiration und Unterstützung für europäische Städte und Regionen sein“, erläuterte Willy Demeyer, Präsident des Europäischen Forums für Urbane Sicherheit und Bürgermeister der belgischen Stadt Lüttich. Ein Leitfaden für die Gestaltung von urbaner Sicherheit vor Ort Das Manifest ist ein politisches Projekt, das über 60 praktische Empfehlungen und Willensbekundungen der Mitgliedsstädte zu einem breiten Spektrum Freie, sichere und gerechte Städte Das Europäische Forum für Urbane Sicherheit gestaltet eine nachhaltige europäische Sicherheitspolitik aus Sicht der Kommunen Sechste Efus- Konferenz „Sicherheit, Demokratie und Städte - Zur Koproduktion urbaner Sicherheit“ im November 2017 in Barcelona. © Defus 9 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt von Schwerpunktthemen der Kriminalprävention und der urbanen Sicherheit versammelt. Es bildet den Diskurs europäischer Kommunen zum Thema urbane Sicherheit ab und bietet den Kommunen zugleich Unterstützung und Inspiration. Das Manifest funktioniert wie ein Leitfaden für die Aktivitäten und Maßnahmen lokaler und regionaler Behörden vor Ort. Nach einer einleitenden Bestandsaufnahme der europäischen Sicherheitspolitik aus Sicht der Städte versammelt es in zwölf thematischen Kapiteln Prioritäten, Absichtserklärungen und praktische Empfehlungen von und für die kommunale Sicherheitspolitik. Efus und seine Mitglieder arbeiten mit einer bewusst breiten Definition des Themenfeldes der urbanen Sicherheit. Diskriminierende Gewalt und Gewalt gegen Frauen, Suchtprävention, Organisierte Kriminalität und die Prävention von Radikalisierung gehören ebenso zu den Kernthemen wie Videoüberwachung, Bevölkerungsschutz und die bürgernahe Polizeiarbeit. Deswegen ist ein integrativer Ansatz, der auf umfassenden lokalen Sicherheitsanalysen vor Ort beruht und regelmäßig evaluiert und angepasst wird, eine wichtige Voraussetzung für die nachhaltige Gestaltung von Sicherheit in Städten. Vom Zusammenhang zwischen Menschenrechten, sozialer Ungleichheit und urbaner Sicherheit Die terroristischen Bedrohungen der letzten zehn Jahre und die damit verbundenen Forderungen der Bevölkerung nach Sicherheit setzt politische Entscheidungsträger unter Zugzwang. Die Bürgermeister der Efus-Kommunen rufen dazu auf, der lähmenden Logik der Angst einen ganzheitlichen und optimistischen Ansatz der urbanen Sicherheit entgegenzustellen. Sie fordern, dass politisches Handeln, egal wie dringend, niemals die Achtung der Menschenrechte verletzen darf. Sicherheit ist ein grundlegendes Menschenrecht und zugleich Voraussetzung für ein Minimum an städtischer Lebensqualität. Sie kann aber nur dann gelingen, wenn Sicherheit auf Grundlage der Menschenrechte gestaltet wird. Deshalb verbindet das Manifest alle Sicherheitsthemen unzertrennlich mit der Europäischen Charta der Menschenrechte. Das Manifest steht dafür, dass Sicherheitspolitik auf der Achtung und Verteidigung der Grundrechte jedes Einzelnen, auf rechtsstaatlichen und demokratischen Prinzipien sowie dem Grundsatz des Wohlfahrtsstaates beruhen muss. In Europa sind soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten nach wie vor zu weit verbreitet. Kommunen und Städte müssen dem entgegenwirken und sich für faire und gerechte Städte einsetzen. Denn diese Ungleichheiten erzeugen Ressentiments und verschärfen die Polarisierung der Gesellschaft, die zu Gewalt, Kriminalität oder gewaltbereitem Extremismus führen können.Efus und seine Mitglieder plädieren deswegen dafür, dass Kommunen langfristige integrative Sicherheitsstrategien entwickeln und umsetzen, in denen Fragen des sozialen Zusammenhalts mit Maßnahmen der Prävention und der notwendigen Repression verbunden werden. Bürgerbeteiligung als Schlüssel für urbane Sicherheit In den letzten Jahren kam es in ganz Europa zu einer breiten Diversifizierung der an der Sicherheitspolitik beteiligten Akteure. Private Sicherheitsunternehmen, Nichtregierungsorganisationen und Vertreter der Zivilgesellschaft sowie einzelne Bürger beanspruchen eine zunehmend wichtigere Rolle in diesem Feld. Die Mitgliedskommunen von Efus setzen sich dafür ein, dass alle diese Akteure nicht nur in die Umsetzung, sondern auch in die Gestaltung der Sicherheitspolitik einbezogen werden. Die ganze Zivilgesellschaft in ihrer Vielfalt mit einzubeziehen ist der Schlüssel für unseren stabilen und hohen Sicherheitsstandard in Europa. Dafür bedarf es neuer Mechanismen, die die Zivilgesellschaft in ihrer ganzen Vielfalt berücksichtigt: Insbesondere Frauen, Jugendliche, Senioren und Bevölkerungsgruppen, die von Marginalisierung und Diskriminierung betroffen sind, sollten nicht nur passive Ziele von Präventionsmaßnahmen sein, sondern eine aktive Rolle in der Gestaltung urbaner Sicherheitspolitik spielen. Das Europäische Forum für Urbane Sicherheit (Efus) ist die ist ein Netzwerk von mehr als 250 lokalen und regionalen Körperschaften aus 16 Ländern Europas. Efus bietet Städten und Regionen Raum und Möglichkeiten zur Zusammenarbeit im Rahmen europäischer Projekte sowie ein gemeinsames Sprachrohr zur Vertretung kommunaler Interessen in der europäischen und internationalen Sicherheitspolitik. Das Deutsch-Europäische Forum für Urbane Sicherheit (DEFUS) ist die deutsche Sektion von Efus und bietet den 15 deutschen Mitgliedern eine nationale Plattform für den fachlichen Austausch und für gezielte Unterstützung. Weitere Informationen und Bestellmöglichkeit des Manifests unter www.efus.eu und www.defus.de. EFUS & DEFUS 10 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Was verstehen Sie unter dem Begriff der urbanen Sicherheit? Wenn unsere Bürger sich frei und sicher durch die Stadt bewegen, sich nicht diskriminiert und bedroht fühlen, und das zu allen Tages- und Nachtzeiten, würde ich von einer sicheren Umgebung sprechen. In meinem Arbeitsalltag beschäftige ich mich jede Woche mit Vandalismus durch Graffiti, den Risikofaktoren von Jugendlichen, in Sucht oder Kriminalität abzugleiten und den Bürgern, die sich über Obdachlose und Suchtkranke auf öffentlichen Plätzen beschweren. Und da habe ich mich noch nicht mit dem Ordnungsdienst und Problemen in und um Diskotheken am Wochenende gekümmert. Urbane Sicherheit ist ein breites Thema das von Sauberkeit und Ordnung über Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum, der Prävention von Gewalt gegen Frauen, über Radikalisierung bis hin zu Maßnahmen der Terrorabwehr geht. Und ich finde es wichtig, dass wir dieses Thema auch in seiner Breite betrachten und ihm mit einem integrativen Ansatz begegnen, der Fragen des sozialen Zusammenhalts, von Prävention und Repression zusammendenkt. Wie gelingt urbane Sicherheit? Wir haben in Deutschland und insgesamt auch in Europa das Glück, in friedlichen Städten zu leben. Das Sicherheitsniveau ist bei uns sehr hoch. Aber Sicherheit ist keine Selbstverständlichkeit: Sicherheit will erarbeitet, koordiniert und dauerhaft erhalten werden. Die Herausforderungen, mit denen wir alltäglich konfrontiert sind, zum Beispiel in den Bereichen gewaltbereiter Extremismus, organisierte Kriminalität, Drogenhandel oder Cyberkriminalität entwickeln sich ständig und rasant weiter. Um ihnen weiterhin effektiv entgegentreten zu können, müssen sich auch unsere Gegenstrategien - insbesondere unsere Präventionsmaßnahmen, ständig weiterentwickeln. Wir brauchen innovative Ansätze, die wir mit allen beteiligten Akteuren gemeinsam entwickeln, umsetzen und stetig verbessern. Hier können wir im Austausch mit unseren Kollegen aus anderen europäischen Städten, aber auch mit Wissenschaftlern und der Zivilgesellschaft viel lernen. Sicherheit ist ja eigentlich eine hoheitliche Aufgabe, die von der Polizei erfüllt werden muss. Welche Rolle und Aufgaben haben Kommunen? Sicherheit ist im Grundsatz eine staatliche Aufgabe, in der öffentlichen Diskussion sind aber die Städte und Gemeinden die ersten Ansprechpartner, wenn es um Missstände geht. Die Rolle der Städte und Gemeinden in der Gewährleistung der Sicherheit wird dennoch kaum diskutiert. Dabei sind sie es gerade, die in einem hohen Maße Sicherheit für alle dort lebenden Menschen gewähren. Sauberkeit und Ordnung werden durch die Kommunen organisiert und sind die Basis der urbanen Sicherheit. Aber die meisten unserer DEFUS-Mitglieder leisten darüber hinaus eine wertvolle und wichtige Arbeit in der kommunalen Prävention, die als Austausch und Diskussionsplattform alle Akteure in den Städten an einen Tisch bringt, Projekte umsetzt und Bürgerbeteiligung ermöglicht. Denn die Prävention ist die vernünftige und effiziente Antwort auf Kriminalität und Unsicherheit und das haben viele Städte erkannt. Urbane Sicherheit Interview mit Dirk Wurm, Ordnungsreferent der Stadt Augsburg und neuer Vorsitzender des Deutsch-Europäischen Forums für Urbane Sicherheit Das Deutsch-Europäische Forum für Urbane Sicherheit e. V. (DEFUS) ist der deutsche Zweig des Europäischen Forums für Urbane Sicherheit (EFUS). Das Städtenetzwerk mit 17 deutschen Mitgliedsstädten öffnet seinen Mitgliedern die Tür nach Europa, bündelt Interessen und erleichtert den Zugang zu Fördermitteln. DEFUS ist für die Akteure der kommunalen Sicherheits- und Präventionsarbeit eine lebendige Plattform für den praxisrelevanten Austausch und eine unbürokratische Zusammenarbeit. Die DEFUS-Mitglieder haben im Juni 2018 Dirk Wurm, Referent für Ordnung und Sport der Stadt Augsburg, zum Vorsitzenden und Christian Kromberg, Beigeordneter der Stadt Essen, zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Dirk Wurm, Ordnungsreferent der Stadt Augsburg. © Augsburg 11 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Leider steht die Prävention in der politischen Diskussion meist noch weit hinter präferierten technologischen Sicherheitslösungen. Das ist in meinen Augen Symbolpolitik. Da muss auch auf kommunaler Ebene noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden. Prävention als kommunale Aufgabe: Wie genau sieht das bei Ihnen in Augsburg aus? Der Kommunale Präventionsrat Augsburg (KPR), der sich 2007 gründete, hat die Kriminalprävention in den letzten zehn Jahren fest in der Stadt Augsburg verankert. Die Geschäftsstelle des KPR hat sich mittlerweile zu einem Büro für Kommunale Prävention weiterentwickelt. Wir wollen den Präventionsgedanken als gesamtgesellschaftliches Handlungsfeld in kommunalen Strukturen etablieren. Das Büro für Kommunale Prävention ist in meinem Referat als Stabsstelle angesiedelt. Es umfasst drei Arbeitsfelder. Dazu gehören  die themenbezogene Arbeit des Kommunalen Präventionsrates,  die kommunale Prävention als Querschnittsthema und Beratungsfeld sowie  die sozialräumliche Präventionsarbeit. Die kommunale Prävention wurde unter meiner Führung noch stärker auf die Sozialräume ausgerichtet. Ziel ist, die Menschen in ihren Quartieren noch besser mit der Präventionsarbeit zu erreichen. Dazu gehören eine sozialräumlich ausgerichtete Radikalisierungsprävention, Konzepte zur Verbesserung der Lebensbedingungen in den Stadtteilen und kommunale Präventionsstrategien zur Schaffung sicherer Lebenswelten vor Ort. Ein Diskurs über Sicherheit als ein gemeinschaftliches Gut steht dabei mehr denn je im Mittelpunkt der Ausrichtung der Präventionsarbeit in Augsburg. In Augsburg ist die kommunale Kriminalprävention schon sehr ausgereift. Wie ist das gelungen? Ausgestattet mit einem wirkungsmächtigen Lenkungsgremium unter dem Vorsitz des Oberbürgermeisters hat der Kommunale Präventionsrat (KPR) die volle Unterstützung der Verwaltung und ist strukturell verankert. Das ist ganz wichtig für eine nachhaltige und erfolgreiche kommunale Präventions- und Sicherheitsarbeit. Kriminalprävention ist in Augsburg nicht optional. Der Stadtrat und die Stadtverwaltung haben sich 2007 via Erklärung dazu verpflichtet, bei allen grundsätzlichen Entscheidungen, die kriminalpräventive Aspekte berühren, den KPR einzuschalten und deren Einschätzung zum Sachverhalt einzubeziehen. Das ist bundesweit einmalig und zeigt, dass Kriminalprävention in Augsburg sehr ernst genommen wird. Wie wird die kommunale Präventionsarbeit von Seiten der Landes- und Bundesregierung unterstützt? Und was bräuchten Städte noch? Die Landschaft der sicherheitspolitischen Akteure hat sich in den vergangenen Jahren sehr ausdifferenziert. Neben den öffentlichen Einrichtungen und der Verwaltung, den Strafverfolgungs- und Justizbehörden leisten heute auch private Sicherheitsdienstleister sowie zivilgesellschaftliche Initiativen, Vereine und Institutionen wichtige Beiträge zur urbanen Sicherheit. Dazu kommt die Forschung, die insbesondere für die Innovation und die Evaluierung eine wichtige Rolle spielt. Die Politik auf Bundes- und Landesebene muss heute die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass all diese Akteure produktiv zusammenarbeiten können, um die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten. Wir brauchen dringend eine Präventionsstrategie der Bundesregierung, die die Rolle der Kommunen anerkennt. Förderzyklen von drei Jahren oder sogar weniger sind im Bereich der Prävention und Sicherheit wenig hilfreich. Auch da könnte eine mit allen Ressorts abgestimmte Präventionsstrategie auf Bundesebene entgegenwirken. Ich würde mir wünschen, dass Kommunen auch inhaltlich entlastet würden, zum Beispiel durch die Stärkung von Präventionsgremien auf Landesebene, die Kommunen beraten und konkret mit Materialien zu aktuellen Themen etc. unterstützen. Das läuft nicht in allen Bundesländern gleich gut und in Bayern haben wir gar kein Präventionsgremium auf Landesebene. Wie haben die Terrorangriffe in europäischen Städten der letzten zehn Jahre Ihre Arbeit verändert? Wie können Städte den damit verbundenen Herausforderungen begegnen? Die Abwehr von terroristischen Anschlägen ist keine originäre Aufgabe der Städte. Insbesondere die finanziellen Belastungen, zum Beispiel Sicherung von Großveranstaltungen, dürfen nicht auf die Städte abgewälzt werden. Die Prävention bei Radikalisierung sowie politischem und religiös begründetem Extremismus ist ein entscheidender Faktor für die langfristige Gewährleistung von Sicherheit im öffentlichen Raum, da sind wir uns in Augsburg sicher. Deswegen verfolgen wir einen ganzheitlichen Ansatz, der präventive städtebauliche Maßnahmen mit sozialen und politischen Präventionsmaßnahmen kombiniert. Darin sehen wir die Voraussetzung für die Herstellung tatsächlicher und gefühlter Sicherheit im öffentlichen Raum. 12 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch auf einen angstfreien Aufenthalt auf den Straßen und Plätzen unserer Städte. Zwar können mögliche Risiken, wie Terror und Gewalt, durch die Polizei und die Kommunen minimiert werden, aber absolute Sicherheit kann in einer freien Gesellschaft nicht garantiert werden - auch nicht durch Poller und Absperrmaßnahmen. Wir dürfen uns davon nicht beeinflussen lassen und müssen weiter Kultur, Sport und Feste im öffentlichen Raum besuchen und genießen. Nur so ist zu verhindern, dass das eigentliche Ziel von Anschlägen, unser freies und offenes gesellschaftliches Leben durch Angst einzuschränken, erreicht werden kann. Dies macht resiliente Städte und Bürger aus. Welche Herausforderungen sehen Sie in der Zukunft für die Sicherheit in Städten? Die Sicherheit war in den Kommunen früher kein so wichtiges Thema, das hat sich in den letzten Jahren deutlich geändert und zwar sowohl in unserer Rolle als Genehmigungsbehörde als auch als Veranstalter. In den letzten Jahren erleben wir viele Veränderungen, die sich gegenseitig befeuern und befördern, wie terroristische Anschläge auf unsere Lebensweise, Einwanderung und Migration, die Folgen der Globalisierung und eine deutliche Verschiebung des politischen Diskurses. Das alles ängstigt unsere Bürger und führt zu einem subjektiven Unsicherheitsgefühl, das aber eigentlich nicht mit den realen Gefahren bei uns vor Ort zu tun hat - die sind nämlich gering. Dennoch beobachten wir eine Übersensibilität, die sich auch in einer Zunahme der Abgrenzung von „Wir“ und „Ihr“ und der Polarisierung der Gesellschaft zeigt. Das macht mir Bauchschmerzen, denn in der Forschung wurde genau das als eine Ursache von Radikalisierung festgemacht. Da müssen wir dranbleiben und die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zusammenbringen. Ein Dauerthema sind für mich auch Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum. Nicht jedes Ordnungsvergehen und jede Ruhestörung ist ein Sicherheitsproblem, genauso wenig wie obdachlose Menschen. Zugleich stelle ich in Augsburg fest, dass die Regeln des Zusammenlebens immer weniger akzeptiert werden und die gegenseitige Toleranz abgenommen hat. Wir müssen wieder stärker in den Dialog mit den Bürgern gehen. Städte und vor allem Innenstädte müssen lebendig bleiben und Platz für alle Bürger bieten. Warum ist es sinnvoll, wenn Städte in Europa bei Sicherheitsfragen zusammenarbeiten? Kommunen und Städte in Europa sind vielfach mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert. Das gilt nicht nur für den Bereich der Sicherheitspolitik - Migration und Integration, soziale Spaltung, die Schaffung von ausreichend Wohnraum sind weitere Beispiele. Überall werden Strategien zum Umgang mit diesen Themen entwickelt. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Die Radikalisierungsprävention ist ein Thema, das für viele Kommunen noch neu ist. Bei Efus hat sich früh eine Gruppe von Städten gebildet, dazu gehörten neben Augsburg zum Beispiel Brüssel, Barcelona, Bordeaux oder Lüttich, die vorangegangen sind und im europäischen Kooperationsprojekt Local Institutions against Violent Extremism (LIAISE) gemeinsam ihre Strategien diskutiert und weiterentwickelt haben. Natürlich funktioniert nicht alles überall auf die gleiche Weise, aber im Austausch miteinander - auch über politische Unterschiede hinweg - haben wir alle für unsere tägliche Arbeit vor Ort viel profitieren können. Ein anderer Aspekt ist das Lobbying. Die kommunale Perspektive muss auf der nationalen und der europäischen Ebene noch viel mehr Gehör finden. Die Arbeit der Praktikerinnen und Praktiker vor Ort, bei uns in Augsburg aber auch in den anderen Kommunen, braucht politisch mehr Würdigung und Unterstützung. Das können wir nur gemeinsam, als Forum europäischer Städte erreichen. Weder Überwachungsmaßnahmen, noch Absperrungen, noch hohe Polizeipräsenz können eine wirklich absolute Sicherheit schaffen. © pixabay 13 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Obwohl die Erdoberfläche zum größten Teil mit Wasser bedeckt ist, steht vielen Menschen sauberes Wasser nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung. Welches sind die größten Probleme bei der Wasserversorgung? Übernutzung? Verschmutzung? Wir sollten zunächst bedenken, dass 71 % der Erdoberfläche mit Wasser bedeckt ist. Von diesem Wasser sind 97,5 % Salzwasser, dessen Salzkonzentrationen so hoch sind, dass es nicht als Trinkwasser, zur Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen oder zur industriellen Produktion verwendet werden kann. Nur 2,5 % sind Süßwasser. Davon sind bis zu 68,7 % Wasser allein in Gletschern, in der Arktis und Antarktis in Eis und Schnee gebunden und für uns unzugänglich. Auch 30 % des im Grundwasser vorhandenen Süßwassers sind nicht zugänglich, da sie zu tief im Untergrund liegen. 0,3 % des Süßwassers befinden sich in Oberflächengewässern wie Flüssen, Seen und Bächen und ein sehr kleiner Teil in der Atmosphäre, in lebenden Organismen und Pflanzen. 10 % des verfügbaren Süßwassers werden für den privaten Gebrauch in Haushalten zur Trinkwasserversorgung und -hygiene, 70 % für die Landwirtschaft und 20 % für die industrielle Produktion verwendet. Solange die natürlichen Selbstreinigungskräfte des Wassers funktionieren konnten, reichte das Wasser aus, um die menschlichen Bedürfnisse mit geringem oder gar keinem Behandlungsaufwand zu befriedigen. Die Übernutzung durch zu sorglosen Umgang mit Süßwasser und vor allem, wenn nicht darauf geachtet wird, dass nur so viel Wasser aus Grundwasserleitern entnommen wird, wie die Natur wieder auffüllen kann, ist heute ein großes Problem in der Welt. Aber auch die Verschmutzung des Süßwassers ist dramatisch. Der jahrhundertelange Bergbau, Abwässer aus der industriellen Produktion, der übermäßige Einsatz von Pestiziden, Düngemitteln und die Verteilung von Gülle auf den Feldern belasten zunehmend auch Flüsse, Seen und das Grundwasser. Beide Probleme sind für die Wasserversorgung bedrohlich, beides muss vermieden werden. Die größte Gefahr besteht für die Menschen in den Slums und in armen ländlichen Gemeinden in Lateinamerika, Asien und Afrika. Immer mehr Menschen fliehen vor den Folgen von Klimawandel und Hunger in die Armenviertel, die sich am Rande der meisten Großstädte der Entwicklungsländer gebildet haben. Da ihre traditionellen Wasserquellen trocken oder verschmutzt sind und sie sich die teure, kürzlich privatisierte Wasserversorgung nicht leisten können, trinken diese Menschen Wasser, das durch ihren eigenen unbehandelten Kot und durch Giftstoffe aus der industriellen Produktion verunreinigt ist. Welche Interessensgruppen nehmen Einfluss auf die Wasserreserven? Das sind zum einen genau die, die ich bereits oben beschrieben habe: die Menschen, die alle täglich sauberes Trinkwasser benötigen, Industrie, Land- und Forstwirtschaft, einschließlich Tier- und Die kostbare Ressource Wasser Ein Gespräch mit Maude Barlow, Wasseraktivistin und Trägerin des Alternativen Nobelpreises Christa Hecht Die Kanadierin Dr. Maude Barlow ist seit 30 Jahren Vorsitzende der Bürgerrechtsbewegung Council of Canadians mit über 100 000 Mitgliedern. Sie ist Vorstandsmitglied des International Forum on Globalization und Mitbegründerin der Umweltschutzbewegung Blue Planet Project sowie Mitglied im World Future Council. Im Jahr 2005 hat sie den Right Livelihood Award (Alternativer Nobelpreis) erhalten. In der Zeit von 2008 bis 2009 war sie Beraterin des Präsidenten der UN- Generalversammlung in Wasserfragen. Bild 1: Dr. Maude Barlow. © Barlow 14 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Pflanzenzucht, aber auch die meisten Dienstleister, Krankenhäuser, Arztpraxen und so weiter. Jeder Mensch braucht sauberes Wasser für sein Überleben, für die Hygiene, bei der Herstellung von Waren. Und auch die Produktionsfirmen für Getränke, Tafel- und Mineralwasser bilden eine große Interessengruppe, die Zugang zu den Wasserreserven hat. Solche Konflikte sind im Film „Bottled Life“, an dem ich beteiligt war, beeindruckend zu sehen, in dem es um die Nutzungskonflikte der lokalen Wasserressourcen zwischen der Bevölkerung und Nestlé geht. Die Kommerzialisierung erschwert auch den Zugang zu Wasser, insbesondere für diejenigen, die kein Geld haben. Viele arme Länder wurden von der Weltbank aufgefordert, die Wasserversorgung an private, gewinnorientierte Unternehmen zu vergeben. Einige Staaten versteigern sogar ihre Wasserrechte an internationale Bergbauunternehmen, die dann das Wasser besitzen, das zuvor allen gehörte. Und viele Staaten etablieren Wassermärkte, in denen Wasserlizenzen - oft im Besitz von Privatunternehmen oder Industriebetrieben - gehortet und gehandelt werden, auch auf dem internationalen Markt. In Deutschland gibt es, wie mir gesagt wurde, ein sehr umfangreiches Wassergesetz, das vorschreibt, dass die Trinkwasserversorgung der öffentlichen Wasserwirtschaft immer Vorrang hat und dass die Verwendung von Wasser genehmigt werden muss. Und ich habe von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts gehört, in denen es bereits vor mehr als 30 Jahren ausdrücklich heißt, dass die gewinnorientierten Interessen von Privatpersonen in den Hintergrund treten müssen, wenn die öffentliche Trinkwasserversorgung durch die private Nutzung leiden könnte. Das ist vorbildlich und leider in vielen anderen Ländern der Welt nicht so geregelt. Warum haben selbst Länder mit großen Wasservorräten Wasserprobleme? Tatsächlich gibt es kein wasserreiches Land der Welt, das nicht in Schwierigkeiten ist. Die Probleme beschränken sich nicht nur auf die südliche Hemisphäre. Je größer die Einkommensunterschiede in den Industrieländern sind, desto häufiger wird das Wasser für die Armen abgeschnitten. Zehntausende Einwohner Detroits haben kein fließendes Wasser, weil sie sich die hohen Tarife nicht leisten können. Die Arbeitslosenquote in den betroffenen Gemeinden liegt bei 50 %. Die Bewohner sind gezwungen, Wasser mit Schläuchen aus benachbarten Grundstücken zu beziehen oder Wasserkanister in öffentlichen Toiletten zu füllen. Es ist schon einmal vorgekommen, dass ein Jugendamt Kinder in Pflege nahm, nur weil es in ihrem Haus kein fließendes Wasser gab. Auch in Europa sind immer mehr Bürger von der Wasserversorgung abgeschnitten, weil Sparmaßnahmen die Kosten der Grundversorgung so stark in die Höhe getrieben haben, dass viele sie sich nicht mehr leisten können. Die Kommerzialisierung der Wasserversorgung hat verheerende Folgen für all diejenigen, die Wasser brauchen, aber zu wenig Geld haben. Private Unternehmen und ihre halbstaatlichen Entsprechungen müssen erhebliche Gewinne aus den Dienstleistungen herausschlagen, die ein echter öffentlicher Dienstleister ohne Gewinn bereitstellt. So reduzieren sie die Zahl der Mitarbeiter, begrenzen die Dienstleistungen, sparen beim Umweltschutz oder erhöhen die Wassergebühren. Auch Städte und Gemeinden in Nordamerika und Europa haben solche Erfahrungen mit der Privatisierung gemacht. Obwohl diese Maßnahmen ihnen von der Weltbank nicht auferlegt wurden, scheuen viele Kommunen in Zeiten knapper Kassen die Ausgaben für die dringend benötigte Infrastruktur. Investitionen von Privatunternehmen sind unter diesen Bedingungen sehr willkommen. Doch noch lange Die Gewässer sind nachhaltig zu bewirtschaften, insbesondere mit dem Ziel, ... 4. bestehende oder künftige Nutzungsmöglichkeiten insbesondere für die öffentliche Wasserversorgung zu erhalten oder zu schaffen. Urteil zum Vorrang der öffentlichen Wasserversorgung: Bundesverfassungsgericht - Urteil zur Nassauskiesung - Beschluss des Ersten Senats vom 15. Juli 1981 - 1 BvL 77/ 78 - (BVerfGE 58, 300) WASSERHAUSHALTSGESETZ: § 6 ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE DER GEWÄSSERBEWIRTSCHAFTUNG ABS. 1 Bild 2: Das Salzwasser der Meere ist nicht als Trinkwasser, zur Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen oder zur industriellen Produktion geeignet. © C. Hecht 15 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview nachdem sich diese Investitionen bezahlt gemacht haben, sorgen die hohen Verbrauchergebühren für einen angemessenen Gewinn des Unternehmens. Food & Water Watch stellte fest, dass private Wasserunternehmen 33 % mehr für Wasser und 63 % mehr für die Abwasserentsorgung verlangen als kommunale Unternehmen. Darüber hinaus steigen die Wasserpreise privater Unternehmen im Laufe der Jahre rapide an. Dennoch greifen viele europäische Länder unter dem Gebot staatlicher Sparmaßnahmen zum Verkauf ihrer Wasserunternehmen, wodurch zukünftige Generationen mit extrem hohen Wassergebühren belastet werden und den Wasserunternehmen sichere Gewinne garantiert werden. Wozu führen die globalen Warenströme in Hinsicht auf sogenanntes „Virtuelles Wasser“? Rund 90 % des Wassers werden von der stark wasserabhängigen Rohstoffindustrie genutzt - vor allem von der Agrarindustrie, aber auch von Warenproduzenten, dem Bergbau, der Öl- und Gasindustrie, Zellstoff- und Papierfabriken und den großen Stromerzeugern. In den meisten Ländern fallen für „Rohwasser“ geringe oder keine Gebühren an. Der Grund dafür ist, dass der Zugang zu billigem Wasser die wichtigsten Unternehmensinteressen berührt und nur wenige Regierungen bereit zu sein scheinen, sich mit ihnen anzulegen. Das in der Landwirtschaft verwendete Wasser geht meist für immer für das Einzugsgebiet verloren. Mit dem Verkauf von Agrarprodukten in andere Regionen oder sogar Kontinente kehrt es nicht mehr in den lokalen Wasserkreislauf zurück. 140 Liter werden für eine Tasse Kaffee und 2400 Liter für einen Hamburger verwendet. Der globale Handel mit Lebensmitteln veranlasst Staaten und Bevölkerungsgruppen, sich auf die Wasserressourcen anderer Staaten und Regionen zu verlassen, um ihren Bedarf zu decken. Virtuelles Wasser ist in allen Dienstleistungen und Produkten enthalten, von der Energie bis zur Kleidung. Die Produktion eines T-Shirts benötigt 2400 Liter Wasser, auch die Produktion eines Computerchips benötigt viel Wasser und noch mehr die Kühlung beim Betrieb der gigantischen „Serverfarmen“ in riesigen Gebäudekomplexen. In einer Welt, die unter Wasserknappheit leidet, ist der Import wasserintensiver Produkte eine geheime Machtquelle für einen Staat, da er seine eigenen Wasserressourcen schonen kann. So ist beispielsweise Deutschland, das nicht unter Wasserknappheit leidet, ein Nettoimporteur von virtuellem Wasser. In Ländern wie Brasilien, der Elfenbeinküste und Indien, wo Kaffee, Baumwolle und andere Waren eingekauft werden, hinterlässt es einen Wasserabdruck. Zwei Drittel des Wasserfußabdrucks Großbritanniens stammen aus Importen, ebenso stammt der größte Teil des Wasserfußabdrucks Saudi-Arabiens und Japans aus Importen. Reiche Länder sind in der Lage, ihre Wasserversorgung zu sichern, indem sie wasserintensive Produkte aus anderen Ländern beziehen. Welche Auswirkungen wird der Klimawandel auf die weltweiten Wasservorräte haben? Wasser ist ein wesentliches Element des Klimawandels, und auf der anderen Seite beeinflusst der Klimawandel bereits die regionalen Wasserressourcen. Entscheidend ist jedoch, wie wir mit Wasserressourcen und anderen natürlichen Ressourcen umgehen, die sich auf das Klima auswirken. In China sind seit 1990 durch menschliche Eingriffe mehr als die Hälfte der Flüsse verschwunden. Obwohl Brasilien als das Land mit dem meisten Wasser der Welt gilt, herrscht im Süden eine große Dürre, weil im Amazonasgebiet so viel Regenwald abgeholzt wurde. Und auch Nordamerika steckt in großen Schwierigkeiten, wie insbesondere in Kalifornien, wo es drei Jahre lang nicht geregnet hatte. Kanada und die Vereinigten Staaten gehören beide zu den zehn wasserreichsten Ländern der Welt, aber in Alberta geht uns das Wasser aus. Die Großen Seen ziehen sich zurück. Der Winnipeg-See, der zehntgrößte See der Welt, ist das am stärksten bedrohte Binnengewässer der Welt. Nach der neuesten Grundwasserstudie ist zu befürchten, dass die Großen Seen in Nordamerika in 80- Jahren ganz verschwinden. Ursachen sind Klimawandel und Übernutzung. So wird beispielsweise Bild 3: Wasser formte die Höllentalklamm. © M. Mautsch 16 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview der Ogallala Aquifer in Kalifornien zur Bewässerung großer landwirtschaftlicher Flächen und zur Wasserversorgung von Megastädten in jeweils wasserarmen Regionen genutzt. In Teilen Europas und Deutschlands regnete es im vergangenen Sommer wochen- und monatelang nicht, es herrschte Dürre und Wasserknappheit. Die Wasserstände in Flüssen und Seen sind noch sehr niedrig. In mehr als 100 Ländern verbreiten sich Wüsten rasant. Die Sahara breitet sich in alle Richtungen aus und betrifft Tunesien, Marokko und Algerien. Der Savannengürtel im Sahel schrumpft und bedroht Nigeria, das bevölkerungsreichste Land Afrikas. Der Tschadsee ist zu 90 % ausgetrocknet und gefährdet die Lebensgrundlage von 30 Mio. Westafrikanern. In Zentralasien mussten Hunderttausende Menschen wegen der Austrocknung des Aralsees ihre Heimat verlassen. Wie groß ist die Gefahr von zunehmenden Konflikten um die Ressource Wasser? Die große Frage unserer Zeit ist, ob wir um die schwindenden Ressourcen unseres Planeten konkurrieren werden, was unweigerlich zu einem Krieg führen wird, oder ob wir darin eine Chance für Zusammenarbeit und Frieden sehen werden. Wasserknappheit, verschmutztes Wasser, Überschwemmungen können Staaten destabilisieren und regionale Spannungen verschärfen. In Flussregionen, insbesondere im Mittleren Osten, Asien und Afrika, kann Wasser zu einer Waffe der Nachbarn am Oberlauf von Flüssen werden, indem der Durchfluss verringert oder ganz blockiert wird. Ob in Zentral- oder Südostasien, es gibt regionale Spannungen zwischen den Nachbarn, die das Wasser der Flüsse für die Versorgung ihrer schnell wachsenden Bevölkerung beanspruchen. Im Nahen Osten ist Wasser seit Jahrzehnten Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen und wird als Kriegswaffe eingesetzt. Pläne zum Bau von 23 Dämmen am Oberlauf des Euphrat und Tigris entlang der türkisch-syrischen Grenze bedrohen die Region. In Ägypten spielten die Privatisierung von Wasser sowie Umleitungen zugunsten der Reichen eine wichtige Rolle beim Ausbruch des „Arabischen Frühlings“. Auch in Syrien war kriminelle Misswirtschaft rund um das Wasser eine der tieferen Ursachen für den Aufstand. Im gesamten Gazastreifen gibt es kein sauberes Wasser und die Krise stellt eine Bedrohung für die Wasserressourcen in der gesamten Region dar. Forscher der Oregon State University fanden jedoch heraus, dass Wasserkonflikte zwischen zwei oder mehr Ländern in den letzten 50 Jahren zu viel mehr Kooperation als zu gewalttätigen Konflikten geführt haben. Und eine Gruppe von Wissenschaftlern bewies, dass Streitigkeiten um Wasser, auch zwischen bitteren Feinden, in der Regel friedlich beigelegt werden. Denn Wasser ist viel zu wichtig, um es im Streit zu verlieren. Wasser hat sogar zu vertrauensbildenden Maßnahmen und stärkeren Interaktionen zwischen den Konfliktparteien beigetragen. Das gibt Anlass zur Hoffnung. Wie lässt sich der Anspruch auf sauberes Trinkwasser und auf Sanitärversorgung als Menschenrecht begründen? Die Menschenrechte auf Wasser und sanitäre Einrichtungen ergeben sich aus dem Recht auf einen angemessenen Lebensstandard sowie dem Recht auf Leben und Menschenwürde. Jahr für Jahr sterben mehr Menschen an verunreinigtem Wasser als an Gewalttaten, einschließlich Kriegen. Diejenigen, die ihr Leben ohne sauberes Wasser führen müssen, sind in vielerlei Hinsicht beeinträchtigt, und ihr Recht auf Leben, Gesundheit und Würde ist massiv bedroht. In vielen Ländern verbringen Frauen fünf bis sechs Stunden am Tag damit, Wasser zu holen, oft unterstützt von ihren Töchtern, die daher nicht zur Schule gehen können. In der heutigen Welt können wohlhabende Menschen und Unternehmen so viel Wasser konsumieren, wie sie wollen, während Millionen Menschen leer ausgehen, weil sie es sich nicht leisten können oder weil nicht genügend Wasser verfügbar ist. Das Recht auf Wasser bedeutet, den Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitären Einrichtungen für den persönlichen, privaten Gebrauch zu gewährleisten. Damit sollen die Regierungen in die Pflicht genommen werden, die Wasserversorgung und Bild 4: Regierungen sollten in die Pflicht genommen werden, die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung ihrer Bürger zu gewährleisten und Schäden an den Wasserressourcen zu verhindern. © C. Hecht 17 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Abwasserentsorgung ihrer Bürger zu gewährleisten und Schäden an den Wasserressourcen zu verhindern. Es geht um Gerechtigkeit, nicht um Nächstenliebe. Vor über sieben Jahren hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen (VN) mit der Resolution A/ 64/ 292 dieses Menschenrecht anerkannt. Wie weit ist die Umsetzung bisher gelungen? Gibt es Fortschritte? Die Kampagne über zwei Jahrzehnte hinweg war ein harter Kampf gegen Rückschläge und gegen Interventionen seitens der Mineralwasserindustrie und der Unternehmen, der Weltbank, des Weltwasserforums und einiger Regierungen der Ersten Welt, darunter Kanada, die USA und Großbritannien. Deutschland verhielt sich ganz anders. Das Land hat das Menschenrecht auf Wasser und sanitäre Grundversorgung von Anfang an unterstützt. Dafür sind wir sehr dankbar. Inzwischen haben vier Dutzend Staaten das Recht auf Wasser in ihrer nationalen Verfassung verankert oder in den Rechtsrahmen aufgenommen. Im Jahr 2015 wurde die Anerkennung der Menschenrechte auf dem Gebiet der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung einstimmig in den endgültigen Text der Agenda der Vereinten Nationen 2030 (Sustainable Development Goals - SDGs) durch die Vereinten Nationen aufgenommen. Dies war das Ergebnis unermüdlicher Bemühungen