Transforming cities
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Innovative Konzepte für den Wandel städtischer Quartiere Stadtentwicklung | Resilienz | Bürgerbeteiligung | Energiewende | Mobilität | Luftqualität | Smart City 2 · 2020 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Urbane Transformation All you can read Alles zusammen zum Superpreis: Die Papierausgabe in hochwertigem Druck, das ePaper zum Blättern am Bildschirm und auf dem Smartphone, dazu alle bisher erschienenen Ausgaben im elektronischen Archiv - so haben Sie Ihre Fachzeitschrift für den urbanen Wandel immer und überall griffbereit. AboPlus: Print + ePaper + Archiv www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren Trialog Publishers Verlagsgesellschaft | Baiersbronn | service@trialog.de 1 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, Krisen gehören zum Leben, nicht erst seit der Verbreitung des Corona-Virus. Manchmal vorhersehbar, oft überraschend bringen Krisen den gewohnten Lebensalltag mit mehr oder weniger massiven Störungen aus dem Takt. Die eher leichteren Folgen der aktuellen Krise sind: eine gewisse Zeit lang nicht mehr ins Kino gehen, sich nicht mehr mit Freunden auf ein Glas Wein treffen können, keine Kontaktsportarten. Das ist zwar nicht schön, aber auch nicht wirklich dramatisch. Gefahr besteht tatsächlich erst dann, wenn eine Krise zur Katastrophe gerät. Laut Definition ist das der Fall, wenn Naturgeschehen, technische Störungen oder von Menschen verursachte Ereignisse Leben oder Gesundheit zahlreicher Menschen oder Tiere gefährden oder erhebliche Schäden an Sachwerten verursachen. Maßgebend sind also das Ausmaß der Schäden und die schiere Anzahl der Geschädigten. Daher formten Katastrophen auch seit jeher die Geschichte von Städten. Denn je enger bebaut und je dichter besiedelt menschliche Lebensräume sind, desto empfindlicher wirken sich katastrophale Ereignisse darauf aus. Verheerende Brände, Erdbeben und Überschwemmungen oder Epidemien, gegen die es noch keine Heilmittel gab, konnten zu Zerstörung und Niedergang ganzer Städte und Regionen führen. Großenteils deshalb, weil Versorgungs- und Verwaltungsstrukturen zusammenbrachen oder weil schlichtweg nach einem Unglück nicht mehr genügend Menschen übrig waren, um das Chaos aufzuräumen. So sehen Historiker den Untergang Roms im sechsten Jahrhundert wesentlich als Folge von Vulkanausbrüchen und der sogenannten Justinianischen Pest. So schwer das Leid für die jeweiligen Zeitgenossen auch wog: Aus schrecklichen Erfahrungen ließen sich hernach Lehren ziehen, um so gegen künftige Heimsuchungen besser gerüstet zu sein. Viele Errungenschaften wie medizinischer Fortschritt, Brandschutz oder Kanalisation beruhen auf den Erkenntnissen aus überstandener Not. Städtische Strukturen wurden immer wieder angepasst - um künftige Katastrophen zu verhindern oder zumindest ihre negativen Auswirkungen zu begrenzen. Es liegt also an uns, wie wir mit Krisen umgehen, ob wir sie überwinden werden oder auf die Katastrophe zusteuern. Über Ideen und Projekte zu nachhaltiger urbaner Transformation lesen Sie in der vorliegenden Ausgabe mit der Option, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Ihre Christine Ziegler Redaktionsleitung „Transforming Cities“ Urbane Transformation 2 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES INHALT 2 · 2020 FORUM Interview 4 Keimzelle des urbanen Wandels Prof. Dr.-Ing. Lamia Messari- Becker, SRU-Ratsmitglied (2016 - 2020), im Interview Standpunkt 8 Die Zukunft der Stadtplanung Stadtplanung muss sich dringend verändern, um weiterhin Stadtgestaltung zu sein Gregor Grassl PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum 12 Architektur und Transport Seillose, lineare Aufzüge und Künstliche Intelligenz Eva Bartz, Martin Zaefferer, Takeshi Katagiri, Thomas Bartz-Beielstein 15 Skiberg statt Müllberg Amager Ressource Center Kopenhagen, Dänemark Heidrun Eckert Kommunikation 18 Wie Drohnen das Notrufwesen verändern können Markus Bornheim Mobilität 20 Weniger Aufwand bei höherer Sicherheit Einsatz von zwangsgeführten Relaismodulen in automatischen Parksystemen Daniel Rodemeier 23 Smart Parking - Kommunizieren Sie mit Ihrem Parkplatz Nutzen intelligenter Parkplatzlösungen für Bürger, Kommunen und Wirtschaft Thomas Römer Energie 26 Dezentrale Energieversorgung - wie die Umstellung gelingt Von Jürgen Germies THEMA Urbane Transformation 30 Mitten im Corona- Schock Resilienz als neues Leitbild für die Stadtentwicklung? Peter Jakubowski 35 Transformation der Städte Zur Resilienz digitaler Städte in Krisensituationen Annette Rudolph-Cleff, Joachim Schulze 40 Gesundheitsorientierte Stadtentwicklung Umdenken in Städten aufgrund hoher Luftschadstoffbelastung - das Beispiel Ho Chi Minh City, Vietnam Martina Dettweiler, Karin Menges, Manfred Boltze, Hans Joachim Linke 46 Stadtentwicklungstrends und das Sicherheitsempfinden Potenzielle Wirkungen ausgewählter Trends auf die subjektive Sicherheitswahrnehmung Sophie Allain, Axel Dierich Seite 4 Seite Seite 12 12 Seite 30 Ettersburger Gespräch. © A xel Clemens für die Bundesstiftung Baukultur SK Y SK Y ARC, Architekt: Takeshi Katagiri. ARC, Architekt: Takeshi Katagiri. © Linearity Co., Ltd. © Linearity Co., Ltd. © Tumisu auf Pixabay 3 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES INHALT 2 · 2020 51 Bürger beteiligen: analog und digital Partizipationssysteme verbinden klassische Beteiligungsformen mit Online-Möglichkeiten Rosa Thoneick, Astrid Köhler, Jörg-Rainer Noennig 56 Migrants4Cities Transformation durch kokreative Stadtentwicklung Marcus Jeutner, Susanne Schön, Susanne Thomaier, Helke Wendt-Schwarzburg 60 Bewertung von Power-to-X-Pfaden im städtischen Umfeld Power-to-eMobility für gewerbliche Flotten Annedore Kanngießer, Jan Hicking, Stefan Jaeger 64 Innovative Quartierskonzepte im urbanen Raum Praxisbeispiele für eine integrierte Energie- und Verkehrswende in Berlin Adrian Feltes, Maxim Blankschein, José Mercado 69 Die Verkehrswende zwischen Theorie und Praxis Jasmin Rychlik, Malte Möck, Derk T. Trei 74 Nachhaltige Mobilität im Reallabor Innovative Maßnahmen zur Verkehrswende bei der Entwicklung eines klimaneutralen Stadtquartiers Svenja Polst, Mark Thomas, Martin Kohl, Katharina Buseinus 78 Potenzialanalyse einer gebündelten Paketzustellung Interdisziplinäre Forschung des Research Lab for Urban Transport (ReLUT) Dominic Hofmann, Tobias Hagen, Petra K. Schäfer, Kai-Oliver Schocke, Domenik H. Wendt, Felix Bergold, Sabine Scheel-Kopeinig, Dana Stolte, Simon Steinpilz PRODUKTE + LÖSUNGEN Kommunikation 82 Cyber Security und Industrie 4.0 Drei Maßnahmen für die Smart Factory Philipp Artmeier Ressourcen 84 Augen auf beim Neustart Worauf nach der Corona- Pause beim Trinkwasser zu achten ist 84 Impressum Seite 40 Seite 51 © Dettweiler et al. Seite Seite 56 56 © Christian Fröhlich © Projekt DIPAS 4 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Urbanisierung ist ein Megatrend. Wie wirkt sich der andauernde Zuzug in Städte auf den Umwelt- und Klimaschutz aus? Er führt logisch zu einer starken Konzentration des Ressourcenverbrauchs in den Städten, mit den üblichen Problemen, also mehr Flächenverbrauch, mehr Verkehrsaufkommen, mehr Umweltbelastungen etc. Hitzeinseleffekte etwa, entstehen oder verstärken sich bei zu hoher Nachverdichtung, zu viel Versieglung oder beim Zubau von Lüftungs- und Kühlungsschneisen. Städte haben also auch ihre ökologischen Belastungsgrenzen. Der anhaltende Zuzug führt natürlich auch dazu, dass Grundstücke in Städten rar und teuer werden. Die Folge kann soziale Entmischung sein oder Abwanderung der Binnenwirtschaft, die keinen Wohnraum für ihre Mitarbeiter findet. Also es hängt einiges zusammen. Im Gutachten wird darauf verwiesen, dass sich die anstehenden Probleme besser auf Quartiersebene lösen lassen - warum? Es ist eine Ebene, die bisher zu wenig adressiert wird. Der Gesetzgeber adressiert in Klimaschutzfragen überwiegend das Einzelgebäude. Und hier bestehen zahlreiche Hemmnisse und Grenzen gegenüber energetischen Sanierungen und dem Umstieg auf erneuerbare Energien. Denken wir nur an die langen Erneuerungszyklen von Gebäuden oder finanzielle Aspekte. Erweitern wir aber unseren Blick um das Quartier, als Bindeglied zwischen einerseits dem Einzelgebäude und andererseits der Stadt, erschließen wir ein viel größeres Handlungsfeld. In diesem größeren Handlungsfeld lassen sich Maßnahmen im Verbund realisieren. Es entstehen Skaleneffekte, die ökologische und ökonomische Vorteile bringen. Ein Beispiel: Die Sanierung von ähnlichen Gebäuden bzw. Gebäudegruppen oder sogenannte serielle Sanierungen erhöhen die Sanierungsrate und sparen Kosten, weil man nicht jedes Gebäude einzeln planen muss. Quartiere haben auch eine soziale Kraft. Die Identifikation mit dem eigenen Quartier aktiviert Mitmach- und Nachahmungseffekte. So gesehen, sind Quartiere die Keimzelle urbanen Wandels. Für Quartiere als Raum für mehr Umwelt- und Klimaschutz gibt der SRU nun konkrete Empfehlungen - welche sind das? Unsere Kernbotschaft ist, das Quartier als strategische Handlungs- und Umsetzungsebene förderpolitisch, rechtlich und organisatorisch zu etablieren. Die Empfehlungen sind vielfältig und durchdringen verschiedene Handlungsfelder und Handlungsebenen. Der SRU empfiehlt der Bundesregierung, eine Förderoffensive für die Umsetzung integrierter und nachhaltiger Quartierskonzepte zu starten, den Quartiersansatz in den entsprechenden Gesetzen oder Vereinbarungen zu etablieren. Hierzu zählen das Gebäudeenergiegesetz GEG, die Europäische Erneuerbare Energie-Richtlinie, die Leipzig Charta 2.0 usw. Um eine urbane dezentrale Energiewende zu unterstützen, sollen nachbarschaftliche gemeinsame Gewinnung und Nutzung erneuerbarer Energien vereinfacht, Wärmenetze und kommunale Wärmepläne stärker fokussiert werden. Serielle Keimzelle des urbanen Wandels Die transformative Kraft der Städte steckt in den Quartieren - Räumen für mehr Klima- und Umweltschutz Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) stellte am 14. Mai 2020 sein aktuelles Umweltgutachten der Öffentlichkeit vor. Darin werden verschiedene umweltpolitische Themenfelder wie Klimaschutz, Kreislaufwirtschaft, Gewässerschutz, nachhaltige Quartiersentwicklung, Lärm und städtische Mobilität behandelt. Verfasst unter Federführung von Frau Prof. Dr.-Ing. Lamia Messari-Becker, SRU-Ratsmitglied in der Ratsperiode 2016 - 2020, widmet sich ein Kapitel des Gutachtens dem städtischen Quartier als Raum für mehr Umwelt- und Klimaschutz. Welcher große Handlungsbedarf gerade in Quartieren besteht und welche vielversprechenden Möglichkeiten sich dort zum Umsteuern bieten, erklärt die Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Universität Siegen im Interview. Prof. Dr.-Ing. Lamia Messari-Becker beim Ettersburger Gespräch. © A xel Clemens für die Bundesstiftung Baukultur 5 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Sanierungen und warmmietenneutrale Quartierssanierung sollten finanziell gefördert werden, letztere um das „Eigentümer/ Nutzer-Dilemma“ zu entschärfen. In Quartieren gibt es aber eine Vielzahl Akteure, die unterschiedliche Interessen haben und unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen. Deshalb muss gemeinsames Handeln organisiert werden. Dazu empfehlen wir, eine quartiersbezogene Governance aufzubauen. Beispielsweise können Kooperationsplattformen die Akteure zusammenbringen, um gemeinsame Ziele zu entwickeln. Nachhaltig ist nur das, was von allen gemeinsam getragen wird. Konkretes Beispiel Energiewende: Ist es von Vorteil, Erzeugung, Speicherung und Verbrauch von Energie eher dezentral - also fürs einzelne Stadtviertel - zu organisieren? Ich denke, dass es für die Energiewende grundsätzlich ein großer Gewinn wäre, sie räumlich und urban zu interpretieren. Baulich betrachtet, haben Quartiere oft ähnliche Gebäudetypologien, die aufgrund gleicher Baualtersklassen vergleichbare energetische Qualitäten und damit auch vergleichbare Energieeinsparpotenziale aufweisen. Oft haben sie wegen ihrer Lage auch ähnliche Fähigkeiten, erneuerbare Energien zu gewinnen. Und Quartiere verfügen über Flächen - eine nicht vermehrbare Ressource. Zusammen gesehen: Gelingt es, den Energiebedarf mit der EE-Gewinnung/ -Nutzung zu verknüpfen, wäre dies ein wichtiger Beitrag zur Energiewende. Im Übrigen lassen sich viele Maßnahmen erst im Quartier sinnvoll darstellen: Für die Abwasserwärmerückgewinnung benötigen wir eine gewisse Energiedichte und ein gewisses Warmwasseraufkommen; für Wärmenetze eine gewisse Fläche und Abnahmemenge, für gemeinschaftliche EE-Gewinnung und -nutzung eine kritische Masse an Flächen oder auch Akteuren etc. Es lohnt sich, die Rahmenbedingungen für solche Maßnahmen zu schaffen, um die Kraft der Nachbarschaft für mehr Umwelt- und Klimaschutz zu aktivieren. Bild 1: Quartiersdimension. © SRU Bild 2: Übersicht über Empfehlungen des SRU zur nachhaltigen Quartiersentwicklung ©SRU Schwerpunkt Potenzielle Ausdehnung Stromversorgung Einzelgebäude Gebäudegruppe Stadtteil Stadtgebiet Grünraumversorgung Nahwärme Regenwassermanagement Abwasserentsorgung Nahversorgung Nachbarschaft Identifikation Fernwärme Quartiersdimension Soziale Aspekte Energie Wasser und Abwasser Waren und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs Grünräume „Viertel“ Thematische Komplexität Akteursvielfalt Rechtliche Rahmenbedingungen Finanzielle Ressourcen Neue Förderoffensive für die Umsetzung integrierter, nachhaltiger