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Transforming cities
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expert verlag Tübingen
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Mit der Größe der Städte wachsen auch Risiken und Belastungen Vulnerabilität | Risikowahrnehmung | Prävention | Bürgerbeteiligung | Freiwilliges Engagement | Resilienz 2 · 2019 2 · 2019 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Städte im Krisenmodus? DAS FACHMAGAZIN FÜR DIE JACKENTASCHE Lesen Sie Transforming Cities lieber auf dem Bildschirm? Dann stellen Sie doch Ihr laufendes Abo einfach von der gedruckten Ausgabe auf ePaper um - eine E-Mail an service@trialog.de genügt. Oder Sie bestellen Ihr neues Abonnement gleich als E-Abo. Ihr Vorteil: Überall und auf jedem Tablet oder Bildschirm haben Sie Ihre Fachzeitschrift für den urbanen Wandel immer gri bereit. www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren Trialog Publishers Verlagsgesellschaft | Baiersbronn | service@trialog.de ePaper-EAZ_IV_TranCit.indd 1 12.11.2018 10: 13: 34 1 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, gibt es Grund zur Besorgnis? Macht Urbanisierung, macht die Konzentration von immer mehr Menschen in Städten das Leben dort zunehmend unsicher? Und: Befinden sich unsere Städte bereits im Krisenmodus? Rein statistisch betrachtet, nimmt mit der Anzahl der Einwohner auch die Zahl der Straftaten zu. Denn ein gewisser Prozentsatz der Mitglieder einer jeden Gesellschaft weicht von der Norm menschlichen Handelns ab. Je dichter Stadträume also besiedelt sind, mit desto mehr Delikten ist logischerweise in einer Stadt zu rechnen. Kriminelle Intentionen kommen aber nicht nur von innen. Neben den Einwohnern bevölkern tagtäglich zusätzlich Pendler und zahlreiche Besucher den städtischen Raum. Somit steigt, auch wenn die Kriminalstatistik diese Personen nicht einrechnet und in den letzten Jahren insgesamt stetig sinkende Verbrechensraten vorweist, die absolute Zahl rechtswidriger Taten in großen Städten. Madrid, Barcelona, Paris oder London: Vor allem die Metropolen sind Ziele möglichst spektakulärer Terroranschläge. Durch die ausführliche Berichterstattung in den Medien entsteht der Eindruck, dass fanatischer Extremismus zunimmt und dass man sich auf städtischem Terrain vor Gewaltakten nicht mehr sicher fühlen kann. Obwohl die Gefahr, bei einem terroristischen Anschlag zu Schaden zu kommen, deutlich geringer ist als durch einen Verkehrsunfall, ist die Angst davor stark gewachsen. Während sich die Störungen der öffentlichen Ordnung eher in sozialen Brennpunkten mit hohem Migrationsanteil konzentrieren, in abgehängten Stadtvierteln mit vielen Leerständen und verfallenden Gebäuden oder in sogenannten Angsträumen mit Vermüllung, Vandalismus und exzessivem Alkoholkonsum, ist die Bedrohung durch Terror weniger fassbar: Sie richtet sich nicht gegen den Einzelnen, sondern gegen die gesamte Gesellschaft. Was immer die urbane Sicherheit gefährdet - menschengemacht sind die Bedrohungen allemal. Selbst extreme Naturereignisse werden erst zu Katastrophen, wenn sie auf menschliche Siedlungen treffen, viele Menschenleben kosten, reihenweise Gebäude und Infrastrukturen zerstören. Damit Stadtteile nicht zu Gefahrenzonen werden und um tatsächlich eingetretene Krisen besser zu bewältigen, gilt es also, den menschlichen Faktor stärker zu gewichten. Wie Prävention, Bürgerbeteiligung und Mobilisierung freiwilligen Engagements für mehr Sicherheit und Zusammenhalt in Städten sorgen können, zeigen die spannenden Beiträge in der vorliegenden Ausgabe. Lesen Sie selbst. Ihre Christine Ziegler Redaktionsleitung „Transforming Cities“ Städte im Krisenmodus? 2 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES INHALT 2 · 2019 FORUM Standpunkt 4 Administrative Barrieren für die Verkehrswende Alexander Rammert, Benjamin Sternkopf Veranstaltungen 9 SMART CITY SOLUTIONS bringt Inspiration für die Stadt von morgen PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation 10 Lebensqualität und Sicherheit in der Smart City Thomas Römer 13 Zentrale Schutzlösung für vernetzte Fahrzeuge Christian Olt, Friedrich Tönsing Infrastruktur 16 Hohe Verfügbarkeit der Versorgungsnetze sichergestellt Rüdiger Peter Ressourcen 20 Städte im Krisenmodus Trinkwasseraufbereitung in der Zukunft Wolfgang Sontheim Infrastruktur 23 Dessau macht sich schick fürs Bauhaus- Jubiläum Liner-Anschluss-System für die Kanalsanierung Stadtraum 26 Ein lebendiges Stadtquartier für alle Generationen in Mögeldorf Kommunikation 28 Grüne Welle für die Feuerwehr Car2X-Kommunikation ermöglicht die schnelle Fahrt zum Einsatzort 30 Hilfe für freiwillige Helfer KATRETTER-System unterstützt freiwilliges Engagement in Notfällen und Krisen THEMA Städte im Krisenmodus? 32 Aktivierung der Bevölkerung in Krisensituationen Der Airport-Approach zur Identifikation von Tätigkeiten für Spontanhelfende Patrick Drews 34 Pflege- und Hilfsbedürftige in Schadenslagen Aufgaben und Verantwortlichkeit von Kommunen: das Projekt KOPHIS Rebecca Nell, Stefan Strunck, Veronika Zettl 38 Was passiert, wenn... Exposition und Vulnerabilität urbaner Räumen gegenüber Naturgefahren Elisabeth Schöpfer, Patrick Aravena Pelizari, Christian Geiß, Torsten Riedlinger, Hannes Taubenböck 44 Urbane Sicherheit bei Terrorgefahren Risikowahrnehmung, gesellschaftliche Debatte und Bürgerbeteiligung Norbert Gebbeken Seite 28 Seite 30 Seite 50 © benjaminstollenberg |fotografie © O. Lang/ Fraunhofer FOKUS © LK A 3 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES INHALT 2 · 2019 50 Sicherheit und Vielfalt berücksichtigen und planen Die Bedeutung polizeilichen Wissens für die Stadtentwicklung - das Projekt DIVERCITY Julia Gundlach, Melanie Verhovnik 56 Ein Weg zum sicheren Bahnhof Lilian Blaser, Tillmann Schulze 60 Resiliente Städte Ein Ansatz, technologische Herausforderungen und Urbanität in Einklang zu bringen Norbert Gebbeken, Paul Warnstedt 66 Quartierspeicher für mehr urbane Resilienz Ein Blick über den Tellerrand technischer Risiken bei der Energiewende Sadeeb Simon Ottenburger, Ulrich Ufer 70 Sichere öffentliche Räume: Ein Blick in die Zukunft Tillmann Schulze, Lilian Blaser 75 Stadtteilbegehungen als Möglichkeit der Bürgerbeteiligung Die Erforschung des Sozialraums zur Verbesserung des subjektiven Sicherheitsgefühls Egon Wachter, Ellena Krämer 80 Mehr öffentliche Sicherheit durch mehr Beleuchtung - oder geht es auch anders? Antje Flade 85 Hand in Hand für den Klimaschutz Handlungspotenziale von Akteuren im und für den städtischen Klimaschutz nutzbar machen Simone Neddermann, Britta Rösener, Celine Stadler, Antonia Stratmann FOKUS Forschung + Lehre 90 Start des Europäischen Master studiengangs „TRANSFORMING CITY REGIONS“ (TCR) an der RWTH Aachen University/ Fakultät für Architektur PRODUKTE + LÖSUNGEN Mobilität 92 Sensorbox für Lufttaxis Mit Bosch-Technik lernt das Auto fliegen 92 Impressum Seite Seite 56 56 Seite 60 © EBP Seite 85 © Projekt KlimaNetze © Gebbeken Dieser Ausgabe liegt eine Information der SIMEDIA Akademie GmbH bei. 4 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Hintergrund Gesellschaftliche Transformationen fanden in der Geschichte niemals reibungsfrei statt. Die Aufklärung, die Industrialisierung oder die Digitalisierung wurden immer von gesellschaftlichen Umverteilungsprozessen und Machtverschiebungen begleitet [1] . So existierte bei jeder sozialen oder technischen Transformation auch eine Gesellschaftsgruppe, welche durch die innovationsbedingten Machtverschiebungen benachteiligt wurde und sich deshalb mit allen Mitteln gegen den Wandlungsprozess stemmte. Sei es die Kirche im Rahmen der Aufklärung, die Adeligen im Zuge der Landreform oder die Könige in Folge der Demokratisierung. Transformationen führen immer zu Machtverschiebungen und Machtverlust führt zu Widerstand [2]. Am Ende zeigte sich jedoch immer, dass der gesellschaftliche Wandel an sich nicht aufzuhalten oder gar umzukehren war, die Bischöfe, Herzöge und Könige wurden vom Wandel überholt, ihre einstige Macht ging verloren. Mit der Verkehrswende - so die These dieses Textes - stehen wir am Anfang einer neuen Transformation der (Stadt-)Gesellschaft und ebenso wie bei vergangenen Transformationsprozessen wird es auch hierbei wieder Gewinner und Verlierer, Innovations- und Bedenkenträger geben. Ein Blick auf die Herausforderungen der zukünftigen Generationen macht deutlich, dass es hierbei nur um das „Wann“ gehen kann, eine plausible Alternative existiert nicht [3]. Somit stellt sich die Frage, wer die Gewinner und Administrative Barrieren der Verkehrswende Eine Einordnung aus zwei Perspektiven Verkehrswende, Verwaltung, Politik, Gesellschaft, Stadtverkehr, Mobilität Alexander Rammert, Benjamin Sternkopf Mit der Verkehrswende befinden wir uns inmitten einer gesellschaftlichen Transformation, welche die sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen der Mobilität neu ordnet. Politik und Verwaltung stehen vor der Herausforderunge diesen Wandel im gesamtgesellschaftlichen Sinne zu gestalten und eine nachhaltige Zukunft zu sichern. Der Blick auf die Praxis der Verkehrsplanung offenbart hingegen eine starke Diskrepanz zwischen verkehrspolitischem Gestaltungsanspruch und planerischer Wirklichkeit. Existieren möglicherweise in den Verwaltungen strukturelle und kulturelle Barrieren, die eine Transformation der Verkehrpolitik erschweren? FORUM Standpunkt © Ralf Vetterle auf Pixabay 5 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Verlierer der Verkehrswende sein werden, welche Akteure oder Institutionen werden an Macht verlieren und welche an Macht zulegen. Die aktuellen Diskurse und Entwicklungen in der städtischen Praxis geben Hinweise, wo die Barrieren liegen und wem Machtverluste drohen. Dieser Text begibt sich aus zwei Perspektiven auf die Suche nach den Barrieren einer verkehrspolitischen Transformation, insbesondere auf administrativer Ebene. Am Ende bleibt die Frage zu diskutieren, wie aus Sicht zukünftiger Generationen - denn sie sind der maßgebende Fluchtpunkt verantwortungsvoller Politik - die Verkehrswende so gestaltet werden kann, dass sie der gesamten Gesellschaft unmittelbar neue Möglichkeitsräume verschafft, wie es bereits Aufklärung und Demokratisierung zuvor taten. Der gesamte Mobilitätssektor befindet sich momentan sowohl technisch als auch gesellschaftlich im Umbruch. Innovationen im Bereich der Mobilität schießen wie Pilze aus dem Boden und etablierte Strukturen werden in Frage gestellt - besonders in Städten. Dabei ist momentan noch nicht abzusehen, wie diese Transformation der gesamten Stadtumwelt am Ende aussieht. Fest steht jedoch, dass es im Verantwortungsbereich von Politik und Planung liegt, diesen Wandel zu gestalten und einen gesamtgesellschaftlichen Mehrwert zu sichern [4]. Überraschenderweise gerieren sich weniger die vom Wandel betroffenen Gesellschaftsgruppen als vielmehr politische und planerische Entscheidungsträger in der Praxis als wenig wandlungsfähig [5]. Hier liegt sogar die Vermutung nahe, dass sie selbst als wesentlicher Bedenkenträger den Fortschritt auf Kosten der zukünftigen Gesellschaft blockieren. Sollten es am Ende gar die politischen Strukturen sein, die wie einst Kirche und König einen Machtverlust fürchten und den Status Quo im Verkehr zu konservieren versuchen? Eine politikwissenschaftliche Einordnung Hierbei muss zunächst „die Politik“ in ihrer Feingliedrigkeit weiter unterschieden werden, existieren doch vielschichtige Facetten und Dimensionen des föderalen Staatssystems in Deutschland. Die Verkehrswende als verkehrspolitisches Generationenprojekt kann dabei nicht alleine von der Bundesebene oder der kommunalen Ebene gestemmt werden, sondern hierbei müssen alle drei Ebenen entsprechend eines „kooperativen Föderalismus“ [6] zusammenarbeiten. Im Gegensatz dazu zeigt die praktizierte Verkehrspolitik der föderalen Ebenen ein widersprüchliches Bild. So sollen auf kommunaler Ebene beispielsweise restriktive Maßnahmen gegenüber Dieselfahrzeugen durchgesetzt werden (Fahrverbote) während gleichzeitig auf Bundesebene der Dieseltreibstoff steuerlich bevorteilt wird [7]. Kooperative Problemlösungskonzepte, wie die Blaue Plakette, wurden von Seiten des Bundes abgeblockt [8], ein gemeinsames verkehrspolitisches Gesamtkonzept ist weiterhin nicht zu erkennen. Auch innerhalb der föderalen Ebenen muss „die Politik“ weiter unterteilt werden. Zwei zentrale Akteure der verkehrspolitischen Exekutive sind Gubernative und Administrative [9]. Im klassischen Sprachgebrauch ist mit der Politik in der Regel der gubernative Teil der Exekutive gemeint, also die Vertreter der Regierung. Dass der administrative Teil mit seinen Verwaltungsinstitutionen auch einen wesentlichen Teil verkehrspolitischer Entscheidungsprozesse ausmacht und mitbestimmt, wird dabei meistens außer Acht gelassen. Dabei fallen administrativen Institutionen mitunter wesentliche Machtanteile zu, indem sie über verkehrspolitische Leitbilder und Strategien mitentscheiden und damit grundlegend den politischen Entscheidungsprozess beeinflussen. Im Selbst- und Außenverständnis wird die Verwaltung in der Regel als „neutraler“ und weisungsbefugter Akteur beschrieben [10], was jedoch ihrer tatsächlichen Rolle - insbesondere in der Verkehrspolitik - in keinster Weise gerecht wird. Insofern muss ein besonderes Augenmerk auf der Administrative liegen, wenn es darum geht, verkehrspolitische Transformationsprozesse zu untersuchen. Denn - und das legen die Beobachtungen der bundesdeutschen Planungspraxis nah - häufig entscheiden Verwaltungen darüber, ob eine Kommune, ein Bundesland oder ein Staat Transformationsprozesse aktiv mitgestaltet oder blockiert [11]. Ein besonders spannendes Beispiel, um die Interaktion von Politik, Verwaltung und Gesellschaft zu untersuchen, ist der Stadtstaat Berlin. Hier treffen ein von der Zivilgesellschaft initiierter und zum Ausdruck gebrachter Transformationsprozess auf eine progressive Regierungskoalition und eine personalkonsolidierte Verwaltung. Wie bereits eingangs diskutiert, entstand auch in Berlin seitens der Zivilgesellschaft der Impuls, die Verteilung des Verkehrsraums neu zu denken und etablierte Strukturen in Frage zu stellen [12]. Zeitgleich zum Transformationsimpuls folgte ein Regierungswechsel, in dessen Folge die neue Regierungskoalition sich den Zielen der zivilgesellschaftlichen Initiatoren verpflichtete [13]. Ergebnis dieses Prozesses der verkehrspolitischen Willensbildung ist das erste deutsche Mobilitätsgesetz. Dieses Gesetz sieht - im Gegensatz zur Straßenverkehrsordnung und dem Straßenverkehrsgesetz - eine explizite Berücksichtigung aller Verkehrsmittel vor, wobei 6 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt insbesondere dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), Radverkehr und Fußverkehr aufgrund der Flächeneffizienz und Umweltverträglichkeit eine besondere Rolle zukommt [14]. In Windeseile konnte so die verkehrspolitische Transformation rechtlich verankert werden, die robusteste Form der Institutionalisierung in demokratischen Staatssystemen. Damit blieb innerhalb weniger Jahre am Ende nur noch die Verwaltung, welche einerseits die etablierten Strukturen der klassischen Verkehrsplanung weiterhin abbildete und andererseits die Verkehrswende operationaliseren sollte. Eine Antinomie, die nicht nur in der Theorie, sondern auch in der aktuellen Praxis gut erkennbar ist [15]. Unterstützt wird diese institutionelle Trägheit bezüglich verkehrspolitischer Modernisierungen von einem unflexiblen Personal- und Arbeitsrecht, welches - aus demokratietheoretischer Sicht auch zu Recht - keine schnellen Strukturwechsel in der Administrative zulässt [16]. Referats- und Abteilungsleiter sind in den Verwaltungen über Jahrzehnte hinweg etabliert und können - im Falle abweichender normativer Zielvorstellungen - die gesellschaftliche Transformation mittelfristig lähmen. Hierbei wird offensichtlich, dass die Administrative nicht ausschließlich „unpolitisch“ und weisungsgebunden agiert, sondern eigene Werte und Normen mit in den politischen Entscheidungsprozess einbringt [17]. Eine wichtige Erkenntnis, um gesellschaftliche Transformationsprozesse in ihrer Gesamtheit nachzuvollziehen. Denn, und das zeigen verschiedene Beispiele auf kommunaler, Landes- und Bundesebene, verfügen die Verwaltungen über ausreichende politische Macht, können sie sich sogar gegenüber politischen und zivilgesellschaftlichen Akteuren durchsetzen und einen Transformationsprozess wie die Verkehrswende auf kurz oder lang blockieren. Eine verwaltungspraktische Einordnung Bleibt man beim zuvor skizzierten Bild einer durch das Mobilitätsgesetz materialisierten Verkehrswende, stellt sich für den zukünftigen Ausblick die Frage, welche Barrieren in Anwendung und Umsetzung existieren. Der planerische Richtungswechsel, an dem das Gelingen der Verkehrswende messbar wird, umfasst mehrere Merkmale; Vordergründig geht es nicht mehr um die Gestaltung von Verkehr bzw. physischen Bewegungen, sondern um die Gewährleistung von Mobilität und gesellschaftlicher Teilhabe. Diese Grundversorgung ist unabhängig von einem bestimmten Verkehrsmittel. Das aus dem modernen Planungsverständnis abgeleitete Paradigma lautet deshalb, die Mobilität maximierend zu planen und gleichzeitig deren Abfallprodukt, nämlich den (Auto-)Verkehr, auf ein gesellschaftlich notwendiges Mindestmaß zu reduzieren. Hierbei ist evident, dass die durch die strategischen Zielvorgaben (Pariser Klimaschutzziele, Vision Zero etc.) abgeleitete, deutliche und kurzfristige Reduktion von Autoverkehr nur durch eine selbstbewusstere und damit auch restriktivere Umweltpolitik vonstatten gehen wird. Angebote und Subventionen im Sinne der Daseinsvorsorge werden dort geschaffen, wo durch die notwendigen Restriktionen Mobilitätseinbußen zu erwarten sind, nicht dort, wo umweltschädliche Konsummuster fortgeführt und durch effizientere Technologien, wie beispielsweise die (MIV-)Elektromobilität, legitimiert werden. Es ist augenscheinlich, dass diese Zielstellung mit einer Vielzahl geltender Rahmenbedingungen bis hin zu wirtschaftspolitischen Bestrebungen in Konflikt steht. So ist zunächst zu konstatieren, dass die einschlägigen verkehrlichen Rechtsnormen diesem Ansatz in großen Teilen widersprechen. Das Straßenverkehrsrecht, welches die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs - und hier vor allem des MIV - gewährleistet und dabei die Leistungsfähigkeit des Verkehrs als strategische Zielmarke setzt, ist die Grundlage verkehrsorganisatorischer Entscheidungen auf Verwaltungsebene [18]. Soll innerhalb dieses begrenzenden Rahmens die Verkehrswende vorangetrieben werden, ist zunächst nur ein iterativer Prozess aus progressiver Gesetzesauslegung bzw. Verkehrsplanung, gekoppelt mit einer, dem gesellschaftlichen Wandel angepassten Rechtssprechung möglich. Hierdurch werden die bestehenden Planungsgrenzen sukzessive aufgeweicht. Ein zeitüberbrückender Ansatz ist beispielsweise die Nutzung der sogenannten Experimentierklausel der StVO, die zum Zwecke der Erforschung des Verkehrsverhaltens von der Gesetzesnorm abweichende Anordnungen ermöglicht. Der eigentlich notwendige verkehrsplanerische Paradigmenwechsel wird durch die bestehende Gesetzeslage innerhalb der Verwaltungen somit jedoch zu einem evolutionären und teilweise lähmenden Prozess degradiert, welcher das grundsätzliche Gelingen der Verkehrswende in Frage stellt. Neben diesen „harten Rahmenbedingungen“ stellen organisationskulturelle Aspekte wie die Kultivierung des über Jahrzehnte gewachsenen alten Planungsverständnisses eine zusätzliche Barriere dar. Die strategische Zielvorgabe eines möglichst störungsfreien Autoverkehrs wird zur administrativen Norm, welche trotz gesellschaftlicher Transformation noch über Jahre hinweg konserviert wird. 7 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Dieses Trägheitsmoment der Verwaltung wird von zwei Phänomenen flankiert, welche mögliche Lösungsstrategien verkomplizieren: Erstens agiert die Bürokratie prinzipiell risikoavers [19]. Da innovatives Handeln in der Regel ein potenzielles Scheitern bedeutet, das wiederum auf Fachreferate langfristig delegitimierend wirkt, wird von unbekannten Verfahrensweisen normalerweise Abstand genommen. Hierdurch wird sogar der zuvor beschriebene iterative Prozess des Ausreizens von Planungsgrenzen in Frage gestellt. Zweitens steht nach wie vor die verwaltungsorganisatorische Institutionalisierung der Verkehrswende aus. Diese ist notwendig, damit der Ansatz von der normativen Zielvorgabe zu einer Fachaufgabe transformiert wird und Wissensaufbau und -transfer gewährleistet werden kann. Die bislang äußerst divergierende und fragmentierte bürokratische Verankerung der Verkehrswende, beispielsweise in kommunalen Klimaschutzprogrammen, in unterschiedlichsten Planwerken der Verkehrs- und Umweltpolitik oder verwaltungsfernen Expertengremien, behindern die eindeutige fachliche Zuordnung und damit langfristige Integration innerhalb des Verwaltungsapparats. Kulturelle Barrieren der Verkehrswende finden sich jedoch nicht nur auf Verwaltungsebene. Kongruent zur „Risikoaversion“ bestimmt die Skepsis gegenüber Restriktionen bzw. die „Verordnungsphobie“ [20] die schleppende Operationalisierung von politischer Seite. Diese richtet sich gegen jede Art von Einschränkung des geltenden Status Quo und stellt besonders in Städten die Verteilung des begrenzten öffentlichen Raums zugunsten des Umweltverbunds vor ein grundsätzliches Entwicklungsproblem. Exemplarisch zeigte sich die restriktionsaverse politische Abwägung jüngst öffentlich in Folge des durch die Bundesregierung einberufenen Expertengremiums „Nationale Plattform Zukunft der Mobilität“. In diesem Fall wurden regulative Vorschläge wie ein Tempolimit auf Autobahnen und höhere Spritsteuern noch während des Diskussions- und Arbeitsprozesses politisch ausgeschlossen [21]. Hierbei zeichnet sich ein grundlegendes Dilemma ab: Einerseits sind nur mithilfe von Restriktionen grundsätzliche und nachhaltige Verhaltensänderungen möglich [22]. Andererseits kann - sofern diese Skepsis gegenüber Regulierungen durch risikoaverses Handeln von Referent*innen antizipiert wird - die eigentliche Notwendigkeit restriktiver Maßnahmen nicht nachvollziehbar kommuniziert werden und erreicht somit nicht einmal den verkehrspolitischen Entscheidungsraum. Ausblick Aus Perspektive zukünftiger Generationen ist der Status Quo im Verkehrsbereich nicht mehr tolerierbar, eine Transformation, insbesondere des Stadtverkehrs, ist unabdinglich. Gleichzeitig bestimmt die Mobilität der Menschen den Grad gesellschaftlicher Teilhabe und räumlicher Versorgung und ist damit grundlegender Bestandteil staatlicher Daseinsvorsorge [23]. Politik und Verwaltung sind also gefragt, den ökologischen Wandel sozial nachhaltig zu gestalten und die Transformation im Sinne eines generationenübergreifenden Interesses voranzubringen. Diese gewaltigen Herausforderungen erfordern vor allem einen verwaltungskulturellen Wandel, ein modernes Verständnis administrativer Governance. Hierfür müssen sich Politik und Verwaltung nicht komplett neu erfinden, Beispiele für verwaltungsgetriebene Innovationen gibt es in der deutschen Geschichte genügend [24]. Die Transformation der klassischen zur „modernen-regulativen Verwaltung“ [25], als pluralisierter Akteur staatspolitischer Daseinsvorsorge, ist, gerade in Anbetracht der sozialen und ökologischen Bedrohungsszenarien im Verkehrssektor, eine wichtige Voraussetzung. Die moderne-regulative Verwaltung zeichnet sich dadurch aus, dass sie einerseits ein proaktives Gestaltungsmandat vertritt, andererseits kooperativ (Partizipation) und fachübergreifend (Integration) das gesellschaftliche Leitbild operationalisiert. Ein Verwaltungsverständnis das bis heute in Deutschland ungewohnt erscheint [26]. Grundlegend dafür ist, dass Innovation und Transformation nicht allein dem Markt überlassen werden, sondern die Verkehrswende gemeinsam von Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Gesellschaft gestaltet wird - wenn nötig auch regulativ. Dazu benötigt es gestaltungswillige Institutionen, die sich nicht an vergangenen Hegemonien und Planungsstrukturen festhalten, sondern proaktiv und couragiert die Zukunft mitgestalten. Andernfalls drohen die Verwaltungen zwischen technologischer Innovation und zivilgesellschaftlicher Transformation marginalisiert zu werden; ewig treu den eigenen Prinzipien wie einst Kirche und König. Solange die gestaltungspolitische Maxime weiterhin ein umweltverträglicher und menschengerechter Verkehr ist, muss dies mit vereinten Kräften verhindert werden. 8 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt LITERATUR [1] Hanf, T.: Gesellschaftliche Entwicklung und Transformation. In: Clausen, L. (Hrsg.): Gesellschaften im Umbruch: Verhandlungen des 27. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Halle an der Saale 1995 (1996), S. 617-629. Frankfurt am Main: Campus Verlag. Online verfügbar unter: https: / / nbnresolving.org/ urn: nbn: de: 0168-ssoar-140455 [2] Anter, A.: Theorien der Macht zur Einführung, 3. Auflage. Junius Verlag, 2018. [3] Vieweg, M., Bongardt, D., Hochfeld, C., Jung, A., Scherer, E., Adib, R., Guerra, F.: Towards Decarbonising Transport - A 2018 Stocktake on Sectoral Ambition in the G20. Report on behalf of Agora Verkehrswende and Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), 2018. Online verfügbar unter: https: / / w w w.agora-verkehrswende.de/ fileadmin/ Projekte/ 2017/ Verkehr_und_Klima_in_den_G20_Laendern/ 15_G20_WEB.pdf [4] Czada, R.: Regierung und Verwaltung als Organisatoren gesellschaftlicher Interessen. In Regieren in der Bundesrepublik III. Wiesbaden: Springer VS, (1991), S. 151-173. [5] Schwedes, O.: Das berliner Mobilitätsgesetz. Ein entscheidender Beitrag zur Verkehrswende in der Hauptstadt! In: PLANERIN 6_18. Berlin: SRL Verlag, (2018), S. 52-53. [6] Blätte, A., Hohl, K.: Gestaltungsräume des Regierens in den Ländern. Landespolitik zwischen Marginalisierung, Blockade und Innovation. In: Korte, K. R., Grunden T. (Hrsg.): Handbuch Regierungsforschung. Wiesbaden: Springer VS, (2013), S. 207-218. [7] Umweltbundesamt (Hrsg.) Köder, L., Burger, A.: Umweltschädliche Subventionen in Deutschland, Dessau-Roßlau, aktualisierte Ausgabe 2016. [8] BMVI - Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: „Blaue Plakette wäre Einstiegsdroge“. Interview mit Andreas Scheuer von der Rheinischen Post am 29.03.2018. Online verfügbar unter: https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ RedenUndInterviews/ 2018/ Verkehr/ scheuer-interview-rheinischepost-29032018.html [9] Luhmann, N.: Politische Planung. In: Politische Planung. Springer, (1971), S. 66-89. [10] Prätorius, R.: Verwaltungskultur. In: Greiffenhagen, M., Greiffenhagen, S., Neller, K. (Hrsg.): Handwörterbuch zur politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland. Wiesbaden: Springer VS, (2002), S. 626-628. [11] Mazzucato, M.: Das Kapital des Staates. Eine andere Geschichte von Innovation und Wachstum. Verlag Antje Kunstmann, München, 2014. [12] Strößrenreuther, H., Kiesel, V., Graf, L.: Der Berlin-Standard: Moderne Radverkehrspolitik Made in Germany - Ein Bildband über Deutschlands erstes Mobilitätsgesetz. Röthenbach an der Pegnitz: Thiemo Graf Verlag, (2019), S. 38-45. [13] Landesregierung Berlin: Berlin gemeinsam gestalten. Solidarisch. Nachhaltig. Weltoffen. Koalitionsvereinbarung 2016-2021. Berlin. [14] Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung (Hrsg.): Berliner Mobilitätsgesetz vom 5. Juli 2018, §§ 1 Abs. 2, 4 Abs. 3, 5 Abs. 1. In: Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin, 74. Jahrgang Nr. 18 Berlin, (2018), S. 464ff. [15] Kunst, F.: Das Berliner Mobilitätsgesetz. In: PLANERIN, Heft 4_18. Berlin: SRL Verlag, (2018), S. 47-50. [16] SV V: Berlin braucht eine leistungsstarke Verwaltung. Abschlussbericht. Steuerungsgruppe zur Verbesserung der gesamtstädtischen Verwaltungssteuerung. Berlin, 2018. Online verfügbar unter https: / / www.berlin.de/ rbmskzl/ aktuelles/ pressemitteilungen/ 2018/ pressemitteilung.710823.php [17] Jungjohann, A.: Ökologisch regieren. Eine Analyse der Regierungspraxis von Bündnis 90/ Die Grünen im Feld der ökologischen Modernisierung. Demokratie, Band 51. Heinrich Böll Stiftung, 2019. [18] Bracher, T., Bührmann, S.,Hanke, S., Hertel, M., Weber, T.: Grundlegender Änderungsbedarf im Straßen- und Straßenverkehrsrecht. Anforderungen des Radverkehrs und Änderungsvorschläge. Sonderveröffentlichung. Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.). Berlin, 2018. Online verfügbar unter: https: / / difu.de/ publikationen/ 2018/ grundlegender-aenderungsbedarf-im-strassen-und.html [19] Häußermann, H.: Die Politik der Bürokratie: Einführung in die Soziologie der staatlichen Verwaltung. 1. Aufl. Frankfurt/ Main, New York: Campus Verlag, (1977), S. 92 ff.. [20] Ossenbühl, F.: Gesetz und Verordnung im gegenwärtigen Staatsrecht. In: Zeitschrift für Gesetzgebung 12, (1997), S. 305-320. [21] Tagesspiegel: Scheuer gegen Tempo 130 auf Autobahnen und höhere Dieselsteuer, 2019. Online verfügbar unter: https: / / www.tagesspiegel.de/ politik/ verkehrsminister-scheuer-gegen-tempo-130 -aufautobahnen-und-hoehere-dieselsteuer/ 23883502. html [22] Holz-Rau, C.: Verkehr und Verkehrswissenschaft. In: Schwedes, O. (Hrsg.): Verkehrspolitik. Wiesbaden: Springer VS, (2018), S. 115-139. [23] Rammert, A.: Verhaltensänderung als zentrale Herausforderung kommunaler Mobilitätsplanung. In: KommunalPraxis spezial, 4 (2018), S. 2. Wolters Kluwer. [24] Schwedes, O.: Das Leitbild einer integrierten Verkehrspolitik Teil der Lösung oder Teil des Problems? In: Schwedes, O. (Hrsg): Öffentliche Mobilität. Wiesbaden: Springer VS, (2014), S. 145-167 [25] Döhler, M.: Regulative Politik und die Transformation der klassischen Verwaltung. Politische Vierteljahresschrift : Sonderheft, 37 (2006), S. 208-227. https: / / nbn-resolving.org/ urn: nbn: de: 0168-ssoar-407156 [26] Reichard, C., Veit, S., Wewer, G.: Verwaltungsreform - eine Daueraufgabe. In: Veit, S., Reichard, C., Wewer, G. (Hrsg.): Handbuch zur Verwaltungsreform, Bd. 8. Wiesbaden: Springer Fachmedien, (2019), S. 1-13. AUTOREN Alexander Rammert Wissenschaftlicher Mitarbeiter Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung, TU Berlin, Kontakt: alexander.rammert@tu-berlin.de Benjamin Sternkopf Referent für Luftreinhalteplanung, Schwerpunkt Verkehr & Mobilität Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz Kontakt: Benjamin.Sternkopf@SenUVK.berlin.de 9 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES FORUM Veranstaltungen 9 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES Umweltfreundlich und effizient soll sie sein - und natürlich lebenswert: die Smart City. Trotz steigender Einwohnerzahlen, immer mehr Verkehr, wachsendem Energiebedarf und einem Mangel an Wohnraum. Mit diesem brennenden Thema befasst sich die SMART CITY SOLUTIONS vom 17. bis 19. September 2019 in der Messe Stuttgart. Eingebunden in die Geodäsie-Weltleitmesse INTERGEO will sie Impulse geben und Inspiration liefern für Städte, Lösungsanbieter und alle Smart-City-Denker. Themenschwerpunkte Da Einzellösungen aus einer Stadt noch keine Smart City machen, sorgen fünf Themenschwerpunkte für die nötige, ganzheitliche Betrachtung: Mobilität und Verkehr, Energie und Umwelt, Sicherheit und Resilienz, Stadt- und Raumplanung sowie Open Data und Datenmanagement. Im Mittelpunkt stehen Use Cases und Technologien von Städten und Lösungsanbietern. SMART CITY SOLUTIONS Konferenz Eine hochrangige Konferenz ergänzt die Messe. Mobilität und Energie, Sensordaten und Datenmanagement sowie Strategie, Sicherheit und Implementierung sind die Themenschwerpunkte. Zudem präsentieren Start-ups frische Ideen und Smart- City-Verantwortliche können sich in Weiterbildungsformaten fit machen für eines der bedeutendsten Themen unserer Zeit. Betreut wird der Konferenzteil aus dem wissenschaftlichen Umfeld von Fraunhofer. Part of INTERGEO Die SMART CITY SOLUTIONS ist co-located in die Geodäsie-Weltleitmesse INTERGEO. Eine befruchtende Verbindung, da präzise Geodaten die Grundlage jeder Smart-City-Lösung sind. Jetzt Ticket sichern Sichern Sie sich jetzt Ihr kostenfreies Messeticket im Wert von 90,- EUR! Geben Sie einfach den Gutscheincode SCS19-MP02 unter www.smartcitysolutions.eu/ tickets ein und registrieren Sie sich! part of Advertorial SMART CITY SOLUTIONS bringt Inspiration für die Stadt von morgen © intergeo 10 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation Lebensqualität und Sicherheit in der Smart City Digitale Transformation ermöglicht Echtzeit-Situationsbewusstsein und schnellere Entscheidungen Internet of Things, Vernetzung, Automatisierung, Multichannel-Kommunikation, Sicherheit, Lebensqualität Thomas Römer Smart Cities stecken noch in den Kinderschuhen, doch ihr Potenzial ist riesig. Eine Kombination aus Sensoren, Künstlicher Intelligenz (KI), Internet-of-Things (IoT)-Plattformen und Omnichannel-Kommunikation ermöglicht schnellere Reaktionszeiten bei kritischen Ereignissen und datengestützte Entscheidungen. So könnte die Lebensqualität und Sicherheit der Bevölkerung in der smarten Stadt der Zukunft nachhaltig erhöht werden. Smart City - alle Welt spricht bereits davon, doch in Wirklichkeit ist sie noch eine Zukunftsvision. Oder, um es mit anderen Worten zu sagen, ein riesiges Puzzle, von dem wir bislang nur einige Teile zusammengefügt haben, das große Bild jedoch noch nicht erkennen können. Einzelne Smart- City-Projekte gibt es bereits in vielen Städten und Gemeinden, doch insgesamt steht die Entwicklung noch am Anfang. Eine Studie des Innovator Clubs des Deutschen Städte- und Gemeindebundes und des TÜV Rheinland 1 kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass staatliche Fördermöglichkeiten zur Unterstützung der Digitalisierung, etwa zum Breitbandausbau, nicht genug genutzt werden. Zudem fehlt es häufig an personellen Ressour- 1 Innovators Club des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, TÜV Rheinland: Smart City Readiness Check (2019). cen und Know-how, um Projekte voranzutreiben und Vorhaben kurzfristig in die Tat umzusetzen. Dennoch hat die Entwicklung von Smart Cities Fahrt aufgenommen. Digitalisierungsprojekte in diesem Bereich haben stark zugenommen und sich weltweit zu einem zentralen Aspekt in der Städteplanung entwickelt. Laut einer Analyse von IoT Analytics 2 , in der 2018 weltweit 1600 IoT- Projekte untersucht wurden, war die Smart City mit 23 Prozent mit Abstand der wichtigste Anwendungsbereich - noch vor Industrie 4.0 oder autonomem Fahren. Allein die European Innovation Partnership for Smart Cities and Communities, eine von der EU- Kommission unterstützte Initiative, wird bis Ende 2019 bis zu eine Milliarde Euro investieren, um 300 Smart Cities in Europa zu verwirklichen. Mit den Bürgern Schritt halten Ziele bei vernetzten Städten sind der einfachere Zugang zu personifizierten und effizienteren öffentlichen Diensten, eine verbesserte Lebensqualität und höhere Sicherheit für alle Bürger. Diese sind meist schon sehr viel mehr in der digitalen Welt angekommen als die Gemeinden, in denen sie leben. Sie nutzen Smart-Home Lösungen, Sprachassistenten wie Siri oder Alexa und kommunizieren über eine Vielzahl unterschiedlicher Kanäle. Und sie erwarten von der Kommunalverwaltung, dass diese ebenfalls am Puls der Zeit ist. Egal ob es nur um einfache Dinge geht, die die Lebensqualität verbessern oder um Notsituationen: Sie möchten auf die Art und Weise mit Behörden kommunizieren und Anliegen komfortabel erledigen, wie es in den unterschiedlichsten 2 IoT Analytics: IoT Project List Of Enterprise IoT Projects 2018 (2018). © iStock 11 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation Situationen am sinnvollsten und komfortabelsten für den einzelnen Bürger ist. Um ihre Bürger zu erreichen und attraktiv zu bleiben, müssen Städte und Gemeinden deshalb ein Kommunikationsangebot mit einer Vielzahl von Kanälen anbieten und das Internet of Things (IoT), künstliche Intelligenz (KI) und Analytics stärker nutzen. Diese digitalen Tools ermöglichen es Behörden, ihre Arbeitsprozesse zu automatisieren und Services effizienter zu gestalten. Smart City-Lösungen kombinieren und automatisieren diese Bausteine, um unter Berücksichtigung des situativen Kontexts intelligente Verbindungen zwischen Menschen und Maschinen zu schaffen und die richtigen Informationen zur richtigen Zeit bereitzustellen. Sensoren und IoT-Plattformen sind für die Entwicklung von Smart Cities unumgänglich. Sensoren nehmen beispielsweise Geschehnisse oder kritische Ereignisse wahr und melden die Daten an IoT-Plattformen, die diese analysieren, daraus handlungsrelevante Informationen ableiten und automatisierte Prozesse anstoßen. Über Omnichannel-Kommunikationsmöglichkeiten können Einwohner oder Mitarbeiter in Echtzeit informiert werden und so wesentlich schneller auf Ereignisse reagieren sowie datengestützte Entscheidungen treffen als bei zeitaufwendigen manuellen Prozessen. Integriert man zudem Funktionen auf Basis von künstlicher Intelligenz (maschinellem Lernen), lernt die Lösung selbstständig aus jeder Interaktion hinzu und macht das System mit der Zeit noch effizienter. In vielen Fällen lassen sich die Lebensqualität und die Sicherheit der Bürger durch solche Anwendungen deutlich steigern: Smart Parking Viele Innenstädte sind chronisch überfüllt und wer nicht aufs Auto verzichten kann, schlägt sich häufig mit einer nerven- und zeitraubenden Parkplatzsuche herum. Eine Smart-Parking-Lösung kann mithilfe von Sensoren in Echtzeit verfügbare Parkplätze erfassen und diese Information Parkplatzsuchenden über eine IoT-Plattform auf verschiedene Arten zur Verfügung stellen, beispielsweise über klassische Textnachrichten oder digitale Kommunikationskanäle wie zum Beispiel per Webportal oder App. Ein Fahrer auf dem Weg ins Stadtzentrum könnte so vorab via bevorzugtem Kommunikationskanal den nächstgelegenen Parkplatz finden und reservieren - dank Übersetzungstechnologien ganz gleich in welcher Sprache oder welcher Wortwahl - sodass er für andere Nutzer als belegt gekennzeichnet wäre. Mit einem vollständig automatisierten Prozess könnte der Fahrer sogar automatisch für den Parkplatz zahlen. Diese Information ließe sich direkt an die Mobilgeräte von Mitarbeitern des Ordnungsamtes übermitteln, sodass diese auf ihren Rundgängen genau wüssten, ob ein Autofahrer ein gültiges Parkticket besitzt, selbst wenn kein Zettel hinter der Windschutzscheibe liegt. Zudem könnte der Fahrer eine Benachrichtigung erhalten, bevor die bezahlte Parkzeit abläuft und sie gegebenenfalls über den bevorzugten Kommunikationskanal verlängern, ohne dafür zum Auto zurückkehren zu müssen. Verbesserung der Luftqualität Auch die schlechte Luftqualität ist in vielen Großstädten ein beständiges Problem. Hier können Smart City-Lösungen die Stadtverwaltung unterstützen. Nehmen Sensoren beispielsweise die Überschreitung bestimmter Grenzwerte wahr, könnten diese Informationen über eine IoT- Plattform gesammelt, analysiert und der Stadtverwaltung in Echtzeit zur Verfügung gestellt werden. Somit könnte die betroffene Bevölkerung über verschiedenste Kommunikationskanäle, wie zum Beispiel Social Media, Text/ Push- Nachrichten oder Digital Signage, direkt informiert werden und notwendige Maßnahmen können sofort eingeleitet werden, um dem anstehenden Problem entgegenzusteuern. Werden die Grenzwerte bei der Luftqualität überschritten, könnte die Stadt ihre Bürger über verschiedene Kommunikationskanäle ermutigen, auf öffentliche Verkehrsmittel oder Elektrofahrzeuge umzusteigen oder Fahrverbote für bestimmte Fahrzeuge verhängen. Automatische Alarmierung bei Gaslecks Die Verkürzung der Reaktionszeit und die effiziente Koordination ist bei Angelegenheiten der öffentlichen Sicherheit von zentraler Bedeutung, beispielsweise bei Gaslecks in Wohnhäusern. Auch hier können automatisierte Prozesse einen entscheidenden Beitrag leisten. Sobald ein Gasleck von einem IoT-Sensor registriert wird, ist es möglich, die Hausbewohner und den Gasversorgerautomatisch zu benachrichtigen. Der Sensor übermittelt dann sowohl Informationen zu seinem Standort als auch weitere relevante Daten, etwa den Zeitpunkt des Gasaustritts, die Lage des Gebäudes, des zentralen Gashahns oder zur Anzahl der Parteien oder potenziell im Haus anwesenden Personen. Auf Basis dieser Informationen können kritische Entscheidungen schneller getroffen werden, um 12 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation den Schaden zu beheben und die Gefahr für die Anwohner zu minimieren. Die Protokolle von Vorfällen können auch dazu verwendet werden, den gesamten Prozessablauf zu analysieren und anschließend zu dokumentieren, was auch für die Versicherungswirtschaft