zivilgesellschaftlicher Gruppen, darunter eine Petition, die von 621 Organisationen aus der ganzen Welt unterzeichnet wurde. All dies ist fragil und alles ist gefährdet, wenn die Kontrolle über das Wasser und die Entscheidungen über den Zugang zu Wasser auf Privatpersonen oder transnationale Unternehmen übertragen werden, die es nicht als ihre Aufgabe ansehen, Wasser für die Armen bereitzustellen. Und ich glaube nicht eine Minute lang, dass all diese Probleme weit von uns entfernt sind. Wir alle stehen vor einer äußerst kritischen Situation mit sinkender Wasserversorgung, wachsender Armut und steigenden Wasserpreisen. Die Weltbank und die großen privaten Wasserversorger sind nach wie vor aggressiv hinsichtlich der Förderung der privaten Wasserversorgung im globalen Süden. Fehlt in vielen Ländern noch der politische Wille zum Schutz des Wassers? Es gibt zwar Anzeichen von Hoffnung, aber es gibt auch wesentliche Gründe für die langsamen Fortschritte bei der Verwirklichung der Menschenrechte in den Bereichen Wasser und Abwasser. Viele Regierungen haben andere Prioritäten, sie geben Lippenbekenntnisse zu diesen Rechten ab, ignorieren sie offen oder agieren noch schlimmer. Am gravierendsten ist, dass sich die meisten Regierungen - und auch globale Finanzinstitutionen wie die Weltbank - weiterhin an eine makroökonomische und industrielle Politik halten, die lokale Wasserquellen zerstört und den Unternehmen mehr Rechte gibt als den Armen. Der weltweite Absatz von abgefülltem Wasser steigt jährlich um rund 8 %. Im vergangenen Jahr stieg der Verbrauch um 465 Mrd. Liter. Der Wasserhandel wächst in vielen Ländern. Dies ist ein Prozess, bei dem das öffentliche Gut Wasser in eine Ware umgewandelt wird, die auf dem freien Markt gekauft und verkauft wird. Auch der Handel mit Rechten zur Wasserverschmutzung nimmt zu. Auf diese Weise können Verursacher die Umwelt weiter belasten. Sie zahlen für das Recht, die Umweltverschmutzung aufrechtzuerhalten oder über ihren derzeitigen Verschmutzungsgrad zu verhandeln. Viele Regierungen bevorzugen Militär- und Sicherheitsausgaben gegenüber der Bereitstellung von Grundversorgungsleistungen für ihre Bevölkerung. Die globalen Militärausgaben belaufen sich heute auf 1,76- Billionen Dollar pro Jahr. Das ist deutlich mehr als die 10 Mrd. bis 30 Mrd. Dollar pro Jahr, die nach Schätzungen der UNO gebraucht würden, um eine Grundversorgung mit Wasser bereitzustellen. Von besonderer Bedeutung ist die neue Generation von Handelsabkommen, die den Unternehmen Bestes Trinkwasser aus der Leitung statt aus der Flasche. © M. Mautsch 18 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview das Recht einräumen, gegen Regierungen zu klagen, die ihre Wasserressourcen schützen wollen, um so Gesundheit und Wohlergehen ihrer Bevölkerung zu erhalten. Die Bestimmungen des Investor-State Dispute Settlement (ISDS) behandeln Unternehmen und Regierungen im Wesentlichen als gleichwertig und privatisieren das Streitbeilegungssystem zwischen den Nationen. Unternehmen haben diesen Mechanismus bereits genutzt, um in über 600 Fällen Regierungspolitik zu unterlaufen und in einer Reihe von Fällen Gesetze oder Vorschriften zum Schutz von Wasser und dem Menschenrecht auf Wasser anzufechten. Dazu gehören beispielsweise das Vorgehen gegen die Anordnung einer Regierung, die Obergrenze für den Wasserpreis festzulegen, damit auch der ärmere Teil der Bevölkerung Zugang zur Wasserversorgung hat, gegen ein Fracking-Moratorium und gegen ein Verbot von Rasen-Pestiziden. Erfolgreich beschieden wurde sogar die Entschädigungsforderung eines Unternehmens, das seine „Wasserrechte“ nicht mehr nutzen konnte, als es seinen Betrieb aufgab. Ein weiteres systemisches Problem, das der Umsetzung beim Menschenrecht auf Wasser und auf sanitäre Einrichtungen im Wege steht, ist die Macht, die transnationale Unternehmen gegenüber internationalen Institutionen, insbesondere der UNO und der Weltbank, haben. Was hat sich die Initiative „Blue Communities“ zum Ziel gesetzt? Die Initiativbewegung der Blue Communities ergreift Maßnahmen zum Schutz des Wassers als Allgemeingut und als öffentliche Aufgabe. Dieses Projekt ermutigt Gemeinden und Organisationen, vier Prinzipien zu übernehmen: Anerkennung von Wasser und sanitären Einrichtungen als Menschenrechte. Förderung der öffentlich finanzierten, in eigener Verantwortung betriebenen Wasser- und Abwasserdienstleistungen, Verbot oder schrittweise Einstellung des Verkaufs von abgefülltem Wasser in kommunalen Einrichtungen und bei kommunalen Veranstaltungen, die Entwicklung internationaler Öffentlich-Öffentlicher Partnerschaften. Wenn sich eine Gemeinschaft verpflichtet, diese Grundsätze auf lokaler Ebene einzuhalten, trägt sie dazu bei, den Zugang zu sauberem Wasser und zu grundlegender Abwasserentsorgung für alle Menschen, eine nachhaltige Nutzung, gerechte Verteilung und angemessene Behandlung zu verwirklichen, um Wasser für die Natur und zukünftige Generationen zu erhalten. Die Gemeinschaften unterstützen mit diesen Grundsätzen die Umsetzung des Beschlusses der Vereinten Nationen. Wie groß ist das Netzwerk inzwischen? Weltweit? Der Council of Canadians, das Blue Planet Project und die Kanadische Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst (Canadian Union of Public Employees - CUPE) haben 2009 das Blue Communities Project initiiert. Eau Secours ist Partner des Blue Communities Project in Quebec. Die Blue Communities-Bewegung ist international gewachsen, Paris in Frankreich, Bern in der Schweiz und andere Gemeinden auf der ganzen Welt werden „blau“. Schulen, Religionsgemeinschaften und religiöse Gruppen haben ebenfalls diese Prinzipien angenommen, die Wasser als Gemeingut behandeln, das allen gehört und in der Verantwortung aller liegt. Mittlerweile gibt es weltweit etwa 50 Blue Communities, und zuletzt haben sich vier deutsche Städte als Blue Community verpflichtet. Und die Bewegung wächst. Was können Kommunen zu einer nachhaltigen Wassernutzung beitragen? Das gesamte Wasserdargebot ist lokal. Gemeinschaften, die in Wassereinzugsgebieten leben, wissen das am besten. Sie müssen mit Instrumenten zum Schutz ihrer Ökosysteme ausgestattet werden. Indigene Völker haben das Wissen, ihre Kenntnisse und ihre Lehren müssen respektiert werden, wenn wir eine alternative Wirtschaft schaffen wollen. Überall war der Widerstand der Indigenen gegen Wasserprivatisierungen, Fracking, große Dämme und Tagebaue entscheidend, um Regierungen zu zwingen, mit Wasserwirtschaft und Menschenrechten auf eine andere Weise umzugehen. Um den Fortbestand der Ressource Wasser zu sichern, ist mehr Zusammenarbeit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit bei der Energieerzeugung, beim Anbau von Nahrungsmitteln, beim grenzüberschreitenden Handel und der Produktion von Waren und Dienstleistungen erforderlich. Dies wiederum erfordert eine robustere demokratische Regierungsführung sowie eine stärkere Kontrolle der lokalen Wasserreserven. Wasser sollte als das Geschenk der Natur an die Menschheit gesehen werden, um uns zu lehren, wie wir auf der Erde besser leben können - in Frieden, mit Respekt füreinander und mit wahrer Gerechtigkeit. Christa Hecht Geschäftsführerin Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft e.V. (AöW) Kontakt: hecht@aoew.de AUTORIN 19 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen 19 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES Kläranlagen mit aerober Wasserreinigung haben sich über die Jahrzehnte bewährt. Ihnen ist es zu verdanken, dass unsere Flüsse und Seen heute auch in Ballungsräumen relativ sauber sind. Doch seit diese Technologie in den 1970er und 1980er Jahren entwickelt wurde, ist nicht nur viel Wasser die Flüsse heruntergeflossen - auch Technik und Anforderungen haben sich weiterentwickelt. Kommunale Abwasserreinigung besteht heute hauptsächlich darin: Luft in das Abwasser blasen, damit Bakterien die Nährstoffe aus den Fäkalien abbauen können. Vor allem zersetzen diese Kohlenstoff- und Stickstoff- Verbindungen. Doch betrachtet man Stoff- und Energieflüsse, ist der Prozess längst nicht so ideal: Die Belüftung des zu klärenden Abwassers braucht eine Menge elektrische Energie. Österreichische Kommunen wenden dafür etwa 20 % ihres gesamten Energiebedarfs auf - rund 40 kWh pro Einwohner und Jahr. Und die Verbindungen, die von den Bakterien zersetzt werden, sind andernorts begehrt: Ammonium (NH 4 ) ist der weltweit wichtigste Dünger für die Landwirtschaft. Um ihn zu produzieren, setzen Industriebetriebe 1 bis 2 % des gesamten weltweiten Energiebedarfs ein. Phosphor ist ebenso wie Stickstoff ein Pflanzennährstoff, der als Düngemittel verwendet wird. Im Überschuss kann er aber auch zur Eutrophierung von Gewässern beitragen. Die Kombination moderner Verfahren hilft, Ressourcen effizienter zu nutzen: Stickstoff und Phosphor werden als Wertstoffe zurückgewonnen. Der Kohlenstoff wird für die Energiegewinnung genutzt. Und die Kläranlage kann unterm Strich sogar zum Energieerzeuger und -speicher für das Strom- und Wärmenetz werden. Je nach Abwasser kann durch die Kombination mehrerer Technologien der Strombedarf um 10 bis 20 % sinken, während zugleich die Biogas-Ausbeute um 20 bis 30 % steigt. Kläranlage. © iStock/ solrico Kläranlagen können mehr Christoph Brunner Die klassische aerobe Abwasserreinigung hat Flüsse und Seen sauberer gemacht. Doch moderne Kläranlagen können mehr: Wer neue Verfahren zur Abwasserreinigung geschickt mit Düngerproduktion, Energiegewinnung und -vermarktung verknüpft, nutzt nicht nur die Ressourcen optimal, sondern verbessert auch die Wirtschaftlichkeit. 20 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen 1. Stickstoff- Rückgewinnung Um Ammonium-Phosphat aus dem Abwasser als Dünger zurückzugewinnen, stehen mehrere Verfahren zur Verfügung, wie zum Beispiel die Membran-Destillation, Stripping oder die Fällung von Magnesium-Ammonium-Phosphat (MAP-Fällung). Bei letzterer wird dem Faulschlamm zunächst Magnesiumsalz zugefügt, dann der pH-Wert durch das Einblasen von Luft und das Ausstrippen von CO 2 angehoben. So kommt es zu einer Ausfällung von Magnesiumammoniumphosphat, auch als Struvit bekannt, ein gut pflanzenverfügbarer Dünger. Bei einer mittelgroßen Kläranlage für etwa 40 000 Einwohner können auf diese Art täglich rund 50 kg Ammonium-Phosphat gewonnen werden. Eine weitere Möglichkeit, Ammonium mit geringem Energieeinsatz zurückzugewinnen, ist die Membran-Destillation. Dafür kann Niedertemperatur-Abwärme mit 30 bis 80 °C aus dem Abwasser eingesetzt werden. Diese Ammonium-Rückgewinnung wirkt sich in doppelter Hinsicht positiv auf die Energiebilanz aus, denn im klassischen aeroben Verfahren wird das Ammonium zuerst von Bakterien zu Nitrat oxidiert. Dafür wird Sauerstoff benötigt. Hat man bereits zuvor einen Teil des Ammoniums entfernt, braucht man weniger Sauerstoff - und spart etwa 4 bis 7 % der Belüftungsenergie. Im konventionellen Prozess wird das Nitrat im Anschluss von anderen Bakterien gemeinsam mit Kohlenstoff- Verbindungen verstoffwechselt. Muss weniger Nitrat abgebaut werden, kann man diesen Prozessschritt minimieren - und die Kohlenstoff-Verbindungen stattdessen für die Gewinnung von Biogas nutzen, was zu rund 3 bis 6 % mehr Ertrag führt. 2. Mehr Energie produzieren Sehr viele Kläranlagen nutzen bereits Klärgas oder Biogas in Blockheizkraftwerken, um Strom und Wärme für den eigenen Bedarf zu erzeugen. Doch die Energieerzeugung ist oft noch ausbaufähig. Dafür gibt es viele Ansätze, die für unterschiedliche Anlagen verschieden gut passen. Steht genug Platz zu Verfügung, kann zum Beispiel schon im Vorklärbecken durch längere Verweilzeiten mehr kohlenstoffhaltiger Schlamm abgetrennt werden. Bei wenig Platz ist ein Mikrosieb mit Trommelfilter eine Alternative. Ergänzend kann Flotation genutzt werden: Durch das Einblasen von Luft kommen kleine Partikel an die Oberfläche und können abgetrennt werden. Wie die Ammonium-Rückgewinnung die Energieausbeute erhöht, ist bereits oben beschrieben. Auch der Einsatz von Co-Substraten im Faulbehälter (etwa Bio-Abfälle oder Abfälle aus Großküchen) kann den Biogas-Ertrag erhöhen. 3. Die zusätzliche Energie gewinnbringend nutzen Gerade im Sommer, wenn die Faulbehälter nicht oder kaum beheizt werden müssen, steht in Kläranlagen nach heutigem Stand bereits oft mehr Energie zur Verfügung, als gebraucht Bild 1: Eine herkömmliche Kläranlage reinigt das Abwasser mit Vor-, Haupt- und Nachklärung. © Nina Rath Bild 2: In einem Systemverbund wird der Prozess je nach Auslegung mit einer Biogasanlage, einer Wärmepumpe, eigener Stromproduktion und Düngemittel- Herstellung ergänzt. So werden Wertstoffe besser genutzt und die Wirtschaftlichkeit optimiert. © Nina Rath 21 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen wird. Anders sieht es aus, wenn man zum Beispiel mit einer Klärschlammtrocknung das Gewicht und die Entsorgungskosten für den Schlamm reduziert. Immer häufiger werden Kläranlagen auch durch eine zusätzliche Reinigungsstufe für Mikroverunreinigungen ergänzt. Diese benötigt zusätzliche elektrische Energie. Ist eine Fernwärme-Versorgung in der Nähe, kann das Biogas sogar umweltfreundliche Energie für viele Haushalte liefern. Dabei ist es meist kostengünstiger, das Gas (ggf. nach einer einfachen Aufbereitung) zur Heizzentrale zu leiten, als es auf dem Gelände der Kläranlage zu verfeuern und eine Fernwärme-Leitung zu errichten. Wird das Biogas auf Erdgas-Qualität aufbereitet, kann es sogar ins allgemeine Erdgas-Netz eingespeist werden. Wenn das Biogas verkauft anstatt zur Eigenversorgung genutzt wird, müssen Strom und Wärme für den Eigenbedarf natürlich ersetzt werden. Das kann zum Beispiel über eine elektrisch angetriebene Wärmepumpe geschehen, die Wärme aus dem Abwasser entnimmt. Legt man einen erzielten Gaspreis von 4 Ct/ kWh und einen Einkaufspreis für den Strom von 13 Ct/ kWh zugrunde, kommt im Rechenbeispiel unter Einbeziehung von Investitionen bzw. Abschreibungen, Betriebskosten, entgangenem Nutzen (also den nun anfallenden Kosten für den Einkauf von Strom und Wärme) sowie den Erlösen ein Plus für die Kläranlage heraus. 4. Energie speichern mit Power-to-Gas Mit einem größeren Anteil von Wind- und Sonnenstrom werden Speichertechnologien wichtiger. Eine Möglichkeit ist, bei Erzeugungsspitzen Wind- und Sonnenstrom zur Erzeugung von Gas zu verwenden (Power-to-Gas). Das heißt, zunächst wird mit den Erzeugungsspitzen aus dem Stromnetz Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten (Elektrolyse). Im nächsten Schritt wird aus Wasserstoff und CO 2 Methan erzeugt (Methanisierung). In Kläranlagen ergeben sich dabei vielerlei Synergieeffekte: Der Sauerstoff aus der Elektrolyse kann für die Belüftung oder - falls vorhanden - eine Ozonierung verwendet werden. Für die Methanisierung kann das CO 2 aus dem Biogas oder der Biogas-Aufbereitung genutzt werden. Die bei der Methanisierung entstehende Wärme kann zur Heizung des Faulturmes verwendet werden. Und nicht zuletzt ist in Kläranlagen qualifiziertes Betriebspersonal ohnehin vorhanden - es entstehen also auch hier Synergien. 5. Die beste Lösung für die eigene Kläranlage finden Die „richtige“ Lösung für die jeweils eigenen Anforderungen zu finden, ist eine komplexe Aufgabe: Welche Stoff- und Energieströme fallen an - und zu welchen Zeiten? Welche Kosten und Zusatzeinnahmen sind zu erwarten? Welche Kooperationen mit Wärme- oder Stromnetzbetreibern sind möglich? Um einen Überblick zu gewinnen, ist das „Decision Support Tool“ (DEST) (www.ar-hes-b.aee-intec.at) hilfreich, das im Rahmen des Projekts AR-HES-B entwickelt wurde. Mit Hilfe von realen Input-Daten über den Abwasser-Zulauf und der Auswahl verschiedener Technologien können dabei verschiedene Szenarien erstellt und mit der Ist-Situation verglichen werden. Bilanziert werden dabei die Wertstoffe Kohlenstoff (ausgedrückt als Chemischer Sauerstoff Bedarf CSB), Stickstoff und Phosphor. Auf der energetischen Seite fließen Biogas, Wärme und Strom in die Bewertung ein. In der Auswertung werden außerdem ökonomische und ökologische Größen berücksichtigt. Neben Jahreswerten kann auch mit Monatswerten gerechnet werden, um saisonale Schwankungen zu berücksichtigen. Eine konkrete Kläranlagen- Erneuerung in einer Kleinstadt ist für das Jahr 2019 geplant. Dabei soll eine neue Biogasanlage ergänzt werden. Das Biogas soll zum Großteil über eine neue Leitung in die Heizzentrale eines nahgelegenen Fernwärme- Netzes transportiert werden, aber auch den Wärmebedarf der Kläranlage decken (rund 250 kW). Eine Abwasser-Wärmepumpe soll die Wärme für die Beheizung der Biogasanlage liefern. Außerdem sollen die Gebäude der Kläranlage energetisch saniert werden. AUTOR DI Christoph Brunner Bereichsleiter Industrielle Prozesse und Energiesysteme AEE - Institut für Nachhaltige Technologien Kontakt: c.brunner@aee.at Bild 3: Mögliche Stoff- und Energieflüsse in einer Kläranlage © AEE INTEC 22 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen M M 8 10 Abluft Abluftfilter UV-Desinfektion, Betriebswasserspeicher und Druckerhöhungsanlage Sandfilter Sedimentation 6 stufiges Wirbelbett Nachreinigung 13 M M zum Schmutzwasserkanal M 1 3 Speicherung und Vorreinigung Zulauf Grauwasser Überlauf Fett- und Grobstoffreduktion sowie Sieb Das „Integrierte Wasserkonzept“ im Block 6 wurde als Projekt der Internationalen Bauausstellung Berlin 1987 entwickelt, beforscht und dokumentiert. Ab 1993 verwahrloste die Anlage wegen technischer Probleme und unwirtschaftlicher Betriebsweise. Die Revitalisierung gelang 2007. Langzeittest in Berlin Ziel war es, den Bestand als technisches Denkmal für Stadtökologie und umweltgerechtes Bauen zu sichern und zu optimieren sowie die Betriebsführung unter wirtschaftlichen Bedingungen zu ermöglichen. In die ursprüngliche Pflanzenkläranlage wird seither das auf dem Gelände anfallende Niederschlagswasser eingeleitet, um zu verdunsten. Der Überlauf versickert. Für das Recycling des Abwassers wurde 2007 ein Betriebsgebäude erstellt, in dem Abflüsse von Badewannen, Duschen und Handwaschbecken sowie Waschmaschinen und Küchenspülen (Grauwasser) von 250 Bewohnern der umliegenden mehrgeschossigen Wohnhäuser aufbereitet werden. Im Jahr 2014 kam eine Versuchsanlage hinzu, die das Recyclingwasser in einem Gewächshaus im Innenhof des Block 6 für Fischzucht und Gemüseanbau verwendet. Zusätzlich wird an der Wiederverwendung des Abwassers von Toiletten (Schwarzwasser) zum Düngen und Bewässern der Gemüsekulturen geforscht. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte „Roof Water-Farm“-Projekt sucht Antworten darauf, wie das Potenzial von Dachflächen und Wasser in Großstädten trotz begrenzter Ressourcen besser als bisher genutzt werden kann. Lebensmittel aus Recyclingwasser Fisch- und Gemüsezucht in der City mit Recyclingwasser? Fäkalien der Stadtbewohner wurden, bis zur Einführung der Kanalisation, als Düngemittel aufs Land hinaus transportiert. Lebensmittel werden bis heute in großem Um- Aquaponik nutzt Grauwasser Häusliches Abwasser: eine Ressource für Energie und Haustechnik Barbara Sahler Abwasser ist ein Energie-, Frischwasser- und Rohstofflieferant. Das wissen auch die Betreiber von kommunalen Kläranlagen. Dass Recycling allerdings auf Gebäude- und Quartiersebene deutlich sinnvoller und effektiver ist, beweist der vor mehr als 30-Jahren begonnene Langzeittest im Block 6 in Berlin-Kreuzberg - aktuell um Fischzucht und Gemüseanbau (Aquaponik) ergänzt. Bild 1: Betriebsgebäude für Grauwasser- und Schwarzwasser- Recycling mit Roof Water-Farm im Innenhof des Block 6, Berlin-Kreuzberg. © Nolde + Partner Bild 2: Schema des mehrstufigen Reinigungsverfahrens für Grauwasser. © Nolde + Partner 23 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen fang in die Stadt hinein gefahren. Nahrungsmittel zu produzieren war für Jahrhunderte ein Privileg der „Land“-Wirtschaft. Das könnte sich bald ändern, wenn Kreislaufwirtschaft im Sinne der ressourcenschonenden regionalen Wertschöpfung in der Stadt Fortschritte macht. Gemüseanbau in der Stadt ist unter dem Namen Urban Gardening bekannt, ist aber auch belächelt worden. Zu Unrecht, wie das Berliner Modellvorhaben Roof Water-Farm im Block 6 zeigt. Die vier Jahre dauernde Förderung war Teil des Programms „Forschung für Nachhaltige Entwicklungen“ (FONA). Speziell ging es um „Intelligente und nachhaltige Infrastruktursysteme für eine zukunftsfähige Wasserversorgung und Abwasserentsorgung“ (INIS). Sämtliches Abwasser wird in biologischen Prozessen aufbereitet und wiederverwendet. Die Recyclinganlage liefert Badegewässerqualität, ohne Einsatz chemischer Mittel. Und diese Qualität kommt den Fischen zugute, die sich im Gewächshaus im Recyclingwasser tummeln. Deren Ausscheidungen sind Dünger für die Pflanzenzucht. Das hat System - es ist die Kombination von Aquakultur und Hydroponik, die so genannte Aquaponik. Ponik/ Ponos bedeutet im Altgriechischen Arbeit, gemeint ist hier die Arbeit des Düngens, die nun das Wasser übernimmt. Düngemittel frei Haus Ebenfalls im Gewächshaus, neben dem Fischbecken, stehen Pflanztische mit Töpfen ohne Erde. Die Wurzeln ragen in das durchfließende Wasser aus dem Ablauf der Aquakultur - also des Beckens, in dem Schleien und Afrika-Welse gezüchtet werden. So wird der Fischkot als willkommener Dünger für Endiviensalat und Pak-Choi-Kohl in gelöster Form gleich mitgeliefert. Durch den ständigen Kreislauf sinkt der Wasserstand bei den Fischen. Der Ausgleich dafür kommt aus dem letzten Behälter der Grauwasseranlage. Das dort lagernde glasklare Betriebswasser wird einerseits zur Toilettenspülung in den 73 Haushalten des Block- 6 genutzt, andererseits zur Versorgung der Aquakultur. Man könnte es auch so ausdrücken: Aquaponik = Betriebswasser aus Grauwasser + Aquakultur + Hydroponik. Ein weiterer Pflanztisch im Gewächshaus erhält das Betriebswasser direkt, ohne Umweg über die Fischzucht. Damit fehlt der tierische Dünger. Dieser wird ersetzt durch einen Flüssigdünger, erzeugt in der zweiten Abwasserrecycling-„Straße“ des Block 6. Hier entsteht aus dem Schwarzwasser von 50 Bewohnern Flüssigdünger - sogenanntes Goldwasser - hausintern aufbereitet und bei der Bewässerung zugesetzt. Er enthält unter anderem die für Pflanzenwachstum unerlässlichen Elemente Stickstoff, Phosphat und Kalium. Kurz gefasst: System Hydroponik = Betriebswasser aus Grauwasser + Flüssigdünger aus Schwarzwasser. Zwischenergebnisse der Forscher belegen, dass die Qualität der Aquaponik-Produkte als Nahrungsmittel unbedenklich ist und dass mit einem 400 m² großen Gewächshaus 70 Bewohner eines mehrgeschossigen Wohnblocks 80 % ihres Bedarfs an Fisch, Gemüse und Obst decken könnten. Doppeltes Leitungsnetz als Standard Der Block 6 in Kreuzberg bot sich für derlei Versuche an, denn die (für die Verwertung interessanten) Wasserströme waren dort schon getrennt. 1987 wurde beim Bau der Häuser ein zweites Leitungssystem für Wasserver- und entsorgung eingebaut. Konkret ist außer der Sammelleitung für das Schwarzwasser ein Rohrsystem vorhanden, das nur Grauwasser aufnimmt. Und neben den Leitungen zu den Verbrauchsstellen für Trinkwasser existieren separate Rohre zur Versorgung der Toilettenspülkästen mit  Grau- und Schwarzwasserrecycling spart Trinkwasser, reduziert Abwasserableitung und erzeugt Flüssigdünger für Hydroponik  Regenwasserbewirtschaftung spart Trinkwasser und reduziert Abwasserableitung, verbessert das Mikroklima durch Verdunstung (Kühlung und Luftfeuchte), verstärkt die Grundwasserneubildung durch Versickerung  Gebäudeintegrierte Farmwirtschaft erzeugt Nahrungsmittel mit Aquaponik (Fisch- und Pflanzenzucht), urbaner Standort reduziert Lebensmitteltransporte  Dachbegrünung und ehemalige Pflanzenkläranlage (heute Regenwasserdepot zur Verdunstung) erhöhen die Biodiversität  Betriebsgebäude der Wasseraufbereitung und Roof Water-Farm bieten Möglichkeiten zur Schulung/ Exkursion im Sinne von Umweltbildungsmaßnahmen ÖKOLOGISCHES GESAMTKONZEPT BLOCK 6 Bild 3: Mehrstufige Aufbereitungsanlage für Grauwasser, seit 2007 im Betriebsgebäude untergebracht. © Nolde + Partner 24 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen Betriebswasser aus aufbereitetem Grauwasser. „Die Investition in doppelte Leitungsnetze kostet erst einmal, bevor mit Gebühreneinsparungen, Wärmerückgewinnung und Flüssigdünger an eine Amortisation zu denken ist“, sagt Erwin Nolde. Als Umweltingenieur ist er Geschäftsführer von Nolde und Partner und betreut neben anderen Grauwasseranlagen in Deutschland auch das Wasserrecycling im Block 6. Die Optimierung und Umgestaltung des Grau- und Regenwasserkonzeptes nach 14 Jahren Stillstand ging auf seine Planung zurück. Der reibungslose Betrieb ist seiner regelmäßigen Inspektion und Wartung zu verdanken. „Eigentlich fehlt nur die Wärmerückgewinnung. Die haben wir erst 2012 beim Neubau eines Mehrfamilienhauses am Berliner Arnimplatz mit ins Programm genommen“, gesteht der Pionier. „Seither planen, bauen und betreiben wir klima-positive Grauwasserrecyclinganlagen und tragen damit deutlich zur CO 2 -Reduktion bei“. Noldes Spezialität ist der objektspezifische Anlagenbau, in Zusammenarbeit mit Rudi Büttner und dessen Firma Lokus. Beide bevorzugen für die Grauwasseraufbereitung das Wirbelbettverfahren, welches sowohl wenig Energie als auch wenig Wartung benötigt und sich seit mehr als 15 Jahren als sehr robust erwiesen hat - selbst dann, wenn seitens der Mieter versehentlich Wandfarbe und Desinfektionsmittel eingeleitet wurden. Seit 2011 wenden Nolde und Büttner in der Abwasseraufbereitung das Prinzip „Internet of Things“ (IoT) an. Das heißt, dass sich die Anlagensteuerung selbst kontrolliert und Unregelmäßigkeiten per Email oder SMS an den Betreiber meldet. Die vernetzten Geräte stellen über das Internet eine Schnittstelle zur Verfügung, über die sie sich von einem beliebigen Ort aus bedienen und steuern lassen. Dadurch, so Nolde, konnten die Recycling-Erträge deutlich erhöht und der Wartungsaufwand gesenkt werden. Und wer sind die typischen Auftraggeber? Grauwasserrecycling ist insbesondere dort lukrativ, wo viele Bewohner in mehrgeschossigen Gebäuden untergebracht sind, zum Beispiel in Hotels, Wohnheimen und im mehrgeschossigen Wohnungsbau. Das separat gesammelte Grauwasser dient den 250 Bewohnern im Block 6 in Berlin- Kreuzberg nach Aufbereitung innerhalb des Gebäudes als Betriebswasser für die Toilettenspülung - und hilft ihnen so, etwa ein Drittel der Trink- und Abwassergebühren zu sparen. Pilotprojekte der letzten 30 Jahre lassen sich unterscheiden in  Pflanzenkläranlagen. Besonderheit: Die Überwachung der Anlage erfordert biologische Kenntnisse und ausreichend Platz im Gelände.  Wirbelbettbzw. belüftete Festbettanlagen. Besonderheit: Als vorgefertigte Haustechnik- Module seit 20 Jahren am Markt, insbesondere für Projekte ab etwa 40 Nutzer geeignet.  Membrananlagen/ Ultrafiltration. Besonderheit: Als vorgefertigte Haustechnik seit 15 Jahren am Markt, auch für kleine Projekte geeignet. Der Platzbedarf nimmt bei dieser Auflistung von oben nach unten ab. Die Herstellungskosten sind abhängig vom Objekt. Mehrere Hersteller in Deutschland liefern für Einfamilienhäuser, für öffentliche Gebäude und Industrie eine vorkonfektionierte Anlagentechnik mit Wirbelbett- oder Membransystem. Die Montage ist damit einfacher geworden. Quelle: König, K. W.: Grauwassernutzung. Fachbuch, 2013. Bezugsquelle: www.amazon.de MÖGLICHE GRAUWASSER-VERFAHREN % % % % Summe g/ E/ d Menge L/ E/ d 1,37 1,0% 0,14 0,1% 31,5 22,6% 108 77% 139,5 Liter CSB g/ E/ d 10 8,5% 60 51,3% 70,0 59,8% 47,0 40% 117 N g/ E/ d 10,4 80,6% 1,5 11,6% 11,9 92,2% 1,0 8% 12,9 P g/ E/ d 1 50,0% 0,5 25,0% 1,5 75,0% 0,5 25% 2,0 K g/ E/ d 2,5 59,5% 0,7 16,7% 3,2 76,2% 1,0 24% 4,2 S g/ E/ d 0,7 19,4% 0,2 5,6% 0,9 25,0% 2,9 81% 3,8 K Wh/ E/ d 1.754 243,0 Biogas Wh/ E/ d Urin Faeces Schwarzwasser Grauwasser Gesamtabwasser Faeces + Urin + 30 Liter WC Spülwasser 118 g/ E/ d Energiebetrachtung Wärmepotenzial 14 1,5 Tabelle 1: Häusliches Abwasser als Ressource (grün markiert sind die höchsten Recyclingpotenziale). © Nolde + Partner Bild 4: (links) Mehrstufige Aufbereitungsanlage für Schwarzwasser. Bild 5: (rechts) Die Wurzeln ragen in den durchfließenden Ablauf der Aquakultur. © König 25 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen Barbara Sahler Sachverständigen- und Fachpressebüro König Kontakt: mail@klauswkoenig.com AUTORIN Grauwasser reinigen ohne Zusätze Bei der Wirbelbett-Anlage im Berliner Block 6 durchläuft das Grauwasser neun Reinigungsstufen, bevor es glasklar im letzten Behälter als so genanntes Betriebswasser für die weitere Verwendung lagert. Die besondere Herausforderung bei diesem Objekt ist laut Nolde die hohe Belastung mit organischem Material, da im Gegensatz zu heute üblichen Grauwassersystemen hier zusätzlich Waschmaschinen und Küchenspülen angeschlossen sind. Partikel werden gleich zu Beginn des Reinigungsprozesses herausgesiebt. Erwünschte biologische Abbauprozesse kommen durch Belüftung des Wassers in Gang. Als Folge setzt sich Schlamm am Behälterboden ab, der periodisch abgelassen wird. Die hydraulische Aufenthaltszeit beträgt je nach Belastung etwas mehr als 24 Stunden. Wenn die Bedingungen stimmen, übernehmen Mikroorganismen, die sich von selbst in der Anlage ansiedeln, die Arbeit der Reinigung. Sandfilter und UV-Licht-Desinfektion sind die letzten Aufbereitungsschritte. Zugabe von biologischen oder chemischen Stoffen ist nicht erforderlich. Einige der Behälter haben kleine Zapfventile, aus denen Wasserproben zur Analyse gezo- Regenwasser und aufbereitetes Grauwasser eignen sich für dieselbe Verwendung. Beide Arten gelten als Betriebswasser, das keine Trinkwasserqualität hat. Damit darf in Deutschland unter anderem der Garten gegossen, die Toilette gespült und die Wäsche gewaschen werden. Mindestanforderung ist eine Wasserqualität gemäß der europäischen Badegewässerrichtlinie. Bei Stichproben werden regelmäßig deutlich bessere Werte, als dort gefordert, gefunden. Eine Nachweispflicht besteht nicht. Derzeit wird in Abstimmung mit den europäischen Gremien ein einheitliches DIN-EN-Regelwerk erstellt, sowohl für die Regenwasser-, als auch für die Grauwassernutzung. Dies geschieht im DIN-Ausschuss NA 119-05-08 AA „Wasserrecycling“, seit dieser im Jahr 2013 als nationaler Spiegelausschuss des europäischen Arbeitskreises CEN/ TC 165/ WG 50 benannt wurde. EN 16941 ist als Teil 1 für Regenwasser bereits veröffentlicht, Teil 2 für Grauwasser wird für 2019 erwartet. Beide Betriebswasserarten gelten als ökologisch wertvoll, trinkwasser- und kostensparend. BETRIEBSWASSER AUS REGEN- + GRAUWASSER gen werden können. Besucher erhalten von Nolde üblicherweise an der letzten Station der Prozesskette, dem Betriebswassertank, ein Glas voll gezapft - nicht zum Trinken, aber zum optischen und olfaktorischen Begutachten. Das Wasser ist, für Laien erstaunlich, frei von Geruch und glasklar. Die jahrelangen Untersuchungen im Rahmen der Forschungsprojekte bestätigen diesen subjektiv gewonnenen positiven Eindruck. Das Betriebswasser im Block 6 hat Badegewässerqualität. Deshalb darf es über die Toilettenspülung hinaus auch für die Roof Water-Farm verwendet werden. LITERATUR: [1] fbr-Hinweisblatt H 202. Hinweise zur Auslegung von Anlagen zur Behandlung und Nutzung von Grauwasser und Grauwasserteilströmen. Hrsg.: Fachvereinigung Betriebs- und Regenwassernutzung e. V. (fbr). Darmstadt, Okt. 2017. [2] König, K. W.: Grauwassernutzung - ökologisch notwendig, ökonomisch sinnvoll. Fachbuch mit farbigen Abbildungen, 1. Auflage, 130 Seiten. Verlag: iWater Wassertechnik, Troisdorf, 2013. [3] Nolde, E.: Getrennte Erfassung von Grauwasser. Ein Weg zu mehr Ressourceneffizienz in der Siedlungswasserwirtschaft. In: fbr-wasserspiegel, Ausgabe 1/ 17. Hrsg.: Fachvereinigung Betriebs- und Regenwassernutzung e.V. (fbr). Darmstadt, 2017. Parameter Unit Zulauf Ablauf Zulauf Ablauf TSS mg L -1 110 < 0.1 387 5.6 Trübung NTU 100 < 1 CSB mg L -1 850 25 780 44 DOC mg L -1 100 7 - 10 54 10 TN mg L -1 10 5 72 11 NH 4 -N mg L -1 2.7 < 0.03 45 0,7 NO 3 -N mg L -1 0,3 3,5 TP mg L -1 4.7 2,1 16 0,36 E. coli 1/ 100 ml 10 5 - 10 6 < 10 1 10 4 - 10 5 Acesulfam μg/ l 14 1,29 10 - 35 Diclofenac μg/ l 3,1 0,67 4,18 Gabapentin μg/ l 0,59 0,28 10 - 20 Valsartan μg/ l <0,1 <0,1 4 Grauwasser Kommunale KA Tabelle 2: Typische Zulauf- und Ablaufkonzentrationen in Block 6 im Vergleich zu üblichen Konzentrationen in Berliner Großkläranlagen. © Nolde + Partner Bild 6: Pflanztische für Hydroponik mit Endiviensalat und Pak-Choi-Kohl. © König 26 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen Lebt bereits heute mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in städtischen Gebieten, soll sich dieser Anteil nach Angaben der UN bis 2050 auf zwei Drittel erhöht haben. Immer mehr Großstädte überschreiten demnach schon bald Einwohnerzahlen von mehr als 10 Millionen. 