Quartierskonzepte starten Kooperationsplattformen fördern Verwaltungsstrukturen anpassen Quartiersebene in der Leipzig Charta 2.0 etablieren Übergeordnete Empfehlungen Quartiersbezogene Nutzungskonzepte erstellen Entsiegelungspotenziale erheben und -projekte fördern Nutzungsmischung fördern und flankieren Flächenschonende und verkehrsvermeidende Stadtstrukturen Konzepte für quartiersbezogene Zielmarken lokal entwickeln und etablieren Sanierungspfade etablieren Nationale Spielräume bei der Umsetzung des Clean Energy Package nutzen Innovationsklausel im Gebäudeenergiegesetz weiterentwickeln Wärmenetze stärker in den Blick nehmen Energie (Rahmen setzung) Energiebedarfe und Erneuerbare-Energien- Potenziale verknüpfen, Digitalisierung nutzen Sanierungsgemeinschaften durch ein Umsetzungsmanagement unterstützen Beratungsstellen auf Länderebene etablieren Warmmietenneutrale Quartierssanierung fördern Energie (Umsetzung) 6 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Sind neue Mobilitätskonzepte demnach einfacher in einem Stadtteil zu realisieren als stadt-, landes- oder gar bundesweit? Jeder Weg beginnt und endet am eigenen Zuhause, im eigenen Quartier. So gesehen kann man vor Ort mit intelligenten Mobilitätskonzepten sehr viel erreichen. Es gibt natürlich eine Aufgabenteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Grundsätzlich lässt sich aber das Verkehrsaufkommen in Städten durch kurze Wege, nutzungsgemischte und kompakte Stadtstrukturen reduzieren, Stichwort: „Stadt der kurzen Wege“. Auf Quartierebene lassen sich auch neue Konzepte zur Aufteilung der öffentlichen Flächen und gemeinsamen Nutzung von Flächen und Mobilitätsangeboten, etwa Car-Sharing realisieren. die ganz unterschiedliche Interessen verfolgen und einen unterschiedlichen Grad der Identifikation mit dem Quartier bringen. Denken Sie an Kapitalgesellschaften, selbstnutzende Eigentümer, Mieter, Vermieter usw. Solche Akteure bringen auch völlig unterschiedliche Voraussetzungen mit, etwa hinsichtlich Kapital oder Haushaltseinkommen. Diese Unterschiede sind uns bewusst. Genau deshalb schlägt der SRU ja vor, eine Art quartiersbezogene Governance zu etablieren, um die Beteiligten zusammen zu bringen, ihre Interessen zu berücksichtigen, auszugleichen und gemeinsame Ziele entwickeln zu lassen. Die Kooperation verschiedener Interessengruppen im Quartier ist gewiss kein Selbstläufer - sie muss aufgebaut und gepflegt werden. Wie sollte künftig mit der begrenzten Ressource Fläche umgegangen werden - lassen sich die unterschiedlichen Ansprüche und Begehrlichkeiten in Einklang bringen? Das ist eine riesige Herausforderung, sowohl in der Stadtplanung als auch in gesellschaftlichen Projekten wie der Energiewende. Fläche ist „die“ nicht vermehrbare Ressource schlechthin. In der Stadtplanung gehört die Zukunft deshalb der kompakten und nutzungsgemischten Stadt. Hinzu müssen wir Flächen effizient nutzen, etwa im Wohnungsbau durch flächeneffiziente und flexible Grundrisse. Und wir müssen Flächen gemeinsam und mehrfach nutzen, beispielsweise für Energiegewinnung und Grün. Weiterer Aspekt: Die Verkehrswende wird unweigerlich eine Neuaufteilung der Flächen mit sich bringen. Die Aufgabe wird daher lauten, wo können wir Flächen wieder gewinnen, wieder entsiegeln? Wo können wir mehr Grün schaffen, wie können wir umweltbewusster bauen? Klar ist: Zersiedlungen und Aufweichungen des Umweltschutzes konterkarieren sowohl die Flächenverbrauchsals auch die Klimaschutzziele der Bundesregierung. Deshalb müssen Flächen durch intelligente Nutzungskonzepte und Multifunktionalität effektiv, gemeinschaftlich und umweltgerechter genutzt werden. Hier haben sich Abwägungsprozesse in der kommunalen Planung bewährt. Welche Rolle spielen Daten aus verschiedenen Quellen (GIS, Kartierte Gebäudetypologien, Verbrauchsverhalten,...) für eine nachhaltige Quartiersentwicklung? Eine wichtige, wenn man sie klug und unter Berücksichtigung des Datenschutzes nutzt. Gebäudetypologien erlauben uns, die energetische Qualität von Gebäuden und Quartieren einzuschätzen und damit auch den Energiebedarf und das Einsparpotenzial. Bild 3: Stadtraumtypen (hier: Riedstadt) haben ähnliche Eigenschaften (Energieverbrauch, Energiegewinnung). © Messari-Becker Welche Synergien und Skaleneffekte etwa bei der Begegnung von Mobilität und Energiesektor ergeben sich auf Quartiersebene? Ein Aspekt wäre die Nutzung lokal erzeugten erneuerbaren Stroms für die Ladestationen von Elektro- Autos. Denkbare Synergien gäbe es perspektivisch auch in der Energiespeicherung. Das Konzept der „Stadt der kurzen Wege“ sehe ich hier als zentral an. Tägliche Bedürfnisse sollen sich möglichst innerhalb oder in der Nähe des Quartiers befriedigen lassen. Das alles vermeidet Verkehrsaufkommen, reduziert Treibstoffverbrauch und die Emissionen klimaschädlicher Gase. Es macht aber auch viel für die Lebensqualität aus. Wie lassen sich die unterschiedlichen Interessen und Erwartungen der jeweils Beteiligten einbinden? Jedes Quartier ist einzigartig und damit auch komplex. Quartiere verfügen über zahlreiche Akteure, 7 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview GIS-Daten versetzen uns dagegen in die Lage, die Fähigkeit eines Quartiers einzuschätzen, erneuerbare Energien gewinnen zu können. In der gemeinsamen Betrachtung und Verknüpfung beider Elemente, Energiebedarf und EE-Potenzial, liegt eine Chance für mehr Klimaschutz im Baubereich. Der SRU empfiehlt, diese Bilanzierungsmethoden zu etablieren, um „Quartiersenergien“ zu aktivieren. Gleichwohl wird Kommunen der Zugang zu diesen Daten erschwert, die ja unter Einsatz öffentlicher Gelder erhoben werden. Hier müssen wir besser werden. Ist Digitalisierung ein wesentlicher Faktor für die Stadtentwicklung? Das ist sie aus meiner persönlichen Sicht noch nicht, aber das wird sie werden. Der WBGU kam in seinem Gutachten 1 zur Einschätzung, dass die Digitalisierung mit immer weiter steigendem Ressourcenverbrauch einhergeht und auch gewisse Leitplanken braucht. Deshalb trügen technische Innovationsschübe nicht automatisch zu mehr Nachhaltigkeit bei. In der Stadtentwicklung sehe ich momentan mehr Chancen als Risiken. Ich sehe große Potenziale im Verkehrs-, Energie- und Flächenmanagement. Die Organisation, also der bloße „städtische Betrieb“ wird nicht ohne Digitalisierung gehen. Wie wichtig ist die fachübergreifende Zusammenarbeit über die einzelnen Zuständigkeiten und Verwaltungsebenen hinaus? Sehr wichtig. Eine quartiersbezogene Governance muss in die nächste Ebene eingebettet werden - die urbane Governance, die sich wiederum regional einfügt und rückgekoppelt wird. Die Kooperation, die Abstimmung muss also auf mehreren Ebenen erfolgen. Beratungsstellen auf Länderebene für verschiedene Themen gehören ebenfalls dazu. Welche politischen und fiskalischen Elemente sollten neu justiert werden, um die Transformation von Quartieren vorantreiben zu können? Der SRU formuliert ein Bündel an Maßnahmen. Wir empfehlen, eine neue Förderoffensive, um die Umsetzung integrierter Quartierskonzepte zu starten. Zusätzlich schlagen wir vor, den Quartiersgedanken im Gebäudeenergiegesetz (GEG) zu stärken. Bei der sogenannten Innovationsklausel im GEG, die einen neuen Nachweisweg ermöglicht, sehen wir Korrekturbedarf. Hier dürfen Energieeffizienzmaßnahmen nicht umgangen werden. Bei den KfW- Förderprogrammen für Stadtsanierungen schlagen 1 WGBU : Unsere gemeinsame digitale Zukunft, 2020, online unter: https: / / www.wbgu.de/ de/ publikationen/ publikation/ unseregemeinsame-digitale-zukunft wir vor, quartiersbezogene Sanierungspfade als Förderkriterium aufzunehmen. Quartiersbezogene Zielmarken sollten lokal entwickelt und etabliert werden, um regionalen Unterschieden und vor-Ort- Gegebenheiten gerecht zu werden. Wärmenetze und kommunale Wärmepläne sollten stärker in den Blick genommen werden; gerade in Wohngebäuden wird eher Raumwärme und weniger Strom gebraucht. Überhaupt haben wir in Sachen Wärmewende großen Nachholbedarf. Auch die Spielräume der Europäischen EE-Richtlinie sollten für quartiersbezogene Maßnahmen genutzt werden, etwa für die Eigenversorgung mit Energie, nachbarschaftliche Versorgung, Energiegenossenschaften und Mieterbeteiligung. Wir schlagen vor, auch warmmietenneutrale Quartierssanierungen finanziell deutlich zu fördern. Energiefragen dürfen nicht zur sozialen Entmischung beitragen. Sehen Sie wachsende Chancen für Stadtentwicklungspolitik auf europäischer Ebene? Absolut. Gerade hier kann Deutschland viel bewegen. Die EU-Ratspräsidentschaft ist dabei eine große Chance. Aus Sicht des SRU sollte sich die Bundesregierung während ihrer EU-Ratspräsidenschaft dafür einsetzen, das Quartier als Handlungsebene in der Leipzig Charta 2.0, dem Leitbild der Europäischen Stadt zu verankern. Das wäre ein großer Gewinn für alle europäischen Städte. Seit diesem Jahr Sie sind auf Vorschlag von Prof. Dr. Ernst-Ulrich von Weizsäcker Mitglied im Club of Rome - das letzte Mitglied marokkanischer Abstammung war übrigens der Soziologe, Wirtschafts- und Zukunftsforscher Mahdi Elmandjra. Welche Akzente hoffen Sie dort für die nachhaltige Transformation von Städten setzen zu können? Darüber habe ich mich sehr gefreut! Meine Sicht auf viele Herausforderungen in Bezug auf Ressourcenschonung, Zugang zu Bildung, Energie, Wasser und Pflege und andere Ziele für eine nachhaltige Entwicklung ist durch meine internationale Berufserfahrung und meine marokkanische Herkunft stark geprägt. Diese Herausforderungen können meiner Ansicht nach nur gelöst werden, indem man die Komplexität akzeptiert und gemeinsam eine Sichtweise für unterschiedliche Bedürfnisse entwickelt. Ich freue mich, hier meine Erfahrungen einzubringen und auf viele engagierte Mitglieder. Das Umweltgutachten 2020 und das Kapitel „Das Quartier: Raum für mehr Umwelt- und Klimaschutz“ sind online unter www.umweltrat.de verfügbar. 8 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Der Umbau der Städte mit ihrer Infrastruktur wird eine wesentliche Herausforderung des aktuellen Jahrhunderts sein. Vor diesem Hintergrund müssen sich Städte und Stadtplaner von heute fragen: Wer gestaltet die Stadt von morgen? Sind es weiterhin die Stadtplaner oder sind es vielleicht jetzt schon die großen Technologie- und Industriefirmen wie die Googles und Amazons dieser Welt, weil sie ihre Die Zukunft der Stadtplanung Stadtplanung muss sich dringend verändern, um weiterhin Stadtgestaltung zu sein Stadtplanung, Transformation, Urbanisierung, Vernetzung, technischer Masterplan, Nachhaltigkeit Gregor Grassl 6,4 Milliarden Menschen: So viele werden Prognosen zufolge wird im Jahr 2050 in Städten leben. Das ist nicht nur für den urbanen Raum ein enormer Belastungstest, sondern auch eine gewaltige Herausforderung für die moderne Stadtplanung. Die Vermischung der verschiedenen Lebensbereiche wie Wohnen, Arbeiten und Freizeit sowie Phänomene wie Carsharing, E-Mobility oder autonomes Fahren erfordern ein Umdenken und innovative Ansätze für die Flächennutzung. Digitale Transformation führt zu neuen Möglichkeiten, Geschäftsmodellen und Tools wie CityBIM 1 . Dies erleichtert die Stadtplanung, stellt aber gleichzeitig neue Anforderungen. Auch das Thema Nachhaltigkeit nimmt neue Dimensionen an - von der Energiehin zur Ressourcenwende: Im Fokus stehen die Reduzierung der Stadt-Vermüllung, das Denken in Kreisläufen und Konzepte wie Cradle to Cradle 2 , bei denen Städte als Rohstofflager betrachtet werden. Bild 1: Die Stadt- und Quartiersplanung in Deutschland funktioniert heute noch fast genauso wie in den 70er Jahren. © Drees & Sommer Bild 2: Die integrale Planung hat sich im Hochbaubereich seit den 1970er Jahren sukzessive weiterentwickelt. © Drees & Sommer 1 City Building Information Modeling. 2 Das vom deutschen Chemiker Michael Braungart und amerikanischem Architekt William McDonough entwickelte Cradle-to-Cradle ® -Konzept (von der Wiege bis zur Wiege, C2C) beschreibt das Prinzip zweier kontinuierlicher Kreisläufe (Circular Economy). 