interessant wäre. Anleitung in Notsituationen In außergewöhnlichen Situationen und Notfällen wird die Stärke von automatisierten Prozessen und vernetzten Geräten besonders deutlich - beispielsweise wenn sie dabei helfen, Leben zu retten. Wenn eine Person unterwegs plötzlich lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen oder gar einen Herzstillstand erleidet, könnten Begleiter oder Passanten mit einem „intelligenten“ externen Defibrillator helfen. Defibrillatoren, die mit den Anwendern sprechen und ihnen Anweisungen geben, gibt es bereits, sogenannte automatisierte externe Defibrillatoren (AEDs). Würde man diese Geräte über Sensoren direkt mit dem entsprechenden Notdienst vernetzen, könnte dies bei der Rettung von Leben einen bedeutenden Unterschied machen. Aktuell gibt es Apps, die Nutzer zum nächstgelegenen Defibrillator navigieren. Wenn die Geräte jedoch nicht vernetzt sind, können sie vorab keine Information darüber abgeben, ob sie auch tatsächlich einsatzbereit sind. Außerdem wissen viele Menschen, die sich urplötzlich in einer derartigen Situation befinden und unter großem Stress stehen, nicht um die richtige Handhabung eines solchen Gerätes. Mit einer Verbindung zu lokalen Notfall- Kommunikationss ystemen könnten Status-Updates zur Akkulaufzeit oder zu anstehenden Routineüberprüfungen an Notdienste übermittelt werden. Auch wenn ein Gerät gerade aktiv genutzt, könnte es Informationen zum aktuellen Nutzungsstadium an den Notdienst weiterleiten, wie „AED-Gehäuse geöffnet“ oder „Panels geladen“. Dort hätten die Mitarbeiter einen schnelleren und vollständigen Überblick über die Lage, könnten unerfahrene Nutzer durch die Bedienung leiten und schneller eingreifen. Um diese neue Generation lebensrettender Geräte Wirklichkeit werden zu lassen und um Kooperationsmöglichkeiten zu erkunden, sucht Avaya aktuell Anwendungsentwickler, Regierungsorganisationen und AED- Hersteller. Voraussetzungen schaffen Es gibt noch etliche Anwendungsszenarien für automatisierte Prozesse in den intelligenten Städten der Zukunft - etwa smarte Abfallcontainer, automatisierte Wasserwerke oder intelligente Beleuchtung. Das Internet der Dinge bietet ein großes Potenzial, alltägliche Vorgänge durch vernetzte Sensoren und Automatisierungslösungen smarter, effizienter und interaktiver zu machen. Nun liegt es an den Städten, diese Chancen zu nutzen, um ihren Bürgern mehr Sicherheit und eine höhere Lebensqualität zu bieten und somit auch die eigene Attraktivität als Wohnort zu steigern oder zu erhalten. Robuste IoT-Plattformen zur Analyse und Aufbereitung von Daten sind die Basis für die Automatisierung von Arbeitsprozessen und für die Bereitstellung handlungsrelevanter Informationen über klassische und digitale Kommunikationskanäle. Moderne Omnichannel-Kommunikationslösungen tragen außerdem dazu bei, Städte und Gemeinden besser mit ihren Einwohnern zu vernetzen. So können das Situationsbewusstsein von Bürgern und Behörden auf Echtzeit-Niveau gebracht und Entscheidungen schneller getroffen werden, was besonders in kritischen Situationen einen wichtigen Vorteil bietet und den Alltag auf vielfältige Weise erleichtern kann. Voraussetzungen für die Entwicklung zur Smart City sind sicherlich eine flächendeckende Infrastruktur und Personal mit entsprechendem Know-How. Hier ist die Politik gefragt, auch um eventuelle Hürden bei Förderungsmöglichkeiten für Städte abzubauen. Andererseits müssen Städte und Gemeinden durch Weiterbildungsmöglichkeiten in ihre Mitarbeiter investieren sowie Beratungsangebote zu Kommunikations- und Smart City-Lösungen nutzen, um ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen zu können. Weiterführende Informationen sind in einem Whitepaper zusammengestellt unter: https: / / www.avaya.com/ de/ smartcity/ Thomas Roemer Corporate Solutions Technologist Director Avaya Deutschland GmbH Kontakt: throemer@avaya.com AUTOR Defibrillator. © iStock 13 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation schen vernetzten Fahrzeugen, oder der derzeit noch im Aufbau befindlichen vernetzten Verkehrsinfrastruktur. Ziel ist hier, die Einrichtung eines Intelligent Transport-Systems, das über kurz oder lang die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer erhöhen und Zentrale Schutzlösung für vernetzte Fahrzeuge Das Automotive-SOC der Telekom Christian Olt, Friedrich Tönsing Die zunehmende Vernetzung von Fahrzeugen bringt für Hersteller wie Autofahrer zahlreiche Vorteile mit sich. Die Hersteller erhalten Daten zur Verbesserung ihrer Produkte und Services, die Autofahrer zusätzlichen Komfort und eine gesteigerte Nutzerfreundlichkeit. Doch birgt die wachsende Vernetzung der Fahrzeuge auch ein Risiko: Cyber-Kriminellen eröffnet sie immer breitere Angriffsflächen, um in die IT-Systeme der Fahrzeuge einzudringen und diese zu manipulieren. Die Hersteller haben deshalb längst begonnen, IT-Sicherheitskomponenten in ihre Fahrzeuge zu integrieren. Doch wie immer in der Informationstechnologie können auch diese Maßnahmen keinen hunderprozentigen Schutz gewährleisten. Zusätzlich wird ein System benötigt, das vernetzte Fahrzeuge und zugehörige IT-Systeme über Jahrzehnte hinweg, rund um die Uhr betreut, Cyber-Angriffe analysiert, sowie die Abwehr stets auf dem aktuellen Stand der Sicherheitstechnik hält - ein Automotive Security Operations Center, kurz: Automotive-SOC. In den vergangenen drei Jahrzehnten haben viele IT-Komponenten Einzug in Fahrzeuge gehalten. Den Anfang machten elektronische Komponenten und Anschlüsse für den digitalen Austausch von Fahrzeugdaten in den frühen 1990er Jahren. Es folgten die Einbauten von Infotainment- Systemen, Autotelefon-Systemen und schließlich von ganzen Sensoranlagen. In den letzten Jahren kam dann noch die sogenannte „vehicle-to-everything“ (V2X)- Verbindung hinzu. Sie ermöglicht den Datenaustausch zwi- © Gerd Altmann auf Pixabay 14 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation me ebenfalls über für IT-Systeme ungewöhnlich lange Zeiträume zur Verfügung gestellt und regelmäßig aktualisiert werden müssen. Daher ist es für Hersteller empfehlenswert, den Aufbau einer zentralen Stelle einzuplanen, wo alle Daten der vernetzten Fahrzeugflotte zusammenlaufen, analysiert, und auf mögliche Angriffe untersucht werden. Zudem findet die sichere, automatische Auffrischung der Angriffsdetektionssysteme von dort aus statt. Durch den Einsatz eines Automotive Security Operations Center wird es ihnen möglich, ihren Kunden eine effektive, rund um die Uhr einsatzbereite, ganzheitliche Cyber-Abwehr für ihre vernetzten Fahrzeugsysteme zur Verfügung zu stellen - über Zeiträume von Jahren und Jahrzehnten. Mit einem Automotive-SOC die Fahrzeugsecurity über Jahrzehnte im Griff Ein Automotive-SOC operiert ähnlich wie ein reguläres Security Operations Center. Doch ist es ganz auf die spezielle IT-Infrastruktur von Fahrzeugen ausgelegt. Eingerichtet als zentrale Schnittstelle, kann es schnell auf Bedrohungen reagieren und problemlos ganze Fahrzeugflotten umfassend vor Angriffen schützen. Kernelement des Automotive-SOC ist ein Security Information and Event Management System (SIEM). In Echtzeit analysiert es die eingehenden anonymisierten und pseudonymisierten Daten der einzelnen Glieder der Fahrzeugflotte und fertigt auf Basis dieser Daten nützliche Sicherheitsreports an. Stößt es auf eine verdächtige Anomalie, meldet es diese dem hochspezialisierten Automotive-SOC-Team. Dieses setzt sich aus IT-Experten der Bereiche IT-Sicherheit und IT-Automotive zusammen. Sie erkennen und minimieren bestedie Verkehrsflüsse reibungsloser gestalten wird. Gesteuert wird diese komplexe, digitale Infrastruktur der vernetzten Fahrzeuge über Steuergeräte im Fahrzeug selbst und Car2X-Komponenten, wie beispielsweise smarte Ampeln. Wer sie kontrolliert, kann auch einzelne Komponenten des Wagens - im Extremfall auch das gesamte Fahrzeug - kontrollieren. Ein erhebliches Risiko für Hersteller wie Fahrzeughalter. Denn die Zahl der Cyber-Angriffe auf die Automotive-IT hat in den vergangenen Jahren merklich angezogen. Die Risiken der Vernetzung Um rund 600 Prozent, so Upstreams Automotive Cybersecurity Report 2019, habe zwischen 2010 und 2018 die Zahl der von Herstellern gemeldeten automotive-Hacks zugenommen, wie auch das Wissen der Hacker um die vernetzten Automobilkomponenten sich Jahr für Jahr steigerte. Die wichtigste Erkenntnis des Reports lautet jedoch: 2018 hat die Anzahl der von Black Hat-Hackern verübten Angriffe erstmals diejenige der von White Hat-Hackern verübten Cyber-Attacken übertroffen. Der Report geht deshalb davon aus, dass die Automobilindustrie allein innerhalb der nächsten fünf Jahre mit zusätzlichen Kosten durch Hacker-Angriffe von rund 24 Milliarden US-Dollar zu rechnen habe. Ein erfolgreicher Angriff könne im Extremfall bereits Kosten von mehr als einer Milliarde US-Dollar verursachen. Nicht zuletzt, da ein erheblicher Teil von Fahrzeughaltern immer noch deutliche Vorbehalte gegenüber der Sicherheit vernetzter Fahrzeuge hegt. Mehr als 50 Prozent der deutschen wie auch der US-amerikanischen Autofahrer würden derzeit nicht in ein vollautonomes Fahrzeug einsteigen wollen - aus Angst vor technischem Versagen oder einem Hacker-Angriff. Mit entsprechend gravierenden Folgen müssen Hersteller im Falle eines erfolgreichen Angriffs rechnen - selbst, wenn nur eines ihrer Modelle betroffen sein sollte. Laut der 2017 vom TÜV Rheinland durchgeführten Studie Autonomes Fahren, würden 66 Prozent der deutschen, 61 Prozent der US-amerikanischen und 60 Prozent der chinesischen Autofahrer nach einer erfolgreichen Cyber- Attacke auf ein Fahrzeug ihres Herstellers sofort die Automarke wechseln wollen. Umfassender Schutz für vernetzte Fahrzeuge Ein umfassender Schutz der Fahrzeug-IT ist deshalb für jeden Hersteller unerlässlich, will er nicht seine Kunden - und damit Marktanteile - unnötig aufs Spiel setzen. Bereits heute wird von Herstellern in aller Welt auf die Sicherheit der in ihren Fahrzeugen verbauten IT-Komponenten geachtet, beispielsweise integrieren sie Angriffsdetektionssysteme in ihre Fahrzeug-IT. Auch sind Hersteller mit der Tatsache konfrontiert, dass Fahrzeughalter ihre Wagen im Schnitt über mehrere Jahre, nicht selten sogar mehr als ein Jahrzehnt, im Einsatz haben. Für vernetzte Fahrzeuge bedeutet dies, dass Patches und Updates für die Systemsoftware und die automatischen Angriffsdetektionssyste- SOC Telekom Security-Bonn. © Telekom Security hende Risiken, wehren Angriffe ab und unternehmen die erforderlichen Folgeuntersuchungen. Hierbei greifen sie nicht allein auf die Daten der Fahrzeuge zurück. Auch sogenannte Honeypots, Attrappen möglicher Ziele, werden von ihnen aufgestellt, um Angreifer anzulocken, ihre Strategien und Taktiken zu analysieren und geeignete Gegenmaßnahmen zu erproben. Darüber hinaus stehen sie auch in ständigem Austausch mit anderen IT-Sicherheitsexperten und IT-Automotive-Experten. So reduziert das Automotive-SOC das Risiko, dass Cyber-Kriminelle unbemerkt Malware platzieren, Daten abgreifen, Fahrzeugkomponenten, einzelne Fahrzeuge oder sogar eine Fahrzeugflotte übernehmen können. Doch ist der Aufbau eines effektiven Automotive-SOC eine komplizierte Angelegenheit. Zudem sind Automotive- und IT-Sicherheitsexperten spärlich gesäht. Aus diesem Grund kann es für Hersteller sinnvoll sein, beim Aufbau einer passenden Automotive-SOC- Lösung die Hilfe eines externen Spezialisten in Anspruch zu nehmen, wie sie auch Telekom Security anbietet. Fazit: Mit Telekom Security zum passenden Automotive-SOC Um ein Automotive-SOC erfolgreich aufzubauen und effektiv zu betreiben, ist eine erhebliche Menge an Erfahrungen und Spezialwissen erforderlich. Telekom Security verfügt über beides. Seit Ende 2017 betreibt der Sicherheitsdienstleister in Bonn, sowie an weiteren Standorten im In- und Ausland, ein global operierendes Security Operations Center. Rund um die Uhr überwachen hier rund 200 IT-Sicherheitsspezialisten die IT-Systeme der angeschlossenen Kunden. In diesem Jahr wird das Center nun um einen Spezialbereich erweitert: das neue Telekom Automotive-SOC. Damit erhalten nun erstmals auch Fahrzeughersteller die Möglichkeit, vom Wissen und der Erfahrung der Telekom Security zu profitieren. Auf dem IT-Sektor der Automobilindustrie sind die Experten der Telekom sogar schon länger im Einsatz. Mittlerweile greifen 13 der weltweit 20 größten Fahrzeughersteller, ihre internationalen Zulieferer sowie mehr als 3000 Autohäuser auf die Automotive-Experten der Geschäftskundensparte der T-Systems zurück, um Unterstützung bei der Entwicklung sicherer vernetzter und autonomer Fahrzeuge zu erhalten. Künftig können sie zusätzlich die Hilfe des Telekom Automotive-SOCs in Anspruch nehmen; ob lediglich zur Unterstützung beim komplizierten Aufbau eines eigenen Automotive-SOC oder um einzelne SOC-Servicelösungen dort einzukaufen - von der Analyse einzelner Sicherheitsvorfälle bis zum kompletten Service des Telekom Automotive-SOC. Wie die Hersteller sich auch entscheiden mögen, dank der Unterstützung des Telekom Security Automotive-SOC werden sie die Sicherheit ihrer vernetzten Fahrzeuge maßgeblich erhöhen. AUTOREN Christian Olt Senior Security Manager Automotive & Manufacturing T-Systems Kontakt: Christian.Olt@telekom.de Dr. Friedrich Tönsing Programm-Management Smartcards, Public Business & Innovations Telekom Security Kontakt: Friedrich.Toensing@t-systems.com Maßgeschneidertes Energiedatenmanagement Flexible Visualisierung und Bedienung der Wasserversorgung Steuerung und Überwachung des öffentlichen Nahverkehrs Gebäudeautomation www.copadata.com/ smartcity Mehr Infos? Schreiben Sie an: smartcity@copadata.com Microsoft Partner of the Year: 2016 Public Sector: CityNext 2017 Internet of Things (IoT) Winner Realisieren Sie Ihre Smart City mit der Softwareplattform zenon Make your life easier. 16 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Ob fiktiver Roman oder realer Katastrophenplan der Bundesregierung: Beide beschreiben die Gefahren und Auswirkungen eines kompletten Stromnetzausfalls. Veranschaulicht der Thriller die katastrophalen Folgen, fokussieren sich die behördlichen Maßnahmen auf die Schadensbegrenzung und vor allem auf Prävention. Für Versorgungsunternehmen und Netzbetreiber liegen daher nicht nur Richtlinien und Umsetzungspläne wie Kritis für kritische Infrastrukturen vor, sondern verbindliche Gesetze mit Erfüllungsfristen. Schon vor einiger Zeit ist den Städten und Gemeinden die Verantwortung für die kommunale IT-Sicherheit (DIN ISO/ IEC 27001) und Netzstabilität (EnWG Teil 3, §§ 13 und 14) übertragen worden. Aufgrund der Rekommunalisierung müssen also nicht nur die großen Stromversorger und Transportnetzbetreiber Sorge für die Netzstabilität in Deutschland tragen. Erfassung und Überwachung aller relevanten Daten Das Bundesamt für Sicherheit der Informationstechnik (BSI) hat für 2018 eine deutliche Zunahme von Sicherheitsmeldungen von Betreibern kritischer Infrastrukturen registriert. Der BSI-Sprecher betont dabei, dass die Zahl der Meldungen von IT-Sicherheitsvorfällen nicht mit der Zahl von Cyberangriffen gleichgesetzt werden dürfe. Gemeldet werden ebenfalls technische Fehler der IT-Infrastruktur. Der Verband kommunaler Unternehmen- e. V. (VKU) schätzt die Gefahr von Hackerangriffen und den damit verbundenen Ausfall oder die Beeinträchtigung des Versorgungsnetzes als gering ein. Einer Umfrage zufolge werden bisher nur wenige Angriffe pro Monat auf entsprechende IT-Systeme verzeichnet, die keinen größeren Schaden anrichten. Laut VKU resultiert das hohe Sicherheitsniveau daraus, dass rund zwölf Prozent der kommunalen Unternehmen bereits ein Information Security Management System (ISMS) eingeführt haben und mehr als 60 Prozent der Versorger dies planen. Ferner werden die Mitarbeiter gezielt in den Umgang mit den informationstechnischen Systemen eingewiesen. 60 Prozent der Unternehmen lassen ihre Beschäftigten außerdem regelmäßig schulen. Ungeachtet der gesetzlichen Verpflichtungen wollen über 90 Prozent der kommunalen Versorger künftig zusätzliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr ergreifen. Neben dem Schutz vor Manipulationen durch Hacker sowie einem eventuell damit einhergehenden Blackout misst der VKU dem Auf- und Ausbau digitaler Verteilnetze eine große Bedeutung zu. Denn um Versorgungssicherheit zu erreichen und Netzschwankungen Hohe Verfügbarkeit der Versorgungsnetze sichergestellt SHDSL-basierte Ethernet-Extender Energieversorgung, Kritische Infrastrukturen, Sicherheit Rüdiger Peter Bislang hat es noch keinen totalen Blackout im deutschen Stromnetz gegeben. Der durch heftige Schneefälle verursachte Stromausfall in Teilen Nordrhein-Westfalens und Niedersachsens im November 2015 zeigt jedoch, wie sensibel die Versorgungsnetze sind. Neben naturbedingten Einflüssen bedrohen weitere, menschliche Faktoren die Versorgungssicherheit. „Kommunale Unternehmen sind Betreiber kritischer Infrastrukturen (KRITIS) und unterstehen damit besonderen Anforderungen zur Verhinderung von flächendeckenden Blackouts“ , so der Verband Kommunaler Unternehmen e.V. ( VKU). © Phoenix Contact 17 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur vorzubeugen, müssen im gesamten Verteilnetz alle relevanten Daten erfasst und überwacht werden (Bild 1). Verwendung bestehender Zweidraht-Leitungen Im Zuge der seit 2015 vom Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) geforderten Installation eines E E G - E i n s p e i s e m a n a g e m e n t s zur Aufnahme und Regelung der Energiedaten nutzen viele kommunale Unternehmen die Situation zur Modernisierung ihrer Außenstationen. Diese sind historisch bedingt häufig noch autark aufgebaut. Ihre Steuerung und Regelung erfolgt typischerweise dezentral über ein serielles Protokoll auf Basis des IEC-Standards 60870-5-101, was die Möglichkeiten der Datenerfassung und -überwachung einschränkt. Moderne Steuerungen verwenden hingegen oftmals das leistungsstärkere TCP/ IP-Protokoll, beispielsweise den IEC-Standard 60870-5-104. So lassen sich nicht nur umfangreiche Energiedaten aufnehmen, sondern Prozesse dynamisch überwachen, sodass der Anwender bei sich abzeichnenden Störungen zeitnah präventiv eingreifen kann. Aus der Ethernet-Kommunikation ergeben sich allerdings auch neue Herausforderungen. Beispielsweise ist der Einsatz speziell geschirmter Ethernet- Leitungen notwendig, die eine Distanz von maximal 100 Meter überbrücken. Sind größere Distanzen zu überwinden, können alternativ Glasfaserkabel und entsprechende Konverter genutzt werden. Eine deutlich günstigere Möglichkeit stellen Ethernet-Extender zur Verfügung, da sie die Verwendung bestehender Zweidraht-Leitungen erlauben, zum Beispiel von nicht mehr eingesetzten Telefonleitungen. Unterstützen die Extender den SHDSL-Standard (Symmetrical High-speed Digital Subscriber Line), lassen sich Reichweiten von maximal 20 Kilometer je SHDSL- Segment überbrücken. Dabei sind Datenraten bis 15 MBit/ s möglich. In der Regel folgt das Kommunikationsnetz dazu der Versorgungstopologie, etwa von der Netzleitstelle über die nahegelegene Gasdruckregelstation bis zum nachfolgenden Wasser- oder Umspannwerk (Bild 2). Installation eines Streckenredundanzkonzepts Mit Blick auf das Internet of Things (IoT) sollte beim Kauf von Konvertern und Extendern darauf geachtet werden, dass sie die spätere Einbindung weiterer Stationen erlauben. Zur Steigerung der Verfügbarkeit des Kommunikationsnetzes bietet sich zudem die Installation eines Streckenredundanzkonzepts an. Hierbei wird im Übertragungsnetz eine Bild 1: Das Energiedatenmanagement und die Prozessdaten für Gas, Wasser und Strom werden zentral in der Leitwarte verarbeitet. © Phoenix Contact Bild 2: In Lübeck folgen die Kommunikationsnetze der Versorgungstopologie. © Phoenix Contact 18 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Ringstruktur aufgebaut, die bei einer Streckenunterbrechung verhindert, dass einzelne Außenstationen nicht mehr erreichbar sind. Die verwendeten Ethernet- Switches, Glasfaser-Konverter oder Ethernet-Extender müssen jedoch ein entsprechendes Redundanzprotokoll umfassen. Ein solches Protokoll unterbindet, dass die ständige Weiterleitung ein und desselben IP-Telegramms das gesamte IP-Netz zum Erliegen bringt. Konverter und Extender nutzen hierzu meist eigene Redundanzprotokolle, was die Inbetriebnahme vereinfacht, weil die Geräte die Redundanzkommunikation untereinander ohne separate Konfiguration durchführen. Moderne Ethernet-Komponenten stellen darüber hinaus häufig das Rapid Spanning Tree Protocol (RSTP) zur Verfügung. So können herstellerübergreifend redundante Ring- oder Punkt-zu- Punkt-Topologien implementiert werden. RSTP managt die redundanten Netzwerkpfade und (de-) aktiviert diese je nach Bedarf - zum Beispiel beim Ausfall einer Strecke -, sodass sich die Verfügbarkeit des Netzes erhöht. Schutz vor unbefugten Zugriffen Wie bereits eingangs aufgeführt, schätzt der VKU die aktuelle Gefahr durch Hacker zwar gering ein, möchte das hohe Sicherheitsniveau der Versorgungsunternehmen aber auch zukünftig erhalten. Im Hinblick auf die Integrität der Datennetze im Versorgungsnetzwerk geht der Trend daher schon heute zu einer Endto-End-Verschlüsselung. Die Daten werden also bereits in der im Umspannwerk verbauten Steuerung verschlüsselt und erst am Leitrechner in der Netzleittechnik wieder entschlüsselt. Zu diesem Zweck wird meist ein VPN-Tunnel (Virtual Private Network) verwendet. An zentralen neuralgischen Übergabestellen kommt außerdem ein sogenannter Sicherheitsrouter zum Einsatz. Dessen umfangreiche Firewall-Mechanismen sorgen für ein hohes Maß an Zugriffssicherheit (Bild 3). Als häufige Schwachstelle in einem solchen Kommunikationsnetzwerk zeigen sich unverschlüsselte und ungeschützte Ethernet-Strecken. Über sie kann ein potenzieller Angreifer nahezu unbegrenzt in das Datennetz eindringen. Als wesent- Bild 3: Unmanaged Ethernet-Extender (unten links), der nachgelagerte Managed Ethernet-Extender (oben links) und der Sicherheitsrouter (oben rechts) © Phoenix Contact Bild 4: Durch das Einrichten virtueller Netze ( VL AN) im Ethernet-Extender- System lässt sich der Zugriff der Ethernet-Endgeräte individuell begrenzen; die Kommunikation ist anschliessend nur noch innerhalb eines VL AN möglich © Phoenix Contact 19 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur lich schwieriger erweist sich der Zugang über Glasfaser- und SHDSL-Leitungen, denn durch die Über tragungs ar t / -modulation und Verschlüsselung ist ein direkter Zugriff auf die enthaltenen Informationen oder angeschlossenen IP-Netzwerke nicht möglich. Der Angreifer müsste direkt über den LAN-Port am jeweiligen Gerät gehen und dazu vorab den Objektschutz sowie die Sperren am Schaltschrank überwinden. Dieses IT-Sicherheitsrisiko lässt sich ebenfalls minimieren, und zwar mit Standard-Ethernet-Funktionen wie SNMP (Simple Network Management Protocol). Durch eine entsprechende Alarmierung beim Ethernet-Link Up/ Down kann ein neuer, unautorisierter Netzwerkteilnehmer schnell lokalisiert und Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Trennung in logische Teilnetze Unterstützen die Ethernet-Komponenten darüber hinaus VLAN (Virtual Local Area Network), lässt sich der Zugriff auf die Ethernet-Endgeräte individuell beschränken. Über ein VLAN können gemeinsam genutzte physische Netzwerke in logische Teilnetze getrennt/ isoliert werden. Die Kommunikation ist anschließend nur innerhalb des jeweiligen VLANs möglich, was die Sicherheit im gesamten Netzwerk erhöht. Als Beispiel sei ein Ethernet- Extender genannt, der in einer Gasstation installiert ist und via SHDSL mit weiteren Außenstationen (Gas, Wasser, Strom) in Verbindung steht (Bild 4). Der LAN- Port des Extenders wurde für VLAN 100 konfiguriert. Kommt an diesem LAN-Port ein Standard-IP-Telegramm von der Steuerung an, erhält es den Vermerk „VLAN 100“ und wird auf SHDSL ausgegeben. Gemäß IEEE 802.1q werden dem Standard-Ethernet- Frame hierbei VLAN-spezifische Informationen zugefügt, sodass es sich um 4 Byte verlängert. Das IP-Telegramm wird also um ein „VLAN-Tag“ ergänzt. Das getaggte IP-Telegramm „VLAN 100“ durchläuft das komplette Kommunikationsnetzwerk so lange, bis es auf ein VLAN-konfiguriertes Ethernet-Gerät trifft, welches das gemäß „VLAN 100“ getaggte Telegramm ausgeben darf. Beim Ausgeben verliert das getaggte IP-Telegramm sein VLAN-Tag und verhält sich danach wieder wie ein Standard-IP-Telegramm. Vergibt der Anwender für die unterschiedlichen Außenstationen verschiedene VLAN-Kennungen, trennt/ isoliert er die Netze voneinander. Im Gegensatz zu einem nicht-VLAN-konfigurierten Netz ist nun der Zugriff nur von einer Gasstation auf alle anderen Gasstationen möglich. So wird die Integrität der einzelnen Netze deutlich gesteigert. Fazit Systeme werden dann als missionskritisch bezeichnet, wenn sie für ein Vorhaben (Mission) von entscheidender Bedeutung sind. Mit Blick auf die Versorgungssicherheit von Gas, Wasser und Strom gilt das einerseits für die eigentlichen Versorgungsnetze und die damit einhergehende Netzstabilität. Um diese jedoch sicherzustellen, werden immer mehr Daten benötigt, die intelligente Netzwerke und ein Energiedatenmanagement bereitstellen. Die dazu erforderlichen Datennetze müssen im Hinblick auf ihre eigene Integrität ebenfalls als missionskritisch bewertet werden. Die „Mission Critical Networks“ im Versorgungs- und Datennetz werden so gerade für kleinere und mittelgroße kommunale Unternehmen zu einer echten Herausforderung. Mehr Informationen: w w w. p h o e n i xco nta c t . n e t / w e b code/ #0943 Rüdiger Peter Produktmanager Bereich Telecommunication Interfaces Phoenix Contact Electronics GmbH Kontakt: info@phoenixcontact.de AUTOR WISSEN FÜR DIE STADT VON MORGEN Digitalisierung versus Lebensqualität Big Data | Green Digital Charter | Kritische Infrastrukturen | Privatheit | Sharing-Systeme 1 · 2016 Was macht Städte smart? URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Mit veränderten Bedingungen leben Hochwasserschutz und Hitzevorsorge | Gewässer in der Stadt | Gründach als urbane Klimaanlage |Baubotanik 1 · 2017 Stadtklima URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Lebensmittel und Naturelement Daseinsvorsorge | Hochwasserschutz | Smarte Infrastrukturen | Regenwassermanagement 2 · 2016 Wasser in der Stadt URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Verbrauchen · Sparen · Erzeugen · Verteilen Energiewende = Wärmewende | Speicher | Geothermie | Tarifmodelle | Flexible Netze | Elektromobilität 2 · 2017 2 · 2017 Stadt und Energie ISSN 2366 7281 g URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Erlebnisraum - oder Ort zum Anbau von Obst und Gemüse Urban Farming | Dach- und Fassadenbegrünung | Grüne Gleise | Parkgewässer im Klimawandel 3 · 2016 Urbanes Grün URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN MMMMMMMMMMM HHHHo Hoc Hoc Hoc c UURBANE SYSTE NE SYS ST Die Lebensadern der Stadt - t für die Zukunft? Rohrnetze: von Bestandserhaltung bis Digitalisierung | Funktionen von Bahnhöfen | Kritische Infrastrukturen 4 · 2016 Städtische Infrastrukturen URBANE SYSTEME IM WANDEL. 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DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Energie, Wasser und Mobilität für urbane Regionen Mieterstrom | Solarkataster | Wärmewende | Regenwassermanagement | Abwasserbehandlung | Mobility as a Service 2 · 2018 Versorgung von Städten URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Zunehmende Verdichtung und konkurrierende Nutzungen Straßenraumgestaltung | Spielraum in Städten | Grüne Infrastruktur | Dach- und Fassadenbegrünung | Stadtnatur 3 · 2018 Urbane Räume und Flächen URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Daseinsvorsorge für ein funktionierendes Stadtleben Urbane Sicherheit | Mobilität im Stadtraum | Zuverlässige Wasser- und Energieversorgung | Städtische Infrastruktur 4 · 2018 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Gesund und sicher leben in der Stadt Gesund und sicher leben in der Stadt www.transforming-cities.de/ einzelheft-bestellen | www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren 20 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen Eine immer häufiger eingesetzte Technik in der Trinkwasseraufbereitung zur Entfernung von Verunreinigungen im Wasser ist die Umkehrosmose (RO - Reverse Osmosis). In Deutschland wird die RO zur Trinkwasseraufbereitung derzeit hauptsächlich zur Enthärtung, Nitrat-/ Sulfatentfernung sowie zur Entfernung von Mikroschadstoffen eingesetzt. Hier wird mit einem Druck von 8 - 15 bar gearbeitet. Man spricht in diesem Fall auch von einer Niederdruck-Umkehrosmose-Anlage (LPRO - Low Pressure Reverse Osmosis) (Bild 1). Außerdem wird RO zur Meerwasserentsalzung eingesetzt. Hier werden je nach Salzkonzentration Drücke bis zu 100 bar benötigt, um das Salz aus dem Wasser zu entfernen, wodurch ein erheblicher Energieaufwand notwendig wird [1]. Die Membrane der RO trennen unselektiv, das heißt, es werden immer mehrere Aufbereitungsziele erreicht. So geht Enthärtung auch immer mit Entsalzung einher. Beim RO-Verfahren wird das Prinzip der Osmose genutzt - die einseitige Diffusion von Wasser durch eine semipermeable Membrane. Die Fließrichtung geht von der niedrig konzentrierten Lösung zur höher konzentrierten Lösung, mit dem Bestreben nach einem Konzentrationsausgleich zwischen den beiden Lösungen. Die Umkehrosmose verläuft umgekehrt: Wasser in der höher konzentrierten Lösung wird durch eine semipermeable Membran zur niedrig konzentrierten Lösung transportiert. Für diesen Vorgang ist Energie notwendig. In der Praxis wird dabei der Druck durch Pumpen erzeugt, wodurch das Wasser sozusagen entgegen des Konzentrationsgefälles „gedrückt“ wird. Die Membran hält die Wasserinhaltsstoffe auf der einen Seite zurück und lässt das Wasser passieren. Das Rohwasser wird somit in Permeat (gereinigtes Wasser) und Retentat (Konzentrat, mit den zurückgehaltenen Wasserinhaltsstoffen) getrennt (Bild 2). Meist bestehen die Membranen aus porösen Polymeren entweder als Wickel- oder Hohlfasermodule (Bild 3). Die Membranporen haben im Mittel einen Durchmesser von 0,5 bis 1 nm, sind also nur geringfügig größer als ein Wassermolekül (0,3 nm). Städte im Krisenmodus Trinkwasseraufbereitung in der Zukunft Wasserversorgung, Wasseraufbereitung, kritische Infrastrukturen, Energieversorgung, Netzersatzanlagen, Versorgungssicherheit Wolfgang Sontheim Die Anforderungen an eine sichere Trinkwasserversorgung sind seit der Industrialisierung massiv gestiegen. Zukünftig werden die Aufgaben noch komplexer: ob durch intensive Landwirtschaft (Nitrat, Pflanzenschutzmittel), steigende Meeresspiegel (Versalzung von Gewässern), Rückstände aus Pharmaka/ Medizin oder Mikroplastik. Auf unterschiedliche Weisen gelangen Verunreinigungen und Schadstoffe in unsere Umwelt und somit in den Wasserkreislauf. Moderne Aufbereitungsverfahren, welche die unerwünschten Stoffe aus dem Wasser entfernen, sind gefragt, um den hohen Anforderungen an die Qualität unseres Trinkwassers gerecht zu werden. Ein weiterer zentraler Punkt der modernen Wasserversorgung ist eine stabile und zuverlässige Stromversorgung. Die öffentliche Wasserversorgung zählt zu den kritischen Infrastrukturen und nimmt einen besonderen Stellenwert in der allgemeinen Versorgung ein. Bei Stromausfall müssen wichtige Komponenten wie die Aufbereitungs-, Pumpen- und Steuerungstechnik mit elektrischer Energie versorgt werden. Mobile oder stationäre Netzersatzanlagen helfen über einen gewissen Zeitraum die Wasserversorgung bei Stromausfall am Laufen zu halten. Bild 1: Niederdruck-Umkehrosmose-Anlage (LPRO) mit Retentataufbereitung. © Hydro-Elektrik 21 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen So kann nahezu reines Wasser erzeugt werde - Salze, Schwermetalle, Pestizide, Hormone sowie Bakterien und Viren werden aus dem Wasser entfernt (Bild 4). Die Membranmodule müssen in regelmäßigen Zyklen mit Frischwasser gespült werden, um die Ablagerungen der Wasserinhaltsstoffe auf den Membranen zu entfernen. Dabei wird entweder in oder entgegen Filtrationsrichtung gespült. Ablagerungen, die durch Rückspülung nur bedingt zu entfernen sind und zur Deckschichtbildung auf der Membrane führen, nennt man Fouling bzw. Scaling. Sie vermindern den Durchfluss durch die Membrane und somit die Ausbeute an Permeat. Fouling und Scaling wird durch Spülung mit Chemikalien entfernt, so dass die ursprüngliche Filterwirkung wieder hergestellt wird. Das Retentat, das heißt der aufkonzentrierte Rückstand der Filtration, wird in der Regel in den Vorfluter eingeleitet. Dies muss von behördlicher Seite genehmigt und hinsichtlich der Emissionen bewertet werden. Müssen Mikroschadstoffe entfernt werden, ist die Aufbereitung des Retentats notwendig. Das mit den Schadstoffen belastete Retentat wird dabei durch eine zusätzliche Aktivkohlefiltration gereinigt und erst danach in den Vorfluter eingeleitet. Die mit den Mikroschadstoffen beladene Aktivkohle wird separat entsorgt. In aller Regel muss das Permeat nach einer Umkehrosmose-Aufbereitung nachbehandelt werden. Gelöste Gase wie Kohlenstoffdioxid passieren die Membrane ungehindert, Härtebildner wie Calcium- und Magnesiumionen werden jedoch zurückgehalten. Dadurch wird das Kalk-Kohlensäure-Gleichgewicht gestört und das Wasser erfüllt nicht die korrosionschemischen Anforderungen der Trinkwasserverordnung. Eine Nachbehandlung des Wassers zur Entsäuerung ist erforderlich, was auf verschiedene Arten möglich ist: Ausgasung von CO 2 , Entsäuerungsfiltration oder Zugabe von alkalischen Komponenten. Netzersatzanlagen in der Wasserversorgung Die öffentliche Wasserversorgung zählt ebenso wie die öffentliche Abwasserentsorgung zu den kritischen Infrastrukturen. Darunter werden Einrichtungen und Institutionen mit hoher Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen verstanden, deren Ausfall oder Beeinträchtigung zu nachhaltig wirkenden Versorgungsengpässen, zu erheblichen Störungen der Sicherheit oder zu anderen dramatischen Folgen führen würde [2]. Auch wenn die Stromversorgung in den letzten Jahrzehnten relativ zuverlässig funktionierte, ist ein längerfristiger Stromausfall keineswegs ausgeschlossen. Durch die vielen dezentralen Stromerzeugungsanlagen wie Photovoltaik- oder Windkraftanlagen sowie die digitale Vernetzung der Komponenten und Anlagen untereinander, sind neue Angriffspunkte bei der Strom- Infrastruktur entstanden. Aus diesen Gründen sind für den Fall eines längerfristigen Stromausfalles Vorkehrungen zu treffen. Netzersatzanlagen übernehmen im Falle eines Netzausfalles die Stromversorgung auch über einen längeren Zeitraum hinweg. Ein Stromausfall in der Wasserversorgung bedeutet unter anderem:  Pumpenstillstand, Trinkwasserspeicher können nicht mehr befüllt werden  Druckerhöhungssysteme und Anlagen stehen still  Zusammenbruch der Wasserversorgung  keine Löschwasserbereitstellung Beim Ausfall der Wasserversorgung treten schnell problematische Situationen auf: in Kliniken, Krankenhäusern, Alten- und Rohwasser = Feed Membran Reinwasser = Permeat Konzentrat = Retentat Bild 2: Prinzip der Membranfiltration. © Hydro-Elektrik Bild 3: Hohlfasermembran. © Hydro-Elektrik 22 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen Pflegeheimen. Nutzviehbetriebe sind auf eine sichere Wasserversorgung angewiesen, ebenso wie viele Produktionsbetriebe des Handwerks und der Industrie, insbesondere der Lebensmittelindustrie. Mit dem Ausfall der Abwasserentsorgung verschlechtern sich die hygienischen Zustände sehr schnell sehr massiv. Netzersatzanlagen (NEA) (Bild 5) sorgen im besten Fall für ein schnelles, automatisches Zuschalten im Sekundenbereich und damit zu einer Wiederherstellung der lokalen Stromversorgung. Sie werden in der Regel vollautomatisch mit Diesel betrieben. Für einen sofortigen und voll funktionsfähigen Betrieb einer NEA bei Stromausfall sollte eine regelmäßige Wartung und eine Einbindung in den Regelbetrieb erfolgen. Auch eine ausreichende Treibstoffbevorratung sollte sichergestellt werden. So wird der Treibstoff regelmäßig erneuert und eine unerwünschte Treibstoffalterung wird verhindert. Die Anlage übernimmt somit in regelmäßigen Abständen autark die Stromversorgung, um für den Ernstfall einsatzbereit zu sein. [3] Fazit: Mit modernsten Wasseraufbereitungssystemen kann vielen neuen Herausforderungen in der Trinkwasserversorgung begegnet werden. Das hat jedoch seinen Preis: Neben hohen Investitionskosten sind Kosten für Energie, Chemikalien, Entsorgung und Wartung zu berücksichtigen, die sich letzten Endes im Wasserpreis widerspiegeln. Sauberes Trinkwasser ist eben ein wertvolles Gut! QUELLEN [1] Wasseraufbereitung - Grundlagen und Verfahren, DVGW Lehr- und Handbuch Wasserversorgung Band 6, 2017. [2] Nationale Strategie zum Schutz kritischer Infrastrukturen, BMI 2009. [3] Notstromversorgung in Unternehmen und Behörden, Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Band 13, 2015. Bild 5: Netzersatzanlage (NEA). © Hydro-Elektrik Bild 4: Trenngrenzen der Membranverfahren. © Hydro-Elektrik AUTOR Dipl.-Ing. (FH) Wolfgang Sontheim HydroGroup / Hydro-Elektrik GmbH Kontakt: ws@hydrogroup.de www.hydrogroup.de 23 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Hauptgeschäftsstraße komplett saniert Der Name der Stadt Dessau ist untrennbar verbunden mit dem 1919 von Walter Gropius gegründeten Bauhaus. Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums wurde die in unmittelbarer Nähe des neuen Bauhaus-Museums gelegene historische Kavalierstraße, Dessaus Hauptgeschäftsstraße, grundlegend umgestaltet und verkehrsberuhigt. Die von der Ingenieurgemeinschaft Kempa - HGP Hydro-Geo-Plan-Consult GmbH für den ersten Bauabschnitt entwickelten Pläne sahen unter anderem großzügige Gehwegbereiche, eine Zentralhaltestelle für den ÖPNV sowie eine neue Begrünung, Beleuchtung und Stadtmöblierung vor. Mit Blick auf die räumliche Nähe zum neuen Ausstellungszentrum habe die Stadt „hohe gestalterische Anforderungen” gestellt, so Hydro- Geo-Plan-Consult-Geschäftsführer Ronald Schwandtke, „damit das Museum und die bestehende Straße eine gestalterische Einheit bilden.” Das zwischen April 2017 und November 2018 umgesetzte Vorhaben machte nicht nur Gleisbau-, Dessau macht sich schick fürs Bauhaus-Jubiläum Liner-Anschluss System CONNEX von Funke für Kanalsanierung Die Stadt Dessau hat das 100-jährige Bestehen des Bauhauses zum Anlass für umfangreiche Baumaßnahmen genommen, mit denen die Attraktivität und Aufenthaltsqualität der Innenstadt verbessert werden soll. Eine davon war die Umgestaltung der zentralen innerstädtischen Verkehrsachse Kavalierstraße. Für die Sanierung der Mischwasserkanalisation in der Straße setzten die Auftraggeber, die Stadt Dessau-Roßlau und die DVV Stadtwerke Dessauer Wasser- und Abwasser GmbH, unter anderem auf spezielle Liner-Anschlüsse System CONNEX von der Funke Kunststoffe GmbH. Bild 1: Die umgestaltete Kavalierstraße: Platzgewinn für Fußgänger und Radfahrer - und ein städtebaulich angemessener Rahmen für das neue Bauhaus Museum. © HGP/ Schwandtke Bild 2: Vor dem Anbohren des Liners muss die Folie entfernt werden. © Funke Kunststoffe 24 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Fällen alle Leitungen mitbetrachtet, wurde auch die Abwasserkanalisation in der Straße frühzeitig untersucht.” Das Ergebnis der Kamerabefahrung: Teile der beidseitig der Straßenbahn verlaufenden Mischwasserkanäle waren sanierungsbedürftig, andere Abschnitte mussten neu erstellt werden. Laut Schwandtke habe man dafür die Abwasserkanalisation komplett neu strukturieren müssen. Neue Anschlüsse leichtgemacht Vor Beginn der eigentlichen Baumaßnahme ließen die Auftraggeber zunächst einen Teil des Kanals mittels Schlauchlining- Verfahren sanieren. Einige andere Haltungen waren bereits Anfang der 1990er Jahre renoviert worden, auch hier hatte man auf Schlauchliner gesetzt. Dieser Teil des Kanals sei laut Schwandtke „noch ziemlich in Ordnung” gewesen. Da auch die Hausanschlüsse in der Kavalierstraße erneuert werden mussten, war allerdings eine Lösung für die Einbindung der neuen Anschlussleitungen in den bestehenden gelinerten Kanal gefragt. Auf Anraten des Planers setzte der Auftraggeber hierfür auf den Liner-Anschluss System CONNEX von Funke. Das Bauteil wurde speziell für den Einsatz an Hauptkanälen entwickelt, die mit GFK-Liner, Nadelfilzschlauch bzw. Synthesefaserliner saniert wurden, und bietet eine Möglichkeit, Hausanschlüsse zuverlässig, professionell und wirtschaftlich einzubinden. Funke-Fachberater Dipl.