1990 gab es zehn dieser Mega-Metropolen, aktuell sind es 33 und innerhalb der nächsten 20 Jahre sollen noch weitere zehn hinzukommen, insbesondere in Indien und China. Das sind beeindruckende Zahlen, deren Relationen für viele nur schwer fassbar sind. Zum Vergleich: Berlin, Deutschlands mit Abstand größte Stadt, hat aktuell etwa 3,7 Mio. Einwohner und ist damit noch weit von der Marke einer Megacity entfernt. Tokio hingegen, die derzeit größte Stadt weltweit, hätte mit ihren 37 Mio. Bewohnern Platz für das Zehnfache aller Berliner - oder knapp die Hälfte aller Deutschen. Weltweit stehen Städte und Metropolen vor ähnlichen Herausforderungen So verschieden Berlin und Tokio auch sein mögen, wie sehr sich auch die anderen Metropolen unserer Welt voneinander unterscheiden, indem sie zum Beispiel stark durch die Geschwindigkeit ihres Wachstums, ihre geografische Lage, Kultur und Geschichte oder die wirtschaftliche und politische Situation in ihren Ländern geprägt sind - es gibt einige Grün im Dschungel aus Beton und Asphalt Eignet sich Dachbegrünung für jedes nachhaltige Städtebaukonzept? Städte sind unsere Zukunft. Mit diesen einfachen Worten könnte man die Zahlen, die die Vereinten Nationen auch in diesem Frühjahr wieder in den World Urbanization Prospects veröffentlicht haben, knapp zusammenfassen. Dieser UN-Bericht enthält jährlich überarbeitete Prognosen in Bezug auf die Entwicklung der Weltbevölkerung und bestätigt wissenschaftlich fundiert, was uns allen längst irgendwie bewusst ist: Weltweit zieht es immer mehr Menschen in urbane Ballungsräume - weg vom Land, hin zur Stadt. Und es ist kein Ende dieser Entwicklung in Sicht. Bild 1: Schon heute entstehen auf den grünen Dächern immer mehr Parkanlagen in luftigen Höhen und werden zu neuem Lebensraum für Menschen und Tiere. © Optigrün international AG PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen 27 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen zentrale Charakteristika, die alle Städte gemeinsam haben. Und diese stellen zugleich die großen Herausforderungen dar, denen sie sich schon heute gegenübersehen, und die sich in der Zukunft zu ernsthaften Problemen entwickeln können: Städte benötigen sehr viel Platz, um wachsen zu können, wodurch weite Flächen dauerhaft versiegelt werden. Zudem haben sie einen besonders hohen Wasser-, Energie- und Ressourcenverbrauch. Laut Angaben des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) verbrauchen sie fast 80 Prozent der weltweit erzeugten Energie, während sie gleichzeitig einen Großteil der Treibhausgase, etwa 70- Prozent, und große Mengen von Müll erzeugen. Doch so stark ihr Einfluss auf die Umwelt auch ist, so viel Potenzial für Innovationen und Wandel steckt auch in urbanen Ballungsgebieten - besonders vor dem Hintergrund des fortschreitenden Klimawandels und der Verknappung vieler natürlicher Ressourcen. Denn gerade dort, wo die Probleme schnell und deutlich sichtbar werden, entstehen neue Ideen und Konzepte, die die Städte unserer Gegenwart Schritt für Schritt in moderne, energie- und ressourceneffiziente sowie klimaangepasste Wirtschaftszentren transformieren, die zugleich hochwertigen Kultur-, Arbeits- und Lebensraum für unterschiedlichste Menschen bieten. Diese Konzepte versuchen also, ökologische, ökonomische und soziale Aspekte in Einklang miteinander zu bringen und die Lebensgrundlage der Menschen sowie die Natur auch für zukünftige Generationen zu erhalten. Genau das ist Kerngedanke und Prinzip der Nachhaltigkeit. Mit neuen Konzepten wird auf alten Strukturen aufgebaut Die besondere Schwierigkeit einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Stadtplanung besteht darin, die teilweise über Jahrhunderte gewachsenen Strukturen nicht aufzugeben, sondern sie zu modernisieren und für sich zu nutzen. Wie dies am besten gelingen kann, untersucht in Deutschland zum Beispiel unter Federführung des BMBF ein Gremium von Experten aus verschiedensten Bereichen wie Wissenschaft, Umwelt, Bau, Wirtschaft, Verkehr oder Kultur. Die daraus hervorgegangene strategische Forschungs- und Innovationsagenda „Zukunftsstadt“ zeigt, wo wichtige Stellschrauben sind, besondere Schwierigkeiten liegen und wo jetzt schon wertvolle Lösungsansätze existieren, durch die wir die Städte unserer Gegenwart zu nachhaltigen Städten der Zukunft machen können. Einer dieser wertvollen Ansätze ist es, wieder mehr Grün in den Betondschungel zu holen, ohne jedoch seine Kompaktheit aufzubrechen, wie es etwa neu angelegte Parkanlagen oder Gärten tun würden. Dafür sind innovative Konzepte notwendig, die die scheinbaren Gegensätze von Stadt und Natur weiterdenken und schließlich Wege finden, sie miteinander zu vereinen. Diese Konzepte nutzen bereits vorhandene Flächen, die außer ihrem eigentlichen, bisher keinen weiteren Nutzen erfüllten, um neues Stadtgrün zu schaffen: Flächen, wie die Dächer und Fassaden der Gebäude. Städtisches Grün wird auf neue Ebenen gehoben Besonders Gründächer können in den Städten der Zukunft eine Schlüsselrolle bei der Schaffung neuer und vielfältiger Lebensräume für Mensch und Natur übernehmen. Indem man Dachflächen begrünt, werden brachliegende Bereiche auf Bürogebäuden, Tiefgaragen, Krankenhäusern, Schulen etc. in qualitativ hochwertigen und nicht selten dringend benötigten Raum für Spiel, Sport, Gemeinschaft sowie Freizeit und Erholung verwandelt. So können auch in dicht besiedelten und stark bebauten Arealen kleine grüne Inseln entstehen, die deutlich beeinflussen, wie lebenswert eine Stadt für die jetzige sowie für künftige Generationen ist. Doch es ist nicht nur der zusätzliche Lebensraum, der Dachbegrünungen für Städte so bedeutend macht. Ihre direkte Bild 2: Indem Dachflächen begrünt werden, können brachliegende Bereiche in dringend benötigten Raum für Freizeit und Erholung verwandelt werden. © pixabay 28 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen Einwirkung auf die Temperaturen und das Mikroklima ihrer Umgebung ist ein enormer Gewinn, wenn es um den Umgang mit klimatischen Veränderungen und dem globalen Temperaturanstieg geht. Denn die Pflanzen auf den Dächern verdunsten große Teile des Wassers, das sie aufnehmen, und kühlen ihr Umfeld somit ab. Ein positiver Nebeneffekt: Die Leistung von Photovoltaikanlagen auf dem Dach wird so um bis zu fünf Prozent erhöht. Gründächer sind also natürliche Klimaanlagen und zugleich Luftfilter der Städte, indem sie Feinstaubpartikel aus der Luft ziehen, Sauerstoff produzieren und in ihrem Wachstumsprozess CO 2 speichern. Ausgleichsflächen mit vielen positiven Effekten Zudem schaffen begrünte Dächer einen wertvollen Ausgleich für versiegelte Flächen, wodurch sie für Bauherren, Investoren und Gebäudebesitzer sowohl in ökonomischer als auch ökologischer Hinsicht große Vorteile mit sich bringen. Denn überall, wo Städte wachsen und neue Bauwerke entstehen, müssen Ausgleichsmaßnahmen für versiegelte Bereiche ergriffen werden. Dies kann beispielsweise durch die Begrünung von Dächern geschehen, was sich zudem in vielen Städten positiv auf die Kosten für Niederschlagswassergebühren auswirkt. Auch das Regen- und Abflusswassermanagement in den immer weiterwachsenden Beton- und Asphaltlandschaften kann durch die Begrünung von Dächern enorm entlastet werden. Vielerorts konnten die Kanalisationen und Entwässerungssysteme dem Wachstum der Städte kaum hinterherkommen, sodass sie bei extremen Starkregenfällen, wie sie bedingt durch den Klimawandel in Zukunft noch häufiger vorkommen werden, schnell überlastet sind. Die Folgen sind Überflutungen, die nicht selten große Schäden anrichten. Ein Gründach kann große Mengen Regen zurückhalten und Wasser nach und nach an die Kanalisation abgeben. So kann die Auswirkung eines starken Regenereignisses um mehr als die Hälfte vermindert, im Idealfall sogar vollständig aufgefangen werden. Großflächige Dachbegrünungen in ganzen Stadtgebieten können also ein effizienter und effektiver Weg sein, um Städte den Klimaveränderungen gegenüber widerstandsfähiger zu machen. Aber auch auf kleinerer Ebene, dem Gebäude selbst, kann Dachbegrünung viel Positives leisten. So verbessert der aus unterschiedlichen Schichten wie Drainageelementen, Substraten und Vegetation bestehende Aufbau eines Gründaches sowohl die Wärmedämmung im Winter als auch den Hitzeschutz im Sommer. Außerdem wird die Abdichtung des Daches vor Witterungseinflüssen geschützt und die Langlebigkeit des gesamten Daches so deutlich erhöht. Dabei unterscheidet sich eine extensive Begrünung mit verschiedenen Moosen oder Sedumgewächsen vom Pflegeaufwand her nur unwesentlich von einem unbegrünten Dach. Auch intensiv begrünte Flächen, auf denen verschiedenste Kräuter, Stauden, Hecken und kleinere Bäume, aber ebenso landwirtschaftliche Nutzpflanzen sowie Obst- und Gemüsesorten wachsen und gedeihen können, benötigen kaum mehr Pflege als ähnlich gestaltete ebenerdige Flächen. Die Hersteller und Anbieter von Dach- und Bauwerksbegrünungssystemen, wie das badenwürttembergische Unternehmen OPTIGRÜN, arbeiten stetig an der Weiterentwicklung von Produkten, die eine ideale Wasser- und Nährstoffversorgung unterschiedlichster Bepflanzungen ermöglichen. Der gestalterischen Vielfalt sind somit kaum Grenzen gesetzt, sodass von einfachen Moos- und Grasflächen über aufwendig gestaltete Dachgärten bis hin zu anspruchsvollen Beet-Anlagen in Urban Farming-Projekten nahezu jede Form von Grün Einzug in unsere Städte halten kann. Bild 3: Der gestalterischen Vielfalt sind somit kaum Grenzen gesetzt, sodass bis hin zu anspruchsvollen Beet-Anlagen in Urban Farming- Projekten nahezu jede Form von Grün Einzug in unsere Städte halten kann. © Optigrün international AG. 29 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen www.e-world-essen.com EUROPAS FÜHRENDE ENERGIEFACHMESSE E-WORLD ENERGY & WATER 5. - 7. FEBRUAR 2019 ESSEN, GERMANY MESSE | NETWORKING | KONGRESS | FACHFOREN NACHHALTIGE UND EFFIZIENTE LÖSUNGEN FÜR DIE ENERGIEZUKUNFT Keine Universallösung, sondern ein wertvoller Part Die Begrünung von Dächern ist selbstverständlich nicht die eine und universelle Lösung für alle Probleme, mit denen die Städte unserer Welt konfrontiert sind und sein werden. Aber Gründächer können auf allen Ebenen, die zur Lebensqualität in der Stadt beitragen, eine langfristige Verbesserung bewirken: Sie optimieren das Stadtklima, entlasten die Infrastrukturen, werten das Stadtbild auf, bringen neue Möglichkeiten für die urbane Baukultur, unterstützen durch die bauliche zugleich die kulturelle und soziale Diversität, während sie hochwertiges Grün und somit neuen Raum für die biologische Vielfalt in Städten schaffen. Schon heute entsteht auf den grünen Dächern der Metropolen unserer Welt immer mehr Platz für Parkanlagen in luftigen Höhen und neue Orte werden geschaffen, an denen man sich mit Freunden und Familie zum Picknick treffen kann, um Obst und Gemüse vom Dach eines achtstöckigen Bürogebäudes zu genießen. Durch die Begrünung von Dächern lässt sich ein anderes, besseres Bild von den Städten unserer Zukunft malen. Ein Bild, bei dem man nicht lange aus den Wüsten aus Stahl, Glas und Beton hinaus in den Wald oder aufs Land fahren muss, sondern einfach den Fahrstuhl nach oben nimmt. Betrachtet man all diese Aspekte, haben Dachbegrünungen ganz klar das Potenzial, ein sinnvoller Teil vieler, wenn nicht sogar aller nachhaltigen Städtebaukonzepte zu sein. Optigrün ist einer der marktführenden Systemanbieter für Dach- und Bauwerksbegrünung in Europa. Gemeinsam mit rund 120 Partnerunternehmen im Optigrün-Verbund, werden jährlich weltweit über 2,7 Mio. Quadratmeter Dachfläche begrünt. Das Baden-Württemberger Unternehmen berät Architekten und Bauherren über die verschiedenen Varianten von Dachbegrünung, Regenwassermanagement und Absturzsicherung und bietet auch für außergewöhnliche Anforderungen die passende Lösung. Weitere Informationen unter www.optigruen.de OPTIGRÜN INTERNATIONAL AG 30 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen Entwässerung beeinflusst das Stadtklima In Immobilien der Zukunft werden Photovoltaik und Regenwasserbewirtschaftung integriert sein. Maßgeschneiderte Kombinationen aus Verdunstung, Nutzung und Versickerung machen es selbst in Citylage möglich, Niederschlagswasser zu 100 Prozent Regenwasser gewinnbringend verdunsten Hitze und Starkregen - technische Regelwerke ändern sich ab 2019 Klaus W. König Wo Wasser und Begrünung weichen mussten, leiden unsere Städte mittlerweile unter Hitze und Trockenheit. Der Klimawandel wird diesen Effekt noch verstärken. Nun geht es darum, durch Regenwassermanagement Lösungen zu entwickeln, die der natürlichen, standortbezogenen Wasserbilanz aus Niederschlag, Verdunstung, Versickerung und Abfluss nahekommen. Das steht ab 2019 in den technischen Regeln, dem „Pflichtenheft“ für Planer. Konkret: DWA-A 102 (im Entwurf seit Oktober 2016 vorliegend) zur Einleitung in Oberflächengewässer und DWA-A 138 (Bearbeitung im Jahr 2018) zur Versickerung. Dramatisch für die Planung neuer Immobilien gemäß dieser Regeln könnten Nachweis und Realisierung der Regenwasserverdunstung werden. Sie beträgt an vielen Orten vor einer Bebauung 60 - 70 % der Niederschlagsmenge. Pilotprojekte führen nun den Nachweis, dass eine solche Größenordnung auf bebauten Flächen möglich ist. Zusätzlich wird die Effizienz von Photovoltaikanlagen gesteigert, wenn Solar-Gründächer in Trockenperioden mit dem gespeicherten Regenwasser beaufschlagt werden. zu bewirtschaften. Das spart Ableitungsgebühr und verbessert das Mikroklima im Gebäudeumfeld. Dabei kann zusätzlich noch die Effizienz von Photovoltaikanlagen gesteigert werden, wenn Solar-Gründächer in Trockenperioden mit dem gespeicherten Regenwasser beaufschlagt werden. Historisch gesehen war Stadtplanung immer wasserorientiert. Alle unsere Metropolen sind Beispiele dafür - sie liegen an Flüssen. Kriterien für die Wahl des Ortes zu Beginn unserer Zivilisation waren Trinkwasser, gewerblich nutzbares Wasser, Verkehrswege und Schutz bzw. Verteidigung. Wirtschaftlichkeit und Hygiene Bild 1: Solarsiedlung Merzhausen in Freiburg im Breisgau. Solar- Gründach, eine Kombination aus einem kompletten Solardach und einem kompletten Gründach. © Optigrün 31 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen führten in den vergangenen Jahrhunderten dazu, dass die Trinkwasserversorgung und die Entwässerung zunehmend zentral organisiert wurden. Dabei war schnelle und vollständige Regenableitung aus Siedlungsgebieten selbstverständlich. Allerdings verstärkte die Wasserwirtschaft die Schwankungen bei Hoch- und Niedrigwasser in Flüssen und den Eintrag unerwünschter Stoffe. Mehr noch: Die Städte leiden mittlerweile unter Hitze und Trockenheit, wo Wasser und Begrünung weichen mussten. Und der Klimawandel wird diesen Effekt noch verstärken, sollte die Prognose der vermehrten Winter- und verringerten Sommerniederschläge Wirklichkeit werden. Immobilien stärker im Fokus der Regenwasserbewirtschaftung Um Abhilfe zu schaffen, muss Regenwasser künftig länger in der Stadt bleiben und gefahrlos durch die Methoden der Regenwasserbewirtschaftung mit den Aspekten Umweltschutz, Lebensqualität, Stadtklima und Überflutungsschutz verknüpft werden. Das funktioniert am besten dezentral, also direkt auf den Grundstücken und Gebäudedächern. Darin sind sich Politik und Wissenschaft einig. Als neue Aufgabe beschäftigt das Thema mittlerweile Stadt- und Regionalplaner - auch europa- und weltweit. Unsere Lokalpolitik agiert und reagiert ebenfalls, mit dem Ergebnis, dass sich in Deutschland Haus- und Grundbesitzer mit kommunalen Maßnahmen konfrontiert sehen: Beim Neubau hängt die Baugenehmigung von geeigneten Methoden zur Regenwasserbewirtschaftung ab. Einleiten von Regenwasser in Mischkanäle, auch bei Umbau im Bestand, ist in der Regel nicht mehr erlaubt. Solar-Gründächer liefern mehr Strom, wenn die Umgebungsluft der Solarpaneele vom Kühleffekt der Regenwasserverdunstung aus dem Substrat und den Pflanzen profitiert. Kommunale Gründachstrategie nennt sich ein Programm der Stadt Hamburg, das informiert und propagiert. Hitze und trockene Luft - beides kann die Gesundheit beeinträchtigen - werden spürbar verringert, wenn begrünte und andere Dachflächen an trockenen Tagen befeuchtet werden. Das technische Regelwerk und Satzungen werden hier Vorgaben machen. Bei bestehenden Gebäuden geben ständig steigende Niederschlagsgebühren Anlass, über eine alternative Regenentwässerung nachzudenken. Dem Regenwasser „neue Wege“ anzubieten, ist seit rund 25-Jahren Thema in Deutschland. Eine klare, bundesweit geltende gesetzliche Grundlage gibt es erst seit einigen Jahren. Das Wasserhaushaltsgesetz (WHG 2009) ist am 1. März 2010 in Kraft getreten. In § 55 Absatz 2 wird unter anderem gefordert, das Niederschlagswasser nicht mehr mit Schmutzwasser zu vermischen, sondern ortsnah in ein Gewässer (Grundwasser oder Oberflächengewässer) einzuleiten. Grundsätzlich sind Gewässer als Bestandteil des Naturhaushalts so zu bewirtschaften, dass sie dem Wohl der Allgemeinheit und im Einklang mit ihm auch dem Nutzen Einzelner dienen und vermeidbare Beeinträchtigungen ihrer ökologischen Funktionen unterbleiben, fordert der sogenannte Bewirtschaftungsgrundsatz in § 1 a WHG. Gebäude- und Stadtteil- Zertifizierung setzt Maßstäbe Wo Investoren große Immobilien und Stadtquartiere finanzieren, wird immer häufiger gewünscht, solche Projekte auf Nachhaltigkeit zertifizieren zu lassen und so den Verkaufswert für Jahrzehnte hochzuhalten. Dafür sind Lösungen im Umgang mit Regenwasser von Vorteil. Weltweit ist mittlerweile ein gutes Dutzend zertifizierender Organisationen bekannt. International anwendbar und für Deutschland von Bedeutung: das britische BREEAM-, das amerikanische LEED- und das deutsche DGNB-Label. Ihnen gemeinsam sind die Bewertung nach Punkten und die Auszeichnung in mehreren Qualitätsstufen für Objekte in aller Welt. Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e. V. (DGNB) Bild 2: Mannheim-Lanzgarten: begrünter Innenhof auf einer Tiefgaragendecke als Dachgarten mit einer mittleren Aufbauhöhe von 25 cm. © ZinCo 32 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen zertifiziert seit einigen Jahren auch ganze Quartiere. Als erster Stadtteil erhielt das Europaviertel West in Frankfurt die höchste Auszeichnung „Platin“ für die Nachhaltigkeit der Erschließung. Ein Bestandteil der dafür erforderlichen Maßnahmen ist die Regenwasserbewirtschaftung. Dazu gehören neben der WC-Spülung auch Gründächer, Bewässerung von Grünanlagen und offene Wasserflächen - wobei Regenwasser verdunstet oder versickert wird. Dies kommt dem lokalen Wasserkreislauf und dem Stadtklima gleichermaßen zugute. Ein weiterer Effekt ist die Einsparung von Trinkwasser. Die Nutzer der Immobilie reduzieren den Verbrauch der Ressource und sparen dabei Gebühren. Auch die Menge des Abwassers ist geringer, da Regenwasser nicht in den Kanal eingeleitet wird. Und das spart ein zweites Mal Gebühren, die sonst für Ableiten von Niederschlägen pro Quadratmeter versiegelte und an den Abfluss angeschlossene Fläche bei den Nebenkosten anteilig auftauchen. Niederschlagsgebühren sind je nach Kommune unterschiedlich und betragen pro Quadratmeter und Jahr zwischen 0,26 EUR (Überlingen/ Bodensee) und 1,95 EUR (Wuppertal). Die Pflicht, Regenwasser ab 2019 überwiegend zu verdunsten Für DGNB spielen Regenwassermanagement und Wasserkreisläufe eine wichtige Rolle bei der Bewertung von Stadtquartieren. In sechs weiteren Kriterien, wie zum Beispiel der Veränderung des Stadtteilklimas oder der lokalen Nahrungsmittelproduktion, wird der sinnvolle Umgang mit Wasser ebenso einbezogen. Speziell Regenwassermanagement hat zum Ziel, durch dezentrale Maßnahmen der Überflutung bei Starkregen vorzubeugen und das Lokalklima zu verbessern. Es geht darum, Lösungen zu entwickeln, die der natürlichen, standortbezogenen Wasserbilanz aus Niederschlag, Verdunstung, Versickerung und Abfluss nahekommen. Die Wasserbilanz des bebauten Gebietes soll so weit wie möglich den Verhältnissen vor der Bebauung entsprechen. Das steht demnächst auch in den technischen Regeln, dem „Pflichtenheft“ für Planer. Konkret: DWA-A 102 (im Entwurf seit Oktober 2016 vorliegend) zur Einleitung in Oberflächengewässer und DWA-A 138 (Bearbeitung im Jahr 2018) zur Versickerung - möglicherweise Vorläufer einer bundesweit gültigen gesetzlichen Regelung, dem noch fehlenden Anhang Regenwasser zur Abwasserverordnung des aktuell gültigen WHG. Für die Planung neuer Immobilien gemäß diesen Regeln könnten der Nachweis und die Realisierung der Regenwasserverdunstung anspruchsvoll werden. An vielen Orten beträgt die Verdunstung vor einer Bebauung 60 - 70 % der Niederschlagsmenge. Bei der Regenwassernutzung steht die Bewässerung von Grünflächen an erster Stelle. Aber damit sind die geforderten Mengen nicht zu verdunsten. Dennoch: Großer Vorteil bei der Bewässerung mit Regenwasser ist, dass einerseits Trinkwasser eingespart wird. Andererseits wird die überschüssige Menge des gesammelten Niederschlags, soweit ihn die Pflanzen nicht vollständig aufnehmen können, dem natürlichen Wasserkreislauf zweifach zur Verfügung gestellt - einmal Richtung Grundwasser zur Versickerung und einmal Richtung Luft zur Verdunstung. Verdunstung bindet physikalisch extrem viel Wärme Verdunstung ist „Medizin“ für das Klima europäischer Städte und deren Bewohner. Ganzjährig trockene Luft und übermäßige Hitze im Sommer schaden der Gesundheit. Durch Entsiegelung und Begrünung der bebauten Flächen, kombiniert mit Regenwasserbewirtschaftung, kann das Stadtklima allmählich verbessert und dem Klimawandel entgegengewirkt werden. Sorgen macht den Stadtplanern auch die jahreszeitliche Verschiebung der Niederschläge. Prognostiziert wird für die kommenden Jahrzehnte, dass die jährliche Regenmenge in Deutschland etwa gleich bleibt, aber die monatliche Verteilung sich stark verändert. Angeblich wird das Verhältnis von kräftigem Sommerniederschlag und geringerem Winterniederschlag sich umkehren. Für das städtische Grün bedeutet das im Sommer zu wenig Wasser, während im Winter, wenn die Vegetation Umweltschutz: Faktor Grün erhöhen, natürliche Wasserkreisläufe stärken Lebensqualität: Ästhetische Erscheinungsformen von Natur in der City erlebbar machen Heat Island Effekt: Strahlungsabsorption mindern, Verdunstungskühlung erhöhen Starkniederschläge: Überflutungsgefahr für Menschen und Immobilien reduzieren Kosten: Teuere zentrale „End-of-Pipe“-Methoden durch dezentrale „Source-Control“-Lösungen ersetzen. ZIELE ZEITGEMÄSSER DEZENTRALER URBANER REGENWASSERBEWIRTSCHAFTUNG Bild 3: Für die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e. V. (DGNB) spielen Regenwassermanagement und Wasserkreisläufe eine wichtige Rolle bei der Bewertung von Stadtquartieren. © Gregor Grassl 33 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen kaum Regen benötigt, zu viel da sein wird. Die Konsequenz könnte heißen, große Regenspeicher zu bauen, um einen Teil der Winterniederschläge für den Sommer vorzuhalten. Wie sonst sollen wir die künftig geforderte Verdunstungsrate erreichen? Vielleicht sind uns die Japaner in Sachen Kühlung und Verdunstung einen Schritt voraus. Bei Sony in Tokio wird über eine dichte Struktur von Keramikleitungen vor der Südfassade bei hohen sommerlichen Temperaturen Regenwasser aus dem Speicher des Gebäudes versprüht. Damit sinkt die Temperatur vor dieser Fassade um 12 Kelvin, also beispielsweise von 35 °C auf 23 °C. Die Methode hat sogar einen Namen: Sie wird „Sudare“ genannt und spart elektrische Energie zur Gebäudekühlung. Gebühren sparen und Strom gewinnen Synergieeffekte zwischen dezentraler Regenwasserbewirtschaftung und Energie lassen sich auch bei der Photovoltaik erreichen. Ausschlaggebend ist der Kühleffekt durch Regenwasserverdunstung in unmittelbarer Nähe der Photovoltaik-Module. Bekanntermaßen ist die Stromproduktion in diesen Anlagen umso größer, je kühler die Umgebungsluft bei gleicher Einstrahlung ist. Ein Kubikmeter Wasser bei 30 °C zieht aus der Umgebung 680 kWh Wärmeenergie ab, um zu verdunsten. Und längst werben Dachbegrüner mit diesem Effekt: Sie empfehlen sogenannte Solar- Gründächer als Kombination aus Solardach und Gründach. Für Planer kein Problem: Die marktführenden Systemhersteller machen bereits seit Jahren Komplettangebote, indem sie die Halterung der Photovoltaik-Paneele liefern und durch ihre Vertragspartner montieren lassen. Somit wird eine professionelle Befestigung (ausreichend Auflast gegen Windsog, unversehrte Dachabdichtung etc.) gewährleistet. Auch leiten gut konzipierte Halterungen das auf die Solarpaneele auftreffende Regenwasser zurück unter deren Fläche, um auch dort im „Niederschlags-Schatten“ Begrünung zu ermöglichen. Neuerdings, im Vorfeld der Änderung bei Regelwerk und Wasser-/ Baugesetzen zugunsten deutlich höherer Verdunstungsraten, werden in der Regenwasserbranche Konzepte vorgestellt, die bei künftigen Neubauvorhaben mit wenig technischem Aufwand erlauben, Dach- und Oberflächenabflüsse von Gründächern, aber auch von anderen versiegelten Flächen, in Speichern auf dem privaten Grundstück zu sammeln und an trockenen Tagen zurück auf die Sammelflächen zu leiten. Automatisch bewässerte Pflasterbeläge/ Verkehrsflächen oder Ziegel- und Schieferdächer helfen ebenso wie die begrünten Flächen zu ebener Erde und auf den Gebäuden oder an Fassaden, die oftmals erforderlichen 60 bis 70 % des Niederschlags vor Ort zu verdunsten. Solche Bewässerung wird dafür sorgen, von WetterApp unterstützt, dass die Speicher vor angekündigtem Starkregen leer sind. Damit gelingt im öffentlichen Interesse dezentrale Regenrückhaltung und eine Verbesserung des Stadtklimas. Die Betreiber der Immobilien erhalten durch ihre Investition schon wesentliche Elemente für eine mögliche Zertifizierung auf Nachhaltigkeit und insofern einen höheren Immobilienwert. Darüber hinaus werden sie mit geringeren Trinkwasser- und Niederschlagswassergebühren und gegebenenfalls mit höheren Stromerträgen aus der Photovoltaik belohnt. LITERATUR: [1] Schmitt, T. G.: Neue Regeln für Regenwetterabflüsse in Siedlungsgebieten. In: Ratgeber Regenwasser. Hrsg.: Mall GmbH, Donaueschingen. 7.-Auflage, 2018. [2] König, K. W.: Siedlungswasserwirtschaft bei Extremwetter überfordert? Starkregen in Deutschland. Der Bausachverständige, Fraunhofer IRB, Stuttgart. Seite 33-37, Ausgabe 2/ 2017. Dipl.-Ing. Klaus W. König Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Bewirtschaftung und Nutzung von Regenwasser, Fachjournalist kwkoenig@koenig-regenwasser.de AUTOR Bild 4: Frankfurt am Main, Europaviertel West. Dieser neue Stadtteil erhielt im Jahr 2012 die Auszeichnung in Platin für die Erschließung. © König 34 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Urbanisierung läuft auf „Hochtouren“ In der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts lebten erstmalig mehr als 50 Prozent der Menschen in Städten. Und die Prognosen sprechen eine klare Sprache: Ein Ort für die Stadt der Zukunft Munich Urban Colab Markus Bosch Städte waren und sind Sehnsuchtsorte. Seit jeher stehen sie sinnbildlich für den Wunsch nach Freiheit und den offenen Austausch zwischen den Menschen. Sie sind die Epizentren, in denen die Ideen entstehen, die der Menschheit Fortschritt und Wohlstand brachten und sie so in die Moderne katapultierten. Zahlreiche Beispiele - von Berlin über Istanbul nach Jerusalem - zeigen immer wieder eindrucksvoll, dass Städte zentrale Schauplätze gesellschaftlicher Konflikte und Ungleichheit sind und führen uns vor Augen, wie fragil unser politisches, soziales aber auch ökologisches Gefüge ist. Städte sind der Lebensraum der Zukunft. Im Jahr 2050, so prognostizieren die Vereinten Nationen, leben fast 70 Prozent der Weltbevölkerung im urbanisierten Lebensraum. Während der Urbanisierungsprozess in den westlichen Ländern bereits weitestgehend abgeschlossen ist und global betrachtet eher schleichend voranschreitet - 2012 lebten bereits knapp 75 Prozent der Deutschen in Städten -, läuft er in den Schwellen- und Drittwelt- Munich Urban Colab. © steidle Architekten / UnternehmerTUM GmbH 35 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum ländern weiterhin „auf Hochtouren“: Hier wachsen Städte rasant zu Multi-Millionen-Metropolen heran und bringen den urbanen Raum an den Rand seiner infrastrukturellen Kapazitäten. Wirtschaftliche Entwicklung und Urbanisierung gehen typischerweise Hand in Hand - resultieren aber auch in schwindenden Ressourcen oder Umweltverschmutzung. So ist die Wohnungsnot beispielsweise in Hongkong inzwischen so groß, dass Menschen dort in zwei Quadratmeter große Wohnboxen ziehen, während andernorts - beispielsweise in Bangkok - die Luftwerte regelmäßig das Level „höchst ungesund“ erreichen. Von solchen Ausmaßen sind deutsche Großstädte zwar weit entfernt, doch auch hier bleibt die fortschreitende Urbanisierung, gepaart mit dem demografischen Wandel, nicht ohne Folgen. Ländliche Gebiete im Osten Deutschlands bluten aus und die beliebtesten Städte wie Hamburg oder Frankfurt am Main platzen aus allen Nähten. Wohnungsknappheit, Staus und immer weniger Grün in den Ballungszentren sind die ungewünschten Konsequenzen. Technologie und nachhaltiges Unternehmertum: Antworten auf zentrale Herausforderungen der Stadt der Zukunft Bei der nachhaltigen Lösung der Herausforderungen hinsichtlich Vernetzung, Mobilität, erneuerbarer Energien und Energieversorgung oder auch bei der Gestaltung des öffentlichen Raums in Städten werden in hohem Maße neue Technologien erforderlich sein. Das eröffnet vor allem innovativen Gründern und Start-ups ungeahnte Chancen. Facebook, Google und weitere Internetgiganten zeigen, dass die Geschäftsmodelle der Zukunft in der digitalen Plattform-Ökonomie zu finden sind - und datenbasiertes Wissen macht Städte berechenbar und smart. Kenntnisse zu Bewegungsströmen, Energieverbrauch, Infrastrukturauslastung und Nutzungsverhalten ermöglichen eine wesentlich bessere Steuerung des Systems Stadt. Die fortschreitende Digitalisierung legt eine weitere, unsichtbare Schicht über die Städte. Vor allem die Entwicklung im Bereich von Augmented Reality bietet hier eine neue „digitale Ebene“. Informationen können mitten in der Stadt abgerufen werden: Ob bei der Suche nach einem Parkplatz oder nach nützlichen Fakten zu historischen Gebäuden - dem Potenzial einer „Smart City“ scheinen dank der Digitalisierung kaum Grenzen gesetzt. Damit dieses Potenzial genutzt werden kann, braucht es einen Ort, an dem neue Ideen nicht nur entstehen, sondern auch langfristig gefördert und im kreativen Austausch optimiert werden. Einen solchen möchte München - die Stadt Deutschlands, die mit am stärksten von den massiven Folgen der Urbanisierung betroffen ist - nun schaffen. Das Munich Urban Colab: Hotsport für Smart City- Lösungen Um aus Ideen anwendbare Technologien und Lösungen für die Stadt der Zukunft werden zu lassen, planen die Stadt München und das von der Unternehmerin Susanne Klatten gegründete UnternehmerTUM, Europas führendem Gründerzentrum an der TU München, ein neues Innovationszentrum im Herzen der Stadt: Das Munich Urban Colab. Das Colab, welches sich derzeit in Bau befindet und voraussichtlich 2020 fertig gestellt wird, hat den Anspruch, eine internationale Vorreiterrolle bei der Entwicklung von Smart City- Lösungen einzunehmen. Dieser Ort fügt sich ideal in die bestehende Infrastruktur: Zwar spricht man meist vom Silicon Valley als dem internationalen Mekka für junge Gründer und Start-ups, doch auch München bietet alles, was visionäre Technologie- Start-ups für das Wachstum und die Entwicklung ihrer Ideen brauchen. Dazu zählen sechs Dax-Konzerne, ein starker Mittelstand, Branchenvielfalt, Nähe zu zahlreichen Hochschulen und Forschungsinstituten, eine ausgeprägte Investorenszene, qualifizierte Arbeitskräfte und die umsatzstärkste Kultur- und Kreativwirtschaft Deutschlands. Auf über 11 000 Quadratmeter Nutzfläche umfasst das Munich Urban Colab Büroräume, Co-Working Spaces, Veranstaltungs- und Seminarräume, Living Labs und eine High-Tech-Prototypenwerkstatt. Ein Café, zwei Wintergärten und ein Sport- und Fitnessraum sollen für Ausgleich neben der Arbeit sorgen und die UnternehmerTUM bietet Start-ups einen Rundum- Service von der ersten Idee bis zum Börsengang. Ein Team aus 240 erfahrenen Mitarbeitern, darunter Unternehmer, Wissenschaftler und Investoren, unterstützt Gründer aktiv beim Aufbau des Unternehmens, beim Markteintritt und bei der Finanzierung - auch mit Venture Capital. Für etablierte Unternehmen ist UnternehmerTUM eine einzigartige Plattform für die Zusammenarbeit mit Start-ups und den Ausbau ihrer Innovationskraft. UnternehmerTUM berät zur Innovationsstrategie, Corporate Venturing, Corporate Incubation und Company Buildung und begleitet bei der Umsetzung. Die 2002 von der Unternehmerin Susanne Klatten gegründete UnternehmerTUM ist mit jährlich mehr als 50 wachstumsstarken High-Tech Start-ups wie zum Beispiel FlixBus, Celonis und Konux sowie ihrem einmaligen Angebot das führende Gründerzentrum in Europa. ÜBER U NTERNEHMER T UM 36 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Akteure zusätzlich miteinander vernetzen. Die zentrale Lage im Kreativquartier bietet ein ideales Umfeld für die Entwicklung und Erprobung von Smart City-Lösungen: In unmittelbarer Nähe befinden sich etwa die TU München, die Hochschule München, die Hochschule für Design, die Hochschule für Film- und Fernsehen oder das Goethe-Institut. Auch die Architektur unterstützt den Anspruch des neuen Gebäudes. Helle und offene Raumstrukturen sollen zur Kommunikation einladen und ein Höchstmaß an Transparenz und Freiraum bieten. Dadurch werden ideale Voraussetzungen geschaffen, um das Entstehen von Innovationen zu unterstützen. Interdisziplinärer Ansatz Die Stadt München und UnternehmerTUM sind sich einig, dass es Start-ups, etablierte Unternehmen, Wissenschaftler und Kreative aus verschiedenen Branchen und Disziplinen - von Umweltingenieuren über Soziologen hin zu Künstlern - braucht, um aus Smart City-Visionen tatsächlich auch reale Lösungen werden zu lassen. Ziel ist es, den kommunikativen Austausch zu fördern, möglichst viele unterschiedliche Perspektiven einzuholen und gemeinsam unter einem Dach Innovationen zu entwickeln und zu testen. Dieser Ansatz ist in dieser Art und Weise einzigartig. Alle Akteure profitieren zudem von der langjährigen Gründungs- und Technologie-Expertise von UnternehmerTUM. Erfolgreiche Angebote wie die „Digital Product School“ oder die Initiative für angewandte künstliche Intelligenz „appliedAI“ sollen langfristig im Munich Urban Colab angesiedelt sein. Das Ökosystem der UnternehmerTUM umfasst insgesamt über hundert Industrie-Unternehmen, Deutschlands führende Technologie-Startups, Investoren, Stiftungspartner und einen Talentpool von über 40 000 Alumni. Gleichzeitig ermöglicht das Referat für Arbeit und Wirtschaft der Landeshauptstadt München den Zugang zur städtischen Infrastruktur und den schnellen Austausch mit städtischen Partnern, dem Baureferat, den Stadtwerken München oder auch der Münchner Verkehrsgesellschaft. Faktor Lebensqualität entscheidend Für Gründerin Susanne Klatten ist der Faktor Lebensqualität essentieller Bestandteil des Munich Urban Colab: „Es geht nicht nur darum, was technisch möglich ist. Es geht auch um den Einsatz und die Einbindung der Technologien in bestehende und neue Systeme und die kritische Reflexion: Was ist sinnvoll? Was menschlich? Schlaue Städte sind nicht automatisch lebenswerte Städte. Eine smarte Stadt ist nach meinem Verständnis nicht nur eine vernetzte Stadt. Es ist eine Stadt, die Menschen eine hohe Lebensqualität bietet und dabei ökologisch verantwortungsvoll ist. Für die Entwicklung dieser lebenswerten und intelligenten Städte brauchen wir individuelle Konzepte, die alle Bürger zur Mitwirkung einladen,“ so Susanne Klatten. Der Faktor Lebensqualität entwickelt sich zum globalen Ziel - er entscheidet über die politische, ökonomische und soziale Stabilität künftiger Stadtlandschaften. Die jeweilige Definition des Begriffs Lebensqualität mag in den einzelnen Städten stark auseinandergehen, doch innovative, nachhaltige Technologien, gepaart mit einem veränderten ökologischen Verständnis und politischen Maßnahmen zur sozialen Integration werden maßgeblich dazu beitragen, dass sich auch Städte in den heutigen Schwellenländern sukzessive zu lebenswerten Orten transformieren lassen. Diese Technologien zu entwickeln, zu testen und kontinuierlich weiterzuentwickeln wird künftig die zentrale Aufgabe des Munich Urban Colabs sein. Markus Bosch Communication & Development UnternehmerTUM GmbH Kontakt: bosch@unternehmertum.de AUTOR Munich Urban Colab, Halle. © steidle Architekten / UnternehmerTUM GmbH Munich Urban Colab, Büros. © steidle Architekten / UnternehmerTUM GmbH 37 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Die Weiterentwicklung von Städten ist ein komplexes Vorhaben, das unter Berücksichtigung vielfältiger Interessensgruppen stattfindet. Immer mehr müssen Planer einen Rundumblick bis hin zur vollständigen 360°-Perspektive einnehmen. Ein wichtiger Blickwinkel ist dabei die Bürgerperspektive. Aus diesem Grund hat Sweco Anfang 2018 die Initiative „Urban Insight“ ins Leben gerufen. Die Kampagne greift aktuelle Themen aus genau dieser Perspektive auf und stellt zukunftsweisende Lösungsmöglichkeiten vor. Die Basis für „Urban Insight“ sind Artikel von internationalen Sweco-Experten, die ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit der Öffentlichkeit teilen. Schwerpunkt in 2018 ist die nachhaltige Entwicklung von Mobilität. 1. Jahresthema Mobilität Von E-Mobilität über Lärm- und Geräuschreduktion bis zur Konfliktlösung zwischen Verkehrsteilnehmern wurden unterschiedliche Aspekte rund um das Thema Mobilität untersucht. Der Schwerpunkt eines Artikels lag darauf, Brücken und Tunnel nicht mehr nur als Transportstrukturen zu sehen, sondern auch als soziale Treffpunkte, die für die Stadt und ihre Bewohner einen Mehrwert schaffen. Das Ergebnis der insgesamt neun Fachartikel sind vollständig unterschiedliche Perspektiven verschiedener Planungsdisziplinen auf Stadtentwicklungsebene. In einem der letzten Beiträge ging es beispielsweise darum, wie öffentliche Räume im Sinne ihrer Nutzer*innen gestaltet werden können. Urban Insight Nachhaltige Entwicklung von Städten der Zukunft Stephan Landau In der langfristigen Kampagne „Urban Insight“ untersuchen Experten der Sweco GmbH den Einfluss verschiedener städtischer Strukturen auf den Alltag und die Lebensqualität von Bürger*innen in Europa. Mit dem Blick aus der Bürgerperspektive zeigt das Unternehmen innovative Lösungsansätze für urbane Räume auf. Bild 1: Sweco-Kampagne „Urban Insight“. © Sweco GmbH 38 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum 2. Die lebendige Stadt - urbaner Raum für Menschen in Bewegung Die internationalen Sweco-Kollegen Mathias Ahlgren (Landschaftsarchitekt, Sweco Schweden), Nigel Robson (Stadtentwickler, Sweco United Kingdom) und Rik Houthaeve (Experte für strategische Stadt- und Regionalentwicklung, Sweco Belgien) vertreten im Artikel „Urbaner Raum für Menschen in Bewegung - die lebendige Stadt“ folgenden Ansatz: In den letzten 70 Jahren wurden Städte auf der ganzen Welt aus der Sicht des Automobils entworfen. Dadurch hat sich die Form der fußläufigen europäischen Stadt im Laufe der Zeit zu einem Ort gewandelt, an dem Straßen zu Auto- und Parkraum geworden sind. Die Bedeutung dieser Plätze als Orte der Interaktion, Vielfalt und des Austauschs wurden dabei nicht berücksichtigt. Zwar bietet der Autoverkehr einerseits Flexibilität, macht aber andererseits das städtische Leben durch Verkehrsüberlastung, ineffiziente Raumnutzung, größere Entfernungen zwischen den Dienstleistungen, Luftverschmutzung und Treibhausgasemissionen anstrengender. Eine Stadt sollte im Hinblick auf den dort stattfindenden Alltag geplant werden. Um eine gerechtere und nachhaltigere Stadtentwicklung zu erreichen, ist es wichtig, dass die Stadt ihre Bewohner*innen mit deren individueller und kollektiver Identität verbindet. Gute Verbindungen verbessern die Auswahl, unterstützen den sozialen Zusammenhalt, machen Orte lebendig und sicher und erleichtern die menschliche Interaktion. 