9 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Sensorik in unseren urbanen Räumen installieren und gleichzeitig mit smarten Plattformen unser Leben komfortabler machen? Wem gehören die Daten, die die Stadt erzeugt und was ist das menschliche Maß für ihre Verwendung? Wie viel digital ist sinnvoll und was ist erträglich? Und wie geht es den Menschen in der Stadt der Zukunft? Schließlich füllen Menschen die Städte mit Leben und sollten sich dort demnach naturgemäß auch wohlfühlen. Status quo: Stadtplanung im Dornröschenschlaf Dabei zeigt ein Blick auf die aktuelle Situation, dass die Stadt- und Quartiersplanung vielerorts auch heute noch wie in den 70er-Jahren gehandhabt wird. Die Besetzung der Planungsaufgabe erfolgt hauptsächlich durch Stadtplaner, Freiraumplaner und Verkehrsplaner. So als ob wir weiterhin Städte für Autos planen statt für zukunftsfähige Mobilität, als ob die technische Versorgung mit Energie, Wasser und Nahrung ausschließlich von außen kommt statt ebenso aus dezentralen und urbanen Lösungen zu fließen. Dekarbonisierung und Kreislauffähigkeit scheinen keine neuen Kompetenzen zu verlangen und die digitale Vernetzung keine neue Fachdisziplin zu sein. Eine integrale Planung gehört weder zum Selbstverständnis in den Projektteams, noch zum festen Bestandteil der Ausschreibungen und Standardabläufe der Stadtbauämter. Weiterentwicklung in Zusammenarbeitsmodellen findet kaum statt. Stattdessen lautet der Status quo: Weiter so wie bisher (Bild 1). Nimmt man zum Vergleich die Entwicklung der Planungskultur im Hochbau, so lässt sich positiv feststellen, dass die integrale Planung hier in den 90er Jahren begonnen und sich sukzessive den neuen Anforderungen angepasst hat (Bild 2). Die ersten planerischen Interaktionen zwischen Architekten und Fachplanern aus der Bauphysik, der Tragwerksplanung und der technischen Ausrüstung begannen mit der ersten Wärmeschutzverordnung in den 70er Jahren. In den folgenden zwei Jahrzehnten etablierte sich die integrale Planung im Hochbau und erweiterte sich um zusätzliche Kompetenzen. Um die Jahrtausendwende rückte das Thema Energie in den Fokus. Zehn Jahre später folgten die Nachhaltigkeitsexperten mit Systemen zur Messung und Bewertung von Nachhaltigkeit wie zum Beispiel nach DGNB 3 -Standards. Heute arbeiten Architekten im Hochbau 4.0 von Anfang an eng mit Fachplanern zusammen sowie mit Experten aus der Kreislaufwirtschaft und der Digitalisierung, zum Beispiel mit Cradle to Cradle- Fachplanern und Cyber-Experten. Gemeinsam finden sie Konzeptlösungen und optimieren diese. Positive Beispiele zeigen zudem, dass solch eine enge Interaktion auch bei der Entwicklung und Umgestaltung von Quartieren und Städten möglich wäre. Doch noch wird dieser Weg hierzulande selten verfolgt. Auf lange Sicht kann dies dazu führen, dass die Transformation der Städte nicht mehr von den Stadtplanern organisiert wird. Integrale Stadtplanung 4.0 Für die Stadtplanung ist künftig eine integrale Planung notwendig - und zwar in der vierten Dimension. Themen wie Nachhaltigkeit, Circular Economy und Digitalisierung müssen dabei genauso bedacht Bild 3: Der technische Masterplan ist ein ganzheitliches gewerkeübergreifendes Planungskonzept für Liegenschaften und Quartiere der nächsten Generation. © Drees & Sommer 3 Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen 10 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt werden wie der demografische Wandel, der urbane Komfort oder die zukünftige Mobilität. Um diese Wechselwirkungen in Einklang zu bringen und smart zu vernetzen, bedarf es einer integralen Stadtplanung 4.0. Diese umfasst neben dem bekannten Masterplan des Architekten einen technischen Masterplan mit den notwendigen Voraussetzungen für Logistik und Abfall, Mobilität und Infrastruktur sowie Energie- und Wasserversorgung (Bild 3). Die Grundlage für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung bildet somit ein frühzeitiges, vernetztes und interdisziplinäres Kooperationsmodell mit allen notwendigen Expertisen - sprich der Stadtplaner führt ein Team aus einzelnen Disziplinen. Der künftige Masterplan 4.0 besteht demnach aus zwei integrativen Teilen: dem für Stadtplaner bisher „bekannten“ Masterplan und dem technischen Masterplan. Das Ergebnis ist ein ganzheitliches, gewerkeübergreifendes Planungskonzept für Stadtentwicklungen und -transformationen der nächsten Generationen. Auf dem Weg dorthin kann ein spezialisiertes, interdisziplinäres Expertenteam den Stadtplaner sowohl bei der Entwicklung des technischen Masterplans unterstützen als auch bei dessen Integration in den bisherigen Masterplan. Vorzeigeprojekte und Vorreiter Vorreiter zeigen, wie eine solch ganzheitliche und integrale Stadtplanung erfolgreich funktionieren kann. So werden erste Innovationsquartiere wie das „SpringPark Valley“ in Frankfurt am Main (Bild- 4) bereits angegangen. Dort ist ein flexibler Innovations-Campus vorgesehen: mit zukunftsträchtigen Büro- und Wohnwelten, unterschiedlichen Themen- Domes und einer Vielzahl von 24/ 7-Angeboten. Von digitalen Concierge-Services, 5G-Highspeed WLAN- Verbindungen über Desksharing auf Quartiersebene bis hin zu Flugtaxis - das SpringPark Valley soll in jeder Hinsicht zukunftsweisend werden. Auch in Bild 4: Mit dem Vorzeigeprojekt Spring Park in Frankfurt am Main soll bis 2024 die größte „Smart City“ Europas entstehen. © CESA Spring Park GmbH Bild 5: Das Projekt „Berlin T XL - The Urban Tech Republic“ wird einen Hochschulcampus sowie Gewerbe- und Industrieflächen für bis zu 1 000 Unternehmen umfassen. In der direkten Nachbarschaft entstehen im Schumacher Quartier rund 5 000 Wohnungen, Schulen und Kitas sowie Grünanlagen für rund 10 000 Menschen. © Atelier Loidl / Tegel Projekt GmbH 11 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Sachen Stadtplanung. Von Beginn an stand für die Bauherrin ein technischer Masterplan im Fokus, welcher unterschiedlichste Themen von Energie über Mobilität und Infrastruktur bis zu Cradle to Cradle und Space Syntax 4 berücksichtigt. Auch IKT-Experten wurden frühzeitig in das Projekt eingebunden. Ihr Ziel: Durch die Integration eines sogenannten „Brains“ eine übergeordnete, intelligente Vernetzung der Gebäude und der technischen Anlagen im Quartier zu ermöglichen. Ein weiteres Vorzeigeprojekt, „Berlin TXL - The Urban Tech Republic“, wird von der Tegel Projekt GmbH realisiert. Die Bauherrin plant auf der Fläche des Flughafens Berlin-Tegel (Bild 5) einen Industrie- und Forschungspark für urbane Technologien und hat dafür ein innovatives Infrastruktur- und Energiekonzept ausgeschrieben. Die beauftragten Experten sollten alle notwendigen Infrastrukturen ganzheitlich betrachten, Synergien zwischen einzelnen AUTOR M. Eng., Dipl.-Ing. Gregor Grassl Architekt Leiter Blue City Development Drees & Sommer SE Kontakt: gregor.grassl@dreso.com Medien analysieren und ein innovatives Konzept erarbeiten. Das Ergebnis: ein Quartierskonzept, das ökologische, ökonomische und soziale Aspekte vereint und den Grundstein für eine tragfähige, integrale Stadtentwicklung bildet. Aktuell werden solche Projekte noch häufig von privaten Entwicklern oder städtischen Entwicklungsgesellschaften vorangetrieben. Sie sind mutig und ergreifen Chancen. Aber auch für Städte und Stadtplaner ist jetzt höchste Zeit umzudenken und sich neu aufzustellen. Denn in einem Zeitalter, in dem sich alles immer schneller entwickelt und verändert, ist Abwarten keine Option mehr. WISSEN WAS MORGEN BEWEGT Schiene, Straße, Luft und Wasser, globale Verbindungen und urbane Mobilität: Viermal im Jahr bringt Internationales Verkehrswesen fundierte Experten-Beiträge zu Hintergründen, Entwicklungen und Perspektiven der gesamten Verkehrsbranche - verkehrsträgerübergreifend und zukunftsorientiert. Ergänzt werden die deutschen Ausgaben durch englischsprachige Specials mit dem Titel International Transportation. Mehr dazu im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen gehört seit 1949 zu den führenden europäischen Verkehrsfachzeitschriften. Der wissenschaftliche Herausgeberkreis und ein Beirat aus Professoren, Vorständen, Geschäftsführern und Managern der ganzen Verkehrsbranche verankern das Magazin gleichermaßen in Wissenschaft und Praxis. Das technisch-wissenschaftliche Fachmagazin ist zudem Wissens-Partner des VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld. INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN - DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN »Internationales Verkehrswesen« erscheint bei der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Baiersbronn-Buhlbach, www.trialog-publishers.de 4 Space Syntax ist eine auf mathematischen Modellen aufgebaute Graphentheorie, mit deren Hilfe Zusammenhänge zwischen Raumkonfiguration und Nutzerverhalten erforscht werden. 12 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Bisher beherrschen die üblichen rechtwinkligen Hochhäuser die Skylines unserer Großstädte. Das liegt an der technischen Notwendigkeit, Waren und Menschen in klassischen Aufzügen zu transportieren. Bisher sind Aufzüge mit frei hängenden Seilen erforderlich, um den Transport in höhere Stockwerke zu ermöglichen. Für die frei hängenden Seile müssen die Gebäude im rechten Winkel zur Erdoberfläche ausgerichtet sein. Herausforderung an die Aufzugindustrie Die immer rascher wachsende Weltbevölkerung sowie wachsende Megastädte bedeuten eine zunehmende Verdichtung der Städte. Immer mehr Menschen und Funktionen müssen auf enger werdendem Raum verträglich auskommen. Immer höher werdende Gebäude bedürfen völlig neuer Konzepte für die Beförderung von Personen und Waren, denn klassische, seilgetriebene Aufzüge erreichen in modernen Gebäuden immer häufiger ihre Grenzen. Die klassischen seilgetriebenen Kabinen bewegen sich ausschließlich vertikal und können einander nicht ausweichen. Zudem limitiert das Seil die maximal erreichbare Höhe eines Aufzugs, das sind etwa 500 m bei Stahlseilen. Bei 500 m Länge und einer Kabine mit 2 000 kg Maximalgewicht wiegt das Stahlseil selbst schon bis zu 30 000 kg. Länge Architektur und Transport Seillose, lineare Aufzüge und Künstliche Intelligenz Eva Bartz, Martin Zaefferer, Takeshi Katagiri, Thomas Bartz-Beielstein Wir befinden uns im Jahr 2025. Sie besuchen die Weltausstellung in Osaka in Japan, deren Thema „Eine Zukunftsgesellschaft für unser Leben gestalten“ ist. Sie stehen vor einem Wolkenkratzer, der keinem gleicht, den sie jemals vorher gesehen haben. Die gänzlich neuartige Form ist gekrümmt und gebogen. In diesem gekrümmten Wolkenkratzer fahren kabellose Aufzüge mit Linearantrieb, jeweils mehrere Kabinen in einem der gebogenen Schächte. Sie können in vertikalen, horizontalen oder eben gekrümmten Schächten fahren. Diese revolutionäre Aufzugtechnik ermöglicht eine absolut revolutionäre Architektur und vernetzte „Smart Cities“. Sie wird Veränderungen ermöglichen, die wir uns bisher nur schwer vorstellen können. Bild 1: SK Y ARC, Architekt: Takeshi Katagiri. © Linearity Co., Ltd. PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum 13 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum und Gewicht des Seils spielen eine wichtige Rolle, denn seine Schwingungen und Vibrationen können massive Schäden verursachen. Auf einzelne Kabinen in hohen Schächten warten die Passagiere sehr lange, insbesondere zu Stoßzeiten. Seit Jahren arbeitet die Aufzugindustrie an Antworten auf diese Herausforderungen. Seillose, lineare Aufzüge Seillose Aufzüge lösen die beschriebenen Herausforderungen spielend. Sie funktionieren gänzlich anders, ähnlich dem Prinzip des Transrapid, also schwebend magnetisch. Direkt an der Kabine [1] befindet sich ein Linearmotor als Antrieb, der die Kabine über ein schienenartiges Schachtnetz im Gebäude bewegt. Dieses ermöglicht nicht nur eine vertikale Bewegung der Kabine, sondern Bewegungen in beliebige Richtungen, sei es horizontal oder eben auch gekrümmt. Die Kabinen können die Richtung wechseln und es können mehrere Kabinen in einem Schacht fahren. Dabei ist der Schachthöhe mindestens durch den Aufzug keine Grenze mehr gesetzt. Erste Konzepte für die neuen Gebäudeformen mit linearmotorgetriebenen Aufzügen zeigen sich im RINGDOM Projekt des japanischen Architekten Shin Takamatsu [2] oder in dem von Takeshi Katagiri vorgestelltem SKY ARC Projekt [3]. Die Entwicklung dieser Aufzüge steckt noch in den Kinderschuhen [4]. Es existieren erste Demonstratoren für seillose, lineare Aufzüge, wie zum Beispiel das System Multi von ThyssenKrupp [5]. Wir arbeiten an neuen linearen Aufzügen mit einem Team von Architekten, Ingenieuren und Informatikern aus Japan, der Türkei und Deutschland. Federführend wird das Projekt von Prof. Dr. Sandor Markon (KIC Japan) geleitet, der zugleich als Geschäftsführer der Linearity Ltd. fungiert, einem auf Forschung- und Entwicklung von Aufzugsystemen spezialisierten Unternehmen. Hier arbeiten Ingenieure wie Prof. Dr. Ahmet Onat (Sabanci University) zusammen mit den renommierten japanischen Architekten, Shin Takamatsu und Takeshi Katagiri. Vom Institut IDE+A der TH Köln und der Bartz & Bartz GmbH aus unterstützen Prof. Dr. Bartz- Beielstein und Dr. Zaefferer diese Entwicklung. Datenanalyse und KI: Planung, Steuerung und Wartung Planung, Steuerung und Wartung der neuen, linearen Aufzüge sind eine echte Herausforderung. Die Freiheitsgrade der Bewegung, die der neue Antrieb ermöglicht, erfordern eine neue, komplexe, mit KI arbeitende Software. Dabei liegt genau in der Neuheit des Systems die Krux. Anders als bei klassischen Aufzügen kann man hier nicht auf eine jahrealte Datensammlung zurückgreifen. Für künstliche Intelligenz ist jedoch die Datenlage eine elementare Notwendigkeit. Also bedarf es gezielter Simulationen und des Einsatzes des Maschinellen Lernens innerhalb dieser Simulationen um eine Datenlage zu erzeugen. Auf dieser, von uns erzeugten Datenlage, basieren dann die weiteren Annahmen zu Planung, Steuerung und Wartung der linearen Aufzüge. Eben genau so verhält es sich auch mit der besagten notwendigen vorausschauenden Wartung. Diese kann gänzlich anders geplant werden, als die Wartung für herkömmliche Aufzüge. Einzelne Kabinen oder Elemente des Streckennetzwerkes können gewartet werden, ohne einen ganzen Aufzugsschacht lahmzulegen. Die Steuerung anderer Kabinen kann angepasst werden, um die verbleibende Transportkapazität zu maximieren. Dies setzt effiziente und effektive Verfahren für die optimale Planung der Wartung voraus. Dabei ist die Neuheit des Systems selbst die Herausforderung: Wo die vorausschauende Wartung klassischer Aufzüge auf jahrelang gesammelter Daten aus der Praxis zurückgreifen kann, liegen bei lineargetriebenen Aufzügen nur Daten aus Simulationen und Demonstratoren vor. Die neuen linearen Aufzüge ermöglichen aber nicht nur neue Gebäudeformen. Auch die Stadtplanung wird revolutioniert. Bild 2: Klassische, monolithische Aufzugsysteme (links) gegenüber vernetzten Aufzügen mit Linearantrieb (rechts). © Bartz-Beielstein 14 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Revolution in Architektur und Stadtplanung Es brechen für Architekten und Stadtplaner neue Zeiten an. Nicht nur eine neue Ästhetik in der Architektur, sondern auch bisher ungeahnte Möglichkeiten von Verkehrsplanung und neuer Urbanität eröffnen sich. Der Aufzug wird noch mehr zu einem wesentlichen Teil der Logistik zur Beförderung von Menschen und Waren. Er kann Gebäudeteile verbinden oder auch eine Verbindung zu umliegender Infrastruktur herstellen, wie zum Beispiel zu U-Bahnstationen. Altbewährte Funktionselemente wie Tankstellen können neu gedacht werden [6]. In einigen Szenarien dienen diese als große Parkplätze mit Lademöglichkeiten für E-Fahrzeuge an den Rändern der Innenstädte. Die letzten hundert Meter zum Büro oder zum Shoppen werden dann mit horizontal fahrenden Aufzugskabinen zurückgelegt. Erreichen die Kabinen den Zielort, wechseln sie in den Vertikal- Modus. Dabei können lineargetriebene Aufzüge einen Beitrag zu neuen Stadtmodellen wie dem Superblockmodell leisten [7]. Planung, Steuerung und Wartung für lineare Aufzüge müssen entwickelt werden. Daran arbeiten wir mit unserem internationalen, interdisziplinären Team von Wissenschaftlern von Linearity ltd. in Kyoto, der Sabanci University in Istanbul, dem Institut IDE+A der TH Köln und der Bartz & Bartz GmbH in Gummersbach. Nur so können die Visionen für die Weltausstellung 2025 unter dem Motto „Zukunftsgesellschaft für unser Leben gestalten“ Wirklichkeit werden. LITERATUR [1] Onat, A., Kazan, E., Takahashi, N., Miyagi, D., Komatsu, Y., Markon, S.: Design and Implementation of a Linear Motor for Multicar Elevators, in IEEE/ ASME Transactions on Mechatronics, vol. 15, no. 5, (Oct. 2010) pp. 685 - 693. [2] Website von Shin Takamatsu. http: / / w w w.takamatsu.co.jp/ _ eng/ projects/ details.php? id=60. [3] Fakultät für Architektur, TH Köln, Architecturaltuesday, 2014, https: / / architecturaltuesday.wordpress.com/ 2014/ 03/ 13/ shigeruban-06-05-2014/ . [4] Onat A., Kazan E., Markon S.: The Development of Linear Motor Elevators. Electrical Review, Japan 5 (2020), pp.46 - 52. [5] thyssenkrupp Elevator AG, MULTI - A new era of mobility in buildings, 2015. https: / / www. thy s s enk rupp ele v ator.com / media/ products_1/ elevators_4/ multi/ documents_7/ 20160524_ baet _ publications _multi _ brochure.pdf. [6] Aral, Studie Tankstelle der Zukunft - Mobilitätstrends 2040, Aral Aktiengesellschaft. [7] Mueller, N., Rojas-Rueda, D., Khreis, H., Cirach, M., Andrés, D., Ballester, J. et al.: Changing the urban design of cities for health: The superblock model, Environment International, Volume 134, (2020), https: / / doi.org/ 10.1016/ j. envint.2019.105132. Bild 3: Ringdom, Architekt: Shin Takamatsu. © Shin Takamatsu Architect and Associates Co.,Ltd. AUTOR*INNEN Eva Bartz Geschäftsführende Gesellschafterin Bartz & Bartz GmbH eva.bartz@bartzundbartz.de Dr. Martin Zaefferer Inst. für Data Science, Engineering, and Analytics (IDE+A), TH Köln martin.zaefferer@th-koeln.de Takeshi Katagiri Architekt Mirai Kasoku Lab/ CEO, Linearity Co.,Ltd./ VP, Kobe Institute of Technology/ Prof. (visiting) katagiri@linearity.co.jp Prof. Dr. rer. nat. Thomas Bartz-Beielstein Inst. für Data Science, Engineering, and Analytics (IDE+A), TH Köln thomas.bartz-beielstein@thkoeln.de 15 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Kopenhagen, Dänemarks Hauptstadt und bedeutende Metropole Nordeuropas, gilt als eine der Städte mit der höchsten Lebensqualität weltweit. Das Stadtgebiet von Kopenhagen verteilt sich über mehrere Inseln - so auch auf den nördlichen Teil der rund 96 km² großen Insel Amager im sogenannten Öresund, der Meerenge zwischen Dänemark und Schweden. Dort stehen städtebauliche Vorhaben - insbesondere Renaturierungsmaßnahmen, Schaffung neuer Erholungsräume und von Wohnbebauung - im Vordergrund. Als für Kopenhagen eine neue Müllverbrennungsanlage notwendig wurde, galt es, einen zentrumsnahen Standort zu finden, um rund 100 000 Haushalte mit der in der Anlage erzeugten Elektrizität und Wärme zu versorgen. Eigentlich möchte niemand eine solche Anlage in seiner Nachbarschaft haben. In Kopenhagen gelang es sogar, mit Copenhill ein grünes extravagantes Wahrzeichen zu erschaffen. Eine phantastische Vision Die visionären Architekten der Bjarke Ingels Group stellten sich das Amager Ressource Center in Gedanken als nutzbare Frei- Skiberg statt Müllberg Amager Ressource Center Kopenhagen, Dänemark Heidrun Eckert In Kopenhagen wurde die kühne Vision zur Gestaltung einer Müllverbrennungsanlage höchst beeindruckend verwirklicht. Seit Eröffnung Anfang Oktober 2019 bietet das imposante Amager Ressource Center auf rund 16 000 m² Dachfläche jede Menge Skispaß samt vier Liftanlagen, unterschiedliche Trails für Wanderer sowie Treppenwege für Spaziergänger, die den Amager Bakke oder Copenhill, wie der 87-Meter hohe neue „Hausberg“ von Amager genannt wird, zu Fuß erklimmen. Die ZinCo-Bautenschutz- und Dränageelemente Elastodrain sowie Protectodrain bieten die sichere Basis für diese einzigartige Dachnutzung sowie für alles, was auf dem Dach wächst - vom kleinen Grashalm bis zu hohen Bäumen. Bild 1: Das riesige Dach der hochmodernen Müllverbrennungsanlage Amager Ressource Center in Kopenhagen bietet wertvolle Freizeit- und Erholungsfläche. © Ehrhorn Hummerston 16 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum zeiteinrichtung vor - ihre Leitidee war Nachhaltigkeit, die allen Spaß macht. Mit frischem Mut drehten sie das Tabuthema Müllverbrennungsanlage ins Positive. Die Anlage ist kein unliebsames isoliertes Objekt, sondern sie steht im direkten sozialen Kontext. Auserwählter Standort ist der industriell geprägte alte Nordhafen von Amager, der im Umfeld bereits viele Sportmöglichkeiten wie Wasserski, Segeln, Go-Kart und Freeclimbing bietet. Angesichts der geplanten Gebäudehöhe von fast 90 m, war schnell die Idee einer Skipiste geboren, die sich auf dem 60 m breiten und 200 m langen Gebäude erstreckt. 450 m Piste von steil bis flach sind jetzt ganzjährig nutzbar - für Anfänger und Profis auf Ski oder Board. Sogenannte Dry Slopes, wie die Pisten aus Kunststoffmaterial heißen, gibt es mancherorts, auf einem Dach aber ist es weltweit einzigartig. Ein Gemeinschaftswerk Planung und Umsetzung dieser phantastischen architektonischen Vision wurden Schritt für Schritt innerhalb der letzten neun Jahre durchgeführt. Dank enger Zusammenarbeit der Projektbeteiligten von Anbeginn an gelang es, die anspruchsvollen Herausforderungen durch eine in dieser Form noch nie dagewesene multifunktionale Anlage zu meistern. Besonders die Dachgestaltung verlangte völlig neues Denken - von den Landschaftsarchitekten von SLA, dem Garten- und Landschaftsbaubetrieb Malmos A/ S und von den Ingenieuren des Dachbegrünungsspezialisten ZinCo, die auf Dächern praktisch alles ermöglichen. Sicher vor Wind und Wetter Wichtige Grundfrage bei einem bis zu 30° geneigten Dach ist das Thema Stabilität beziehungsweise Erosionschutz, denn starke Regenfälle und zudem Meereswind in dieser Gebäudehöhe sind ein wesentlicher Faktor. Die 16 000 m² große und bituminös abgedichtete Betondachfläche enthält daher miteingedichtete schräge Schwellen, die Hangwasser zu den seitlichen Dachgullys ableiten. Desweiteren sind im Verlauf zahlreiche Widerlager über Schraubanker obenauf betoniert worden, speziell im Bereich der späteren Gehölzpflanzungen. Auf dieser Grundlage wurden die rutschhemmenden ZinCo- Dränagematten Elastodrain und Protectodrain eingesetzt - und zwar abhängig vom gewünschten Nutzungsbereich. Auf Gebirgswegen Auf einer Fläche von rund 3 000 m² sind beidseitig der Piste Treppenaufgänge mit unterschiedlichen Schrittlängen gestaltet sowie ein vielfach geschwungenes Wegenetz für Wanderer. Genau hier wurde die extrem hoch belastbare Dränage- und Bautenschutzmatte Elastodrain EL 200 aus vollvulkanisiertem Kautschuk verlegt. Darüber folgten Systemfilter PV sowie verzinkte Armierungsgitter auf entsprechenden Abstandhaltern, die auf diese Weise mittig einbetoniert werden konnten. Beton verblieb sogar als Sichtbelag und zwar in sehr hügeliger Ausprägung, um für die Wanderer einen Gebirgspfad zu simulieren. Grüne Bergwelt Ganze 3 000 m² wurden auf dem „Berg“ als robuste Naturlandschaft bepflanzt. Dazu dienen die hoch belastbaren ZinCo- Dränageplatten Protectodrain PD 250 aus ABS-Kunststoff, die aufgrund ihrer unterseitig aufkaschierten Gummischutzmatte ebenfalls rutschhemmend sind. Auf den Systemfilter folgten sodann 5 000 t ZinCo-Systemerde auf der Basis von recycelten Tonziegeln, teilweise aufgeblasen und teilweise über Förderbänder auf das Dach verteilt oder auch per Kran im Big Bag angeflogen. Die Substrathöhe variiert von etwa 20 bis über 100 cm im Bereich der Gehölze mit größeren Wurzelballen. Ausgewählt wurden für Dänemark typische Pflanzenarten - robust genug, um in dem besonderen Mikroklima auf dem Dach zu gedeihen. In sehr steilen und damit erosionsgefährdeten Bereichen setzte man gezielt Vegetationsmatten ein, die eigens dafür über ein Jahr lang vorkultiviert wurden. Das ist gerade unterhalb der Baumpflanzungen der Fall, welche einer besonderen Verankerung bedurften. Über die betonierten Widerlager legte man aufgekantete Gitter und schuf somit stabile Befestigungsmöglichkeiten für das Festzurren der Wurzelballen. Bild 2: Kopenhagener können jetzt ganzjährig vor ihrer Haustür Skifahren - ohne weite Anreise und vor allem ökologischer als beim energieintensiven Indoor-Skifahren. © Ehrhorn Hummerston Bild 3: Wilde Natur mit vielen Kiefern wie auf einem echten Berg. © SL A 17 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Die wind- und erosionssichere Anpflanzung der insgesamt 300 Bäume stellte tatsächlich eine ganz besondere Herausforderung dar, wenn man bedenkt, dass der größte Baum 2,5 t wog. Natürlich erforderten diese Ausführungsarbeiten auch eine ruhige Wetterlage. Eine Tropfschlauchbewässerung sorgt dafür, dass die grüne Bergwelt auch dauerhaft gedeiht. So kann und soll diese artenreiche Begrünung mit Gräsern, Kräutern, Stauden, Sträuchern und Bäumen auch als „grüne Wiege“ dienen für die Aussamung in die Umgebung von Copenhill. Präparierung der Skipiste Einmal präpariert, hält die Kunststoffpiste genau, was sie verspricht. Es muss lediglich das hindurch wachsende Gras regelmäßig gemäht werden, um die Abfahrtsläufer nicht zu bremsen. Dafür sind auf 8 000 m² ebenfalls die Dränageelemente Protectodrain PD 250 samt Systemfilter verlegt. Die dann folgende Substratschicht liegt eingebettet in zwei Kunststoffnetze, die über eine halbe Million Kabelbinder fest miteinander verbunden sind. Ebenfalls integriert in dieses Schichtpaket sind rund 70 000 Metallplatten, an denen der eigentliche Pistenbelag aus 30- x- 30- cm großen Kunststoffmatten des italienischen Herstellers Neveplast verschraubt ist. Die fünf verschiedenen Mattenfärbungen von hellbis dunkelgrün und ebenso die unterschiedlichen Gefälle lassen die Piste als natürlichen Hang erscheinen, auf der ja auch echtes Gras durchwächst. Vollkommen echt sind auch Tellerlift und die drei Förderbänder als Aufstiegshilfe. Alternativ bringt ein Aufzug alle Freizeitbegeisterten und Besucher direkt zum Aussichtsplateau samt Café in fast 90 m Höhe. Von dort überblickt man nicht nur Copenhill, sondern ganz Kopenhagen und den Öresund bis nach Malmö. Weltweit wegweisend Die Müllverbrennungsanlage Amager Ressource Center ist ein Projekt, das Technologie, Ökologie und Sport auf futuristische Weise verbindet. Sie sieht aus wie ein Berg. Innen die neueste und umweltfreundlichste Generation eines Kraftwerks, außen die aus Aluminium-Kassetten zusammengesetzte Fassade, welche sogar eine imposante Kletterwand bietet und obenauf die abwechslungsreiche Naturlandschaft für sämtliche sportliche Aktivitäten. Die Besucher können bei Führungen auch Einblick erhalten in die hochmoderne Arbeitsweise der Anlage - ein Impuls, über das Thema Müll und das eigene Konsumverhalten nachzudenken. Die Anlage verarbeitet Abfall von rund 550 000 Bewohnern und 45 000 Unternehmen und versorgt die Stadt mit recycelten Materialien, mit Strom und Fernwärme. Diese Energiegewinnung aus Abfall und damit unabhängig von fossilen Brennstoffen trägt dazu bei, die Klimaziele zu erreichen. Denn bis 2025 will Kopenhagen die erste klimaneutrale Stadt der Welt werden. Die ehrgeizige Idee, eine Müllverbrennungsanlage in die Stadt zu integrieren und ihr echten Mehrwert zu verleihen, ist hervorragend gelungen und erfüllt alle Beteiligten mit Stolz und Freude. In Kopenhagen ist ein grüner Stadtraum entstanden, der zukunftsweisendes Vorbild ist. Bild 4: Stabile Basis für die späteren Wege sind die hoch belastbaren Bautenschutz- und Dränageelmente Elastodrain EL 200. Darauf werden Armierungsgitter einbetoniert. © Malmos A / S / ZinCo Bild 5: In das Betonfundament können allerlei Aufbauten verankert werden - wie diese originelle und fast endlose Holzbank. © Malmos A / S / ZinCo Bild 6: : Die ZinCo-Systemerde wurde hier per Kran auf das Dach befördert und aus den Big Bags verteilt.. © Malmos A / S / ZinCo ZinCo GmbH Lise-Meitner-Straße 2 72622 Nürtingen E-Mail: info@zinco-greenroof.com www.zinco.de und www.zinco-greenroof.com 18 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation In den letzten Jahren hat das Interesse an Drohnen deutlich zugenommen. Die kleinen unbemannten Flugobjekte sind nicht nur eine unterhaltsame