-Ing. Olaf Schreiter: „Der Einbau des Anschlusses erfolgt über ein Arbeitsfenster, welches mit einem geeigneten Werkzeug wie einem Winkelschleifer herzustellen ist. Um eine Beschädigung des Liners auszuschließen, empfiehlt sich hierbei der Einsatz der Funke-Anschlagscheibe zur Schnitttiefenbegrenzung. Bei der fachgerechten Montage der einzelnen Bauteile wird eine kraftschlüssige Verbindung zum Liner geschaffen, bei der bauartbedingte Unebenheiten des Liners ausgeglichen werden können.“ Anwendungsweise sprach sich schnell herum Die Voraussetzungen für den reibungslosen Einbau schuf Funke mit einer eigenen Praxiseinweisung. An dem Termin war neben Schreiter auch Funke- Anwendungstechniker Markus Leppelmann vor Ort; vorab hatte die Firma Reif bereits die vom Hersteller für die Erstellung der Montagefenster angebotenen Bohrkronen und ein spezielles Werkzeug-Set bestellt. Reif- Bauleiter Dipl.-Ing. Frank Hubrich bringt den Eindruck auf den Punkt, den die Demonstration bei den Bauleitern und Arbeitern der ARGE hinterlassen hat: „Das war eigentlich selbsterklärend.“ Und obwohl es im Zuge der Arbeiten personelle Wechsel in der Baustellenmannschaft gegeben habe, hätten sich Details zum Einbau des Liner-Anschlusses auf der Baustelle schnell herumgesprochen. Nicht nur die gelungene Praxis-Einweisung durch die Asphalt- und Pflasterarbeiten erforderlich, sondern auch umfangreiche Tiefbaumaßnahmen, mit denen eine ARGE aus Strabag und Reif Baugesellschaft mbH & Co. KG, Schkeuditz, beauftragt wurde. Schwandtke: „Die Straße war in völlig desolatem Zustand. Weil die Stadt Dessau in solchen Bild 3: Das vom Hersteller angebotene Zubehör-Set mit passender Anschlagscheibe stellt sicher, dass Fehler beim Einbau des Liner-Anschlusses ausgeschlossen werden können. © Funke Kunststoffe Bild 4: Einfach: Die Montage des Liner-Anschlusses System CONNEX. © Funke Kunststoffe 25 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Funke-Mitarbeiter hat Hubrich überzeugt, Lob gibt es von ihm auch für das Werkzeug, dessen Verwendung Fehler bei der Erstellung des Montagefensters ausschließt. Der Liner-Anschluss System CONNEX biete zudem Vorteile gegenüber dem traditionell verwendeten Fabekun- Sattelstück, künftig wolle er daher dem Liner-Anschluss System CONNEX den Vorzug geben. Insgesamt wurden auf der Baustelle in Dessau 24 Anschlüsse gesetzt; dreizehn Stück für Rohre DN/ OD-400 und elf Stück für Rohre der Nennweite DN/ OD 250. HS ® -Kanalrohre für neuen Abschnitt Für die neuen Hausanschlussleitungen sowie die Erstellung des Mischwasserkanals wurden ebenfalls Produkte von Funke eingesetzt. Für die Hausan- STADTKLIMA-RETTER PLANEN GRÜNDÄCHER Urbaner Klimaschutz mit OPTIGRÜN Systemlösungen Begegnen Sie überhitztem Stadtklima und Starkregenereignissen mit zukunftsfähigen Gründachlösungen. Dachbegrünungen kompensieren die Flächenversiegelung, speichern und verdunsten Niederschlagswasser und entlasten dadurch die Kanalisation. Gleichzeitig sorgen sie für ein angenehmeres Stadtklima, mildern den Hitzeinseleffekt und erhöhen die Biodiversität. Sprechen Sie uns an: info@optigruen.de Optigrün international AG | www.optigruen.de schlüsse wurden insgesamt rund 320 m HS ® -Kanalrohr der Nennweite DN/ OD 160 verbaut, für den neuen Abschnitt des Mischwasserkanals rund 140 m braune HS-Kanalrohre DN/ OD 250 sowie 45 m DN/ OD 200 eingesetzt, außerdem wurden etwa 485 m CONNEX-Kanalrohre in Nennweiten zwischen DN/ OD 315 und DN/ OD 500 verwendet. Dank des reibungslosen Baufortschritts konnte die Kavalierstraße am 1. Dezember 2018 für den Verkehr freigegeben werden. Statt ursprünglich mehrerer Fahrspuren in jeder Richtung gibt es jetzt nur noch eine, dafür haben Fußgänger und Radfahrer nun deutlich mehr Platz als vor der Umgestaltung. Anders gesagt: Der städtebauliche Rahmen für das neue Bauhaus Museum Dessau, das am 8. September 2019 eröffnet wird, ist fertig. Funke Kunststoffe GmbH Siegenbeckstr. 15 Industriegebiet Uentrop Ost 59071 Hamm-Uentrop info@funkegruppe.de www.funkegruppe.de Bild 5: Bei der Einweisung vor Ort: Funke-Anwendungstechniker Markus Leppelmann, Reif-Mitarbeiter Michael Katzer, Strabag- Polier Jörg Oppel, Hydro-Geo-Plan-Consult-Geschäftsführer Ronald Schwandtke, Strabag-Mitarbeiter Marco Neubert und Funke-Fachberater Olaf Schreiter (v.l.n.r.). © Funke Kunststoffe 26 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Ein bewusster Gegenentwurf zur Anonymität vieler urbaner Gebiete ist das neue „Quartier Langseestraße“ im Nürnberger Osten. Ein Fokus des Projekts liegt dabei auf seniorengerechten Wohnungen mit entsprechenden Service- Leistungen. Als Serviceleister konnte der Projektentwickler KIB erneut die Diakonie Mögeldorf gewinnen, die bereits seit vielen Jahren im „Seepark Mögeldorf “ nach dem gleichen Konzept umfassende Dienstleistungen anbietet. Zusätzlich betreibt die Diakonie im „Quartier Langseestraße“ eine ambulante Wohngruppe für zehn Bewohner*innen. Daneben finden sich im Quartier auch zwei Häuser mit 29 konventionellen Eigentumswohnungen, weitere 18 Mietwohnungen sowie eine Gewerbefläche die sich insbesondere für eine ärztliche oder therapeutische Nutzung eignet. So entsteht ein lebendiges Wohnprojekt mit attraktivem Umfeld, in dem gegenseitige Nachbarschaftshilfe ebenso zur Normalität gehört, wie die harmonische Durchmischung von Generationen und Lebensmodellen. Hierzu trägt insbesondere auch das Quartiersmanagement mit dem Quartierscafé der Diakonie bei. Derzeit wird im „Quartier Langseestraße“ der Rohbau erstellt, die Fertigstellung ist für 2020 geplant. Komfort auf Hotelniveau Im Bereich Service-Wohnen entstehen im „Quartier Langseestraße“ 53 barrierefreie Wohnungen für Senioren. Die Eigentumswohnungen mit 1,5, 2 oder 3- Zimmern und Wohnflächen zwischen 36 und 97 Quadratmetern verfügen fast alle über einen Balkon, eine Loggia oder Dachterrasse. Ausstattungsdetails wie Parkettboden, elektrisch gesteuerte Rollläden oder Fußbodenheizung sorgen im Einklang mit den großzügig gestalteten und eingerichteten Gemeinschaftsräumen für hohen Komfort auf Hotelniveau: Vom einladenden Rezeptionsbereich, über das Casino mit Terrasse bis hin zu einem kleinen Spa-Bereich und einem Gymnastikraum. Sicher und versorgt im eigenen Zuhause Um die Versorgung bis ins hohe Alter zu gewährleisten, setzt der Projektentwickler KIB im „Quartier Langseestraße“ auf die etablierte Partnerschaft mit der Diakonie Mögeldorf: „Rundum gut versorgt und betreut, das ist seit Jahrzehnten unser Leitmotiv“, sagt Günter Beucker von der Diakonie Mögeldorf und dem Sozialen Netz im Nürnberger Osten, als zuständiger Träger für Seniorenarbeit und Altenhilfe. „In der Zusammenarbeit mit KIB gehen wir bewusst die Wege, die sich bereits im ‚Seepark Mögeldorf ‘ bewährt haben.“ Ein lebendiges Stadtquartier für alle Generationen in Mögeldorf Projektentwickler KIB und Diakonie Mögeldorf bringen Service-Wohnen für Senioren und Quartiersmanagement zusammen Im „Quartier Langseestraße“ entsteht derzeit generationenübergreifender lebenswerter Wohnraum mit Seniorenwohnungen, klassischen Eigentums- und Mietwohnungen sowie einer ambulanten Wohngruppe. Das bewährte Konzept „Service-Wohnen für Senioren“ umfasst zudem zahlreiche Serviceleistungen, Hilfs-, Pflege- und Versorgungsangebote für den dritten Lebensabschnitt. Daneben sorgt ein Quartiersmanagement aktiv für nachbarschaftliches Miteinander. Bild 1: Quartier Langseestrasse. Fotorealistische Darstellung. © KIB Gruppe 27 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Die Hilfen und Serviceleistungen für Senioren im Quartier Langseestrasse richten sich nach den individuellen Wünschen und Bedürfnissen der Bewohner*innen. Grundleistungen wie eine 24-Stunden-Notrufbereitschaft, ein werktäglicher Rezeptionsdienst oder allgemeine Vermittlungs-, Hilfs- und Beratungsangebote sind bereits in der Servicepauschale enthalten. Weitergehende Leistungen - von Pflege, Hospizarbeit und palliativmedizinischer Betreuung, über hauswirtschaftliche Leistungen, Einkauf und Versorgung mit Mahlzeiten bis hin zu Fußpflege und Friseur - können je nach Bedarf aus einem umfangreichen Angebot von Wahl- und Vermittlungsleistungen hinzugebucht werden. Bezahlt werden diese Leistungen natürlich nur nach Bedarf und unter Berücksichtigung der Leistungen von Kranken- und Pflegekassen. Starke Nachbarschaft mit aktivem Quartiersmanagement Die Aufgabe des Quartiersmanagements besteht in der Weiterentwicklung der Wohn- und Versorgungsstrukturen im Stadtteil. Dazu aktiviert es die sozialen Netze, schafft Beteiligungsmöglichkeiten und fördert Kooperationen in der Nachbarschaft. Der Quartiersmanager etabliert und gestaltet Informations- und K o m m u n i k a t i o n s s t r u k t u r e n und fördert die Vernetzung in der Nachbarschaft sowie den Auf- und Ausbau von Hilfestrukturen. „Unser Quartierscafé ist ein offener Treffpunkt für Interessensgemeinschaften, für das Zusammenkommen der Nachbarschaft oder einfach zum gemütlichen Beisammensein“, erklärt Günter Beucker. Verkürzte Wege zu Dienstleistern, Hilfe zur Selbsthilfe und die Einbindung in ein intaktes soziales Umfeld stellen gerade für Senioren ein großes Plus an Lebensqualität dar. „In unserem neuen Quartier bedeutet Service-Wohnen für Senioren nicht nur Sicherheit und Eigenständigkeit in den eigenen vier Wänden“, so Norbert Grund, Geschäftsführer der KIB Gruppe, „sondern auch zwischenmenschliches Miteinander und gesellschaftliche Aktivitäten.“ Um hierfür bestmögliche Voraussetzungen zu schaffen, war das Quartiersmanagement schon vor Beginn der ersten offiziellen Planungen aktiv in das Projekt eingebunden. Nahversorgung trifft Naherholung Im direkten Umfeld des „Quartier Langseestraße“ befinden sich zahlreiche Einkaufsmöglichkeiten des täglichen Bedarfs sowie Arztpraxen und Apotheken. Im historischen Ortskern, unterhalb des kleinen Kirchenbergs, läuft man an kleinen Geschäften und Gaststätten vorbei. Zahlreiche Spazier- und Radwege durchziehen den Wiesengrund auf beiden Seiten der Pegnitz. Mit dem Fahrrad ist die Altstadt ampel- und kreuzungsfrei in 20 Minuten erreichbar. Wer gerne schwimmen geht, kann dies im Langseebad tun, einem idyllischen kleinen Naturseebad im Schatten alter Bäume. Wer es noch sportlicher mag, findet ein vielfältiges Angebot - auch speziell für Senioren - im Post-Sportverein. Service-Wohnen im Trend Aufgrund der demografischen Entwicklung nimmt die Nachfrage nach bedarfsgerechten Wohnformen für Senioren seit Jahren stetig zu. Die Seleco, ein Unternehmen der Nürnberger KIB Gruppe entwickelt seit über 20- Jahren Projekte mit dem Schwerpunkt „Service-Wohnen für Senioren“. „Unser Anspruch ist es, lebenswerte Wohnquartiere für alle Generationen zu schaffen“, sagt Norbert Grund, Geschäftsführer der KIB Gruppe. „Daher legen wir besonderen Wert darauf, dass sich Standort und Umfeld, Bauausführung und Dienstleistungskonzept optimal ergänzen - so wie im ‚Quartier Langseestraße‘.“ Auf diese Weise hat KIB in diesem Geschäftsfeld bereits mehr als 1000 Wohnungen realisiert, in Nürnberg entsteht mit dem „Quartier Langseestraße“ derzeit das fünfte Haus der Seleco. 53 Senioren-Eigentumswohnungen  Eineinhalb, zwei und drei Zimmer  Wohnflächen zwischen 36 und 97 m 2  Fast alle Wohnungen mit Loggia, Balkon oder Dachterrasse  Wie ein Hotel: mit einladendem Rezeptionsbereich und großzügigen Gemeinschaftsräumen (zum Beispiel Casino, kleiner Spa-Bereich, Gymnastikraum)  Umfassendes Dienstleistungs- und Serviceangebot  Pflege und Versorgung bei Bedarf in der eigenen Wohnung durch die Diakonie Mögeldorf  24 Stunden Sicherheit  Ideal für (Vorsorge-)Anleger und Eigennutzer 29 Eigentumswohnungen  zwei, drei und vier Zimmer  Wohnflächen zwischen 55 und 139 m 2  Alle Wohnungen mit Balkon oder (Dach-)Terrasse, die Wohnungen im Erdgeschoss mit eigenem Garten QUARTIER LANGSEESTRASSE Bild 2: Das Casino: Restaurant und Raum für Veranstaltungen. Fotorealistische Darstellung. © KIB Gruppe 28 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation Die Firma Swarco - Anbieter von Verkehrsmanagementsystemen - ist ein Partner aus dem Innovationsnetzwerk Living LaB, in dem die Stadt Ludwigsburg sowie Partner aus Wirtschaft, Industrie und Forschungseinrichtungen in einzigartiger kooperativer Weise zusammenarbeiten. „Dieses Pilotprojekt ist ein typisches Beispiel für die Arbeit unseres Innovationsnetzwerks“, erklärt Oberbürgermeister Werner Spec. „Innovative Technologien können unter realen Bedingungen getestet und weiterentwickelt werden. Davon profitieren wir als Stadt Ludwigsburg, davon profitieren unsere Bürgerinnen und Bürger und davon profitieren die Unternehmen, die unsere Netzwerkpartner sind.“ Nach einem Jahr Laufzeit ist das Pilotprojekt nun erfolgreich abgeschlossen. Drei Feuerwehr- Fahrzeuge sind mit Sendern ausgestattet: das Fahrzeug der Einsatzleitung, das Führungsfahrzeug des Löschzugs sowie der Umweltgerätewagen. Alle drei Fahrzeuge sind in der Regel bei jedem Einsatz dabei. Die Ampelanlagen entlang der B 27 wurden von der Einmündung Markgröninger Straße bis zum Forum mit den notwendigen Antennen ausgestattet. Sie sind in der Lage, die verschlüsselten Funksignale der Feuerwehr zu empfangen. Im Sekundentakt senden die Einsatzfahrzeuge ihre Position und Geschwindigkeit direkt an das Steuergerät der jeweiligen Ampelanlagen. Dort werden die Signale verarbeitet und mit den in der Programmierung hinterlegten Szenarien verglichen. Erkennt das System, dass sich ein Einsatzfahrzeug in der Anfahrt befindet, wird der in der Programmierung Grüne Welle für die Feuerwehr Car2X-Kommunikation ermöglicht die schnelle Fahrt zum Einsatzort Im Ernstfall zählt oft jede Sekunde: Feuerwehrleute und andere Rettungskräfte müssen so schnell wie möglich an ihren Einsatzort gelangen. In einem Pilotprojekt hat die Stadt Ludwigsburg deshalb gemeinsam mit der Firma Swarco die Priorisierung von Feuerwehrautos an Ampelanlagen entwickelt und getestet. Im Gegensatz zu bisherigen Systemen wird in Ludwigsburg die Car2X-Kommunikation (Car2X = Car to everything) verwendet. Die Feuerwehrfahrzeuge kommunizieren per Funk mit den Ampeln, um auf dem Weg zum Einsatz für freie Fahrt zu sorgen. Das Ergebnis: Die Technik funktioniert. Einsatzfahrzeug auf der B 27 in Ludwigsburg. © benjamin stollenberg | fotografie 29 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation festgelegte Signalablauf gestartet: Die Ampel schaltet in das Priorisierungsprogramm. Nach Passieren der Kreuzung meldet sich das Fahrzeug ab und die Ampel schaltet wieder in den Normalzustand zurück. Mit der Auswertung der Geschwindigkeitsdaten und der sekündlichen Übermittlung der Position der Einsatzfahrzeuge kann im Idealfall eine genau auf den Fahrtverlauf angepasste Freigabe der Fahrtrichtung erfolgen - die „grüne Welle“ für die Feuerwehr. Die Firma Swarco aus Unterensingen treibt seit vielen Jahren die Vernetzung der intelligenten Verkehrsinfrastruktur für hoch automatisiertes und autonomes Fahren voran. Die Feuerwehrpriorisierung ist eine erste praktische Anwendung der entstandenen Technologie: „Wir sind stolz darauf, diese innovative Technik als erstes mit Ludwigsburg auf die Straße gebracht zu haben“ sagt Marcus Anders, Geschäftsführer der Swarco Traffic Systems GmbH. Die bereits funktionierende Technik wird jetzt weiter im „Ernstfall“ getestet und noch optimiert. Eine wissenschaftliche Begleitung des Projekts ist geplant. Insgesamt setzt Ludwigsburg auf intelligente Ampelanlagen und digitale Verkehrsleittechnik, um den Verkehr flüssiger zu machen - und um Schadstoffe zu reduzieren. Ministerialdirektor Stefan Krebs, Beauftragter der baden-württembergischen Landesregierung für Informationstechnologie (CIO/ CDO), lobte das Engagement Ludwigsburgs: „Ich freue mich über Kommunen wie Ludwigsburg, die bei der Digitalisierung in Baden-Württemberg eine Vorreiterrolle einnehmen.“ Das zeige zum Beispiel auch der „Smart-City-Atlas“, den der Digitalverband Bitkom e. V. erst kürzlich veröffentlicht habe: Acht Kommunen aus Baden-Württemberg, darunter auch Ludwigsburg, zählten zu den bundesweit 50 Vorreiterstädten. „Bei der Umsetzung ihrer Digitalisierungsstrategie unterstützt das Land Baden-Württemberg die Stadt Ludwigsburg sehr gerne.“ WISSEN WAS MORGEN BEWEGT Schiene, Straße, Luft und Wasser, globale Verbindungen und urbane Mobilität: Viermal im Jahr bringt Internationales Verkehrswesen fundierte Experten-Beiträge zu Hintergründen, Entwicklungen und Perspektiven der gesamten Verkehrsbranche - verkehrsträgerübergreifend und zukunftsorientiert. Ergänzt werden die deutschen Ausgaben durch die englischsprachige Themen-Ausgabe International Transportation. Mehr dazu im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen gehört seit 1949 zu den führenden europäischen Verkehrsfachzeitschriften. Der wissenschaftliche Herausgeberkreis und ein Beirat aus Professoren, Vorständen, Geschäftsführern und Managern der ganzen Verkehrsbranche verankern das Magazin gleichermaßen in Wissenschaft und Praxis. Das technisch-wissenschaftliche Fachmagazin ist zudem Wissens-Partner des VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld. INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN - DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN »Internationales Verkehrswesen« und »International Transportation« erscheinen bei der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Baiersbronn-Buhlbach, www.trialog-publishers.de 30 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation Gefahrenlagen erfordern einen schnellen Einsatz von Helfer*innen und viele Menschen wollen sich einbringen: Knapp 15 Millionen Menschen engagieren sich in Deutschland in verschiedenen Bereichen ehrenamtlich [2]. Und auch ohne festes Ehrenamt tun viele Freiwillige Gutes, zum Beispiel indem sie verunglückten Menschen mit Erste Hilfe-Maßnahmen zur Seite stehen oder sich für ihr Gemeinwesen einbringen, wenn die Zahl der professionellen Rettungskräfte an ihre Grenzen stößt. Um dieses Engagement zu stärken und die Rettungsorganisationen zu unterstützen, haben die öffentlichen Versicherer gemeinsam mit dem Fraunhofer FOKUS und der Berliner Feuerwehr das KATRETTER-System entwickelt. Damit können Leitstellen per Knopfdruck Freiwillige in der Nähe eines Einsatzes über eine Smartphone-App alarmieren, aktivieren und sich einen Überblick verschaffen, wie die personelle Lage vor Ort aussieht. „Das Besondere am KATRETTER- System ist, dass die Nutzer ganz individuell und nur für die passenden Einsätze informiert werden - je nach Vorkenntnissen und Fähigkeiten“, erklärt Fraunhofer-Mitarbeiter Michael Jendreck, Projektleiter bei Fraunhofer FOKUS. „Dafür müssen sich die freiwilligen Helfer einmalig registrieren, natürlich datenschutzkonform und rechtssicher.“ Welche Helfer*innen dann bei einem Einsatz alarmiert werden, entscheidet das KATRETTER-System anonym und nach registrierter Qualifikation, zum Beispiel für Wiederbelebungsmaßnahmen, schon bevor die Rettungskräfte eintreffen, oder für einfache Tätigkeiten, wie das Befüllen von Sandsäcken. Beispiel Herz-Kreislauf- Versagen Ein Mann bricht in einer ruhigen Seitenstraße mit einem Herz- Kreislauf-Stillstand zusammen. Eine ältere Dame eilt herbei und alarmiert den Notruf 112. Für Wiederbelebungsmaßnahmen fehlen ihr selbst jedoch die Kraft und der Mut. Da kommen zwei Personen angelaufen, ein Arzt und eine Sanitäterin, die sich privat in der Nähe aufhielten und über die KATRETTER-App auf ihrem Smartphone von der Notrufleitstelle informiert wurden. Sie beginnen sofort mit der Wiederbelebung und retten dem Mann das Leben. Wie wichtig oft gerade die schnelle Hilfe ist, weiß Dr. med. Stefan Poloczek aus seiner täglichen Arbeit als ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes in Berlin. „Diese Innovation ermöglicht es uns, die behandlungsfreie Zeit beim Herz-Kreislauf-Stillstand durch den Einsatz von Ersthelfern weiter zu verkürzen.“ Rund 10 000 Menschenleben könnten jedes Jahr zusätzlich gerettet Hilfe für freiwillige Helfer KATRETTER-System unterstützt freiwilliges Engagement in Notfällen und Krisen Laut Bundesgesundheitsministerium erleiden in Deutschland jedes Jahr mehr als 50 000 Menschen einen Herz-Kreislauf-Stillstand und nur zehn Prozent der Betroffenen überleben [1]. Dabei sind oft Menschen in der Nähe, die mit Erster Hilfe spontan helfen und Leben retten könnten. Auch in anderen Krisenlagen, wie einer Sturmflut, gibt es viele engagierte Menschen, die bereit sind mit anzupacken. Das Problem: Die Freiwilligen müssen über die Situation schnell informiert werden. Das digitale Helfersystem KATRETTER schafft Abhilfe: Rettungsleitstellen können freiwillige Helfer per App blitzschnell aktivieren und koordinieren. In diesem Jahr startet KATRETTER in den ersten Landkreisen und Städten. Rund 10 000 Menschenleben könnten jedes Jahr zusätzlich gerettet werden, wenn mehr Anwesende in Notfällen eine sofortige Herzdruckmassage unternehmen würden. © O. Lang/ Fraunhofer FOKUS 31 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation werden, wenn mehr Anwesende in Notfällen eine sofortige Herzdruckmassage unternehmen würden. Denn nach nur wenigen Minuten beginnt das Gehirn ohne den wichtigen Blutfluss schweren Schaden zu nehmen. Eine sofortige Herzdruckmassage hingegen verdoppelt bis verdreifacht die Überlebenschancen der Betroffenen [1]. System für die Praxis Für die Praxis der Rettungsdienste spielt allerdings auch die Einbindung des Systems in die Leitstellentechnik und in die Arbeitsabläufe eine wichtige Rolle. Denn für zusätzlichen Organisationsaufwand fehlen den professionellen Rettern oft die Ressourcen. Daher setzen die Fraunhofer-Entwickler einerseits auf standardisierte Technologien für die Alarmierung. So basiert KATRETTER auf der etablierten Technologie des Warnsystems KATWARN, das mit rund drei Millionen Nutzer*innen sowie mehr als 15 Millionen versendeten Warnnachrichten pro Jahr in Deutschland sicher erprobt ist. Andererseits werden sowohl der Verwaltungsaufwand als auch die initialen Qualifikationsmaßnahmen für die Helfer deutlich reduziert, indem die lokalen Rettungsleitstellen individuell an das System angebunden werden. Jendreck: „Bereits aktive Ersthelfer können automatisch über die vorhandenen Systeme der Rettungsstellen in das KATRETTER-System eingebunden werden. So vermeiden wir zusätzliche Verwaltungsaufwände.“ Damit bei einem konkreten Einsatz alles schnell geht, nutzen die Leitstellenmitarbeiter entweder eine webbasierte Redaktionsoberfläche, über die sie mit wenigen Klicks die nötigen Einsatzinformationen für die KATRETTER-Nutzung erstellen und versenden, oder die Alarmierung erfolgt - insbesondere bei medizinischen Notfällen - direkt und automatisch aus dem Leitstellensystem der Rettungsstelle heraus. Neben den Erfahrungen mit dem Warnsystem KATWARN basieren die Vorgehensweisen und Technologien der Helferaktivierung und Rückmeldungserfassung im KATRETTER-System auf einem Forschungsprojekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Hier wurden in den Jahren 2013 - 2016 grundlegende Fragen untersucht, Lösungen vorbereitet und Einsatzszenarien praktisch erprobt. Teilnehmer des Projektes waren unter anderem die Berliner Feuerwehr und Fraunhofer FOKUS. Beispiel Sicherung der Deiche bei Sturmflut Stürmische Wintertage - für den kommenden Nachmittag ist eine Sturmflut angekündigt. Vorher müssen Deiche mit Sandsäcken befestigt werden. Bereits früh am Morgen treffen freiwillige Helfer an der Zufahrtsstraße zum Deich ein. Über KATRETTER wurden sie aufgefordert zu helfen. Durch die Bestätigung der Nachricht in der App weiß die Feuerwehr Bescheid, dass ausreichend Helfer kommen. Bereits am späten Vormittag sind die Deiche sicher. KATRETTER steht allen autorisierten Behörden und Organisationen in Deutschland einheitlich zur Verfügung und kann für die verschiedensten Krisenszenarien eigesetzt werden. „KATRETTER selbst nimmt natürlich auf Inhalt, Umfang und Zeitpunkt der Alarmierungen keinen Einfluss“, so Jendreck. „Das ist und bleibt Aufgabe der Rettungsdienste und Sicherheitsbehörden.“ Damit alle übermittelten Alarmierungen autorisiert sind, muss eine formelle Nutzungsvereinbarung abgeschlossen werden. Erst dann wird das System freigeschaltet. Einführung und Kosten KATRETTER steht allen freiwilligen Helfer*innen kostenfrei zur Verfügung. Für Auslösestellen, wie zum Beispiel Leitstellen der Feuerwehr oder Notrufzentralen von Rettungsdiensten, kostet die Einführung jeweils eine einmalige Gebühr von 15 000- EUR (zzgl. MwSt.). Dies umfasst Installation, lokale Anpassungen, Schulungen der Mitarbeiter und Marketingunterstützung bei der Systemeinführung. Weitere 3000- EUR im Jahr (zzgl. MwSt.) kostet der technische Support. In Gebietskörperschaften, die bereits das Bevölkerungswarnsystem KATWARN einsetzen, gibt es aufgrund des geringeren Implementierungsaufwandes einen Nachlass von 50 % (d. h. einmalig 7500 Euro/ jährlich 1500 Euro zzgl. MwSt.). System, technische Infrastruktur sowie Betrieb und Weiterentwicklung trägt die CombiRisk GmbH, eine Tochter der SV SparkassenVersicherung und der Versicherungskammer Bayern (VKB), als Beitrag zum Gemeinwohl. Der Alarmierungsprozess ist rechtssicher gestaltet - sowohl für freiwillige Helfende und Rettungskräfte als auch für die betroffenen Menschen - und entspricht allen rechtlichen Vorgaben, insbesondere den Datenschutzprinzipien aus Art. 5 DSGVO. QUELLEN [1] ht tps: / / w w w.bunde sge sund heitsminis terium.de/ ser vice/ begriffe-von-a-z/ h/ herz-kreislauf-stillstand.html, zugegriffen am 25.02.2019 [2] https: / / de.statista.com/ statistik / daten/ studie/ 173632 / umfrage/ verbreitungehrenamtlicher-arbeit/ , zugegriffen am 25.02.2019 32 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Ausgangssituation Spontanhelfenden sind keine neue, sondern eine eher unterschätzte Herausforderung für Krisenmanager. Einerseits kann dieses Engagement ein Gewinn für das Krisenmanagement sein. Die letzten größeren Ereignisse in Deutschland - das Hochwasser 2013 und die Aufnahme geflüchteter Menschen 2015 - haben gezeigt, welche Leistung durch bürgerschaftliches Engagement entstehen kann. Andererseits können Spontanhelfende aber auch zu Risiken werden, nämlich dann, wenn die Hilfeleistungen völlig losgelöst von den Bemühungen des Krisenmanagements stattfinden. Krisenmanager müssen sich der Herausforderung stellen, dass sie neben der eigentlichen Einsatzbewältigung mit eingespielten Prozessen und Strukturen zusätzlich meist Helfer einbinden müssen, die in Krisensituationen unerfahren sind. Oftmals sind die Strukturen nicht für die Aufnahme von Spontanhelfenden geeignet. Krisenmanager müssen vor allem dann, wenn keine Konzepte vorhanden sind, sehr flexibel reagieren [1]. Dabei müssen Sie sich mehreren Fragen stellen: 1. Ist die Lage geeignet, um Spontanhelfende einzusetzen? 2. Welche Tätigkeiten bei den Einsatzmaßnahmen sind für Spontanhelfende geeignet? 3. Wie ist die Organisationsform, in der Spontanhelfende in Einsatz gebracht und betreut werden? Die Antwort auf die zentrale Frage, nämlich welche Tätigkeiten für Spontanhelfende geeignet sind, ist Kern dieses Artikels. Der Airport-Approach, eine methodische Herangehensweise an Tätigkeiten, wird hierbei vorgestellt. Am Ende werden weitere Anwendungsfälle angesprochen. Tätigkeiten für Spontanhelfende Einsatzkräfte unterscheiden sich von Spontanhelfenden dadurch, dass sie eine auf den Einsatzzweck zugeschnittene Ausbildung genossen haben. Diese Ausbildung befähigt Einsatzkräfte in Krisensituationen bedarfsgerecht auf die Einsatzlage zu reagieren. Dabei steht die Schnelligkeit der Maßnahmen im Vordergrund, so dass vor allem Tätigkeiten eingeübt werden, die dann im Einsatz ohne Überlegung abgerufen werden können. Die einzelnen, erforderlichen Tätigkeiten sind den Einsatzkräften bekannt. Ein Auftrag kann daher nur eine bestimmte Aufgabe enthalten - beispielsweise, wenn der Feuerwehrkommandant den Auftrag erteilt, eine Löschwasserversorgung aus einem Hydranten aufzubauen. Die Einsatzkräfte wissen in diesem Fall, welche Tätigkeiten sie wie erledigen müssen. Auf der Ebene der Einsatzleitung oder im Krisenstab werden die Aufträge noch abstrakter formuliert. Die Führungskräfte vor Ort müssen selbstständig einen Plan entwickeln, wie sie die Ziele umsetzen werden. Spontanhelfende besitzen dieses spezifische Vorwissen nicht. Im Einsatz muss ihnen dieses Wissen im Sinne eines „training on the job“ beigebracht werden. Für manche Tätigkeiten reicht eine direkte Unterweisung allerdings nicht aus. Im Feuerwehrbeispiel könnte dies ein Einsatz unter Atemschutz sein, für den eine ärztliche Eignungsuntersuchung vorausgesetzt wird. Die bisherige Sichtweise von Krisenmanagern, nur die Aufgaben- und Prozess- Ebene auf die Eignung für Spontanhelfende zu untersuchen, birgt die Gefahr vorschnell Potenzial zu verschenken. Der Aiport-Approach - eine Vorgehensweise zur Ermittlung von Tätigkeiten Ziel des Airport-Approaches ist die Beschäftigung mit der Ausführungsebene im Krisenmanagement und damit die Identifizierung der Tätigkeiten für Spontanhelfende. Krisenmanager und fachliche Experten aus den verschiedenen Disziplinen gleiten dabei - bildlich gesprochen - wie ein Flugzeug im Landeanflug, von der Reiseflughöhe, auf der ein Aktivierung der Bevölkerung in Krisensituationen Der Airport-Approach zur Identifikation von Tätigkeiten für Spontanhelfende Spontanhelfende, Freiwilligenmanagement, Krisenbewältigung Patrick Drews Spontanhelfende werden als Helfer außerhalb formaler Strukturen im Bevölkerungsschutz definiert. In der Vergangenheit haben sie erheblich zur Bewältigung kleinerer oder größerer Krisenlagen beigetragen. Für Verantwortliche im Krisenmanagement ist diese Gruppe allerdings eine Größe, die aufgrund fehlender Vorbereitung nicht selten ignoriert oder als störend empfunden wird. Mit dem Airport- Approach wird eine Methode vorgestellt, die es Krisenmanagern ermöglichen soll, im Vorfeld eine Einbindemöglichkeit von Spontanhelfenden zu identifizieren und in Einsatzplänen festzuhalten. 33 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? schnelles Fortkommen ermöglicht wird, aber keine Details am Boden zu erkennen sind, bis zum Rollfeld des Flughafens, auf dem jedes Detail zu sehen ist. In einem dreistündigen Workshop entsteht so eine Struktur aus mehreren Aufgaben, deren Prozessen sowie den dazugehörigen Tätigkeiten. Diese werden in einem letzten Schritt innerhalb des Workshops durch die Fachexperten bewertet. Einsatzoptionen ermöglichen die grobe Einordnung der Möglichkeiten bestimmter Leistungsträger. Beispiele sind Brandbekämpfung, Beseitigung von Trümmern, Patientenbehandlung oder Rettung aus unwegsamen Gelände. Im Airport-Approach stellen Einsatzoptionen die Ausgangspunkte für die Identifizierung der Tätigkeiten dar. Sie können bereits im Vorfeld zur Vorbereitung der Teilnehmenden kommuniziert werden. Krisenmanager planen Einsätze anhand von Aufgaben. Aufgaben haben die nötige Detailtiefe, sind aber abstrakt genug, um daraus schnell Strategien entwickeln zu können, wie die Lage zu beherrschen ist. Aus der Einsatzoption Patientenbehandlung ergibt sich je nach Schwerpunkt die Aufgabe, Behandlungsplätze einzurichten oder Patienten zu transportieren. Die operative Ausführung besteht aus Prozessen. Der Unterschied zwischen Aufgaben und Prozessen liegt in der Detaillierung. Zur Einrichtung eines Behandlungsplatzes werden die Prozesse Erkundung, Aufbau der Infrastruktur und der Betriebsprozess, also die Aufnahme der Patienten, die eigentliche Behandlung und die Übergabe zum Transport benötigt. Diese Prozesse bestehen aus mehreren Schritten, den Tätigkeiten, die wiederum noch weiter detailliert darstellbar sind. Dies kann beispielsweise das Ausrollen von Schläuchen oder der Transport von Zeltstangen vom Einsatzfahrzeug zur Einsatzstelle sein. Tätigkeiten sind in der Regel eindeutig und in sich abgeschlossen. Wesentlicher Bestandteil des Airport-Approaches ist die Konsensbildung. Die Fachexperten und Krisenmanager müssen sich einigen, wie die einzelne Tätigkeit zu bewerten ist. Die Unterscheidung erfolgt über die Kenntnisse, die zur Ausführung der Tätigkeit notwendig sind. Einfache Tätigkeiten sind ohne weiteres durch Spontanhelfende durchführbar. Sie erfordern nur eine kurze Unterweisung und können danach mehr oder weniger selbstständig ausgeführt werden. Sobald eine Fachausbildung notwendig ist, können Tätigkeiten nur noch von einem bestimmten Personenkreis erledigt werden. Dies kann rechtliche Ursachen haben. Ein Beispiel ist die notwendige Unterweisung gem. § 43 IfSG [2], die für die Ausgabe von Lebensmitteln notwendig ist. Die dritte Gruppe besteht aus Tätigkeiten, die Einsatzkräften vorbehalten sind, da sie beispielsweise in gefährdeten Bereichen ausgeführt werden müssen. Anwendbarkeit für andere Bereiche des Krisenmanagements Um sich auf die Folgen eines Ereignisses auf die eigene Organisation vorzubereiten, enthält beispielsweise der BSI-Standard 100-4 [3] zum Business Continuity Management (BCM) Vorgaben zur Durchführung einer Business Impact-Analyse. Auf deren Basis kann im Rahmen einer Risikoabwägung entschieden werden, bestimmte Tätigkeiten von anderen Abteilungen oder von unternehmensfremden Personen erledigen zu lassen. Mit Hilfe des Aiport- Approaches ist eine weitere Detaillierungsebene für die Wiederanlaufpläne möglich. Hierbei können die einzelnen Tätigkeiten betrachtet und genau festgelegt werden. So lässt sich festlegen, welches Schlüsselpersonal für welche Tätigkeit benötigt wird und welche Tätigkeit durch andere Personenkreise erledigt werden kann. Danksagung: Die grundlegenden Arbeiten für diesen Beitrag wurden im Projekt Resilienz von Einsatzkräften bei eigener Betroffenheit in Krisenlagen (REBEKA) durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Bekanntmachung „Zivile Sicherheit - Erhöhung der Resilienz im Krisen- und Katastrophenfall - FKZ 13N13906“ gefördert. Weiterführende Links http: / / s.fhg.de/ Spontanhelfende http: / / www.rebeka-projekt.de LITERATUR: [1] Skar, M., Sydnes, M., Sydnes, A. K.: Integrating unorganized volunteers in emergency response management: a case study. In: Intl Jnl of Emergency Services (2016), S. 53-64. [2] Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) i.d.F. v. 11.12.2018 [3] BSI-Standard 100-4: 2008. Notfallmanagement. AUTOR Patrick Drews, MPA Research Fellow Fraunhofer IAO Kontakt: patrick.drews@iao.fraunhofer.de 34 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Hintergrund Bei enormen Schneefällen, wie im Januar, sind Pflegebedürftige eine immer wieder auffällige Personengruppe, die es zu betrachten gilt. Beispielsweise mussten allein im Berchtesgadener Land hunderte Unterstützungsbedürftige durch Rettungskräfte versorgt werden [1]. Auch in Evakuierungssituationen wie beispielsweise bei Bombenfunden in Jülich [2] ist im Voraus nicht klar, wie viele Pflege- und Hilfsbedürftige im betroffenen Umkreis leben und wie Unterstützungsbedarfe konkret aussehen. Ein Grund für den zunehmenden Bedarf ist auch Pflege- und Hilfsbedürftige in Schadenslagen Aufgaben und Verantwortlichkeit von Kommunen als Teilergebnis des Projektes KOPHIS Pflegebedürftigkeit, Katastrophenschutz, Wintersturm, Extremwetter Rebecca Nell, Stefan Strunck, Veronika Zettl Große Schneemengen, zerstörte Infrastruktur, flächendeckender Stromausfall - eine wahr gewordene Katastrophe 2019 für Betroffene in einigen Kommunen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Erst recht jedoch für Menschen, die bereits im Alltag auf Hilfe angewiesen sind. Beispielsweise sind Pflege- und Hilfsbedürftige in einem solchen Katastrophenfall besonders vulnerabel. Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) und Pflegeinstitutionen sehen sich mit einer immensen Herausforderung konfrontiert. Aber auch Kommunen stehen in der Verantwortung, Unterstützung zu leisten. © pixabay 35 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? die steigende Zahl von Einpersonenhaushalten. In Deutschland lebt inzwischen etwa ein Drittel der Personen ab 65 Jahren allein [3]. Hinzu kommt, dass Menschen so lange wie möglich in ihrer häuslichen Umgebung bleiben möchten. Von den 3,4 Mio. Pflegebedürftigen in 2017 wurden etwa drei Viertel zu Hause versorgt [4]. Dabei werden lediglich die offiziell bekannten Pflegebedürftigen berücksichtigt, Personen ohne Anträge bei der Pflegeversicherung werden dabei ebenso wenig einberechnet wie Personen, die einen Unterstützungsbedarf haben, der etwas unterhalb der Einstufungskriterien liegt. Situation pflege- und hilfsbedürftiger Menschen Die Bedarfe von unterstützungsbedürftigen Menschen sind bereits im Alltag sehr individuell und vielfältig. Genauso facettenreich ist die individuelle Versorgung. In einer Schadenssituation kommen zusätzliche Bedarfe hinzu, das kann durchaus zu kritischen Situationen führen. Unter anderem sind dialysepflichtige Patienten, die Einrichtungen teilweise täglich aufsuchen müssen, auf Mobilität angewiesen. Sind Straßen nicht passierbar, müssen diese Personen anderweitig zur nächsten Dialyseeinrichtung gebracht werden. Stromausfälle bergen ebenso Gefahren, beispielsweise für heimbeatmete Menschen, die auf die Funktionsfähigkeiten der überlebenswichtigen Geräte angewiesen sind. Schätzungsweise kommen auf eine Kommune pro 10 000 Einwohner zwei bis vier Personen, die heimbeatmet werden [5] und etwa 11 Personen, die auf eine Dialyse angewiesen sind [6]. Können Pflege- und Hilfsbedürftige auf ein breites Netzwerk aus Personen und Organisationen zurückgreifen, so ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass auch in einer Schadenslage entsprechende Unterstützung geleistet werden kann. Betrachtet man die beiden Dimensionen Unterstützungsbedarf und soziale Vernetzung, lässt sich der Personenkreis in vier Typen unterteilen (siehe Bild 1). Dabei gilt, dass Typ A vergleichsweise wenig anfällig gegenüber Schadenslagen ist. Er ist gut vernetzt, die Versorgung wird auf mehrere Schultern verteilt. Im Gegensatz dazu sind die Typen B und C anfälliger. Entweder wegen geringer Vernetzung, so dass zusätzliche Unterstützungsbedarfe nicht durch das vorhandene Netzwerk abgefangen werden können, oder, dass die Versorgung trotz hoher Vernetzung durch den hohen Bedarf nicht sichergestellt werden kann. Kritisch wird es für solche Personen, die dem Typ D zuzuordnen sind. Hier übersteigt der Bedarf sehr schnell die Leistungsfähigkeit des Netzwerkes, so kann frühzeitig eine Unterversorgung eintreten. Rolle der Kommune Aktuelle Entwicklungen in der pflegerischen Versorgung wie beispielsweise Quartiersentwicklung, Caring Communities, Einsatz von Technologien, Vernetzung der Akteure und ein Versorgungsmix zahlen sich auch bei der Betreuung in Schadenslagen aus. Eine bessere Vernetzung sowohl auf der individuellen Ebene, wie auch auf der der Akteure im Sozialraum, stärkt die Selbsthilfefähigkeit in einer Schadenslage. Die Einrichtung und der Betrieb der Pflegestützpunkte sowie die Betrachtung der pflegerischen Versorgung als gemeinsame Aufgabe der Sozialversicherung, der Pflegedienstleister und der Kommunen tragen zudem zu einer höheren Kommunikation zwischen den Akteuren rund um die Pflege bei. Spätestens seit dem dritten Pflegestärkungsgesetz wird dabei den Kommunen eine stärkere Verantwortung übertragen. Trotz der steigenden Vernetzung im Pflegesektor ist zu erwarten, dass eine Schadenslage das System überfordert. Die zunehmenden Bedarfe bei einem Stromausfall oder vereisten Straßen können nicht allein von den Pflegeinstitutionen abgefangen werden. Zumal die Pflegedienste nicht verpflichtet sind, für solche Situationen Vorsorge zu treffen [7]. Auch die BOS kommen an ihre Grenzen, was eine individuelle Versorgung anbelangt. Es gilt, als Kommune die Akteure des Katastrophenschutzes und der Pflege zusammen zu bringen und bereits präventiv Maßnahmen zu entwickeln. Wer kann auf kommunaler Ebene Verantwortung für Pflege- und Hilfsbedürftige in Schadenslagen übernehmen und warum? Auf kommunaler Ebene existieren drei Bereiche aus denen Kooperationen mit dem Bereich Pflege hervorgehen können, um die ambulante Versorgung von Pflege- und Hilfsbedürftigen während einer Schadenslage aufrechterhalten zu können [8]: Vernetzung und soziale Inklusion gering hoch Unterstützungsbedarf gering Typ B: Gering vernetzt und geringer Unterstützungsbedarf Typ A: Gut vernetzt und geringer Unterstützungsbedarf hoch Typ D: Gering vernetzt und hoher Unterstützungsbedarf Typ C: Gut vernetzt und hoher Unterstützungsbedarf Bild 1: Personen lassen sich je ach Unterstützungsbedarf in vier Gruppen unterteilen. © Fraunhofer IAO 36 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? 