3. Heilsame Luft, ruhige Städte - reduzierte Lärm- und Luftverschmutzung in städtischen Gebieten Der dänische Sweco-Lärmexperte Kenneth Lillelund beschäftigte sich damit, wie unterschiedliche europäische Länder das Thema Lärm- und Luftverschmutzung angehen. Die Lösung erfordert eine langfristige Strategie für Verkehrssysteme, Produktions- und Bauverfahren zugunsten leiserer und umweltfreundlicherer Ergebnisse. Lärmbelastung kann an der Quelle, während der Ausbreitung und beim Empfänger (Wohnungen, Schulen usw.) reduziert werden. Luftverschmutzung hingegen kann nur an der Quelle und in sehr geringem Maße am Empfänger gemindert werden. Es ist wichtig, Maßnahmen gegen die Verschmutzung sowohl in bestehenden städtischen Gebieten als auch bei der Planung neuer städtischer Gebiete zu finden. Ein Ansatz könnte laut Lillelund sein, den Verkehr in sensiblen Bereichen einzustellen oder zu reduzieren. Dies könnte bedeuten, dass schwere Fahrzeuge im Stadtzentrum reduziert oder verboten werden, die Geschwindigkeit auf 30 km/ h für alle Fahrzeuge begrenzt wird, Spikereifen und ältere Dieselfahrzeuge verboten und langfristig nur Elektroautos zugelassen werden. Auch gute Bedingungen für Radfahrer und öffentliche Verkehrsmittel tragen dazu bei, den umweltbelastenden Verkehr zu reduzieren. Eine weitere mögliche Maßnahme könnte darin bestehen, Waren mit kleineren Fahrzeugen an die Geschäfte zu liefern. 4. E-magine a Journey through Europe - Energieinfrastruktur für nachhaltige Mobilität Tim van den Maagdenberg (Ressortleiter Dezentrale Energietechnik, Sweco Deutschland) beschäftigte sich in diesem Jahr damit, wie E-Mobilität nicht nur Lärm- und Luftverschmutzung reduzieren, sondern auch einen aktiven Beitrag zum Klimaschutz leisten kann. Elektrofahrzeuge werden immer beliebter und immer mehr Menschen suchen nach Alternativen zu Benzin- und Dieselmotoren. Begrenzte Reichweiten und die Angst vor nicht verfügbaren Ladepunkten auf Reisen haben sich jedoch dämpfend auf das Wachstum ausgewirkt. Dabei ging es im Bericht um die Frage, ob es heute möglich ist, mit einem Elektroauto eine Autofahrt durch Europa zu unternehmen. Die fiktive Familienreise führte von London nach Warschau, durch Deutschland, Dänemark, Norwegen und Schweden. Auf der Reise stieß die Familie auf eine Reihe von Hindernissen, entdeckte aber auch, dass einige Städte intelligente Lösungen implementiert haben, um den Elektrofahrzeugführern das Leben zu Bild 2: „Urban Insight Ideathon“: Entwicklung spielerischer Beteiligungsformate. © Sweco GmbH Bild 3: „Urban Insight Ideathon“: Neue Formen des Zusammenarbeitens erproben. © Sweco GmbH 39 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum erleichtern. In Schweden ist es - im Gegensatz zu Deutschland - beispielsweise einfacher, Ladestationen mit den richtigen Steckern zu finden. Auch die Qualität und das Design der Ladestationen variieren von Land zu Land und verursachen einige Herausforderungen. Für verschiedene Länder werden unterschiedliche Mobilfunkanwendungen zur Lokalisierung von Ladestationen und diverse Mitgliedskarten zur Bezahlung benötigt. 5. „Urban Insight“ als Laborraum Bei der Gewährleistung unterschiedlicher Anforderungen, seien es Freiraum, Lärmschutz, Klimaschutz oder Sicherheit, sind einzelne Fachexperten gefordert. Ein Zusammendenken ist sicherlich eine der wesentlichen Herausforderungen in der Stadtplanung, um Räume zu schaffen, in denen die Menschen gerne leben wollen. Die Initiative „Urban Insight“ wagt deshalb auch Experimente, um neue Formen des Zusammenarbeitens zu erproben. Im August 2018 fand der erste Ideathon zur Entwicklung spielerischer Beteiligungsformate im Klimahaus in Bremerhaven statt. Rund 20-Teilnehmer*innen aus Sweco- Fachbereichen erarbeiteten neue Methoden, um Planungsprozesse für die Öffentlichkeit verständlicher zu machen. 6. Partizipative Stadtplanung und -entwicklung Für große Bau- und Infrastrukturprojekte wird das Thema „Beteiligung“ immer wichtiger, aber auch bei der Planung vermeintlich kleinerer Projekte sollten Bürger*innen mit einbezogen werden. Es geht darum, Städte und Gemeinden partizipativ weiterzuentwickeln. Aber wie können komplexe Planungsprozesse in der Öffentlichkeit nachvollziehbar gemacht und anschaulich dargestellt werden? Mit dieser und ähnlichen Fragen haben sich die Teilnehmer des ersten „Urban Insight Ideathons“ beschäftigt. Anhand konkreter Fälle aus Sweco-Projekten wurden kreative, projekttaugliche Alternativen zu Powerpoints, Moderationskärtchen und Co. entwickelt. Von der Regionalentwicklung bis hin zu Infrastrukturprojekten, von der Rallye bis zum Brettspiel: die Teilnehmer erarbeiteten insgesamt acht verschiedene Spieleideen zu den Themen Bürgerinformation, Kooperation und Perspektivwechsel, die alle für zukünftige Projekte einsetzbar sind. Für den Anfang werden drei Ansätze aus dem Ideenpool weiterverfolgt und ausgearbeitet. 7. Von Mobilität zu Energie In 2019 beschäftigt sich die Kampagne „Urban Insight“ mit dem Fokusthema „Energie“. Gleich zu Beginn des Jahres stellen die finnischen Sweco-Experten ihre Ergebnisse der Untersuchung „Strom und Versorgungssicherheit - wenn ein Bürger eine Woche lang keinen Strom hat“ vor. Und auch das Thema „Erneuerbare Energien“ wird von Sweco aus Sicht der Bürger*innen betrachtet. Alle Artikel der Sweco-Initiative „Urban Insight“ sind im Internet zu finden unter: www.swecourbaninsight.com solution software für die smart city von morgen Maßgeschneidertes Energiedatenmanagement Flexible Visualisierung und Bedienung der Wasserversorgung Steuerung und Überwachung des öffentlichen Nahverkehrs Gebäudeautomation zenon www.copadata.com/ smartcity Mehr Infos? Schreiben Sie an: smartcity@copadata.com Microsoft Partner of the Year: 2016 Public Sector: CityNext 2017 Internet of Things (IoT) Winner Stephan Landau Ressortleiter Städtebau und Regionalentwicklung Projektleiter Urban Insight Sweco GmbH Kontakt: stephan.landau@sweco-gmbh.de AUTOR 40 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Mixed Reality hat das Potenzial, die Visualisierung zu revolutionieren Digitalisierung hin oder her: Natürlich müssen Wartungsarbeiten beispielsweise an Kraftwerksanlagen, Tunnel- oder Schienensystemen auch in Zukunft manuell durchgeführt werden. Doch die reale Welt lässt sich hier mit der virtuellen Welt verschmelzen und hat damit das Potenzial, die Prozesse für Mitarbeiter deutlich einfacher und effizienter zu gestalten. Erfasste Daten können in der so genannten erweiterten Realität auf völlig neue Art und Weise visualisiert werden. Das kann die Interaktion von Mensch und Maschine deutlich erleichtern. In der bisherigen realen Welt ist für die Wartung in der Regel ein großer Wissensschatz und viel Erfahrung erforderlich. Diese Erfahrungswerte werden über Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte aufgebaut und sind natürlich personenabhängig. Verlässt die Person, die sich das Wissen aufgebaut hat, das Unternehmen, geht auch das Wissen rund um die Wartungsarbeiten verloren. Andererseits müssen neue Mitarbeiter lange eingearbeitet werden, um bestimmte Arbeiten eigenständig durchführen zu können. In der erweiterten Realität oder Mixed Reality kann der Mitarbeiter vor Ort auf sämtliche Daten und damit auf einen virtuellen Erfahrungsschatz zurückgreifen und spart sich damit lange Einarbeitungszeiten. Wie das funktioniert? Beispielsweise mit dem Einsatz einer Augmented Reality Brille wie der HoloLens von Microsoft. Ein Blick durch die Brille zeigt dem Mitarbeiter die reale Umgebung, in der er Wartungsarbeiten ausführen soll. Sie verknüpft diese aber mit digitalen Informationen und Anleitungen. So sind zum Beispiel Zukunft der Visualisierung: Wenn reale und virtuelle Welt verschmelzen Smarte Wartung städtischer Infrastrukturen mittels Mixed Reality Andreas Zerlett Zwei Drittel der Weltbevölkerung werden laut Vereinten Nationen im Jahr 2050 in städtischen Gebieten leben. Die Folge: Mit der wachsenden Bevölkerung werden auch städtische Infrastrukturen immer komplexer. Effizienz und Ressourcenschonung sind oberstes Gebot für die moderne Stadtentwicklung, um auch in Zukunft lebenswerten Wohnraum zu garantieren. Moderne Technologien können einen wertvollen Beitrag zu einer nachhaltigen und effizienten Entwicklung leisten. Das gilt auch für die Wartung und Überwachung der immer komplexeren städtischen Infrastrukturen. Mixed Reality könnte das Schlagwort der Zukunft lauten. Darunter versteht man Systeme, in der die reale Welt mit einer virtuellen Welt verschmilzt. Im Hinblick auf Wartung und Überwachung städtischer Infrastrukturen bietet diese Technologie ganz neue Möglichkeiten für die Visualisierung. Kosten lassen sich senken, außerdem kann viel Zeit für die Mitarbeiter eingespart werden. Wie genau das funktioniert und welches Potenzial sich hinter dem Schlagwort verbirgt, wird in diesem Fachartikel erläutert. Bilder © COPA-DATA 41 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Montagepläne oder Prüfabläufe für Mitarbeiter direkt vor Ort mit Blick in die Brille einsehbar. Die Hände bleiben für die Arbeit frei, die Techniker können Schritt für Schritt durch Reparaturaufgaben geführt werden. Mittels HoloLens werden alle Informationen, die für die Reparatur einer Maschine notwendig sind, eingeblendet. Zur Veranschaulichung werden hochauflösende 3D-Grafiken exakt dort projiziert, wo die Maßnahmen durchgeführt werden müssen. Dabei werden nicht nur defekte Bauteile angezeigt, sondern beispielsweise auch Hinweise auf gefährliche Bereiche. Der Vorteil: Auch wenig erfahrene Techniker können mit der Anleitung durch die Datenbrille Aufgaben zielsicher durchführen. Handlungsabläufe lassen sich mit einer smarten Checkliste verknüpfen. Dies minimiert mögliche Fehlerquellen. Erst wenn ein Schritt ordnungsgemäß ausgeführt wurde, kommt die Anweisung für den nächsten Schritt. Die Steuerung ist intuitiv, denn der Benutzer kommuniziert mit 3D-Objekten ganz einfach über Sprache, Blicke und Gesten. Die Verwendung der HoloLens ist so einfach, dass sich Anwender in der Regel innerhalb weniger Stunden damit vertraut machen können. Braucht der Mitarbeiter trotz virtueller Informationen weitere Hilfestellung, kann er sich auch die Remote-Unterstützung eines Experten aus der Leitwarte holen. So ist es möglich, die Durchführung der Arbeiten mit zusätzlichen Anweisungen zu unterstützen. Andreas Zerlett Sales Excellence Energy & Infrastructure / Smart City Ing. Punzenberger COPA-DATA GmbH Kontakt: smartcity@copadata.de AUTOR Blick durch die Brille: nur Blick in die Zukunft? Die Nachfrage nach Mixed-Reality-Lösungen steigt rasant. Nicht nur öffentliche Einrichtungen, auch produzierende Unternehmen loten derzeit die Möglichkeiten dieser neuen Technologien immer weiter aus und schon heute gibt es viele Beispiele, wie die Technologie sinnvoll eingesetzt werden kann - etwa überall dort, wo konkreter, interaktiver Benutzersupport bei Serviceprozessen hilfreich ist - so auch bei der Wartung städtischer Infrastrukturen. In vernetzten Städten steigt die Komplexität der Infrastrukturen. Für ihre Wartung und Überwachung wird die übersichtliche Aufbereitung von Informationen immer wichtiger. Mixed Reality hat das Potenzial, die Bedienung und Wartung von Anlagen nachhaltig zu verändern, sie kann die Prozessvisualisierung revolutionieren. Einsatzbereit ist die Technik schon heute. In welche Richtung Applikationen entwickelt werden, wird maßgeblich von der Zielsetzung und den Lösungsansprüchen der Kunden abhängen. Denn der Mehrwert der Lösung sollte stets im Fokus der Entwicklung stehen. Know-how und dem Neuesten aus der Rohrleitungswelt. Institut für Rohrleitungsbau an der Fachhochschule Oldenburg e.V. Ofener Straße 18 / 26121 Oldenburg Frau Ina Kleist Tel.: +49 (0) 441 361039-0 / Fax: +49 (0) 441 361039-10 E-mail: Kleist@iro-online.de / www.iro-online.de über 3.000 Besucher aus Versorgungswirtschaft, Behörden, Ingenieurbüros, Bauunternehmen und Rohr- und Zubehörherstellern über 350 internationale Aussteller mit dem Neues- gen 33. Oldenburger Rohrleitungsforum 13. bis 15. Februar 2019 Anmeldungen und weitere Informationen: Rohrleitungen - Transportmedium für Trinkwasser und Abwasser Forum Forum Unsere Kontaktdaten: Redaktionsleitung: Leserservice/ Vertrieb: Tel.: +49 7449 91386.43 christine.ziegler@transforming-cities.de Tel.: +49 7449 91386.39 service@trialog.de Anzeigenservice: Dispo/ Onlinetechnik: Tel.: +49 7449 91386.46 anzeigen@trialog.de Tel.: +49 7449 91386.47 dispo@trialog.de 42 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Inmitten großer Waldgebiete auf der Schwäbischen Alb gelegen, ist Albstadt mit 5715 Hektar der drittgrößte kommunale Waldbesitzer Baden-Württembergs. Die Stadt, die sich auf halbem Weg zwischen Stuttgart und dem Bodensee befindet, umfasst neun Stadtteile mit insgesamt rund 45 500 Einwohnern. Hier wurde unter anderem die Neigungswaage erfunden und so ein Zweig der Feinindustrie begründet. Neben Waagen hat sich der Maschinen- und Werkzeugbau in Albstadt angesiedelt. Einen wichtigen Industriebereich stellen dabei Textilmaschinen und die Textilherstellung dar. Bei den Albstadtwerken handelt es sich um ein eigenständiges Dienstleistungs- und Versorgungsunternehmen mit den Betriebszweigen Strom, Erdgas, Wärme, Wasser und Bäder. Mehr als 160 Mitarbeiter sind für die unterbrechungsfreie Belieferung von etwa 70 000 Industrie- und Privatkunden zuständig. Die Versorgung mit jährlich bis zu 2,2 Mrd. Liter Trinkwasser erfolgt über ein mehr als 960 Kilometer langes Rohrleitungsnetz, das von Albstadt bis nach Flensburg reichen würde. Die Hälfte des Trinkwassers stammt aus eigenen Quellen, während die restliche Menge von den Zweckverbänden Bodenseewasserversorgung und Wasserversorgung Zollernalb zugekauft wird. 14 eigene dezentrale Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen erzeugen die Nahwärme. Die gewonnene elektrische Energie fließt in das örtliche Verteilnetz, wohingegen die thermische Energie zum Heizen sowie zur Warmwasseraufbereitung genutzt werden kann. Zuverlässige Wasserversorgung ohne Verluste Albstadtwerke setzen auf eine funkbasierte Fernwirklösung Benjamin Fiene Die Albstadtwerke beliefern ihre Kunden mit Strom, Erdgas, Wasser und Wärme. Damit die für die Energieversorgung notwendigen Rohrleitungsnetze stets einwandfrei funktionieren, müssen sie kontinuierlich überwacht werden. Eine moderne Fernwirklösung auf Basis des lizenzfreien Funksystems Radioline von Phoenix Contact sorgt deshalb für die zuverlässige Anbindung der weit entfernten und verzweigten Messstationen an die Leitzentrale. © Phoenix Contact 43 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Das Rohrleitungsnetz muss kontinuierlich überwacht werden Rohrleitungen zählen zu den wesentlichen Bestandteilen der technischen Infrastruktur. Sie werden für den Transport von flüssigen oder gasförmigen Stoffen benötigt. So verschieden wie die Anwendungsgebiete sind hier auch die Anforderungen an die Sicherheitstechnik und Betriebsdatenerfassung. Leckagen können beispielsweise zu Umweltschäden oder wirtschaftlichen Verlusten führen, weshalb entsprechende Überwachungssysteme erforderlich sind. Zugleich basiert der störungsfreie Betrieb einer Rohrleitung auf der genauen Kenntnis der Betriebsparameter. Die Messstellen, welche die Albstadtwerke für die Leckageüberwachung, zur Erfassung der Temperatur- und Wärmeleistung der Blockheizkraftwerke sowie für die Aufnahme der Wasser- und Wärmemengen aufgebaut haben, verteilen sich über das gesamte Stadtgebiet. „Die Möglichkeiten zur Anbindung der Messstellen an die Leitzentrale in unserem Betriebsgebäude waren begrenzt“, erläutert Thomas Haas, zuständig für die Investitions- und Instandhaltungsplanung bei den Albstadtwerken (Bild 1). „Neue Erdkabel konnten aufgrund des verfügbaren Budgets und der örtlichen Gegebenheiten nicht verlegt werden. Eine Mobilfunklösung kam ebenfalls nicht in Frage, da die Netzhoheit bei den Albstadtwerken liegen muss, um im Störungsfall Einfluss nehmen zu können.“ Außerdem hat der Energieversorger die Anforderungen des IT-Sicherheitsgesetzes für kritische Infrastrukturen (KRITIS) zu erfüllen, was die Auswahl nicht einfacher machte. Private Funknetze erweisen sich als ausfallsicherer Vor diesem Hintergrund sollten die einzelnen Außenstationen per Richtfunk-Verbindung an die Leitzentrale angekoppelt werden. Die Wahl der Verantwortlichen fiel auf das Funksystem Radioline von Phoenix Contact. Der Vorteil der lizenzfreien und providerunabhängigen Lösung besteht darin, dass keine laufenden Kosten anfallen. Darüber hinaus sind private Funknetze im Vergleich zu Mobilfunknetzen nicht überlastet und daher ausfallsicher. Mit dem universellen Funksystem Radioline lassen sich ferner sowohl Sensor- und Aktor- Informationen als auch serielle Daten in räumlich ausgedehnten Anlagen austauschen. Nach der ersten Streckenplanung durch die Mitarbeiter des technischen Supports von Phoenix Contact wurde vor Ort die optimale Position der Funkgeräte und Antennen ermittelt. In diesem Zusammenhang zeigte sich, dass die im Stadtgebiet befindlichen Messstellen durch Bäume und Gebäude verdeckt werden. In derartigen Fällen ermöglicht das modulare Radioline-System den Einsatz unterschiedlicher Funkfrequenzen. Die Wireless-Spezialisten schlugen den Mitarbeitern der Albstadtwerke deshalb einen Test mit im 868-MHz-Frequenzband funkenden Geräten vor. Im Vergleich zum 2,4-GHz-Band zeichnet sich das 868-MHz-Frequenzband durch eine bessere Bild 1: Thomas Haas, zuständig für die Investitions- und Instandhaltungsplanung bei den Albstadtwerken, hat das Radioline- System überzeugt. © Phoenix Contact Bild 2a + 2b: Das große Netzwerk umfasst acht Messstationen, die ihre Daten an die Leitzentrale senden; ein weiteres kleineres Netzwerk befindet sich nördlich in Tailfingen. © Phoenix Contact 44 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Durchdringung von Hindernissen aus. Dies resultiert aus dem niedrigeren Frequenzbereich und der erlaubten höheren Sendeleistung. Die Rufbereitschaft wird bei einer Störung automatisch benachrichtigt Wegen der örtlichen Gegebenheiten mussten die Messstellen auf zwei Funknetzwerke verteilt werden. Acht Messstellen sind an den in einem Hochbehälter installierten Funkmaster angebunden worden, zwei weitere Messstellen an einen im Betriebsgebäude der Albstadtwerke verbauten Funkmaster (Bild 2). „Die Ausrichtung der Antennen hat sich aufgrund einer in das Funkmodul integrierten Bargrafanzeige einfach gestaltet“, berichtet Thomas Haas. Neben den beiden Funkmastern ist jeweils eine Inline- Steuerung ILC 191 von Phoenix Contact montiert, die direkt mit der Leitzentrale kommuniziert. Die Funk-Slaves übertragen ihre Messwerte über digitale und analoge I/ O-Erweiterungsmodule an den Funkmaster, wo sie in internen Modbus-Tabellen abgelegt werden. Die Tabellen umfassen zudem Diagnoseinformationen über die Funkstrecke, wie die RS- SI-Empfangsfeldstärke (Receiver Signal Strength Indicator). Auf der Grundlage dieses Werts lässt sich die Empfangsqualität jeder einzelnen Funkstation kontinuierlich aufzeichnen und überwachen. Die Funkmaster sind über eingebaute RS-485-Schnittstellen mit der Steuerung ILC 191 verbunden, welche die Modbus-kodierten Daten abspeichert und an das übergeordnete Leitsystem sendet (Bild 3). In der Leitzentrale befindliche Rechner dokumentieren die Zu- und Abflüsse. Darüber hinaus werten sie die Wasser-, Wärme- und Gasversorgung statistisch aus. Tritt eine Störung in den Unterstationen auf, benachrichtigt das System die Rufbereitschaft. Die Kommunikation ist umfassend vor unbefugten Zugriffen geschützt Die auf Basis der robusten Technologie Trusted Wireless 2.0 funkenden Radioline-Module sind für die Weiterleitung von Daten über große Distanzen entwickelt worden. Neben I/ O-Signalen lassen sich auch serielle Daten übermitteln - und das lizenzfrei, also ohne Folgekosten. Wegen der Mesh-Netzwerkfähigkeit des Radioline-Systems können bis zu 99 Teilnehmer über Repeater-/ Slave-Stationen untereinander kommunizieren. Sobald der Datenaustausch zwischen zwei Stationen unterbrochen ist, wird automatisch ein neuer Übertragungsweg zu einer anderen in der Nähe liegenden Station gesucht. Das stellt eine dauerhafte Kommunikation zwischen den dezentralen Stationen und der Leitzentrale sicher. Bei einer proprietären Technologie wie Trusted Wireless 2.0 ist das Protokoll nicht öffentlich zugänglich, sodass ein grundsätzlich besserer Schutz vor Angriffen besteht. Außerdem hat Phoenix Contact Sicherheitsmechanismen in die Technologie implementiert: Die 128-Bit-AES- Verschlüsselung sorgt dafür, dass theoretisch mitgehörte Datenpakete nicht verstanden werden, während die Integritätsprüfung die Echtheit des Senders kontrolliert und Nachrichten verwirft, die verändert wurden. Das sogenannte Frequenzsprungverfahren (FHSS) erhöht die Robustheit der Übertragung. Aufgrund dieser Mechanismen und der Tatsache, dass das Funksystem über keine Ethernet-Schnittstelle verfügt, somit nur Modbus-kodierte Bild 3: In der Leitzentrale laufen sämtliche Daten zusammen und werden ständig überwacht und protokolliert. © Phoenix Contact Bild 4: Im Ortsnetz befinden sich Messstationen zur Erfassung der Wassermengen. © Phoenix Contact 45 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Die Umsetzbarkeit einer Funkstrecke kann mit einer speziellen Software bewertet werden. Dazu liefert das Tool anhand der zur Verfügung gestellten Koordinaten der Unterstationen einen Geländeschnitt mit Höhenprofil. Auf diese Weise lassen sich Hindernisse wie Berge, Hügel, Bäume oder Gebäude erkennen. Außerdem erlaubt die Software die exakte Festlegung der Antennenposition respektive -höhe sowie des Standorts der erforderlichen Repeater-Stationen. Mit diesen Informationen kann der Anwender eine Einschätzung über die Realisierbarkeit der Funkverbindung treffen. SOFTWARE ERLAUBT DIE OPTIMALE POSITIONIERUNG VON ANTENNEN Bild 5: Das modulare Funksystem lässt sich einfach erweitern und individuell anpassen. © Phoenix Contact I/ O-Signale weiterleitet, eignet sich Trusted Wireless 2.0 besonders für den Einsatz bei kritischen Infrastruktur-Anwendungen. Daten können über große Distanzen übertragen werden Die im 2,4-GHzsowie 868-MHz- und 900-MHz-Frequenzband arbeitende Funktechnologie zeichnet sich durch hohe Robustheit und Zuverlässigkeit sowie durch die Überwindung großer Entfernungen aus. Zu diesem Zweck kann die Datenrate der Funkschnittstelle individuell festgelegt und so die Empfängerempfindlichkeit erhöht werden. Bei einer niedrigen Datenrate lässt sich eine wesentlich größere Reichweite überbrücken als bei einer hohen Übertragungsgeschwindigkeit. Der Anwender passt die Radioline-Geräte folglich optimal an die jeweilige Applikation an. Trusted Wireless 2.0 überzeugt ferner durch gute Diagnosemöglichkeiten sowie durch Koexistenz zu anderen im gleichen Frequenzband sendenden Systemen. „Durch die Verwendung von Radioline lassen sich nun alle Messwerte kontinuierlich aufzeichnen“, erklärt Thomas Haas abschließend. „So werden Störungen frühzeitig erkannt und Benjamin Fiene Mitarbeiter im Produktmarketing Wireless Phoenix Contact Electronics GmbH Kontakt: info@phoenixcontact.de AUTOR wir können sofort Gegenmaßnahmen ergreifen. Wegen der positiven Erfahrungen mit der Funktechnik und dem guten Service planen wir die Integration weiterer Messstellen in die Funknetzwerke.“ (Bild 4) Mehr Informationen: www.phoenixcontact.de/ wasser WISSEN FÜR DIE STADT VON MORGEN Digitalisierung versus Lebensqualität Big Data | Green Digital Charter | Kritische Infrastrukturen | Privatheit | Sharing-Systeme 1 · 2016 Was macht Städte smart? URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Mit veränderten Bedingungen leben Hochwasserschutz und Hitzevorsorge | Gewässer in der Stadt | Gründach als urbane Klimaanlage |Baubotanik 1 · 2017 Stadtklima URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Lebensmittel und Naturelement Daseinsvorsorge | Hochwasserschutz | Smarte Infrastrukturen | Regenwassermanagement 2 · 2016 Wasser in der Stadt URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Verbrauchen · Sparen · Erzeugen · Verteilen Energiewende = Wärmewende | Speicher | Geothermie | Tarifmodelle | Flexible Netze | Elektromobilität 2 · 2017 2 · 2017 Stadt und Energie ISSN 2366 7281 g URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Erlebnisraum - oder Ort zum Anbau von Obst und Gemüse Urban Farming | Dach- und Fassadenbegrünung | Grüne Gleise | Parkgewässer im Klimawandel 3 · 2016 Urbanes Grün URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN MMMMMMMMMM HHHHHH UURBANE SYST NE SYST ST Die Lebensadern der Stadt - t für die Zukunft? Rohrnetze: von Bestandserhaltung bis Digitalisierung | Funktionen von Bahnhöfen | Kritische Infrastrukturen 4 · 2016 Städtische Infrastrukturen URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Die Vielschichtigkeit von Informationsströmen Smart Cities | Automatisierung | Mobilfunk | Urbane Mobilität | Datenmanagement | Krisenkommunikation 3 · 2017 Urbane Kommunikation URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Angri ssicherheit · Betriebssicherheit · gefühlte Sicherheit IT-Security | Kritische Infrastrukturen | Notfallkommunikation | Kaskadene ekte | Vulnerabilität | Resilienz 4 · 2017 4 · 2017 Sicherheit im Stadtraum URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Was macht Städte smart? Soft Data | IT-Security | Klimaresilienz | Energieplanung | Emotionen | Human Smart City | Megatrends 1 · 2018 Die intelligente Stadt URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Energie, Wasser und Mobilität für urbane Regionen Mieterstrom | Solarkataster | Wärmewende | Regenwassermanagement | Abwasserbehandlung | Mobility as a Service 2 · 2018 Versorgung von Städten URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Zunehmende Verdichtung und konkurrierende Nutzungen Straßenraumgestaltung | Spielraum in Städten | Grüne Infrastruktur | Dach- und Fassadenbegrünung | Stadtnatur 3 · 2018 Urbane Räume und Flächen URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Daseinsvorsorge für ein funktionierendes Stadtleben Urbane Sicherheit | Mobilität im Stadtraum | Zuverlässige Wasser- und Energieversorgung | Städtische Infrastruktur 4 · 2018 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Gesund und sicher leben in der Stadt Gesund und sicher leben in der Stadt www.transforming-cities.de/ einzelheft-bestellen | www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren 46 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Alle kennen es: Hektik, wenn es gilt, einen knappen Anschlusszug zu erreichen und dazu den Bahnsteig zu wechseln. Gedränge vor der Wagentür - Vorbereitung auf einen kurzen Sprint zum nächsten Gleis. Doch genau dann ist der Zugang zur Unterführung voller Menschen und kein schnelles Durchkommen möglich. Für den einzelnen Pendler sind Zeitverluste ärgerlich. Kommt dies oft vor, müssen Bahnbetreiber mit schwindender Kundenzufriedenheit rechnen - im schlimmsten Fall jedoch führen sie zu einem volkswirtschaftlichen Schaden. Auch müssen Bahnbetreiber regelmäßig entscheiden, ob sie auf die Umsteiger warten oder den Fahrplan einhalten wollen. In beiden Fällen gibt es „Verlierer“. Überfüllte Bahnsteige bergen zudem Gefahrenpotenzial: Um Personenschäden zu verhindern, muss die Geschwindigkeit der Züge bei der Ab- oder Einfahrt erheblich reduziert werden. Auch das führt zu Verspätungen. Mobilitätsherausforderungen annehmen Pedestrian Analytics, entwickelt von der Schweizer ASE AG: Verfahren zur nachhaltigen, sicheren und funktionalen Gestaltung von Transport Hubs Pedestrian Analytics, Innovation, Big Data, Passenger Experience, Transport Hubs, Sicherheit Antonia McGrane, Uri Schtalheim, Sebastian Ropers Staus, Zeitverlust und Stress - das sind längst nicht mehr reine Phänomene des Straßenverkehrs. Durch konstantes Bevölkerungswachstum und zunehmende Mobilität steigen Jahr für Jahr die Pendlerzahlen im öffentlichem Verkehr. Weltweit stehen Betreiber und Planer von Bahnhöfen, Tram-, Bus- und Metrostationen vor der großen Herausforderung, Lösungen für akute Kapazitätsengpässe zu finden. Unterstützung bieten technologische Entwicklungen rund um die Digitalisierung von Gebäuden: „Pedestrian Analytics“ heißt ein vielversprechendes Verfahren, das präzise Prognosen erlaubt und Investitionen erheblich vermindern kann. Bild 1: Der Pendlerverkehr in Zürich beim Bahnhof Hardbrücke. © ASE AG 47 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Nachhaltige Lösungen mit Pedestrian Analytics Probleme dieser Art sind der Tatsache geschuldet, dass man viele Transporthubs nicht für dieses Wachstum konzipiert hat und die Belastung (zu) spät erkannt wurde. Zugegeben: Vor zwanzig Jahren gab es noch nicht so viele Pendler wie heute. Erst mit dem Wachstum der Bevölkerung und einer allgemeinen Zunahme der Mobilität stoßen Transporthubs, darunter auch Bahnhöfe in der Schweiz, zunehmend an die Grenzen ihrer Kapazitäten. Auch gab es früher nicht die Möglichkeit, präzise Daten zu Passagieraufkommen und -verhalten zu erheben. In den letzten zwanzig Jahren ist jedoch die Digitalisierung vorangeschritten und hat Pedestrian Analytics möglich gemacht. Aber was tut Pedestrian Analytics? Einfach gesagt: Pedestrian Analytics ist ein Oberbegriff für Aktivitäten im Zusammenhang mit der präzisen Erhebung sowie Modellierung von Fussgängerbewegungen. Darunter fällt das Zählen von Fußgängern, Messen von Laufgeschwindigkeit und Menschendichte sowie Erfassen und Messen von Warteschlangen und Wartezeiten. Pedestrian Analytics umfasst Analysen wie Wachstumsprognosen und macht Modellierungen und Simulationen möglich, die eine neue Infrastruktur virtuell bezüglich Kapazität und Bewegungsfreiheit prüfen. Dabei werden drei Ziele verfolgt: Erstens sollen mithilfe der gewonnenen Daten Fußgängerströme möglichst so gelenkt werden, dass der einzelne Fußgänger sicher, schnell und mit einem möglichst angenehmen Gefühl an sein Ziel kommt. Potenzielle Flaschenhälse in Bahnhöfen werden frühzeitig erkannt und Gefahrensituationen gemanaged. Zweitens helfen die mit Pedestrian Analytics erhobenen Daten und die damit ermöglichten Simulationen, Transporthubs nachhaltig zu konzipieren und zu bauen - und Fehlinvestitionen in großem Ausmaß zu vermeiden. Drittens dient Pedestrian Analytics der permanenten Erhebung von Passagieraufkommen und Fußgängerverhalten in bereits gebauten Transporthubs, um frühzeitig potenzielle Interventionen - zum Beispiel in Form von baulichen Maßnahmen - vorauszusehen und zu planen. Planungsphase: Transporthubs nachhaltig konzipieren Mit Pedestrian Analytics lassen sich relativ genaue Vorhersagen machen. Nicht nur Passagiermengen werden gezählt, sondern es wird auch erhoben, wie schnell sich die Pendler bewegen, an welchen Punkten eines Transporthubs welche Menschendichte herrscht und zu welchem Zeitpunkt besonders viele Pendler an einem Ort durchkommen. Mit Daten, die in der Vergangenheit erhoben wurden, kann man auch extrapolieren, wie groß das künftige Passagieraufkommen in einem Transporthub sein wird. Entsprechend lassen sich mit Pedestrian Analytics Simulationen in 3D durchführen und Prognosemodelle erstellen. Diese Simulationen und Prognosen sind wichtig für Architekten, die mit dem Bau eines Bahnhofs betraut sind, oder auch für Stadtplaner. Denn solche Modelle machen ein nachhaltiges Konzipieren von Transporthubs wie Bahnhöfen überhaupt erst möglich. Damit lässt sich verhindern, dass Kapazitäten bereits nach wenigen Jahren wieder an die Grenzen stoßen - was immer zu Folgeinvestitionen führt. Denn Bahnhöfe und andere Transporthubs müssen durchgängig und sicher gestaltet werden. Die Zürcher Firma ASE spürt ein wachsendes Interesse an ihrem Verfahren und bietet ihre Dienstleistungen international erfolgreich an. In Ländern wie Holland, Deutschland, Frankreich und Singapur hat sich Pedestrian Analytics inzwischen zu dem Standardverfahren bei der Planung von Ausschreibungen für den Bau und Umbau von Bahnhöfen entwickelt. Frequenzmessung • 98% Genauigkeit • Prognosen • Füllstandsberechnungen • Personenbelegung • Dichte Sensoren Warteschlangenanalyse • Warteschlangenlänge • Wartezeit Verhaltensanalyse • Aufenthaltsdauer • Verweildauer • Heatmaps • Laufwege • Konversionen ein aus Weg Warteschlange Bild 2: Sensoren messen Fußgängerbewegungen. © ASE AG 48 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Der Bau eines Transporthubs ist immer mit einer hohen Investition in die Zukunft verbunden. Mit Hilfe von Wachstumsprognosen und Simulation kann die Konzeption des Bahnhofs virtuell für verschiedene Szenarien getestet werden, bevor er gebaut ist. So können potenzielle Fehler und Engstellen bereits in der Planungsphase behoben werden - was zu einer nachhaltigen Nutzung führt. Betriebsphase: Fußgängerströme intelligent lenken Aber was, wenn der Bahnhof schon gebaut ist und tatsächlich Engpässe bestehen? Auch hier kann Pedestrian Analytics helfen und identifizieren, an welchem Punkt in einem Bahnhof eine Intervention, sprich ein Umbau, notwendig ist, und wie zusätzlich Kapazitäten erreicht werden, ohne den laufenden Betrieb des Transporthubs zu stören. Andererseits sind bauliche Maßnahmen nicht immer nötig - man kann auch für einen sicheren Bahnhof und ein positives Kundenerlebnis sorgen, indem man Fußgängerströme misst und intelligent lenkt. Dazu entwickelte ASE ein operatives System, das Fussgängerbewegungen auf Plattformen und bei Ein und Ausgängen mittels moderner Sensoren misst. Basierend auf den gewonnenen Daten bewerten dann die System-Algorithmen in Echtzeit, ob eine Situation potenziell gefährlich ist. Wenn ja, wird das Sicherheitspersonal über ein Dashboard alarmiert und es kann sofort eingreifen - indem es zum Beispiel die Personen im Bahnhof besser verteilt, Zugänge sperrt und im Extremfall einen Zug vor der Einfahrt in einen Bahnhof halten lässt, wenn zu viele Leute zu nahe am Gleis stehen. Permanente Erhebung von Pendlerdaten Selbst wenn man für die Konzeption eines Transporthubs Pedestrian Analytics eingesetzt und entsprechende Simulationen und Prognosemodelle erstellt hat, empfiehlt es sich, auch nach dem Bau Passagieraufkommen und Pendlerverhalten permanent zu erheben und zu monitoren - denn mit Pedestrian Analytics lassen sich Prognosen mit den tatsächlichen Entwicklungen vergleichen und allfällige Interventionen voraussehen. So kann man erkennen, ob ein Wachstum - zum Beispiel bei den Passagierzahlen - 1 % bis 2 % im Jahr beträgt oder doch eher 4 %. Das ist ein riesiger Unterschied, wenn man Kapazitäten plant, die auch noch in 20 bis 50 Jahren ausreichen sollen. Ein 2 %iges jährliches Wachstum bedeutet für einen Zeitraum von 20 Jahren eine Steigerung der Passagierzahlen um 49 %, während ein 4 %iges jährliches Wachstum bedeutet, dass man in 20 Jahren bereits 119 % mehr Menschen durch einen Transporthub schleusen muss. Pedestrian Analytics kann so helfen, Kapazitäten vorausschauend zu steuern und Kosten möglichst tief zu halten. Uri Schtalheim, Managing Director bei ASE (Analysis Simulation Engineering), sagt: „Wir glauben an den öffentlichen Verkehr als eine nachhaltige Lösung für die Mobilität - nicht zuletzt, weil wir damit die Straßen entlasten und unsere Umwelt schonen. Unsere Vision ist es, diese Entwicklung mit den Möglichkeiten der Digitalisierung zu unterstützen.“ Bild 3: Ein Sicherheitsbeauftragter nutzt den Crowd-Monitor von ASE um die Fußgängerbewegungen auf den Bahnsteigen zu analysieren und bei Bedarf zu intervenieren. © ASE AG AUTOR*INNEN Antonia McGrane Design Management ASE AG, Switzerland Kontakt: am@ase.ch Dipl.