Freizeitbeschäftigung für Hobbypiloten und -landschaftsfotografen, sondern haben auch das Potenzial, zahlreiche Branchen zu verändern. Für den Einsatz von Drohnen ist der Bereich öffentliche Sicherheit besonders interessant, speziell bei Notfalleinsätzen. Die European Emergency Number Association (EENA) hat vor einigen Jahren ein Community-Netzwerk „Emergency Services & Drones Network“ ins Leben gerufen, das bereits erfolgreiche Praktikabilitätsstudien und Tests zu einem möglichen operativen Einsatz von Drohnen durchgeführt hat. Drohnen allein sind natürlich nur ein Teil der Lösung. Wichtig ist darüber hinaus auch eine geeignete Netzwerkanbindung sowie Einbindung in Kommunikationssysteme, um die Bildsignale zu übertragen. Zwei Szenarien werden in diesem Kontext genauer beleuchtet: zum einen vor Ort von Hand ferngesteuerte Drohnen, zum anderen zentral geplante und automatisierte Drohneneinsätze. Stream global, fly local Am Einsatzort können als Drohnenpilot ausgebildete Einsatzkräfte eine Drohne sofort starten und über die zugehörige Fernsteuerung, den Controller, lenken. In der Regel ist es bei semi- und vollprofessionellen Drohnen möglich, den Controller via HDMI- Kabel an einen Bildschirm anzuschließen und das Videosignal in hoher Qualität zu übertragen. Die Einsatzkräfte können sich so einen Überblick verschaffen - gerade an schwer zugänglichen Unfallstellen. Weitere am Einsatz beteiligte Personen, die nicht vor Ort sind, bleiben dabei allerdings außen vor. Um auch diesen einen Zugang zum Videostream in Echtzeit zu ermöglichen, gibt es unterschiedliche Ansätze. Eine Möglichkeit ist die Kopplung zwischen einem Controller und einem damit verbundenen Smartphone. Mit einer App, üblicherweise vom Drohnenanbieter selbst, kann der Livestream direkt „live“ an kommerzielle Videodienste wie Facebook oder YouTube übermittelt werden. In der Praxis zeigt sich aber, dass dabei Verzögerungen von 30 Sekunden bis zu mehreren Minuten entstehen. Für eine unmittelbare Lageeinschätzung aus der Ferne ist diese Methode also nicht hilfreich. Die Alternative dazu ist, das Signal der Drohne direkt über einen Video-Codec in eine Videokonferenz zu übertragen. So können alle Konferenzteilnehmer den Videostream in Echtzeit betrachten. Die Einsatzkräfte vor Ort treten ebenfalls der Konferenz bei und können mit den anderen Teilnehmern kommunizieren. Diese Variante hat auch Sicherheitsvorteile, da die Übertragung Ende-zu-Ende verschlüsselt ist und der Organisator der Konferenz den Zugang auf ausgewählte Gruppen und Personen beschränken kann. Weitere Möglichkeiten, mit der Personen abseits der Einsatzstelle Zugriff auf die Videodaten erhalten können, bietet das zweite Szenario. Dieses geht über den lokal gesteuerten Drohnenein- Wie Drohnen das Notrufwesen verändern können Notrufwesen, Drohnen, Automatisierung, Cloud, Video, Echtzeit Markus Bornheim Im Bereich der öffentlichen Sicherheit und der Notfalldienste besteht ein wachsendes Interesse am Einsatz von Drohnen zur Unterstützung einer effektiven Notfallreaktion. Werden Drohnen vorab zu Verkehrsunfallstellen ausgesendet, können sich die Ersthelfer vor oder beim Ausrücken bereits ein Bild der Lage machen und effektiver vorgehen. Auch beim Szenario eines Industrieunfalls können Bilder, Videos und weitere von der Drohne in Echtzeit übermittelte Daten der Kommandozentrale wertvolle Kontextinformationen zur Lage liefern. © AnaPilar auf Pixabay 19 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation satz hinaus, indem die Drohne in einem automatisierten BVLOS- Flugmodus (Beyond Visual Line of Sight) über eine zentrale Drohnenmanagement-Plattform koordiniert und gelenkt wird. Drohne, übernehmen Sie! Anders als im manuell durchgeführten Drohnenflug wird bei automatisierter Steuerung die Drohne mittels einer eingebauten Kommunikationseinheit mit SIM-Karte direkt in ein LTE- oder zukünftig auch 5G-Mobilfunknetz eingebunden. Damit kann eine Drohne weitgehend ortsunabhängig auf Datendienste und das Internet zugreifen. Zudem benötigt die Drohne Schnittstellen, über die sie von externen Applikationen angesprochen werden kann. Damit kann der gesamte Drohneneinsatz automatisiert geplant, durchgeführt und kontinuierlich kontrolliert werden. Professionelle und teilweise auch semiprofessionelle Drohnen verfügen über solche Schnittstellen, die aus diversen APIs (Application Programming Interface) sowie vorgefertigten Modulen aus herstellerspezifischen SDKs (Software Development Kit) bestehen. Mittels einer Drohnenmanagement-Plattform werden die Drohnenmissionen in Echtzeit geplant, ausgeführt und begleitet. Die Drohnen fliegen einen zuvor genau festgelegten Punkt an, um dort bestimmte Aufgaben auszuführen. Beispielsweise könnte eine Drohne mittels Onboard- Kamera die Situation an einer schwer erreichbaren Stelle aus der Vogelperspektive aufzeichnen und wichtige Informationen über den Ort liefern. In einer vollständig Ende-zu- Ende digitalisierten Umgebung lassen sich auf diese Weise teil- oder auch vollautomatisierte Prozessketten umsetzen. Setzt etwa ein Fahrzeug nach einem Unfall einen eCall ab und überträgt im Rahmen dieses 112-Notrufs Fahrzeugdaten und -position, kann der Disponent in der Leitstelle neben den klassischen Einsatzmitteln zukünftig auch aus seiner Einsatzleitsoftware eine Drohne auf den Weg schicken. In diesem Fall wird der Drohnenmanagement-Plattform die Anforderung mit Zielkoordinate übermittelt. Ein Algorithmus in der Plattform wählt unter Berücksichtigung aller bekannten Parameter die passende Drohne aus und berechnet eine adäquate Route zum Einsatzort. Dabei bezieht der Algorithmus vorliegende Rahmenbedingungen wie Flugverbotszonen und aktuelle Daten wie Wettereinflüsse mit ein. Im nächsten Schritt wird die Drohnenbasis, in der sich die ausgewählte Drohne befindet, aktiviert, dise mit ihren Missionsdaten versorgt und gestartet. Eine solche Drohnenbasis kann sehr unterschiedlich gestaltet sein. Wichtig ist eine eigenständige Netzwerkanbindung zur Steuerung und Kontrolle der Infrastruktur. Je nach Anforderung kann die Drohnenbasis darüber hinaus mit Heizung und Wetterstation sowie weiteren Robotik-Elementen zum Austausch von Batterien, Kameras oder unterschiedlichen Sensoren ausgestattet sein, um die Vielfalt der Einsatzmöglichkeiten möglichst breit zu gestalten. Die Drohnenmission wird beim Start an die anfordernde Stelle bestätigt. Zusätzlich werden die Zugangsdaten zur Verfolgung und eventuellen Einflussnahme auf die aktuelle Drohnenmission kommuniziert. Die Drohnenmanagement-Plattform ihrerseits ist über Software-Schnittstellen mit einer Kommunikations- und Kollaborationsplattform verbunden, sodass die in Echtzeit empfangenen Videodaten und weitere Missionsdaten wie Telemetrie- und Sensordaten ohne Verzögerung allen an der Mission beteiligten Personen zur Verfügung gestellt werden kann. In diesem Fall kann die Einsatzleitung mit der Planung drohnenbasierter Dienste im Vorfeld sicherstellen, dass Drohnen bereits einen Videostream übermitteln, noch bevor die Einsatzkräfte mit ihren Fahrzeugen vor Ort eintreffen. Damit profitieren nicht nur die unmittelbar am Einsatz beteiligten Personen von der Drohnentechnologie, sondern auch die Verstärkung unterwegs sowie die Koordinatoren in der Leitstelle. Letztere gewinnen frühzeitig einen ersten Eindruck von der Lage und können entsprechend besser auf die Gegebenheiten vor Ort reagieren. Die Reichweite der Drohne ist in diesem Szenario lediglich durch die Kapazität der Flugbatterie begrenzt. Da davon auszugehen ist, dass Batteriekapazitäten und Energieverbrauch der Drohnen durch deren Hersteller zukünftig kontinuierlich optimiert werden, ergeben sich absehbar immer größere Reichweiten im Umfeld der Drohnenbasis, respektive bei konstant bleibenden Reichweiten längere Flugzeiten und damit Einsatzdauern. In Praxistests konnten bereits sehr gute Erfolge erzielt werden. Angesichts des großen Potenzials drohnenbasierter Notfallanalysen liegt die Erwartung nahe, dass diese zwei Szenarien in Zukunft verstärkt eingesetzt werden. AUTOR Markus Bornheim Practice Lead Public Safety and Emergency Services Avaya International Kontakt: bornheim@avaya.com 20 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Relais gelten als universelle und robuste Helfer, die millionenfach in der Industrie zum Einsatz kommen. Doch im Zuge der Digitalisierung wird diesen wichtigen Schnittstellen zwischen Steuerung und Anlage oftmals kein hoher Stellenwert beigemessen. Zudem erscheinen sie als wenig innovativ. Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, dass die Relais unverzichtbare Aufgaben erfüllen - wie das Anpassen, galvanische Trennen und Vervielfachen von Signalen. Die zwangsgeführten Relais der Produktfamilie Rifline complete von Phoenix Contact können aber weitaus mehr. Die Wechslerrelais aus der Baureihe RIF-1 verfügen über zwangsgeführte Kontakte, um ein sicheres Abschalten auch beim Verschweißen eines Schaltkontaktes sicherzustellen. Deshalb haben sich die Verantwortlichen der Klaus Multiparking GmbH für diese zwangsgeführten Relaismodule entschieden. Mehr als 700 000 Stellplätze für platzsparendes Parken Das in Aitrach im Allgäu ansässige Familienunternehmen in der vierten Generation fokussiert sich auf die Entwicklung und Herstellung von teil- und vollautomatisierten Parksystemen (Bild- 1). 230 Mitarbeiter in Deutschland, eine selbstständige Niederlassung in Australien sowie 65 internationale Vertretungen haben seit 1963 mehr als 25 000 Projekte realisiert. Das entspricht etwa 450 000 Stellplätzen in der Weniger Aufwand bei höherer Sicherheit Einsatz von zwangsgeführten Relaismodulen in automatischen Parksystemen Parksysteme, Sicherheit, Automatisierung Daniel Rodemeier Die Überwachung von sicherheitsrelevanten Prozessen innerhalb der halbautomatischen Parksysteme TrendVario und Parker erfordert besondere Eigenschaften. So erweist sich eine sichere Abschaltung beim Eingriff in den Prozess oder einem technischen Defekt als unabdingbar. Klaus Multiparking setzt daher auf die zwangsgeführten Relaismodule der Produktfamilie Rifline complete von Phoenix Contact. © Phoenix Contact 21 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Bundesrepublik sowie mehr als 700 000 Stellplätzen weltweit. Die Produktionskapazität von Klaus Multiparking liegt bei 12 000 Stellplätzen pro Jahr. Das Portfolio des Unternehmens setzt sich aus vier Produktgruppen zusammen: Parker, halb- und vollautomatische Systeme sowie Parkpaletten. Im Parker-Segment sind wiederum zwei Gruppen zu finden: Beim unabhängigen Parken mit einer Grube lässt sich jedes Fahrzeug individuell erreichen, ohne auf andere PKW Rücksicht nehmen zu müssen. Das abhängige Parken durch einen Stapelparker bedingt, dass der untere Parkplatz immer leer sein muss, um die Plattform absenken zu können (Bild 2). Klaus Multiparking bietet zahlreiche Varianten und Ausführungen an, sodass die unterschiedlichen Anforderungen der Autos und Gebäude hinsichtlich Breite, Höhe, Länge und Gewicht erfüllt werden können. Die Parker, die als Einzel- und Doppelbühne erhältlich sind, nehmen zwei bis drei Fahrzeuge auf. Aufgrund des horizontalen und vertikalen Verschiebens der Parkeinheiten hinter den manuellen oder elektrischen Toren eröffnen die halbautomatischen Parksysteme TrendVario ein hohes Maß an Flexibilität. Durch die platzsparende Konstruktion und eine optimale Raumausnutzung wird eine hohe Stelldichte von maximal 29 Fahrzeugen pro Parksystem erzielt. Ein Dialog-Display oder eine zusätzliche Fernbedienung sorgen für die komfortable Bedienung. Die Einfahrtsebene ist durch Tore abgesichert, die sich erst nach abgeschlossenem Verschiebevorgang aufmachen lassen. So sind die Autos zudem vor Diebstahl und Vandalismus geschützt. Spannungsverluste beim Verschalten mehrerer Parksystem-Einheiten Die Entwicklung und Fertigung der einzelnen Komponenten sowie der kompletten Parklösungen erfolgen am Stammsitz in Aitrach (Bild 3). Die zum Teil massiven Stahlelemente werden auf hochautomatisierten CNCgesteuerten Laser- und Biegemaschinen hergestellt und anschließend direkt in ein automatisches Hochregal transportiert (Bild 4). Auf diese Weise ist ein effizienter Produktionsprozess sichergestellt. In den benachbarten Räumen finden neben der Entwicklung auch der Aufbau sowie die Verdrahtung und Prüfung der elektronischen Komponenten und Schaltschränke statt. Die Parksysteme von Klaus Multiparking werden an unterschiedlichen Orten sowie in verschiedenen Anwendungsbereichen genutzt. Von Wohn- und Geschäftshäusern über Ein- und Mehrfamilienhäuser bis zu Bürogebäuden, Hotels, Tiefgaragen und Parkhäusern deckt das Unternehmen die gesamte Bandbreite ab. Bei den oben erwähnten Parksystemen werden Kettenwächter im Bereich der höhenverstellbaren Ebenen verwendet, um bei einem technischen Defekt Bild 1 (links): Am Stammsitz des Familienunternehmens in Aitrach im Allgäu sind 230 Mitarbeiter beschäftigt. © Phoenix Contact Bild 2 (rechts): Beim unabhängigen Parken mit einer Grube lässt sich jedes Fahrzeug ohne Einschränkung erreichen. © Phoenix Contact Bild 3 (links): Die Entwicklung und Fertigung sämtlicher Parklösungen erfolgen in einer intelligenten und digital vernetzten High- End-Produktion in Aitrach. © Phoenix Contact Bild 4 (rechts): Die Stahlelemente werden auf hochautomatisierten CNC-gesteuerten Laser- und Biegemaschinen produziert . © Phoenix Contact 22 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Gefahren für die