1. Landratsamt bzw. Bürgermeister*innen 1 2. Rechts-, Sicherheits- und Ordnungverwaltungen bzw. Ämter für Brand- und Bevölkerungsschutz und Notfallvorsorge 3. Sozial-, Jugend- und Gesundheitsverwaltungen (um Beispiel Seniorenberatungsstellen und Pflegestützpunkte) Das hessische Innenministerium ermöglicht in seinen „Rahmenempfehlungen zur Einsatzplanung des Brand- und Katastrophenschutzes bei flächendeckendem, langandauerndem Stromausfall“ einen Einstieg in die Thematik [9]. Es erfolgt eine Sensibilisierung im Hinblick auf die Problematik, die sich bei langanhaltenden Stromausfällen für die vulnerable Gruppe ergibt. Zudem wird deutlich gemacht, dass mindestens Schätzwerte vorhanden sein sollten und ambulante Pflegedienste sich bei Engpässen oder Versorgungsschwierigkeiten an kommunale Akteure (Gesundheitsverwaltung oder im Katastrophenschutzfall die Katastrophenschutzleitung) wenden müssen (Hessisches Innenministerium). Die drei genannten Akteursgruppen verfügen jeweils über spezifische Ressourcen, die sie qualifizieren, Teil des Netzwerkes zur Aufrechterhaltung der ambulanten Versorgung von Pflege- und Hilfsbedürftigen in Schadenslagen zu sein. Erstere verfügt über ein großes Netzwerk im Bereich Katastrophenschutz, auch über das jeweilige Bundesland hinaus. Zudem ist dieser Akteur organisatorische Schnittstelle zwischen den beiden anderen kommunalen Akteuren. Jedoch verfügen Landratsämter oder Inhaber des Bürgermeisteramts in der Regel nicht über belastbare Netzwerke im Bereich Pflege, ebenso wenig wie die zweite Gruppe der kommunalen Akteure. Die kommunalen Rechts-, Sicherheits- und Ordnungsverwaltungen sind zuständig für die Notfallvorsorge und den Katastrophenschutz in einem Landkreis. Kommune und Landkreis arbeiten eng zusammen. Zudem ist diese Gruppe eng mit den lokalen Organisationen (zum Beispiel Feuerwehr, Wohlfahrtsverbände verbunden. Des Weiteren lässt sich zwischen diesem Akteur und den Sozial-, Jugend- und Gesundheitsverwaltungen eine Schnittstelle (über das Bürgermeisteramt) feststellen. Dieser dritte kommunale Akteur bietet Pflege- und Hilfsbedürftigen und deren Angehörigen Bera- 1 Zu beachten ist, dass der Katastrophenschutz in Deutschland im Aufgabenbereich der Länder liegt und somit eine gewisse Diskrepanz zwischen den unterschiedlichen Bundesländern vorliegen kann. In diesem Fall wird von Folgendem ausgegangen: Oberste Katastrophenschutzbehörde (jeweiliges Innenministerium), Höhere Katastrophenschutzbehörde (jeweils angesiedelt bei einer Landesmittelbehörde) und die Untere Katastrophenschutzbehörde (Landratsamts bzw. (Ober-)Bürgermeisteramt) in einer kreisfreien Stadt. tungsleistungen an, folglich ist dieser Akteur eng im Sozialraum vernetzt und kennt die verschiedenen Akteure aus dem jeweiligen Pflegebereich. Jedoch sind die Kontakte in den Bereich Katastrophenschutz nur begrenzt bzw. gar nicht vorhanden. Wie genau kann die Zusammenarbeit gestaltet werden? Das Landratsamt bzw. Bürgermeister*innen arbeiten mit dem Fachberater Pflege, der im Bereich Gesundheit der ständigen Mitglieder des Verwaltungsstabes anzusiedeln ist, zusammen. Der Fachberater informiert diesen kommunalen Akteur und macht den jeweiligen Bürgermeister auf die vulnerable Gruppe der Pflege- und Hilfsbedürftigen aufmerksam. Der Bürgermeister kann dann die kommunale Sozialverwaltung, in diesem Fall Akteur 3, anweisen, die Koordination der Versorgung der vulnerablen Gruppe zu übernehmen. Woraufhin die betreffende Institution Kontakt mit den ambulanten Pflegediensten und den Akteuren im Sozialraum (wie pflegende Angehörige) aufnimmt. Um die Anzahl von Pflege- und Hilfsbedürftigen abzuschätzen kann die im Rahmen von KOPHIS entwickelte Faustformel genutzt werden [8]. Welche Maßnahmen können Kommunen präventiv ergreifen? Wie der vorangegangene Abschnitt zeigt, ist ein funktionierendes Netzwerk zwischen den Bereichen Katastrophenschutz, kommunalen Verwaltungen und der Pflege entscheidend, wenn es um die Sicherstellung der ambulanten Versorgung Pflege- und Hilfsbedürftiger in der Schadenslage geht. Alle drei kommunalen Akteure können durch gemeinsame Arbeitskreise und Übungen zu einer Festigung des Netzwerkes beitragen. Zudem sollten Einrichtungen des Katastrophenschutzes mithilfe der anderen kommunalen Akteure auf die Versorgung von Pflege- und Hilfsbedürftigen vorbereitet werden. Eine Sensibilisierung der verschiedenen Bereiche und der Gesamtbevölkerung gilt es (beispielsweise durch gemeinsame öffentliche Veranstaltungen) zu schaffen. Fazit Das zu Beginn geschilderte Szenario eines flächendeckenden Stromausfalls, bedingt durch eine Naturkatastrophe, wird in den nächsten Jahren kein Einzelfall bleiben. Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenspotenziale von Krisen und Katastrophen werden deutlich ansteigen, so wie bereits in den letzten Jahren geschehen [10]. Hinzukommen steigende Zahlen im Sektor der Hilfs- und Pflegebedürftigen 37 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? und sinkende im Bereich der Einsatzkräfte, daher ist es mehr denn je entscheidend, für den Notfall vorbereitet zu sein [11]. Kommunen kommt hierbei eine zentrale Rolle als Vermittler und Initiator zu. Die KOPHIS-Ergebnisse stellen eine erste Orientierung für Kommunen bezüglich der Versorgung von Pflege- und Hilfsbedürftigen während einer Schadenslage dar. Neben der ambulanten Versorgung gibt es weitere Aspekte im Katastrophenfall, die im Hinblick auf die vulnerable Gruppe entscheidend sein können. Wie können beispielsweise die spezifischen Anforderungen dieser Gruppe im Evakuierungsfall umgesetzt werden? Nur eine von vielen Fragen, denen sich Forschung und Praxis gemeinsam stellen müssen, um die größte vulnerable Gruppe zu schützen. KOPHIS ist hierbei ein erster Schritt in die richtige Richtung, weitere müssen folgen. LITERATUR [1] OVB24 2019: Pressemeldung Bayerisches Rotes Kreuz - Rotes Kreuz unterstützt großen Schnee-Einsatz im Berchtesgadener Land. Artikel vom 11.01.2019. In: https: / / w w w.bgland24.de/ bgland/ region-bad-reichenhall/ landkreis-berchtesgadener-land-ort77362/ berchtesgadenerland-roteskreuzunters tuet z tgrossen-schnee-einsatz-11132790.html, zuletzt zugegriffen am 04.04.2019. [2] Uerlings, V.: Wie eine Bombe 70 Jahre später ein Leben rettete. Aachener Nachrichten. Artikel vom 19.10.2018. In: https: / / www.aachener-nachrichten. de/ lokales/ juelich/ weltkriegsbombe-in-aldenhovenerfolgreich-entschaerft_aid-33912843, zuletzt zugegriffen am 04.04.2019. [3] Destatis (Statistisches Bundesamt) 2018a: Statistisches Jahrbuch 2018 - Kapitel 2 Bevölkerung, Familien, Lebensformen. In: https: / / www.destatis.de/ DE/ Themen/ Querschnitt/ Jahrbuch/ jb-bevoelkerung. pdf ? _ _blob=publicationFile&v=6, zuletzt geprüft am 04.04.2019. [4] Destatis (Statistisches Bundesamt) 2018b: Pflegestatistik 2017. Pflege im Rahmen der Pflegeversicherung Deutschlandergebnisse. In: https: / / www. destatis.de/ DE/ Themen/ Gesellschaft-Umwelt/ Gesundheit/ Pflege/ Publikationen/ Downloads-Pflege/ pf lege deut schlandergebnisse -5224 0 01179 0 0 4. pdf ? _ _blob=publicationFile&v=5, zuletzt geprüft am 04.04.2019. [5] DIGAB 2018: Ambulante Intensivpflege nach Tracheotomie - Positionspapier zur aufwendigen ambulanten Versorgung tracheotomierter Patienten mit und ohne Beatmung nach Langzeit-Intensivtherapie. In: https: / / digab.de/ wp-content/ uploads/ 2019/ 01/ Positionspapier_Tracheotomie_und_ HKP_Thieme- Verlag.pdf, zuletzt geprüft am 04.04.2019. [6] Die Nephrologen 2017: Sonderheft Initiative Nierentransplantation 2017. In: http: / / www.die-nephrologen.de/ files/ content/ presse/ sonderheft/ sd_sonderheft-2017.pdf, zuletzt geprüft am 04.04.2019. [7] Neuschäfer, D.: Anpassung an den Klimawandel in der ambulanten Pflege. In: Roßnagel, A. (Hrsg.): Regionale Klimaanpassung. Herausforderungen - Lösungen - Hemmnisse - Umsetzung am Beispiel Nordhessens. Interdisciplinary Research on Climate Change Mitigation and Adaptation. Vol. 5, (2013), S. 323-350. [8] Zettl, V., Strunck, S., Nell, R.: Zusammenarbeit erfolgreich gestalten: Wie die ambulante Versorgung von Pflege- und Hilfsbedürftigen in Schadenslagen sichergestellt werden kann. Institut für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement IAT der Universität Stuttgart, 2018. [9] Hessisches Innenministerium o. J.: Rahmenempfehlungen zur Einsatzplanung des Brand-und Katastrophenschutzes bei flächendeckendem, langandauerndem Stromausfall. In: https: / / innen.hessen.de/ sites/ default/ files/ media/ hmdis/ handlungsempfehlung _ stromausfall_.pdf, zuletzt geprüft am 04.04.2019. [10] Bobsin, K.: Modellgestützte Untersuchung von Strategien der Katastrophenlogistik, insbesondere großräumige Evakuierungen, 2006. In: https: / / www. bbk.bund.de/ SharedDocs/ Downloads/ BBK / DE/ FIS/ DownloadsInformationsangebote/ Hochschschulschriften/ Bobsin.pdf ? _ _blob=publicationFile, zuletzt geprüft am 04.04.2019 [11] Techniker Krankenkasse 2014: TK-Pflegestudie: Pflegende Angehörige treiben Pflichtgefühl und Familienzusammenhalt an, doch der soziale Kitt bröckelt. In: https: / / www.presseportal.de/ pm/ 6910/ 2827673, zuletzt geprüft am 04.04.2019 AUTOR*INNEN Rebecca Nell, M.A. Institut für Arbeitswissenschaften und Technologiemanagement (IAT) der Universität Stuttgart Kontakt: rebecca.nell@iat.uni-stuttgart.de Dipl.-Kfm. Stefan Strunck Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO Kontakt: stefan.strunck@iao.fraunhofer.de Veronika Zettl, M.A. Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO Kontakt: veronika.zettl@iao.fraunhofer.de 38 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Ziehen Städte Naturkatastrophen an? Weltweit drängen Menschen in die Städte. Flächenhafte Expansion und Konzentration von Menschen, Werten und Infrastruktur sind physische Ausprägungen globaler Urbanisierung (zum Beispiel [1]). Seit 2008 leben erstmalig mehr als 50 Prozent der Menschen in Städten. Dieser Trend setzt sich laut Prognose der Vereinten Nationen weiter fort: Im Jahr 2050 werden etwa zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten oder städtischen Zentren leben [2]. „Städte sind vielleicht eine der komplexesten Schöpfungen der Menschheit, nie fertig, nie definitiv. Sie sind wie eine Reise, die nie endet“ [3]. Der Siegeszug von Städten ist in ihrem diversifizierten Angebot an Arbeitsmöglichkeiten und Infrastruktur, Bildung, sowie kulturellen Unterhaltungsangeboten begründet. Gleichzeitig sind Städte jedoch Brennpunkte, wenn es um Probleme wie Ressourcenverbrauch, Umweltbelastung oder soziale Fragen geht. Ballungsräume sind einem erhöhten Risiko von Kriminalität, Terroranschlägen, aber auch Technik- und Umweltgefahren ausgesetzt (Bild 1). Aber - provokativ gefragt - ziehen Städte auch Naturkatastrophen an? Heute sind doppelt so viele Menschen bedroht wie noch vor 40 Jahren, da der Mensch immer mehr potenziell gefährdete Gebiete immer dichter besiedelt, so lautet eine der zentralen Schlußfolgerungen des Atlas zur Gefährdung der Menschheit [4]. Die Analyse basiert auf der Untersuchung der sechs großen Naturgefahren - Erdbeben, Vulkanausbrüche, Tsunamis, tropische Wirbelstürme, tropische Sturmfluten und Hochwasser -, welche mit der Information zur bebauten Fläche und Bevölkerung verschnitten werden. Rund eine Milliarde Menschen in 155- Ländern der Erde sind von Hochwasser und Überschwemmungen bedroht, während laut Analyse 414 Millionen Menschen Gebiete in der unmittelbaren Nähe der aktivsten Vulkane bewohnen. Erdbeben ist die Naturgefahr, von der die meisten Menschen potenziell betroffen sind. So hat sich die Anzahl der Menschen, die in seismischen Risikogebieten leben, innerhalb der letzten 40 Jahre fast verdoppelt. Erdbeben haben aber rein statistisch nicht zu- oder abgenommen [5]. Städte ziehen also diesbezüglich keineswegs Naturgefahren an. Im Zusammenhang mit der steigenden Anzahl der bedrohten Menschen steht somit der Begriff der Urbanisierung. Das globale Bevölkerungswachstum sowie die Attraktivität von Städten machen viele Stadtregionen zu zunehmend exponierten Entitäten. Extreme Naturereignisse müssen aber nicht unbedingt immer gleich zu Katastrophen werden. Wann wird eine Gefahr zum Risiko? Eine Naturgefahr ist ein durch natürliche Prozesse ausgelöster Vorgang, der Schäden verursachen oder Opfer fordern kann. Die Betonung liegt auf dem Wort „kann“. Wenn sich im betroffenen Gebiet keine Menschen oder Güter befinden, gibt es keine Exposition und es können damit auch keine Schäden verursacht werden. Somit dürfen wir eine Naturgefahr nicht per se als Risiko bezeichnen. Diesbezüglich hat in den letzten Jahren in der Risikoforschung ein Paradigmenwechsel stattgefunden: von der Quantifizierung und Analyse von Naturgefahren hin zur Identifikation und Abschätzung von Exposition und Vulnerabilität. Konsequenzen einer Naturgefahr werden durch die Exposition und die Vulnerabilität der davon betroffenen Entität entstehen [6]. Gerade urbane Regionen, die durch Was passiert, wenn... Exposition und Vulnerabilität urbaner Räume gegenüber Naturgefahren Naturgefahren, Andenregion, Urbanisierung, Risikoanalyse, Kettenreaktionen, Exposition Elisabeth Schöpfer, Patrick Aravena Pelizari, Christian Geiß, Torsten Riedlinger, Hannes Taubenböck Weltweit wachsen städtische Ballungsräume und neue Megalopolen entstehen. Die Konzentration von Menschen, Gebäuden, Infrastruktur, etc. macht Städte besonders verletzlich gegenüber Naturgefahren. Die Andenregion mit Millionenstädten wie Lima oder Santiago de Chile ist eine durch Naturereignisse stark gefährdete Region. Erdbeobachtungsdaten und Daten aus neuen Medien haben das Potenzial Exposition und Vulnerabilität mit Hilfe innovativer Methoden räumlich und thematisch hoch aufgelöst und zeitlich aktuell zu bestimmen. Welche urbanen Strukturen, welche Gebiete sind dabei besonders betroffen? 39 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? die Konzentration von Gebäuden und Infrastruktur, Wertschöpfungsketten, etc. charakterisiert sind, stellen Werte dar, die potenziell zerstört werden können. Das Risiko bestimmt sich somit aus (Natur-) Gefahr, Exposition und Vulnerabilität. Die Gefahr, das heißt die Gefährdung wird durch die Intensivität und Eintrittswahrscheinlichkeit eines Naturereignisses beschrieben. Die Exposition beschreibt den geographischen Ort und die Elemente (Menschen oder Gegenstände), die einer Gefahr ausgesetzt sind, während die Vulnerabilität die Verletzlichkeit, das heißt den potenziellen Schaden, bezeichnet. Risiken entstehen somit aus der Überlagerung dieser drei Risikokomponenten (zum Beispiel: [7], [8]). Naturgefahren-Hotspot Anden Die Andenregion ist eine durch Naturgefahren und die Auswirkungen des Klimawandels stark gefährdete Region. Erdbeben, Tsunamis, Hangrutschungen, Vulkaneruptionen, Waldbrände oder Überflutungen treten hier auf engstem Raum auf. Eine Gefahr kommt dabei selten allein: Ein Hochwasser kann einen Erdrutsch auslösen oder ein Erdbeben kappt die Strom- und Wasserversorgung, so dass sich Situationen für Betroffene und Einsatzhelfer verschärfen können (Bild 2). Das Verbundprojekt RIESGOS (Multi-Risiko Analyse und Informationssystemkomponenten für die Andenregion) zielt dabei darauf ab, diese komplexen Multi-Risiko-Situationen zu erforschen. Dafür werden in Kooperation mit Partnern aus Chile, Ecuador und Peru gemeinsam Methoden zur Analyse komplexer Multi-Risiko-Situationen und damit verbundenen kaskadierenden Effekten entwickelt [9]. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Ergebnisse werden durch die Entwicklung von entsprechenden Webservices in einen Demonstrator überführt, welcher modular und flexibel aufgebaut als Multi-Risiko-Informationssystem dienen soll. Dadurch können die Ergebnisse mit den Kooperationspartnern in den spezifischen südamerikanischen Andenländern zielgerichtet ausgetauscht werden. Darüber hinaus können auch deren eigene Dienste dank der Nutzung anerkannter Standards in den Demonstrator integriert werden. Die Ergebnisse und Entwicklungen sollen Behörden im Bereich des Katastrophenrisikomanagements und des Zivilschutzes zugänglich gemacht werden und ihnen ermöglichen, komplexe Multi-Risiko-Szenarien zu analysieren und dadurch Risiken zu verstehen und das Katastrophenmanagement zu verbessern. Die Bestimmung der Exposition und Vulnerabilität von urbanen Räumen gegenüber Naturgefahren ist dabei ein zentrales Element. Exposition und Vulnerabilität sollen helfen den Risikoraum Stadt Bild 1: Der Blick von oben auf die Hafenstadt „El Callao“ im Einzugsbereich der peruanischen Hauptstadt Lima. © Torsten Riedlinger, DLR THEMA Städte im Krisenmodus? Bild 2: Tsunami-Warnschilder an der peruanischen Küste vor der Hauptstadt Lima. © Torsten Riedlinger, DLR 40 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? besser zu verstehen. Doch wie können die immer komplex werdenden Elemente einer Stadt systematisch erfasst und beschrieben werden? Exposition - wichtige Informationen aus Satellitendaten Erdbeobachtungsdaten bieten ein enormes Potenzial, um exponierte Entitäten wie Städte und Stadtregionen in ihrer physischen Erscheinungsform zu erfassen, über die Zeit zu beobachten und bezüglich ihrer Verwundbarkeit zu analysieren. Durch den „Blick von oben“ können unterschiedliche Strukturen erfasst und charakterisiert werden. Die Fernerkundung stellt dafür eine große Vielfalt unterschiedlicher Aufnahmeinstrumente zur Verfügung, welche in Form einer synergetischen Datenauswertung zu neuen geographischen, raumwissenschaftlichen Erkenntnissen führen. Doch erst durch die technische und thematische Verarbeitung von Satellitenbilddaten entsteht räumliche Information, welche hilft die exponierten Elemente (zum Beispiel Gebäudestrukturen oder Straßenwegenetze) raum-quantitativ ableiten zu können. Für die Abschätzung der exponierten Elemente der gebauten Umwelt wurde eine Reihe an Grundlagenverfahren entwickelt und evaluiert. Dies ist zwingend erforderlich, da hochgenaue Geoinformation zum Siedlungsraum oftmals nicht vorhanden, nicht zugänglich oder nur inkonsistent vorhanden ist. Ein zentrales Element ist dabei die Entwicklung eines automatischen Verfahrens zur generischen morphologischen Charakterisierung der Siedlungsstruktur bezüglich der Bebauungshöhe und -dichte. Diese beiden Parameter sind die wichtigsten beschreibenden Variablen der Bebauungsmorphologie und sollen die räumlich hochgenaue Disaggregation von exponierter Bevölkerung und Gebäudetypologien erlauben. Um diese beiden Parameter großflächig abzuleiten, wurde ein Bearbeitungsablauf entwickelt, der auf global verfügbaren Satellitenfernerkundungsdaten und -produkten basiert. Dabei werden der Global Urban Footprint (GUF, [10]), multispektrale optische Sentinel-2-Bilddaten der Europäischen Copernicus- Mission [11] sowie digitale Oberflächenmodelle der TanDEM-X Mission [12] genutzt (Bild 3). Zunächst werden, basierend auf dem GUF, welcher die gebaute von der nicht gebauten Umwelt abgrenzt, Siedlungsareale automatisch von unbewohnten Gebieten unterschieden. Diese Information wird verwendet, um innerhalb von Siedlungsarealen die Höhen von Gebäudestrukturen aus den TanDEM-X-Oberflächenmodellen zu extrahieren- [13]. Dies geschieht mit einer speziellen Methode, welche automatisierte Bildklassifikation und -filterung integriert. Im Weiteren werden Siedlungsareale unter Nutzung der optischen Sentinel- 2-Satellitendaten automatisch nach intra-urbanen Vegetationsflächen, von der Erdoberfläche erhabenen Objekten - den Gebäuden - und verbleibender Siedlungsfläche unterschieden. Objekte, die von der Erdoberfläche erhaben sind, werden im Folgenden für die Berechnung der Bebauungshöhe und -dichte herangezogen. Dabei zeigen die Ergebnisse, welche Bild 3: Global verfügbare Eingangsdaten (links) und die abgeleitete intra-urbane Landbedeckung (rechts). © DLR Bild 4: Bebauungshöhe und -dichteverteilung im Großraum Santiago de Chile - Valparaíso - Viña del Mar abgeleitet aus Satellitendaten. © DLR 41 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? mit über drei Millionen Gebäudegeometrien aus Katasterinformationen verglichen wurden, sowohl eine hohe Genauigkeit der Höhenschätzung (etwa ein bis zwei Stockwerke Abweichung abhängig von der Siedlungsstruktur) als auch der Dichteableitung (maximal 20 Prozent Abweichung bei passender Parametrisierung) und unterstreichen somit eine valide Charakterisierung der Siedlungsstruktur [14]. In Kombination lassen die gewonnenen Informationen über die intra-urbanen Siedlungsflächen und Siedlungshöhen eine differenzierte morphologische Charakterisierung urbaner Räume zu. Bild 4 zeigt die integrierte Darstellung der abgeleiteten Parameter Bebauungsdichte und Bebauungshöhe für den Großraum Santiago de Chile - Valparaíso - Viña del Mar, wobei die Balkenfarbe die Bebauungsdichte und die Balkenhöhe die Bebauungshöhe wiedergibt. Wie Bild 4 zeigt, lässt sich die dreidimensionale physische Morphologie großflächiger urbaner Siedlungen auch in Gebieten mit einer komplexen Topographie, wie der Großraum Santiago de Chile - Valparaíso - Viña del Mar, gut wiedergeben. Dieser ist stark durch die chilenischen Kordilleren geprägt. In Santiago lassen sich im Zentrum großräumig mittelhohe, starkverdichtete Strukturen erkennen, welche von niedrigeren Bebauungen von hoher bis sehr hoher Dichte abgelöst werden. Ein hochgebautes Band von sehr hoher bis mittlerer Dichte, das sich vom Zentrum Santiagos in Richtung Nordosten zieht, gibt unter anderem die hochgebauten Business Districts Santiagos („Sanhattan“) gut wieder. Des weiteren werden die etwas höher gelegenen Gunstlagen am östlichen Rand der Stadt, welche durch Bauten von niedriger Höhe und niedriger bis mittlerer Bebauungsdichte geprägt sind, gut erfasst (Bild 5). Eingegrenzt durch die Ausläufer der Kordilleren, weist Valparaíso weitgehend eine hohe Bebauungsdichte auf. Mittlere bis hohe Gebäudehöhen befinden sich im küstennahen Stadtzentrum sowie in der Umgebung des Hafens (Bild 6). Die gewonnenen Daten finden ihre Anwendung in der großflächigen Bewertung der Vulnerabilität urbaner Siedlungsräume gegenüber Naturgefahren. So wird die Kombination von Bebauungsdichte und Bebauungshöhe verwendet, um wichtige Expositionskennzahlen, wie die räumliche Verteilung von Bevölkerung und Gebäudestrukturtypen, die oftmals nur aggregiert auf relativ groben administrativen Raumeinheiten vorliegen, mit einem höheren Detailgrad abzubilden. In einem finalen Analyseschritt werden die Daten mit den Informationen zu den Naturgefahren kombiniert, um die Folgen bereits im Vorfeld abschätzen zu können und Gegenmaßnahmen einzuleiten. Fazit Obwohl wir im Informationszeitalter leben, haben wir hinsichtlich Naturgefahrenrisiken nach wie vor erhebliche Wissenslücken. Großflächiges Wissen über die Exposition und die Vulnerabilität von Regionen, Ländern oder Kontinenten beruht überwiegend auf sehr generalisierten Zahlen. Ein hoher Detailgrad bei Geoinformation, um diese generalisierten Zahlen empirisch belastbar bereit zu halten, ist allerdings in vielen Teilen unseres Planeten nicht existent. Die Fernerkundung aus dem All hat sich in jüngster Vergangenheit zu einer zentralen Datenquelle entwickelt, um diese Wissenslücken reduzieren zu können. Der Anstieg verfügbarer Satellitendaten, die gestiegenen Möglichkeiten zur Prozessierung der Daten und jüngste Entwicklungen hinsichtlich Bildanalyseverfahren (zum Beispiel maschinelle Lernverfahren) machen es heute möglich, thematisch und geometrisch hoch auslösende Geoinformation (Bild 2) für große Räume mit hohen Genauigkeiten bereit zu stellen. Erdbeobachtungsdaten haben zudem in Kombination mit (Geo-)Daten aus neuen Medien (etwa aus sozialen Netzwerken) das Potenzial Bild 5: Santiago de Chile mit Blick auf den Finanzdistrikt „Sanhattan“ und dem Gran Torre Santiago, dem höchsten Gebäude Südamerikas. © Elisabeth Schöpfer, DLR Bild 6: Ein Blick auf die dichtbesiedelten Hügel von Valparaíso. © Elisabeth Schöpfer, DLR 42 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Exposition und Vulnerabilität räumlich, thematisch sowie zeitlich hoch aufgelöst zu bestimmen, um Informationen - insbesondere für die sich schnell veränderlichen urbanen Strukturen - als Beitrag für eine Risikobewertung von Städten gegenüber Naturgefahren zu generieren. Danksagung Die vorgestellten Ergebnisse stammen zum Teil aus dem Projekt „RIESGOS“, welches vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unter dem Förderkennzeichen 03G0876A gefördert und vom Projektträger Jülich (PtJ) im Auftrag des BMBF betreut wird. LITERATUR: [1] Taubenböck, H., Esch, T., Felbier, A., Wiesner, M., Roth, A., Dech S.: Monitoring of mega cities from space. In: Remote Sensing of Environment, vol. 117 (2012), S. 162-176. [2] United Nations, Department of Economic and Social Affairs, Population Division: World Population Prospects: The 2017 Revision, Key Findings and Advance Tables, 2017. ESA/ P/ WP/ 248. [3] UN-HABITAT: State of the World’s Cities 2008/ 2009 - Harmonious Cities. TAYLOR & FRANCIS, 2008. ISBN 978-1-84407-696-3. [4] Pesaresi, M., Ehrlich, D., Kemper, T., Siragusa, A., Florczyk, A.J., Freire, S., Corbane, C.: Atlas of the Human Planet 2017: Global Exposure to Natural Hazards, EUR 28556 EN, doi: 10.2760/ 19837. [5] Bilham, R.: The seismic future of cities. Bulletin of Earthquake Engineering, vol. 7 (2009), S. 839-887. [6] Taubenböck, H., Post, J., Roth, A., Zosseder, K., Strunz, G., Dech, S.: A conceptual vulnerability and risk framework as outline to identify capabilities of remote sensing. Nat. Hazards and Earth Sys. Sci., vol. 8, no. 3 (2008), S. 409-420. [7] Birkmann, J.: Measuring Vulnerability to Natural hazards - Towards Disaster Resilient Societies. New York, United Nations University. (2006), S. 524. [8] Geiß, C., Taubenböck, H.: Remote sensing contributing to assess earthquake risk: from a literature review towards a roadmap. Natural Hazards, 68 (2013), S. 7-48. [9] RIESGOS (2019): Multi-Risiko Analyse und Informationssystemkomponenten für die Andenregion. URL: http: / / www.riesgos.de (26/ 04/ 2019). [10] Esch, T., Taubenböck, H., Roth, A., Heldens, W., Felbier, A., Thiel, M., Schmidt, M., Müller, A. Dech, S.: TanDEM- X mission: New perspectives for the inventory and monitoring of global settlement patterns. Journal of Applied Remote Sensing. vol 6., issue 1 (2012). [11] Drusch, M., Del Bello, U., Carlier, S., Colin, O., Fernandez, V., Gascon, F., Hoersch, B., Isola, C., Laberinti, P., Martimort, P., Meygret, A., Spoto, F., Sy, O., Marchese, F., Bargellini, P.: Sentinel-2: ESA’s Optical High-Resolution Mission for GMES Operational Services. Remote Sens. Environ., vol. 120 (2012), S. 25-36. [12] Zink, M., Bachmann, M., Brautigam, B., Fritz, T., Hajnsek, I., Moreira, A., Wessel, B., Krieger, G.: TanDEM-X: The New Global DEM Takes Shape. IEEE Geosci. Remote Sens. Mag., vol. 2, no. 2 (2014), S. 8-23. [13] Geiß, C., Aravena Pelizari, P., Bauer, S., Schmitt, A., Taubenböck, H.: Automatic Training Set Compilation for DTM Generation with TanDEM-X DSM Data and Sentinel-2 Imagery. IEEE Remote Sensing Letters, 2019. Unter Begutachtung. [14] Geiß, C., Leichtle, T., Wurm, M., Aravena Pelizari, P., Standfuß, I., Zhu, X. X., So, E., Siedentop, S., Esch, T., and Taubenböck, H.: Large-Area Characterization of Urban Morphology - Mapping Built-Up Height and Density with the TanDEM-X Mission and Sentinel-2. IEEE Journal of Selected Topics in Applied Earth Observation and Remote Sensing, 2019, im Druck. AUTOR*INNEN Dr. Elisabeth Schöpfer Wissenschaftliche Mitarbeiterin Projektleiterin RIESGOS Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Earth Observation Center (EOC) Kontakt: Elisabeth.Schoepfer@dlr.de Patrick Aravena Pelizari Wissenschaftlicher Mitarbeiter Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Earth Observation Center (EOC) Kontakt: Patrick.AravenaPelizari@dlr.de Dr. Christian Geiß Wissenschaftlicher Mitarbeiter Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Earth Observation Center (EOC) Kontakt: Christian.Geiss@dlr.de Dr. Torsten Riedlinger Stellvertretender Abteilungsleiter „Georisiken und zivile Sicherheit“ Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Earth Observation Center (EOC) Kontakt: Torsten.Riedlinger@dlr.de Dr. Hannes Taubenböck Gruppenleiter „Stadt und Gesellschaft“ Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Earth Observation Center (EOC) Kontakt: Hannes.Taubenboeck@dlr.de All you can read Alles zusammen zum Superpreis: Die Papierausgabe in hochwertigem Druck, das ePaper zum Blättern am Bildschirm und auf dem Smartphone, dazu alle bisher erschienenen Ausgaben im elektronischen Archiv - so haben Sie Ihre Fachzeitschrift für den urbanen Wandel immer und überall griffbereit. AboPlus: Print + ePaper + Archiv www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren Trialog Publishers Verlagsgesellschaft | Baiersbronn | service@trialog.de 44 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Urbane Sicherheit bei Terrorgefahren Vor dem Hintergrund von Risikowahrnehmung, gesellschaftlicher Debatte und Bürgerbeteiligung Urbane Sicherheit, Terrorgefahr, Risikobewertung, Sicherheitsmaßnahmen, mediale Aufmerksamkeit Norbert Gebbeken Die Diskussion um die Absicherung öffentlicher Räume vor dem Hintergrund terroristischer Gefahren wird engagiert und höchst kontrovers geführt. Das hängt auch damit zusammen, dass in der Gesellschaft der Risikobegriff mit unterschiedlicher Deutung verwendet wird und dass Gefahren meistens sehr subjektiv aufgrund persönlicher Wahrnehmungen eingeschätzt werden. Eine wichtige Einflussgröße ist die Rolle der Medien. Aufgrund einer emotional aufgeheizten Stimmung entscheiden sich Politiker bisweilen für Sicherheitsmaßnahmen, die aus technischer Sicht nicht sinnvoll oder gar gefährlich sein können. Diese werden dann in den Medien als Maßnahmen dargestellt, die die Freiheit einschränken. Dazu kommt eine zeitdynamische Komponente, die dazu führt, dass das Thema „Terrorschutz“ unmittelbar nach einem (vereitelten) Anschlag großes Interesse erfährt, das schnell abebbt, wenn der Anschlag aus den Medien verschwunden ist. Der Beitrag ist ein Versuch der Situationsanalyse. © Paolo Trabattoni auf Pixabay THEMA Städte im Krisenmodus? 45 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Rückblick Vor dem 11. September 2001 war man in der westlichen Welt der Meinung, dass der islamistische Terror räumlich weit weg ist. Er betraf uns nicht unmittelbar. Er war eine Angelegenheit der Außenpolitik. Mit dem Anschlag auf die Türme des World Trade Centers in New York fand bezüglich der Strategie der Terroristen ein Paradigmenwechsel statt. Erstens wurden katastrophale Anschläge direkt in der westlichen Welt, der Welt der „Ungläubigen“, verübt. Zweitens setzte man als Waffen Zivilflugzeuge ein, also keine typischen Waffen, und drittens galten die Anschläge nicht mehr nur Repräsentanten des Staates, sondern den „Ungläubigen“ schlechthin. Man sprach von asymmetrischer Bedrohung. Es wurde plötzlich erforderlich, zivile Einrichtungen, die nicht zu den kritischen Infrastrukturen zählen, zu schützen. Das waren Banken, Verlage, Hotels usw. Aufgabe der Ingenieure war es, den baulichen Schutz gegen Explosion, Beschuss und Anprall derart zu entwerfen, dass er für die Kunden, Gäste und Bürger nicht als solcher erkannt wurde. Wir nannten das „Hide Force Protection (HFP)“ im Gegensatz zu „Show Force Protection (SFP)“, bei der zum Beispiel durch Poller und Schutzwände der Schutz deutlich vermittelt wird. Betrachtet man die Statistiken zu Terroranschlägen nach 09/ 11, so ergibt sich weltweit (Bild 1) ein Auf und Ab von Anschlägen und Opfern. Jedoch für die Europäische Union ist seit 2015 ein deutlicher Anstieg der Angriffe festzustellen (Bild 2): 2015: 17, 2016: 13, 2017: 33. Bild 2 verdeutlicht, dass die Anschläge sehr unterschiedlich auf die Länder der Europäischen Union verteilt sind. Frankreich und Großbritannien scheinen im Fokus der Terroristen zu stehen. In Deutschland wurden vergleichsweise wenige Anschläge verübt. Das kann aber auch daran liegen, dass die Ermittlungsbehörden in Deutschland besonders effektiv arbeiten und Anschläge verhindern. Dazu liegen dem Autor jedoch keine Daten vor. Gefahren und Risiko Die Berichterstattung nach Anschlägen suggeriert häufig, dass die Terrorgefahr sehr real und allgegenwärtig ist und immer dramatischer wird. Um die Terrorgefahr richtig einzuschätzen, müssen wir uns mit der Eintretenswahrscheinlichkeit von verschiedenen Gefahren beschäftigen. Schaut man sich unterschiedliche Statistiken an oder vergleicht die Daten verschiedener Länder, dann stellt man fest, dass Daten zur Eintretenswahrscheinlichkeit einer Gefahr teilweise sehr voneinander abweichen. Das liegt beispielsweise an der Art, wie die Gefahrenereignisse gezählt werden und wie die Bezugsgröße festgelegt wird. Halten wir also fest: Die Eintretenswahrscheinlichkeit einer Gefahr ist keine eindeutige Größe. Man muss immer schauen, welche Parameter genau verwendet wurden. 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Anzahl Terroranschläge 14371 14414 11662 10969 11604 10283 6771 9964 13482 12121 11150 8584 Anzahl getötete Personen 20487 22719 15708 15310 13186 12533 11098 18066 32763 29424 25722 18753 0 5000 10000 15000 20000 25000 30000 35000 Opfer des Terrors Anzahl der Terroranschläge und der getöteten Personen weltweit Anzahl Terroranschläge Anzahl getötete Personen Bild 1: Terrorstatistik weltweit ab 2006. Quelle: US Department of State; National Consortium for the Study of Terrorism and Responses to Terrorism 46 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Die Eintretenswahrscheinlichkeit E einer Gefahr berechnet sich zu: Das obige Beispiel berechnet die Sterbewahrscheinlichkeit für Verkehrstote in Deutschland. Im Jahr 2018 gab es in Deutschland 3265 Verkehrstote (Statista) bezogen auf eine Bevölkerungszahl von 83 Mio. Nun könnte man sich die Frage stellen, ob man nicht die 1,4 Mio Touristen dazu zählen müsste, die sich im Durchschnitt täglich in Deutschland aufhalten. Und schon würde sich die Eintretenswahrscheinlichkeit für Verkehrstote ändern. Die Todesgefahr beim Bergsteigen liegt bei etwa 3 * 10 -3 . Wenden wir die Berechnung auf Terrortote in Deutschland an, so kommt man je nach Beobachtungszeitraum und der möglichen Anzahl exponierter Personen auf ganz unterschiedliche Zahlen. Im Jahr 2016 gab es in Deutschland 24 Terrortote, danach keine mehr (Zeitraum drei Jahre). Nun ist folgende Berechnung möglich: Würde diese Berechnung mit den Parametern akzeptiert (eine Berechnung mit anderen Größen ist durchaus denkbar) dann wäre die Folgerung, dass die Wahrscheinlichkeit, in Deutschland im Straßenverkehr ums Leben zu kommen, mehr als vierhundertmal höher ist, als bei einem Terroranschlag zu sterben. Gesellschaftliche Debatte So wurde auch in einem Beitrag in der Süddeutschen Zeitung (SZ) vom 01. 09. 2017 argumentiert, bei dem es um die Notwendigkeit baulicher Schutzmaßnahmen zur Abwendung von Terrorgefahren ging. Es war zu lesen: „Gegen Anschläge mit Fahrzeugen sei keine absolute Absicherung möglich. Man könne nicht jede Straße und jedes Café im Außenbereich nach dem Vorbild der Wiesn mit Pollern sichern. Und: Das Risiko, bei einem Verkehrsunfall zu sterben, sei weitaus höher. Sagt Joachim Herrmann, der CSU-Innenminister von Bayern. Ähnlich skeptische Aussagen über Poller gibt es vom CDU-Innenexperten Wolfgang Bosbach. Die beiden kennen die Falle, in die die Politik regelmäßig nach Terroranschlägen zu tappen droht: dass irgendetwas passieren muss, damit die Bürger den Eindruck haben, dass sich jemand um ihre Sicherheit Gedanken macht. Egal, ob es wirklich etwas bringt. So etwas nennt man Aktionismus. Natürlich dürfen Politik und Sicherheitskräfte nicht untätig sein. Aber wenn sie etwas unternehmen, muss es gründlich durchdacht sein. Es sollte verhältnismäßig und effektiv, aber nicht effekthascherisch sein. Einfach mal so nach Pollern für die Fußgängerzone zu rufen, weil es ja schließlich niemandem schadet, riecht Bild 2: Terrorstatistik für die Europäische Union ab 2007. Quelle: Europol, European Union Terrorism Situation and Trend Reports 2007 bis 2017 Anzahl religiös motivierter Terrorangriffe in den Ländern der EU von 2007 bis 2017 Frankreich Großbritannien Deutschland Belgien Dänemark Spanien Schweden Italien Finnland 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Anzahl der Angriffe 20 15 10 5 0 2 1 1 1 1 1 11 1 1 1 2 2 2 2 44 5 5 15 2 14 11 Anzahl der Opfer Anzahl exponierter Personen * Zeitraum E = 3.265 83.000.000 * 1 = = 3,9 * 10 -5 Anzahl der Opfer Anzahl exponierter Personen * Zeitraum E = 24 83.000.000 * 3 = = 9,64 * 10 -8 47 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? stark nach Wahlkampfgetöse. Anschläge können nicht nur mit Lieferautos, sondern auch mit Schusswaffen, Messern, Flugzeugen oder Sprengstoff verübt werden. Die Fußgängerzone ist ebenso gefährdet wie die Leopoldstraße, der Weihnachtsmarkt am Rotkreuzplatz oder die Menschentraube vor den Zugangskontrollen zur Wiesn. Und die U-Bahn. Sichert man alle diese Risiken ab (falls das überhaupt geht), bleibt vom freien Leben in einer offenen und lebenswerten Stadt nicht mehr viel übrig. Diesen Triumph sollte man den von archaischen Ideologien getriebenen Terroristen nicht gönnen. Poller in der Fußgängerzone sind in erster Linie ein Beruhigungselixier. Leider ein ziemlich teures“. Dieser Beitrag verdeutlicht die Schwierigkeit, eine angepasste Strategie zu finden. Gefahren und Risiken sind zwei paar Schuh‘ Aber er macht auch deutlich, dass Begriffe, die eigentlich definiert sind, sehr unterschiedlich gebraucht werden. Oben haben wir die Eintretenswahrscheinlichkeit für die Sterbegefahr bei unterschiedlichen Gefahren berechnet. In der SZ steht: „Das Risiko, bei einem Verkehrsunfall zu sterben, sei weitaus höher.“ Hier wird nun von Risiko gesprochen. Was aber ist das Risiko in der Risikoforschung? Das Risiko R berechnet sich zu R = E * S, wobei E die Eintretenswahrscheinlichkeit ist und S das Schadensausmaß. Das Risiko ist somit die Quantifizierung einer Gefahr, nicht aber die Gefahr selbst. Die Eintretenswahrscheinlichkeit einer Gefahr ist eben nicht gleich dem Risiko. Das sind zwei Paar Schuh‘. Würde man der Argumentation in der SZ folgen, so müsste man also dringend die Alpen und die Straßen verpollern und nicht die Städte. Risikowahrnehmung ist sehr subjektiv Warum nimmt aber die Terrorthematik, trotz so extrem geringer Eintretenswahrscheinlichkeit, einen so großen Raum in der Öffentlichkeit ein? Warum nehmen wir die Meldungen über Verkehrstote und über Alpintote emotionslos hin? Weil es so viele sind? Haben wir uns einfach daran gewöhnt? Dann könnte es ja auch beim Terror eine Gewöhnung geben. Oder gibt es besondere Aspekte in Bezug auf den Terror? Zur Beantwortung der Frage müssen wir uns mit der quantitativen Risikoanalyse befassen, und zwar mit dem Parameter „Schadensausmaß“. Das Schadensausmaß von Terroranschlägen lässt sich nicht wirklich beziffern Das Schadensausmaß bei Alpinunfällen und Verkehrsunfällen ist gesellschaftlich sehr klein, so schlimm es auch für die Betroffenen ist. Das sächliche Schadensausmaß ist bei Terroranschlägen auch immer noch klein, im Vergleich zum nicht sächlichen Schadensausmaß, das für die Gesellschaft immens sein kann (Bild 3). Terroranschläge treffen die Gesellschaft ins Mark. Doch wie lässt sich das nicht sächliche Schadensausmaß beziffern? Dafür gibt es keine klare Formel, aber Abschätzungen. 9 76 13 10 20 20 27 43 33 33 27 28 48 75 108 91 89 52 0 25 50 75 100 125 Ökonomische Kosten durch Terrorismus weltweit von 2000 bis 2017 (in Milliarden US-Dollar) Ökonomische Kosten in Milliarden US-Dollar 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2000 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Bild 3: Ökonomische Kosten durch Terrorismus weltweit seit 2000. Quelle IEP, Global Terrorism Index 48 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Bild 3 zeigt die ökonomischen Kosten weltweit durch Terrorismus seit dem Jahr 2000 in Milliarden US-Dollar. Die Daten basieren auf dem GTI (Global Terrorism Index). Sie wurden vom Institute for Economics & Peace (IEP) erhoben. Das Modell für den Terrorismus umfasst die direkten und indirekten Kosten von Todesfällen und Verletzungen sowie die Zerstörung von Eigentum durch Terroranschläge. Die direkten Kosten umfassen die Kosten, die von den Opfern der Terroranschläge getragen werden und den damit verbundenen Staatsausgaben - wie beispielsweise medizinische Ausgaben. Zu den indirekten Kosten gehören Produktivitäts- und Einkommenseinbußen sowie die psychologischen Traumata der Opfer, ihrer Familien und Freunde. Es gibt aber weitere nicht sächliche Kosten, wie Reiseverhalten, Einkaufsverhalten, Gesetzgebung, Normung, usw. Das tatsächliche Schadensausmaß von Terroranschlägen ist also noch größer als in Bild 3 angegeben. Würde man der Argumentation, die in der SZ dargestellt wurde, folgen, so müsste man von sämtlichen passiven Terror-Schutzmaßnahmen abraten. Stellt man jedoch eine quantitative Risikoanalyse an, die auch das Schadensausmaß von Terroranschlägen mit einbezieht, so kann man zu einem anderen Ergebnis kommen. Das Recht auf Freiheit ist im Grundgesetz verankert, ein Recht auf Sicherheit gibt es nicht Sowohl im SZ-Artikel (Herrmann, Bosbach) als auch in einer SWR-Diskussion am 15. 