-Ing. (FH) Uri Schtalheim CEO ASE AG, Switzerland Kontakt: us@ase.ch Sebastian Ropers Business Development ASE AG, Switzerland Kontakt: sr@ase.ch 49 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität In den intelligenten Städten Europas - den sogenannten „Smart Cities“ - stellt gesunde Mobilität einen der drei Grundpfeiler dar, um Energie und CO 2 zu sparen und somit das Klima zu schützen. 36 Leuchtturm- und 42 Partnerstädte sind mittlerweile Teil der stetig wachsenden Smart City-Gemeinschaft in Europa, die sich auf aktuell 12 international agierende Projekte und über 380-beteiligte Projektpartner verteilen. Ziel der Leuchtturmstädte („Lighthouse Cities“) ist es, mit Hilfe der insgesamt 309 Mio.-EUR EU-Fördergelder innovative und auf die jeweiligen Gegebenheiten der Städte ausgerichtete Maßnahmen zu realisieren und zu testen, um somit langfristig einen öffentlich zugänglichen Pool erprobter Vorgehensweisen zu erstellen. Aufgabe der Partnerstädte („Fellow Cities“) ist es, die tatsächliche Replizierbarkeit dieser innovativen Lösungsansätze - auch ohne finanzielle Unterstützung der EU - zu überprüfen. Das Projekt Triangulum läuft seit Februar 2015 und ist eines der ersten Horizont 2020 Smart City-Projekte und damit eines mit langer Erfahrung. Die Implementierungsphase der ersten drei Projektjahre ist abgeschlossen und nun gilt es, Rückschlüsse aus den umgesetzten Maßnahmen, wie beispielsweise der Einführung von batteriebetriebenen Bussen in Stavanger oder von E-Lastenfahrrädern in Manchester, abzuleiten und Erfahrungswerte für zukünftige Vorhaben zu sammeln. Die drei Leuchtturmstädte in Triangulum sind Stavanger (Norwegen), Manchester (Vereinigtes Königreich) und Eindhoven (Niederlande). Die beteiligten Partnerstädte sind Prag Gesunde und intelligente Mobilität in der Designstadt Eindhoven (NL) Das europäisches Projekt Triangulum macht Eindhoven neben Manchester und Stavanger zur Leuchtturmstadt, gefördert durch Horizont 2020, das Rahmenprogramm der Europäischen Union für Forschung und Innovation. Smart Cities, Living Lab, Mobilität, CO 2 -Reduktion, Digitalisierung Bettina Remmele Die Leuchtturmstadt Eindhoven in den Niederlanden hat im Rahmen ihres „Smart Mobility“-Programms auf dem ehemaligen Gelände der Firma Philips eine Vielzahl intelligenter („smarter“) Neuerungen umgesetzt. Ziel dieser Maßnahmen im Viertel Strijp-S ist es, unter anderem den Besuchern ein präzises Parkleitsystem anzubieten, was wiederum zu verkürzten Fahrzeiten und somit zu CO 2 -Einsparungen führt. Fußgänger und Fahrradfahrer profitieren von einem so genannten „Wayfinder“ der aus acht interaktiven und programmierbaren LED-Displays besteht. Mit Hilfe einer speziellen App können Sehenswürdigkeiten oder bestimmte Gebäude individuell ausgeschildert werden. Natürlich verfügt Strijp-S auch über mehrere E-Bike- und Car Sharing-Stationen sowie über eine Vielzahl von Ladestationen für E-Fahrzeuge. Bild 1: Intelligentes Parkleitsystem. © Stadt Eindhoven 50 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität (Tschechien), Leipzig (Deutschland) und Sabadell (Spanien). Innovative und gesunde Mobilitätsmaßnahmen spielen in allen drei Leuchtturmstädten eine wichtige Rolle. Dennoch sticht eine Stadt mit einer Vielzahl von Mobilitätsprogrammen besonders hervor: Eindhoven, die Geburtsstätte der Firma Philips, heute eher bekannt als die kreative Designstadt der Niederlande. In Eindhoven gilt das ehemalige Fabrikgelände von Philips - heute unter dem Namen „Strijp-S“ bekannt - als innovativer Hub, der eine Mischung aus Zuhause, Arbeitsplatz und Ort der Freizeitgestaltung bietet. Strijp-S ist eines von zwei Demonstrationsvierteln in Eindhoven, die über Triangulum eine EU-Förderung erhalten. Die Vision des Viertels ist es, eine Verbesserung der Lebensqualität aller Bewohner und Besucher von Strijp-S zu erreichen. Das Gebiet soll ein „living lab“, ein lebendiges Labor sein, wo innovative Produkte und Dienstleistungen entwickelt, erprobt und verbessert werden sollen, die letztendlich auch für andere Städte replizierbar sind. Ein spezielles Programm zur Förderung gesunder Mobilität darf in Strijp-S daher natürlich nicht fehlen! Die Mobilitätsmaßnahmen in Strijp-S bieten den Besuchern des Areals ein präzises und vor allem benutzerfreundliches Parkleitsystem (siehe Bild 1). Mit Hilfe einer mobilen App können sich Autofahrer einen Parkplatz in einem der Parkhäuser reservieren lassen. Bei der Einfahrt wird automatisch das eigene Nummernschild gescannt und die Ankunft des Parkplatzsuchenden registriert. Das ausgefeilte Parkleitsystem lokalisiert freie Parkplätze und erspart dem Autofahrer lästiges durch die Gegend fahren auf der Suche nach einem der letzten, meist schwer zu findenden, freien Parkplätze. So werden Fahrten effizienter, CO 2 wird gespart und die allgemeine Schadstoffbelastung wird gesenkt. Die Nutzung elektrischer Autos, welche in Form von „shared mobility“ als Leihwägen über eine mobile App gebucht und jederzeit genutzt werden können, tragen ebenso zur CO 2 -Reduzierung bei. Um der wachsenden Nachfrage nach entsprechenden Ladestationen nachzukommen, wurde zudem ein umfassendes Netzwerk intelligenter und schneller Ladestationen in Strijp-S realisiert. (Siehe Bild 2). Gegenstand gesunder Mobilität ist jedoch nicht nur die Verbesserung und im besten Fall eine Abnahme des Autoverkehrs. Gerade auch für Fußgänger und Radfahrer wird das Leben leichter, wenn Anreize geschaffen werden, das Auto in der Garage stehen zu lassen und sich stattdessen lieber aufs E-Bike zu schwingen. Innovative „Wayfinders“ mit jeweils acht interaktiven und programmierbaren LED- Anzeigen, weisen Fußgängern und Radfahrern den Weg durch das Strijp-S-Areal (siehe Bild 3). Über eine mobile App werden zudem Sehenswürdigkeiten, Sonderziele sowie personalisierte Navigationshilfen angezeigt. Und damit nicht jeder Bewohner ein eigenes Fahrrad anschaffen und unterhalten muss, hat Strijp-S selbstverständlich auch in ein öffentliches Bike-Sharing System investiert (siehe Bild 4). Die Einführung solcher zwar gesunden, zunächst aber ungewohnten Mobilitätsmaßnahmen Bild 2: Ladestation für E-Fahrzeuge. © VolkerWessels Bild 3: #„Wayfinder“ bestehend aus acht LED- Displays. © Stadt Eindhoven 51 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität geht natürlich nicht immer reibungslos vonstatten. Die Erfahrungen in Eindhoven zeigen, dass es Menschen im Allgemeinen schwer fällt, ihre jahrzehntelang bewährten Verhaltensweisen aufzugeben, zu überdenken und anzupassen. Im Fall von Strijp- S mussten sich die Bewohner und Besucher des Areals erst an die neuen Parkleitsysteme gewöhnen, ebenso musste sich die Nutzung einer mobilen App zur Parkplatzreservierung erst einmal in den Köpfen der Nutzer einprägen und zur Gewohnheit werden. Die Stadt Eindhoven hat diesen Prozess mit intensiven Kommunikationsmaßnahmen begleitet und gleichzeitig über entsprechende Datenschutzbestimmungen informiert. So werden zum Beispiel die Daten der automatischen Nummernschilderkennung ausschließlich anonymisiert gespeichert. Autofahrer müssen also keine Angst haben, dass der Standort ihres Autos mit ihnen persönlich in Verbindung gebracht werden könnte. Es ist wichtig, die unterschiedlichen Ängste und Vorurteile der Menschen zu erkennen und durch intensive Kommunikation und Information abzubauen. Im Zuge dessen wurde auch die Ausstellung „Strijp-X“ organisiert, die den Menschen die Aktivitäten und umgesetzten Maßnahmen in Eindhoven im Rahmen des Triangulum-Projektes direkt vor Auge führen. Teil der Ausstellung ist ein maßstabgetreues Modell des Strijp-S-Areals, das mit Hilfe einer Virtual-Reality-Brille zum Leben erweckt werden kann. Die verschiedenen innovativen Maßnahmen, die entsprechenden Energieeinsparungen und sonstige positive Auswirkungen der Neuerungen auf dem ehemaligen Philips-Gelände können so live und in 3D erlebt werden. Das einst stark industriell geprägte Philips- Gelände hat sich bereits in ein kreatives und intelligentes Viertel verwandelt. Und die Entwicklung geht stetig weiter! Strijp-S ist ein Synonym für Innovation, Kreativität und smarte Technologien - und bleibt in jedem Fall eine der vielfältigsten Testumgebungen für die Ideen der Zukunft! Bettina Remmele, M.A. Project Manager Communication in Smart Cities and Communities Steinbeis-Europa-Zentrum Kontakt: remmele@steinbeis-europa.de Bild 4: Bike-Sharing System. © VolkerWessels In Triangulum dienen die Leuchtturmstädte Manchester (UK), Eindhoven (NL) und Stavanger (NO) als Testumgebung für innovative Projekte im Bereich nachhaltige Mobilität, Energie und IKT. Das Projektkonsortium vereinigt interdisziplinäre Erfahrung und die Expertise von 23 Partnern aus sechs Ländern aus Industrie, Wissenschaft und Städten die das gemeinsame Ziel haben, intelligente Lösungen zu entwickeln. Die drei Partnerstädte Leipzig (D), Prag (CZ) und Sabadell (ES) sowie die Beobachterstadt Tianjin (CHN) werden die Lösungen replizieren. Das Gesamtbudget von Triangulum beträgt 29 Mio. EUR, 25 Mio. EUR davon werden von der EU finanziert. Das Projekt wird vom Fraunhofer IAO in Stuttgart koordiniert. Das Steinbeis-Europa-Zentrum unterstützt den Koordinator im Bereich Projektmanagement und ist hauptverantwortlich für das Arbeitspaket Verbreitung & Kommunikation. - Koordinator: Fraunhofer IAO, Stuttgart (www.iao.fraunhofer.de), - Kommunikation: Steinbeis-Europa-Zentrum (www.steinbeis-europa.de) - Website: www.triangulum-project.eu - Social Media: www.twitter.com/ Triangulum_EU Neben Triangulum ist das Steinbeis-Europa-Zentrum noch in weitere Smart City Projekte wie zum Beispiel Remourban (www.remourban.eu), SmartEnCity (www.smartencity.eu), mySMARTLife (www.mysmartlife.eu) sowie beim europäischen Tender Smart City Information System (SCIS, www.smartcities-infosystem.eu) involviert. Außer bei Verbreitungs- und Kommunikationstätigkeiten ist das Steinbeis-Europa-Zentrum auch als hauptverantwortlicher Partner in den Bereichen Innovationsmanagement und bei der Verwertung der Projektergebnisse aktiv. TRIANGULUM AUTORIN 52 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Die Stadt Solingen verfügt mit dem Oberleitungs(O)-Bus seit Jahrzehnten über ein herausragendes Potenzial für die Elektromobilität, das unter den heutigen Klimaschutzzielen eine völlig neue Bedeutung erhält. Mit 100- km Streckennetz ist Solingen der größte Obus-Betrieb Deutschlands und damit großer Erfahrungsträger im elektromobilen öffentlichen Nahverkehr. Zahlreiche Prototypen - Obusse sowie Hybridbusse - wurden durch die Stadtwerke Solingen GmbH getestet und weiterentwickelt. Auf diesen Erfahrungen aufbauend geht Solingen nun einen weiteren Schritt. Das vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur geförderte Projekt „BOB Solingen“ erlaubt sowohl der Stadt Solingen, als auch ihrem Verkehrsunternehmen durch Einsatz einer neuen Fahrzeuggeneration - den Batterie-Oberleitung-Bussen - eine Neudefinition des kommunalen ÖPNV. Durch die Weiterentwicklung leitungsgebundener Busse, ihrer Antriebs-, Kommunikations- und Energieversorgungstechnologien sollen vor Ort die Voraussetzungen für einen nachhaltigen und wirtschaftlichen ÖPNV ausgebaut, lokal erzeugte Energie genutzt sowie Lärm und Schadstoffemissionen reduziert werden, ohne einen Komfortverlust für die Fahrgäste oder betriebliche Einschränkungen durch Ladezeiten hinnehmen zu müssen. Von der Dieselbuszur flexiblen Elektrobuslinie Derzeit gibt es in Solingen zwei vollständig voneinander getrennte Liniennetze: Das Obus-Netz und das Dieselbus-Netz. Während sich die Obus-Linien weitgehend an den historischen Straßenbahnlinien orientieren und damit auf den Hauptverkehrsstraßen verkehren, erschließen die Dieselbuslinien Stadtquartiere, Wohnsiedlungen, Gewerbegebiete und Nachbargemeinden. Eine Anpassung von Linienwegen im Obus-Netz war bisher nur mit großen Einschränkungen verbunden. Allein die letzte Obus-Generation aus dem Jahr 2009 ermöglichte durch einen verbesserten Dieselhilfsmotor, der Fahrstrom für kurze Strecken ohne Oberleitung über einen Generator erzeugt, die Verlängerung des Linienweges um wenige Kilometer. Mit den Batterie-Oberleitungs-Bussen, die während des Fahrens „am Draht“ Elektrisch unterwegs Solinger Busnetz auf dem Weg zur Emissionsfreiheit Gabriele Zauke, Daniel Bogatz Leise, nachhaltig, energieeffizient und emissionsfrei: Das ist der Solinger Busverkehr. Die hier eingesetzten Batterie-Oberleitungs-Busse (BOB) können Streckenabschnitte auch ohne vorhandenen Fahrdraht elektrisch fahren. Auf dem Weg zum klimafreundlichen ÖPNV ist außerdem die Weiterentwicklung des Oberleitungsnetzes zu einem „Smart Trolleybus-System“ geplant, das die Versorgung mit grünem Strom sicherstellt. Das innovative Konzept ist eine Antwort auf die drängende Problematik der zunehmenden Feinstaubbelastung und leistet somit einen wichtigen Beitrag für die zukünftige Gestaltung innerstädtischer Mobilität. Aus diesem Grund wurde es vom Land Nordrhein-Westfalen als Vorreiter für den Klimaschutz geehrt und ist Teil der Leistungsschau KlimaExpo.NRW. Batterie- Oberleitungsbus der Stadtwerke Solingen. © Stadtwerke Solingen 53 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität geladen werden (In-Motion-Charging) und über den Batteriebetrieb längere Streckenabschnitte ohne Fahrleitung abdecken, ist zukünftig eine rein elektrische ÖPNV-Erschließung des gesamten Stadtgebietes möglich. Langfristig sollen sie die Dieselbuslinien gänzlich ersetzen. Im Idealfall benötigen einzelne BOB-Buslinien in Zukunft dann auch nur noch Oberleitungen auf zirka einem Drittel des gesamten Linienweges. Damit erlauben die BOB der Stadt Solingen, das vorhandene Busliniennetz nicht nur einzelfallbezogen, sondern linienübergreifend vollständig neu zu strukturieren und den tatsächlichen Nachfragestrukturen der Bevölkerung anzupassen. Die zukünftigen Linienwege der Busse können sich aufgrund der neuen flexibleren Ladestruktur erstmalig an den Bedürfnissen der Kunden orientieren, es können neue umsteigefreie Busverbindungen auf wichtigen Relationen geschaffen und der Anteil der Fahrten mit dem ÖPNV durch Abbau von Erschließungs- und Verbindungsdefiziten wesentlich gesteigert werden. Ein Vorteil für die Stadt, den es in dieser Form zuvor noch nie gegeben hat und der nun entsprechend genutzt werden soll: Auf Basis umfassender Nachfrageanalysen wird ein neues Busliniennetz und ein dem BOB-Fahrzeugbestand angepasstes Umsetzungskonzept entwickelt. Umsteigefreie Fahrbeziehungen und Fahrtenangebot (Anzahl der Fahrten je Stunde) sollen sich in Solingen zukünftig einerseits an der Nachfrage orientieren, andererseits dem ÖPNV als umwelt- und klimafreundliches Verkehrsmittel einen deutlichen Vorrang zur Bewältigung der Mobilitätsbedürfnisse verschaffen und zu einem neuen Mobilitätsverständnis beitragen. Zukunftsweisende Technologien für den Klimaschutz Damit nicht genug, denn auch die Stromversorgung soll in Zukunft klimafreundlich und netzdienlich angepasst und das bestehende Oberleitungsnetz zum „Smart Trolleybus System“ weiterentwickelt werden. Bisher fließt der Strom vom Stromverteilnetz in das Oberleitungsnetz. Zukünftig sind Photovoltaikanlagen geplant, die direkt an das Oberleitungsnetz angeschlossen werden und die Busse mit grünem Strom versorgen. So wird der Solinger Nahverkehr perspektivisch nur noch durch lokal erzeugten Ökostrom versorgt. Das Projekt verwendet außerdem die alten Batterien der Busse, um stationäre Speicher im Netz aufzubauen. Diese stabilisieren das Oberleitungs- und Stromverteilnetz. Dank eines intelligenten Lade- und Energiemanagementsystems können Stromlastspitzen in beiden Netzen abgefangen werden. Die Integration Erneuerbarer Energien in das elektrische Netz wird so generell verbessert. Zusätzlich planen die Verantwortlichen, Ladesäulen für Privathaushalte an das Oberleitungsnetz anzuschließen. Mit diesem ausgeklügelten Verfahren zeigt das Projekt beispielhaft, wie intelligente Vernetzung, neue Technologien und ein durchdachtes Konzept erfolgreich zusammenspielen, um dem Klimawandel entgegenzutreten und eine Stadt zukunftsorientiert zu gestalten. Aus diesen Gründen spielt das Projekt eine Vorreiterrolle für den Klimaschutz und reiht sich in die Riege qualifizierter Projekte der Themenwelt „Mobilität gestalten“ der Landesinitiative KlimaExpo.NRW ein. Die KlimaExpo.NRW identifiziert und prämiert als Initiative der nordrhein-westfälischen Landesregierung Vorreiter in Sachen Klimaschutz: Von der KlimaExpo. NRW qualifizierte Projekte erfüllen eine Vielzahl von Kriterien, darunter ein hoher Innovationsgrad, Nachhaltigkeit sowohl in ökologischer als auch ökonomischer Hinsicht und Übertragbarkeit auf unterschiedliche Bereiche und Branchen. Die Initiative hat sich zum Ziel gesetzt, den Klimaschutz in Nordrhein-Westfalen voranzutreiben - und das technologische und wirtschaftliche Potenzial der Region weiter auszubauen. Als Leistungsschau prämiert die KlimaExpo.NRW bis 2022 wegweisende Ideen einem breiten Publikum. AUTOR*INNEN Gabriele Zauke Nahverkehrsplanung Stadt Solingen Kontakt: G.Zauke@solingen.de Daniel Bogatz Neue Effizienz Bergische Gesellschaft für Ressourceneffizienz mbH Kontakt: bogatz@neue-effizienz.de ÜBER DIE KLIMAEXPO.NRW Aufstellung der Oberleitungsbusse auf dem Betriebshof. © Stadtwerke Solingen 54 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität „Die durchschnittliche Reichweite von Elektrofahrzeugen betrug im Jahr 2015 rund 240 km. Bis zum Jahr 2020 soll sie auf circa 400 km ansteigen“, erklärt Armin Mühlberger, Geschäftsführer der sixData GmbH. Da die Reichweite im Vergleich zu Verbrennungsmotoren bisher sehr gering ausfällt und Stromtankstellen noch nicht flächendeckend verfügbar sind, ist es für E-Fahrzeughalter besonders ungünstig, wenn die Umfassend vernetzt Intelligentes Managementsystem vereinfacht Verwaltung und Instandhaltung von Ladestationen für Elektrofahrzeuge Fast 12 500 Stromtankstellen stehen in Deutschland zur Verfügung, um die rund 55 000 zugelassenen Elektrofahrzeuge mit Energie zu versorgen. Bis 2020 sollen mithilfe eines Förderprogramms der Bundesregierung mindestens 15 000 weitere Ladestationen hinzukommen, sodass möglichst zeitnah ein flächendeckendes Infrastrukturnetz entstehen wird. Ärgerlich wird es jedoch, wenn die Ladesäule Störungen aufweist und nicht genutzt werden kann - gerade dann, wenn die nächste Ladesäule etliche Kilometer entfernt ist. In den meisten Störfällen müssen erst externe Techniker informiert werden, um Instandhaltungsmaßnahmen durchzuführen, wodurch hohe Kosten entstehen können. Ein Stromtankstellenbetreiber entschloss sich deshalb dazu, zur Verwaltung der Ladestationen und zur Disposition der Störungen ein Management-Informationssystem zu nutzen. Die Lösung dafür lieferte die sixData GmbH mit luxData.ebox: Das Unternehmen konzipierte bereits die Software luxData für die Verwaltung von Straßenbeleuchtung und hat diese nun für E-Ladesäulen weiterentwickelt. Mit luxData.ebox lassen sich alle Instandhaltungsaufgaben planen und dokumentieren. Gleichzeitig meldet die Software Störungen an die Einsatzleitstelle, sodass diese zeitnah behoben werden können und Ausfällen vorgebeugt wird. Ladesäule eine Störung meldet. Betreiber sollten deshalb so schnell wie möglich über Beeinträchtigungen informiert werden oder diesen bereits durch entsprechende Maßnahmen vorbeugen. „Täglich oder zumindest wöchentlich einen Techniker zur Prüfung der jeweiligen Stationen zu schicken, würde jedoch einen enorm hohen zeitlichen sowie finanziellen Aufwand bedeuten“, erläutert Mühlberger. Effizienzsteigerung durch neue Software-Lösung Das war auch Thema für ein Unternehmen, das unter anderem die städtischen Beleuchtungsanlagen betreut und dafür schon Produkte von sixData nutzt. Der Betreiber ist auch für mehrere hundert Ladepunkte für Elektrofahrzeuge zuständig. Um Instandhaltungen sowie dort auftretende Störungen von Beginn an effizient verwalten zu können, wurde früh nach einer passenden Lösung gesucht. Da der Betrieb bereits gute Erfahrungen mit der Software von sixData gemacht hatte, kamen die Unternehmen erneut ins Gespräch. „Im Jahr 2014 dachten wir gemeinsam über ein Verwaltungssystem nach“, berichtet Mühlberger. „Im darauffolgenden Jahr konzipierten wir den ersten Prototypen auf Basis unserer Software lux- Data, die bereits sehr flexibel angelegt ist und sich deshalb auch für die Verwaltung anderer Objekte eignet. Mitte 2016 erfolgte schließlich schrittweise die Einführung von luxData.ebox.“ Zunächst wurde die Bestandsverwaltung angelegt, anschließend die Erfassung und Behebung von Störungen umgesetzt, dann die Planung und Ausführung von Wartungen. Basis der schnellen Realisierung war die gute Vorarbeit des Betreibers: Er stellte bereits sehr detailliert Daten über die internen Prozesse zur Verfügung, etwa zur Neuinstallation, Störungserfassung und Wartungsplanung der einzelnen Ladestationen. Der Softwarespezialist wertete diese aus und übertrug sie auf luxData.ebox. „Teilweise konnten wir diese Daten durch luxData.ebox auch verfeinern. Das liegt daran, dass mit unserer Lösung die Ladestationen noch umfangreicher und detaillierter dokumentiert werden können“, führt Mühlberger aus. Die Wartung von Ladepunkten ist anspruchsvoll. © pixabay 55 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Abbildung von Instandhaltungsaufgaben nach Ladesäulenverordnung erleichtert Verwaltung Die Software stellt nun alle erforderlichen Funktionen für die Verwaltung und Instandhaltung von Ladesäulen zur Verfügung. Hier können etwa Daten gespeichert werden, die wichtige Details zur Ladesäule umfassen, wie zum Beispiel den genauen Standort, nach der Ladesäulenverordnung (LSV) sowie der Betriebssicherheits-Verordnung (BetrSichV), geltende Wartungsvorschriften und wiederkehrende Prüfungen oder Statistiken. „Ladesäulen erfordern vom Aufbau bis hin zum laufenden Betrieb ständige Überprüfungen durch Sachverständige“, erklärt Mühlberger. Dazu zählt eine Inbetriebnahmeprüfung, die Durchführung von Sicherheitsanalysen gemäß Arbeitsschutz- Gesetz, eine Netzanalyse nach DIN EN 50160, um den fehlerfreien Betrieb zu gewährleisten sowie die Durchführung von Störungsanalysen. „Diese Vorgänge können allesamt in unserer Software abgebildet werden; auch Arbeitsaufträge sind darin planbar. Zudem lassen sich die Ergebnisse der Wartungen und Instandhaltungsprüfungen in der Software speichern und jederzeit abrufen“, so der Geschäftsführer weiter. Als Erweiterung zur Basisausführung nutzt der Betreiber zusätzlich luxData.web. Es dient als webbasierte Auskunftslösung für interne beziehungsweise externe Anwender und Auftraggeber. Administratoren können hierbei auswählen, welche Daten an Dritte weitergegeben werden sollen und diese anschließend freigeben. Auf diese Weise ist der Datenschutz stets gesichert. Zudem können die Ladesäulen bei aufgetretenen Störungen in verschiedene Service-Level eingestuft werden, sodass sich verantwortliche Mitarbeiter schnell und auf übersichtliche Weise über Wartungs- und Instandhaltungsmaßnahmen informieren können. Außerdem können damit Störungsarten oder auch Dienstleistern, die zum Beispiel für die Instandhaltung verantwortlich sind, Prioritäten zugeordnet werden. Dies vereinfacht die Zeitplanung erheblich und wichtige Maßnahmen werden nicht unabsichtlich nach hinten verschoben. Störungs-App beschleunigt Instandhaltungsprozesse Daneben hat sixData ein Portal entwickelt, auf dem defekte Straßenlaternen gemeldet werden können. Dieses lässt sich nach Kundenanpassung auch für Ladestationen nutzen und bei Bedarf in die Homepage des Betreibers integrieren; ebenfalls kann eine App bereitgestellt werden. Bei einer Störungsmeldung gelangt diese direkt - inklusive aller Details zum Standort und zur Art des Defekts - in die Software luxData.ebox und kann anschließend umgehend vom Innendienst disponiert werden. Ebenso lassen sich Störungen auch manuell einpflegen. Über eine Schnittstelle sind die einzelnen Ladestationen direkt mit dem System verbunden, sodass Störungen ohne Umwege von den Anlagen gemeldet werden. Dies beschleunigt Instandhaltungsprozesse erheblich, sodass die Ladestationen innerhalb kürzester Zeit wieder für Elektroautomobil-Besitzer zur Verfügung stehen. Zusammen mit dem Betreiber optimiert sixData die Software laufend und setzt Änderungs- und Verbesserungsvorschläge um. Da der IT-Dienstleister auch das Server-Hosting übernommen hat, besteht die Möglichkeit, sehr schnell zu reagieren, falls technische Probleme auftreten sollten. Zusätzlich stellt sixData regelmäßig Updates zur Verfügung, damit die Software immer auf dem neuesten Stand ist und gesetzliche Vorgaben wie etwa zu notwendigen Wartungsintervallen abbilden kann. „Sowohl bei unserer Straßenbeleuchtungssof t ware als auch bei luxData.ebox nehmen wir aktuelle Entwicklungen mit auf und verbessern das System für die Betreiber stetig. Wir freuen uns, wenn wir gemeinsam mit dem Kunden Ideen entwickeln können, die interne Prozesse erleichtern“, erklärt Mühlberger. „Das steigert nicht nur die Effizienz im Unternehmen, sondern kommt auch der Ladesäulen-Infrastruktur zugute.“ sixData GmbH E-Mail: info@sixdata.de Internet: www.sixdata.de Verwaltungssoftware für Beleuchtungsanlagen kann für das Managen von Ladepunkten eingesetzt werden. © sixData GmbH 56 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher mobil Stuttgart ist bekannt als die Stadt des Automobils aber auch des Staus. Im Positiven zeigt sich dies in den wachsenden Einwohneranzahlen [1] und der steigenden Wirtschaftskraft [2]. Allerdings verbrachten Autofahrer*innen zu Stoßzeiten hier im vergangenen Jahr auch durchschnittlich 44 Stunden im Stau [3]. Aber nicht nur die Region Stuttgart ist mit dem Problem der zunehmenden Verdichtung konfrontiert. Es handelt sich um ein allgemeines Problem urbaner Gebiete: Global wachsen urbane Gebiete immer weiter an, die Bevölkerungs- und Bebauungsdichte steigt und damit kommt unter anderem die Infrastruktur an ihre Grenzen [4]. Daraus ergibt sich die Frage, inwieweit das einen Einfluss auf erlebten Stress und emotionales Wohlbefinden der Bewohner*innen in urbanen Ballungszentren hat. Um Konflikte und Stress zu vermeiden, ist es wichtig, dass sich die Bewohner*innen gerade in solchen dicht besiedelten Gebieten wohlfühlen und ihr Umfeld als lebenswert empfinden. Das bedeutet, dass das Verständnis und die Erfassung von Emotionen der Bürger*innen einer Stadt einen wichtigen Stellenwert bezüglich der Lebensqualität einnehmen und damit einen Wegweiser zur lebenswerten Stadt darstellen. Alle von Stadtplanung betroffenen Stakeholder sollten daher das emotionale Erleben der Bewohner*innen berücksichtigen und daraus ableiten, was Städte lebenswert macht und damit zugleich die Akzeptanz neuer stadtplanerischer Maßnahmen erhöhen. Hierfür werden Tools benötigt, die eine valide Messung von Emotionen ermöglichen und diese gleichzeitig in einer verständlichen Form darstellen, um diese für alle Stakeholder nutzbar zu machen, die an stadtplanerischen Prozessen beteiligt sind. Ein Ansatz zur Entwicklung solcher Tools liegt in der Verknüpfung der beiden Fachrichtungen Psychologie und Geoinformatik. An der Hochschule für Technik Stuttgart (HFT Stuttgart) geschieht dies als Teil des interdisziplinären Forschungsvorhabens i_city: Intelligente Stadt, in dem der Fokus unter anderem auf der Erhebung und Visualisierung von Emotionen liegt. Die Idee basiert auf den beiden Ansätzen Urban Emotions [5] und EmoMapping [6], die sich insbesondere durch die Erfassung von Stress anhand physiologischer Parameter und deren Darstellung auf Karten auszeichnen. Bei den Erhebungen an der HFT Stuttgart basierte die Erfassung der Emotionen dabei sowohl auf subjektiven als auch auf objektiven Daten, die kombiniert erfasst wurden. Als Erhebungsansatz wurde dabei das Experience Sampling genutzt. Bei der Darstellung wird das emotionale Erleben mit Geodaten verknüpft und in interaktiven Karten visualisiert. Der Ansatz des Experience Emotionen als Wegweiser zur lebenswerten Stadt Ansätze zur Erfassung und Darstellung des emotionalen Erlebens als Impulse für die Stadt der Zukunft Umweltpsychologie, Urbane Emotionen, Physiologische Parameter, Mobile Sensoren, GPS, Emotionale Kartierung Lara Kohn, Habiburrahman Dastageeri, Jan Silberer, Thomas Bäumer, Thunyathep Santhanavanich, Susanne Moulin, Patrick Müller, Volker Coors Mit steigenden Bewohnerzahlen urbaner Gebiete entstehen Veränderungen, die deren Lebenswert beeinträchtigen. Um ein besseres Verständnis für das subjektive Erleben der Bewohner*innen zu bekommen, sind valide psychologische Instrumente zur Emotionsmessung und innovative Ansätze zur Visualisierung notwendig. Zur Entwicklung passender Erfassungsmöglichkeiten wurden an der HFT Stuttgart mehrere Feldstudien durchgeführt, bei denen verschiedene psychologische und physiologische Maße kombiniert wurden. Das Ziel war, das Erleben von Fußgänger*innen und Pedelec-Fahrer*innen in Echtzeit zu erfassen und darzustellen. THEMA Gesund und sicher mobil 57 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES Sampling soll im Folgenden kurz allgemein vorgestellt werden. Im Anschluss wird die Idee der Messung und Visualisierung von Emotionen anhand von drei Beispielprojekten vorgestellt, um unterschiedliche Anwendungsfelder zu skizzieren. Experience Sampling ermöglicht eine Echtzeiterfassung Klassischerweise werden Bürger*innen bei der Bewertung ihrer Umgebung durch Umfragen eingebunden. Dies erweist sich allerdings als problematisch, da hier das emotionale Empfinden aus dem Gedächtnis abgerufen werden muss. Für die Befragten ist dies mühsam und die Methode kann zu stark verzerrten Ergebnissen führen. Um dieses Problem zu umgehen, kann hier Experience Sampling eingesetzt werden. Dabei handelt es sich um einen Ansatz, bei dem Daten im Moment des Erlebens erfasst werden. Dies ist heutzutage über Befragungs-Apps und mobile Sensoren möglich [7]. Der Vorteil dieses Ansatzes, Emotionen genau dann zu erfassen, wenn diese erlebt werden, liegt in geringerer Verzerrung durch Erinnerung, da die Messung in Echtzeit erfolgt. Außerdem ist es möglich, multimodal mehrere Datenarten (zum Beispiel subjektiv und objektiv erfasste Emotionen) 1 zur gleichen Zeit zu erfassen und über die Sensoren den Kontext (in diesem Fall, die Umgebung) zu analysieren [8]. Das Experience Sampling wurde an der HFT Stuttgart in drei Anwendungsbeispielen in Form von explorativen Feldstudien verwendet. Diese werden im Folgenden vorgestellt, um die unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten dieses Ansatzes zu illustrieren. Fußgänger erkunden HotSpots im Stuttgarter Stadtgarten Die erste Studie hatte zum Ziel, in einem fest umrissenen Gebiet - dem Stuttgarter Stadtgarten, einem Park im Stadtzentrum - das emotionale Erleben von Proband*innen in Echtzeit zu erfassen [9]. Hier ging es unter anderem um die Fragestellung, ob Parks als Erholungsgebiete einen positiven Einfluss auf das Wohlbefinden von Bürger*innen haben. Außerdem sollten über das Erfassen sogenannter HotSpots Einflussfaktoren identifiziert werden, die das emotionale Erleben positiv bzw. negativ beeinflussen. Hierfür wurden sowohl Befragungen per App (über movisensXS App) als auch Messungen physiologischer Parameter (über movisens Sensoren) durchgeführt. Die Proband*innen sollten Orte oder Objekte, 1 Emotionen zeigen sich nicht nur durch subjektiv erlebte Gefühle, die man ausdrücken kann, sondern unter anderem auch über Prozesse im Körper. Diese haben eine bestimmte physiologische Aktivität zur Folge, zum Beispiel eine erhöhte Herzfrequenz, die objektiv messbar ist. die ihnen im Stadtgarten gefielen oder nicht (Hot- Spots) mittels der App kennzeichnen und bewerten. Wo sich die Proband*innen befanden, wurde dabei kontinuierlich über die App aufgezeichnet. Hierdurch war es möglich, Fragebögen auch speziell bei Eintritt und Verlassen des Stadtgartens auszulösen, das heißt, die Befragung startete automatisch, sobald die Probandinnen den Park betraten. Durchgeführt wurde die Studie im Sommer 2016 und im Winter 2017 mit einer kleinen Gruppe von Student*innen (N=14) der Hochschule. Die Analyse und Visualisierung der erhobenen Daten umfasste die HotSpots, das subjektive emotionale Erleben sowie physiologische Daten als objektive Parameter von Emotionen. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass die Anzahl der Kategorisierungen von positiven HotSpots die der negativen um fast das Doppelte übertraf. Dies ist ein Indiz dafür, dass der Park einen positiven Einfluss auf das emotionale Befinden hat und als Erholungsgebiet verstanden werden kann. Auch das Ergebnis, dass Proband*innen, die mehr negative HotSpots aufzeichneten, angaben, weniger zufrieden zu sein, lässt diesen Schluss zu. Bei den physiologischen Parametern zeigt beispielsweise die Herzfrequenzvariabilität einen Zusammenhang mit der Nervosität und der Anspannung der Proband*innen während der Studie. Bezüglich der angewendeten Erhebungsmethoden lässt sich sagen, dass die kontinuierlich erhobenen physiologischen Maße helfen, einen Gesamteindruck des subjektiven Erlebens während des Aufenthalts im Gebiet des Stadtgartens zu erfassen. Dieser kann auf zeitlicher Ebene (vorher/ nachher), aber auch im Vergleich mit anderen Gebieten betrachtet werden. Die subjektiven Erhebungsmethoden eignen sich hingegen dafür, spezifische Orte detailliert zu betrachten und Verbesserungspotenzial abzuleiten. Bild 1: Laufwege, Hotspots inklusive Bildern und Kommentaren auf einer Karte dargestellt. © HFT Stuttgart 58 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher mobil Um die Datenmenge verständlich zusammenzufassen und für stadtplanerische Belange nutzbar zu machen, helfen Visualisierungen (Bilder 1 bis 3). Bild 1 zeigt beispielsweise den Start- und Endpunkt der Studie, die aufgezeichneten HotSpots sowie den Laufweg einer Probandin. Über die Farbe lässt sich die Bewertung des HotSpots erkennen. Ebenso können ein Foto vom HotSpot und ein Kommentar angezeigt werden. In Bild 2 wird zusätzlich der physiologische Parameter Herzfrequenz hinzugezogen und als Heatmap auf dem Laufweg dargestellt: Je roter, desto höher ist die physiologische Erregung, die einen Hinweis auf das Stresserleben gibt. Die Daten einzelner Abschnitte können auch genauer analysiert werden, wie Bild 3 zu entnehmen ist. Eine Weiterentwicklung der dargestellten Studie ist in Bezug auf folgende Aspekte denkbar: Die Befragung kann zum Beispiel durch weitere subjektive Maße ergänzt werden, dazu gehört unter anderem das Stresserleben. Ebenso können objektive Parameter oder Umwelteinflüsse, wie Uhrzeit oder Wetterverhältnisse, hinzugezogen werden. Ein in das Visualisierungstool eingebauter Filter zu diesen Werten könnte die Suche und Anzeige der HotSpots weiter spezifizieren. Veränderungen der Gestaltung des Tools sollten dabei so vorgenommen werden, dass die Benutzerfreundlichkeit für Stadtplaner*innen gewährleistet ist. Nicht zuletzt könnte neben einer Echtzeiterfassung auf lange Sicht auch eine Echtzeitvisualisierung angesteuert werden. Die Idee des Experience Samplings kann auch auf spezifischere Fragestellungen angewendet werden, zum Beispiel zur Untersuchung von Lärmbelastung und des Einflusses auf das emotionale Erleben. In der folgenden Studie wurde dafür die Hush City App [10] verwendet, die mit einem ähnlichen Vorgehen wie bei der vorherigen Studie, Emotionen, Ort und Lautstärke erfasst und visualisiert. Fußgänger bewerten in Soundwalks die Umgebung Welchen bedeutsamen Einfluss der Lärmpegel auf den Lebenswert einer Stadt hat, wird in den im Oktober 2018 veröffentlichten Richtlinien zur Lärmbelastung der Weltgesundheitsorganisation [11] deutlich: Demnach liegen die durchschnittlichen Grenzwerte für Lärmbelastung durch Straßenverkehr tagsüber bei 53 Dezibel, da Lärm ab diesem Wert mit negativen gesundheitlichen Auswirkungen verbunden ist. Um dem entgegenwirken zu können, muss der Lärmpegel zuerst erfasst werden. Hierbei ist neben der objektiven Messung auch die subjektive Erfassung des Lärmerlebens bedeutsam. So war es Ziel der Studie, in sogenannten Soundwalks Orte in Stuttgart zu identifizieren, die aufgrund ihrer Geräuschkulisse als angenehm bzw. unangenehm erlebt werden. Dabei sollte das subjektive Erleben der objektiven Lautstärke gegenübergestellt werden. Denn: Lärm ist nicht gleich Lärm. So kann zum Beispiel Verkehrslärm als störend empfunden werden, während das Geräusch von Wasser (etwa von einem Brunnen) derselben Lautstärke nicht unbedingt als störend empfunden wird. Die Studie fand im Frühjahr 2018 mit Student*innen statt, die in 20 Zweierteams aufgeteilt waren und denen unterschiedliche Gebiete innerhalb Stuttgarts zugeteilt wurden. Zur Erhebung wurde die Hush City App eingesetzt. Diese stellt einen Open Source Soundscape dar [10] und dient zur Erfassung und Einsicht der akustischen sowie der Aufenthaltsqualität unterschiedlicher Orte. Über die App werden sowohl subjektive Befragungsdaten (zum Beispiel subjektives Erleben, Beschreiben der Situation) als auch objektive Umgebungsdaten (Lautstärke über Audioaufzeichnung) erfasst, nicht aber physiologische Daten. Die gesammelten Daten werden in der Hush City Map visualisiert (Bild 4). Eine Farbabstufung von grün zu rot stellt ruhige bis laute Orte dar. Für jeden bewerteten Ort ist eine Anzeige detaillierterer Informationen - zum Beispiel ein Foto, die objektive Lautstärke in der Umgebung und die Antwort auf die subjektive Befragung - möglich. Bild 2: Die durchschnittliche Herzrate der Probanden als Heatmap. © HFT Stuttgart Bild 3: Screenshot des Tools zur Analyse der Herzfrequenz aus Ausschnitten des Laufwegs. © HFT Stuttgart THEMA Gesund und sicher mobil 59 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES Mit einer Analyse der einzelnen Erhebungen lassen sich Orte im Stuttgarter Stadtgebiet identifizieren, die sich den Gruppen laut und leise sowie unangenehm und angenehm bzw. Kombinationen aus diesen beiden Aspekten zuordnen lassen. Als laut und unangenehm gelten Verkehr und Baustellen, laut aber angenehm hingegen werden zum Beispiel Orte mit vielen Menschen empfunden. Selbst leiser Verkehrslärm wird als unangenehm empfunden, natürliche Geräusche (Wasser, Wind) hingegen werden als leise und angenehm wahrgenommen. Vergleicht man objektive Lärmmessungen mit dem subjektivem Lärmempfinden, zeigen sich hohe positive Zusammenhänge. Da beide Werte sich jedoch nicht eins zu eins decken, könnte der Zusammenhang durch weitere Faktoren beeinflusst sein, wie etwa der architektonischen Gestaltung eines Ortes, die wiederum Emotionen auslösen könnte. Emotionales Empfinden hängt negativ mit den objektiven Lärmmessungen zusammen, was ein Anzeichen dafür ist, dass Geräusche einen für das emotionale Erleben relevanten Einfluss darstellen. Aus diesem Grund ist das Einbeziehen der Umgebungslautstärke ein wichtiger Ansatz für Stadtplaner*innen, wenn es darum geht, Wohlfühlfaktoren sowie den Lebenswert einer Stadt positiv zu gestalten. Um die Methode der Studie effizient nutzen zu können sind weiterführende Untersuchungen möglich: Es müssten in größerem Rahmen Orte identifiziert und genauer bezüglich objektiver sowie subjektiver Qualitäten untersucht werden. Die Verwendung von physiologischen Maßen wie in der ersten Studie ist hierbei ebenfalls denkbar. Ein Rückschluss auf die Lärmquelle könnte in Zukunft über eine Analyse der objektiven Lärmmessung erfolgen. In dem Projekt CitySounds aus Schottland werden beispielsweise verschiedene Tonerzeuger - Tiere, Menschen, Wind etc. - von Audioaufnahmen aus Grünanlagen extrahiert und daraus Erkenntnisse über das Gesamtbild urbaner Geräuschkulissen gewonnen [12]. Um neben dem objektiven Lärmpegel weitere Einflussfaktoren auf das subjektive Lärmempfinden abzuleiten, sollte die Umgebung genauer betrachtet werden. So könnte der Frage nachgegangen werden, wodurch Lärm als mehr oder weniger stressauslösend empfunden wird. Die bisher vorgestellte Art der Erhebung ist nicht nur für Fußgänger*innen, sondern auch für weitere Verkehrsteilnehmer*innen, wie zum Beispiel Radfahrer*innen möglich. Aufgrund der wenig fahrradfreundlichen Topographie in Stuttgart wurde die folgende Studie - eine Kooperation der HFT Stuttgart und Daimler TSS - mit Pedelecs statt mit Fahrrädern durchgeführt. In Pedelecs können zusätzliche Sensoren verwendet werden Bei der dritten Studie handelte es sich um einen Fahrversuch mit Pedelecs durch Stuttgart. Ziel war es, emotionales Erleben von Radfahrer*innen in Abhängigkeit verschiedener Streckenabschnitte zu erfassen und im Zusammenhang mit physiologischen Parametern zu betrachten. Die Proband*innen wurden per App über eine Strecke navigiert, die Abschnitte mit unterschiedlicher psychischer Belastung (Verkehrsaufkommen/ Stress) und physischer Belastung (Steigung) enthielt. Während der Fahrt wurden Sensoren zur Aufzeichnung objektiver physiologischer Parameter (kardiovaskulär, elektrodermal) sowie Befragungen per App zur subjektiven Erfassung emotionalen Erlebens und zu Stress eingesetzt. Der aktuelle Standort wurde ebenfalls kontinuierlich erfasst, um die Daten auch mit den Orten verknüpfen zu können. Sensoren am Pedelec speicherten Werte wie Geschwindigkeit und Trittkraft. Die Durchführung fand im Herbst 2017 mit 14- Student*innen der Hochschule statt. Zur Analyse wurden subjektiv und objektiv gemessene Daten auf Zusammenhänge überprüft. Allgemein zeigen sich zwar positive Zusammenhänge, allerdings auf einem vergleichsweisen niedrigen Niveau. Dabei weisen kardiovaskuläre Werte höhere Zusammenhänge mit emotionalem Erleben auf als die Werte der Hautleitfähigkeit. Betrachtet man das emotionale Erleben über die vier Streckenabschnitte hinweg (Bild 5), fällt auf, dass sich die Werte der Emotion Angst als einzige signifikant zwischen den vier Streckenabschnitten unterscheidet. Hohe Angst- Werte zeigen sich vor allem auf den Streckenteilen mit erhöhtem Verkehrsaufkommen (Stress). Unterschiede zeigen sich ebenfalls bezüglich des subjektiven Stressempfindens. Hierfür wurden die Proband*innen gefragt, wie stressig sie den vergangenen Streckenabschnitt empfanden. Die Proband*innen bewerteten zudem das subjektiv empfundene Verkehrsaufkommen sowie die Lautstärke während der Fahrt. Erhöhte Werte gehen hierbei mit negativen Emotionen einher. Bezüglich Bild 4: Darstellung der über die Hush City App erhobenen Daten. © HFT Stuttgart 60 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher mobil der am Pedelec befestigten Sensoren ergab sich lediglich, dass erhöhte Geschwindigkeit mit positivem emotionalem Erleben in Verbindung steht. Auch für diese Studie wurde aus der Fülle der Daten ein Visualisierungstool erstellt [13] (Bild 6). Auf der 3D-Darstellung lassen sich Pedelecs lokalisieren und die Sensorwerte anzeigen. Nach der Fahrt können zusätzlich zu diesen Werten sowohl physiologische Parameter als auch die Wetterverhältnisse abgerufen werden (E-Bike Usage Information). Die Darstellung des subjektiven emotionalen Erlebens an den einzelnen Befragungspunkten ist in Bearbeitung und wird in Zukunft visualisierbar sein. Als Weiterführung der Pedelec-Studien wäre es interessant, die Beziehung von emotionalem Erleben mit den Pedelec-Daten noch genauer zu analysieren: Eine mögliche Fragestellung ist, wie sich das Erleben durch die Motorisierung verändert, das heißt, wie es den Stress im Straßenverkehr reduziert. Zudem könnten weitere Einflussfaktoren erfasst und betrachtet werden, wie Umgebungslautstärke, der Abstand zu anderen Verkehrsteilnehmer*innen und das Vorhandensein verschiedener Fahrradwege, die ebenfalls das emotionale Erleben im Verkehr beeinflussen können. Dies alles sind Faktoren, die insbesondere in der Stadt häufig auftreten und daher von großer Bedeutung sein könnten, wenn es um Determinanten emotionalen Erlebens geht. Für die Stadtplanung sind diese Aspekte deshalb interessant, weil durch deren Optimierung mehr Menschen weg vom Autofahren zum Radfahren animiert werden könnten. Wenn es hierdurch gelingen würde das Verkehrsaufkommen insgesamt zu verringern und damit weniger Staus, geringere Schadstoffbelastung und einen niedrigeren Verkehrslärmpegel in Städten zu erhalten, könnte dies den Lebenswert von Städten deutlich erhöhen. Schlussfolgerung Die drei durchgeführten Studien zeigen, dass unterschiedlichste Erhebungsmethoden auch beim Ansatz des Experience Sampling anwendbar sind und unterschiedliche objektive und subjektive Daten gleichzeitig erfasst und visualisiert werden können. Auch wenn die vorgestellten Feldstudien aktuell noch Schwächen bezüglich der Messgenauigkeit und Stichprobengröße haben, zeigen sie den Nutzen solcher Studien für die Anwendung in der Stadtplanung perspektivisch auf. Für Stadtplaner*innen ist es wichtig, emotionales Erleben in Echtzeit in der jeweiligen Situation in städtischer Umgebung zu erfassen. Nur so ist eine optimale Orientierung an den Präferenzen der Bewohner*innen möglich, auf denen insbesondere bei steigenden Einwohnerzahlen der Fokus der Stadtplanung liegen sollte. Wie genau können die Studien und die daraus resultierenden Karten nun im stadtplanerischen Kontext Anwendung finden? Zum einen können aus ihnen HotSpots identifiziert werden. Negativ empfundene Orte können so erkannt und entsprechend verbessert werden. Sowohl aus negativen wie auch aus positiven HotSpots können zudem Einflussfaktoren auf das Erleben von Bewohner*innen abgeleitet werden, die einen Ort als angenehm oder unangenehm wirken lassen. Denn durch die verknüpfte Erfassung ist es unter anderem möglich, bauliche Einflussfaktoren zu identifizieren und mit subjektivem Erleben kombiniert zu erfassen. Auch jahreszeitliche Abhän- Bild 5: Mittelwerte der einzelnen Streckenabschnitte für emotionales Erleben und Stress. Die Skala reichte von eins bis fünf. © HFT Stuttgart THEMA Gesund und sicher mobil 61 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES gigkeiten können über die Methodik erkannt werden. All diese Informationen können für zukünftige Planung verwendet werden, etwa wenn es um das Anlegen von Parks als Ruhezone geht oder - betrachtet man Radfahrer*innen - wenn die Trennung von motorisiertem und nicht motorisiertem Verkehr im Fokus steht. Aber auch bei der Einhaltung von Richtlinien, wie die der Weltgesundheitsorganisation, geben die visualisierten Daten schnell einen Überblick über die Ist-Situation und Stellschrauben zur Soll-Situation. Im nächsten Schritt sollten die verwendeten Studienansätze und Messinstrumente weiterentwickelt werden, um die Messgenauigkeit und Aussagekraft der Studie für die Anwendung weiter zu erhöhen. Die drei Bereiche Stadtplanung, Psychologie und Geoinformatik sollten hierbei zusammenarbeiten, um die Beziehung zwischen Raum und Mensch positiv zu gestalten. Zu diesem Zweck sind weitere Studien möglich, in denen spezifischere Zielgruppen, weitere Visualisierungsmöglichkeiten und die Verknüpfung mehrerer Daten fokussiert werden können. Schwerpunkt sollte weiterhin das emotionale Erleben der Bewohner*innen sein, da dies ein Wegweiser zu lebenswerten Städten ist. Neben einem allgemein erhöhten Lebenswert könnte im Idealfall auch die Verkehrssituation innerhalb der Stadt verbessert und somit dem täglichen Warten im Stau ein Ende bereitet werden. Danksagung Die hier vorgestellten Ergebnisse stammen zum Teil aus dem Projekt „i_city: Intelligente Stadt“, welches vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unter dem Förderkennzeichen 13FH9I01lA gefördert und vom Projektträger VDI Technologiezentrum GmbH für das BMBF betreut wird. Wir danken Daimler TSS für die Bereitstellung der in der dritten Studie verwendeten Pedelecs inklusive Messtechnik. Bild 6: Darstellung der Pedelec-Daten sowie der physiologischen Maße an einem bestimmten Standort der E-Bike-Fahrerin. © HFT Stuttgart LITERATUR: [1] Statistisches Landesamt Baden-Württemberg. (30. August 2018). Baden-Württemberg: Einwohnerzahl ist 2017 um 71 500 angestiegen. [Pressemeldung]. Zugriff am 07.10.2018. Verfügbar unter https: / / www.statistik-bw.de/ Presse/ Pressemitteilungen/ 2018197#ftnr-ref1 [2] Statistisches Landesamt Baden-Württemberg. (2018). Bruttoinlandsprodukt und Bruttowertschöpfung. Zugriff am 08.10.2018. Verfügbar unter https: / / www.statistik-bw.de/ GesamtwBranchen/ VGR / LRt- BWSjewPreise.jsp [3] INRIX Research (Hrsg.) (2018): INRIX Global Traffic Scorecard. Zugriff am 07.10.2018. Verfügbar unter http: / / inrix.com/ scorecard/ [4] United Nations (2018). World Urbanization Prospects: The 2018 Revision, Key Facts. Department of Economic and Social Affairs, Population Devsion (Hrsg.). [5] Zeile, P., Resch, B., Exner, J. P., Sagl, G.: Urban emotions: Benefits and risks in using human sensory assessment for the extraction of contextual emotion information in urban planning. In: Geertman, S., Ferreira, J., Godspeed, R., Stillwell, J. (Hrsg.): Planning Support Systems & Smart Cities. Lecture Notes in Geoinformation and Cartography. (2015) S.-209-225. Springer International Publishing, Berlin. 62 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher mobil Lara Kohn, B.Sc. Wissenschaftliche Mitarbeiterin Zentrum f. nachhaltiges Wirtschaften und Management Hochschule für Technik Stuttgart Kontakt: lara.kohn@rub.de Habiburrahman Dastageeri, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Zentrum für Geodäsie und Geoinformatik Hochschule für Technik Stuttgart, Kontakt: habiburrahman.dastageeri@hft-stuttgart.de Jan Silberer, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Zentrum f. nachhaltiges Wirtschaften und Management Hochschule für Technik Stuttgart Kontakt: jan.silberer@hft-stuttgart.de Prof. Dr. Thomas Bäumer Professor für Wirtschaftspsychologie Zentrum f. nachhaltiges Wirtschaften und Management Hochschule für Technik Stuttgart Kontakt: thomas.baeumer@hft-stuttgart.de AUTOR I NNEN Thunyathep Santhanavanich, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Zentrum für Geodäsie und Geoinformatik Hochschule für Technik Stuttgart Kontakt: thunyathep.santhanavanich@hft-stuttgart.de Prof. Dr. Patrick Müller Professor für Wirtschaftspsychologie Zentrum f. nachhaltiges Wirtschaften und Management Hochschule für Technik Stuttgart Kontakt: patrick.mueller@hft-stuttgart.de Dipl. Betriebsw. (FH) Susanne Moulin Wissenschaftliche Mitarbeiterin Zentrum f. nachhaltiges Wirtschaften und Management Hochschule für Technik Stuttgart Kontakt: susanne.moulin@hft-stuttgart.de Prof. Dr. Volker Coors Professor für Geoinformatik Zentrum für Geodäsie und Geoinformatik Hochschule für Technik Stuttgart Kontakt: volker.coors@hft-stuttgart.de [6] Zeile, P., Höffken, S., Papastefanou, G.: Mapping People? The measurement of physiological data in city areas and the potential benefit for urban planning. In Schrenk, M., Popovich, V. V., Engelke, D., Elisei, P. (Hrsg.): Real Corp 2009: Smart, Sustainable, Integrative. Strategies, concepts and technologies for planning the urban future (2009), S. 341-225. [7] Fahrenberg, J., Myrtek, M., Pawlik, K., Perrez, M.: Ambulantes Assessment - Verhalten im Alltagskontext erfassen. Psychologische Rundschau, 58, 1 (2007), S.12-23. https: / / doi.org/ 10.1026/ 0033-3042.58.1.12 [8] Trull, T. J., Ebner-Priemer, U.: Ambulatory assessment. Annual review of clinical psychology, 9, (2013) S. 151-176. https: / / doi.org/ 10.1146/ annurevclinpsy-050212-185510 [9] Kohn, L., Dastageeri, H., Bäumer, T., Moulin, S., Müller, P., Coors, V.: HOT OR NOT - IDENTIFYING EMOTIONAL “HOT SPOTS” IN THE CITY. ISPRS Annals of Photogrammetry Remote Sensing and Spatial Information Sciences, IV-4/ W7, (2018) S.67-73. https: / / doi. org/ 10.5194/ isprs-annals-IV-4-W7-67-2018 [10] World Health Organization Regional Office for Europe (Hrsg.): Environmental noise guidelines for the European Region, (2018). Zugriff am 10.10.2018. http: / / w w w.euro.who.int/ _ _data/ assets/ pdf_file/ 0008/ 383921/ noise-guidelines-eng.pdf [11] Radicchi A., Henckel, D., Memmel, M.: Citizens as smart, active sensors for a quiet and just city. Noise Mapping, 4, (2017) S. 104-122. De Gruyter, Berlin. [12] Klein, E., Chapple, S., Fainberg, J., Magill, C., Parker, M., Raab, C., Silvertown, J.: CAPTURING THE SOUNDS OF AN URBAN GREENSPACE. ISPRS Annals of Photogrammetry Remote Sensing and Spatial Information Sciences, XLII-4/ W11, (2018) S. 19-26. https: / / doi. org/ 10.5194/ isprs-archives-XLII-4-W11-19-2018 [13] Santhanavanich, T.: Visualization and Analysis of E-bike Usage in 3D City Model by Integration of Heterogeneous Sensor Data. Hochschule für Technik Stuttgart, (2018). Masterarbeit. Zugriff am 10.10.2018. https: / / www.coors-online.de/ wp-content/ uploads/ 2018/ 03/ Joe Thunyathep_MasterThesis_Final.pdf LINKS: • https: / / www.hft-stuttgart.de/ Forschung/ i_city/ • https: / / www.movisens.com/ de/ • http: / / www.opensourcesoundscapes.org/ hush-city/ • https: / / youtu.be/ gEVmtgKRkPY THEMA Gesund und sicher mobil 63 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES Noch vor wenigen Jahren schienen sich viele Fachleute der Elektromobilität einig, dass die Induktion herkömmliches Laden per Kabel bald ablöst. Allzu umständlich sind Kabel und Stecker, vor allem im öffentlichen Raum bei Nässe und Kälte. So wie einst das schnurlose Telefon zur Normalität wurde, glaubten viele, werde auch das induktive Laden den Standard in der E-Mobilität setzen. Doch der Wandel blieb bislang aus. Noch immer sind E-Fahrzeuge mit Säulen und Kabeln verbunden, die über Bürgersteigen liegen und anfällig für Vandalismus sind. Ist das smart? Im Folgenden möchten wir die Hauptargumente für und gegen das induktive Laden kurz zusammenfassen, aktuelle Anwendungen aufzeigen und drei Thesen zur Diskussion stellen. Vom Stecker zur Spule Drei Thesen zur Zukunft des induktiven Ladens Elektromobilität, Ladeinfrastruktur, Induktion, Innovation, autonomes Fahren Wolfgang Schade, Christian Scherf Die Ladeinfrastruktur gilt als Schlüssel zum Erfolg der Elektromobilität. Um das kabellose oder induktive Laden ist es in jüngster Zeit jedoch ruhiger geworden. Zu leistungsarm, zu verlustreich, zu teuer und zu wenig standardisiert - so lauten die gängigen Kritiken. Dabei passt induktives Laden ideal ins Stadtbild von morgen. Vorteile liegen nicht nur im Komfort, sondern auch in der Eignung für autonomes Fahren und als urbane Infrastruktur. Die langsamere Entwicklung gegenüber leitungsgebundenen Lösungen ist eine Chance zu rechtzeitigem Handeln. Elektromagnetische Induktion in der Elektromobilität Induktion im Kontext der Elektromobilität meint das berührungslose Aufladen des Fahrzeuges durch eine auf dem Boden liegende bzw. eingelassene Ladeplatte mit Primärspule und eine im Fahrzeug befindliche Sekundärspule. Das Induktionsprinzip ist seit Langem bekannt und findet bei vielen elektrischen Alltagsgeräten vom Smartphone bis zur Zahnbürste Verwendung. Im Industriebereich ist die Induktion auch für Fahrzeuge, etwa für elektrische Transportwagen, eine gängige Ladetechnik. Der Verschleiß ist gering. Die Spulen sind flach verbaut und benötigen kaum zusätzlichen Raum. Die Pro-Argumente beziehen sich daher zumeist BMW 530e iPerformance. Plug-in-Hybrid. © BMW 64 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher mobil auf den Komfortgewinn: Es sind keine losen Kabel und daher auch keine freiliegenden Steckdosen erforderlich. Die Nutzer*innen brauchen außer der korrekten Platzierung des Fahrzeuges über der Primärspule nichts zu tun - und auch das wird automatisiert. Für das Laden moderner E-Fahrzeuge sind allerdings höhere Leistungen und Sicherheiten als bei herkömmlichen Anwendungen notwendig. Die Contra-Argumente beziehen sich meist auf technische Grenzen: Gegenüber kabelgebundenem Laden sind die Energieverluste höher. Die Fortschritte der Induktion können mit dem Trend zu zeitsparendem Schnellladen (noch) nicht mithalten. Aufladungen auf 80 % Akkustand in 20 Minuten, wie sie moderne Schnellladestationen erlauben, sind per Induktion aktuell kaum praktikabel. Während bei kabelgebundenen Schnellladestationen Ladeleistungen bis zu 350 kW diskutiert werden, liegen die angedachten Leistungsklassen für das induktive Laden von PKW bei bis zu 22 kW ([1] S. 31). Bei größeren Fahrzeugen wie zum Beispiel Omnibussen sind hingegen höhere Ladeleistungen möglich. Der Maßstab für die Induktion ist aber nicht die Schnellladung für Langstrecken, sondern das gemächliche Laden über Nacht oder wiederholte Teilladungen in enger zeitlicher Taktung. Erste Anwendungen bei Premium-PKW und ÖPNV-Bussen Ein Beispiel für die erste Anwendung ist die Sonderausstattung, die BMW seit diesem Jahr für die Plug-in-Limousine BMW 530e iPerformance zum Leasing anbietet. Die Ladeplatte mit Primärspule (GroundPad) kann daheim - vorzugsweise in privaten Garagen, aber auch auf eigenen Freiflächen - platziert werden. So soll die Batterie des Plug-in mit einer elektrischen Reichweite von bis zu 50 km in etwa dreieinhalb Stunden vollgeladen werden. Der Wirkungsgrad wird mit 85 % angegeben. Beim kabelgebundenen Laden werden heute etwa 92 % erreicht [2]. Die Positionierung des BMW über der Induktionsfläche ist in die kameragestützte Einparkhilfe integriert. Der Ladevorgang startet bei Deaktivierung des Antriebes automatisch. Gelangen Fremdkörper zwischen GroundPad und Auto stoppt der Vorgang. Der Preis für die stationäre Ladeplatte mit Primärspule liegt bei rund 2000 EUR, jener der Sekundärspule im Auto bei etwa 750 EUR netto [2]. Die zweite Anwendung ist die Induktion bei Nahverkehrsbussen, die unter anderem in Berlin getestet wird. Die Busse des Typs Urbino 12 electric des Herstellers Solaris laden an den beiden Endhaltestellen einer etwa 6 km langen Buslinie durch das Primove-Ladesystem von Bombardier mit einer Ladeleistung von 200 kW. Die E-Busse laden im Schnitt vier bis sieben Minuten lang mehrmals täglich in den Betriebspausen an den Endhalten. Das Projektkonsortium gibt eine Effizienz von über 90 % an ([3] S.-4). Beide Beispiele - die Langzeitladung als Zubehör für Premium-PKW und die häufige Kurzzeitladung im ÖPNV - sind mögliche Einstiege zu weitergehenden Anwendungen. Da die Induktion für E-Fahrzeuge noch keinen anerkannten internationalen Standard hat, ist die Verbreitung in beiden Fällen noch eingeschränkt. Mehrere Gründe sprechen trotzdem für die Berücksichtigung in der Stadt- und Verkehrsplanung, aus der sich folgende Thesen formulieren lassen: These 1: Induktives Laden ist besonders routinefähig. Der Erfolg digitaler Anwendungen wie Suchmaschinen und Smartphone-Apps zeigt, dass Produkte dann erfolgreich sind, wenn sie eine „Nutzung ohne Nachdenken“ ermöglichen und ihr Mehrwert unmittelbar überzeugt. Der Reiz intuitiv funktionierender Anwendungen, die praktisch sofort zur unbewussten Alltagsroutine werden, ist kaum zu überschätzen. Wer schaut heute noch ins Adressbuch, wenn er eine Telefonnummer sucht? Wer geht ins Reisebüro, wenn er eine Zugreise buchen möchte? Digitale Suchfilter und Assistenten sind allgegenwärtig geworden. Den Menschen wird Arbeit abgenommen. Es sind Handlungserleichterung und Komplexitätsreduktion, die Innovationen erst ein gesellschaftliches Gewicht verleihen. Was bislang vor allem bei Information und Kommunikation funktioniert, wird zukünftig für alle Dienstleistungen zum entscheidenden Faktor: Alles, was zusätzliches Nachdenken erfordert und nicht sofort zur Routine wird, findet die Mehrheit nicht akzeptabel. Das induktive Laden erfüllt diese hohen Anforderungen. Schon heute braucht der Anwender nichts weiter zu tun, als das Fahrzeug möglichst exakt über die Ladeplatte zu fahren. Dabei helfen Assistenzsysteme. Bald schon könnte gar kein manueller Eingriff mehr nötig sein. Das Laden von E-Fahrzeugen wird in vorhandene Handlungsroutinen integriert. These 2: Induktives Laden und autonomes Fahren ergänzen sich. Neben der Elektromobilität ist das autonome Fahren ein weiterer Megatrend der Mobilität. Induktives Laden passt hierzu besonders gut, da es sich leichter automatisieren lässt, als die manuelle Anbindung per Stecker. Es ist schwer vorstellbar, dass fahrerlose Fahrzeuge in Zukunft noch manuell verkabelt werden. Auch die Automatisierung THEMA Gesund und sicher mobil 65 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES über Roboterarme - das sogenannte Hands-Free- Charging - ist weniger flexibel, bedarf ebenfalls hoher Standardisierung und wäre höchstens eine Zwischenlösung. Mechanische Elemente scheinen im Zweifel wartungsintensiver und störanfälliger als rein elektronische Lösungen. Bei induktivem Laden könnten die autonomen Fahrzeuge nicht nur fahrerlos exakt über den Ladeflächen parken, sondern auch selbstständig umparken, wenn sie geladen sind. Auch das Aufladen während der Fahrt (dynamische Induktion) wurde bereits auf einer Teststrecke in Versailles bei Paris erfolgreich erprobt [4]. Das automatische Nachladen während der Fahrt kommt aufgrund der Kosten nur auf Teilstrecken in Frage. In jedem Fall wird das Laden aber Teil der vorhandenen Infrastruktur. These 3: Die Langsamkeit induktiven Ladens ist seine Stärke. Was bleibt, ist die Kritik an geringen Ladeleistungen, Energieverlusten sowie langsamer Durchsetzung aufgrund hoher Kosten und fehlender Standards. Diese Kritikpunkte sind sachlich richtig, greifen aber zu kurz, denn eigentlich sind sie Chancen. Gerade weil die Massentauglichkeit und Bezahlbarkeit erst in einigen Jahren erwartet wird, bleibt Zeit zur Anpassung urbaner Infrastrukturen. Damit sollte aber heute begonnen werden, um die für Ladeinfrastruktur zusätzlich benötigten Stadtflächen zu minimieren. Die Infrastrukturen des Verkehrs werden langfristig geplant: Straßen, Plätze, Brücken und sonstige Verkehrsbauten sind zumeist viele Jahrzehnte in Betrieb. Wenn Straßenbeläge und Parkplätze bereits heute auf induktive Ladetechnik ausgelegt werden, kann verhindert werden, dass ein neues „Henne-Ei-Problem“ entsteht - die gegenseitige Hemmung zwischen geringer Flottengröße und unpassender Ladeinfrastruktur. Auch die Langsamkeit beim Laden selbst ist nur dann ein Nachteil, wenn die Performance mit Verbrennungsautos verglichen wird. Herkömmliche PKW sind für Langstrecken von mehreren hundert Kilometern mit seltenem Nachtanken ausgelegt. Solche „australischen Anforderungen“ sind in Metropolen und Ballungsräumen kaum gegeben. Hier überwiegen kurze und mittlere Distanzen mit häufigen Zwischenstopps sowie Stop-and-go-Verkehr. Diese Nutzungsweisen schaffen unzählige Möglichkeiten für induktives Laden zwischendurch: Auf stark frequentierten Hauptstraßen, an Ampeln oder in Parkhäusern. Durch häufiges Nachladen können die Batterien kleiner und leichter sein. Auch für die Lebensdauer der Batterien sind mittlere Ladestände und langsames Laden förderlich. Der Wunsch nach schnellem Laden geht zu sehr vom Privatauto aus, das durchgehend von denselben Personen genutzt wird. Die Zeichen der Verkehrswende deuten aber darauf hin, dass Mobilität in Zukunft multi- und intermodaler ist als heute, das heißt, Menschen werden mal dieses und mal jenes Fahrzeug wählen. Ausleihen, Abstellen und Weiterfahren mit wechselnden Fahrzeugen wird zum Normalfall. Wer sich so fortbewegt, macht seine Ziele nicht von Steckerarten und Säulenstandorten abhängig. QUELLEN [1] DKE, BDEW, ZVEI, ZVEH (Hrsg.): Der Technische Leitfaden Ladeinfrastruktur Elektromobilität. Version 2, Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik in DIN und VDE, 2016. Online unter: https: / / www.dke.de/ de/ themen/ mobility/ praxisnaher-leitfaden-ladeinfrastruktur-fuer-elektromobilitaet (letzter Zugriff am 24. Oktober 2018). [2] Soller, G.: Erster! BMW startet induktives Laden, in: Vision Mobility. Onlineartikel vom 28. Mai 2018. Online unter: https: / / www.vision-mobility.de/ de/ news/ erster-bmw-startet-induktives-laden-1656.html (letzter Zugriff am 24. Oktober 2018). [3] BVG, BMVI, Senatsverwaltung Berlin, Solaris, TU Berlin, Vossloh Kiepe: Vier grüne Gelbe für die Hauptstadt - Solaris Elektrobusse für die Linie 204 in Berlin vorgestellt. Pressemitteilung vom 1. Juli 2015. Online unter: https: / / www.stadtentwicklung.berlin.de/ aktuell/ pressebox/ includes/ docs/ doc598_150701pm_ ebus_fahrzeugvorstellung.pdf (letzter Zugriff am 24. Oktober 2018). [4] Köllner, C.: Qualcomm erprobt dynamisches Induktiv- Laden, in: Springer Professional. Onlineartikel vom 22. Mai 2017. Online unter: https: / / www.springerprofessional.de/ ladeinfrastruktur/ elektrofahrzeuge/ qualcommerprobtdynamisches-induk tiv-laden/ 12302026 (letzter Zugriff am 24. Oktober 2018). Dr. Wolfgang Schade Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter M-Five GmbH Mobility, Futures, Innovation, Economics Kontakt: wolfgang.schade@m-five.de Dr. Christian Scherf Wissenschaftlicher Mitarbeiter M-Five GmbH Mobility, Futures, Innovation, Economics Kontakt: christian.scherf@m-five.de AUTOREN 66 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher mobil Einleitung und Ausgangssituation Wie verändert die Zukunft der Mobilität den Stadtraum von morgen? In der bisherigen Stadtentwicklung hat das Automobil in Verbindung mit dem Aufkommen der Individualmobilität immer mehr Raum eingefordert. Während zu Beginn dieser neuen Technologie im 19. Jahrhundert noch der „Red Flag Act“ galt und jedem Automobil ein Mensch mit einer roten Flagge voranlaufen sollte, bestimmen heute mehrspurige Stadtautobahnen und teilweise mehrstöckige Tiefgaragen unser Bild von einer urbanen Mobilität. Asphaltierte Flächen für ruhenden und fließenden Verkehr umfassen in Städten teilweise über zehn Prozent des gesamten Stadtgebiets. Der Einzelhandel unserer Innenstädte fordert nach wie vor maximale Erreichbarkeit durch möglichst viele Szenario für einen multifunktionalen Verkehrsraum. © Fraunhofer IAO / L AVA Autonomes Fahren im Kontext der Stadt - AFKOS Warum die Zukunft der Mobilität den Raum für grüne Infrastrukturen ermöglicht Autonomes Fahren, Stadtraum 4.0, symbiotische Mobilität, Flächeneffizienz, urbane Transformation Claudius Schaufler, Steffen Braun Autonomes Fahren wird heute meist unter technischen und regulatorischen Gesichtspunkten diskutiert. Bisher untergeordnet sind die stadträumlichen Potenziale, die sich durch autonome und vernetzte Fahrzeuge im öffentlichen Raum ergeben. Zum Beispiel können zukünftig signifikant Flächen durch weniger Stellplätze eingespart werden, wenn Fahrzeuge nicht mehr im individuellen Besitz sind. Dadurch könnte eine autonome geteilte Mobilität eine der größten Stellschrauben für mehr Nachhaltigkeit und Lebensqualität in Städten sein. Im Beitrag werden beispielhafte Ergebnisse der Studie AFKOS vorgestellt. THEMA THEMA Gesund und sicher mobil 67 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES nahe Stellplätze und die Zunahme des Online-Handels hat das Sendungsvolumen von Paketen und damit auch Liefertransportern auf der letzten Meile mehr als verdoppelt. Doch mittlerweile reift mit der sukzessiven Weiterentwicklung autonom fahrender Fahrzeuge die Idee eines neuen Mobilitätsparadigmas. Autonomes Fahren kann dabei erstmals seit über 125 Jahren wieder einen Wendepunkt in der urbanen Mobilität darstellen. Selbst die großen Automobilhersteller sprechen davon, dass die nächsten fünf Jahre die Branche mehr verändern werden als die letzten hundert Jahre. Doch was sind die konkreten Potenziale auf Ebene einer deutschen Groß- oder Mittelstadt? Wieviel Verkehrsflächen brauchen wir zukünftig noch, um dieselbe Mobilität wie heute zu gewährleisten? Und welche Leitplanken und Zielbilder braucht es für eine Erschließung dieser Potenziale? Dies waren die Leitfragen zur Durchführung der Potenzialstudie AFKOS - autonomes Fahren im Kontext Stadt, die im Rahmen der Fraunhofer- Initiative Morgenstadt entstand. Ziel ist es, heutigen kommunalen Entscheidern sowie wirtschaftlichen Akteuren eine wissenschaftlich validierte Diskussionsgrundlage zu schaffen und damit bereits heute die richtigen Entscheidungen für die andauernde Transformation urbaner Mobilität zu unterstützen. Denn jeder Stadtteil, jedes Quartier oder jede Verkehrsinfrastruktur, die heute geplant wird, kann diesen Wandel entweder antizipieren oder hemmen. Aktueller Stand von Forschung und Technik In der Praxis ist die Erprobung von automatisierten Shuttles in Sharing-Modellen in vollem Gange, mit Pilotprojekten in Weltmetropolen wie Singapur bis hin zu Teststrecken in kleinen Kommunen wie dem bayerischen Bad Birnbach. Gemein haben diese Projekte die von der öffentlichen Straße fernen Testareale innerhalb verkehrsberuhigter Technologieparks, Uni-Campusse oder auf gesonderten Fahrbahnen. Grund ist die Komplexität innerstädtischer Umgebungen mit etlichen Einflüssen wie Fußgängern, Fahrrädern oder anderen motorisierten Fahrzeugen, die die Maximalgeschwindigkeit der Pilotfahrzeuge mit Kapazitäten von vier bis acht Personen auf 12 bis 15 km/ h begrenzen. Parallel dazu werden ebenfalls Privatfahrzeuge mit Sensorik zur Umgebungserkennung ausgerüstet. Gängige Serienmodelle verschiedenster Hersteller werden dabei mit laserbasierter Lidar- Technologie, Ultraschall oder mit Videokameras ausgerüstet, um einen möglichst genauen Eindruck des Umfelds eines Fahrzeugs zu erhalten. Ergänzt um hochauflösende Karten, GPS-Daten und Verkehrsinformationen ergibt sich ein umfassendes Bild der zu erwartenden externen Einflüsse, das eine autonome Steuerung der Fahrzeuge ermöglicht. US-amerikanische Konzerne dominieren derzeit die Rangliste der mit automatisierten Fahrzeugen zurückgelegten Strecke, angeführt von Alphabet ’s Tochter Waymo und - Stand Juli 2018 - über 8 Mio. gefahrenen Meilen. Nun ist die Betrachtung der gefahrenen Strecke sowie die darin gelegte Hoffnung, die Anzahl von Unfällen zu senken, nur ein Teil der Herausforderungen, blickt man in urbane Siedlungsstrukturen und die dort vorzufindenden Probleme. Staus, Luftverschmutzung und von Verkehrsinfrastrukturen durchzogene Innenstädte sind vielmehr Folgen einer autogerechten Verkehrspolitik des 20. Jahrhunderts. Inwieweit das automatisierte Fahrzeug hierzu einen Beitrag leisten könnte, erfährt man anhand von drei markanten Zahlen, die aus aktuellen Studien ersichtlich werden: Zum einen könnte die Anzahl der sich jetzt auf der Straße europäischer Städte befindenden Automobile um bis zu 92 Prozent reduziert werden, je nach aktueller Verfügbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel und bestehender Autoabhängigkeit. Die zum Zwischenparken dieser Fahrzeuge benötigte Fläche könnte auf etwa sieben Prozent der heutigen Parkierungsflächen reduziert werden, während die verkehrsbezogenen CO 2 -Emissionen auf etwa ein Drittel der derzeit ausgestoßenen Menge fallen würde. Dies sind vielversprechende Zahlen, die jedoch eine Prämisse teilen: Die optimale Integration der automatisierten Fahrzeuge als Letzte-Meile-Lösung des lokal verfügbaren öffentlichen Nahverkehrs. Sollte sich die Technologie ohne Verhaltensänderung und Einsteuern in Richtung intermodaler Verkettung verschiedenster Transportmodi etablieren, sind Effekte wie ein gesteigerter Energieverbrauch sowie höheres Verkehrsaufkommen zu erwarten. Methodik und Forschungsansatz Im Verlauf der Potenzialstudie wurden zu Beginn 25 Studien analysiert, nach Szenarien ausgewertet und zu signifikanten Extremszenarien zusammengefasst, die erstmals einen umfassenden Einblick auf die möglichen Effekte von verschiedenen Anwendungsfällen im städtischen Raum geben. Von der Etablierung automatisierter Fahrzeuge in Privatbesitz bis zu einer vollständigen Integration in das öffentliche Verkehrsnetz sowie als Angebot als Mobility-as-a-Service (MaaS) bilden diese Szenarien die komplette Bandbreite der Möglichkeiten ab, die sich im Laufe des kommenden Jahrzehnts abzeichnen könnten. 