Nutzer zu vermeiden. Bisher wurden die Kettenwächter durch Endschalter überwacht, die die Anlage bei einem Schaden an der Kette abschalten. Durch die Verschaltung mehrerer Parksystem-Einheiten kam es immer wieder zu Spannungsverlusten, die dazu führten, dass ein sicheres Schalten der im Feld verbauten Aktoren nicht mehr möglich war. Da Klaus Multiparking bereits zahlreiche Produkte von Phoenix Contact wie Stromversorgungen der Produktfamilie Quint, Reihenklemmen, Koppelrelais und PTFIX- Verteilerblöcke einsetzt, suchten die Verantwortlichen im umfangreichen Portfolio des Blomberger Unternehmens nach einer passenden Lösung. Zerlegung in mehrere kürzere Sicherheitskreise Mit dem neuen Konzept wird die Verschaltung der Parksysteme auf zwei Einheiten beschränkt, und die im Feld installierten Endschalter werden durch zwangsgeführte, nur 16 Millimeter schmale Relaismodule der Produktfamilie Rifline complete ersetzt (Bild 5). Die 24-V DC-Koppelrelais sind steckbar und umfassen zwei zwangsgeführte Wechslerkontakte gemäß EN 50205 mit einer Schaltleistung von 250 V AC/ 6 A. Zwangsgeführt bedeutet, dass die Schließer- und Öffnerkontakte eines Elementarrelais mechanisch miteinander verbunden sind. Dadurch wird verhindert, dass sich Schließer und Öffner gleichzeitig schließen. In Kombination mit einem geeigneten Stromkreis lässt sich der Öffnungsfehler zuverlässig erkennen. Dies ist die beste Methode, um eine größtmögliche Sicherheit für Mensch und Maschine umzusetzen. Durch die Verlegung der Aktoren in Form der zwangsgeführten Relaismodule in den Schaltschrank werden die sicherheitsrelevanten Elemente jetzt zuverlässig geschaltet. Die Endschalter sind weiterhin vorhanden, der lange Sicherheitskreis wird jedoch über die gesamte Maschine inklusive sämtlicher Endschalter in allen Rastern mit Hilfe der Relais in mehrere kürzere Sicherheitskreise über je zwei Raster zerlegt. Somit können die Daniel Rodemeier Produktmanager im Produktmarketing Interface Components Phoenix Contact Electronics GmbH Kontakt: info@phoenixcontact.de AUTOR 24 Volt je Rasterpaar aufgefrischt werden, um den Spannungsverlust gering zu halten. Darüber hinaus stellen die zwangsgeführten Relaismodule selbstverständlich die typischen Merkmale der Produktfamilie Rifline complete zur Verfügung. Beispielsweise sind sie sowohl mit dem bewährten Schraubanschluss als auch der Push-in- Schnellanschlusstechnik erhältlich. Die Push-in-Technologie erlaubt das werkzeuglose Stecken massiver und flexibler Leiter mit Aderendhülse - und das schon ab einem Anschlussquerschnitt von 0,14 Quadratmillimeter. Außerdem trägt das steckbare Brückensystem erheblich zur Reduzierung des Verdrahtungsaufwands und folglich der Kosten bei. Im Vergleich zu konventionellen Drahtbrücken sinken die Verdrahtungstätigkeiten deutlich und ermöglichen somit eine einfache und effiziente Potenzialverteilung. Aufgrund der steckbaren Ausführung der Module ist des Weiteren eine problemlose und schnelle Erweiterung etwa um eine Zeitfunktion realisierbar (Bild 6). Fazit Die aufgeführten Eigenschaften haben die Verantwortlichen bei Klaus Multiparking vom Einsatz der Produktfamilie Rifline complete in ihren Parksystemen überzeugt (Bild 7). Und viele weitere Anwender in unterschiedlichen industriellen Bereichen. Mehr Informationen: www.phoenixcontact.de/ schalten Bild 6: Die zwangsgeführten, nur 16 Millimeter schmalen Relaismodule der Produktfamilie Rifline complete sorgen für höchste Sicherheit für Mensch und Maschine. © Phoenix Contact Bild 5: In den Schaltschränken werden zahlreiche Produkte von Phoenix Contact wie Stromversorgungen, Reihenklemmen, Koppelrelais und PTFIX-Verteilerblöcke einsetzt. © Phoenix Contact Bild 7: Daniel Schäftner, Leiter der Elektrotechnik bei Klaus Multiparking, haben unter anderem die Push-in-Anschlusstechnik und das steckbare Brückensystem der Relais überzeugt, die zu einer erheblichen Reduzierung des Verdrahtungsaufwands führen. © Phoenix Contact 23 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Gerade in großen Städten ist der innerstädtische Verkehr heutzutage ein großer Stressfaktor - für Autofahrer und Anwohner in gleichem Maße. Eine der Hauptursachen dafür liegt vor der Haustür: Bis zu 30 Prozent des innerstädtischen Verkehrs entstehen durch die Parkplatzsuche. [1] Fehlende Parkmöglichkeiten in Wohngebieten aber auch in der Nähe von stationärem Einzelhandel führen zu teils drastischem Parkplatzmangel. Zwar haben Städte und Kommunen das Problem erkannt und vielerorts digitale Anzeigetafeln aufgestellt, die Besuchern und Anwohnern den Weg zu den nächstgelegenen Parkhäusern oder -flächen weisen und anzeigen, wie viele Plätze dort frei sind - doch häufig sind das Einzelmaßnahmen. Ein übergreifendes, intelligentes Parkleitsystem ist noch nicht vorhanden. Dabei wäre das technisch bereits durchaus machbar. Die Grundlage einer Smart-Parking- Lösung bilden Sensoren, die in Echtzeit ermitteln, welche Parkplätze frei sind. Diese Daten werden drahtlos an ein zentrales System, auch IoT-Plattform genannt, übertragen und darüber zur Verfügung gestellt. Um Parkplatzsuchende zu unterstützen, werden diese Daten abhängig vom Zielort analysiert. Das Ergebnis dieser Analyse wird dem Fahrer zur Verfügung gestellt, im Idealfall auf dem Kommunikationskanal seiner Wahl. Er könnte also per Sprach- und Textdialog auf die Daten zugreifen, vom Navigationssystem über ein Webportal oder einer Smart Device App. Noch bevor ein Autofahrer im Zielgebiet angekommen © Peter H auf Pixabay Smart Parking - Kommunizieren Sie mit Ihrem Parkplatz Nutzen intelligenter Parkplatzlösungen für Bürger, Kommunen und Wirtschaft Smart Parking, Smart Cities, Digitale Transformation, Stadtverkehr, Parkplatzsuche, Verkehr Thomas Römer Die Parkplatzsuche ist eine der großen Herausforderungen im städtischen Verkehr. Städte und Kommunen investieren daher verstärkt in Lösungen wie digitale Anzeigetafeln, die den Weg zu Parkhäusern weisen. Ein flächendeckendes System mit Smart-Parking-Lösungen fehlt jedoch noch. Dabei würde ein solches System sowohl der Stadtverwaltung als auch dem Einzelhandel und den Anwohnern einen deutlichen Mehrwert bieten - und für ökologische Entlastung sorgen. PRAXIS + PROJEKTE Mobilität 24 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität ist, könnte er mit einer solchen Lösung den nächstgelegenen Parkplatz finden und reservieren - und somit die negativen Begleiterscheinungen der Parkplatzsuche eliminieren. Natürlich steigen der Nutzen und die Effektivität einer Smart- Parking-Lösung mit der zunehmenden digitalen Vernetzung der relevanten Akteure und Behörden sowie dem Anschluss der wichtigsten Parkplatzanlagen an ein solches System. Eine Lösung wird nur dann die Akzeptanz der Endanwender erreichen, wenn sie eine einfache und nahtlose Nutzung ermöglicht, die gleichzeitig den größtmöglichen Zugriff auf ein umfassendes Netz bietet. Der Idealfall wäre hier eine bundesweite Lösung, doch würden in einem ersten Schritt auch regionale Angebote auf Gegenliebe stoßen. Zu den Funktionen, die ein Smart-Parking-System abdecken sollte, gehören unter anderem die folgenden: Für den Fahrer ist am gewünschten Zielort ein Parkplatz reserviert. Die Reservierung wird ihm über eine digitale Anzeige erkennbar gemacht. Zur Identifikation können eine entsprechende App oder sein Kennzeichen dienen, das per Kamera erfasst wird. Auch der Zahlungsablauf ist vollautomatisiert, die Bezahlmöglichkeit ist flexibel und dem Anwender überlassen. Die Abrechnung könnte dabei ebenfalls flexibel gestaltet werden, etwa nach minutengenauer Abrechnung oder über eine Pauschale. Bei abgelaufener Parkdauer kann automatisch verlängert und aufgebucht werden. Vor dem Erreichen der maximalen Parkdauer wird der Kunde rechtzeitig benachrichtigt. Für auswärtige oder ausländische Besucher verweisen digitale Anzeigen oder QR-Codes auf Service-Nummern zur Reservierung von Parkplätzen, zum Beispiel über intelligente Self-Service Dialoge - auch in anderen Sprachen - über Textnachricht oder intelligente Spracherkennung. Menschen mit Behinderung, Anwohner, Lieferverkehr oder Reisebusse werden auf die speziell für sie vorgesehenen Parkplätze geleitet. Fahrer von Elektrofahrzeugen werden durch entsprechende Smart-City-Lösungen direkt zu Parkplätzen mit E-Tankstellen geführt, die nur für Elektrofahrzeuge reserviert sind, und auf dem bevorzugten Kommunikationskanal benachrichtigt, wenn das Auto vollständig aufgeladen ist. Jeder profitiert von Smart Parking Denkt man eine Smart-Parking- Lösung konsequent zu Ende, bietet sie zahlreiche Vorteile und eine Win-Win-Win-Situation. Für Autofahrer ist der Vorteil sofort ersichtlich: Der Aufwand der Parkplatzsuche wird auf fast null reduziert, die Anfahrt zum Ziel ist direkt. Das Kreiseln, Suchen und Fluchen im innerstädtischen Verkehr entfällt komplett. Aktuell benötigt ein Autofahrer acht Minuten pro Parkplatzsuche und legt dabei im Schnitt eine Distanz von 4,5 Kilometern zurück, während der sich zudem das Risiko für Stau und Unfall erhöht. Zum einen wird also der Kraftstoffverbrauch deutlich reduziert - das freut den Geldbeutel des Autofahrers - zum anderen tragen die eingesparten Strecken zu einem verbesserten Verkehrsfluss bei. Aus ökologischer Sicht zeigt sich der positive Nebeneffekt ebenfalls deutlich: Bei der durchschnittlichen Parkplatzsuche stoßen Autofahrer rund 1,3- kg CO 2 aus [1]. Darüber hinaus senkt auch ein verbesserter Verkehrsfluss die Abgasbelastung, da Stop-and-Go-Verkehr und Standzeiten mit laufendem Motor reduziert werden. Auch und gerade um stauanfällige Straßenzüge sowie Nadelöhrstellen und Umweltzonen können Parkplatzsucher mit einer Smart-Parking-Lösung herumgelotst werden. Der ökologische Gewinn ist natürlich für uns alle wichtig. Doch über den offensichtlichen positiven Effekt hinaus fließt Smart Parking in die Umweltbilanz der Städte ein und hilft den Kommunal- und Stadtverwaltungen dadurch, die Auflagen in puncto Umwelt- oder Emissionsschutz zu erfüllen. Eine vernetzte Lösung verbessert zudem den Verkehrsfluss und die effizientere Ausnutzung der vorhandenen Parkplätze nimmt Druck aus der Parkplatz-Raumplanung. Smart- Parking-Lösungen wirken darüber hinaus auch im operativen Alltag: Indem sie beispielsweise Information direkt an die Mobilgeräte von Mitarbeitern des Ordnungsamts schicken, erleichtern sie die Suche nach Parksündern, zum Beispiel in Kurzparkzonen. Kooperation mit regionalen Gastronomie- und Einzelhandelsunternehmen Könnte man die regionale Wirtschaft, etwa Einzel- und Großhandel, Hotels und Gaststätten, für die Beteiligung an einem solchen System begeistern, würden sich daraus sogar noch weitere Möglichkeiten bieten. Unterstützt ein Unternehmen etwa eine Smart-Parking-Lösung finanziell und trägt einen Teil der Kosten für Sensoren, Kameras und Displays, könnte es im Gegenzug die Werbeflächen des Systems nutzen oder aktiv 25 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Werbeaktionen kommunizieren. Werden diese Angebote lokal an Parkplätze gekoppelt, könnten sie die Parkplatzsucher gezielt zu einem Besuch eines Händlers in der Nähe des anvisierten Parkplatzes bewegen. Darüber hinaus könnten die Unternehmen ein Gutscheinsystem einrichten, das ähnlich funktioniert wie bereits bestehende Modelle: Wird ein Kunde etwa durch eine Anzeige auf das Geschäft aufmerksam und kauft dort ein, könnte es die Kosten für seinen Parkplatz ganz oder teilweise übernehmen. Optional könnte der Händler ein Guthaben für zukünftige Einkäufe auf das Buchungssystem des Kunden übertragen. Eine solche Kooperation hätte einen doppelt positiven Effekt: Auf der einen Seite würde sie wieder mehr Besucher in die innerstädtischen Einzelhandelsgeschäfte locken - denn die leiden akut unter Parkplatzmangel und teilweise schwieriger Erreichbarkeit. Eine Werbeaktion via Textnachricht kombiniert mit einem vergünstigten Parkplatz am Rande der Innenstadt etwa könnte hier helfen. Auf der anderen Seite könnte solch eine Maßnahme die Anzahl der Autos, die noch in die Innenstädte hereinfahren, senken und so einen Beitrag zur Reduzierung der Emissionen leisten. Erste Handelsketten haben bereits E-Tankstellen auf ihren Parkplätzen aufgestellt. Statten Städte ihre Parkflächen nun verstärkt mit solchen Angeboten aus - idealerweise direkt gekoppelt an das Smart-Parking-System, steigt auch der Anreiz für Autofahrer, auf Elektrofahrzeuge umzusteigen. Und das senkt letztlich die Abgasbelastung für Städte noch weiter. LITERATUR [1] Anke, J., Scholle, J.: Nutzenpotenziale von Smart Parking. Aus Rätz, D. et al. (Hrsg.): Digitale Transformation. Methoden, Kompetenzen und Technologien für die Verwaltung; Lecture Notes in Informatics (LNI), Gesellschaft für Informatik, Bonn 2016 (Oktober 2019). AUTOR Thomas Römer Corporate Solutions Technologist Director Avaya Deutschland GmbH Kontakt: roemer@avaya.com Wir erhalten Einzigartiges. Mit Ihrer Hilfe! Spendenkonto IBAN: DE71 500 400 500 400 500 400 BIC: COBA DE FF XXX, Commerzbank AG www.denkmalschutz.de F O R M O N U M E N T S F U T U R E NATÜRLICH NACHHALTIG! SEIT ÜBER 200 JAHREN… Denkmale sind Klimaschützer: Denn langlebige, natürliche Materialien und eine positive Gesamtenergiebilanz zeichnen die meisten historischen Gebäude aus. Auch Naturdenkmale wie denkmalgeschützte Bäume, historische Gärten und Parks machen Denkmalschutz zu einem Synonym für Nachhaltigkeit. 