08. 2017 (Nils Zurawski, Soziologe, Stadtforscher) wurde argumentiert, dass Sicherheitsmaßnahmen, insbesondere bauliche, die Freiheit der Bürger einschränken. Sicherheit und Freiheit scheinen also in einem Spannungsfeld zu stehen. Interessanterweise gibt es in Deutschland das Recht auf Freiheit (GG Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 104), nicht aber ein Recht auf Sicherheit. Dabei ist Sicherheit vielen Deutschen ebenso wichtig wie Freiheit. Schutzmaßnahmen, die selbst eine Gefahr darstellen Nach dem verheerenden Anschlag auf dem Breitscheidplatz am 19.- Dezember- 2016 wurde quer durch Deutschland, selbst in kleinen Gemeinden, überreagiert, oder wie es im SZ-Artikel steht, es fand Aktionismus statt. Es wurden in der Folge unzählige Veranstaltungen „verpollert“. Bemerkenswert dabei ist, dass vielfach Barrieren verwendet wurden, die ihren Zweck nicht erfüllten, ja schlimmer noch, die beim Anprall selbst zur Gefahr wurden. Man fragt sich dann, warum keine Spezialisten zu Rate gezogen wurden. Den Impulssatz und das Reibungsgesetz lernen Studierende der Ingenieurfächer schon im dritten Semester. Bürgerbeteiligung - Ja oder Nein? Die Bevölkerung reagierte sehr unterschiedlich auf diese Sicherheitsmaßnahmen. Es gab einerseits Stimmen, die angaben, dass man sich durch die Maßnahmen sicher fühle, doch andererseits wurde gesagt, dass die Sicherheitsmaßnahmen für Verunsicherung sorgten. Dadurch wird ein interessantes Phänomen deutlich - das Sicherheitsgefühl. Warum fühlen sich Menschen subjektiv sicher, auch wenn sie sich objektiv in Gefahr begeben? So zum Beispiel als Verkehrsteilnehmer, beim Bergsteigen oder bei der Hausarbeit? Warum setzen die meisten Fahrradfahrer keinen Helm auf? Dazu hat der Soziologe Ortwin Renn ein Buch geschrieben, mit dem Titel „Das Risikoparadox - Warum wir uns vor dem Falschen fürchten“. Ist es vor diesem Hintergrund sinnvoll, Bürger zu beteiligen, wenn es um Fragen der Sicherheit geht? Wir stellen immer wieder fest, dass viele Menschen mit Zahlen wie Eintretenswahrscheinlichkeiten nichts anfangen können. Umfragen im Angesicht eines Anschlages ergeben andere Ergebnisse als Umfragen, nachdem das Ereignis aus den Medien und aus dem Bewusstsein verschwunden ist. Prävention - ein hartes Brot Ein weiteres interessantes Betätigungsfeld ist die Prävention. Ist die Prävention gut, dann passiert nichts und man ist in der Folge geneigt, die Ressourcen für die Prävention zu verringern. Passiert jedoch etwas, dann hätten es die Experten doch wissen und somit warnen müssen. Zumindest werden unmittelbar Lösungen erwartet. Bei der Präventionsarbeit haben wir es abermals mit der Risikoanalyse zu tun. Es geht zunächst darum, Gefahren zu erkennen. Einerseits schaut man in die Vergangenheit und versucht in die Zukunft zu extrapolieren. Manchmal ist das möglich, zum Beispiel bei eindeutigen langfristigen Trends, etwa beim Klimawandel - manchmal aber auch nicht, beispielsweise bei Gefahren der Finanzwirtschaft. Andererseits müssen zukünftige Gefahren erkannt und identifiziert werden. Dabei geht es auch darum, deren Eintretenswahrscheinlichkeiten zu erfassen, und um die Frage, ob man den „Black Swan“ findet und ihn berücksichtigen muss. Hierzu ein Beispiel: Nach den Flugzeuganschlägen auf das World Trade Center wurde in Fachkreisen auch die Gefahr der Anschläge mit Fahrzeugen thematisiert. Es ging dabei um Szenarien mit Autobomben, mit dem Schaffen von Zufahrt (zum 49 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Beispiel mittels Durchbrechen von Schranken) und mit dem Hineinfahren in Menschengruppen. Diese Diskussion wurde in verschiedenen Ländern ganz unterschiedlich aufgenommen. In den USA wurden zügig bauliche Schutzmaßnahmen zum Schutz vor Anschlägen mit Fahrzeugen umgesetzt. Europa wähnte sich in Sicherheit. Lediglich von Anschlägen betroffene Städte reagierten, beispielsweise London. Erst seit dem Anschlag auf den Breitscheidplatz am 19.- Dezember- 2016 wurde der Schutz vor Überfahrtaten in Deutschland ein Thema. Seitdem wird die „Verpollerung“ der Städte heftigst diskutiert. Und es kommt wiederum ein typisch deutsches Thema auf - die Normung und Zertifizierung von Systemen. Derzeit sind nur Poller genormt und zertifiziert. Damit kann man innovative Barrieren vom Markt fernhalten, die jedoch stadtbildverträglich und multifunktional sind. Stakeholder - Ressortdenken anstelle gemeinsamer Lösungsansätze Interessant ist auch die Rolle unterschiedlicher Stakeholder. Die Polizei verfolgt mitunter ganz andere Interessen als die Stadtplanung. Beim Workshop „Protection of Public Spaces - security by design“ der Europäischen Kommission beim europäischen Joint Research Center in Ispra, Italien, im Juni 2018, waren Vertreter von 13 europäischen Städten zugegen. Nur drei der Städte hatten Stadtplaner geschickt, die anderen waren durch die zuständigen Polizeibehörden vertreten. Das hat mich nachdenklich gemacht, im Hinblick auf stadtplanerisch angepasste Lösungen der oben erwähnten HFP-Strategie. Der Polizei geht es in der Regel nicht um Schönheit oder Multifunktionalität, sondern nur um Sicherheit. Manchmal ist es schwierig bis unmöglich, alle Stakeholder an einen Tisch zu bringen. Ressortdenken bringt uns aber heute nicht weiter. Meist sind nur multidisziplinär erarbeitete Lösungen gute Lösungen. Mehr denn je sollte ressortübergreifend gearbeitet werden. Prof. Dr.-Ing. habil. Norbert Gebbeken Universität der Bundeswehr München Forschungszentrum RISK Kontakt: norbert.gebbeken@unibw.de AUTOR Es tut sich was - urban, sicher, multifunktional und wirtschaftlich Inzwischen gibt es in Deutschland eine aufkeimende Strategie im Hinblick auf die Sicherheitsarchitektur bei terroristischer Gefährdung und baulichen Schutzmaßnahmen. Es wurde in den Koalitionsvertrag vom 4. März 2018 unter dem Kapitel „Lebenswerte Städte, attraktive Regionen und bezahlbares Wohnen“ geschrieben, dass Investitionen in die Sicherheit öffentlicher Räume getätigt werden sollen. Ergänzend soll die Sicherheit öffentlicher Räume in die Bauleitplanung aufgenommen werden. Das hat zur Folge, dass zukünftig bei der Stadtplanung von Anfang an das Thema Sicherheit zu berücksichtigen ist. Das ermöglicht Synergieeffekte und wirtschaftliche multifunktionale Lösungen. Heute wird Sicherheit meist nachträglich adaptiert, was in der Regel teuer ist und nur suboptimale Lösungen zulässt. Darüber hinaus hat die Europäische Kommission ein neues Forschungsprogramm namens „Urban Innovative Actions“ gestartet. Mit diesem Programm werden innovative Best Practice-Beispiele zur urbanen Sicherheit in Europa gefördert. Auch deutsche Städte nehmen an der Ausschreibung teil. Diese Entwicklung lässt hoffen, dass unsere „Transforming Cities“ gleichermaßen urban und sicher bleiben bzw. werden. All you can read Alles zusammen zum Superpreis: Die Papierausgabe in hochwertigem Druck, das ePaper zum Blättern am Bildschirm und auf dem Smartphone, dazu alle bisher erschienenen Ausgaben im elektronischen Archiv - so haben Sie Ihre Fachzeitschrift für den urbanen Wandel immer und überall griffbereit. AboPlus: Print + ePaper + Archiv www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren www.tra i Ih im AAbboo 50 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Räumliche, städtebauliche und soziale Indikatoren beeinflussen Kriminalität In der kriminologischen Forschung ist insbesondere seit den wegweisenden stadtsoziologischen Arbeiten der Chicago School zu Beginn des 20.-Jahrhunderts bekannt, dass Kriminalität räumlich nicht gleich verteilt ist, sondern auf vielen Ebenen (zum Beispiel in Landkreisen, Gemeinden, Nachbarschaften, Quartieren, etc.) Schwankungen im Sinne von Häufungen aufweist [1 - 5]. Mit der Berücksichtigung von Merkmalen des Sozialraums - im Gegensatz zu den täterzentrierten Ansätzen, die in der Kriminologie lange dominierten - wurde ein neuer Blickwinkel auf potenziell kriminogene Faktoren gerichtet. So belegen Studien unter anderem, dass insbesondere Nachbarschaften und Stadtquartiere, die durch ein hohes Maß an kultureller und ethnischer Heterogenität, residentieller Mobilität bzw. Fluktuation sowie eine ökonomisch und sozial benachteiligte Bewohnerschaft gekennzeichnet sind, eine höhere Kriminalitätsbelastung aufweisen. Dies wird insbesondere mit dem Fehlen sozialer Kohäsion und kollektivem Verantwortungsbewusstsein und - dadurch bedingt - mangelnder informeller Sozialkontrolle durch die ansässige Bevölkerung innerhalb der Quartiere begründet [6, 7]. Auch das Sicherheit und Vielfalt berücksichtigen und planen Die Bedeutung polizeilichen Wissens für die Stadtentwicklung - das Projekt DIVERCITY Kriminalprävention im Städtebau, urbane Sicherheit, subjektive und objektive Sicherheit, Sicherheitsempfinden, Tatgelegenheiten, Forschung Julia Gundlach, Melanie Verhovnik Der öffentliche Raum ist auf Langfristigkeit ausgelegt, wohingegen Stadtquartiere strukturellen und gesellschaftlichen Veränderungen ausgesetzt sind. Damit zusammenhängende veränderte Nutzungsanforderungen berühren nicht nur die Frage nach Wohnraumversorgung, sondern auch das individuelle Sicherheitsempfinden von Bewohnern. Im Fokus des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsprojekts DIVERCITY steht die Problematik, wie der öffentliche Raum auf Veränderungen vorbereitet werden soll und welchen Beitrag Polizei, Kommunen und Wohnungswirtschaft leisten können. Bild 1 (links): Gebaute Umwelt hat einen Einfluss darauf, wie wir uns fühlen. Fehlen Fenster zur Straße, senkt das die Möglichkeiten sozialer Kontrolle. © LKA Bild 2 (rechts): Herumliegender Müll und unordentliche Sammelstellen sind oft ein Hinweis auf fehlende Zuständigkeiten. © LKA 51 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? gehäufte Auftreten von Anzeichen physischer und sozialer Unordnung bzw. (baulicher) Verfallserscheinungen wie verlassene bzw. heruntergekommene Gebäude, Grafitti, Müll auf den Straßen oder antisoziales Verhalten in der Öffentlichkeit können fehlende Zuständig- und Verantwortlichkeiten und einen mangelnden nachbarschaftlichen Zusammenhalt signalisieren und potenzielle Täter anlocken bzw. günstige Tatgelegenheiten bieten. Raum ist hierbei generell als sozialer Raum zu verstehen, der eine Art Bühne für die Aktivitäten und das Handeln von Menschen bietet. Dabei wird der soziale Raum durch Nutzungsarten und natürlich auch durch die dort lebenden Menschen geprägt. Auch der gebaute Raum kann so gestaltet sein, dass er sowohl Schutz bieten als auch andererseits Kriminalität begünstigen kann. Daher trägt neben dem sozialen Gefüge auch die Gestaltung eines Raumes zur Kriminalprävention bei. Ferner ist aus der Forschung bekannt, dass ein signifikanter Zusammenhang zwischen physischen und sozialen Verfallserscheinungen (physische und/ oder soziale Incivilities) und so genannter Kriminalitätsfurcht beziehungsweise dem subjektiven Sicherheitsempfinden besteht. Sich sicher oder unsicher fühlen: Angsträume und Gefahrenorte Das individuelle Sicherheitsgefühl ist eine komplexe Kombination aus sozialen und personalen Dimensionen der Kriminalitätsfurcht. Während soziale Kriminalitätsfurcht vor allem von gesellschaftlichen Aspekten beeinflusst wird (Medienberichterstattung, politische Entscheidungen), lässt sich personale Kriminalitätsfurcht auf drei Ebenen individueller Betroffenheit zurückführen: der eigenen Befürchtung, Opfer zu werden, der eingeschätzten Wahrscheinlichkeit, Opfer zu werden und ein damit zusammenhängendes Schutz- und Vermeidungsverhalten [8]. Der bereits benannte empirisch bestätigte Zusammenhang von gebautem und sozialem Raum und Kriminalitätsfurcht kann auf zwei Phänomene zurückgeführt werden: einen Mangel an sicherheitsrelevanten baulich-räumlichen Merkmalen sowie ein gehäuftes Auftreten von sozialen und physischen Unordnungszuständen. Dazu gehören das Herumliegen von Müll, zerstörte Gebäudefassaden oder auch herumlungernde oder alkoholisierte Personen bzw. öffentlich gezeigtes deviantes Verhalten. Als allgemeine Merkmale solcher „Angsträume“ werden zudem schlechte Beleuchtung, fehlende Ausweichmöglichkeiten, Unbelebtheit von Straßen und Plätzen, Unübersichtlichkeit bzw. schlechte Einsehbarkeit, die mangelnde Gepflegtheit von Gebäuden und Grünflächen sowie deviantes Verhalten in der Öffentlichkeit, insbesondere unter Alkoholeinfluss, genannt [9 - 12]. Furcht wird außerdem von weiteren dynamischen Faktoren wie beispielsweise der Tageszeit sowie dem eigenen Vulnerabilitätsempfinden beeinflusst, das sowohl alters-, geschlechtsund/ oder herkunftsbedingt bestimmt sein kann [13]. Hinzu kommt, dass Angsträume in der Regel eher als diffus empfundene Bereiche angegeben werden, die sich nicht unmittelbar an konkreten Orten festmachen lassen - im Gegensatz zu „Gefahrenorten“, an denen tatsächlich ein gehäuftes Auftreten von Kriminalitätsdelikten sowie Ordnungsstörungen festzustellen ist [14, 15]. Kriminalprävention im Städtebau als gesamtgesellschaftliche Aufgabe Der soziale Raum bzw. dessen Gestaltung kann somit einen direkten Einfluss sowohl auf das tatsächliche Kriminalitätsaufkommen als auch auf das Sicherheitsempfinden und die individuelle Kriminalitätsfurcht haben. Gefühlte Sicherheit im Wohnumfeld wird dabei von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst, wobei ein Blick auf die Variabilität der Bild 3 (links): Falsch abgestellter Sperrmüll ist oft ein Zeichen für mangelnde Verantwortungsübernahme der Bewohnerschaft. © LKA Bild 4 (rechts): Schlechte Einsehbarkeit, keine Beleuchtung: Unterführungen sind häufig „Angsträume“. © LKA 52 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Vielschichtigkeit und Multikausalität der beiden verschränkten Phänomene Kriminalitätsaufkommen und Sicherheitsempfinden, Lösungsansätze aus unterschiedlichen Disziplinen und Blickwinkeln beizusteuern, um diese gesellschaftlichen Herausforderungen - auch unter Berücksichtigung aktueller gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen und Dynamiken - in ihrer Gänze zu erfassen. Die Kriminalprävention im Städtebau sowie auch die kriminologische Befassung mit räumlichen Einflussfaktoren auf die Kriminalitätsbelastung und -furcht legen ihren Fokus auf die möglichen kleinräumigen Ursachen der benannten Phänomene und vermeiden eine starke Betonung repressiver Maßnahmen bzw. täterorientierter Erklärungen [18, 19]. Der Mehrwert dieser ursachenorientierten kleinräumigen Betrachtungsweise liegt hierbei unbestritten auch in dem Potenzial, die benannten Zusammenhänge empirisch beleuchten zu können. Die Analyse qualitativer und quantitativer Daten auf Ebene des Quartiers und der Nachbarschaft kann zur Erklärung von Kriminalitätsbelastung und Sicherheitsempfinden im urbanen Raum beitragen, die Notwendigkeit kriminalpräventiver Maßnahmen im Städtebau bestätigen und diese kontinuierlich weiterentwickeln. Das Projekt „Sicherheit und Vielfalt im Quartier - DIVERCITY“: Vielfalt berücksichtigen Die kleinräumige Betrachtungsebene im Kontext der Kriminalprävention ermöglicht es anhand von Fallbeispielen anwendungsorientiert zu forschen, mit validen Daten und evaluierten Erkenntnissen. Vielfalt im weitesten Sinne muss dabei konsequent Berücksichtigung finden, da Kriminalprävention im Städtebau die Beteiligung einer Vielzahl von Akteuren erfordert. DIVERCITY ist ein interdisziplinäres Forschungsprojekt, das diesem Ansatz folgt und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung für den Zeitraum von drei Jahren gefördert wird. In diesem Projekt wird das Thema Wohnumfeld und Sicherheit aus drei Perspektiven betrachtet: aus der Perspektive der Polizei, der Kommunen und der Wohnungswirtschaft. Im Forschungsverbund sollen Antworten auf Fragen gefunden werden, welchen Handlungsspielraum die Wohnungswirtschaft auf die Sicherheitsbedürfnisse der Bewohnerschaft und die Gestaltung des Raumes hat, damit das Wohnumfeld sicherer wird, was Kommunen hierzu beitragen können und welche gelungenen Integrationsbeispiele es bereits gibt. Aus polizeilicher Sicht geht es vor allem darum herauszuarbeiten, wie polizeiliches Wissen bereits in Planungsprozesse einfließen kann. Aus diesem potenziellen Einflussfaktoren deutlich macht, dass Kriminalprävention im Städtebau keinem einzelnen Akteur zugeschrieben werden kann [7]. Aspekte der urbanen Sicherheit und des Sicherheitsempfindens sollten nicht nur auf sicherheitstechnische Maßnahmen wie beispielsweise den Ausbau von Videoüberwachungssystemen oder Ähnliches reduziert werden, sondern es müssen zwingend auch die (bauliche) Gestaltung und Planung öffentlicher Räume unter Einbezug unterschiedlicher und ggf. veränderter Nutzungsanforderungen unterschiedlicher Gruppen Berücksichtigung finden [17]. Vor diesem Hintergrund ist es nötig, urbane Sicherheit und städtebauliche Kriminalprävention als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu betrachten. Wie bereits dargelegt, erfordert es die Bild 5: Bei der Neugestaltung berücksichtigen: Fahrradständer mit Rahmensicherung wirken präventiv. © LKA Bild 6: Begehungen als wichtiges Erhebungsinstrument: Gemeinsam werden sicherheitsrelevante Kriterien im Quartier identifiziert. © LKA 53 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Grund liegt der Fokus in DIVERCITY auf der Betrachtung von Quartieren im Bestand und im Neubau und auf der Zusammenarbeit der beteiligten Akteure. Konkret geht es im Neubau darum, polizeiliche Empfehlungen und die unterschiedlichen Planungsebenen zu harmonisieren. Dazu soll untersucht werden, ob es Grundlagen für Prognosen im gebauten Raum geben kann. Aufgrund der komplexen Fragestellungen arbeiten alle Verbundpartner, das Landeskriminalamt Niedersachsen, das Deutsche Institut für Urbanistik sowie der Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Niedersachsen und Bremen mit Mehrmethodendesigns, wobei verschiedene quantitative und qualitative Verfahren (zum Beispiel: Befragung, Begehung, Beobachtung) miteinander kombiniert werden. Polizeiliches Wissen für die Stadtentwicklung nutzen: Sicherheit planen Als zentrale Akteurin im Bereich der inneren Sicherheit ist die Polizei für Gefahrenabwehr, die Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten sowie für den Schutz von Opfern zuständig. Diese Aufgabenzuschreibung enthält auch eine präventive Komponente, da es aus polizeilicher Sicht sinnvoll und notwendig ist, präventive Maßnahmen gegen Kriminalität zu entwickeln. Im Projekt DIVERCITY geht es für die Polizei daher darum, bei der notwendigen Weiterentwicklung bestehender Sicherheitsstrategien im Wohnumfeld mitzuwirken und die empirische Basis für das polizeiliche Wissen um Zusammenhänge von städtebaulichen Vorhaben mit Sicherheitsrisiken zu stärken. In zwei Fallstudienstädten erfolgt derzeit eine detaillierte Gegenüberstellung von raumbezogener Kriminalität bzw. Ordnungsstörungen und gefühlter Sicherheitswahrnehmung. Die Auswahl der Gebiete erfolgte in Absprache mit beteiligten Akteuren, unter anderem den Städten und der örtlichen Polizei im Hinblick auf vorhandenes Risikopotenzial in Bezug auf florierende oder negative Entwicklungen. Erfahrungsgemäß sind immer dann Veränderungen zu erwarten - im Hinblick auf das Sicherheitsempfinden der Bewohnerschaft, Kriminalitätsaufkommen und Ordnungsstörungen -, wenn sich Quartiere im Wandel befinden, beispielsweise durch Druck auf den Wohnungs- oder Verschiebungen auf dem Arbeitsmarkt. Empirische Datengrundlage In den Bestandsgebieten wird ein kleinräumiges Kriminalitätslagebild erstellt. Dabei werden alle Ereignisse, die das nachbarschaftliche Miteinander stören und das Sicherheitsempfinden direkt beeinträchtigen können, einbezogen. Dazu gehören Gewaltdelikte, Einbruch und Diebstahl, aber auch Ruhestörungen, Sachbeschädigungen und zum Beispiel Drogen- und Alkoholkonsum. Die Daten zur raumbezogenen Lagedarstellung sollen mit Daten zu sicherheitsrelevanten baulichen Merkmalen kombiniert werden. Hierfür wurde ein standardisiertes Analyseinstrument entwickelt, das bauliche Merkmale sowohl hausnummerngenau als auch auf Quartiersebene erfasst, und in zwei Pretests ausführlich getestet. Grundlage hierfür war der im Vorgängerprojekt TRANSIT (Kriminalprävention für ein sicheres Wohnumfeld - Transdisziplinäre Sicherheitsstrategien für Polizei, Wohnungsunternehmen und Kommunen) entwickelte Kriterienkatalog sicherheitsrelevanter Aspekte, worunter beispielsweise Orientierung, Abstellmöglichkeiten, Wegehierarchien, Einsehbarkeit, Nutzungsangebote sowie bauliche Merkmale zur Art der Bebauung selbst fallen. Akteure der Sicherheit im Wohnumfeld und in der Nachbarschaft ANLASSBE ZOGEN WEITERE AKTEURE KOMPETEN ZTEAM Kunst- und Kulturschaffende Quartiersmanagement Ver- und Entsorgungsunternehmen Soziale Institutionen Vereine Streetwork Kinder- und Jugendarbeit Interessensverbände Freizeiteinrichtungen Bürgervertreterinnen und -vertreter Investoren Planungsbüros Nachbarinnen und Nachbarn Einzelhandel Schulen Freie Träger Veranstalter Stadtreinigung Kommunalpolitik Polizei Wohnungsunternehmen Kommune Soziales, Jugend, räumliche Planung und Ordnung Kriminalpräventive Gremien Bewohnerinnen und Bewohner Gleichstellungs-/ Integrationsbeauftragte Grafik: tabasco.media.com, in Anlehnung an Schubert, Herbert, Technische Hochschule Köln, Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften, Forschungsschwerpunkt Sozial • Raum • Management Bild 7: Grafik: tabasco. media.com, in Anlehnung an Schubert, Herbert, Technische Hochschule Köln, Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften, Forschungsschwerpunkt Sozial • Raum • Management 54 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Mit zusätzlichen sozialstatistischen Angaben zum Quartier (zum Beispiel: Altersstruktur, Flächenverhältnisse, Freizeitangebote, Gesundheitsversorgung usw.) sollen mögliche Zusammenhänge von Sozialraumindikatoren und raumbezogenen Lagedarstellungen ermittelt sowie Grundlagen für Prognosen geschaffen werden. Die Verknüpfung städtebaulicher Vorhaben mit Sicherheitsrisiken soll in der weiteren Projektlaufzeit in den Bestandsgebieten Maßnahmen auf den Ebenen der sekundären und tertiären Prävention ermöglichen. Bestehende städtebauliche und freiraumplanerische oder stadtgestalterische Missstände sollen erfasst und der Raum so gestaltet werden, dass kriminalpräventiv wirksame Aspekte umgesetzt und aus polizeilicher Sicht raumbezogene objektive Kriminalität und Tatgelegenheiten reduziert werden. Mit der Methode der aufsuchenden Beteiligung sollen Bewohner*innen befragt werden, deren Perspektive sich über andere Methoden meist nicht erfassen lassen. Damit, sowie mit Begehungen nach sicherheitsrelevanten Kriterien, soll die Nutzungsperspektive der Bewohner*innen einbezogen werden. In zwei weiteren Gebieten in den Fallstudienstädten finden im Rahmen primärer Prävention Analysen statt. Hierbei handelt es sich um Neubaugebiete in unterschiedlichen Planungsstadien, anhand derer aus polizeilicher Perspektive das aufgearbeitete Wissen überprüft und vor allem festgestellt werden soll, zu welchen Zeitpunkten und in welcher Form es in Planungsprozessen eingebracht werden und bereits auf Ebene der Bauleitplanung und im Wohnungsneubau einfließen kann. Beide Herangehensweisen, die Projektarbeit im Bestand und im Neubau, haben zum Ziel, vor die Lage zu kommen und die Anzahl späterer polizeilicher Einsätze zu verringern. LITERATUR [1] Brantingham, P. L., Brangtingham, P. J.: Environment, Routine, and Situation. Toward a Pattern Theory of Crime. In R. V. Clarke & M. Felson (Hrsg.). Routine Activity and Rational Choice, (1993) S. 259-294. New Brunswick/ NJ: Transaction Publishers. [2] Cohen, L. E, Felson, M.: Social Change and Crime Rate Trends: A Routine Activity Approach. American Sociological Review, 44 (4), (1979) S. 588-608. [3] Shaw, C. R., McKay, H. D.: Juvenile Delinquency in Urban Areas. Chicago: University of Chicago Press, 1942. [4] Shaw, C. R., Zorbaugh, H., McKay, H. D., Cottrell, L. S.: Delinquency Areas. Chicago: University of Chicago Press, 1929. [5] Wilson, J. Q., Kelling, G. L: Broken Windows. The police and Neighborhood Safety. The Atlantic Monthly. März 1982. Online verfügbar unter https: / / www. theatlantic.com/ magazine/ archive/ 1982/ 03/ brokenwindows/ 304465/ , Zugriff am 2.4.2019. Bild 8: Präventive Maßnahmen am besten schon bei der Planung berücksichtigen und polizeiliches Wissen für die Stadtplanung nutzen. © LKA Bild 9: Ein zentrales Element im Projekt DIVERCIT Y sind Sicherheitsbegehungen mit Akteuren vor Ort. © LKA Bild 10: Klare Einsehbarkeit des Hauseingangs, Beleuchtung und Auffindbarkeit ermöglichen eine leichte Orientierung. © tabasco media Bild 11: Klare Sichtbeziehungen und Wegeführung sowie ansprechende Aufenthaltsqualitäten erhöhen die informelle soziale Kontrolle und das nachbarschaftliche Miteinander. © LKA Bild 12: Ordnungsstörungen signalisieren fehlende Zuständigkeiten und Sozialkontrolle und beeinflussen das Unsicherheitsempfinden. © LKA 55 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? [6] Sampson, R. J., Raudenbusch, S. W., Earls, F.: Neighborhoods and Violent Crime. A Multilevel Study of Collective Efficacy. Science, 277, (1997) S. 918-924. [7] Shaw, McKay, Cottrell, (1929), a.a.O. [8] Boers, K.: Kriminalitätsfurcht. Über den Entstehungszusammenhang und die Folgen eines sozialen Problems. Centaurus-Verl.-Ges., Pfaffenweiler,1991. [9] Behrmann, D., Schröder, A.: Und plötzlich ist die Angst ganz nah! Sicherheit gestalten - Neue Analyseinstrumente für die Kriminalprävention im Städtebau. RaumPlanung, 194 (6), (2017) S. 28-35 (hier S. 29f). [10] Häußermann, H., Siebel, W.: Stadtsoziologie. Frankfurt/ New York: Campus Verlag, 2004, S. 58. [11] Ruhne, R.: Raum Macht Geschlecht. Zur Soziologie eines Wirkungsgefüges am Beispiel von (Un)Sicherheiten im öffentlichen Raum. Leske + Budrich, Opladen, 2003, S. 18. [12] Sailer, K.: Raum beißt nicht. Neue Perspektiven zur Sicherheit von Frauen im öffentlichen Raum. Beiträge zur Planungs- und Architektursoziologie, Band 2, Peter Lang GmbH, Frankfurt a.M., 2004, S.72. [13] Landeskriminalamt Niedersachsen (LKA): Befragung zu Sicherheit und Kriminalität in Niedersachsen. Berichte zu Kernbefunden der Studie, 2016. Online verfügbar unter: http: / / www.lka.polizei-nds.de/ forschung/ dunkelfeldstudie/ dunkelfeldstudie-befragung-zu-sicherheit-und-kriminalitaet-inniedersachsen-109236.html, Zugriff am 2.4.2019. [14] Behrmann, D., Schröder, A. (2017), a.a.O. [15] Schröder, A.: Sicherheit im Wohnumfeld - Gegenüberstellung von Angsträumen und Gefahrenorten, Verbundprojekt transit / Landeskriminalamt Niedersachsen (Hrsg.). Hannover, 2015. Online verfügbar unter: https: / / www.transit-online.info/ fileadmin/ transit/ Materialien/ Berichte/ Gegenueberstellung _ von_ Angstraeumen_und_Gefahrenorten.pdf, Zugriff am 2.4.2019. PROJEKT DIVERCITY Bekanntmachung: BMBF, Zukünftige Sicherheit in urbanen Räumen Projektzeitraum: 1/ 18 - 12/ 20 Fördersumme: 1,4 Mio. Euro Verbundpartner: Landeskriminalamt Niedersachsen, Kompetenzzentrum Urbane Sicherheit Deutsches Institut für Urbanistik, Berlin Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Niedersachsen Bremen unterstützt durch Praxispartner und wissenschaftlichen Beirat weiterführender Link: www.div-city.de [16] Abt, J., Floeting, H., Schröder, A.: Sicherheit in Wohnumfeld und Nachbarschaft. Impulse für die Zusammenarbeit von Polizei, Wohnungsunternehmen und Kommunen, Forum Kriminalprävention 2, (2017) S. 2, 29, 34, hier S. 29. [17] Behrmann, Schröder (2017), a.a.O. [18] Oberwittler, D., Wikström, P.-O.: Why small is better? Advancing the study of the role of behavioral contexts in crime causation. In: Weisburd, D., Bernasco, W., Bruinsma, G. (Hrsg.): , Putting Crime in its Place. Units of Analysis in Geographical Criminology, S. 35- 59, Springer Verlag, New York, 2009. [19] Weisburd, D., Hinkle, J. C., Famega, C., Ready, J.: Legitimacy, Fear and Collective Efficacy in Crime Hot Spots. National Institute of Justice, Washington, DC, 2012 . Bild 13: Gut gestaltete und zugeordnete Abstellmöglichkeiten für Müll tragen zu einem gepflegten Gesamtbild bei. © LKA Dipl.-Soz. Julia Gundlach Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Kriminologischen Forschung und Statistik sowie im Kompetenzzentrum Urbane Sicherheit Landeskriminalamt Niedersachsen Kontakt: julia.gundlach@polizei.niedersachsen.de Dr. Melanie Verhovnik Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Kriminologischen Forschung und Statistik sowie im Kompetenzzentrum Urbane Sicherheit Landeskriminalamt Niedersachsen Kontakt: melanie.verhovnik@polizei.niedersachsen.de AUTORINNEN 56 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Bahnhöfe sind „Visitenkarten“ für Städte: Fühlen sich Menschen in einem Bahnhof sicher oder auch unsicher, kann dieses Gefühl die Wahrnehmung der Sicherheitslage der ganzen Stadt prägen. Auch für die Eisenbahngesellschaft sind ihre Bahnhöfe „Visitenkarten“. Die Sicherheit in einem Bahnhof trägt maßgeblich dazu bei, wie wohl sich die Kunden fühlen und ob sie gern mit der Bahn unterwegs sind. Dies hat Auswirkungen auf das Image des Transportunternehmens insgesamt. Herausforderung Bahnhofssicherheit Für Kriminelle sind Bahnhöfe ein attraktives Umfeld, da sich dort fast rund um die Uhr viele Personen aufhalten und sich dadurch zahlreiche Möglichkeiten für kriminelle Delikte ergeben. Die Täter können den Vorteil nutzen, von außerhalb in ein anonymes Umfeld zu reisen. Nach der Tat ist dann ein schnelles und häufig auch unerkanntes Verlassen des Tatorts möglich. Deshalb sind Bahnhöfe in einer Stadt oft Hot Spots für kriminelle Delikte. Häufige Delikte, die Polizei und Sicherheitsdienste in und unmittelbar um Schweizer Bahnhöfe verzeichnen, sind Drogenkonsum und -handel, Vandalismus, Schlägereien und Aggressionen gegenüber Sicherheitspersonal und anderen Personen. Trotzdem sind Bahnhöfe objektiv betrachtet sehr sichere Orte. Die Einsatzjournale von Polizei und Sicherheitsdiensten umfassen zumeist eine überschaubare Anzahl Einträge. Der guten objektiven Sicherheitslage stehen jedoch teilweise schlechte Zufriedenheitswerte der Kunden gegenüber. Dies stellen die SBB regelmäßig bei ihren Kundenzufriedenheitsbefragungen fest. Als Gründe für das Unsicherheitsgefühl nennen die Befragten beispielsweise schlechte Beleuchtung, zu wenig Platz in Unterführungen, mangelnde Sauberkeit oder die Anwesenheit bestimmter Personengruppen. Projekt kriminalpräventive Bahnhöfe Die SBB sind sich bewusst: Die Gesamtsicherheit eines Bahnhofs setzt sich zusammen aus der objektiven Sicherheitslage und dem subjektiven Sicherheitsempfinden der Bahnhofsnutzenden. Erst wenn sich beides auf einem guten Niveau befindet, gilt ein Bahnhof als sicher. Für vier Bahnhöfe beauftragten die SBB zwischen 2015 bis 2017 die Firma EBP, kriminalpräventive Beurteilungen durchzuführen. EBP entwickelte zusammen mit dem Experten für städtebauliche Kriminalprävention Christian Weicht 1 ein interdisziplinäres, partizipatives Vorgehen, um die Sicherheit in Bahnhöfen insgesamt zu verbessern. Die analysierten SBB-Bahnhöfe befinden sich in den Städten Biel, Wil, Winterthur und Yverdon-les- 1 www.weicht.eu Ein Weg zum sicheren Bahnhof Städtebauliche Kriminalprävention, Urbane Sicherheit, Sicherheit öffentlicher Räume Lilian Blaser, Tillmann Schulze Fühlen Sie sich in Bahnhöfen sicher? Halten Sie sich gern in Bahnhöfen auf? Ähnlich wie bei Parkhäusern assoziieren Viele den Begriff Bahnhof mit Unsicherheit - unabhängig davon wie sicher es dort wirklich ist. Das ungute Gefühl beim Warten auf den Zug muss aber nicht sein: Die städtebauliche Kriminalprävention verfügt über Lösungsansätze, um den Aufenthalt in Bahnhöfen angenehm und auch objektiv sicherer zu machen. Im Auftrag der Schweizerischen Bundesbahnen analysierte die Firma EBP die Sicherheit von vier bestehenden Bahnhöfen und von einer sich in der Planung befindlichen Bahnhofserweiterung. Bild 1: Schweizer Bahnhöfe sind grundsätzlich sehr sicher - trotzdem fühlen sich Bahnhofsnutzende nicht immer wohl. © EBP 57 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Bains. Die Methodik funktioniert aber nicht nur bei bestehenden Bahnhöfen, sondern auch bei solchen, die sich erst in der Planung befinden: EBP/ Weicht erhielten Anfang 2019 das Mandat für eine kriminalpräventive Beurteilung der geplanten Erweiterung des Bahnhofs Bern. Die kriminalpräventive Beurteilung der Bahnhöfe umfasste jeweils drei Schritte: I. Grundlagenanalyse, inkl. Ortsbegehung II. Analyse der Ist-Situation in einem interdisziplinären Workshop und Identifikation von Maßnahmen III. Analyse des Bahnhof-Umfelds und künftiger Entwicklungen im und um den Bahnhof, inkl. Ableitung von Maßnahmen Analyse vor Ort Kein Bahnhof ist gleich. Die sicherheitsrelevanten Herausforderungen unterscheiden sich. Entsprechend relevant ist daher das Erfassen der spezifischen Ausgangslage. Wichtige Datengrundlagen waren die Ereignisjournale der Sicherheitskräfte, die im und um den Bahnhof herum tätig sind. Ebenso bedeutsam waren die Kundenzufriedenheitsbefragungen der SBB. In einigen Städten lagen zudem kommunale Bevölkerungsbefragungen als weitere Grundlage vor. Bei den vier Bahnhöfen war die Ursache von Unsicherheitsgefühlen nicht so einfach zu bestimmen. Ein zentrales Element jeder kriminalpräventiven Beurteilung war daher die Ortsbegehung zusammen mit den Bahnhofsverantwortlichen, die die sicherheitsrelevanten Herausforderungen aus ihrer täglichen Praxis kennen. Die (ortsunkundigen) Experten der städtebaulichen Kriminalprävention ergänzten das Sicherheitsbild aus der Perspektive der „ortsfremden Ankommenden“. Zudem fallen dem geschulten Auge bereits bei der Ortsbegehung zahlreiche bauliche und gestalterische Verbesserungsoptionen auf. Interdisziplinäre Ist-Analyse Neben den klassischen Sicherheitsorganisationen wie Polizei, Bahnpolizei und privaten Sicherheitsdiensten leisten auch die Reinigungskräfte, das Gewerbe und soziale Organisationen einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit im und rund um den Bahnhof. In einem halbtägigen Workshop analysierten Vertreter dieser Organisationen die Sicherheitslage, identifizierten Hot Spots und diskutierten Maßnahmen für eine Verbesserung der objektiven und subjektiven Sicherheit. Für die Analyse standen den Teilnehmenden sogenannte „Crime Mapping Marker“ zur Verfügung: Rund zwei Dutzend verschiedene Marker illustrieren mit Piktogrammen kriminelle Delikte, unerwünschtes Verhalten und weitere Ursachen von Unsicherheitsgefühl. Die Workshopteilnehmenden klebten die Marker auf Übersichtspläne des Bahnhofs und seiner Umgebung und visualisierten so, wo es im und um den Bahnhof zu Delikten oder sicherheitsrelevanten Beeinträchtigungen kommt. Unterschieden wurde die Situation bei Tag und in der Nacht mit gesonderten Plänen. Besonders in den Nachtstunden nehmen viele Personen ihr Umfeld sensibler wahr und ein Unsicherheitsgefühl stellt sich schneller ein. Dennoch tauchten die meisten Themen auch bei der Situationsbeschreibung für den Tag auf, dann zumeist etwas weniger ausgeprägt. Trotz der unterschiedlichen Ausgangslagen der analysierten Bahnhöfe gab es einige Aussagen, die allgemein gültig sind:  Objektive Sicherheit und subjektives Sicherheitsempfinden weichen stark voneinander ab. Obwohl es kaum zu Delikten kommt, meiden viele Personen vor allem nachts den Aufenthalt im Bahnhof und in dessen Nähe.  Die Aufenthaltsqualität lässt sich in den Bahnhöfen punktuell verbessern, indem die Beleuchtung optimiert wird und der zur Verfügung stehende, meist sehr beschränkte, Platz „aufgeräumt“ wird. Oft verstellen Abfalleimer, Ticketautomaten oder Werbetafeln den Weg, schaffen Versteckmöglichkeiten und behindern die Sichtachsen. Ein freier, übersichtlicher Raum trägt viel zur subjektiven Sicherheit bei.  Bahnhöfe sind attraktive Standorte für Szenetreffpunkte. Obdachlose, Jugendliche oder auch andere Gruppen treffen sich bevorzugt an den zentralgelegenen Bahnhöfen und beobachten das hohe Menschenaufkommen oder zelebrieren Bild 2: Crime Mapping Marker. © EBP 58 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? das „Sehen-und-Gesehen-werden“. Bei anderen Bahnhofsnutzenden können solche Szenenansammlungen Ängste und Unsicherheitsgefühl auslösen. Szenengruppierungen gehören zum urbanen Leben. Jedoch besteht die Möglichkeit, auf die Treffpunkte der Gruppen Einfluss zu nehmen. Zusammen mit Vertretern der Gruppen können alternative Standorte gesucht werden, wo sich die Szene weiterhin gern trifft, aber die restliche Bevölkerung nicht stört.  