68 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher mobil Inwieweit eines der Extremszenarien für eine politische als auch stadtplanerische Orientierung dienen kann, wurde folglich im Rahmen eines Workshops mit ausgewählten Fraunhofer-Experten der Stadt, aus der Mobilitäts- und Fahrzeugforschung diskutiert sowie in einer umfangreichen Meta-Analyse erhoben. Eine maximale Integration des automatisierten Fahrzeugs in den öffentlichen Verkehr stellte sich dabei als die Alternative mit dem höchsten Potenzial zur Steigerung der Lebensqualität heraus, weshalb diese als Leitbild für markante Thesen über das künftige Stadtbild diente. In einer darauffolgenden Interviewrunde mit führenden Experten der Automobilbranche, aus Stadtverwaltungen sowie der Forschung wurden diese validiert und schließlich zu zehn Einblicken zusammengefasst, die einen Überblick der zu erwartenden Effekte auf die städtischen Strukturen des Jahres 2035 geben. Blick in die Zukunft - Potenziale für den Stadtraum von morgen Der flächendeckende Einsatz automatisierter Shuttles als ergänzender Bestandteil des liniengebundenen Nahverkehrs bewirkt strukturelle Effekte, die weit über die Minderung der Anzahl von Fahrzeugen oder die Effizienz des Verkehrsflusses hinausreichen. Die Anzahl der Verkehrsunfälle kann gesenkt, die mit dem Straßenverkehr verbundenen Emissionen reduziert werden, ebenso die Lebenszykluskosten für Verbraucher als auch für Anbieter. Dabei ließe sich die Anbindung der mit dem öffentlichen Nahverkehr bisher schlecht erreichbaren Stadtviertel verbessern und der Verkehrsraum für alternative Nutzungen öffnen. Letzteres ist von besonderer Bedeutung, denn Verkehrsschneisen beanspruchen oft wertvolle Stadtfläche und schaffen funktionale Leerräume zwischen Gebäuden sowie sozialen Bereichen. Die folgenden Beispiele zeigen eine Auswahl der Möglichkeiten, die sich im Laufe der kommenden Jahre und im Zuge einer alternativen Verkehrs- und Stadtplanung eröffnen können. Von monozu multifunktionalen Stadtflächen Zuvor als reine Verkehrsfläche genutzte Infrastruktur wandelt sich künftig zu adaptivem Raum, der außer zur Versorgung mit Mikromobilitätslösungen sowie zur Nutzung als Transit- und Umschlagsflächen für automatisierte Fahrzeuge für jegliche Formen des sozialen Austauschs genutzt werden kann. Während der ökonomische Druck auf großräumigen Parkierungsflächen vornehmlich für bauliche Nachverdichtungen sorgen wird, werden kleinere, entlang von Straßen gelegene Parkplätze für eine Vielzahl möglicher Nutzungen eingebunden. Anliegende Gastronomie sowie der Einzelhandel rücken in den öffentlichen Raum und beleben die Straße als sozialen Ort, während entlang stärker befahrenen Straßenkorridoren mehr Platz für Bäume und Grünstreifen den Brückenschlag zu größeren Grünanlagen der Stadt schafft. Tageszeitabhängige Anpassung städtischer Funktionen Multifunktionale Stadtflächen sind nicht nur vielfältiger, sondern ermöglichen ebenso eine flexible Anpassung an die lokal anfallenden Bedarfe. In Peak- Zeiten der morgendlichen Rushhour als Haltestelle für automatisierte Shuttles, werden Elastic Spaces über die Mittagsstunde beispielsweise als Fläche für die Gastronomie genutzt. Vor dem abendlichen Peak des Feierabendverkehrs wandelt sich die Fläche mithilfe smarten Stadtmobiliars erneut zur Haltestelle und steht anschließend als sozialer Raum entlang verkehrsberuhigter Straßen in der Innenstadt bereit. In den Abendstunden und an den Wochenenden könnten geeignete Straßen temporär komplett geschlossen, die Fahrpläne der verbleibenden automatisierten Shuttles angepasst werden. Straßenfeste, Flohmärkte, Essensmärkte oder Pop-Up-Verkaufsstände sind nur einige Beispiele für vielfältigste Umnutzungen. Das Leben spielt sich mehr entlang zentraler Mobilitätsachsen ab Die sich eröffnenden Räume für alternative Nutzungen bedürfen einer separierten Betrachtung entlang verschiedener Bevölkerungsdichten: von verkehrsberuhigten Bereichen in sehr urbanen Umgebungen bis zu Zufahrts- und Ringstraßen, die diese Stadtquartiere anbinden. Freiwerdende Flächen entlang innerstädtischen, schmaleren Verkehrswegen eignen sich wie beschrieben für soziale Räume und Freizeitaktivitäten. Dagegen werden Ring- und Zufahrtstraßen zwar flexibler, mit der steigenden Bevölkerung und als Schnittstelle zwischen Land- und Stadtverkehr jedoch weiterhin stärker ausgelastet. Die geringere Aufenthaltsqualität einerseits, jedoch die gute Anbindung andererseits prädestiniert derartige Flächen als Arbeits- und Produktionsräume sowie zur Platzierung dafür benötigter Infrastrukturstationen, an die modulare Produktions- und Pop-Up-Werkstätten angeschlossen werden könnten. Man stelle sich den 3D-Drucker sowie Prototyping-Garagen vor, in der Start-Ups fernab großer Fabriken Design-Entwürfe testen und weiterentwickeln können. THEMA Gesund und sicher mobil 69 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES Freiwerdende Flächen als Wettbewerbsvorteil für Städte Inwieweit die Attraktivität einer Stadt durch Neuinterpretationen von vorhandenen Flächen gesteigert wird, hängt stark von der Fähigkeit der Stadtverwaltung ab, derartige Flächen zugänglich zu machen. Im städteübergreifenden Vergleich ist somit die heutige Verfügbarkeit umwandelbarer Verkehrsinfrastruktur entscheidend, jedoch ebenso die Zuordnung dieser in einem Gleichgewicht zwischen Flächen für den Neubau von Gebäuden, sozialen Räumen, Grünflächen, Transitflächen, sowie Flächen für Gastronomie oder Einzelhandel etc. Folge der verbesserten Aufenthaltsqualität könnten durchaus erhöhte Immobiliensowie Mietpreise sein, die gleichermaßen in urbanen als auch suburbanen Gebieten zu erwarten sind. Dennoch gibt es auch positive Flächenpotenziale, die bei der zunehmenden Bedeutung politischer Umweltregularien enormes politisches Gewicht erhalten könnten. Integration grüner Infrastrukturen und klimaaktiver Oberflächen In Kombination mit naturbasierten Lösungen, wie zum Beispiel Grünflächen auf freiwerdenden Parkplätzen und Fassadenbegrünungen, heben vormals für Mobilitätsangebote genutzte Infrastrukturen das Potenzial zur Verbesserung der Luftqualität sowie des Mikroklimas einer Stadt. Zusätzliche Kosten, die durch beispielsweise umweltbezogene Einflüsse wie starke Regenfälle, Überschwemmungen und Hitzewellen auftreten, können ebenfalls durch derartige Interventionen gemindert werden. Im Großen und Ganzen könnten Flächeneinsparpotenziale der entscheidende Hebel zur Transformation städtischer Nachteile in einen nachhaltigen und die Lebensqualität steigernden Strukturwandel darstellen. Ausblick und kritische Reflexion Die Studie AFKOS ist der Auftakt zu einem neuen interdisziplinären Forschungsfeld. Sie zeigt aufgrund der kombinierten Auswertung bestehender Studien, Experten-Interviews und räumlicher Fallstudien belastbare Leitlinien für den sinnvollen und vor allem komplementären Einsatz autonomer geteilter Fahrzeugflotten im Stadtgebiet auf. Sie gibt noch keine Aussagen über die Wirtschaftlichkeit oder die regulatorischen Maßnahmen, die auf dem Weg hin zu einer Umsetzung erforderlich sind. Aber die Hinweise auf eine neue räumliche Dimension der Mobilität verdichten sich: 66 % der befragten Experten gehen von einem stärkeren Rückgang des Flächenverbrauchs für den fließenden Verkehr aus, 86 % von einer stärkeren Reduzierung von Stellflächen im ruhenden Verkehr. Und 82 % sehen einen generellen Rückgang von Fahrzeugbesitz in größeren Städten voraus. Was aber schwierig vorherzusehen ist, sind mögliche Rebound-Effekte durch veränderte Nutzungspräferenzen der Stadtgesellschaft von morgen. Wie wird die nächste Generation Mobilität nutzen und welchen Status gibt sie noch einem Automobil in seiner heutigen Form? Je nach Richtung erhält man hierzu die naheliegenden Antworten. Was sich als Ausblick aber deutlich herausstellen lässt, ist das mögliche funktionale Potenzial einer neuen Mobilität und damit auch neuer Nutzungsszenarien für anders nutzbare Flächen in der Stadt von morgen. Wenn bis Mitte des 21. Jahrhundert nur noch 50 % der heutigen Verkehrsflächen benötigt werden, wie wollen wir mit den anderen 50 % angesichts von Klimawandel, Wohnungsnot und Digitalisierung umgehen? Urbane Mikrowohnungen? Grüne Infrastrukturen? Klimaaktive Parks? Aufenthaltsflächen für die digitale Gesellschaft? „Ground Zeros“ der autogerechten Stadt? Diese Fragen lassen sich nicht abschließend durch wissenschaftliche Studien beantworten, sondern nur durch eine neue Form der kooperativen Planung und Entscheidungsfindung von Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft vor Ort diskutieren und aushandeln. Am Fraunhofer IAO wird hierzu mit innovativen Partnern aus Verwaltung, Politik und Wirtschaft an zukunftsweisenden Lösungen für die nachhaltige und sozio-technische Transformation unserer Städte geforscht. Dipl.-Ing. Steffen Braun Direktor Forschungsbereich „Urbane Systeme“ Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, Stuttgart Kontakt: steffen.braun@iao.fraunhofer.de M.Sc. Claudius Schaufler Projektleiter Team „Smart Urban Environments“ Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, Stuttgart Kontakt: claudius.schaufler@iao.fraunhofer.de AUTOREN 70 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher leben Hintergrund Laut dem jüngsten Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands erreichte die Armutsquote im Jahr 2015 die Rekordhöhe von 15,7- %, was bedeutet, dass aktuell rund 13 Mio. Menschen in Deutschland unter der Einkommensarmutsgrenze leben [1]. Arme und armutsnahe Haushalte in Deutschland leiden unter steigenden Stromkosten. Eine Folge davon ist die zunehmende Zahl von Zählersperren, die durch Energieversorger veranlasst werden. Nach Angaben der Bundesnetzagentur wurden im Jahr 2016 aufgrund ausstehender Zahlungen insgesamt rund 328 000 Zählersperren beauftragt und durchgeführt. Um eine Trennung der Kunden von der Stromversorgung zu vermeiden, bieten immer mehr Energieversorger ihren Kunden Vorkassezähler, so genannte Prepayment Meter (PPMs) an. Das Phänomen, dass immer mehr Haushalte von Energiearmut in Deutschland betroffen sind, ist relativ neu, und damit ist die Zahl der PPMs noch gering. Im Jahr 2016 waren insgesamt nur rund 20 000 solcher Systeme installiert [2]. Infolgedessen sind die Erfahrungen in diesem Zusammenhang - im Vergleich zu anderen Ländern (zum Beispiel Großbritannien) - alles andere als umfangreich und das politische Bewusstsein zur Lösung des Problems ist sehr gering. Doch unsere Untersuchungen belegen, dass ein dringender Handlungsbedarf besteht. Strom gehört zu einem menschenwürdigen Dasein Der private Stromverbrauch macht einen nennenswerten Anteil der Gesamtausgaben eines Haushalts aus. Gleichzeitig ist die Versorgung mit Strom eine wichtige Voraussetzung für ein menschenwürdiges Dasein und zur sozialen Teilhabe in modernen Gesellschaften. Die Verfügbarkeit von Strom kann somit auch als Grundlage der sozialen Organisation betrachtet werden. Auf der individuellen Ebene bestimmt es die persönlichen Handlungsmöglichkeiten- [3]. Wer Nachbarn zu seiner Geburtstagsfeier einladen oder mit Freunden ein Fußballspiel im Fernsehen sehen will, braucht Strom. Aus diesem Grund führt der fehlende Zugang zu Elektrizität zu Umständen, die es nicht ermöglichen, an den Lebensstilen, Bräuchen und Aktivitäten teilzunehmen, welche die Mitgliedschaft in einer Gesellschaft definieren [4]. Umgekehrt bedeutet eine Stromsperre daher Ausgrenzung vom gesellschaftlichen Leben. Darüber hinaus ist Strom eine notwendige Voraussetzung für die Nutzung von Haushaltsgeräten wie Herd und Waschmaschine. Erschwingliche, zuverlässige und konstante Versorgungsleistungen sind daher eine Grundvoraussetzung, damit Menschen in modernen, sozial verantwortlichen Gesellschaften ein würdevolles Leben ermöglicht werden kann. Strom per Prepaid (Un)sichere Energieversorgung mit Nebenwirkungen Energieversorgung, Energiearmut, Prepaid, Vorkasse, Regulierung Oliver Wagner Das Prinzip des Stroms per Prepaid ist denkbar einfach: Man verbraucht nur das, was man vorher in das Vorkassesystem eingezahlt hat. So können auch Haushalte wieder an das Stromnetz angeschlossen werden (oder bleiben), die vorher wegen hoher Stromschulden von der Versorgung getrennt wurden. In Deutschland sind bisher rund 17 000 Prepaidzähler für Strom bei Haushaltskunden installiert. Doch schon allein vor dem Hintergrund einer breiten Einführung intelligenter Zähler und der jährlich über 300 000 in Deutschland durchgeführten Stromsperren, hat das System großes Potenzial. In anderen Ländern ist Strom per Prepaid schon weit verbreitet. In Nordirland beispielsweise nutzen bereits über 40-% der Haushalte einen Prepaidzähler. Wichtig ist, dass bei einem zu den Grundbedürfnissen zählenden Gut wie Strom, das Verhältnis zwischen Kunden und Anbietern klar geregelt sein muss. In Großbritannien dürfen Versorger daher keine Stromschulden, die älter als 12 Monate sind, über den Zähler verrechnen und in Österreich sind die Kosten für die Installation eines Vorauskassezählers auf einmalig 24 EUR festgelegt. Während in anderen Ländern über viele Jahre ein Ordnungsrahmen zum Schutz vulnerabler Haushaltskunden entwickelt wurde, herrscht in Deutschland das Gesetz des Stärkeren und das ist nun einmal der Energieversorger. 71 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher leben Einkommmenssteigerungen können mit Strompreiserhöhungen nicht Schritt halten Die Steigerung der Haushaltsausgaben für Strom in Deutschland um rund 95 % zwischen 1997 und 2017 [5] hat zu einer zunehmenden Verschuldung bei den Versorgungsunternehmen geführt, in deren Folge es zu 328 000 Zählersperren kam. Viele Haushalte leiden unter erhöhten Stromkosten und einem zunehmenden Verlust an Realeinkommen. Unter Berücksichtigung der Inflation nimmt die Kaufkraft des ihnen zur Verfügung stehenden Geldes ab. Die Erhöhung der staatlichen Transferleistungen in Deutschland reichte nicht aus, um mit den gestiegenen Energiekosten Schritt zu halten [5]. Vergleicht man die Entwicklung der verschiedenen Einkommen mit der Entwicklung der Strompreise der letzten Jahre (Bild 1), so wird deutlich, dass Rentner und Empfänger von Arbeitslosengeld II besonders stark von den gestiegenen Strompreisen betroffen sind. Von 2008 bis 2013 war der Anstieg der Strompreise im Vergleich zur Entwicklung der durchschnittlichen Nettolöhne, Sozialversicherungen und Renten besonders hoch. Zwischen 2011 und 2014 stiegen die Strompreise um rund 18 % von 25,3 ct auf 29,8-ct [6]. Infolge dieser Entwicklungen stiegen die Stromabschaltungen in diesem Zeitraum um 12,7 % [2]. Laut Kreider/ Sommer [7], sind Arbeitslose, Rentner, Studenten und Alleinerziehende mit zwei oder mehr Kindern unter 6 Jahren besonders anfällig für Energiearmut. Funktion eines Vorkasse-Stromzählers Stromzähler mit einer Vorkasse-Funktion werden von einigen Sozialverbänden, Energieversorgungsunternehmen und Wissenschaftler*innen als Lösung angesehen, um Stromkund*innen trotz finanzieller Schwierigkeiten weiterhin mit Elektrizität zu versorgen, eine längerfristige sowie kostspielige Stromsperre zu vermeiden und die angehäuften Stromschulden in den Griff zu bekommen ([8]- S.- 196). Das Prinzip ist hierbei ähnlich wie bei Prepaid-Mobiltelefonen: Kund*innen laden ihren Stromzähler über einen Chip mit einem Geldbetrag auf, den sie für ihren Stromverbrauch zur Verfügung haben. Der aufgeladene Betrag verringert sich in dem Maß, wie Strom für elektrische Anwendungen verbraucht wird. Ist das Guthaben aufgebraucht, kann in der Regel auch kein weiterer Strom genutzt werden und es kommt automatisch zur „Selbstsperre“. Oft ist die Nutzung eines Vorkassezählers mit zusätzlichen Kosten für die Stromkund*innen verbunden und stellt nicht automatisch eine finanzielle Entlastung dar. Denn die Mehrkosten für die Zähler sowie die aufgelaufenen Altschulden müssen über den aktuellen Strombezug der Kund*innen beglichen werden. Aus diesem Grund schlägt der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) vor, dass die Kosten zur Installation eines solchen Zählers bei finanzschwachen Haushalten auf Antrag durch die öffentliche Hand bzw. die Leistungsträger übernommen werden sollten. Außerdem sollte insbesondere bei Wohnungen einkommensschwacher Haushalte darauf geachtet werden, im Zuge des bevorstehenden Rollouts intelligenter Stromzähler (Smart Metering) gesetzgeberisch festzuschreiben, dass die neuen Zähler eine Prepaidbzw. Vorkasse-Funktion ermöglichen ([13] S. 207). Doch unsere Untersuchung im Auftrag des Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) bei Haushalten, die Vorkassezähler nutzen, ergab, dass Vorkassezähler auch Nachteile haben können und gesetzgeberische Maßnahmen zum Schutz betroffener Haushalte ergriffen werden sollten. Befragungsergebnisse Ein sehr erfreuliches Ergebnis unserer Befragung ist die hohe Zufriedenheit der Nutzer*innen. Ein oft vorgetragenes Argument gegen den Einsatz von Prepaidzählern, welches auf der Annahme basiert, dass Prepaidzähler in Mietshäusern eine soziale Stigmatisierung für die Betroffenen bedeuten würden [14], konnte somit widerlegt werden. Die befragten Nutzer*innen sind eher mit positiven Reaktionen (13 %) konfrontiert, falls es überhaupt zu Reaktionen kommt. 79 % gaben an, keine Reaktionen aus dem Umfeld bemerkt zu haben und weitere 8 % konnten uns die Frage nicht beantworten. Eine deutliche Mehrheit von 80 % der befragten Nutzer*innen ist zufrieden oder sogar sehr zufrieden mit dem System. Bild 1: Vergleich der Entwicklung der verschiedenen Einkommen mit der Entwicklung der Strompreise. © [6, 9, 10, 11] 72 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher leben Da die Aufladung von Guthaben meist nur in den Kundencentern möglich ist, liegt der größte Nachteil darin, dass eine Selbstsperre durch aufgebrauchtes Guthaben auch außerhalb der Öffnungszeiten der Kundencenter erfolgen kann. Der Umgang mit Selbstsperren ist durch die jeweiligen Energieversorger individuell geregelt. Bei manchen Versorgern kann es außerhalb der Öffnungszeiten nicht zu einer Versorgungsunterbrechung kommen, bei anderen hingegen ist eine Selbstsperre jederzeit möglich. Die Befragungen haben gezeigt, dass Selbstsperren vor allem in den ersten Wochen nach Installation eines Prepaidzählers vorkommen. Ein deutliches Indiz für die kostentransparente Wirkung eines Vorkassezählers liegt darin, dass fast alle befragten Haushalte (97 %) ihre monatlichen Ausgaben für Strom kannten. Verglichen mit dem Bundesdurchschnitt von 84 % [14], ist dies ein deutlich höherer Anteil. Die meisten Anwender empfanden Kostentransparenz als einen der größten Vorteile (Bild 2). Durch die Nutzung eines Prepaidzählers konnten sich bei den Befragten Stromeinspareffekte einstellen. 51 % der befragten Haushalte gaben an, mit dem Prepaidzähler einen geringeren Stromverbrauch zu haben als mit einem konventionellen Stromzähler, was vor allem durch die gestiegene Kostentransparenz begründet wurde. 79 % der Befragten erklärten, sich seit dem Einbau des Prepaidzählers stärker mit ihrem Stromverbrauch zu befassen. Eine Kostentransparenz ist durch die Anzeige des Guthabens auf dem Display beim derzeitigen Einsatz von Prepaidzählern jedoch nur scheinbar gegeben. Die Befragung ergab, dass die Nutzer*innen teilweise extrem hohe Ausgaben für Strom verzeichnen. Grund dafür ist nicht etwa ein hoher Verbrauch, sondern die Zusammenführung verschiedener Funktionen bei der Nutzung des Prepaidzählers durch die Energieversorger. So wird der Zähler meist zur Tilgung von bestehenden Altschulden von Strom und Gas durch einen erhöhten Arbeitspreis verwendet, welcher durch bestehende Altschulden zustande kommt und zu deutlich höheren sowie unterschiedlichen Arbeitspreisen im Vergleich zum üblichen Grundversorgungstarif führt (Bild 3, links). Zusätzlich wird der Prepaidzähler vereinzelt für den Bezug von Gas mit dem Stromverbrauch vermischt. Diese Vermischung der Funktionen ist problematisch und führt zu einer Intransparenz hinsichtlich der Stromkosten. Zwar wissen die Nutzer*innen, wie viel Guthaben sie zur Verfügung haben, jedoch bleibt unklar, wie hoch der Anteil ist, der zur Schuldentilgung oder für andere Medien verbraucht wurde. Dass gerade einkommensarme Haushalte mehr bezahlen als reiche und dass der aktuelle Ordnungsrahmen es zudem ermöglicht, auch andere Medien sowie in unbegrenzter Höhe Altschulden über den Zähler abzurechnen, verdeutlicht, dass das Machtverhältnis zwischen Verbraucher*innen und Energieunternehmen durch diese Zähler neu konfiguriert wird ([12] S. 403) und somit eine Anpassung des Ordnungsrahmens erforderlich macht. Aus der Kenntnis der Stromausgaben haben die Befragten eigene Strategien entwickelt, um ihre Kosten zu senken. Dabei kommen sowohl Effizienzals auch Suffizienzstrategien zum Tragen. Die häufigste Effizienzmaßnahme der Befragten ist der Einsatz von LED-Leuchten. Des Weiteren wurden, soweit finanziell möglich, elektrische Geräte durch effizientere ersetzt. Bei den Suffizienzmaßnahmen kommen sowohl Reduktionsals auch Substitutions- und Anpassungsstrategien zum Tragen. So schalten die interviewten Haushalte teilweise ihre Geräte komplett aus oder nutzen diese weniger häufig und kürzer. Das Suffizienzverhalten der Nutzer*innen kann jedoch auch problematische Dimensionen annehmen. Eine Selbstbeschränkung in der Nutzung von Licht, indem elektrisch betriebene Lampen durch Kerzen ersetzt werden, ist eine solche Anpassungsstrategie und eher Ausdruck des Ausschlusses von einem menschenwürdigen Leben als sinnvolle Maßnahme zur Energieeinsparung. Denn die erzwungene Einsparmaßnahme ist in erster Linie der prekären Situation des Haushalts geschuldet [16]. Die Nutzer*innen passen sich in solchen Fällen, an Konditionen unterhalb eines „normalen“ Lebensstils an [17], was auch mit erheblichen Risiken für die Gesundheit verbunden sein kann. Bild 2: Kostentransparenz ist einer der größten Vorteile des Prepaid- Systems. © [15] 73 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher leben Fazit In anderen Ländern ist Strom per Prepaid schon weit verbreitet. In Nordirland beispielsweise nutzen bereits über 40 % der Haushalte einen Prepaidzähler. Schon allein vor dem Hintergrund einer breiten Einführung intelligenter Zähler und der jährlich über 300 000 in Deutschland durchgeführten Stromsperren hat das System der Vorkassezähler auch hierzulande großes Potenzial. Die hohen Zufriedenheitsraten der Nutzer*innen sind Beleg dafür, dass die Vorteile überwiegen. Doch es besteht auch ein gesetzgeberischer Regelungsbedarf. Wichtig ist, dass bei einem zu den Grundbedürfnissen zählenden Gut wie Strom, das Verhältnis zwischen Kunden und Anbietern klar geregelt sein muss. In Großbritannien dürfen Versorger daher keine Stromschulden, die älter als 12 Monate sind, über den Zähler verrechnen und in Österreich sind die Kosten für die Installation eines Vorauskassezählers auf einmalig 24 EUR festgelegt. Vor Inkrafttreten der österreichischen Gesetzesinitiative wurden den Betroffenen Beträge von bis zu 250 EUR für den Einbau in Rechnung gestellt, deutlich mehr, als für Installation und etwaige Deinstallation jetzt verlangt werden können. Erhöhte Tarife sind verboten ([12] S. 415). Das österreichische Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz von 2010 belegt damit, dass eine ordnungsrechtliche Vorgabe in Form von Höchstpreisregelungen ein erfolgversprechender Weg zum Schutz einer besonders vulnerablen Haushaltsgruppe sein kann. In Deutschland hingegen herrscht das Gesetz des Stärkeren und das ist nun einmal der Energieversorger. LITERATUR: [1] Menschenwürde ist Menschenrecht. Bericht zur Armutsentwicklung in Deutschland 2017, Der Paritätische Gesamtverband, Berlin, 2017. [2] Monitoringbericht 2017, Bundesnetzagentur, Bundeskartellamt, 2017. [3] Gittler, J. B.: Energy and Society: The Relation Between Energy, Social Change, and Economic Development. Fred Cottrell, Am. J. Sociol., Bd. 62, Nr. 1, ( Juli 1956) S. 117-118. [4] Wagner, O., Wiegand, J.: Prepayment metering: Household experiences in Germany, Renew. Sustain. Energy Rev., Bd. 98, (2018 ) S. 407-414. [5] BMWi, Energiedaten Gesamtausgabe. 2018. [6] Daten zur Energiepreisentwicklung - Lange Reihen von Januar 2000 bis April 2018, Destatis Statistisches Bundesamt, 2018. [7] Kreider. I., Sommer, M.: Energiewende und Energiearmut - Der Einfluss steigender Energiepreise auf vulnerable Haushalte, Z. Für Umweltpolit. Umweltr., Nr. 1, (2016) S. 70-87. [8] Kopatz, M. (Hrsg.): Energiewende. Aber fair! wie sich die Energiezukunft sozial tragfähig gestalten lässt. München: Oekom-Verlag, 2013. [9] Rentenanpassungen der Bundesregierung für West- und Ostdeutschland in den Jahren von 1995 bis 2017, BMAS, ID 4806, 2017. [10] Höhe des durchschnittlichen Nettolohns/ Nettogehalts im Monat je Arbeitnehmer in Deutschland von 1991 bis 2017, Statistisches Bundesamt, ID 370558, 2018. [11] Höhe des Hartz IV Regelsatzes von 2005 bis 2018, Bundesagentur für Arbeit, ID 241114, 2018. [12] Berger, T.: Energie prepaid. Sozio-technische Implikationen im Management energiearmer Konsument*innen durch Prepayment-Meter, in Energie und soziale Ungleichheit. Zur gesellschaftlichen Dimension der Energiewende in Deutschland und Europa., Großmann, K. ,Schaffrin, A., Smigiel, C. (Hrsg.): Springer- Verlag, Wiesbaden, (2017), S. 403-424. [13] Sachverständigenrat für Umweltfragen: SRU-Umweltgutachten 2016, Impulse für eine integrative Umweltpolitik, Berlin, 2016. [14] Heindl, P., Löschel, A.: Analyse der Unterbrechungen der StromGV V. Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie., Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, Mannheim, Gutachten, 2016. [15] Kopatz, M., Wagner, O., Drissen, I., Wiegand, J., Theuer, L.: Guthabenzahlung für Strom - Studie über den Breiteneinsatz von Prepaidzählern, 2017. [16] Wagner, O., Wiegand, J.: Prepaid-Stromzähler: Erfahrungen aus der NutzerInnen-Perspektive von Haushalten in Deutschland, Momentum Q., Bd. 7, Nr. 2, (2018) S. 86 - 97. [17] Brunner, K.-M., Spitzer, M., Christanell, A.: Experiencing fuel poverty. Coping strategies of low-income households in Vienna/ Austria, Energy Policy, Bd. 49, (2012) S. 53-59. Dipl.-Soz. Wiss. Oliver Wagner Projektleiter Wuppertal Institut Kontakt: oliver.wagner@wupperinst.org AUTOR Bild 3: Studie über den Breiteneinsatz von Prepaidzählern. © [15] 74 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher leben Stadtwerke in Deutschland In Deutschland sind Stadtwerke Schlüsselakteure der Energiewende. Zum einen stellen sie weit über die Hälfte der Versorgung an Strom, Gas und Wärme sicher, zum anderen haben Stadtwerke aufgrund ihrer kommunalen Verankerung eine besondere Position im Spannungsgefüge von Politik, Wirtschaft und Privathaushalten. Im deutschen Energiesektor sind insgesamt etwa 900 Stadtwerke [2] in den unterschiedlichsten Wertschöpfungsstufen tätig. Sie bewirtschaften zum Beispiel rund 45 % der Stromverteilnetze in Deutschland [3], tragen damit erheblich zu einer sicheren Stromversorgung der Endverbraucher bei und schaffen die Voraussetzung, dass Dezentrale Energieversorgung zur Stärkung einer resilienten Infrastruktur Ein deutsch-japanischer Vergleich zur Bedeutung von Stadtwerken Energieversorgung, Resilienz, Stadtwerke, Japan Kurt Berlo, Oliver Wagner Die Motivation zur Gründung eigener Stadtwerke kann sehr unterschiedlich sein. Erfahrungen aus Deutschland zeigen, dass mit der Gründung eigener Stadtwerke eine Stärkung der Region verbunden wird, dass die regionale Wirtschaft von einem kommunalen Unternehmen profitieren soll und dass die endogenen Potenziale der örtlichen Strom- und Wärmeerzeugung im Sinne des Klimaschutzes und nicht zuletzt zur Umsetzung einer örtlichen Energiewende erschlossen werden sollen. Soweit der Befund für Deutschland. Doch das Thema Stadtwerke ist mittlerweile (wie zahlreiche Beispiele aus Frankreich, Südamerika, England und den USA belegen) zu einem internationalen Phänomen geworden [1]. In Japan zeigt sich, dass dort vor allem der Aspekt einer auf dem Prinzip der Resilienz basierenden Stromversorgung treibende Kraft bei der Gründung von Stadtwerken ist. Zudem spielen dort die Aspekte einer alternden Gesellschaft eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, auf lokaler Ebene Energieversorgungsunternehmen zu gründen. THEMA Gesund und sicher leben © pixabay 75 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher leben Die großen Herausforderungen kommunaler Energieversorgungsunternehmen im Zuge der Transformation des Energiesektors lassen sich in Deutschland mit den vier „D“ überschreiben. Dies sind Digitalisierung, Dezentralisierung, Dekarbonisierung und Dienstleistungsorientierung. Grundzüge einer resilienten Energieversorgung Im Zuge einer von Klimaschutz und Energiewende motivierten Politik versteht man (nicht nur in Deutschland) unter Resilienz die Robustheit der örtlichen Energieversorgung gegenüber Störanfälligkeiten, somit ihre Sicherheit und Zuverlässigkeit. So zeichnen sich beispielsweise resiliente Stromverteilnetze durch einen robusten Netzbetrieb aus, der sowohl hinsichtlich der volatilen Einspeisung erneuerbarer Energiequellen als auch hinsichtlich unvorhersehbarer Ereignisse stabil funktioniert, also weitgehend unterbrechungsfrei Stromeinspeisung, -transport sowie -lieferung ermöglicht und dadurch langfristige Blackouts ausschließt. Analog dazu betrifft die Resilienz auch die Zuverlässigkeit der Stromerzeugung. Dabei gilt, je mehr kleinere dezentrale Erzeugungsanlagen zur Strombereitstellung beitragen, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass durch den Ausfall einzelner Anlagen die Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems gefährdet wird. Zudem wird dadurch die Abhängigkeit von volatilen Beschaffungsmärkten verringert, was zu stabilen und gut kalkulierbaren Strompreisen beiträgt. Stadtwerke in Japan In Japan finden sich zunehmend Beispiele kommunalen Engagements zur Gründung von energiewirtschaftlich tätigen Stadtwerken [1, 9, 10]. Dort zeigt sich allerdings, dass viel stärker noch als in Deutschland mit der Gründung von Stadtwerken und dem Aufbau von dezentralen Erzeugungseinheiten die Bild 1: Resilienz steigernde Charakteristika dezentraler Stromerzeugung. © ([8] S. 17) erneuerbare Energieanlagen in die örtlichen Verteilnetze einspeisen können. Außerdem verfügen die kommunalen Unternehmen im Vertriebsbereich (der direkten Energiebelieferung der Endkunden mit Strom, Gas und Wärme) über große Marktanteile. Im Jahr 2016 betrugen ihre Versorgungsanteile beim Strom 60 %, beim Erdgas 65 % und bei der Wärmeversorgung 72 % [4]. Mit dem Betrieb von Nah- und Fernwärmenetzen tragen Stadtwerke zur Wärmewende in den Städten und Gemeinden bei. Der Umfang der jährlichen Stromerzeugung, die in stadtwerkeeigenen Anlagen stattfindet, beläuft sich auf rund 84 Mrd. kWh [3]. Damit lag im Jahr 2016 der Stadtwerkeanteil an der deutschen Bruttostromerzeugung (insgesamt 649,1 Mrd. kWh) [5] bei rund 13 %. Zudem lässt sich seit 2005 ein Trend zur Rekommunalisierung beobachten. Bis 2016 sind in über 150 deutschen Städten und Gemeinden neue Stadt- und Gemeindewerke gegründet worden. Außerdem sind in einigen hundert Fällen örtliche Stromund/ oder Gas-Verteilnetze von bereits bestehenden Stadtwerken übernommen worden. Untersuchungen des Wuppertal Instituts zeigen, dass Rekommunalisierungen (Neugründungen von Stadtwerken und Übernahmen von örtlichen Stromund/ oder Gas-Verteilnetzen) für Stadtwerke und Kommunen einen hohen Stellenwert einnehmen. Dabei werden von den Kommunen vor allem folgende Zielsetzungen verfolgt [6, 7]: 1. Erreichung ökologischer Ziele und Gestaltung der Energiewende vor Ort 2. Verbesserung der lokalen Wertschöpfung und stärkere Einbindung der örtlichen Marktpartner 3. Nutzung des kommunalwirtschaftlichen (steuerlichen) Querverbundes zur Finanzierung wichtiger örtlicher Aufgaben 4. Verbesserung der Einnahmesituation von Kommunen 5. Demokratisierung der Energieversorgung und stärkere Ausrichtung auf das Gemeinwohl (Public Value) 6. Schaffung und Sicherung guter Arbeitsplätze vor Ort 7. Wahrnehmung sozialer Verantwortung bei der Energieversorgung 8. Ausrichtung der örtlichen Energieversorgung auf Qualitätswettbewerb statt Preiswettbewerb und Ausweitung von Energiedienstleistungen 9. Realisierung von Kundenbzw. Bürgernähe und Nutzung komparativer Vorteile wie zum Beispiel der ausgeprägten örtlichen Problemlösungskompetenz 10. Realisierung von Synergien mit anderen Sparten 76 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher leben Hoffnung auf eine Stärkung der Resilienz verbunden wird. Dabei spielt nicht nur das nach dem Unglück von Fukushima gestiegene Problembewusstsein gegenüber der Atomenergie eine Rolle, sondern auch der Aspekt einer steigenden Sorge um die Versorgungssicherheit [10]. Denn die jetzige japanische Situation zeichnet sich durch zentrale und risikoreiche Erzeugungseinheiten sowie einer auf sie zugeschnittenen Netzinfrastruktur aus. Zukünftig soll sich daher die japanische Erzeugungsstruktur erheblich ändern. Vor dem Hintergrund des Ziels, eine 80-prozentige CO 2 -Minderung bis 2050 zu erreichen, gibt der fünfte strategische Energieplan der japanischen Regierung das Ziel vor, eine diversifizierte und flexible Energieversorgungsinfrastruktur aufzubauen. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden Unterziele definiert, die einen regelrechten Paradigmenwechsel in der japanischen Versorgungsstruktur bedeuten. So kann eine stärkere Dezentralisierung unter Einbindung vieler unterschiedlicher Energiequellen und eine veränderte Netzinfrastruktur zu einer insgesamt resilienteren Energieinfrastruktur beitragen. Ziel ist, dass nach Stromausfällen (etwa nach Naturkatastrophen) die Störungen schnell wieder behoben werden oder gar nicht erst entstehen. Die Diversifizierung der Erzeugungsstruktur soll dabei auch mittels Strukturreformen erleichtert werden. So soll sich die Unabhängigkeit von Energieimporten ( Japan ist arm an eigenen Ressourcen) durch stärkere Nutzung heimischer Energieträger, insbesondere erneuerbarer Energien, verbessern. Zudem soll die Förderung von Demand-Side-Management-Angeboten, also die Einbeziehung von Effizienz- und Lastverschiebungspotenzialen auf der Nachfrageseite, Anreize zur besseren Anpassung von Angebot und Nachfrage schaffen. Aus diesen Zielen ergeben sich in Japan treibende Kräfte zur Gründung von Stadtwerken. Deren Prinzip einer dezentralen Steuerung und eine diversifizierte - oftmals auf erneuerbaren Energien basierende - Erzeugungsstruktur passen sehr gut zum Zielekanon der japanischen Regierung. Vor diesem Hintergrund wurde vor einem Jahr der japanische Dachverband der Stadtwerke, das Japan-Stadtwerke-Network ( JSWNW), gegründet. Wobei es schon bemerkenswert ist, dass das deutsche Wort „Stadtwerke“ Einzug in die japanische Sprache genommen hat. So fand im September 2018 (aus Anlass der Gründung des Netzwerks vor einem Jahr) ein Stadtwerke-Symposium in Tokio statt. Diese vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit geförderte Veranstaltung hatte zum Ziel, den Austausch zwischen deutschen und japanischen Experten zu Potenzialen und zukünftigen Geschäftsmodellen regionaler Energieversorgung zu fördern. Außerdem fand dort ein Erfahrungsaustausch statt, inwieweit das deutsche Stadtwerke-Modell auf Japan übertragbar ist [11]. Die nach kurzer Zeit ausgebuchte Veranstaltung, an der am Ende 170 Personen teilnahmen, zeugte vom großen Interesse auf japanischer Seite. Über die bereits genannten und durchaus mit Deutschland vergleichbaren Motive zur Stadtwerkegründung hinaus, wird in Japan mit örtlichen Energieversorgungsunternehmen auch die Hoffnung verbunden, eine Lösung sozialer Probleme zu erreichen. Dabei werden insbesondere die stark alternde Gesellschaft und eine Wiederbelebung der regionalen Wirtschaft in ländlichen Räumen - durch die Bereitstellung integrierter Infrastrukturen und öffentlicher Dienstleistungen - in den Fokus gestellt [11]. Von besonderem Interesse ist hier auch die Entwicklung von Energiegenossenschaften, die in Japan eine ähnlich dynamische Zunahme verzeichnen wie in Deutschland. Insgesamt basiert der Zubau erneuerbarer Energien in Japan vor allem auf genossenschaftlichen oder vergleichbaren Gemeinschaftsanlagen. Die Bedeutungszunahme von „community power“ ist sehr deutlich. Mittlerweile gibt es rund 250 solcher Gesellschaften, die sich über das ganze Land verteilen und wesentlich zum Ausbau erneuerbarer Energien beigetragen haben. Durch ihr Engagement ist die politische Zielmarke (von 22 bis 24 % Anteil erneuerbarer Energien im Strommix bis 2030) schon jetzt fast erreicht [12]. So kommt es, dass in Japan derzeit insbesondere nach Möglichkeiten gesucht wird, diese Energiegenossenschaften in ein Stadtwerkemodell zu integrieren, wie dies in Deutschland beispielsweise die Stadtwerke Wolfhagen bereits vorbildlich praktizieren. Bild 2: Stadtwerke-Symposium in Tokio, September 2018. © Nils Temmen, ECOS Consult 77 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher leben Dr.