26 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Keine Frage - die Ökostromproduktion hat in Deutschland endlich an Fahrt aufgenommen. Allein innerhalb der ersten drei Monate dieses Jahres haben erneuerbare Energien mit insgesamt 77 Milliarden Kilowattstunden rund die Hälfte des erzeugten Stroms ausgemacht. Und: Aufgrund des Einspeisevorrangs kommen die regenerativen Energien damit erstmals auf einen Anteil von satten 52 Prozent am Bruttoinlandsstromverbrauch. Dies geht aus den aktuellen Berechnungen des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) sowie des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hervor. Zum Vergleich: Im Vorjahreszeitraum lag der Wert der Erneuerbaren noch unter 45 Prozent. Verantwortlich für den starken Jahresauftakt waren vor allem die günstigen klimatischen Bedingungen - sprich: viel Wind und viel Sonne. Mit fast 43 Milliarden Kilowattstunden haben Dezentrale Energieversorgung - wie die Umstellung gelingt Von Jürgen Germies Angefangen vom Ausbau der regenerativen Energiequellen über die Entwicklung innovativer Speichertechnologien bis hin zur Schaffung eines Smart Grid - die Stadt Emden in Niedersachsen macht eindrucksvoll vor, womit derzeit noch viele Kommunen in Deutschland zu kämpfen haben: ein intelligentes Energiesystem auf Basis 100 Prozent Erneuerbarer zu entwickeln. Was die größte Stadt Ostfrieslands anders macht und warum ihr die Energiewende bislang so gut gelingt: eine Analyse. © Peter Wiegel auf Pixabay 27 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie die hiesigen Windräder dabei den größten Teil zur Grünstrom-Produktion beigetragen. Trotzdem: Der Erhebung zufolge ist das erste Quartal noch lange kein Garant für einen dauerhaft hohen Ökostromanteil - im Gegenteil. Mit ganzen 81 Milliarden Kilowattstunden erzeugen konventionelle Energieträger wie Braun- und Steinkohle noch immer rund die Hälfte der gesamten Strommenge hierzulande. Das Verhältnis macht deutlich: Will die Bundesregierung ihre Klimaschutz-Ziele bis 2030 tatsächlich erreichen, muss sie den Ausbau der regenerativen Energiequellen dringend weiter vorantreiben. Schließlich sollen die Erneuerbaren laut Klimaschutzprogramm bereits innerhalb der kommenden zehn Jahre knapp zwei Drittel des Bruttostromverbrauchs decken. Ausbau der Erneuerbaren von Land zu Land unterschiedlich Ob die Zielmarke bis dahin in allen Bundesländern erreicht werden kann, ist zum jetzigen Zeitpunkt jedoch fraglich. Noch immer hinken einige Länder beim Ausbau der erneuerbaren Energieerzeugung deutlich hinterher. Während etwa Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg bundesweit am meisten bestrebt sind, regenerative Energien nutzbar zu machen, liegen selbst sie stark unter ihren Möglichkeiten. Zu diesem Ergebnis kommt der aktuelle Bundesländervergleich des Deutschen Instituts für Wirtschaft (DIW) und des ZSW. Im Vergleich zu den beiden Spitzenreitern sind die Schlusslichter Saarland und Berlin noch weit davon entfernt, überhaupt an den Erfolg der Energie- und Klimaschutzkonzepte Baden- Württembergs oder Schleswig- Holsteins anzuknüpfen. Es wird also klar: Obwohl die Energiewende hierzulande inzwischen ins Rollen kommt, bleibt es noch ein weiter Weg, bis Windenergie, Photovoltaik, Geothermie und Wasserkraft die Energieproduktion im ganzen Land dominieren. Doch wie kann die vollständige Umstellung auf eine klimaneutrale und dezentrale Energieversorgung gelingen? Das Mieterstrommodell ist gescheitert Die Antwort auf diese Frage ist vielschichtig und bedarf einer genauen Analyse der bisherigen Problempunkte. Denn: Mit dem Ausbau der Erneuerbaren allein ist es noch längst nicht getan. Vielmehr gilt es, die grünen Strom- und Wärmequellen endlich vor Ort nutzbar zu machen. Nur dann lässt sich eine Energiewende mit nachhaltigem Nutzen erzielen. Je nach Größe der Städte zeigen sich dabei unterschiedliche Herausforderungen. Während etwa die kleineren und mittleren Städte noch eher die Möglichkeit haben, für ihre grüne Strom- und Wärmeerzeugung auf das Umland zuzugreifen, haben die Metropolen mit größeren Hürden zu kämpfen. Sie müssen für die dezentrale Energieversorgung auf die bestehenden Flächen zugreifen - und beispielsweise die Dächer zur Stromproduktion nutzen. Konkret ist die Rede vom sogenannten Mieterstrommodell. Was vor gut zwei Jahren dank eines vielversprechenden Gesetzes möglich wurde, kann inzwischen mit Fug und Recht als Flop bezeichnet werden. Laut Bundeswirtschaftsministerium waren bis Juli vergangenen Jahres deutschlandweit lediglich 677- Photovoltaik-Anlagen erfasst, über die Mieterstrom generiert wurde - ein Minimum des möglichen Potenzials. Woran das liegt? Der bürokratische Aufwand steht für die Vermieter bislang in keinem Verhältnis zum Ertrag. Ein Beispiel: Im Sommer 2019 hat das Immobilienunternehmen Vonovia das sogenannte 1 000-Dächer-Programm ins Leben gerufen. Ziel ist, in den kommenden Jahren deutschlandweit 1 000 Dachflächen mit Photovoltaik-Modulen auszustatten. Gestartet ist das Projekt bislang in Dresden und München - dafür arbeitet das größte deutsche Wohnungsunternehmen mit regionalen Anbietern zusammen, wie beispielsweise Solarwatt in Dresden. Der Solarstrom wird zunächst größtenteils ins öffentliche Netz eingespeist; langfristig will Vonovia die Wohnquartiere jedoch mit dezentraler Energie versorgen. Bislang ist dies dem Konzern jedoch noch nicht möglich: Laut Vorstandsvorsitzendem Rolf Buch verhindern die zahlreichen Hemmnisse für Mieterstrommodelle bislang noch die lokale Energieversorgung. Der Fall zeigt: Nicht der Mangel an Ideen für die dezentrale Energieversorgung ist das Problem, sondern die Bürokratie, die die flächendeckende Verbreitung ausbremst. Soll der Grünstrom also auch in den Großstädten lokal nutzbar werden, müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen dringend gelockert und Mieter ausreichend über ihre Möglichkeiten informiert werden. Emden: 100 Prozent Windstrom Ein Muster-Beispiel dafür, wie die vollständige Ausrichtung auf eine dezentrale Energieversorgung hingegen gelingen kann, liefert die Stadt Emden. Mit rund 50 000 Einwohnern hat sich die Kommune im Nordwesten Niedersachsens schon seit vielen Jahren dem Ausbau der erneuerbaren 28 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Energien verschrieben - und im Sommer 2016 das Projekt „Intelligente Energiestadt Emden“ ins Leben gerufen. Das Ziel ist klar definiert: die Schaffung eines intelligenten und zunehmend flexiblen Energiesystems auf Basis ausschließlich regenerativer Energien. Bereits zu Beginn des Projekts befand sich Emden hinsichtlich der grünen Energieproduktion in einer komfortablen Ausgangssituation: Der Windpark am Larrelter Polder zählt mit inzwischen zwölf Windenergieanlagen zu einer der größten Windfarmen Europas; im Schnitt werden hier jährlich rund 70 000 MW Strom erzeugt. Damit deckt der Park etwa 80 Prozent des Energieverbrauchs aller Emder Haushalte ab. Daneben ist die Mittelstadt auch hinsichtlich weiterer regenerativer Energiequellen breit aufgestellt: Solar- und Photovoltaikanlagen auf privaten und städtischen Gebäuden sowie ein Biomasseheizkraftwerk ergänzen inzwischen den grünen Strom-Mix. Insgesamt erzeugt Emden aktuell sogar mehr Strom als dort verbraucht wird. Abbau von Regularien zwingend notwendig Anstatt die überschüssige Energie jedoch wie gewohnt an der Leipziger Strombörse zu verkaufen, wollen die Emder Stadtwerke langfristig einen anderen Weg einschlagen: Sie planen, den Grünstrom den lokalen Privatabnehmern und Unternehmen direkt zur Verfügung zur stellen. Auf diese Weise könnten sie der Industrie vor Ort einen echten Standortvorteil bieten: CO 2 -neutrale Produktionsbedingungen. Um das Vorhaben in die Realität umzusetzen, müssen jedoch einige regulatorische Hürden überwunden werden. Laut dem im Jahr 2000 in Kraft getretenen Erneuerbare - Energien - Geset z sind Stromnetzbetreiber dazu verpflichtet, regenerativ erzeugte Energien vorrangig ans Netz anzuschließen und den Grünstrom weiterzuleiten. Umgekehrt sind auch die Betreiber der Erneuerbare-Energie-Anlagen, die mehr als 100 kW grünen Strom erzeugen, dazu gezwungen, den Strom auf diese Weise direkt zu vermarkten. Dafür erhalten sie wiederum eine Einspeisevergütung und Marktprämie. Was das im Umkehrschluss bedeutet? Selbst wenn Emden in Zukunft dazu übergehen will, den Strom aus den regenerativen Energiequellen direkt an die lokale Industrie weiterzuleiten, müssen - um dies wirtschaftlich zu gestalten - dafür zunächst die entsprechenden Regularien angepasst und weitere notwendige Voraussetzungen geschaffen werden. Dezentral erzeugten Strom speichern Dazu zählt an zweiter Stelle die Fähigkeit, den Grünstrom auch vor Ort speichern zu können. Auch ein dezentral organisiertes Energienetz muss jederzeit dazu in der Lage sein, genau so viel Strom zur Verfügung zu stellen, wie auch verbraucht wird. Insbesondere bei Windflauten gilt es also, auf grüne Stromreserven in Form von Speicheranlagen zuzugreifen. Um dies zu gewährleisten, tüftelten die lokalen Stadtwerke gemeinsam mit der Hochschule Emden/ Leer unter anderem bereits intensiv an einer Power-to-Gas- Anlage. Die Forschung wurde im Rahmen eines EU-Pilotprojekts gefördert. Eine Strom-to-Gas-Anlage erzeugt aus überschüssigem Windstrom Wasserstoff. Dieser konvertiert in Kombination mit grünem CO 2 zu synthetischem Erdgas, das wiederum im nor- © Science in HD on Unsplash © Science in HD on Unsplash 29 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Jürgen Germies Geschäftsbereich Smart-City Partner bei der Starnberger Unternehmensberatung Haselhorst Associates Kontakt: j.germies@haselhorst-associates.com AUTOR malen Erdgasnetz gespeichert wird. Je nach Bedarf kann es zum Heizen genutzt oder im Gaskraftwerk rückverstromt werden. Zudem arbeitet die Kommune mit der Siemens AG an der Konzeption weiterer geeigneter Speichertechnologien. Smart Grids sind die Zukunft Daneben setzen die Emder Stadtwerke alles daran, die Stromverteilung flexibler zu gestalten und zu steuern. Die Rede ist vom Aufbau eines Smart Grid, eines intelligenten Stromnetzes. Als zentrale Bestandteile der Energiewende sind Smart Grids zwingend notwendig, um den unsteten Zufluss regenerativer Energien aufgrund wechselnder Witterungsbedingungen auszugleichen. Damit die passgenaue Verteilung des Grünstroms gelingt, bedarf es einer Vielzahl an Daten, die in Echtzeit vorliegen: über die Erzeugung und den Verbrauch von Energien bis zu Daten über die Netze. Zur Gewinnung dieser Informationen muss wiederum eine intelligente Messtechnik in die Stromzähler eingebaut werden. Diese fungiert als Schnittstelle zum intelligenten Stromnetz und zeigt den Verbrauchern jederzeit die aktuellen Nutzungswerte an. Bis 2032 sieht die Bundesregierung einen flächendeckenden Einsatz der intelligenten Messgeräte in allen deutschen Haushalten und Gewerbebetrieben vor. In Emden statten die Stadtwerke bereits alle Kunden mit einem jährlichen Stromverbrauch von über 6 000 kWh mit der smarten Messtechnik aus. Zudem bauen die Stadtwerke Emden aktuell ein flächendeckendes LoRaWAN-Netz auf, das es ihnen möglich macht, noch deutlich mehr Sensorik insbesondere auch im Stromnetz zu erfassen und zu steuern. Der Vorteil dabei: Das LoRaWAN-Netz verfügt über eine hohe Reichweite, nutzt geringe Bandbreiten und ist vergleichsweise günstig. Ressourcenschonung dank Smart City Bereits 2017 hat Emden gemeinsam mit der Siemens AG und den Stadtwerken ein „Memorandum of Understanding“ unterzeichnet. Mit dem Digital-Vertrag stellt die Stadt die Weichen für eine digitale Zukunft: Mit Hilfe innovativer Netztechnologien und Netzbetriebskonzepte zur Schaffung klimaneutraler Produktionsbedingungen soll die „Smart-City- Vision“ der Kommune mit Leben gefüllt werden. Das Konzept sieht langfristig vor, zusätzlich zur intelligenten Energieversorgung auch die anderen Bereiche des städtischen Lebens effizienter und klimafreundlicher zu gestalten. Also etwa die Gebäudetechnik, den Verkehr und das Parksystem. Die Grundlage dafür bildet eine Internet-of-Things-Plattform, auf der sämtliche digitale Projekte und Daten der Stadt gebündelt zur Verfügung gestellt werden. Ein Beispiel: die Pläne des ansässigen VW-Werkes. In Zukunft will der Autobauer in Emden nur noch Elektroautos produzieren. Für die CO 2 -neutrale Produktion gilt es entsprechend, ausreichend Grünstrom zur Verfügung zu stellen. Und: Sollten auch die VW-Mitarbeiter langfristig nur noch mit E-Autos zur Arbeit fahren, muss das lokale Stromnetz die Spitzen abfangen. Unter den Top 20 der Smart- Cities Angesichts dieser Herausforderungen profitiert die Stadt aktuell enorm vom frühzeitigen Start der Smart-City-Roadmap. Kein Wunder also, dass es Emden auch im deutschlandweiten Vergleich mit ihrer Digitalisierungsstrategie auf einen der vordersten Plätze schafft: Laut einer Studie der Unternehmensberatung Haselhorst Associates zählt die Kommune beim Smart-City-Ranking zu den Top 20 (Stand 2019). Umgekehrt weist noch nicht einmal ein Viertel der 400 größten Städte hierzulande einen Digitalisierungsgrad von zwölf Prozent auf. Auf dem Erfolg ruht sich die ostfriesische Kommune jedoch keineswegs aus - im Gegenteil: Emden hat unlängst damit angefangen, ihre Digitalisierungsstrategie zu überarbeiten und auszubauen. Bereits im Sommer dieses Jahres soll die Digitalisierungs- Roadmap 2.0 fertig sein und in die konkrete Umsetzung gehen. Das Beispiel Emden macht deutlich: Ein digitales und fortschrittliches Stadtleben ist keine Frage der Einwohnerzahl. Vielmehr kommt es darauf an, alle beteiligten Akteure der Kommunen mit ins Boot zu holen und gemeinsam ein ganzheitliches Konzept für die Zukunft der Städte auszuarbeiten: von der Politik, der Industrie und den Versorgungswerken bis hin zu den Bewohnern. Gelingt dies, wird nicht nur die dezentrale Energieversorgung möglich; die Umstellung hat dann vor allem einen wirklich nachhaltigen Effekt auf die Umwelt. Emden macht es vor - andere sollten es nachmachen. 