Eine der wichtigsten identifizierten organisatorischen Maßnahmen war das Bilden eines „Bahnhof-Sicherheitszirkels“. In einigen der analysierten Bahnhöfe war ein solcher Zirkel bereits aktiv. In regelmäßigen Abständen treffen sich Vertreter verschiedener Sicherheitsorganisationen und diskutieren aktuelle Herausforderungen sowie mögliche Lösungsansätze. Ein zentraler Erfolgsfaktor ist dabei die Zusammensetzung des Sicherheitszirkels. Je nach aktueller Lage können neben den Bahnhofsverantwortlichen beispielsweise Vertreter folgender Organisationen in den Zirkel eingeladen werden: Polizei, Bahnpolizei, private Sicherheitsdienste, Reinigungskräfte, soziale Organisationen, Stadtplanung, lokales Gewerbe etc. Einfluss des Umfelds und künftige Herausforderungen Ein zweiter halbtägiger Workshop befasste sich einerseits mit den Einflüssen des Umfelds auf die Sicherheitslage im Bahnhof und andererseits mit künftigen Entwicklungen, die Einfluss auf die Sicherheit im und um den Bahnhof haben werden. Vertreter der Stadtplanung erläuterten beispielsweise, welche Großprojekte in den Stadtteilen rund um den Bahnhof geplant sind. So entstehen in Biel unmittelbar neben dem Bahnhof eine Fachhochschule und ein Innovationscampus für 2500 Studierende und 1000 Forschende. Die Studenten werden das Nachtleben von Biel verändern, wodurch neue sicherheitsrelevante Herausforderungen nicht zuletzt auch für den Bahnhof zu erwarten sind. Ein wichtiger Bestandteil der interdisziplinären Workshops war auch das Vernetzen der Akteure. Streetworker tauschten sich mit Vertretern des Gewerbes aus, Kulturschaffende entwickelten gemeinsam Maßnahmenvorschläge mit Vertretern der Bahnpolizei. Der Dialog aus den verschiedenen Blickwinkeln wurde allerseits geschätzt und führte zu einer Vielzahl konstruktiver Lösungsansätze. Kriminalpräventive Analyse auch in der Planung Verschiedene Ursachen, die in den analysierten Bahnhöfen zu Unsicherheit führen, hätten vermieden werden können, wären sicherheitsrelevante Aspekte bereits in der Planungsphase berücksichtigt worden. Die SBB ließen deshalb auch die geplante Erweiterung des Bahnhofs in Bern kriminalpräventiv beurteilen. Der Bahnhof Bern ist der zweitgrößte Bahnhof in der Schweiz und spielt im in- und ausländischen Bahnverkehr eine wichtige Rolle. An Werktagen nutzen rund 270 000 Reisende täglich die Züge von drei verschiedenen Eisenbahngesellschaften. Schon heute stößt der Bahnhof betrieblich und räumlich an seine Grenzen. Unter dem Projektnamen „Zukunft Bahnhof Bern“ entstehen daher bis 2025 ein neuer Tiefbahnhof sowie eine neue unterirdische Publikumsanlage. Im Zentrum der kriminalpräventiven Analyse der geplanten Bahnhofserweiterung standen wiederum zwei halbtägige Workshops. Die rund 20 Teilnehmenden setzten sich zusammen aus Mitgliedern der beteiligten Eisenbahngesellschaften, Architekten und Planern, Vertretern kommunaler Behörden sowie der Polizei und der Sicherheitsdienste. Mit den Crime Mapping Markern schätzten die Teilnehmenden auf der Grundlage der aktuellen Planungen ein, wo es aus ihrer Sicht künftig zu welchen Bild 3: Interdisziplinäre Zusammenarbeit in Workshops. © EBP Bild 4: Virtuelle Begehung des künftigen Bahnhofs. © EBP 59 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Deliktformen kommen kann. Dabei fand wiederum eine Unterscheidung zwischen der Tag- und der Nachtsituation statt. Im Fokus des ersten Workshops standen die verschiedenen Räume innerhalb der Gebäudehülle. Im zweiten Workshop befassten sich die Teilnehmenden mit dem direkt an den Bahnhof angrenzenden Außenraum. Nach der moderierten Auswertung der Marker überlegten die Teilnehmenden dann gemeinsam, welche Maßnahmen zweckmäßig sind, um die erkannten Delikte sowie weitere Defizite zu beseitigen. Vorgängig zur Analyse des Außenraums fand eine Ortsbegehung in Kleingruppen statt. Auch wenn eine Besichtigung der neu entstehenden Bahnhofszugänge noch nicht möglich war, konnten sich die Workshop-Teilnehmenden doch ein Bild der Umgebung machen und sich in die künftige Situation eindenken. Die neue unterirdische Publikumsanlage ließ sich zudem mit einer 3D-Visualisierung und Virtual-Reality-Brillen „begehen“. Das virtuelle Erfahren des Raums erwies sich als äußerst wertvoll für das Verstehen der komplexen Bahnhofsgeometrie und für das Erkennen unsicherheitsfördernder Faktoren. Die Bahnhofserweiterung wird Auswirkungen auf die Sicherheit im und um den Bahnhof haben. Bei der Planung flossen bereits verschiedene kriminalpräventive Überlegungen ein. So fördern die zahlreichen Geschäfte in der Unterführung eine hohe Belebung, die Bespielung des Raums fördert die soziale Kontrolle, Raumhöhen und Beleuchtung sorgen für einen angenehmen Aufenthalt im künftigen Bahnhof. Und allein durch das erweiterte Platzangebot wird sich das Sicherheitsgefühl der Bahnhofsnutzenden voraussichtlich verbessern. Und dennoch: Insgesamt weist die kriminalpräventive Beurteilung von „Zukunft Bahnhof Bern“ 15 Örtlichkeiten im und um den künftigen Bahnhof aus, an denen aus dem Blickwinkel Sicherheit Verbesserungspotenzial besteht. Die Beurteilung führte schlussendlich zu 56 Empfehlungen, die zu einer Verbesserung der subjektiven und/ oder objektiven Sicherheit im künftigen Bahnhof Bern führen. Das Spektrum der Empfehlungen ist breit: Es reicht von organisatorischen Maßnahmen über noch offene konzeptionelle Fragestellungen bis hin zu konkreten baulichen Optimierungsvorschlägen. Fazit Die kriminalpräventive Beurteilung ist eine wertvolle Methodik, um die Sicherheit in und um Bahnhöfe zu analysieren und Verbesserungsvorschläge zu identifizieren. Um den unterschiedlichen Situationen in und um den Bahnhöfen Rechnung zu tragen, ist es zwingend, jeden Bahnhof individuell zu betrachten. Ein - wenn nicht der - zentrale Erfolgsfaktor ist dabei der Einbezug der ganz unterschiedlichen Akteure, die direkt oder indirekt für die Bahnhofssicherheit sorgen. Dabei gilt es zu beachten, dass Bahnhofssicherheit nicht an den Toren des Bahnhofs anfängt oder aufhört. Der Einbezug der Kommune und umliegender Akteure ist unerlässlich. Schweizer Bahnhöfe sind zwar objektiv sicher, die Leute fühlen sich aber oft unsicher. Das Unsicherheitsgefühl der Menschen gilt es ernst zu nehmen, Verbesserungsmöglichkeiten sind zu identifizieren und diese auch umzusetzen. Die Crime Mapping Marker sind dafür ein ideales Instrument, um im Rahmen eines moderierten, partizipativen Prozesses Schwachstellen und Lösungsansätze zu finden. Die Workshop-Teilnehmenden schätzten die Vernetzung und die Möglichkeit eines aktiven Beitrags kombiniert mit angeregten Diskussionen zur Bahnhofssicherheit. Bahnhofsnutzende, Bahnhöfe und auch deren Umfeld befinden sich in einem steten Wandel - damit ändern sich laufend auch die sicherheitsrelevanten Herausforderungen im und um Bahnhöfe. Künftige Entwicklungen sind bei der Analyse bestehender Bauten ebenso zu berücksichtigen wie bei Bahnhöfen in Planung. Die kriminalpräventive Betrachtung bietet sich für beide Aufgaben an. Dies gilt nicht nur für Bahnhöfe, sondern für alle Bauten und Planungen in Städten. Das beschriebene Vorgehen konnten EBP/ Weicht auch schon erfolgreich beispielsweise für ein Fußballstadion oder neu entwickelte Wohngebiete anwenden. Dabei gilt immer: Wer frühzeitig an Sicherheit denkt, vermeidet nicht nur viel Ärger, sondern kann auch viel Geld sparen. Dr. Lilian Blaser Projektleiterin Urbane Sicherheit + Bevölkerungsschutz EBP Schweiz AG, Zollikon Kontakt: lilian.blaser@ebp.ch Dr. Tillmann Schulze Leiter Urbane Sicherheit + Bevölkerungsschutz EBP Schweiz AG, Zollikon Kontakt: tillmann.schulze@ebp.ch AUTOR*INNEN 60 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Urbanisierung und Urbanität Eine der großen globalen Herausforderungen ist die Urbanisierung. Seit 2009 lebt mehr als 50 % der Weltbevölkerung in Städten, bis 2050 soll sich der Anteil auf zwei Drittel erhöhen. Parallel dazu wird uns der Klimawandel mit enormen globalen Herausforderungen konfrontieren. Die rasant fortschreitende Digitalisierung und die Entwicklung künstlicher Intelligenz stellen große Chancen dar, bergen aber gleichzeitig erhebliche Risiken. München hat 2016 die Digitalinitiative ausgerufen. Der Wandel zur Smart City wurde eingeläutet. Die Vorstellung Resiliente Städte Ein Ansatz, technologische Herausforderungen und Urbanität in Einklang zu bringen Resilienz, Urbane Sicherheit, Prävention, Krisenbewältigung, Kritische Infrastrukturen, Stadtbild Norbert Gebbeken, Paul Warnstedt Vor dem Hintergrund der Digitalisierung, die unsere Städte „smart“ machen soll, des Klimawandels, der zu Sturzfluten und zum Aufheizen der Städte führt, und der Terrorgefahren sowie der Kriminalität, gibt es besondere Herausforderungen für Stadtplaner und Sicherheitsingenieure, damit unsere Städte nicht zubetoniert und verpollert werden. Aufgrund der zunehmenden Verwundbarkeit der Städte wird es immer wichtiger, dass sie resilient auf Gefahren reagieren können. Grundlage für alle kommunalen Infrastrukturen sind bauliche Anlagen, die den Anforderungen an Urbanität gerecht werden sollen. Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit einigen Grundlagen von Resilienz und mit stadtbildverträglichen baulichen Lösungen zum Terrorschutz. Viktualienmarkt München. © Nagy / Presseamt München 61 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? ist, dass bisher unabhängig arbeitende digitale System in naher Zukunft wesentlich stärker vernetzt werden. Künstliche Intelligenzen sollen entscheiden, was den Menschen guttut und herausfinden, wann Systeme schwächeln. Kritische Stimmen mahnen, dass genau dadurch die Gesellschaften immer verletzlicher werden. Werden nun Menschen durch KI und Smart Cities entmündigt, so wie wir es bei den sozialen Medien schon erleben? Wie sollen wir bauliche städtische Verkehrsinfrastruktur, die für 50 bis 100 Jahre ausgelegt wird, heute planen, wenn wir nicht einmal wissen, wohin sich die Mobilität in 20 oder 30 Jahren entwickelt? Die Veränderungen der Städte und die sich damit ergebenden Fragen erzeugen zwangsläufig Ängste. Die sind jedoch nicht unbegründet, denn es hat zum Beispiel Stromausfälle (blackout) aufgrund von technischen Unfällen oder von Naturkatastrophen bereits gegeben (Sturm Kyrill am 19. Januar 2007, weiträumig, Blackouts am 15. November 2012 in München, am 31. Dezember 2016 in Nordfriesland, am 29. Dezember 2018 in Langgrün und am 20. März 2019 in Kelheim). Diese Stromausfälle führten zu erheblichen Beeinträchtigungen und Ausfällen lebenswichtiger Funktionen bei kommunalen Infrastrukturen. Das darf nicht sein. Deswegen müssen wir lebenswichtige Systeme resilient auslegen. Doch was bedeutet Resilienz? Resilienz Resilienz ist die Fähigkeit von Systemen oder Gesellschaften, bei einem Teilausfall nicht vollständig zu versagen und sich möglichst schnell wieder zu erholen (Bild 1). Für Städte bedeutet Resilienz die Fähigkeit, auch bei schweren Schäden zentrale Funktionen aufrechtzuerhalten oder sie sehr schnell wiederherzustellen. Es wird erwartet, dass ein (technisches) System eine bestimmte Leistungsfähigkeit erfüllt (Performanz P pre ). Auf das Eintreten einer Gefahr (Ereignis) zum Zeitpunkt t 0 muss man vorbereitet sein und gleichzeitig versuchen, das Ereignis zu vermeiden (Prävention). Tritt ein katastrophales Ereignis ein, so ist mit einem Leistungsverlust zu rechnen, der aber nicht unter P min fallen darf. Auf die Krise bzw. Katastrophe muss umgehend reagiert werden, um sie zu bewältigen. Häufig haben wir es bei Katastrophen mit Kaskadeneffekten zu tun, die in der Grafik durch den treppenartigen Leistungsverlust dargestellt sind. Greifen die Maßnahmen, dann kann sich das System bis zum Zeitpunkt t 1 erholen. Die Krise ist grundsätzlich überwunden. Im Zuge der Nachbereitung kann jedoch festgestellt werden, dass es sinnvoll ist, die Vorsorge zu verbessern und einen verbesserten Schutz einzuführen, der die Leistungsfähigkeit des Systems auf P post erhöht. Diese Diskussion wird derzeit beispielsweise in Bezug auf Sturzfluten geführt. Bei der Festlegung der Resilienz geht es im Grunde mathematisch um ein Optimierungsproblem mit zwei Zielfunktionen; 1. Akzeptabler Leistungsverlust und 2. Akzeptable Dauer der Krise. Die Fläche des Tales unterhalb der gestrichelten Linie „Krise“ von t 0 bis t 1 ist ein Maß für Resilienz. Je kleiner die Fläche ist, umso größer ist die Resilienz. Eine Forderung an resiliente technische Systeme ist, dass sie redundant und robust sind. Im Zusammenhang mit der Resilienz haben wir die Begriffe Krise und Katastrophe verwendet. Kann man die Begriffe synonym verwenden oder sind es zwei unterschiedliche Dinge? Krise oder Katastrophe? Die Krise bedeutet eine entscheidende Wendung. Sie ist eine schwierige Situation, die den Höhepunkt einer gefährlichen Entwicklung darstellt (gemäß Duden). Dauert die Krise länger an und ist sie großräumig, dann spricht man von einer Katastrophe. Nach der Definition des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) spricht man von einer Katastrophe, wenn Gefahren- und Schadenslagen sich derart zuspitzen, dass die alltäglichen Maßnahmen und Mittel für die Vermeidung Bewältigung Vorbereitung Vorsorge Nachbereitung Krise Bild 1: Zur Definition von Resilienz, Leistungsfähigkeit über die Zeit. © Gebbeken Bild 2: Katastrophenmanagementzyklus gem. BBK. © Gebbeken 62 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? organisatorisch der Katastrophenmanagementzyklus. Bild 2 verdeutlicht, dass die notwendigen Anpassungen zur Vermeidung von, Vorbereitung auf und die Bewältigung sowie Nachbereitung von Katastrophen die beste Vorsorge sind. Vorsorge ist besser als Nachsorge. Deswegen sollte die Prävention Vorrang haben. Wer und was muss geschützt werden? Gemäß der Definition für Katastrophen ist das oberste Schutzziel die Abwendung der Gefahr für Leib und Leben von Menschen. Dazu bedarf es der Aufrechterhaltung aller Einrichtungen und Systeme, die für die lebensnotwendige Versorgung der Bevölkerung von Bedeutung sind. Das sind die so genannten kritischen Infrastrukturen (Tabelle 1). Die Funktionsfähigkeit der kritischen Infrastrukturen hängt maßgeblich davon ab, ob die entsprechenden baulichen Anlagen intakt sind. Das sind im weitesten Sinne Gebäude, technische Anlagen, Ver- und Entsorgungssysteme und die Verkehrsinfrastruktur. Die Sektoren der kritischen Infrastruktur müssen im Kontext der Sektoren der kommunalen Infrastrukturen gesehen und bewertet werden. Sie gelten gleichermaßen für Dörfer bis hin zu Großstädten. Die kommunalen Infrastrukturen werden grob unterteilt in soziale Infrastrukturen und technische Infrastrukturen (Tabelle 2). Der Vergleich zeigt, dass kritische Infrastrukturen als große Untergruppe der kommunalen Infrastrukturen verstanden werden können. Gleichzeitig wird deutlich, dass vereinheitlichte Bezeichnungen und Zuordnungen angebracht wären. So könnten Kommunikationshindernisse beseitigt werden, um die überaus wichtige ressortübergreifende Zusammenarbeit gerade im Krisen- und Katastrophenfall (aber auch in den Phasen der Vor- und Nachbereitung) zu vereinfachen. Die bisherigen Überlegungen waren vergleichsweise theoretisch und abstrakt. Das Vorhandensein der Infrastrukturen und ihre Funktionsfähigkeit, Bild 3: Urbane Räume, links „Angstraum“ , rechts einladende Unterführung. © Gebbeken Sektoren kommunaler Infrastruktur Soziale Infrastrukturen: Technische Infrastrukturen: Gesundheit (Pflege, Betreuung usw.) Energieversorgung Öffentliche Sicherheit (Polizei, Feuerwehr, THW, Rettung, usw.) Informationstechnik und Telekommunikation Fürsorge (Kindergarten, Altenheim, Pflegedienst, usw.) Ver- und Entsorgung (Wasser, Ernährung, Hygiene) Bildungssystem Transport und Verkehr Kultur Finanz- und Versicherungswesen Soziale Sicherung Sport und Freizeit Tabelle 2: Kommunale Infrastrukturen. und Reduzierung von Schäden nicht ausreichen. Das Land Tirol präzisiert noch weiter: „Katastrophen sind durch elementare oder technische Vorgänge oder von Menschen ausgelöste Ereignisse, die in großem Umfang das Leben oder die Gesundheit von Menschen, die Umwelt, das Eigentum oder die lebensnotwendige Versorgung der Bevölkerung gefährden oder schädigen“. Es geht beim Katastrophenschutz wesentlich darum, zukünftige Katastrophen zu vermeiden. Dabei hilft Sektoren Kritischer Infrastrukturen Energie Transport und Verkehr Informationstechnik und Kommunikation Finanz- und Versicherungswesen Gesundheit Staat und Verwaltung Wasser und Entsorgung Sicherheitsorgane Ernährung Medien und Kultur Tabelle 1: Kritische Infrastrukturen gem. BBK 63 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? auch im Krisenfall, sind nur die Voraussetzung dafür, dass ein gesellschaftliches System funktioniert. Aber ist allein dadurch eine Kommune schon attraktiv? Wo möchten wir gerne leben und zusammenleben? Wo fühlen wir uns wohl? Wie gewinnen Städte an Aufenthaltsqualität? Wie schaffen wir es, (technische) Sicherheit so zu installieren, dass Urbanität und Freiheit nicht eingeschränkt werden? All das sind Fragen, die im Zusammenhang mit Urbanität stehen. Doch was macht eine urbane Stadt aus? Urbanität Mit dem Begriff „Urbanität“ beschreibt man die städtische Lebensform. Eine Stadt wird lebendig durch ihre Bewohner, ihre Gäste, durch die Lebensführung, durch vielfältige Milieus und Gemeinschaften. Die Stadt erhält ihre Identität durch ihre Geschichte, ihre Kultur, gerade auch ihre Baukultur, und durch die sozialräumlichen Strukturen. Weiterhin sollte eine lebenswerte Stadt geprägt sein durch eine Vielfalt von Bildungsmöglichkeiten, Toleranz, Freiheit, Vernetzung, Diversität, Interkulturalität, Weltläufigkeit, Aufgeschlossenheit, Authentizität, Intellektualität, Kreativität, Offenheit, identitätsstiftenden Städtebau, Landschaftsplanung, Infrastruktur, Architektur, Kunst, Miteinander von Gewerbe und Wohnen, bürgernahe Politik, Lebensstil, Kneipenszene, Gründerszene, usw. Die „Urbanistik“ (Stadtforschung) beschäftigt sich interdisziplinär mit der Erforschung von Städten unter sozialen, soziologischen, geographischen, historischen, ökologischen, ethnologischen, wirtschaftlichen, städtebaulichen, kulturellen und politischen Gesichtspunkten. Damit ist die Urbanistik interdisziplinär angelegt, indem sie Aspekte der Geistes-, Natur-, Ingenieurs- und Sozial- und der Wirtschaftswissenschaften in sich vereint. In seinem Buch „Städte für Menschen“ hat der dänische Stadtplaner Jan Gehl seine Idee von der lebenswerten Stadt aufgezeichnet. Viele „Best Practice“-Beispiele illustrieren die Umsetzung seiner Ideen. Ein Ziel ist die Verbesserung der städtebaulichen Infrastruktur für Familien, Senioren und körperlich Beeinträchtigte sowie für ein Miteinander von Fußgängern, Radfahrern und anderen Verkehrsteilnehmern. Soweit die Theorie von der guten Stadt. Nun ist immer wieder zu lesen von städtischen „hot spots“, „no go areas“, Problemvierteln, Unsicherheitsräumen usw. Damit kommen wir zum Thema „Kriminalprävention in der Stadt“. Kriminalprävention in der Stadt Die Kriminalprävention dient der Vorbeugung rechtswidriger Taten. Dazu gehört seit dem Anschlag auf den Breitscheidplatz in Berlin am 19.- Dezember 2016 auch der bauliche Schutz vor Terrorakten, wie Bombenanschlägen oder Überfahrtaten. In diesem Beitrag soll nur auf städtebauliche Aspekte eingegangen werden. Zur Vorbeugung und Bekämpfung dienen die aktive Sicherheit (Security) und die passive Sicherheit (Safety). Bauliche Schutzmaßnahmen gehören zur passiven Sicherheit. Es gibt in Deutschland vor allem zwei Institutionen, die sich mit der integrativen stadtbildverträglichen Kriminalprävention beschäftigen. Einerseits das Kompetenzzentrum „Urbane Sicherheit“ im LKA Niedersachsen und andererseits die Stiftung Deutsches Forum für Kriminalprävention im BMI. Das Kompetenzzentrum „Urbane Sicherheit“ weist darauf hin, dass die Anforderungen an den öffentlichen Raum aufgrund aktueller Dynamiken in einer heterogenen Gesellschaft zusehends komplexer werden. Im öffentlichen Raum zeigt das tägliche Miteinander mit all seinen Facetten seine Wirkung. Neue flexible Konzepte erfordern ressortübergreifende Ansätze, um zukünftigen Herausforderungen gewachsen zu sein. Kriminalprävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das Kompetenzzentrum „Urbane Sicherheit“ verbindet wissenschaftliche Ansätze und anwendungsorientierte Themenstellungen. Daraus entstehen Bild 4: Kritis-Gebäude, links Bunker- Schießscharten- Architektur (© BBR), rechts innovative stadtbildverträgliche und ökologische Architektur. © Gebbeken 64 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? wissensbasierte Empfehlungen für die Praxis. Die Stiftung Deutsches Forum für Kriminalprävention ist das unabhängige Zentrum der gesamtgesellschaftlichen Prävention in Deutschland. Sie übernimmt eine Leitfunktion in sozialen, ethischen, interkulturellen und erzieherischen Fragen im Interesse einer sicheren, kriminalitätsarmen und lebenswerten Gesellschaft, in der Einzelpersonen und Institutionen verantwortlich zur Vermeidung von Risiken und zur Gestaltung des Zusammenlebens beitragen. Die Stiftung beschäftigt sich unter anderem mit Themen wie kommunale Kriminalitätsprävention, Sicherheit im Bahnhofsviertel, urbane Sicherheit und integrierte stadtbildverträgliche Sicherheitskonzepte. Im Städtebau muss darauf geachtet werden, dass bestimmte Bau- und Nutzungsstrukturen das Begehen von Delikten begünstigen bzw. hemmen können und sich darüber hinaus negativ bzw. positiv auf das Sicherheitsgefühl der Menschen auswirken. Eine Umsetzung städtebaulicher Präventionskonzepte erfordert die Kooperation aller in diesem Bereich tätigen Behörden und Institutionen. Im Folgenden werden Beispiele aus der Praxis vorgestellt und miteinander verglichen. Die städtebauliche Kriminalprävention verfolgt im Wesentlichen das Ziel, Räume zu schaffen, die grundsätzlich zu jeder Tages- und Nachtzeit von allen Menschen angenommen und als sicher empfunden werden. Damit werden Räume vermieden, die Kriminalität begünstigen oder „ungebetene Gäste“ anlocken. Bild 3 links zeigt den verwahrlosten Bereich am Ende einer dunklen Unterführung, der besonders nachts Unbehagen erzeugt. Dieser Bereich wird schnell vermüllt und morgens liegen dort oft zerdepperte Flaschen. So entstehen jene Angsträume, die nicht Teil dessen sein sollten, was wir als urban bezeichnen. Das Bild 3 rechts zeigt eine einladende Unterführung, die im Rahmen eines Schulprojektes gestaltet wurde. Seitdem gibt es hier weder Vermüllung noch Verwahrlosung. Selbst nachts kann man sich hier sicher fühlen, weil die Beleuchtung gut ist und es keine dunklen Ecken gibt. Wie sieht es nun bei kritischen Infrastrukturen aus, die es sowohl im zentralen urbanen Raum gibt, als auch im weitläufigen Stadtgefüge (Bild 4). Hier sind Architekten, Ingenieure und Landschaftsarchitekten gefragt. Aber nicht nur die. Es bedarf zukunftsorientierter (öffentlicher) Bauherren, die innovative multifunktionale Lösungen zulassen. Auf Bild 4 links ist monotone Architektur zu sehen, die sich der Funktionalität und Sicherheit unterordnet. Im Bild 4 rechts werden die Anforderungen an Funktionalität und Sicherheit gekoppelt mit ökologischen, gestalterischen und landschaftsplanerischen Anforderungen. Die Liegenschaft fügt sich in Stadtgestaltung und umgebende Landschaft ein. Bild 6: Barrieren zum Schutz vor Überfahrtaten, links monofunktionale Beton-Jersey- Barriere, rechts multifunktionale stadtbildverträgliche Barriere. © Gebbeken Bild 5: Perimeterschutz, links „Show Force“-Lösung Beton, rechts elegante „Hide Force“-Lösung Schutzglas. © Gebbeken 65 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Ein wichtiges Thema beim baulichen Schutz ist immer wieder die Gestaltung des Perimeters). Auf Bild-5 ist links eine Schutzwand aus Beton zu sehen. Sie steht unmittelbar am Rande einer Wohnbebauung. Rechts ist ein so genannter „Doppelperimeter“ zu sehen. Zum einen sorgen vergleichsweise ansehnliche Poller für den erforderlichen Abstand und verhindern die Zufahrt, zum anderen wurde eine Schutzwand realisiert, die aus Sicherheitsglas besteht. Dadurch erscheint die Schutzwand nicht martialisch. Nach den Anschlägen auf den Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016 wurden in Deutschland sehr viele Plätze durch Barrieren geschützt. Auf Bild 6 links sind sogenannte Jersey-Barrieren zu sehen, die hier einen historischen Platz vor Überfahrtaten schützen sollen. Gerade in diesem baukulturell relevanten Bereich wäre es sinnvoll und angebracht, stadtbildverträgliche innovative Barrieren vorzusehen, die sich in den Bestand einfügen. Möglichkeiten gibt es viele, wie auf Bild 6 rechts dargestellt ist. Urbane Räume zu gestalten ist manchmal schwierig und manchmal relativ einfach. Auf Bild 7 ist links eine dunkle Gasse zu sehen, in der morgens häufig Müll liegt, der jedoch schnellstmöglich von der Stadt entsorgt wird. Rechts ist eine Schankfläche zu sehen, die meistens verschattet ist, aber trotzdem durchaus beliebt. Trotz intensiver Nutzung wird hier kaum etwas weggeworfen. Die Beispiele zeigen, dass es immer eine intellektuell anspruchsvolle Aufgabe für Bauherren, Architekten und Ingenieure ist, etwas Gutes umzusetzen Resilienz, Sicherheit und Urbanität müssen integrativ gesehen werden Der Beitrag zeigt, dass die globalen technologischen Herausforderungen interdisziplinär synergetisch angenommen werden können, um gleichermaßen Resilienz, Sicherheit und Urbanität zu verbessern. Hierzu bedarf es der Bereitschaft, innovative Lösungen zuzulassen. Die bauaufsichtliche Zulassung kann dabei zunächst über Zustimmungen im Einzelfall realisiert werden, bis sich diese Ansätze auch normativ etabliert haben. Resilienz orientierte Stadtgestaltung muss den gesamten Lebenszyklus baulicher Anlagen einbeziehen. Durch ansprechendes Design und sinnvolle Multifunktionalitäten können Strukturen geschaffen werden, die das Stadtbild bereichern und urbane Räume lebenswert machen. In diesen Räumen wird der Verwahrlosung unmittelbar durch die Gestaltung entgegengewirkt. Sollte nun tatsächlich der unglückliche Fall einer Krise oder Katastrophe eintreten, werden der Wille und die Bereitschaft zur raschen Wiederherstellung dieser Räume und ihrer Funktionen ungleich größer sein. Damit wird sowohl der Leistungsverlust reduziert als auch die Dauer der Krise verkürzt, sodass beiden Zielfunktionen Rechnung getragen wird. Durch diese übergeordneten Ansätze gelingt die Transformation der Städte, bei der die Menschen im Mittelpunkt stehen. Bild 7: Stadtraum, links dunkle Gasse, rechts beliebter Treffpunkt. © Gebbeken Prof. Dr.-Ing. habil. Norbert Gebbeken Universität der Bundeswehr München Forschungszentrum RISK Kontakt: norbert.gebbeken@unibw.de Dipl.-Ing. Paul Warnstedt Universität der Bundeswehr München Forschungszentrum RISK Kontakt: paul.warnstedt@unibw.de AUTOREN 66 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Quartierspeicher für mehr urbane Resilienz Ein Blick über den Tellerrand technischer Risiken bei der Energiewende Urbane Resilienz, Risiko, Smart Grid, Smart City, Quartierspeicher Sadeeb Simon Ottenburger, Ulrich Ufer Die Energiewende bringt neue Risiken für die Stromversorgung in Städten mit sich. Eine zuverlässige und resiliente Stromversorgung sollte nicht allein technisch verstanden werden, sondern auch soziale und kulturelle Aspekte einbeziehen. Quartierspeicher haben das Potenzial, die Krisenfestigkeit zukünftiger Stromversorgungssysteme aus technischer Sicht zu erhöhen. Zudem können sie ortsbezogene Identität sowie soziale Interaktionen befördern, was wir als soziale Resilienz bezeichnen. Soziale Resilienz kommt vor allem dann zum Tragen, wenn sich eine Stadt im Krisenmodus befindet. © Pixabay 67 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Einleitung Die Resilienz einer Stadt bemisst sich an den Fähigkeiten urbaner sozio-technischer Systeme, mit Bedrohungen umzugehen - seien diese durch Naturereignisse hervorgerufen oder durch Menschenhand verursacht. Sobald die Widerstandsfähigkeit solcher Systeme überschritten wird und Bedrohungen sich zum Beispiel durch Versorgungsengpässe oder unerwünschte Abweichungen vom Gewohnten manifestieren, reden wir gemeinhin von Krisen. Je kleiner die negativen Auswirkungen auf die Lebensqualität der urbanen Bevölkerung und je schneller eine Versorgungskrise überwunden ist, desto größer ist die Resilienz einer Stadt. Für ein Gelingen der Energiewende werden Speicher unabdingbar sein. Die Bedeutung des Speichers als Ermöglicher der Energiewende ist von der Politik in Deutschland [1, 2] und international, zum Beispiel in der EU und in Nordamerika [3] längst erkannt worden, sodass Forschung, Entwicklung und auch Produktion von Speichertechnologien zunehmend gefördert werden. In einem komplett auf erneuerbaren Energien basierenden Energiesystem gefährden fluktuierende Erzeugungsraten von Photovoltaik- (PV) oder Windkraftanlagen die Netzstabilität und Versorgungssicherheit, da Produktionskurven von der Stromnachfrage stark abweichen können. Speicher können Stromerzeugung und Verbrauch entkoppeln, indem sie überschüssigen Strom aufnehmen und so die Netze stabilisieren. Außerdem könnte eine optimale Integration lokaler Speicher die Notwendigkeit für großräumige Infrastrukturmaßnahmen, etwa die Errichtung neuer Stromtrassen, reduzieren oder gar vermeiden [4]. Heim- oder Quartierspeicher? Stromverbraucher können mit Speichern in ihren Privathaushalten den Verbrauch von selbst erzeugtem PV-Strom auf einen Anteil von rund 50 % erhöhen [5]. Neben dem gelebten Interesse an technologischen Innovationen ermächtigen Energiespeicher die Prosumer - also Stromkonsumenten, die gleichzeitig auch Strom produzieren - individuelle Beiträge zum Klimaschutz und zur Energiewende zu leisten. Allerdings stehen dieser Kostenreduzierung hohe Anschaffungskosten und Unsicherheiten bezüglich der Lebensdauer von Speichern entgegen, weshalb sich private Heimspeicher bisher in der Masse noch nicht durchsetzen konnten. Statt kostspieliger, kleiner Batterien für Privathaushalte können große Quartierspeicher - also Speicher, welche eine gleichzeitige Mehrfachnutzung durch viele Haushalte ermöglichen - nicht nur eine technisch machbare, sondern auch eine ökonomische Alternative darstellen: reduzierter administrativer und bis zu 40 % günstigerer finanzieller Aufwand bei Anschaffung, Verwaltung und Wartung [6] sowie flexible, das heißt kündbare Beteiligungen der teilnehmenden Anwohner*innen im Quartier. Zum einen erhöht sich durch einen verstärkten Verbrauch des selbst produzierten Stroms der Autarkiegrad eines Quartiers in den zukünftigen Smart Grids, zum anderen kann ein Teil des im Speicher befindlichen Stroms über Systemdienstleistungen netzstabilisierend beziehungsweise entlastend eingesetzt werden. Der Einstieg von Quartierspeichern in den Regelenergiemarkt könnte zum Beispiel einen finanziellen Anreiz für Quartiere mit hoher Eigenproduktion aus regenerativen Energiequellen bieten - allerdings ist diese Möglichkeit momentan im Gesetz nicht verankert. Die Implementierung gemeinsam genutzter Speicher in urbanen Räumen erfordert die Partizipation der Quartiersbewohner an Entscheidungsprozessen, in denen neben technischen Fragen zur Speicherkonfiguration selbst auch Netzanbindungsfragen, die Auswahl des Betreibers, mögliche Geschäftsmodelle und Beteiligungsformen sowie auch die damit verbundenen Investitionen, Standortfragen etc. diskutiert werden. Zudem lädt der Betrieb eines Quartierspeichers dazu ein, Informationen zur Speichernutzung und zum erreichten Eigenverbrauch auszutauschen. Aus soziotechnischer Sicht können gemeinsam genutzte Speicher als identitätsstiftende und demokratiestärkende Elemente angesehen werden und somit den Quartiersbezug stärken. Smart Risks Aus technischer oder ökonomischer Sicht werden Risiken gerne als Produkt von Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensgröße als objektiver Wert definiert. Aus einer soziotechnischen Sicht sind Risiken jedoch relativ, denn sie sind Gegenstand unterschiedlicher Wahrnehmung von Gefahren oder von deren Akzeptanz und Akzeptabilität. Risiken müssen also als Produkte sozialer Aushandlungsprozesse und Machtkonstellationen verstanden werden, in denen gesellschaftliche Ressourcen zur Risikominderung ungleich verteilt sind [7]. Smart Cities produzieren Smart Risks! Diese Risiken werden jedoch in Leitlinien zur Stadtentwicklung meist unzureichend beachtet, es dominiert das Idealbild eines algorithmisch optimierten, effizienten und reibungslosen Ineinandergreifens verschiedenster urbaner technischer Systeme [8]. Im Zuge der Energiewende sind Einschränkungen gewohnter 68 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Versorgungssicherheiten jedoch gerade durch das Zusammenspiel von gesellschaftlicher Transformation und Umweltwandel durchaus denkbar. Einerseits bieten Smart Grids in einer digitalisierten Gesellschaft vergrößerte Cyber-Angriffsflächen für manipulative Eingriffe von mit wachsenden digitalen Kompetenzen ausgestatteten Nutzer*innen. Andererseits steigt die statistische Ausfallwahrscheinlichkeit von Netzkomponenten aufgrund erweiterter Netzkomplexität mit einer Vielzahl dezentraler Komponenten im Energienetz von morgen. Überbelastungen des Stromnetzes, verursacht beispielsweise durch Klimawandel und Mobilitätswende, bilden weitere Risiken: Temperaturanstiege können gerade in Städten außergewöhnlich große Stromnachfragen und regionale Versorgungsengpässe durch gesteigerten Kühlungsbedarf entstehen lassen. Und ähnlich wie bei bekannten Lastspitzen für elektrisch betriebene Haushaltsgeräte ist hinsichtlich der angestrebten Mobilitätswende hin zu elektrisch betriebenen Fahrzeugen voraussehbar, dass eine Vielzahl elektrischer Fahrzeuge nachmittags, nach der Heimkehr vom Pendeln und vor weiteren abendlichen Aktivitäten, aufgeladen werden soll. Gerade durch die von der Industrie als Komfortmerkmal in Aussicht gestellte Schnellladung drohen aufgrund der zu hohen Netzlast lokale Blackouts in den urbanen Versorgungsnetzen. Soziotechnische Resilienz Die soziotechnische Qualität urbaner Risiken zeigt, dass auch urbane Resilienz, etwa angesichts von Stromausfall, nicht rein technisch gedacht werden darf. Weil systemische Risiken größer sind als die Summe ihrer Teilaspekte muss auch urbane Resilienz bereits bei der Planung urbaner Infrastrukturen ganzheitlich gedacht und berücksichtigt werden. So kann die Bereitstellung von mehr Strom durch Quartierspeicher nicht die einzige Antwort auf durch Strom verursachte Probleme sein. Stromspeicherung muss stattdessen als unterstützende Maßnahme einer ganzheitlichen urbanen Transformation gesehen werden, die ebenso stadtplanerische Maßnahmen zur Vermeidung von Hitzestaus und Hitzeinseln sowie die drastische Reduzierung individueller motorisierter Mobilität in der Stadt umfasst. Aufgrund erhöhter Digitalisierung, Automatisierung sowie sich wandelnder Lebens- und Arbeitsweisen (Mobilität, Information, Home-Office, Tele-Medizin etc.) wird Strom eine zunehmend wichtige Rolle für urbane Lebensqualität spielen. Strommangel, wie auch extreme Stromnachfragen werden in Zukunft wahrscheinlicher, und ohne eine Veränderung beim Versorgungsmanagement kann es somit zu lokalen oder gar flächendeckenden Blackouts mit weitreichenden Konsequenzen kommen. Allerdings ermöglichen die Digitalisierung von Stromnetzen und der Einsatz von Smart Metern auch neue Konzepte gegen Engpässe bei der Stromversorgung, Quartierspeicher könnten hier eine Schlüsselrolle spielen. Mit smarten, das heißt vernetzten Quartierspeichern ließen sich sogenannte Inselnetze einrichten, innerhalb derer auch eine Mindestversorgung kritischer Infrastrukturen für eine gewisse Zeit möglich wäre. Flächendeckende Stromausfälle in einer Stadt könnten also nicht nur durch die Selbstversorgung einzelner Inselnetze vermieden werden, sondern auch durch ein intelligentes Verschalten verschiedener Inselnetze, welche unterversorgte Bereiche einer Stadt dann unterstützen. Schon aus netztopologischer Sicht wäre im Vergleich zum Einsatz zahlloser Heimspeicher, aufgrund der verhältnismäßig kleinen Anzahl von Quartierspeichern, eine Reduktion der Angriffsfläche gegeben. Durch eine resiliente Speicherintegration kann ein systemischer Schutz kritischer Infrastrukturen und ein signifikanter Beitrag zur Erhöhung der Resilienz einer Stadt ermöglicht werden [9]. Neben dem zweifelsohne netzdienlichen Mehrwert von Speichern für eine zuverlässige Stromversorgung aus erneuerbaren Energien sollten auch Resilienzparameter im urbanen Kontext erarbeitet und in die Planung von Quartierspeichern aufgenommen werden. Folgende Fragen sollten dabei gestellt werden:  Gegen welche Krisentypen möchte sich eine Stadt wappnen?  Wie und für wen definiert eine Stadt urbane Lebensqualität? Die Antworten würden sich in der Konzeption und Gestaltung von Quartierspeichern widerspiegeln, beispielsweise hinsichtlich ihrer Kapazität, ihres Standorts oder der Beteiligungsformate der Quartiersanwohner*innen. In zukünftigen Smart Cities wird urbane Resilienz in noch höherem Maße als heute vom Strom abhängig sein. In extremen Krisenfällen kann die soziale Ordnung zusammenbrechen, etwa wenn Kommunikations- und Versorgungsinfrastrukturen mehrtägig ausfallen und eine tatsächliche oder gefühlte Bedrohung der Sicherheit von Leib und Leben entsteht. Gleichzeitig praktizieren Bevölkerungsgruppen mit Zusammengehörigkeitsgefühl und ortsbezogener Identität aber auch in Notsituation Solidarität und Hilfe [10]. In dieser Hinsicht könnten Quartierspeicher also nicht allein technische Resilienz durch Bereitstellung von zusätzlichem Strom im Krisenfall, sondern auch die soziale Resilienz 69 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? erhöhen. Beteiligungsformate in der Planung, aber auch in der tatsächlichen Teilhabe am Quartierspeicher durch den Erwerb von Anteilscheinen oder durch den selbstverpflichtenden regelmäßigen Beitrag zum Quartierspeicher über die eigene PV- Anlage haben das Potenzial, den Quartiersbezug auch in Krisensituationen zu bestärken. Dies könnte sogar im erweiterten Krisenfall zur Aufrechthaltung der sozialen Ordnung beitragen: Wenn bei längerem Stromausfall auch die Quartierspeicher geleert sind, greifen nämlich angesichts des Ausfalls technischer Resilienzstrukturen soziale Resilienzstrukturen. Fazit Uneingeschränkte Verfügbarkeit von Strom ist in Deutschland über die vergangenen Jahrzehnte ein elementarer Bestandteil urbaner Lebenswelten und Lebensstile geworden. Die Akzeptanz der Energiewende muss daher aus dem Blickwinkel soziotechnischer Resilienz multi-dimensional gedacht werden, denn ein nachhaltiges Energiesystem genießt nur dann nachhaltig Akzeptanz, wenn es krisenfest ist. Gefühlte Sicherheit und Vertrauen sind Grundvoraussetzungen dafür, dass sich neue Technologien langfristig und flächendeckend etablieren. Ein anfälliges System hingegen sorgt für Misstrauen und den Wunsch nach Altbewährtem. Wer trägt die Verantwortung für urbane Resilienz? Unsere Überlegungen zur Stromversorgung in Smart Grids zeigen, dass sowohl urbane Risiken wie auch Resilienzen in ihrer soziotechnischen Qualität adressiert werden müssen. Stromversorger, Stadtverwaltung, Bürgervereine und NGOs sowie Bürger*innen sollten in einem gemeinsamen Prozess Risiken der Stromversorgung in Smart Grids prüfen und Maßnahmen für sowohl technische als auch soziale Resilienz diskutieren. Wichtig ist hier nicht allein das Resultat, zum Beispiel die Errichtung eines Quartierspeichers, sondern der deliberative und demokratiestärkende Prozess und die Diskussionen auf dem Weg dorthin. LITERATUR: [1] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU), ed. 2016, Klimaschutzplan 2050. Klimaschutzpolitische Grundsätze und Ziele der Bundesregierung. [2] Komarnicki, P., Lombardi, P., Styczynski, Z.: International Development Trends in Power Systems. In Electric Energy Storage Systems: Flexibility Options for Smart Grids. (2017) S. 97-117. Berlin, Springer-Verlag. https: / / w w w.springer.com/ de/ book/ 978366253274 4, letzter Zugriff am 25. April 2019. [3] Bundesministerium für Wirtschaft und Energie: Förderung Energiespeicher, 2017. https: / / www.bmwi. de/ Redaktion/ DE/ Artikel/ Energie/ foerderung-energiespeicher.html, letzter Zugriff am 25. April 2019. [4] EUROBAT: Battery Energy Storage in the EU, 2016. Barriers, Opportunities, Services and Benefits. https: / / eurobat.org/ images/ news/ publications/ eurobat_batteryenergystorage_web.pdf, 2016, letzter Zugriff am 25. April 2019 [5] Rutschmann, I.: Sonnenstrom im Akku speichern. Finanztip, 2019. https: / / www.finanztip.de/ photovoltaik/ stromspeicher/ , letzter Zugriff am 25. April 2019. [6] Parra, D., Gillott, M., Norman, S. A., Walker, G. S.: Optimum Community Energy Storage System for PV Energy Time-Shift. Applied Energy 137 (2015), p. 576-587. [7] Douglas, M., Wildavsky, A.: Risk and Culture: An Essay on the Selection of Technological and Environmental Dangers. 1983, Berkeley, Calif.: Univ. of California Press. [8] Kropp, C.: Intelligente Städte: Rationalität, Einfluss und Legitimation von Algorithmen. In Smart City - Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten. Bauriedl, S., Strüver, A. (Hrsg.) (2018), S. 33-42. Bielefeld: transcript Verlag. http: / / www.degruyter. com/ view/ books/ 9783839443361/ 9783839443361- 002/ 9783839443361-002.xml, letzter Zugriff am 26.-April 2019. [9] Ottenburger, S. S., Münzberg, T., Strittmatter, M.: Smart Grid Topologies, Paving the Way for an Urban Resilient Continuity Management. In: International Journal of Information Systems for Crisis Response and Management 9, 4 (2017), S. 1-22. [10] Ufer, U.: Practicing Urban Transformation: Places of Solidarity and Creative Traditionalism in Transatlantic Comparison. In: City & Society, 30, 3 (2018), S. 318- 340. DOI: 10.1111/ ciso.12179. Dr. Sadeeb Simon Ottenburger Senior Researcher Institut für Kern- und Energietechnik (IKET) Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Kontakt: ottenburger@kit.edu Dr. Ulrich Ufer Senior Researcher Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Kontakt: ulrich.ufer@kit.edu AUTOREN 70 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Berlin, Alexanderplatz, Ende März 2019: Rivalisierende YouTube-Influencer treffen aufeinander. Erst kommt es zu Tumulten, dann zu einer Schlägerei. Die Gründe bleiben unklar. Die Vermutungen reichen von gezielter Provokation, bis hin zur These, beide Seiten hätten die Aktion abgesprochen, um die „Likes“ in ihren Social-Media-Kanälen zu erhöhen. Gewalttätige Auseinandersetzung im öffentlichen Raum gab und gibt es immer wieder - gerade in Städten. Und trotzdem: Das Phänomen, dass Influencer im öffentlichen Raum in einer Form aneinandergeraten, dass die Polizei mit einem Großaufgebot einschreiten muss, ist neu. Eine Entwicklung, die Sicherheitsverantwortliche bislang nicht „auf dem Radar“ hatten. Das Beispiel zeigt auch: Sicherheit im öffentlichen Raum ist dynamisch. Die Sicherheitslage verändert sich ständig. Nutzungsgruppen und Aufenthaltsformen verschieben sich, neue Gefährdungen tauchen auf. Wer hätte es beispielsweise vor den Überfahrtaten in Nizza oder Berlin für möglich gehalten, dass Lastwagen im öffentlichen Raum als Waffe zum Einsatz kommen? Sichere öffentliche Räume: ein Blick in die Zukunft Urbane Sicherheit, Stadtsicherheit, Sicherheit öffentlicher Räume Tillmann Schulze, Lilian Blaser Städte gelten nicht zuletzt dann als lebenswert, wenn sie auch als sicher gelten. Die Sicherheit öffentlicher Räume ist dabei ein zentraler Aspekt. Die Sicherheitslage wie auch die Erwartungen an die Sicherheit öffentlicher Räume unterliegen aber einem stetigen Wandel. Um sich auf künftige Entwicklungen noch besser vorbereiten zu können, führte die Stadt Basel zwischen 2016 und 2018 eine in die Zukunft gerichtete Studie durch, die explizit die Sicherheit öffentlicher, urbaner Räume thematisierte. Die Ergebnisse sind auch für andere Städte gültig. Bilder 1 bis 4: Vortrag Plenum, Kleingruppendiskussionen und Ergebnisse der Gruppenarbeiten auf der Abschlussveranstaltung in Basel. © EBP 71 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Für die Verantwortlichen ist es eine ständige Herausforderung, für ausreichende Sicherheit in öffentlichen Räumen zu sorgen. Denn sichere Städte sind lebenswerte Städte. Sie sind attraktiv für die Bevölkerung, die Wirtschaft sowie für Gäste aus dem In- und Ausland. Wie beim Beispiel in Berlin reagieren die Verantwortlichen zumeist aber nur. Könnten sie „vor die Lage“ kommen und sicherheitsrelevante Entwicklungen frühzeitig erkennen, bestünde die Möglichkeit, solche Ereignisse zu verhindern. Sicherheit: für Schweizer Städte zunehmend relevant Schweizer Städte haben das Image, sicher zu sein. Und auch ihre öffentlichen Räume gelten als sicher. Anschläge gab es dort bislang nicht, auch Großveranstaltungen, wie die jährliche „Street Parade“ in Zürich, verliefen bislang ohne nennenswerte sicherheitsrelevante Vorkommnisse. Und dennoch: Die Urbanisierung hat auch vor der Schweiz nicht Halt gemacht. Aus Dörfern wurden Kleinstädte, aus mittelgroßen wurden Großstädte. Damit einhergegangen ist auch eine Veränderung öffentlicher Räume und der dortigen Sicherheitslage. Das Thema Sicherheit hat für Schweizer Städte in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Nicht zuletzt die Studie „Sichere Schweizer Städte 2025“, an der 33 Städte aus der ganzen Schweiz teilnahmen, zeigte das Bedürfnis der Sicherheitsverantwortlichen, sich vertieft und über die Grenzen der eigenen Stadt hinaus mit Sicherheitsfragen zu befassen. Die Studie belegte auch diese besondere Bedeutung öffentlicher Räume. Es sind Orte städtischen Zusammenlebens schlechthin. Gelten oder sind sie unsicher, wird schnell die ganze Stadt als unsicher wahrgenommen. Eine der Städte, die zwischen 2011 und 2013 an dieser Studie teilnahm, war Basel. Die Stadt im Nordwesten der Schweiz mit ihren knapp 200 000 Einwohnern hat den Status eines Kantons, vergleichbar mit den deutschen Stadt-Staaten Hamburg oder Bremen. Aus dem Blickwinkel der Sicherheit hatte Basel in den letzten Jahren immer wieder mit negativen Schlagzeilen in den Medien zu kämpfen. Nicht zuletzt darum ist Basel schon lange aktiv, um engagiert und vorausschauend die Sicherheitslage auf einem guten Niveau zu halten oder noch zu verbessern. Aus diesem Grund veranlasste der Basler Regierungsrat auch die Studie zur Sicherheit öffentlicher Räume. Das Besondere an der Studie: Wie schon „Sichere Schweizer Städte 2025“ sollte sie einen Blick in die Zukunft werfen. Sie sollte nicht nur festhalten, was es heute braucht, damit öffentliche Räume sicher sind. Die Studie sollte auch Trends aufzeigen, die Einfluss auf die Sicherheit öffentlicher Räume haben und die Situation dort künftig verändern werden. Sie sollte zudem einen Überblick liefern, welche Handlungsoptionen die Verantwortlichen haben und welche Ansätze in anderen Städten bisher erfolgreich waren. Darüber hinaus war es der Anspruch der Studie, dass ihre Ergebnisse nicht nur für Basel gelten, sondern für alle Schweizer Städte. Das Ziel: eine Studie für die Praxis Zwischen 2016 und 2018 befasste sich ein interdisziplinäres Projektteam der Firma EBP unter der Leitung der Basler Kantons- und Stadtentwicklung sowie der Kantonspolizei Basel-Stadt, begleitet durch ein interdepartementales Team aus der Verwaltung, mit diesen Themen. Von vorn herein war dabei klar: „Sicherheit öffentlicher Räume“ würde keine wissenschaftliche Studie sein. Die Analyse aktueller Fachgrundlagen bildete zwar das Fundament, in Zentrum stand aber der praxisnahe Austausch mit einer Vielzahl von Fachpersonen aus Basel sowie weiteren Expert*innen aus der ganzen Schweiz. Mit den Ergebnissen aus einer Vielzahl von Interviews und Workshops war es dann möglich, folgende Fragen zu beantworten:  Was macht öffentliche Räume sicher?  