-Ing. Kurt Berlo Projektleiter Wuppertal Institut Kontakt: kurt.berlo@wupperinst.org Dipl.-Soz. Wiss. Oliver Wagner Projektleiter Wuppertal Institut Kontakt: oliver.wagner@wupperinst.org AUTOREN Fazit Der Betrieb von Stadtwerken hat in Deutschland eine viel längere Tradition und mit rund 900 kommunalen Unternehmen einen deutlich höheren Stellenwert als in Japan. Zudem sind die deutschen Stadtwerke seit vielen Jahren in allen energiebezogenen Wertschöpfungsstufen (Erzeugung, örtlicher Netzbetrieb, Vertrieb sowie beim Angebot von Dienstleistungen) tätig. Kennzeichnendes Merkmal ist dabei die ausgesprochene Dezentralität von Strom-Erzeugung und -Verteilung. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Stadtwerke hierzulande zu den Schlüsselakteuren der Energiewende zählen. Demgegenüber ist in Japan ein Umdenken erst seit wenigen Jahren zu beobachten. Das deutsche Vorbild einer breit aufgestellten Stadtwerkelandschaft hat Japan viele Impulse gegeben, über neue, dezentrale Energieversorgungstrukturen nachzudenken. Nicht zuletzt die Gründung des Japan-Stadtwerke- Networks ( JSWNW) im Jahr 2017 zeigt, wie intensiv dort über eine Alternative zur zentral ausgeprägten Energieversorgung nachgedacht wird. Bei der Stromerzeugung dominieren derzeit in Japan fossile Kraftwerke, die aktuell rund 73 % bereitstellen [13]. Dabei machen es der im Jahr 2011 erlebte Fukushima-Schock und die damit erfahrene Verwundbarkeit einer zentralen nuklearen Stromversorgung erklärbar, dass in Japan beim Stadtwerkethema - noch stärker als in Deutschland - die Resilienz steigernden Aspekte einer dezentraleren Versorgungsstruktur in den Blickpunkt rücken. LITERATUR: [1] Kishimoto, S., Petitjean, O., Steinfort, L.: Reclaiming Public Services : How cities and citizens are turning back privatisation. Amsterdam and Paris: Transnational Institute (TNI), Multinationals Observatory, Austrian Federal Chamber of Labour (AK), European Federation of Public Service Unions (EPSU), Ingeniería Sin Fronteras Cataluña (ISF), Public Services International (PSI), Public Services Intern, 2017. [2] VKU: Energiewende | Unsere Themen | Verband kommunaler Unternehmen e.V., 07-Aug-2018. [Online]. Verfügbar unter: https: / / www.vku.de/ themen/ energiewende/ . [Zugegriffen: 07-Aug-2018]. [3] VKU: Zahlen, Daten, Fakten 2018 | Publikationen | Verband kommunaler Unternehmen e.V., 2018. [4] VKU: Der Kommunalbrief ‚11011‘ Berlin - Ausgabe Juli 2018 | Publikationen | Verband kommunaler Unternehmen e.V., Juli-2018. [Online]. Verfügbar unter: https: / / www.vku.de/ publikationen/ 2018/ der-kommunalbrief-11011-berlin-ausgabe-juli-2018/ . [Zugegriffen: 07-Aug-2018]. [5] Umweltbundesamt: Stromerzeugung erneuerbar und konventionell, Umweltbundesamt, 2018. [Online]. Verfügbar unter: http: / / www.umweltbundesamt.de/ daten/ energie/ stromerzeugung-erneuerbarkonventionell. [Zugegriffen: 07-Aug-2018]. [6] Berlo. K., Wagner, O.: Stadtwerke-Neugründungen und Rekommunalisierungen - Energieversorgung in kommunaler Verantwortung, Wuppertal Institut, Wuppertal, September, 2013. [7] Berlo, K., Herr, C., Wagner, O., Companie, M.: Explorative Untersuchung zu Erfolgspotentialen bei neugegründeten Stadtwerken : eine Sondierungsstudie zur kommunalen Energieversorgung ; Ergebnisse einer Befragung bei neugegründeten Stadtwerken im Energiebereich“, Wuppertal Inst. für Klima, Umwelt, Energie, Wuppertal, 2018. [8] Wiegand, J.: Dezentrale Stromerzeugung als Chance zur Stärkung der Energie-Resilienz : eine qualitative Analyse kommunaler Strategien im Raum Unna“, Bachelor Thesis, 2017. [9] Berlo, K., Wagner, O.: Stichwort: Deutsche Stadtwerke als Vorbild für Japan, Emw Energ. Markt Wettbew., Nr. 2, (2016 ) S. 2. [10] Wagner, O., Aydin, V., Berlo, K., Gericke, N., Hennicke, P., Venjakob, M.: Status und Neugründungen von Stadtwerken : Deutschland und Japan im Vergleich; Inputpapier zum Projekt Capacity Building für dezentrale Akteure der Energieversorgung in Japan“, Wuppertal Inst. für Klima, Umwelt, Energie, Wuppertal, Working Paper, 2018. [11] Raupach-Sumiya, J.: The Status-quo of Stadtwerke in Japan, gehalten auf der „Die Zukunft der Stadtwerke - Neue Businessmodelle im Zeitalter der Digitalisierung“. Deutsch-japanische Jubiläumsveranstaltung aus Anlass der Gründung des Japan Stadtwerke Network JSWNW vor einem Jahr, Tokio, United Nations University Elizabeth Rose Hall, 11-Sep-2018. [12] Kimura, K.: Japan´s Climate and Energy Policy, problems and bottlenecks, gehalten auf der German Stadtwerke Mission to Japan - Briefing Meeting, Deutsches Institut für Japanstudien, Tokio, 10-Sep- 2018. 78 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher leben Bild 1: Historischer Trinkwasserbrunnen (Quellwasser), Bad Ems 1839. © Roth Sichere Trinkwasserversorgung Aktuelle Aspekte der Versorgungssicherheit am Beispiel der Rhein-Main-Region Trinkwasserversorgung, Versorgungsinfrastruktur, Versorgungsnetze, Versorgungssicherheit, Wasserbedarf, Klimawandel Christian Hähnlein, Ulrich Roth Eine zuverlässige Wasserversorgung ist nicht nur Voraussetzung für eine hohe Lebensqualität, wie sie in Deutschland selbstverständlich ist, sondern auch für eine stabile Wirtschaft. Die Versorgungsinfrastruktur in West- und Mitteleuropa ist generell vorbildlich organisiert. Unter den günstigen klimatischen Bedingungen reichen die Wasserressourcen im Regelfall für die Versorgung aus. Allerdings benötigen fast alle großen Städte Zulieferungen aus ihrem Umland. Im trockenen Sommer 2018 zeigten sich die Kapazitätsgrenzen von Anlagen zur Wassergewinnung und -verteilung. Es wurde deutlich, dass Optimierungsbedarf besteht - oft wurden bestehende Optimierungsplanungen bestätigt, zum Beispiel zum Aufbau von Reservekapazitäten und Redundanzen. Verbraucher in Deutschland sind daran gewöhnt, dass die Versorgung mit einwandfreiem Trinkwasser zu jeder Tageszeit gewährleistet ist. Die Wasserkrisen in Kapstadt und anderen Megacities schienen weit entfernt, bis uns der Sommer 2018 wieder vor Augen geführt hat, dass auch unsere Wasserversorgung bei außergewöhnlichen Witterungsereignissen an ihre Grenzen kommen kann. Dabei ist eine sichere Wasserversorgung Voraussetzung nicht nur für eine hohe Lebensqualität sondern auch für eine stabile Wirtschaft. Die demografische Entwicklung und die sich ändernden klimatischen Randbedingungen führen zu neuen Herausforderungen bei der Sicherstellung der Trinkwasserversorgung. Auch Änderungen der rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen für den Betrieb der Gewinnungsanlagen und Verteilungsnetze können Erschwernisse verursachen. Eine sichere Trinkwasserversorgung setzt auch voraus, dass die Stromversorgung für Pumpen und Aufbereitungsanlagen sowie Mess- und Regeltechnik jederzeit zuverlässig gewährleistet ist. Dabei sind in Bezug auf die „Sichere Trinkwasserversorgung“ grundsätzlich verschiedene Aspekte zu unterscheiden:  Aus technischer, betrieblicher und wasserwirtschaftlicher Sicht die Sicherstellung der Wasserversorgung im Hinblick auf Menge, Qualität und Druck (zum Beispiel [1]),  In Bezug auf die Sicherheit kritischer Infrastruktursysteme das Risiko- und Krisenmanagement im Hinblick auf die Bedrohungen durch Katastrophen und äußere Einflüsse (zum Beispiel [2, 3]). Hierfür werden Maßnahmenpläne erstellt, beispielsweise für die Situation bei extremem Hochwasser oder für den Schutz vor Sabotageakten oder Terrorangriffen. 79 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher leben Der Artikel enthält einen Überblick über die Einflussfaktoren für eine sichere Trinkwasserversorgung aus technisch/ wasserwirtschaftlicher Sicht am Beispiel der Rhein-Main-Region. Schwerpunkt ist die Analyse von Schwachstellen im Versorgungssystem, wie sie im heißen und trockenen Sommer 2018 deutlich wurden. Abschließend werden Optimierungsansätze aufgeführt, die geeignet sind, die gewohnt hohe Sicherheit der Trinkwasserversorgung auch in Zukunft zu gewährleisten. Rechtliche und organisatorische Grundlagen Die öffentliche Wasserversorgung ist in Deutschland eine Pflichtaufgabe der Kommunen im Rahmen der Daseinsvorsorge (vgl. Grundgesetz, Artikel 28). Im Wasserhaushaltsgesetz (WHG) und in den Landeswassergesetzen ist unter anderem geregelt, dass die ortsnahe Wassergewinnung Vorrang vor dem Wasserbezug von außerhalb hat. Dieser ist jedoch zulässig, wenn es erforderlich oder sinnvoll ist. Mit diesen Regelungen wird den natürlichen Gegebenheiten, darunter vor allem den physikalischen und hygienischen Eigenschaften des Wassers, Rechnung getragen. Wasser-Ressourcen und -Infrastruktur sind ein natürliches Monopol der Kommunen. Der überwiegende Teil der Wasserversorgungsunternehmen (WVU) in Deutschland ist kommunal bzw. in kommunaler Trägerschaft, auch wenn - vor allem in größeren Städten - oft eine private Rechtsform wie GmbH oder AG besteht. Für die interkommunale Zusammenarbeit werden in der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung meist Verbände gegründet, daneben auch privatrechtlich organisierte Unternehmen. Struktur der Wasserversorgung in der Rhein-Main-Region Ausgehend von der Notwendigkeit, die Städte und Gemeinden mit ausreichenden Mengen hygienisch einwandfreien Wassers zu versorgen, hat sich in der Rhein-Main-Region schon seit Anfang der 1870er Jahre ein Verbundsystem entwickelt, über das die wesentlichen Wasserlieferungen aus den Dargebotsgebieten mit den großen Wasservorkommen in die Bedarfsgebiete erfolgen, in denen die Menschen leben und arbeiten. Fast alle Kommunen in der Rhein-Main-Region sind heute an dieses System angeschlossen. Dabei kommen für das Zusammenwirken zwischen Eigengewinnung und Fremdbezug alle denkbaren Varianten vor: Es gibt Kommunen, die sich vollständig aus Eigengewinnung versorgen. Andere werden vollständig aus dem Verbund versorgt. In vielen Kommunen und Ortsteilen gibt es eine Kombination aus Eigengewinnung und Fremdbezug. Dabei sind neben technischen auch qualitative Gesichtspunkte relevant. Die wichtigsten Teile des regionalen Verbundsystems sind [1, 4]:  die Riedleitung, über die seit 1964 Wasser aus dem Hessischen Ried in die Räume Frankfurt am Main und Wiesbaden transportiert wird,  die Vogelsberg-Leitungen, über die seit 1911 Wasser aus dem westlichen Vogelsberg in den Raum Frankfurt transportiert wird,  die Kinzig-Leitung, über die seit 1873 Wasser aus Vogelsberg, Spessart und Kinzigtal in den Raum Frankfurt transportiert wird,  die Leitungen im Rheingau-Taunus-Kreis, über die seit Mitte der 1970er Jahre Wasser aus dem Hessischen Ried von Wiesbaden in den Rheingau und den Untertaunus transportiert wird. Die zentralen Teile des Verbundsystems, über die das Trinkwasser für rund zwei Millionen Menschen im Ballungsraum Rhein-Main bereitgestellt wird, werden von der Hessenwasser GmbH & Co. KG betrieben, einem Gemeinschaftsunternehmen der kommunalen WVU von Darmstadt, Frankfurt und Wiesbaden und des Landkreises Groß-Gerau. Die Trinkwasserabgabe der Hessenwasser lag um 2010 bei rund 100 Millionen Kubikmetern jährlich [5] und hat zuletzt auf rund 107 Mio. m³ (2017) zugenommen [6]. Rund 64 % des Trinkwassers wurden 2017 in eigenen Wasserwerken gewonnen. Rund 36 % stammten von Vorlieferanten, vor allem der Oberhessischen Versorgungsbetriebe AG (OVAG, Friedberg (Hessen)), dem Wasserbeschaffungsverband Riedgruppe Ost (Einhausen) und dem Wasserverband Kinzig (Wächtersbach). Hessenwasser beliefert Wasserversorgungsunternehmen (meist Stadtbzw. Gemeindewerke, die die örtliche Wasserversorgung betreiben) und Wasserverbände, die ihrerseits Ihre Mitgliedskommunen beliefern. Die größten Abnehmer sind die Bild 2: Redundante Pumpensätze in einem modernen Wasserwerk. © Roth 80 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher leben kommunalen WVU in den Großstädten, also die Mainova AG in Frankfurt, die ESWE AG in Wiesbaden und die entega AG in Darmstadt. Bedeutung der ortsnahen Wassergewinnung Die ortsnahe Wassergewinnung bildet generell die historisch gewachsene Grundlage der Wasserversorgung in den Städten und Gemeinden. Allerdings besteht heute in vielen Kommunen ein Missverhältnis zwischen der Einwohnerzahl und somit dem Wasserbedarf und den Möglichkeiten, einwandfreies Trinkwasser in ausreichender Menge zu gewinnen. Viele Städte und Gemeinden sind deshalb auf Zulieferungen aus dem Verbund angewiesen. Aspekte für die gewinnbaren Wassermengen sind die natürlichen topographischen und hydrogeologischen Gegebenheiten, die Gemarkungsfläche, die Bevölkerungsdichte sowie die Grundwassergefährdung durch die Flächennutzung mit ihrem Einfluss auf die Wasserqualität. In den Großstädten mit ihrer intensiven Flächennutzung wurden die Wasserwerke meist an den Stadtrand verdrängt. In den Mittelgebirgen beschränken die Untergrundverhältnisse die Grundwasserneubildung und damit die Möglichkeiten zur Wassergewinnung. Deshalb sind praktisch alle Städte und Gemeinden im Taunus - vor allem die Städte im Nahbereich von Frankfurt und Wiesbaden - auf Zulieferungen aus dem Verbund angewiesen. Vor allem oberflächennahe Gewinnungsanlagen wie Quellen, Schürfungen und flache Stollen erweisen sich bei längerer Trockenheit als unzuverlässig. Gerade dann, wenn bei heißem Sommerwetter der Wasserbedarf ansteigt, geht das Dargebot dieser ortsnahen Gewinnungsanlagen zurück. Die betroffenen Kommunen sind dann verstärkt auf Zulieferungen aus dem Verbund angewiesen. Auftreten von Spitzenlastereignissen und Wassernotständen Ausgeprägte Trockenjahre mit hohem Spitzenwasserbedarf treten in Deutschland statistisch nur etwa alle 10 bis 15 Jahre auf. Beispiele für solche Jahre sind in der Rhein-Main-Region 1976, 1990, 1991, 2003 und 2018. In manchen Jahren - zum Beispiel 2015 - gibt es kurze Hitzeperioden mit entsprechend hohem Wasserbedarf. Abfolgen mehrerer Trockenjahre werden als Trockenperiode bezeichnet. Wassernotstände treten im Rhein-Main-Raum heute im Wesentlichen in Gemeinden oder Ortsteilen auf, die nicht an den Verbund angeschlossen sind. Dies sind vor allem Ortschaften, die ausschließlich oder überwiegend aus Quellfassungen versorgt werden oder aus ähnlichen Gewinnungsanlagen, die unmittelbar vom Niederschlag abhängig sind. Wenn im Sommer der Wasserbedarf steigt und zugleich die Schüttung der Gewinnungsanlage sinkt, reicht das Wasser nicht mehr für die Versorgung aus. Erforderlich wird eine Notversorgung zum Beispiel mit Tankwagen. Hiervon betroffen sind vor allem Gemeinden im Taunus, im Odenwald und im Spessart. Für die Lösung dieses Problems gibt es zwei Hindernisse. Das eine ist die Frage, ob es möglich und sinnvoll ist, ein mehr oder weniger abgelegenes Dorf über eine relativ lange Leitung an den Verbund anzuschließen. Das andere ist die oft negative Einstellung der Bevölkerung zu einem Wasserbezug - und sei es auch nur aus der Nachbarkommune. Man schätzt die Qualität des eigenen Quellwassers, auch wenn die Realität eine andere ist. Man lehnt also den Anschluss an den Verbund ab - und steht im nächsten Trockenjahr vor dem gleichen Problem. Höhe des Spitzenwasserbedarfs und technische Auslegung der Versorgungssysteme Für die Höhe des Spitzenwasserbedarfs im Vergleich zum mittleren Wasserbedarf gibt es eine große Zahl von Erfahrungswerten, die im DVGW-Arbeitsblatt W- 410 zusammengefasst sind [7]. Für einzelne Versorgungsunternehmen liegen detaillierte Untersuchungen vor (zum Beispiel [8]). Die Höhe des Spitzenwasserbedarfs ist abhängig von der Einwohnerzahl der Kommune bzw. des angeschlossenen Versorgungsgebietes. Zudem ist er umso höher, je kürzer der Betrachtungszeitraum ist - die höchsten Bedarfsspitzen treten in der Pause von wichtigen Fußballspielen auf, die im Fernsehen übertragen werden. Die WVU müssen solche Bedarfssituationen zuverlässig abdecken und in ihre Planungen einbeziehen. Für die Versorgungssicherheit im Sinne dieses Artikels ist vor allem der Tagesspitzenwasserbedarf relevant. Der maßgebliche Faktor f d steht für das Verhältnis zwischen höchstem und mittlerem Tagesbedarf. Nach dem DVGW-Arbeitsblatt W 410 liegt er in Dörfern und Kleinstädten bei 2,0 und darüber. In Großstädten liegt er bei etwa 1,5 und darunter. Für Frankfurt am Main ist beispielsweise ein Faktor f d = 1,45 dokumentiert [8]. Die damit errechneten Bedarfszahlen sind maßgeblich für die Auslegung der Wassergewinnungs-, Aufbereitungs- und Verteilungsanlagen bis zu den Wasserbehältern. Der Jahresbedarf liegt in einem Trockenjahr mit ausgeprägtem Spitzenwasserbedarf um etwa 5 % höher als in einem Normaljahr [1]. Dieser Bedarf ist maßgeblich für die Ressourcen-Bewirtschaftung. 81 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher leben Die Verteilungsnetze in den Kommunen werden nach dem maximalen Stundenbedarf ausgelegt. Der Faktor für dessen Berechnung aus dem mittleren Stundenbedarf f h liegt abhängig von der Einwohnerzahl zwischen etwa 5,5 in Dörfern und etwa 2,0 in Großstädten. Die Löschwasserversorgung ist gesondert zu betrachten und kann in kleinen Versorgungsgebieten maßgeblich für die Bemessung sein. Ein wichtiger Aspekt für die sichere Funktion der regionalen Wasserversorgung ist das koordinierte Zusammenspiel zwischen Eigengewinnung und Fremdbezug. Dabei sollte der Spitzenwasserbedarf bevorzugt aus ortsnahen Wasserwerken gedeckt werden. Verbundsysteme sind aufgrund der längeren Transportwege eher für die Lieferung von Grundlast - also gleichmäßige Wassermengen - geeignet. Dieser Grundsatz ist jedoch aufgrund der Situation in den Städten und Gemeinden nicht immer durchzuhalten, so dass der Verbund oft auch für die Abdeckung der Spitzenlast genutzt wird. Erschwerend kommt hinzu, dass einige Kommunen versuchen, ihre Wassergewinnung zu optimieren, indem sie die örtlichen Wasserwerke mit möglichst hohen Fördermengen für die Grundlastabdeckung nutzen. Im Verbund entstehen dadurch Lastspitzen, die den Betrieb erschweren und verteuern, teils sogar gefährden. Eine relevante Randbedingung für die Auslegung der Anlagenteile ist die Nutzungsdauer. Diese liegt aus steuerlicher bzw. ökonomischer Sicht meist zwischen etwa 20 und 50 Jahren und kann in der Realität 100 Jahre überschreiten. Maßgeblich für die allgemeine Bedarfsentwicklung ist vor allem die Bevölkerungsentwicklung. Dabei müssen alle Anlagenteile - unter Beachtung der Wirtschaftlichkeit - für die gesamte Nutzungsdauer groß genug dimensioniert sein. Werden sie zu klein dimensioniert, funktionieren sie nicht. Werden sie jedoch zu groß ausgelegt, kann es schon bei mittlerem Bedarf zu erhöhten Verweilzeiten des Trinkwassers im Netz kommen - man spricht von Stagnation. Diese kann Verkeimungen sowie die Bildung von Korrosionsprodukten verursachen und somit die Trinkwasserqualität gefährden. Um jederzeit eine hohe Sicherheit zu gewährleisten, sollen systemrelevante Anlagen möglichst redundant ausgeführt werden (Bild 2). Problematisch für den Betrieb von Verteilungsnetzen sind Regenwassernutzungsanlagen. Wenn es ausreichend regnet, reduzieren diese den mittleren Bedarf im betreffenden Wohngebiet. Nach etwa zwei bis drei Wochen Trockenheit fallen die Anlagen jedoch aus und werden durch Trinkwasser aus dem Netz ersetzt, im schlimmsten Fall sogar mit Trinkwasser befüllt. Dadurch entstehen extreme Bedarfsspitzen, für die das Netz nicht ausgelegt werden kann. Dem Versorger entstehen zusätzliche Kosten, die die Allgemeinheit belasten. Situation in den Sommern 2015 und 2018 Die Situationsanalyse der WRM [1] wie auch der Regionale Wasserbedarfsnachweis der Hessenwasser [5] weisen für Trockenjahre Bedarfsszenarien aus. Diese gehen vom jeweiligen Bestand aus und decken entsprechend den vorliegenden Bevölkerungsprognosen einen Planungshorizont bis 2030 ab. Die dort dargestellten Zahlenwerte für Trockenjahre haben sich 2018 weitgehend bestätigt. In Einzelfällen wurden sie sogar überschritten. Dies betrifft insbesondere einige Städte im Taunus, deren Eigengewinnung infolge der Trockenheit zurückging, so dass die Zulieferungen aus dem Verbund entsprechend erhöht werden mussten. Bild 3: Trinkwassertagesabgabe der Hessenwasser und maximale Tagestemperatur am Frankfurter Flughafen im Sommerquartal 2015. Daten: Hessenwasser. © Hähnlein 82 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher leben Für das Ereignis 2018 liegen bisher nur einzelne Zahlenwerte vor. Statistisch belastbare Daten werden erst Anfang 2019 verfügbar sein. Bild 3 zeigt exemplarisch die Verbrauchsentwicklung im Netz der Hessenwasser im Sommer 2015 [9]. Hier trat während der Hitzeperiode Ende Juni/ Anfang Juli ein ausgeprägter Spitzenwasserbedarf ein. Für den 3. Juli 2015 ist ein Maximalbedarf von 409 236 m³/ d dokumentiert. Die Planungen der Hessenwasser sahen für 2015 einen mittleren Bedarf von 272 000- m³/ d und einen Maximalbedarf von rund 409 000- m³/ d vor (vgl. [5]). Dieser Wert wurde durch das Ereignis am 3. Juli 2015 praktisch exakt bestätigt. Am 6. August 2018 - dem ersten Arbeitstag nach den Schulferien - wurde eine noch höhere Tagesabgabe von rund 418 000- m³/ d erreicht [6]. Auch dies entspricht fast exakt dem in den aktuellen Prognosen der Hessenwasser als Planwert für den Bestand ausgewiesenen Zahlenwert von 417 000 m³/ d (vgl. [5]). Ursache für die extreme Bedarfsspitze im Sommer 2018 war neben dem hohen Bedarf in den vollständig versorgten Großstädten Darmstadt, Frankfurt und Wiesbaden vor allem der hohe Bedarf vieler Städte und Gemeinden im Taunus [6]. Bei der anhaltenden Trockenheit ging bei hohem Wasserverbrauch die Leistung vieler örtlicher Gewinnungsanlagen teils deutlich zurück, so dass die betroffenen Kommunen erheblich höhere Zulieferungen benötigten als normalerweise vorgesehen. Zur Deckung der Bedarfsspitzen wurden in vielen Fällen Wassermengen angefordert, die weit über die vertraglich vereinbarten Liefermengen hinausgingen. Die außerordentlich hohen Liefermengen in solchen Situationen stellen eins der Kernprobleme für den Betrieb des Verbundsystems dar. Dies ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass viele Kommunen versuchen, ihre Wassergewinnung betriebswirtschaftlich zu optimieren, indem sie in klimatisch normalen Jahren bzw. in der Grundlastsituation einen möglichst großen Teil des Bedarfs über Eigengewinnung decken. Für die durch diese Betriebsweise in Trockenjahren wie 2018 verursachten extremen Bedarfsspitzen im Verbund ist dieser jedoch nicht ausgelegt. So sind beispielsweise Lieferungen aus dem Hessischen Ried in die Räume Frankfurt und Wiesbaden einschließlich der angeschlossenen Kommunen im Taunus durch die Kapazität der Riedleitung beschränkt [1]. Auch Übergabestationen, die Transportleitungen und Pumpen der beteiligten Verbände sowie auch die örtlichen Trinkwasserspeicher sind für eine solche Belastung oft nicht ausgelegt. Optimierungsansätze Die WRM-Situationsanalyse vom Juli 2016 [1] enthält ausgehend von der Vorgängerstudie aus dem Jahr 2013 und der WRM-Leitungsverbundstudie 2005 [4] einen Maßnahmenkatalog für die Sicherung der Wasserversorgung in der Rhein-Main-Region - vor allem vor dem Hintergrund der allgemeinen Bedarfsentwicklung infolge des Bevölkerungswachstums. Sie umfasst auch Szenarien für Trockenjahre. Mit Umsetzung des Maßnahmenkatalogs ist die Wasserversorgung in der Rhein-Main-Region auch in Zukunft sichergestellt. Die Leitungsverbindungen zwischen Mainz und Wiesbaden (2016) und zwischen dem ZMW (Gießen) und der OVAG (2016) sind Beispiele für die in den letzten Jahren durchgeführten Maßnahmen zur Stärkung des Verbundes. Zwischen dem Verteilerbauwerk in Rüsselsheim-Hassloch und Raunheim wurde am 21. September 2018 der 1. Bauabschnitt der redundanten Riedleitung in Betrieb genommen [6]. Die vollständige Herstellung dieser Leitung hat hohe Priorität. Die teilweise angespannte Versorgungssituation im Sommer 2018 hat vor allem die Notwendigkeit gezeigt, das Zusammenspiel zwischen örtlicher Eigengewinnung und Wasserbezug aus dem Verbund zu optimieren, insbesondere im Hinblick auf die Situation bei Spitzenwasserbedarf. Dies betrifft vor allem einige Kommunen im Taunus, die im Sommer 2018 bei hohem Bedarf und teils rückläufigem Dargebot örtlicher Gewinnungsanlagen erhebliche Mehrmengen aus dem Verbund beziehen mussten. Zu klären ist auch, inwieweit sich die Versorgungssituation in Kommunen, die bisher nicht an den Verbund angeschlossen sind, verbessern lässt. Ein großer Teil der Verbundanlagen wurde in den 1960er und 1970er Jahren errichtet, ist also mittlerweile etwa 50 Jahre alt. Bei hoher Auslastung wie im Sommer 2018 zeigen sich auch die altersbedingten Schwachstellen des Systems. Über die Finanzierung der zur Sicherstellung der Wasserversorgung erforderlichen Maßnahmen über die Wassergebühr bzw. den Wasserpreis ist ein gesellschaftlicher Konsens erforderlich. Das Kostendeckungsprinzip ist in Deutschland gesetzlich verankert. Unter Berücksichtigung der hohen Sicherheit und Qualität der Versorgung sind die Trinkwasserpreise in Deutschland keinesfalls zu hoch. Zum Ausgleich struktureller Erschwernisse, die in Teilbereichen zu erhöhten Kostenbelastungen führen können, sollten auf Landesebene Förderprogramme geprüft werden. Voraussetzung für die Sicherung der Wasserversorgung - vor allem des flächendeckenden Schutzes der Ressource Grund- 83 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher leben wasser - ist auch ihre Verankerung in der Landesentwicklungsplanung, der Regionalplanung und in der kommunalen Bauleitplanung. Abschließend ist festzustellen, dass sich die Funktionsfähigkeit des Verbundsystems in der Rhein-Main-Region im Sommer 2018 grundsätzlich bestätigt hat. In vielen Fällen hat sich gezeigt, dass die vorliegenden Analysen zutreffen [1]. Die teilweise angespannte Versorgungssituation in einzelnen Kommunen und Verbundanlagen erfordert noch eine detaillierte Schwachstellenanalyse - hierfür bilden die Erfahrungen in 2018 eine gute Grundlage. LITERATUR: [1] Arbeitsgemeinschaft Wasserversorgung Rhein-Main - WRM, (Hrsg.): Situationsanalyse zur Wasserversorgung in der Rhein-Main-Region, Fortschreibung - Juli 2016. Groß-Gerau, 2016. [2] Bartram, J. et al.: Water Safety Plan Manual - Step-bystep risk management for drinking water suppliers. World Health Organization (WHO), Genf, 2009. [3] Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (Hrsg.): Sicherheit der Trinkwasserversorgung, Teil 1: Risikoanalyse. Bonn, 2016. [4] Arbeitsgemeinschaft Wasserversorgung Rhein-Main - WRM (Hrsg.): Leitungsverbund Wasserversorgung Rhein-Main - Studie - Kurzfassung. Groß-Gerau, 2005. [5] Herber, W., Wagner, H., Roth, U.: Der Regionale Wasserbedarfsnachweis der Hessenwasser GmbH & Co. KG. gwf-Wasser/ Abwasser 149 (2008) Nr. 10, S. 773-779. [6] Internet: https: / / www.hessenwasser.de/ [7] DVGW - Deutsche Vereinigung des Gas- und Wasserfaches e. V.: Technische Regel - Arbeitsblatt W 410: Wasserbedarf - Kennwerte und Einflussgrößen. Bonn, 2008. [8] Roth, U., Berger, H., Müller, A., Wagner, H.: Höhe und Häufigkeit von Wasserbedarfsspitzen bei der Hessenwasser GmbH & Co. KG. gwf-Wasser/ Abwasser 149 (2008) Nr. 11, S. 864-871. [9] Roth, U., Coppola, F., Wagner, H.: Das Spitzenlastereignis 2015 im Versorgungsgebiet der Hessenwasser GmbH & Co. KG. gwf-Wasser/ Abwasser 157 (2016) Nr. 6, S. 638-646. AUTOREN Prof. Dr.-Ing. Christian Hähnlein Professur Siedlungswasserwirtschaft Frankfurt University of Applied Sciences Kontakt: christian.haehnlein@fb1.fra-uas.de Prof. Dr.-Ing. Ulrich Roth Professur Siedlungswasserwirtschaft Frankfurt University of Applied Sciences Kontakt: ulrich.roth@fb1.fra-uas.de WISSEN FÜR DIE STADT VON MORGEN www.transforming-cities.de/ einzelheft-bestellen www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren Digitalisierung versus Lebensqualität Big Data | Green Digital Charter | Kritische Infrastrukturen | Privatheit | Sharing-Systeme 1 · 2016 Was macht Städte smart? URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Mit veränderten Bedingungen leben Hochwasserschutz und Hitzevorsorge | Gewässer in der Stadt | Gründach als urbane Klimaanlage |Baubotanik 1 · 2017 Stadtklima URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Lebensmittel und Naturelement Daseinsvorsorge | Hochwasserschutz | Smarte Infrastrukturen | Regenwassermanagement 2 · 2016 Wasser in der Stadt URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Verbrauchen · Sparen · Erzeugen · Verteilen Energiewende = Wärmewende | Speicher | Geothermie | Tarifmodelle | Flexible Netze | Elektromobilität 2 · 2017 2 · 2017 Stadt und Energie URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Erlebnisraum - oder Ort zum Anbau von Obst und Gemüse Urban Farming | Dach- und Fassadenbegrünung | Grüne Gleise | Parkgewässer im Klimawandel 3 · 2016 Urbanes Grün URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Die Lebensadern der Stadt - t für die Zukunft? Rohrnetze: von Bestandserhaltung bis Digitalisierung | Funktionen von Bahnhöfen | Kritische Infrastrukturen 4 · 2016 Städtische Infrastrukturen URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Die Vielschichtigkeit von Informationsströmen Smart Cities | Automatisierung | Mobilfunk | Urbane Mobilität | Datenmanagement | Krisenkommunikation 3 · 2017 Urbane Kommunikation URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Angri ssicherheit · Betriebssicherheit · gefühlte Sicherheit IT-Security | Kritische Infrastrukturen | Notfallkommunikation | Kaskadene ekte | Vulnerabilität | Resilienz 4 · 2017 4 · 2017 Sicherheit im Stadtraum URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Was macht Städte smart? Soft Data | IT-Security | Klimaresilienz | Energieplanung | Emotionen | Human Smart City | Megatrends 1 · 2018 Die intelligente Stadt URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Energie, Wasser und Mobilität für urbane Regionen Mieterstrom | Solarkataster | Wärmewende | Regenwassermanagement | Abwasserbehandlung | Mobility as a Service 2 · 2018 Versorgung von Städten URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Zunehmende Verdichtung und konkurrierende Nutzungen Straßenraumgestaltung | Spielraum in Städten | Grüne Infrastruktur | Dach- und Fassadenbegrünung | Stadtnatur 3 · 2018 Urbane Räume und Flächen URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Daseinsvorsorge für ein funktionierendes Stadtleben Urbane Sicherheit | Mobilität im Stadtraum | Zuverlässige Wasser- und Energieversorgung | Städtische Infrastruktur 4 · 2018 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Gesund und sicher leben in der Stadt Gesund und sicher leben in der Stadt 84 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Stadtraum Impressum Transforming Cities erscheint im 3. Jahrgang Herausgeber Eberhard Buhl, M.A. Verlag Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl | Christine Ziegler Schliffkopfstr. 22, D-72270 Baiersbronn-Buhlbach Tel. +49 7449 91386.36 · Fax +49 7449 91386.37 office@trialog.de · www.trialog.de Redaktionsleitung Dipl.-Ing. arch. Christine Ziegler VDI (verantwortlich) Tel: +49 7449 91386.43 Fax: +49 7449 91386.37 christine.ziegler@transforming-cities.de Anzeigen Tel. +49 7449 91386.46 Fax +49 7449 91386.37 anzeigen@trialog.de Gültige Anzeigenpreisliste Nr. 3 vom 01.01.2018 Vertrieb und Abonnentenservice Tel. +49 7449 91386.39 Fax +49 7449 91386.37 vertrieb@trialog.de Erscheinungsweise Viermal im Jahr Bezugsbedingungen Die Bestellung des Abonnements gilt zunächst für die Dauer des vereinbarten Zeitraumes (Vertragsdauer). Eine Kündigung des Abonnementvertrages ist zum Ende des Berechnungszeitraumes schriftlich möglich. Erfolgt die Kündigung nicht rechtzeitig, verlängert sich der Vertrag und kann dann zum Ende des neuen Berechnungszeitraumes schriftlich gekündigt werden. Bei Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages, bei Arbeitskampf oder in Fällen höherer Gewalt besteht kein Entschädigungsanspruch. Zustellmängel sind dem Verlag unverzüglich zu melden. Es ist untersagt, die Inhalte digital zu vervielfältigen oder an Dritte weiterzugeben, sofern nicht ausdrücklich vereinbart. Bezugsgebühren JahresAbo Print: gedruckte Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 120,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 11,90, Ausland EUR 25,-) JahresAbo ePaper: elektronische Web-Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 120,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), ohne Versandkosten JahresAbo Plus (Print + ePaper): als gedruckte Ausgabe + elektronische Web-Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 160,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 11,90 , Ausland EUR 25,-) StudiAbo ePaper: elektronische Web-Ausgabe. Reduzierter Jahresbezugspreis von EUR 80,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.). Eine aktuelle Studienbescheinigung ist Voraussetzung. Einzelheft Print: gedruckte Ausgabe zum Einzelbezugspreis von EUR 35,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 3,-, Ausland EUR 6,50) Einzelausgabe ePaper: elektronische Web- Ausgabe zum Einzelbezugspreis von EUR 35,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), ohne Versandkosten Campus- und Firmenlizenzen auf Anfrage Organ | Medienpartnerschaft VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld Druck Grafik und Druck GmbH Peter Pöllinger, München Herstellung Trialog, Baiersbronn-Buhlbach, www.trialog.de Titelbild People go through the underpass. © Clipdealer Copyright Vervielfältigungen durch Druck und Schrift sowie auf elektronischem Wege, auch auszugsweise, sind verboten und bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Abbildungen übernimmt der Verlag keine Haftung. Eine Publikation der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Baiersbronn-Buhlbach ISSN 2366-7281 (print) www.trialog.de/ agb Das neue Schallpegel-Messgerät NoiseMeter mit Sigfox- Anschluss von LXElectronics ermöglicht es Kommunen, Behörden und der Industrie langfristige Schallpegelmessungen durchzuführen - mit einfacher Darstellung der Daten im Internet. Das schlanke Gerät ist mit Solarzelle und LiPo-Batterie energieautark. Es lässt sich einfach montieren dank eines für Action-Kameras verbreiteten Montagestandards. Dennoch ist das NoiseMeter ein vollwertiges Klasse 2-Messinstrument mit einem Messbereich von 30 bis 130 dBA und ±1,5dB Genauigkeit. Bisher wird das Gerät vor allem zur Aufzeichnung von Nachbarschaftslärm (wie zum Beispiel aus der Gastronomie) und Verkehrslärm von Straßen-, Schienen- und Flugverkehr eingesetzt. Gründer von LXElectronics, Michael Poschmann, sieht zunehmenden Bedarf für Schallpegel- Messgeräte: „In den Ballungsräumen werden wir nach der NO x -Problematik vor allem ein Problem mit Lärm haben.“ Bereits heute können Kommunen mit Schallpegelmessung und Bürgerbeteiligung punkten. „Die Angebote der IoT-Industrie wie Sigfox und die IBM Watson IoT-Plattform ermöglichen mehr Transparenz.“ Das NoiseMeter wird ab Januar 2019 in Serie gehen. N No oi is se eM Me et te er r : : : : S Si ig gF Fo ox x C Cl la as ss s2 2 S So ou un nd d L Le ev ve el l M Me et te er r LXElectronics Smarter Sound Sensors LXElectronics www.lxel.de Michael Poschmann Dipl.Ing.(FH) +49 179 9778562 Am Bahnsteig 10A info@lxel.de D-82024 Taufkirchen 1/ 2'' high performance microphone LXE M1 Spectral Analysis • 7 Frequency bands • update interval 1sec. SigFox and USB • wireless IoT data link from 0.5€/ month • USB for data access and charging of battery Rugged housing • Quality extruded Aluminum housing • for semi-permanent outdoor (IP54) Sound Pressure Level • 30 - 130 dB dynamic range • weigthing: A, C and Z • Slow and Fast Mode compact: only 160 x 70 x 20 mm Solar panel and LiPo • energy self sufficient • 2000mAh LiPo cell NoiseMeter Schallpegelmesser mit Sigfox NoiseMeter von LXElectronics ist das erste Schallpegelmessgerät, das für dauerhafte Outdoor Messungen konzipiert ist und die Messdaten mittels Sigfox Funktechnik in die IBM Watson IoT Plattform übermittelt. LXElectronics michael.poschmann@lxel.de, www.LXEL.de Leben und arbeiten in der Stadt Am 6. März 2019 erscheint die nächste Ausgabe von Transforming Cities mit dem Themenschwerpunkt  Zukunft der Arbeit  Wohnraum in Städten  Mobil unterwegs in der Stadt  Straßenraum - Lebensraum  Freiraum urbanes Grün  Verbesserung des Stadtklimas  Smart Living ePaper-EAZ_IV_TranCit.indd 1 12.11.2018 10: 13: 34