Was kommt auf öffentliche Räume zu?  Welche Möglichkeiten gibt es für die Praxis? Bild 5: „Graphic Recording“ Schlussanlass. © EBP 72 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Was macht öffentlichen Raum sicher? Wie ist in öffentlichen Räumen ein bestimmtes Sicherheitsniveau zu erreichen? Die Projektverantwortlichen arbeiteten dazu die nachfolgenden „Erfolgsfaktoren“ heraus. Diese sind als übergeordnete, strategisch-konzeptionelle Leitlinien zu verstehen, die in einer Stadt durch spezifische Massnahmen auszugestalten sind. Die Erfolgsfaktoren sind heute schon gültig, werden aber auch künftig für die Sicherheit öffentlicher Räume relevant sein. I. Die Städte sind sich des hohen Stellenwerts sicherer öffentlicher Räume bewusst. Städte wissen: Sicherheit öffentlicher Räume ist ein zentraler Faktor für das Wohlbefinden der Bevölkerung und damit für die Lebensqualität in einer Stadt. II. Die Städte betrachten Sicherheit integral. Es besteht ein Verständnis für das Zusammenspiel aller Einflussgrössen, die für Sicherheit oder Unsicherheit in öffentlichen Räumen relevant sind. III. Sicherheit im öffentlichen Raum ist gut organisiert. Alle Akteure arbeiten zusammen. Verantwortlichkeiten und Schnittstellen sind bekannt, Doppelspurigkeiten werden vermieden. IV. Die Städte setzen sich bewusst damit auseinander, wie sicher öffentliche Räume sein sollen. Die Verantwortlichen definieren, welches Sicherheitsniveau sie in welchem öffentlichen Raum erreichen wollen. Dazu gehört auch zu klären, in welchen Räumen Einschränkungen im Bereich Ruhe und Ordnung zum urbanen Leben gehören (dürfen) und zu akzeptieren sind. V. Sicherheit zu gewährleisten, ist ein stetiger Prozess, das geeignete Vorgehen ist ständig neu auszuhandeln. Sicherheit in einer Stadt verändert sich ständig. Trends kommen und akzentuieren sich oder schwächen sich wieder ab. Die Verantwortlichen erkennen diese Veränderungen frühzeitig und reagieren auf sie in angemessener Form. VI. Städte sind bereit, Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum zusammen mit den unterschiedlichen Interessensgruppen zu lösen. Öffentliche Räume gehören allen und Nutzungskonflikte gehören zu einer Stadt. Im Dialog mit den relevanten Akteuren werden diese thematisiert und Lösungen gesucht. VII. Städte setzen Sicherheit in öffentlichen Räumen konsequent durch. Präventive und repressive Elemente ergänzen sich. Sicherheitspersonal ist in den öffentlichen Räumen präsent - in einem angemessenen Umfang. Die Stadt prüft zur Ergänzung polizeilicher Ressourcen den Einsatz präventiv tätiger Teams. VIII. Sicherheit ist integraler Bestandteil der Stadtplanung und damit auch der Planung öffentlicher Räume. Entstehen neue öffentliche Räume oder werden bestehende verändert, gehören Sicherheitsplanungen von Anfang an mit dazu. IX. Der öffentlicher Raum ist sauber und gepflegt. Die Städte sorgen für einen guten Unterhalt öffentlicher Räume. X. Die Städte sensibilisieren die Nutzenden öffentlicher Räume für sicherheitsrelevante Themen. Sowohl Anwohner als auch Gäste können einen Beitrag zur Sicherheit in einer Stadt leisten. Die Nutzenden öffentlicher Räume kennen dazu ihre Rechte und Pflichten und übernehmen für diese Räume Verantwortung. Bild 7 (links): Markplatz in Basel, © Juri Weiss Bild 8 (rechts): Rheingasse in Basel. © Andreas Zimmermann Bild 6: „Unort“ im Basler öffentlichen Raum am Rheinufer. © Tillmann Schulze 73 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Was kommt auf öffentliche Räume zu? Es gibt Trends, die Anhaltspunkte dazu liefern, welche Herausforderungen auf die Städte zukommen. Unterteilt nach den Bereichen „Gesellschaft“, „Stadtraum“ und „Sicherheitsorganisationen und Ordnungskräfte“ sind nachfolgend auszugsweise Beispiele für solche Trends und Herausforderungen aufgeführt: Gesellschaft  Die städtische Bevölkerung wächst weiter und es kommen mehr Gäste. Nutzungsdruck und -konflikte nehmen zu.  Die Bevölkerung wird älter. Alte Menschen fühlen sich verletzlicher, sie haben andere Sicherheitsbedürfnisse als junge.  Sichere öffentliche Räume bleiben relevant im Standortwettbewerb zwischen den Städten - nicht zuletzt beim Werben um qualifizierte Fachpersonen von außerhalb.  Übergriffe auf öffentliches Personal nehmen zu.  Die Teilnahme an sicherheitsrelevanten Ereignissen in öffentlichen Räumen, wie beispielsweise an (gewaltsamen) Demonstrationen, findet immer häufiger Verbreitung in sozialen Netzwerken. Stadtraum  Hohe Mieten können einkommensschwächere Personen aus den Zentren drängen. Eine ausgewogene Durchmischung der Bevölkerung und der Nutzenden öffentlicher Räume unterstützt jedoch die Sicherheit öffentlicher Räume.  Kommerzielle gastronomische Angebote in öffentlichen Räumen gewinnen weiter an Bedeutung.  (Groß-)Anlässe wie Festivals, Märkte oder Werbeanlässe beanspruchen mit immer mehr mobiler Infrastruktur öffentliche Räume. Dies führt zwar zu einer stärkeren Belebung, andererseits werden nicht-kommerzielle Nutzungen immer stärker verdrängt.  Mobile Informations- und Kommunikationstechnologien wie Soziale Medien oder Videoüberwachung beeinflussen künftig noch stärker den Alltag im öffentlichen Raum. Sicherheitsorganisationen und Ordnungskräfte  Sicherheitsorganisationen erfahren oft zu spät von geplanten „Events“ im öffentlichen Raum. Rechtliche Vorgaben machen es ihnen zum Teil unmöglich, sich in soziale Netzwerke oder Online-Foren zu begeben, um Entwicklungen zu verfolgen und auf diese zu reagieren.  Sicherheitsorganisationen müssen aufgrund des anhaltenden Spardrucks ihre Mittel zunehmend priorisieren. Dies geht beispielsweise zu Lasten des persönlichen Kontakts mit der Bevölkerung.  Private Sicherheits- und Ordnungskräfte erhalten zunehmend Aufgaben im öffentlichen Raum.  Vorangetrieben durch die großen technischen Entwicklungsschritte in diesem Bereich, kann die staatliche technische Überwachung weiter Aufwind bekommen.  Die private Videoüberwachung nimmt zu. Private Kameras zeichnen teilweise auch Vorgänge im öffentlichen Raum auf, was gegen Datenschutzvorgaben verstößt. Welche Möglichkeiten gibt es für die Praxis? Was sind die Handlungsoptionen? Wie eingangs erwähnt, richtet sich die Studie „Sicherheit öffentlicher Räum“ primär an „Praktiker“ in städtischen Verwaltungen. Diese sollen ein Instrumentarium erhalten, das ihnen Hinweise gibt, welche Wege erfolgreich sein könnten, um künftig für ausreichende Sicherheit in ihren öffentlichen Räumen zu sorgen. Über ein Drittel der Studie umfasst daher Handlungsoptionen für die Praxis. Diese sind vier Bereichen zugeordnet. Nachfolgend sind exemplarisch zu jedem Bereich drei der insgesamt 23 empfohlenen, übergeordneten Massnahmen aufgeführt, denen in der Studie dann jeweils verschiedene „good practices“ aus verschiedenen Städten zugeordnet sind. Insgesamt umfasst die Studie 75 solcher bewährter Praxis-Beispiele. Bild 9: Titelbild Studie. © Foto: Juri Weiss; Layout: EBP Download der Studie unter: www.entwicklung. bs.ch/ sicherheitoeffentlicher-raum 74 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Sicherheit im öffentlichen Raum organisieren  Zentrale Ansprechstelle oder -person für Sicherheitsfragen im öffentlichen Raum schaffen  Dem Nachtleben eine Stimme verleihen  Über die Stadtgrenze hinaus vernetzen Sicherheit im öffentlichen Raum planen und gestalten  Städtebauliche Kriminalprävention als Planungsgrundlage institutionalisieren  Lichtplanung interdisziplinär angehen  Schutz vor Terroranschlägen bieten Zu Sicherheit im öffentlichen Raum kommunizieren/ sensibilisieren  Mit allen über Sicherheit im öffentlichen Raum reden  Nutzende des Öffentlichen Raums für Sicherheit sensibilisieren  Soziale Medien nutzen und bewirtschaften Sicherheit im öffentlichen Raum durchsetzen  Den Rechtsrahmen nutzen und gestalten  Genügend Sicherheitspersonal für die Wahrung der Sicherheit im öffentlichen Raum zur Verfügung stellen  Ansätze des Predictive Policing nutzen Die Herausforderung bleibt Öffentliche Räume werden auch in Zukunft für Städte wichtig sein. Sie prägen maßgeblich die Lebensqualität in den urbanen Gemeinwesen. In ihnen ein ausreichendes Maß an Sicherheit zu erzielen, bleibt eine permanente und gleichzeitig anspruchsvolle Aufgabe. Die wichtigsten Erkenntnisse der Studie sind: 1. Sicherheit öffentlicher Räume ist und bleibt ein wichtiger Faktor für die Wahrnehmung (der Sicherheit) einer ganzen Stadt. 2. Schweizer Städte machen schon viel, um ein ausreichendes Sicherheitsniveau zu erreichen. 3. Sicherheitsmaßnahmen sollen das pluralistische urbane Leben nicht einschränken. 4. Sicherheit öffentlicher Räume ist differenziert und integral zu betrachten. 5. Sicherheit öffentlicher Räume entsteht aus dem Zusammenspiel zahlreicher Akteure. 6. Trends werden sich ganz unterschiedlich auf die Sicherheit öffentlicher Räume auswirken. 7. Auf aktuelle Bedrohungen ist zu reagieren - nach einer differenzierten Auseinandersetzung. 8. Es gibt zahlreiche und sehr vielseitige Beispiele dafür, wie sich Sicherheit in öffentlichen Räumen erzeugen lässt. 9. Sicherheit in öffentlichen Räumen zu gewährleisten, ist eine Daueraufgabe. Im September 2018 wurde die Studie „Sicherheit öffentlicher Räume“ unter der Schirmherrschaft des Schweizerischen Städteverbands in Basel Sicherheitsverantwortlichen von Schweizer Städten vorgestellt. Der Tenor der Teilnehmenden war klar: Wollen Städte lebenswert bleiben, müssen ihre öffentlichen Räume sicher sein. Das gute Image will niemand verspielen. Damit dies so bleibt, gibt es viel zu tun. „Sicherheit öffentlicher Räum“ ist dafür eine wichtige Planungsgrundlage. Dr. Tillmann Schulze Leiter Urbane Sicherheit + Bevölkerungsschutz EBP Schweiz AG, Zollikon Kontakt: tillmann.schulze@ebp.ch Dr. Lilian Blaser Projektleiterin Urbane Sicherheit + Bevölkerungsschutz EBP Schweiz AG, Zollikon Kontakt: lilian.blaser@ebp.ch AUTOR*INNEN Bild 10: Aufbau Studie. © EBP 75 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Zustand der Wohnumgebung Mit Stadtteilbegehungen [1] lassen sich die subjektiven Bewertungen der Bewohner*innen über den Zustand ihrer Wohnumgebung erkennen. Umstände, die subjektiv als Störungen der sozialen oder normativen Ordnung empfunden werden (Incivilities), können Furcht verursachen und den Rückzug der Menschen aus ihrem Wohn- und Sozialraum zur Folge haben. Der damit verbundene Abbau sozialer Kontrolle kann zur Steigerung der Kriminalität und zu einem weiteren Anstieg der Kriminalitätsfurcht führen (Negativkreislauf). Dadurch verschlechtert sich die Lebensqualität der Menschen in einem Stadtteil. Der Zusammenhang zwischen Incivilities Stadtteilbegehungen als Möglichkeit der Bürgerbeteiligung Die Erforschung des Sozialraums zur Verbesserung des subjektiven Sicherheitsgefühls Bürgerbeteiligung, Sicherheit, Stadtteilbegehungen, Kriminalprävention Egon Wachter, Ellena Krämer Stadtteilbegehungen mit Bewohner*innen stellen eine Möglichkeit der Bürgerbeteiligung dar. Diese Mitwirkung von Bürger*innen bei der Erforschung und Gestaltung ihres eigenen Wohn- und Sozialraums ist von mehrfachem Nutzen. Der Artikel beschreibt konkrete Nutzenaspekte von Stadtteilbegehungen und veranschaulicht die praktische Durchführung mit den Zielgruppen „junge Menschen“ und „Senior*innen“. Dabei werden Erfahrungen mit dieser Form der Bürgerbeteiligung offen gelegt. Zudem wird der Frage nachgegangen, inwieweit sich Stadtteilbegehungen in der kommunalen Praxis etabliert haben. Poster Stadtteilbegehungen. © Ellena Krämer 76 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? „Gefährliche Kreuzung Burtenbachstraße, Fliegenweg.“ „Radweg „Radweg zur Grundschule: zur Grundschule: Feldbepflanzung ist Feldbepflanzung ist sehr hoch und daher sehr hoch und daher unübersichtlich.“ unübersichtlich.“ Zielgruppe ältere Menschen Auch die Stadtteilbegehungen mit der Zielgruppe älterer Menschen sind mehrfach effizient. Die Erforschung des Sozialraums aus der subjektiven Perspektive älterer Menschen dient der Erkennung und dem Abbau empfundener Ordnungsstörungen, um einem sozialen Rückzug entgegen zu wirken. Älter werdende Menschen charakterisieren sich aber auch durch Einschränkungen der Mobilität und damit als zunehmend unsichere Verkehrsteilnehmer*innen. Insoweit ermöglicht eine Stadtteilbegehung mit dieser Zielgruppe zugleich Verkehrssicherheitsarbeit, die sowohl Unfallschwerpunkte berücksichtigen als auch verkehrsbedingt empfundene Ordnungsstörungen erkennen kann. Gleichzeitig kann im Rahmen von Stadtteilbegehungen auf die Kompetenzen und Erfahrungen älterer Menschen zurückgegriffen und die Zielgruppe auf diese Weise im Beteiligungsverfahren wertgeschätzt werden. Aspekte der zielgruppendifferenzierten Durchführung Bei der Durchführung von Stadtteilbegehungen mit Kindern sollte eine Gruppe aus zwei Begleitern und maximal fünf Kindern bestehen (Senior*innen: bis zu acht Personen). Während des Stadtrundgangs stehen die Erfahrungen und Einschätzungen der Kinder bzw. Senior*innen im Mittelpunkt. Ihre Äußerungen und Reaktionen werden von den Begleitpersonen schriftlich auf Dokumentationsbögen, sowie audiovisuell m i t t e l s Diktiergerät und Fotoa p p a r a t , f e s t g e halten. Die auf zwei Zeitstunden ausgerichtete Begehung wird im direkten Anschluss evaluiert. Im Rahmen der Nachbereitung werden der Ablauf und die Ergebnisse abschließend dokumentiert. Danach erfolgt die Weiterleitung der Resultate und Verbesserungsvorschläge (in Stuttgart) an das Bezirksamt, damit zielgerichtete Maßnahmen ergriffen werden können. Bedeutsam sind die Rückmeldung der Ergebnisse an die Zielgruppe und eine zeitnahe Pressemitteilung. [8] 2018 wurden in Stuttgart drei Stadtteilbegehungen durchgeführt - zwei mit der Zielgruppe Kinder und eine mit Senior*innen. und Kriminalitätsfurcht ist gut erforscht und auch für baden-württembergische Städte und Gemeinden mehrfach bestätigt worden. [2 - 5] Professionell geleitete Stadtteilbegehungen können die von Menschen im Wohngebiet empfundenen Störungen detektieren. Werden die Störungen dann beseitigt, kann dem beschriebenen Negativkreislauf entgegengewirkt werden. Zielgruppe Kinder und Jugendliche Stadtteilbegehungen mit der Zielgruppe junger Menschen lassen sich mit zweierlei Nutzenaspekte verbinden. Zum einen ist die Zielgruppe der unter 15-Jährigen regelmäßig nicht in Stichproben von Sicherheitsbefragungen enthalten. [6] Insofern fehlen einer Kommune, auch wenn sie regelmäßig Sicherheit sbefragungen durchführt, grundsätzlich Befunde zum Sicherheitsempfinden von Kindern und Teilen der Jugendlichen. Diese Lücke kann mit einer Stadtteilbegehung mit dieser Zielgruppe geschlossen werden. Zum anderen sind Kommunen gehalten, bei Planungen und Vorhaben, die Kinder und Jugendliche berühren, diese in angemessener Weise zu beteiligen und geeignete Beteiligungsverfahren zu entwickeln. [7] Stadtteilbegehungen kommen insoweit als Beteiligungsverfahren in Betracht. Erste Erfahrungen (siehe unten) bestätigen, dass durch die Einbindung von Kindern und Jugendlichen Gestaltungsprozesse positiv begleitet werden können. Dies lässt weiter hoffen, dass sich die jungen Mitwirkenden in der Folge auch mit z u n e h m e n d e m Alter an der Gestaltung Ihres Wohnumfelds beteiligen werden. g g p sonen schriftlic ccccccccccccccccccchhhhhhhhhhhhhhhhh auf Dokument nt nt ttt nt t nt nt nt tt nt nt t nt nnnnn at aaat aaaaaaaaaaaa ionsbögen, n, n, n, n, n, n, n, n, n, n, n, n, nnnnnn sow ow ow ow ow ow owwww ow ow oww ow ow ow ow ow ow oww ow ooo ie iiiiiiii audioooooooooooooooovi vi vi vi vi vi vi vi vi vi vi vi vvi vvvvvvvvv suell m iiiiiiiiiiiiiiii t t e l s Diii Di Dii Diiii Diii Dii Di Di Di Dii DDii D kt kkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkk iergerät un uuuuuuuuuuuuuuuuuuuuu d Fotoa p aa p aaaa p a p a p a p a ppppppp p a r a t , f e eeeeeeeeeeeeeeeeeee s t g e halt ttttttttttttten en en en en een eeen en en en en en en een en ennn. Die auf zweiiiiiiiiii ZZZZZZZZZZZZZZZZZZZZZeitstunden ausssssssssssssssgerichtete Begeh i d i di k n. it ei du u ne h nnnnn ee t „Das Spielhaus ist mit Graffiti beschmiert und sieht verschmutzt aus.“ 77 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Stadtteilbegehung mit Kindern in Stuttgart, Stadtbezirk Stammheim Der Stadtbezirk Stammheim liegt im Norden Stuttgarts. Im Nordwesten des Stadtteils befindet sich die Justizvollzugsanstalt. Mit den in Abschnitten aufgesiedelten Neubaugebieten „Stammheim-Süd“ und „Sieben Morgen“ konnte Stammheim attraktiven Wohnraum insbesondere für junge Familien zur Verfügung stellen. Mit dem Neubaugebiet „Langenäcker-Wiesert“ wird neuer Wohnraum für alle Generationen und soziale Schichten geschaffen. Stammheim ist so zu einem vergleichsweisen „jungen“ Stadtbezirk geworden, der aktuell eine Fläche von 433,9 Hektar umfasst und 11 808 Einwohner*innen zählt. [9] Im April 2018 erfolgte eine Stadtteilbegehung mit Kindern in Stuttgart-Stammheim. Neun Kinder aus der ansässigen Grundschule beteiligten sich. Die Kinder wurden in zwei Gruppen mit je zwei Begleitpersonen aufgeteilt. Die Stadtteilbegehung orientierte sich am Leitfaden der Stadt Stuttgart. [8] In Stuttgart-Stammheim wurde die Begehung an zwei Tagen (je 2 Stunden) durchgeführt. Die Stadtteilkarte diente als Grundlage; der Stadtbezirk wurde unter Berücksichtigung des täglichen Fußwegs der Kinder in vier relevante Teilbereiche eingeteilt. Die Kinder zeigten Orte, an denen sie sich unsicher fühlen, oder die bei ihnen Unbehagen auslösen. Stadtteilbegehung mit Kindern in Stuttgart, Stadteil Weilimdorf-Giebel Im August 2018 erfolgte eine Stadtteilbegehung mit Kindern in Stuttgart, Weilimdorf-Giebel. Giebel ist ein Stadtteil des Stadtbezirks Weilimdorf. Der durch seine Reihenhausbebauung charakterisierte Stadtteil umfasst eine Fläche von 60 Hektar und zählt zu diesem Zeitpunkt 4805 Einwohner*innen. Giebel erhielt neben anderen Stuttgarter Programmgebieten Förderung aus dem durch den Bund seit 1999 unterstützten Städtebauförderprogramm „Soziale Stadt“. [10] Die Stadtteilbegehung orientierte sich am Leitfaden der Stadt Stuttgart. [8] Acht Kinder im Alter von acht bis elf Jahren nahmen ateil. Begleitpersonen waren zwei Studierende der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg, eine Mitarbeiterin des Jugendhauses Giebel (Vertrauensperson) und eine Fachkraft Kriminalprävention. Die Kinder zeigten Orte, an denen sie sich unsicher fühlen, oder die bei ihnen Unbehagen auslösen. Die Kinder wiesen auf einen fehlenden Zebrastreifen in der Nähe des Jugendhauses hin und sie entdeckten unübersichtliche Stellen durch parkende Fahrzeuge beim Überqueren einer vielbefahrenen Straße.  Gassiboxen fehlen  Einige Mülleimer, Mauern und Hausfassaden sind mit Graffiti beschmiert  Sitzmöglichkeiten sehen schmuddelig und ungepflegt aus  Die Autos und auch die Fahrräder fahren sehr schnell  Der Gehweg ist schmal und die Sicht eingeschränkt  Die Ampelphasen sind sehr kurz  An der Schule ist die Sicht beim Überqueren der Straße durch parkende Autos an mehreren Stellen eingeschränkt und unübersichtlich  Der Radweg ist nicht vom Gehweg zu unterscheiden - keine Markierung  Die Zweige der Bäume verdecken die Verkehrsschilder AUSZUG AUS DER ERGEBNISDOKUMENTATION (Kinderstimmen) „Autos parken eng und die Sicht ist zu „Autos parken eng und die Sicht ist zu eingeschränkt, um die Straße zu queren.“ eingeschränkt, um die Straße zu queren.“ AUSZUG AUS DER ERGEBNISDOKUMENTATION (Seniorenstimmen)  Wunsch auf Ausleuchtung des Gehwegs an einer Hauptstraße, extrem eingeschränkte Sicht  Kein geeigneter Übergang auf die gegenüberliegende Seite, entlang einer sehr langen Straße  Ampelphase zu kurz  Übergang zur gegenüberliegenden Straßenseite schwierig, bedingt durch die Bordsteinhöhe. Schwierigkeit mit der Mobiliätshilfe (Rollator) zum Queren  Differenzierung, bzw. Kennzeichnung Radweg/ Fußweg  Gehwegschäden = Stolperfallen 78 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? „Unübersichtliche Stellen durch parkende Fahrzeuge.“ „Kein Zebrastreifen beim Jugendhaus.“ „Der Gehweg müsste „Der Gehweg müsste besser ausgeleuchtet besser ausgeleuchtet werden.“ werden.“ Stadtteilbegehung mit älteren Menschen in Stuttgart, Stadtbezirk Stammheim Im November 2018 erfolgte eine Stadtteilbegehung mit 14 Senior*innen des Seniorenforums Stuttgart- Stammheim. Die Gruppe untersuchte zur Dämmerungszeit ein konkret ausgewähltes Gebiet, das als ungünstig ausgeleuchtet eingeschätzt werden konnte. Drei Personen begleiteten die Senior*innen (die stellvertretende Bezirksvorsteherin Stammheim, ein Praktikantin des Bezirksamts Stammheim, eine Fachkraft Kriminalprävention) und dokumentierten den Verlauf fotografisch, durch Anfertigung von Notizen der Anregungen und durch Beobachtung. Die Dauer der Begehung betrug 1,5 Stunden. Umgang mit den Erkenntnissen In Stuttgart-Stammheim und in Stuttgart-Weilimdorf, Stadtteil Giebel, benannten die Kinder weniger Räume, die bei ihnen Unsicherheitsgefühle auslösen, als vielmehr Orte, mit denen sie Verkehrssicherheitsprobleme assoziieren. Die Befunde der Stadtteilbegehungen werden (in Stuttgart) im Rahmen eines Kindergipfels und in Kinderforen eingebracht und an die Bezirksrathäuser beziehungsweise Bezirksvorsteher weitergeleitet. Eine Ergebnisdokumentation geht den zuständigen Stuttgarter Ämtern über die Bezirke zu. In einem Fall wurde unverzüglich die Anbringung einer Straßenquerungshilfe (Gehwegnase) veranlasst. Auch die Senior*innen benannten in Stuttgart-Stammheim keine bedenklichen Angsträume. Vor dem Hintergrund, dass Wohnbereiche nicht optimal ausgeleuchtet seien, wurden Unsicherheitsgefühle und Vermeideverhalten artikuliert (es wird vermieden, die Wohnung bei Dämmerung zu verlassen). Der Straßenverkehr, das Überqueren der Straße (kurze Ampelphasen) und die Fahrradfahrer führen zur Verunsicherung der Senior*innen. Auch die Erkenntnisse dieser Zielgruppe werden (in Stuttgart) vom Bezirksrathaus anhand einer Ergebnisdokumentation an die zuständigen Ämter mit der Bitte um Unterstützung bei der Umsetzung weitergeleitet. Haben sich Stadtteilbegehungen in der kommunalen Praxis etabliert? Ein von der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg initiiertes Forschungsprojekt ging im Sommer 2018 den Fragestellungen nach, in welchem Umfang und in welcher Form sich Orts- oder Stadtteilbegehungen mit Bürger*innen als Beteiligungsverfahren in baden-württembergischen Kommunen etabliert haben. Hierzu wurden, mit Unterstützung des Städtetags und des Gemeindetags Baden-Württemberg, die Mitgliedsstädte und -gemeinden kontaktiert. 36 Städte und Gemeinden bestätigten, dass sie eine oder mehrere Orts- oder Stadtteilbegehungen durchgeführt hatten, davon konnten 13 Kommunen mittels Fragebogen zum Einsatz dieses Beteiligungsverfahrens befragt und deren Angaben analysiert werden. In den meisten Fällen (61,5 Prozent; N=13) steht als Zielrichtung der Stadtteilbegehung die Bürgerpartizipation im Vordergrund. Die weit überw i e g e n d e Zahl der Stadtteilbegehungen (84,6 P roz e n t ; N = 1 3 ) richtet sich nicht auf eine konkrete Zielgruppe. Die Initiatoren wollen bewusst breite Teile der Bevölkerung einbeziehen. [11] Damit zeigt sich, dass Stadtteilbegehungen grundsätzlich als Form der Bürgerbeteiligung genutzt werden; eine flächendeckende Nutzung hat sich aber in den Kommunen Baden-Württembergs noch nicht durchgesetzt. Schlussbetrachtung Stadtteilbegehungen stellen direkte Beteiligungsformen der Zivilbevölkerung dar, die dem demokratischen Grundgedanken folgen. Sie erlauben es, Menschen in kommunale Planungs- und Gestaltungsprozesse einzubinden und auf diese Weise staatliches Handeln zu optimieren. Stadtteilbegehungen können auch einen Beitrag zur 79 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Egon Wachter, M.A. Leiter Fachgruppe Kriminologie/ Soziologie an der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg. Kontakt: egonwachter@hfpol-bw.de Ellena Krämer Kommunikationsdesignerin und zertifizierte Fachkraft für Kriminalprävention Stadtverwaltung Stuttgart Kontakt: me@ellena-kraemer.de AUTOR*INNEN Bilder + Grafiken: © Ellena Krämer Verbesserung des Sicherheitsgefühls und zum Erhalt der Lebensqualität der Menschen leisten. Einige wenige Kommunen in Baden-Württemberg praktizieren diese Methode. Die landesweite Akzeptanz der Städte und Gemeinden zur Nutzung dieser Beteiligungsform ist aber noch gering ausgeprägt. Dabei ist die Einbeziehung von Kindern „spielerisch“ möglich, um deren Sichtweise und Bewertung des Sozialraums aus sicherheits- und verkehrsrelevanter Perspektive transparent zu machen. Auch bei der Zielgruppe der älteren Menschen lassen sich Aspekte des (Un-)Sicherheitsgefühls fokussieren sowie verkehrspräventive Zwecke verfolgen. Gleichzeitig können Kompetenzen und Erfahrungen dieser Zielgruppe genutzt und die Menschen auf diese Weise wertgeschätzt werden. In allen Fällen ist es wichtig, die im Rahmen von Stadtteilbegehungen gewonnen Erkenntnisse hinreichend transparent zu machen und zeitnah sichtbare Umsetzungsbeispiele folgen zu lassen. LITERATUR UND ANMERKUNGEN [1] Stadtteilbegehungen werden auch als Stadtteilrundgang oder -tour, Bezirkserkundung, Quartiersbegehung oder -spaziergang, Ortsbegehung oder Exploratory Walk bezeichnet. [2] Vgl. Skogan, W. G.: Disorder and Decline. Crime and the Spiral of Decay in American Neigbourhood. Berkley, Los Angeles, 1992. [3] Heinz, W.: Kriminalpolitik, Bürger und Kommune, in: Kury, H. (Hg.): Konzepte kommunaler Kriminalprävention. Kriminologische Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Strafrecht, 59. Freiburg im Breisgau. (1997), S. 1-146. [4] Hermann, D., Laue, C.: Wirkungen kommunaler Kriminalprävention - Ein Fallbeispiel, in: Bannenberg, B. (Hg.): Kommunale Kriminalprävention. Ausgewählte Beiträge des 9. Deutschen Präventionstages in Stuttgart. Mönchengladbach. (2005), S. 197-208; [5] Dölling, D., Hermann, D.: Individuelle und gesellschaftliche Bedingungen von Kriminalitätsfurcht, in: Schwind, H.-D., Feltes, T., Pfeiffer, C., Steinhilper, G. (Hg.): Kriminalpolitik und ihre wissenschaftlichen Grundlagen. Festschrift für Professor Dr. Hans-Dieter Schwind zum 70. Geburtstag. Heidelberg. (2006), S. 805-824. [6] Zum Beispiel: die wiederholten Befragungen der Arbeitsgemeinschaft koordinierte Umfragen zur Lebensqualität in deutschen Städten („Urban Audit“). Die Grundgesamtheit stellen grundsätzlich Personen über 15 Jahre dar; ebenso Bevölkerungsbefragung in Heidelberg. Heidelberger Sicherheitsaudit (2017). Prof. Dr. Dieter Hermann. Institut für Kriminologie. Universität Heidelberg; ebenso Bevölkerungsbefragung in Mannheim. Mannheimer Sicherheitsaudit (2017). Prof. Dr. Dieter Hermann. Institut für Kriminologie. Universität Heidelberg. [7] Gemeindeordnung für Baden-Württemberg (Gemeindeordnung - GemO) in der Fassung vom 24. Juli 2000, § 41a Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, in Landesrecht BW Bürgerservice, Baden-Württemberg. Quelle: http: / / w w w.landesrecht-bw. de/ jportal/ ? quelle=jlink&qu er y=GemO+BW&psml=bs bawueprod.psml&max=true&aiz=true [8] Die hier beschriebene Durchführung orientiert sich am Leitfaden der Stadt Stuttgart: „Stadt-Detektive unterwegs. Stadtteilbegehungen zur Erforschung des Sozialraumes aus der Perspektive von Kindern (2017)“. Dieser Leitfaden (Broschüre) entstand im Rahmen des Projekts „Gesamtkonzept der Kinderbeteiligung in der Landeshauptstadt Stuttgart“ unter der Leitung der Kinderbeauftragten der Stadt Stuttgart, in Kooperation mit dem Referat Sicherheit, Ordnung und Sport, Kommunale Kriminalprävention und der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg, mit Unterstützung durch das Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren, und aus Mitteln des Landes Baden-Württemberg und des Fördervereins „Sicheres und Sauberes Stuttgart e.V.“. [9] Statistisches Amt Stuttgart, Statistik und Informationsmanagement, Themenhefte, Datenkompass Stadtbezirke Stuttgart, Ausgabe 2014/ 15. [10] Mit diesem Städtebauförderungsprogramm unterstützt der Bund seit 1999 strukturschwächere Stadt- und Ortsteile, die städtebaulich, wirtschaftlich und sozial benachteiligt sind, mit Investitionen in das Wohnumfeld und in die Infrastrukturausstattung. Ziele sind u.a., den sozialen Zusammenhalt zu stärken und Integration zu fördern. [11] Weitere Befunde in Wachter, E. , Krämer, E.: Subjektive Sicherheit gemeinsam gestalten: Exploratory walks. Die Gemeinde. Zeitschrift für die Städte und Gemeinden. Organ des Gemeindetags Baden-Württemberg. BWGZ 01/ 2019. (2019), S. 14-17. g g g n, in Landesrecht BW Bürg ürg ürg ürg ürgg ürg ürg ürg ürg rg ürg ürg ürg ürg ürg ürg rg ürg rg ürg rrr üü ers eeeeeeeeeee er- Baden-Württemberg. rg. g rg rg. rg. rgg rgg rg rg rg rgg rg rgg rggg rg rrr Quelle: / / w w w.landesr sr sr sr sr sr sr sr srr sr sr sr srr sr sr sssssss ech e t-bw. w. www. w. w. ww. w. w. . wwwwwwwwwww portal/ ? quelle lle lle lle le le e le lle lle ee l ll ll ll l ll ll ll =jlink kkkkkkkkkkkkkkkkkk&qu &q &q &q &q &&q &q &q &&q &&&&q &&&&&&& GemO+BW& WWWWWWWWWWWWWWWWWWWWWW psm psm psm psm sm psm ps sm psm ps psm psm ps ps ps ps s ps ps ps s ps pp l=bs ueprod.ps sssssssssssssssml& ml ml ml mmml ml ml ml ml mml ml ml ml ml mml mmm max=- &aiz=truueeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeee hier be e be be eeee be be be be ee be be ee be e be eschriebene hführung uuuuuuuuuuuuuuuuuuu oriensich a aaaaaaaaaaaaaaaaaaaam Leitfaden Stadt dt ddt dt dddt ddt dt dt dt dt dt dt dt dt t dt dt dt dt dt dt dt Stuttgart: dt-De DDe DDe De DDDDDDDDDDDDDD tek eeeek ek eeeeeeeeeeeekktive unegs. ssssssssssssssssss Sta aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaadtteilbegeennnnnnn zur E EEEEEEEEEEEEEEEEEEEErfo rf rf rf rf rf rf rf rrf rrf rrf rf rrf rrf rrff rschung So ooooooooozia zzzzzzzzzzzzzzzzz lraumes a sss a ss a s aa s a s aa s aaaa aaaaaaus der pektive von Ki Ki Ki KKi Ki Ki KKKi KKinde nnd nnd nd nnnnd nnnnd nnnnnndd rn 7)“. Dieser Leitfade de dde de de de de dde de de de de de de de de de eeennnnnnnnnnnnnnnnnnn schüre) entstand im Rahdes Projekts „Gesamtkonzept „Die Ampelschaltung ist mit 12 Sekunden zu kurz, um die Straße zu überqueren. Die Bordsteine am Übergang der Ampel sind nicht abgesenkt.“ 80 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Die Kriminalstatistik sagt nur bedingt etwas über die erlebte Unsicherheit in öffentlichen Räumen aus. Es sind mehrere Gründe, warum die Zahl der Straftaten und das Unsicherheitserleben nicht hoch korrelieren. Es sind die unterschiedlichen räumlichen Einheiten, die jeweils zugrunde liegen, die Subjektivität des Erlebens und die Reaktionen auf Unsicherheit, durch die sich die objektive Situation verändert. So wird zum Beispiel die Zahl der registrierten Straftaten auf die Zahl der Einwohner in der gesamten Stadt bezogen, wohingegen die durch ihren Wohnstandort bestimmten Aktionsräume der Stadtbewohner nur Teilbereiche sind, die sich, auch was die Kriminalität betrifft, von anderen Teilbereichen ganz erheblich unterscheiden können. Die übliche Frage, mit der das Unsicherheitserleben in der Bevölkerung erfasst wird: „Wie sicher fühlen Sie sich oder würden Sie sich fühlen, wenn Sie nach Einbruch der Dunkelheit allein zu Fuß in Ihrer Wohngegend unterwegs sind oder wären? “, ist unmissverständlich auf diesen Teilausschnitt gerichtet. Unsicherheitsgefühle sind negative emotionale Reaktionen, die Stress auslösen. Starke Angstgefühle in dunklen Räumen sind selten, meistens sind es Verunsicherungen und ein diffuses Unbehagen, was sich in der Statistik nicht niederschlägt. Doch schon ein Unbehagen kann dazu führen, dass Orte gemieden werden, sodass diese noch menschenleerer und unbelebter werden und in Zeiten der Dunkelheit noch unheimlicher anmuten. Diese als unsicher erlebten Orte sind „hot spots of fear“. Mehr öffentliche Sicherheit durch mehr Beleuchtung - oder geht es auch anders? Öffentliche Sicherheit, Unsicherheitsgefühle, Beleuchtung, Überblick, Dunkelheit Antje Flade Dunkelheit durch künstliches Licht zu erhellen, ist seit langer Zeit ein Mittel, urbane Räume objektiv und subjektiv sicherer zu machen. Die Prospect-Refuge-Theorie erklärt, warum sich Menschen in öffentlichen Räumen unsicher fühlen. Ein Hauptgrund ist der mangelnde Überblick, der auch von einer zu geringen Helligkeit herrühren kann. Empirische Forschungsergebnisse bestätigen, dass Helligkeit Unsicherheitsgefühle verringert. Gegen die Strategie des „Immer heller“ sprechen jedoch die negativen Auswirkungen einer übermäßigen Beleuchtung auf Menschen, Tiere und die Umwelt. Um die subjektive Sicherheit zu erhöhen, sollte deshalb vermehrt die Refuge-Komponente in Betracht gezogen werden. Bild 1: Laternenwärter. © Historische Museen Hamburg/ Museum der Arbeit; Fotograf: Germin 81 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Man vermeidet sie, indem man Umwege in Kauf nimmt oder auf Unternehmungen und Aktivitäten verzichtet. „The subjective feeling of fear ... has significant harmful effects on individuals and communities. It has been found to limit activities and territory, heighten stress, make people feel like prisoners in their homes and neighborhoods“-[1]. Davon ausgehend, dass Unsicherheitsgefühle und Angst bei Dunkelheit zunehmen, bringt die Beleuchtung des öffentlichen Raums, abgesehen davon, dass sie die Wegefindung und Orientierung erleichtert, auch einen Gewinn an subjektiver Sicherheit mit sich. Ein Eintrag zum Schlagwort „Straßenbeleuchtung“ in Meyers Konversations-Lexikon belegt, dass man schon in der Antike die Städte nicht im Dunkel gelassen hat: „Straßenbeleuchtung durch Laternen kannte man schon im Altertum ... In Paris wurde 1524, 1526 und 1553 den Einwohnern befohlen, von 9 Uhr abends an die Straßen durch Lichter an den Fenstern der Sicherheit wegen zu erleuchten ... Diesem Beispiel folgten London 1668, Amsterdam 1669, Berlin 1679 ... und im Laufe des 18. Jahrhunderts bei weitem die Mehrzahl der größeren Städte“ [2]. Im 19. Jahrhundert wurden die Straßen und Plätze in den Städten zunächst mit Öl-, dann mit Gas- und schließlich mit elektrischen Laternen beleuchtet. Laternenwärter der Gaswerke waren in den Städten noch bis in die 1950er Jahre hinein unterwegs (Bild 1). Heute sind keine Laternenwärter mehr tätig, und inzwischen sind es nicht nur einige Laternen, sondern eine Fülle sehr effektiver Lichtquellen, welche die Städte so sehr erhellen, dass die Auswirkungen nicht nur positiv sind. Das geht aus den Begriffen „Lichtverschmutzung“ bzw. „Lichtsmog“ hervor, die besagen, dass das Beleuchten, wenn es im Übermaß erfolgt, geradezu schädlich ist. Dass man auf dem besten Wege zu diesem Übermaß ist, belegen objektive Daten: So nimmt nämlich die Fläche der Erde, die künstlich illuminiert wird, und zugleich auch die Leuchtstärke immer mehr zu [3]. Zu dem Übermaß hat beigetragen, dass sich die Beleuchtung längst nicht mehr nur auf Wege, Straßen und öffentliche Plätze, sondern auch auf Gebäudefassaden erstreckt, die man auf diese Weise auch des nachts zur Schau stellt (Bild 2). Häuser werden nicht nur angestrahlt, um Einbrecher abzuhalten, sondern auch aus Gründen der Repräsentation. Durch das viele Licht entsteht „die Stadt, die niemals schläft“, in der die Finsternis beseitigt wurde und der 24-Stunden-Tag Einzug gehalten hat [4]. Bild 2: Beleuchtete Hausfassade. © A. Flade 82 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Wenn Beleuchtung in öffentlichen Räumen die subjektive Sicherheit erhöht, ist das zweifellos ein gewichtiges Argument, zu nächtlicher Zeit die Städte mit reichlich Licht zu versorgen. Doch diesem Pro - mehr öffentliche Sicherheit - steht das Contra - mehr schädliche Lichtverschmutzung - entgegen. Statt Lobbyismus zu betreiben und sich auf eine Position festzulegen, sollte überlegt werden, wie die öffentliche Sicherheit und das Sicherheitsgefühl auch ohne ein übermäßiges Ausleuchten erhöht werden können. Theorie und Empirie Eine Erklärung, warum Dunkelheit Unsicherheitsgefühle hervorruft und Helligkeit das Sicherheitsgefühl stärkt, liefert die Prospect-Refuge-Theorie. Sie sagt voraus, dass sich Menschen in Umwelten sicher fühlen, die gut zu überblicken sind und in denen es Möglichkeiten gibt, sich, falls Gefahr droht, in Sicherheit zu bringen. Grundlage dieser Annahme ist die Evolutionstheorie, die aussagt, dass „humans prefer places which offer both prospect and refuge because such places aid survival from animate hazards by offering an observation point to see, to react, and if necessary, to defend, as well as a protective space to keep oneself from being harmed“ [5]. Ein Refugium ist ein Schutz bietender Raum in unmittelbarer Nähe oder an einem Ort, zu dem man leicht hingelangen kann. Man fühlt sich sicherer, wenn es ausreichend hell und die Umgebung gut zu überblicken ist und man im Notfall entkommen kann, wohingegen ein eingeschränkter oder fehlender Überblick gleichbedeutend ist mit einer Reduzierung der visuellen Kontrolle. Wenn man nicht weit sehen kann, kann man Gefahren nicht frühzeitig erkennen, sodass man sich auch nicht sofort wappnen und zur Wehr setzen oder rasch einen sicheren Ort aufsuchen kann. Empirische Untersuchungen haben die Prospect- Refuge-Theorie bestätigt. Unsicherheitsgefühle werden darin meistens mit vorgegebenen Aussagen erfasst, die auf mehrstufigen Skalen von „trifft voll zu“ oder „sehr unsicher“ bis „trifft überhaupt nicht zu“ oder „sehr sicher“, kommentiert werden sollen. Weitere Fragen außer der Standardfrage: „Wie sicher fühlen Sie sich oder würden Sie sich fühlen, wenn Sie nach Einbruch der Dunkelheit allein zu Fuß in Ihrer Wohngegend unterwegs sind oder wären? “, sind [6]:  Ich kann mir vorstellen, dass ich in der U-Bahn angegriffen werde.  Es ist gar nicht unwahrscheinlich, dass man hier bei Dunkelheit überfallen wird.  Ich fühle mich unsicher, wenn ich abends allein nach Hause komme. Die in diesen Situationen erlebte Unsicherheit lässt sich ermitteln, indem man den jeweils Befragten eine 5-stufige Skala von 1 (= überhaupt nicht sicher) bis 5 (= sehr sicher) vorgibt, auf der sie Außenräume mit bestimmten Merkmalen beurteilen sollen. Wenn bei Verwendung dieser Skala eine Umgebung bei Dunkelheit im Mittel mit 1,7, dieselbe hell beleuchtete Umgebung mit 3,3 eingestuft wurde, lässt das auf die Bedeutung visueller Kontrolle für das Sicherheitserleben schließen [7]. Noch ein weiterer positiver Effekt ist, dass man in einer hellen Umgebung eher damit rechnen kann, dass andere Personen im Notfall schneller zu Hilfe kommen [8]. Dass die Überschaubarkeit und nicht das urbane Ambiente als solches der entscheidende Einflussfaktor ist, zeigt sich, wenn man städtische Szenen und Naturumwelten, die in ihrer Überschaubarkeit variieren, hinsichtlich der dort vermutlich erlebten Unsicherheit beurteilen lässt. Dabei zeigt sich, dass das Unsicherheitsgefühl nicht stadttypisch ist, sondern von einer mangelnden Überschaubarkeit her rührt [9]. Man kann sich auch in einer Naturlandschaft sehr unsicher fühlen, wenn es dunkel ist und man mitten im dichten Wald nicht weit sehen kann. Da sich Menschen aber - vor allem in den Zeiten der Dunkelheit - sehr viel häufiger in gebauten Umwelten als in der Natur aufhalten, fällt die Angst im dunklen Wald weniger ins Gewicht. Auch die Art der Beleuchtung beeinflusst den Eindruck, den öffentliche Plätze auf den Betrachter machen. Eine gleichmäßige helle Beleuchtung lässt Plätze sicherer erscheinen [10]. Bild 3: Fehlender Fluchtweg. © A. Flade 83 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? In einer Untersuchung in zwei Städten in den Niederlanden wurde erneut der Zusammenhang zwischen den Sichtverhältnissen und dem Sicherheitserleben nachgewiesen. Den Teilnehmern wurden Bilder von Orten in diesen Städten zu nächtlicher Stunde gezeigt, die hinsichtlich der Überschaubarkeit, der Sichthindernisse, der Möglichkeiten des Entkommens und der Lichtqualität variiert wurden. Sämtliche Korrelationen erwiesen sich als hochsignifikant. Am höchsten (mit r = -.85) korrelierten die subjektive Sicherheit und fehlende Fluchtmöglichkeiten [11]. Der wesentliche Punkt ist hier, dass es nicht allein auf die Beleuchtung ankommt, sondern dass man sich zu vorgerückter Stunde an einem menschenleeren beleuchteten Ort auch dann verunsichert fühlen kann, wenn ein fremder Mensch den einzig möglichen Weg versperrt (Bild 3). Eine reduzierte Straßenbeleuchtung wird akzeptiert, wenn ein sicherer Ort in der Nähe oder erreichbar ist [12]. Dieses Ergebnis besagt, dass sich Unsicherheitsgefühle auch auf andere Weise als allein durch eine üppige Beleuchtung verringern lassen. Man kann im Prinzip die „Lichtverschmutzung“ reduzieren, indem man für Refugien sorgt. Es gibt auch noch andere Wege, das Sicherheitsgefühl zu erhöhen, als die Stadt in ein Lichtermeer zu tauchen. Ein Refugium ist ein Schutzraum, in dem einem nichts passieren kann. Es kann sich um einen physischen Ort, aber auch um einen sozialen Ort handeln, der Schutz verheißt, wenn die Anwesenden Vertrauen erweckende Menschen sind. Entscheidend ist, ob die anderen als freundlich gesinnt (non-threatening) oder als gefährlich (threatening) eingeschätzt werden. Vertrauen erweckend ist zum Beispiel präsentes Sicherheitspersonal im Bereich des öffentlichen Verkehrs, das ein soziales Refugium darstellt. Videokameras sind an solchen Stellen als soziales Refugium weitaus weniger wirkungsvoll [13]. In einer menschenleeren Umgebung fehlt ein solcher sozialer Schutzraum. Dass dieser auch am Tage nicht unwichtig ist, zeigt das Ergebnis eines Experiments, in dem die Teilnehmer Bildszenen von Stadtparks dargeboten bekamen, die hinsichtlich der Anwesenheit anderer Parkbesucher variierten [14]. Die Probanden gaben an, sich sicherer zu fühlen, wenn sich im Park noch andere Menschen aufhalten, die einen „non threatening“-Eindruck machen. Menschenleere Unterführungen lassen unabhängig von der Tageszeit kein Ausweichen zu. In Zeiten der Dunkelheit würde man eine schlecht ausgeleuchtete, kaum frequentierte Unterführung noch mehr vermeiden wollen, weil hier zum fehlenden Refugium noch eine fehlende visuelle Kontrolle dazu käme. Umweltverträgliche Beleuchtung Die Aufhellung der Nacht durch künstliches Licht ist zwar aus der Perspektive eines Gewinns an subjektiver Sicherheit begrüßenswert, doch allein, dass es einen Begriff wie „Lichtverschmutzung“ gibt, ist eine klare Botschaft, dass es noch andere zu berücksichtigende Aspekte gibt. Die dunkle Seite von zu viel Licht zur Nachtzeit sind vielfältige negative Konsequenzen für Mensch und Tier. „Light at night has significant social, ecological, behavioral, and health consequences that are only now becoming apparent“-[15]. Zu den physiologischen Folgen sind Stoffwechselstörungen, oxidativer Stress und Immunschwäche zu rechnen [16]. Für Fluginsekten und auch für Zugvögel können die künstlichen Lichtquellen in den Städten zu tödlichen Fallen werden [17]. Das klare Ziel ist somit, zu umweltverträglicheren Formen der Beleuchtung zu gelangen. Ein Schritt in diese Richtung ist die Verwendung anderer Lichtquellen und eine ökologisch weniger schädigende Ausrichtung des Lichtkegels. Und dann wäre zu prüfen, inwieweit nicht die Refuge-Komponente stärkeres Gewicht in der Maßnahmenplanung bekommen kann, um die Lichtmenge zu reduzieren. Der Ansatz ist: an den Orten, die von vielen Menschen als unsicher erlebt werden - den hot spots of fear - vermehrt Refugien zu schaffen. Haltestellen und Bahnhöfe können hot spots of fear sein, wenn Sichthindernisse den Blick versperren (Bild 4). Hier kann auf Beleuchtung nicht verzichtet werden. Soziale Refugien im weitesten Sinne sind Überwachungskameras, Notrufsäulen, Polizisten, die Streife gehen und Sicherheitspersonal. Um diese Bild 4: Haltestelle mit Sichthindernissen. © A. Flade 84 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Maßnahmen gezielt einsetzen zu können, wird eine Bestandsaufnahme der hot spots of fear benötigt- [18]. Videokameras, die man in öffentlichen und halböffentlichen Bereichen wie Bahnhöfen, Haltestellen und Tiefgaragen, usw. installiert, werden zwar als Schutzmaßnahme ausgegeben, sie haben jedoch auch unerwünschte Nebeneffekte: Sie dienen der Überwachung, was die Privatsphäre tangiert, und sie markieren einen Ort, der scheinbar gefährlich ist; die Videoüberwachung kann auf diese Weise sogar Befürchtungen wecken [19]. Und schließlich bietet sich die digitale Begleitung an, bei der man das Refugium in Form einer Smartphone App mit sich führt [20], ein mobiles, Technik basiertes Refugium. Zusammenfassend: Es geht nicht um den Verzicht auf Beleuchtung oder eine Rückkehr zu den (harmlosen) Gaslaternen, jedoch um einen sparsameren und umweltverträglichen Einsatz von künstlichem Licht in öffentlichen Räumen. Damit jedoch Lichtsparsamkeit nicht zu erlebter Unsicherheit und infolge davon einer Einschränkung der Lebensmöglichkeiten führt, sollte die Refuge-Komponente in der Planung sicherheitserhöhender Maßnahmen größeres Gewicht bekommen. Bei den hot spots of fear sollte auf eine Beleuchtung nicht verzichtet werden; eine flächendeckende Ausleuchtung ist jedoch umweltunverträglich. LITERATUR [1] Nasar, J. L., Fisher, B.: „Hot spots“ of fear and crime: A multimethod investigation. Journal of Environmental Psychology, 13 (1993), 187 - 206, S. 187. [2] Meyers Konversations-Lexikon: Straßenbeleuchtung. 4. Auflage, Bd. 15 (1889), S. 376. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts. [3] „Zu viel Licht im Dunkel. Der Mensch macht die Erde immer heller. Das hat womöglich Folgen für den Körper und die Umwelt“. Beitrag von Thiemo Heeg in der Frankfurter Allgemeinen Woche 2019, Heft 8, S. 58 - 59. [4] Henckel, D.: Stad(t)tnacht? Zeitpolitisches Magazin, Heft 15 (2009), S. 4 - 5. [5] Fisher, B. S., Nasar, J. L.: Fear of crime in relation to three exterior site features: Prospect, refuge, and escape. Environment and Behavior, 24 (1992), 35 - 65, S. 37. [6] Robin, M., Matheau-Police, A., Couty, C.: Development of a scale of perceived environmental anoyances in urban settings. Journal of Environmental Psychology, 27 (2007), S. 55 - 68. [7] Loewen, L. J., Steel, G. D., Suedfeld, P.: Perceived safety from crime in the urban environment. Journal of Environmental Psychology, 13 (1993), S. 323 - 331. [8] Vrij, A., Winkel, F.: Characteristics of the built environment and fear of crime: A research note on interventions in unsafe locations. Deviant Behavior, 12 (1991), S. 203 - 215. [9] Herzog, T. R., Chernick, K. K.: Tranquility and danger in urban and natural settings. Journal of Environmental Psychology, 20 (2000), S. 29 - 39. [10] Nasar, J. L., Bokharaei, S.: Impressions of lighting in public squares after dark. Environment and Behavior, 49 (2017), S. 227 - 254. [11] Van Rijswijk, L., Haans, A.: Illuminating for safety: Investigating the role of lighting appraisals on the perception of safety in the urban environment. Environment and Behavior, 50 (2018), S. 889 - 912. [12] Boomsma, C., Steg, L.: Feeling safe in the dark: Examining the effect of entrapment, lighting levels, and gender on feelings of safety and lighting policy acceptability. Environment and Behavior, 46 (2014), S. 193 - 212. [13] Hochbahn, Institut Wohnen und Umwelt, RNV & HSB. SuSi PLUS. Subjektives Sicherheitsempfinden im Personennahverkehr mit Linienbussen, U-Bahnen und Stadtbahnen. Darmstadt: Institut Wohnen und Umwelt, 2005. [14] Jorgensen, L. J., Ellis, G. 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Spezielle Apps erfassen die Geo-Daten in Echtzeit und setzen bei Bedarf einen Notruf ab“. Beitrag von Katharina Kutsche in der Süddeutschen Zeitung am 12.-Dezember 2018. Dr. Antje Flade Diplom-Psychologin Angewandte Wohn- und Mobilitätsforschung (AWMF), Hamburg Kontakt: awmf-hh@web.de AUTORIN 85 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Das Forschungsprojekt KlimaNetze Für den Klimaschutz können Menschen aus allen Sphären etwas tun: aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung. Wenn sie zusammenarbeiten oder Synergien erzeugen wollen, ist dies in der Praxis aber häufig schwierig; Kooperationen scheitern oder kommen gar nicht erst zustande, wenn Akteure mit unterschiedlichen Handlungslogiken, Wahrnehmungs- und Deutungsmustern aufeinandertreffen. In dem Verbundforschungsprojekt „KlimaNetze“ wird das Zusammenwirken von Akteuren im städtischen Klimaschutz nicht nur erforscht - in Bielefeld wird es in zwei Reallaboren auch konkret verbessert. Zivilgesellschaftliche Akteure wurden zu starken Fürsprechern für den Radverkehr, und eine Straße hat gute Chancen, vom Verkehr befreit zu werden. Der Beitrag zeigt, wodurch dies möglich wurde und wie die Beteiligten Handlungspotenziale im und für den Bielefelder Klimaschutz zukünftig nutzbar machen möchten. Hierzu wird im Folgenden zunächst beschrieben, wie die Reallabore gefunden wurden. Die Reallabore werden danach in ihren Inhalten und Wirkungen umrissen. Es werden die Strukturen erläutert, in die sie eingebettet waren und schließlich Folgerungen gezogen: Was haben die Projektbeteiligten aus den KlimaNetzen gelernt und was empfehlen sie, wie es in Bielefeld mit dem Klimaschutz weitergehen soll? Das Forschungsprojekt KlimaNetze läuft von Oktober 2016 bis September 2019 und wird im Rahmen der sozialökologischen Forschung FONA vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Zum Forschungsteam gehören das Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) und die RWTH Aachen University mit dem Lehrstuhl für Technik- und Organisationssoziologie und dem Lehrstuhl für Planungstheorie und Stadte n t w i c k l u n g . Praxispartner sind die Städte Bielefeld und Darmstadt. Hand in Hand für den Klimaschutz Handlungspotenziale von Akteuren im und für den städtischen Klimaschutz nutzbar machen Klimaschutz, Mobilität, Bürgerbeteiligung, Governance, Reallabor, Transformative Forschung Simone Neddermann, Britta Rösener, Celine Stadler, Antonia Stratmann Aktivitäten im Klimaschutz können sehr wirkungsvoll sein, wenn Akteure verschiedener Sphären zusammenwirken. Dies aber ist oft schwierig. Das Forschungsprojekt KlimaNetze untersucht in Bielefeld nicht nur das Zusammenwirken von Akteuren im Klimaschutz - es hat im Rahmen von zwei Reallaboren auch konkrete Verbesserungen erreicht. Zivilgesellschaftliche Akteure wurden zu starken Fürsprechern für den Radverkehr, und eine Straße hat gute Chancen, vom Verkehr befreit zu werden. Der Beitrag zeigt, wodurch dies möglich wurde und wie Handlungspotenziale im und für den Bielefelder Klimaschutz zukünftig nutzbar gemacht werden können. ungsprojekt KlimaNetze ktober 2016 bis Sep- 9 und wird im Rahsozialökologischen ONA vom Bundesfür Bildung und gefördert. Zum eam gehören für Landesentwicklungs- LS) und die en Univer- Lehrstuhl und Orgaziologie hrstuhl gsthetadtn g . er d- Bild 1: Flyer Klimaschutz - Hand in Hand. © Projekt KlimaNetze 86 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Gesucht: Projektideen für ein besseres Zusammenwirken im Klimaschutz Als das Forschungsprojekt 2016 startete, mussten die Reallabore zunächst gefunden werden. Der Lehrstuhl für Planungstheorie und Stadtentwicklung gestaltete hierzu einen „Findungsprozess“ nach den von Klaus Selle formulierten Grundsätzen [1, 2]. In einem ersten Schritt wurden positive Treiber des Klimaschutzes in Bielefeld identifiziert. Sie wurden mit Hilfe der Methode „Aktivierende Befragung“ [3, 4, 5] eingeladen, am Reallaborprozess mitzuwirken. Etwa 50 Personen aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Verwaltung kamen daraufhin am 6. Oktober 2017 zu einer Ideen- Werkstatt. Hier entwickelten sie Ideen für Projekte, die den Klimaschutz in Bielefeld voranbringen, die das Zusammenwirken von Akteuren verbessern und die im Rahmen des Forschungsprojektes umgesetzt werden sollten. Wichtig dabei war: Es wurde nicht gefragt, was getan werden müsste, sondern was die Teilnehmenden selber in ihren eigenen Wirkungskreisen verändern wollten. Bis zum Ende des Jahres 2017 schärften sechs Projektteams ihre Projektideen. Sie prüften Machbarkeiten und bewarben sich darum, ein Reallabor zu werden. Sie taten dies eigenständig, wurden dabei aber auf Nachfrage vom Forschungsteam unterstützt. In einer erweiterten Steuerungsgruppensitzung (siehe unten) berieten die Verbundpartner am 12.- Januar 2018 gemeinsam mit Vertreter*innen der Projektideen über Qualität und Umsetzbarkeit der Projekte. Auf Basis dieser Diskussion erhielten die Projektteams ein differenziertes Feedback zu ihren Bewerbungen sowie Hinweise zu zukünftigen Rollenteilungen zwischen ihnen und dem Forschungsteam. Fünf Gruppen versicherten daraufhin schriftlich, dass sie an ihrer Bewerbung für ein Reallabor festhalten möchten. Die zwei Reallabore für das Forschungsprojekt KlimaNetze wurden schließlich auf einer Auswahl-Werkstatt von den Teilnehmenden der Veranstaltung gewählt. Umgesetzt: Zwei Reallabore im Bereich nachhaltige Mobilität Die zwei, auf der Auswahl-Werkstatt gewählten Reallaborideen waren das Projekt „MoBiNetz“ und das Projekt „Verkehrsräume umverteilen“. Sie wurden innerhalb eines Jahres entwickelt und umgesetzt. Im Februar/ März 2019 wurden die beiden Reallabore in je einer Reflexionswerkstatt mit dem Forschungsteam ausgewertet. Im Folgenden wird umrissen, was die Teams gemacht haben und wie die Beteiligten die Wirkungen ihres Tuns einschätzen. Reallabor „MoBiNetz“ Mit dem Wunsch, parallele Aktionen für nachhaltige Mobilität zu bündeln und geschlossen mit einer Stimme zu sprechen, schlossen sich auf der Ideen- Werkstatt ehrenamtlich Aktive zum MoBiNetz zusammen. In ihrem Reallabor gründeten sie ein neues, belastbares Netzwerk, welches in der Summe mehr Sichtbarkeit und mehr Wirkung erzeugt, als die einzelnen Aktivitäten ihrer Herkunftsorganisationen es vermögen. Die Projektgruppe ist sich einig, dass im Klimaschutz „Großes“ passieren muss, anstatt sich im „Klein-Klein“ zu verlieren. Deshalb bereitet sie als erstes gemeinsames Projekt ein Bürgerbegehren zu einem Radentscheid für Bielefeld vor. In seinem Reallabor hat sich das MobiNetz erfolgreich vernetzt. Die Gruppe hat sich darauf verständigt, was sie unter einer guten Radinfrastruktur versteht. Nach Einschätzung von Verwaltungsmitarbeitern entlastet dies partizipative Verkehrsplanungen der Stadt. Ebenfalls vorteilhaft ist, dass die 6. 10. 2017: Ideen-Werkstatt mit Klimaschutz-Akteuren 12. 1. 2018: Erweiterte Steuerungsgruppe: Beratung der Projektideen 2. 2. 2018: Auswahl-Werkstatt: Auswahl von zwei Reallaboren Bild 2: Findungsprozess für die Reallabore im Forschungsprojekt Klima- Netze. © Projekt KlimaNetze Aktivierende Einladung Mac hbarkeitsprüfung der Projektideen Bewerbung von 6 Teams Aufgaben-/ Rollenklärung, Committment von 5 Teams 87 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Verwaltung mit dem MoBiNetz nun einen zentralen Ansprechpartner aus der Zivilgesellschaft für nachhaltige Mobilität hat. Zur Vorbereitung auf das Bürgerbegehren hat das MobiNetz zudem einen Forderungskatalog mit „11 Zielen für den Radentscheid“ erstellt. In der Öffentlichkeit tritt das MoBiNetz hauptsächlich als Radentscheid Bielefeld auf. Seine Aktivitäten machen es zum starken Fürsprecher für den Radverkehr. Die Gruppe möchte über das Bürgerbegehren hinaus langfristig zusammenarbeiten. Dabei plant sie, ihren thematischen Fokus zukünftig auf nachhaltige Mobilität zu erweitern. Reallabor „Verkehrsräume umverteilen“ Im Reallabor „Verkehrsräume umverteilen“ arbeiteten Akteure aus Verwaltung, Politik, Zivilgesellschaft und lokalen Unternehmen in einer für sie neuen Konstellation zusammen. Die Gruppe zeigte in der kleinen, innerstädtischen Wilhelmstraße, welcher Zugewinn an Lebensqualität durch das Umverteilen von Straßenraum entstehen kann. Das Team organisierte zum einen einen Aktionstag, durch den erlebbar wurde, wie schön die Wilhelmstraße sein könnte. Die Straße wurde für Autos gesperrt und verwandelte sich durch das Mitwirken der anliegenden Geschäfte in eine Flaniermeile. Dafür wurde der prägende Straßen- und Parkraum mit mobilem Grün gestaltet; künstlerische Mitmach- Aktionen, Spielangebote für die Kinder, gastronomische Angebote und vieles mehr luden zum Aufenthalt ein. Zum anderen erprobte die Projektgruppe, wie eine Verständigung über die Nutzung des Raumes in vollem gegenseitigen Respekt erfolgen kann: Neben vielen persönlichen Gesprächen mit Anlieger*innen, Politiker*innen, etc. führte sie am Aktionstag eine nicht repräsentative Befragung unter Passanten und Geschäftsleuten durch. Die Auswertung der 170 Fragebögen zeigt, dass nur wenige Personen Parkplätze für erforderlich halten und dass Durchgangsverkehr als störend empfunden wird. Die Mehrheit kann sich eine mit Grün und Sitzgelegenheiten gestaltete Fußgängerzone vorstellen, in welcher Besucher verweilen und einander begegnen. Architekturstudierende der RWTH Aachen University setzten dies in Ideenskizzen um und diskutierten ihre Entwürfe mit der Projektgruppe sowie mit Anwohner*innen, Anlieger*innen, Politik und Verwaltung. Die Projektgruppe leitete aus diesem Lernprozess eine differenzierte Empfehlung für die Politik ab. Der AfUK (Ausschuss für Umwelt und Klimaschutz), der SteA (Stadtentwicklungsausschuss) und die Bezirksvertretung Mitte folgten im Februar/ März 2019 der Empfehlung. Damit besteht Aussicht, dass die Vision der Projektgruppe wahr wird und die Wilhelmstraße zukünftig Menschen und Räume verbindet. Das würde heißen: weniger Parkplätze, kein Durchgangsverkehr, mehr Platz für Grün, für Fußgänger und zum Aufenthalt. Selbstverantwortung, Unterstützung und Einbindung der Projekte Die Reallabore wurden von den Projektgruppen eigenverantwortlich entwickelt und umgesetzt. Sie konnten hierbei jedoch wiederum auf die Unterstützung des Forschungsteams zurückgreifen: auf die Moderation von bis zu zwei Konzeptionsworkshops, auf Reflexion, Beratung, Geld und das punktuelle Puffern von Arbeitsspitzen. Bild 3: Die Projektgruppe „Verkehrsräume umverteilen“ in der Wilhelmstraße, Bielefeld; links im Bild: der Klima-Netze- Kümmerer. © Projekt KlimaNetze Bild 4: Am Aktionstag wurde die Wilhelmstraße zum Begegnungsort. © Projekt KlimaNetze 88 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Die Projektgruppen profitierten zudem von den Kommunikationsstrukturen im Forschungsprojekt. Um den Reallaboren gute Umsetzungsvoraussetzungen zu bieten, waren neben den Abstimmungen innerhalb des Forschungsteams Formate entwickelt worden, die das Projekt KlimaNetze in Bielefeld verankern:  Ein Mitarbeiter des Forschungsteams arbeitete für die KlimaNetze im Umweltamt Bielefeld. Dieser „KlimaNetze-Kümmerer“ unterstützte die Reallaborteams und stellte zwischen Akteuren und Aktivitäten Verbindungen her - insbesondere zwischen der Bielefelder Praxis und dem Forschungsteam sowie zwischen den Reallaborteams und der Bielefelder Politik/ Verwaltung.  In einer Steuerungsgruppe Praxis wurden (und werden) Vernetzungs- und Kommunikationsbedarfe identifiziert, Machbarkeiten ausgelotet und alle wesentlichen Schritte im Projekt abgestimmt. Der Steuerungsgruppe gehören neben Vertreter*innen des Forschungsteams zwei leitende Mitarbeiter*innen des Umwelt- und des Mobilitätsdezernates an. Hierdurch waren jederzeit Abstimmungen mit den zuständigen Dezernent*innen möglich.  Die Bielefelder Politik wurde von Beginn an so eingebunden, dass ihre Sichtweisen in das Projekt einfließen konnten und sie über Geschehnisse informiert wurde: Die Umweltdezernentin brachte das Projekt Anfang 2017 in den Verwaltungsvorstand ein. Es gab ein persönliches Gespräch mit Vertreter*innen des AfUK, regelmäßige Vorlagen im AfUK und im SteA sowie im Reallabor „Verkehrsräume umverteilen“ auch in der Bezirksvertretung Mitte. Schlüsselpersonen aus der Politik nahmen an Werkstätten teil und wurden zu Beratungen herangezogen. Folgerungen: Handlungspotenziale für den Klimaschutz nutzbar machen Was lernen und folgern die Projektbeteiligten aus dem Projekt KlimaNetze - und was möchten sie verstetigen, um Handlungspotenziale für den Klimaschutz in Bielefeld zukünftig nutzbar zu machen? Dies sind Ergebnisse aus einem mehrstufigen Auswertungsprozess mit den Projektbeteiligten: Im Findungsprozess zu den Reallaboren ist deutlich geworden, dass es in Bielefeld in allen Sphären (Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Wissenschaft) positive Treiber für den Klimaschutz gibt. Zusammen können sie enorm viel bewegen: Die Verwaltung sieht sich durch das „MoBiNetz“ in Diskussionen um innerstädtische Verkehrsberuhigungen unterstützt. Das Reallabor „Verkehrsräume umverteilen“ war ebenso effizient wie effektiv, weil die Gruppenmitglieder Kompetenzen und Ressourcen aus Verwaltung, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft einbringen konnten. Der Klimaschutz kann also durch neue, akteursübergreifenden Allianzen vorangebracht werden. Durch die Reallabore wurde sehr deutlich, dass Engagement der Stadtgesellschaft eine Strahlkraft für den Klimaschutz entwickeln kann, die über die Möglichkeiten von Politik und Verwaltung weit hinaus reichen. Projekte können sehr wirksam sein, wenn stadtgesellschaftliche Gruppen aus einer intrinsischen Motivation heraus agieren können, wenn ihr Engagement „eigen-willig“ sein darf (! ) und wenn sie ihre Projekte selbst umsetzen und verantworten. Bild 6: Eine Passantin füllt am Aktionstag einen Fragebogen aus. © Projekt KlimaNetze Bild 5: Schön: Eine beliebte Mitmachaktion am Aktionstag. © Projekt KlimaNetze 89 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Weil ehrenamtliche Gruppen jedoch einerseits professionell agieren müssen, um wirkungsvoll sein zu können und weil sie andererseits schnell an ihre Grenzen kommen, ist es wichtig, sie nicht allein zu lassen; ihr Engagement braucht Wertschätzung und hauptamtliche Unterstützung. Um Projekte mit Schnittstellen zu Politik/ Verwaltung bis in die Umsetzung bringen zu können oder um Synergien zwischen Projektgruppen und anderen Akteuren herstellen zu können, braucht es Brückenbauer an den Schnittstellen zwischen den Akteursgruppen . Im Projekt KlimaNetze wirkte der „KlimaNetze-Kümmerer“ als Pfadfinder, Übersetzer, Vertrauensbilder; enorm wichtig war er an der Schnittstelle Politik/ Verwaltung. Sehr hilfreich war die Zusammenarbeit in der Steuerungsgruppe Praxis sowie die frühzeitige Einbindung der Politik. Wichtig war ebenfalls die Rückendeckung der Dezernent*innen, die den experimentellen Klima- Netze-Prozess mitgegangen sind. Die Reallaborteams bestätigten, dass der Findungsprozess im Forschungsprojekt sehr zur Qualifizierung der Projekte beigetragen hat: das Zusammenbringen der KlimaNetze-Treiber aus unterschiedlichen Akteursgruppen, die Ideen-Werkstatt, der Fokus auf eine schnelle Umsetzung der Projekte (nicht reden - machen! ) und der Bewerbungsprozess. Hilfreich war auch, dass der Prozess nicht primär aus der Stadtverwaltung, sondern vom Forschungsprojekt und damit aus einer eher neutral wahrgenommenen Position gestaltet wurde. Handlungspotenziale für den Klimaschutz können also nutzbar gemacht werden, wenn Engagement gezielt aktiviert, qualifiziert und im Hinblick auf zukünftige Unterstützungen ausgewählt wird. Dabei muss nicht zwingend die Kommune federführend sein. Denkbar ist, dies auch in anderen Trägerstrukturen - vielleicht in neuen, welche die Governance der Aufgabe Klimaschutz abbilden und in der die Kommune nur ein wichtiger Akteur neben anderen ist. Die Projektbeteiligten in Bielefeld wünschen sich entsprechend, das KlimaNetze-Projekt zu verstetigen und zu transferieren. Sie empfehlen der Politik, daran mitzuwirken, eine Plattform für Engagement im Klimaschutz aufzubauen. Die Plattform soll mit einem Votum der Politik unabhängig agieren können und die Funktion haben, selbstverantwortetes Engagement aus der Stadtgesellschaft zu aktivieren, Projektgruppen zu unterstützen, Engagierte mit Verwaltung/ Politik zu vernetzen und eine öffentliche Präsenz herzustellen: Damit Handlungspotenziale für den Klimaschutz zukünftig besser nutzbar gemacht werden können. LITERATUR [1] Rösener, B., Selle, K. (Hrsg.): Kommunikation gestalten. Beispiele und Erfahrungen aus der Praxis für die Praxis, Dortmund (2005). [2] Selle, K.: Über Bürgerbeteiligung hinaus: Stadtentwicklung als Gemeinschaftsaufgabe? Analysen und Konzepte, Detmold (2013), S. 383-412. [3] Bischoff, A., Selle, K., Sinning, H.: Informieren, Beteiligen, Kooperieren. Kommunikation in Planungsprozessen. Eine Übersicht zu Formen, Verfahren und Methoden, Dortmund (2005), S. 61-65. [4] Lüttringhaus, M., Streich, A.: „10 Minuten nach dem Beratungsgespräch“: Aktivierende Elemente im Alltag professioneller Beratungstätigkeit. In: Ley, A., Weitz, L. (Hrsg.): Praxis Bürgerbeteiligung. Ein Methodenhandbuch. Arbeitshilfen für Selbsthilfe- und Bürgerinitiativen, Nr. 30, Bonn (2003), S. 64-70. [5] Richers, H.: Aktivierende Befragung. In: Ley, A., Weitz, L. (Hrsg.): Praxis Bürgerbeteiligung. Ein Methodenhandbuch. Arbeitshilfen für Selbsthilfe- und Bürgerinitiativen Nr. 30, Bonn (2003), S. 60-63. Dipl.-Ing. Simone Neddermann Wissenschaftliche Angestellte Lehrstuhl für Planungstheorie und Stadtentwicklung RWTH Aachen University Kontakt: neddermann@pt.rwth-aachen.de Dipl.-Ing. Britta Rösener Wissenschaftliche Angestellte Lehrstuhl für Planungstheorie und Stadtentwicklung RWTH Aachen University Kontakt: roesener@pt.rwth-aachen.de Celine Stadler, M. Sc. Wissenschaftliche Hilfskraft Lehrstuhl für Planungstheorie und Stadtentwicklung RWTH Aachen University Kontakt: stadler@pt.rwth-aachen.de Antonia Stratmann, M. Sc. Wissenschaftliche Mitarbeiterin Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) Kontakt: antonia.stratmann@ils-forschung.de AUTORINNEN 90 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Forschung + Lehre Eine Auseinandersetzungen mit den großen Herausforderungen der Transformation Weltweit sind Städte und Regionen vom Strukturwandel betroffen und stehen vor der Herausforderung umfassender Transformationsprozesse, die sich vielfach erst ankündigen. Für die kommenden Jahrzehnte wird mit einer Zunahme der weltweiten Verstädterung gerechnet: im Jahr 2007 wurde die 50 %-Grenze überschritten, für 2030 wird mit mehr als 60 % und für 2050 mit ca. 70 % gerechnet. Auch in dem bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen ist diese Verstädterung in Form von Reurzesse erfolgreich gestaltet werden können, wenn die richtigen Instrumente, Konzepte und Strategien vorhanden sind. Sie sind also Problem-Verursacher und zugleich Problem-Löser. Viele diese Zukunftsfragen lassen sich nicht mehr mit dem Blick auf den lokalen Kontext beantworten, sondern erfordern einen internationalen Erfahrungsaustausch, wie dieser im Rahmen des englischsprachigen Masters „TRANS- FORMING CITY REGIONS“ (TCR) stattfinden soll. Inhaltliche Ausrichtung und Alleinstellungsmerkmale Der Master „TRANSFORMING CITY REGIONS“ beschäftigt sich mit Transformationsprozessen auf den verschiedenen Maßstabsebenen - vom Quartier, über die Stadt bis hin zur Region - und behandelt damit räumliche und strategische Ebenen, die von dem bisherigen Master Stadtplanung nur sehr eingeschränkt behandelt werden. Zudem ist der englischsprachige Master stärker an Forschungsfragen geknüpft und soll damit Lehre und Forschung miteinander verschränken. Aus dem Master sollen Forschungsthemen generiert und in einem internationalen Kooperationsverbund bearbeitet und umgekehrt relevante internationale Fragen in Aufgabenstellungen für den Master eingespeist werden. Start des Europäischen Masterstudiengangs „TRANSFORMING CITY REGIONS“ (TCR) an der RWTH Aachen University/ Fakultät für Architektur Zum Wintersemester 2019/ 20 geht der englischsprachige Masterstudiengang „TRANSFORMING CITY REGIONS“ der RWTH Aachen an den Start. Dieser viersemestrige Studiengang mit dem Fokus auf internationale Transformationsprozesse richtet sich an deutsche und internationale Studierende aus den Disziplinen Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung, Bauingenieurwesen, Geografie u.a., die sich mit weiterführenden Konzepten und Strategien im Städtebau und in der Quartiers-, Stadt- und Regionalentwicklung befassen wollen. banisierung und Suburbanisierung bereits heute massiv spürbar und erfordert räumliche und strategische Konzepte. Einerseits verursachen Städte Probleme ihr Ressourcenverbrauch und ihre Emissionen tragen zum Klimawandel bei. Auch Phänomene wie Digitalisierung und Globalisierung, neue Technologien, die wachsende soziale Ungleichheit sowie die Integration zuziehender Menschen stellen die Städte vor große Aufgaben. Andererseits können Städte die notwendigen sozialen, ökonomischen und politischen Energien zum erfolgreichen Wandel erzeugen. Städte und Regionen weisen erhebliche Potenziale auf und zeigen, dass Transformationspro- © Fabio Bayro Kaiser, Institut Städtebau und Europäische Urbanistik, RWTH Aachen 91 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Forschung + Lehre Der Master ist interdisziplinär ausgerichtet, um die verschiedenen Säulen der Transformation hinreichend fundiert betrachten zu können. Dabei spielen folgende Themen eine zentrale Rolle im inhaltlichen Profil: - Resilienz Die Resilienz von Städten und Infrastrukturen ist von bestimmten Voraussetzungen abhängig, die sowohl die technische und planerische Systemgestaltung umfassen als auch soziale, politische und kulturelle Dispositionen (Lernfähigkeit, Responsivität) von städtischen Institutionen der Zivilgesellschaft berühren. Noch immer ist das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung auf stabile ökologische Funktionen ausgerichtet. Das Mensch-Umwelt- System und dessen Funktionen ändern sich jedoch tiefgreifend. - Ko-Produktion Eine erfolgreiche Umsetzung von räumlichen Planungsstrategien erfordert mehr denn je eine Einbindung der betroffenen Bevölkerungs- und Akteursgruppen. Ko-Produktion bezieht sich gleichermaßen auf den Prozess der Gestaltung von Quartier, Stadt und Region und die Frage, wie Initiativen und Unternehmen aktiv eingebunden werden können. Dabei sind neue Formen von Governance sowie innovative Konzepte der Verschränkung von Top-Down- und Bottom-up- Strategien zu entwickeln und zu erproben. Neben formellen Planungsverfahren spielen verstärkt informelle Planungsprozesse und -instrumente eine Rolle. - Ressourcen- und Energieeffizienz Bisher lag die Betrachtung von Energieeffizienz vor allem auf dem einzelnen Gebäude. Auf der größeren Maßstabsebene des Quartierszusammenhangs oder des städtischen und regionalen Kontextes sind jedoch erhebliche Potenziale, die von der gemeinsamen Nutzung von Versorgungsinfrastrukturen bis hin zu innovativen Handlungsfeldern reichen. Ein nachhaltiger Erneuerungsprozess erfordert eine interdisziplinäre und integrierte Sichtweise auf die verschiedenen Handlungsfelder, von der Energieerzeugung bis hin zum Energieverbrauch und dem Verhalten der unterschiedlichen Akteursgruppen. - Neue Technologien und Digitalisierung Die neuen technischen Möglichkeiten der Kommunikation und der Digitalisierung wirken sich auf das urbane Leben aus: ‚Smart Cities’, Städte in denen intelligente Stadtsysteme mit modernster IT-Technik erprobt werden, versprechen nicht nur eine Erhöhung der Ressourceneffizienz, sie werden sich radikal auf die Lebenswelten auswirken. So gehen beispielsweise mit der Veränderung der Arbeitswelt auch neue Möglichkeiten der Kombination von Wohnen und Arbeiten einher. Ob diese neuen Optionen in einem räumlichen Nebeneinander der Stadtbausteine Wohnen und Arbeiten eingelöst werden, oder eher in sog. hybriden Bautypologien, die nutzungsoffen sind und beide Funktionen ermöglichen, gilt es zu erforschen. Die beschriebenen Themenschwerpunkte werden in einer international vergleichenden Perspektive betrachtet werden. Die zentralen Referenzräume, mit denen sich der Masterstudiengang befassen wird, sind zum einen das Ruhrgebiet mit seinen international beachteten Formaten der Stadt- und Regionalentwicklung wie die Internationale Bauausstellung Emscher Park und zum anderen das Rheinische Braunkohlerevier, das vor einem gravierenden Strukturwandel steht und als zukünftige größte Baustelle Europas neue Wege des Wandels erproben will. Qualifizierung für den Arbeitsmarkt Mit dieser räumlichen, inhaltlichen und interdisziplinären Ausrichtung setzt sich der europäische Masterstudiengang von bisherigen Lehrangeboten im deutschsprachigen Raum ab und stellt ein Alleinstellungsmerkmal innerhalb der deutschen und internationalen Hochschullandschaft dar. Die Absolventen des Studiengangs erlangen eine Qualifizierung, die ihnen ein erweitertes Tätigkeitsfeld im nationalen und internationalen Kontext eröffnet. In Zeiten der Globalisierung ist das Wissen im Umgang mit internationalen Transformationsprozessen wichtiger denn je und eröffnet neue Arbeitsmarktchancen und Berufsperspektiven. Zukunftsstrategien werden durch innovative Forschungs- und Strategieansätze bestimmt, und diese werden im Rahmen des Masterstudiengangs vermittelt und erprobt. BEWERBUNG + INFORMATION Bewerbungsfrist: vom 6. Mai bis 15. Juli 2019 Leiterin des Studiengangs TCR: Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Christa Reicher Lehrstuhl Städtebau und Entwerfen Institut für Städtebau und Europäische Urbanistik Fakultät für Architektur RWTH Aachen University Weitere Informationen unter: w w w.isl.r w th-aachen.de / .../ European- M -S c-Trans forming- Citie s- Regions 92 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Mobilität Impressum Transforming Cities erscheint im 4. Jahrgang Herausgeber Eberhard Buhl, M.A. Verlag Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl | Christine Ziegler Schliffkopfstr. 22, D-72270 Baiersbronn-Buhlbach Tel. +49 7449 91386.36 · Fax +49 7449 91386.37 office@trialog.de · www.trialog.de Redaktionsleitung Dipl.-Ing. arch. Christine Ziegler VDI (verantwortlich) Tel: +49 7449 91386.43 Fax: +49 7449 91386.37 christine.ziegler@transforming-cities.de Anzeigen Tel. +49 7449 91386.46 Fax +49 7449 91386.37 anzeigen@trialog.de Gültige Anzeigenpreisliste Nr. 4 vom 01.01.2019 Vertrieb und Abonnentenservice Tel. +49 7449 91386.39 Fax +49 7449 91386.37 vertrieb@trialog.de Erscheinungsweise Viermal im Jahr Bezugsbedingungen Die Bestellung des Abonnements gilt zunächst für die Dauer des vereinbarten Zeitraumes (Vertragsdauer). Eine Kündigung des Abonnementvertrages ist zum Ende des Berechnungszeitraumes schriftlich möglich. Erfolgt die Kündigung nicht rechtzeitig, verlängert sich der Vertrag und kann dann zum Ende des neuen Berechnungszeitraumes schriftlich gekündigt werden. Bei Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages, bei Arbeitskampf oder in Fällen höherer Gewalt besteht kein Entschädigungsanspruch. Zustellmängel sind dem Verlag unverzüglich zu melden. 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Versandkosten (Inland EUR 3,-, Ausland EUR 6,50) Einzelausgabe ePaper: elektronische Web- Ausgabe zum Einzelbezugspreis von EUR 35,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), ohne Versandkosten Campus- und Firmenlizenzen auf Anfrage Organ | Medienpartnerschaft VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld Druck Grafik und Druck GmbH Peter Pöllinger, München Herstellung Trialog, Baiersbronn-Buhlbach, www.trialog.de Titelbild Riot Police unit waiting for orders. © Clipdealer Copyright Vervielfältigungen durch Druck und Schrift sowie auf elektronischem Wege, auch auszugsweise, sind verboten und bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Abbildungen übernimmt der Verlag keine Haftung. Eine Publikation der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Baiersbronn-Buhlbach ISSN 2366-7281 (print) www.trialog.de/ agb Stau in den Metropolen weltweit: Da möchte so mancher Autofahrer in die Luft gehen. Das könnte in wenigen Jahren sogar eine echte Lösung sein. Die Unternehmensberatung Boston Consulting Group prognostiziert für 2030 weltweit eine Milliarde Flüge mit den meist unbemannt fliegenden Lufttaxis, wenn sich Sharing-Dienste auf festen Routen auch über den Straßen etablieren. Bosch arbeitet an moderner Sensortechnik, um diese Flüge besonders sicher und komfortabel zu machen. „Ab spätestens 2023 werden die ersten Flugtaxis in Großstädten abheben. Bosch möchte diesen Zukunftsmarkt als Zulieferer mitgestalten“, sagt Harald Kröger, Vorsitzender des Bosch-Geschäftsbereichs Automotive Electronics. Bosch hat dafür eine Marktlücke entdeckt: Herkömmliche Luftfahrttechnik ist zu teuer, zu groß und zu schwer um in autonomen Flugtaxis eingesetzt zu werden. Moderne Sensoren, die auch fürs automatisierte Fahren oder im Schleuderschutzsystem ESP eingesetzt werden, können die Lücke aber schließen. Das Entwickler-Team hat daher dutzende Sensoren in einem Universalsteuergerät für Flugtaxis zusammengeführt. Bosch-Technik für Flugtaxis Das Universalsteuergerät mit serienerprobten Bosch-Sensoren soll dafür sorgen, dass Position und Flugzeuglage der fliegenden Taxis jederzeit ermittelt werden können und sie sich präzise und sicher steuern lassen. Dafür sorgen beispielsweise Beschleunigungs- und Drehratensensoren, die die Bewegungen und den Neigungswinkel der Fluggeräte exakt messen. Im Gegensatz zu aktuellen Sensorlösungen in der Luftfahrt, die teilweise mehrere zehnbis hunderttausend Euro kosten, kann Bosch diese Lösung für einen Bruchteil der Kosten realisieren. Der Grund: Das Unternehmen setzt serienerprobte Sensoren ein, die es bereits seit Jahren für die Automobilindustrie entwickelt und herstellt. „Wir wollen mit unserer Lösung die zivile Luftfahrt mit Flugtaxis für viele Anbieter erschwinglich machen“, sagt Marcus Parentis, Leiter des Technik-Teams bei Bosch, das sich um Steuergeräte der elektrisch betriebenen Kleinflugzeuge kümmert. Zudem sind die Bosch- Sensoren besonders klein und leicht. Hersteller von Flugtaxis können die Sensorbox von Bosch nach dem Plug&Play-Prinzip einfach in ihre Fluggeräte einbauen. Shared Mobility in der Luft: Eine Milliarde Flüge mit Flugtaxis in 2030 Der Mark für Flüge mit Elektro- Lufttaxis in Städten soll in den kommenden Jahren stark wachsen. Bereits für 2020 ist der Probebetrieb in Städten wie Dubai, Los Angeles, Dallas und Singapur geplant. Ab 2023, so schätzen Experten, startet der kommerzielle Betrieb. Sensorbox für Lufttaxis Mit Bosch-Technik lernt das Auto fliegen Bosch arbeitet an moderner Sensortechnik, um Flüge mit Luttaxis besonders sicher und komfortabel zu machen. © Foto: Bosch Städtisches Grün · städtisches Blau Am 4. September 2019 erscheint die nächste Ausgabe von Transforming Cities mit dem Themenschwerpunkt  Stadtökologie, urbane Ökosysteme  Fauna + Flora: Wildes Leben in der Stadt  Dach- und Fassadenbegrünung  Urban Gardening, Landwirtschaft in Städten  Wasserwirtschaft 4.0  Urbaner Wasserkreislauf  Regenwasserbewirtschaftung  Anpassungsstrategien an den Klimawandel  Cleantech ePaper-EAZ_IV_TranCit.indd 1 12.11.2018 10: 13: 34