30 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Relevanz der Corona-Krise für die Stadtentwicklung Die Pandemie hat offenkundig eine Menge Berührungspunkte zu Fragen der Stadtentwicklung. Je länger die Schutz- und Vorsorgemaßnahmen gegen eine weitere Verschärfung des Infektionsgeschehens aufrechterhalten werden müssen, desto nachhaltiger werden die negativen Auswirkungen auf die Stadtentwicklung sein. Dabei ist davon auszugehen, dass die Pandemiefolgen umso stärker ins Gewicht Mitten im Corona-Schock Resilienz als neues Leitbild für die Stadtentwicklung? Resilienz, Stadtentwicklung, Pandemien, Krisensituationen, Stresstests Peter Jakubowski Die COVID-19-Pandemie führt uns massiv die Verletzbarkeit unserer gesellschaftlichen Strukturen vor Augen. Die ökonomischen und sozialen Auswirkungen sind heute kaum seriös abschätzbar, werden aber immens sein. Alle Schutzmaßnahmen wurden aus guten und hoffentlich wirksamen Gründen beschlossen. Auf die Stadt oder das Urbane bezogen ist zu konstatieren: Das neuartige Corona-Virus hat Urbanität zeitlich begrenzt beinahe vollständig zum Erliegen gebracht. Fernab des aktuellen Krisenmanagements stellt sich für die Stadtentwicklung die Frage, ob ihre bisherigen Leitbilder und Denkmodelle ausreichend sind oder ob mit dem Konzept der Resilienz neues Denken und Handeln in die Städte kommen sollte. Dies gilt umso dringender, als kaum noch zu ignorieren ist, dass starke Turbulenzen unser Gemeinwesen immer wieder erschüttern, dass Turbulenzen vielleicht die neue Normalität beschreiben [1]. Der Beitrag umfasst eine grobe Einordnung der Denkfigur der Resilienz unter den Eindrücken der COVID-19-Pandemie. © Tumisu auf Pixabay 31 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation fallen, je schwächer die betroffenen Städte und gesellschaftlichen Gruppen bereits im Vorfeld der Krise aufgestellt waren. Insofern hebt die Corona- Krise die Stärken und Schwächen gesellschaftlicher Strukturen wie mit einer Lupe hervor. So wie Solidarität und Hilfsbereitschaft breit ausgeprägt sind und in der Krise Linderung verschaffen, zeigt sich, dass sich Kontaktsperren und Quarantänemaßnahmen auf einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen deutlich stärker auswirken. Denn Einkommensniveau und Wohnsituation korrelieren häufig eng miteinander. Mit Blick auf städtische Strukturen stellt sich die Frage nach der ausreichenden Verfügbarkeit und auch „gerechten“ Verteilung öffentlicher Grün- und anderer Erholungs- oder Sportanlagen, die einen wichtigen Ausgleich für psychologisch angespannte Konstellationen in der Wohnung bieten. Über allem schwebt natürlich die große Sorge vor Arbeitsplatzverlusten. Sinkende Steuereinnahmen und zusätzliche Verschuldungen treffen ärmere Städte und Gemeinden besonders hart. Weitere kritische Bereiche für die Städte zeichnen sich ab: Die Zentren geraten unter Druck. Insolvenzen beim Einzelhandel, in der Gastronomie oder im Hotelgewerbe können zu neuen Leerständen und Attraktivitätsverlusten der Zentren führen. Ausfallende Mieteinnahmen in den oben genannten Bereichen bringen Immobilieneigentümer in Bedrängnis, mit unklaren Folgen für die Eigentümerstrukturen und Nutzungen. Umgekehrt entlasten Mietstundungen zunächst Einzelhandel, Gastronomie und andere. Es ist offen, wie sich diese wirtschaftlichen Konstellationen auf die Struktur des Immobilieneigentums und die Attraktivität der Zentren auswirkt. In der Krise hat der Onlinehandel weiter an Bedeutung gewonnen; auch hier bleibt abzuwarten, wie nachhaltig sich dieser Trend beispielsweise auch im Lebensmittelbereich bestätigen wird. Zugleich geraten Unternehmen der Sharing- Economy unter Druck, wenn das urbane Leben stillsteht; das gilt für AirBnB, Carsharing-Anbieter oder die jüngst boomenden E-Scooter-Anbieter. Das omnipräsente Thema des „Home-Offices“ wirft eine Menge wichtiger Fragen auch für die Stadtentwicklung auf: Kann und wird sich unsere Art des Arbeitens nach der Krise wieder auf den Vorkrisen-Modus begeben? Oder pendeln wir weniger, entspannt sich das Mobilitätsgeschehen spürbar, steigt die Tagesbevölkerung in vielen urbanen Quartieren und auch ländlichen Räumen? Resilienz: Neues Denken in Zeiten starker Turbulenzen Resilienz wird zur Beschreibung der Art und Weise herangezogen, wie Menschen, Organisationen oder Systeme gegenüber Störungen reagieren. Im angelsächsischen Raum war die wissenschaftliche Diskussion um eine resiliente gesellschaftliche Entwicklung seit Beginn der 2000er Jahre durchaus dynamisch. Breit angelegte Untersuchungen zu Resilienz-Indizes bis hin zu bürgernahen Kampagnen unter dem Motto „be prepared“ [2] und wissenschaftliche Veröffentlichungen zu „Resilient Cities“ [3], „Shock-Proof City“ oder „The resilient Nation“ [4] zeigen vielfältige Ansätze, die Wahrscheinlichkeit externer Schocks in gesellschaftliches Suchen und Handeln einzubinden. Auch im deutschsprachigen Raum wird zunehmend das Konzept oder Leitbild der resilienten (Stadt-)Entwicklung diskutiert. Horx [5] wagte sogar die These, dass „Resilienz“ in den nächsten Jahren den Begriff der Nachhaltigkeit ablösen wird. In den USA haben Wucht und Vielfalt von Naturkatastrophen traditionell eine viel größere Bedeutung als in Europa, was eine breite Thematisierung von externen Schocks erklären könnte. Der entscheidende Impuls für die Karriere des Resilienz-Begriffs dürfte allerdings die dramatische Erschütterung des Sicherheitsgefühls der amerikanischen Gesellschaft durch die Anschläge vom 11. September 2001 gewesen sein. Das schockartige Erleben der eigenen Verletzbarkeit hat dazu beigetragen, dass gesellschaftliche Reflexion und Suchprozesse sich an Fragen der Widerstandsfähigkeit als Teil von Resilienz ausrichten. Wie COVID-19 Europa und sein Denken verändert, wird sich erst in den nächsten Monaten und Jahren zeigen. Die Politik hat in den letzten Jahren eine gewisse Übung in der Krisenbewältigung bekommen. Auch wenn diese Politik tatsächlich zur Überwindung einzelner Krisen beigetragen hat, sollte nicht vergessen werden, dass Krisen durchaus die Domäne charismatischer politischer Führung darstellen: Schnelle Maßnahmen zur Lösung akuter Probleme, drängen den regulären demokratischen Verfahrensalltag dabei gern in die zweite Reihe. Umgekehrt ist der deutsche Rechtsstaat auch für Krisenkonstellationen konstruiert und gibt auch für den Krisen-Modus klare Verfahrensvorgaben. Die Corona-Pandemie führt uns unsere Verletzbarkeit akut vor Augen. Überlegungen zu neuen Vorsorgekonzepten oder Leitbildern sollten dabei den Blick über die Pandemie hinaus richten. Hier gilt schlicht, dass die Art des nächsten Schocks nicht bekannt und somit auch nicht planbar ist. Resilienz- 32 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Konzepte versuchen an diesem Punkt anzusetzen: Es geht um kluge strukturelle Vorbereitungen für den Umgang mit ungewissen Risiken [6]. Resilienz: Versuch einer Strukturierung Zur Strukturierung des Begriffs „Resilienz“ [7] kann auf einen Vorschlag des World Economic Forum zurückgegriffen werden. Hier wird zwischen den sogenannten Makro-Systemen Land, Stadt und Region und den relevanten Untersystemen Wirtschaft: makroökonomisches Umfeld, Güter- und Dienstleistungsmärkte, Finanz- und Arbeitsmärkte, Produktivität Umwelt: natürliche Ressourcen, Urbanisierung und Öko-Systeme Governance: Institutionen, Regierungsform, Führungsqualitäten, rechtliche Regelungen Infrastruktur: Fragen der Kritikalität von Infrastrukturen insbesondere IKT, Energie, Verkehr, Wasser und Gesundheit Soziales: Humankapital, Gesundheit, Gemeinschaft und Solidarität, Rolle der Individuen unterschieden. Als relevante Faktoren für die Resilienz dieser Systeme werden zum einen „Robustheit“, „Redundanz“ und „Einfallsreichtum“ als Charakteristika von Resilienz und zum anderen „Reaktion“ und „Erholung“ als Ausprägungen von Resilienz verwendet. Folgt man dieser Arbeitsstruktur, kann man sagen, dass eine Stadt oder Region dann als besonders resilient einzustufen ist, wenn sie robust gegen negative äußere Einflüsse ist, wenn sie über ausreichend Sicherheitsreserven für Krisensituationen verfügt und wenn sie in Verwaltung, Zivilgesellschaft und bei anderen relevanten Akteursgruppen über ausreichend Knowhow und Kreativität verfügt, um mit außergewöhnlichen Lagen umgehen zu können. Zudem macht sich Resilienz daran fest, wie die Menschen in einer Stadt sich bei einem externen Schock konkret verhalten (wie reagiert das System? ) und wie schnell sich eine Stadt von einem Schock wieder erholt (Bild 1). Eine tiefergehende Analyse mit wichtigen Hinweisen darauf, über welche Handlungsprinzipien man resilienten Strukturen näherkommen kann, bieten Zolli und Healy [8, S. 10 f.]. Sie weisen unter anderem darauf hin, dass es sinnvoll sein kann, eine dynamische Reorganisation anzustreben und hierbei die Chancen zu nutzen, die die Entwicklungen smarter Versorgungs- und Kommunikationsnetze mit den Möglichkeiten ihrer „Echtzeit-Sensorik“ eröffnen (die verschiedenen Apps, die zur Infektionseindämmung entwickelt wurden, zeigen, wie schmal der Grat zwischen massiver Überwachung und datenschutzkompatiblen Lösungen ist), eine Entkopplung von Systemen über geeignete Schritte zur Dezentralisierung und der Diversifizierung anzustreben sowie trotz steigender Komplexitäten auf modulare Strukturen zu setzen. Ebenfalls bei Zolli und Healy [8] findet sich eine wichtige Nuance im Umgang mit dem Begriff und dem Verständnis der Robustheit, die letztlich belegt, wie groß die konzeptionellen Herausforderungen einer Resilienzpolitik sind. Im allgemeinen Sprachgebrauch würden wir die Ritterburgen des Mittelalters Robustheit Robustheit Redundanz Einfallsreichtum Reaktion Erholung Robustheit Robustheit Charakteristika von Resilienz Ausprägung der Resilienz Redundanz Redundanz Redundanz Einfallsreichtum Reaktion Erholung Einfallsreichtum Reaktion Erholung Einfallsreichtum Reaktion Erholung Infrastruktur Wirtschaft Governance Umwelt Soziales Makrosystem Untersystem Land / Stadt / Region Komponenten von Resilienz Bild 1: Relevante Faktoren für die Resilienz von Systemen. © World Economic Forum, 2013 [9] 33 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation sofort als „robust“ einstufen. Betrachten wir den gewaltigen Aufwand an Material, Geld und Arbeitszeit der betrieben wurde, um diese phantastischen Bauwerke der Robustheit zu schaffen, kann uns ein kurzes Zitat schnell ernüchtern: „ … dann neigte sich die Zeit der Burgen dem Ende zu. Kanonen wurden erfunden. Die Kanonenkugeln zerstörten die Burgmauer mit Leichtigkeit. Die Bewohner der Burg waren darum nicht mehr besonders geschützt. Viele Adelige zogen in die Städte“ [10]. In der Resilienzforschung wird dieser Zusammenhang unter dem Kürzel RYF - robustyet-fragile - diskutiert. Kern ist hierbei die Frage: Wie kann man der Falle entgehen, mit großem Aufwand „moderne Burgen“ zu bauen, die zwar gegen bekannte Risiken robust sind, aber durch kleine aber eben nicht bedachte Effekte zerstört oder vollständig entwertet werden können [8, S. 25 ff.]. Diese Frage ist auch sehr eng mit der digitalen Transformation unserer Wirtschaft und Gesellschaft verbunden. Die immensen Vorteile der Digitalisierung tragen immer nur unter der Bedingung funktionierender Infrastrukturen und Softwaresysteme. Zu deren Schutz sind wiederum vielfältige Maßnahmen notwendig, zu denen im Zweifel auch analoge Backups gehören müssen. Resilienz ist eine ausgesprochen vielschichtige regulative Idee, der man sich nur schrittweise über die Erprobung neuer Wege und Prozesse annähern kann [11]. Hier sind auch praktische Schritte jenseits professionalisierter Krisenmanagementstrukturen zu erproben, damit sich Teile der Stadt im Krisenfall besser selbst organisieren können. Denn in einer Krisenlage sind die institutionellen Standardmechanismen häufig außer Kraft gesetzt. Neue Wege finden bedeutet: Experimentieren und Lernen. Dabei stärkt die Resilienzforschung dezentrale akteursorientierte Ansätze: „Next generation resilience relies on citizens and communities, not the institutions of state …“ [4, S. 1]. Und das fügt sich genau in die Forderung nach einer gezielten Herausbildung von Risikokompetenz. Wenn es gelingt, zunehmend offen über Risiken und Unsicherheiten und ihre Bedeutung für Stadtentwicklung und andere Handlungsfelder zu diskutieren, kommen vielfältige Lerneffekte in Gang, die den Einzelnen, aber auch die verschiedenen staatlichen Ebenen, risikokompetenter machen. Auch die resiliente Stadt wird ein Gemeinschaftswerk sein. Resilienz kann nur durch die gezielte und langfristige Kommunikation und Kooperation der relevanten Stadtakteure erreicht werden. Genauso, wie Nachhaltigkeitspolitik nur eine Politik kleiner Schritte Vieler bedeutet, muss auch Resilienzpolitik prozessorientiert ausgerichtet sein. Dabei bietet es sich an, Analysen und handlungsorientierte Empfehlungen an den fünf zentralen Aspekten eines Resilienz-Zyklus zu orientieren. Hiernach ist es für eine resiliente Stadtentwicklung wichtig, die neuen Risiken richtig einzuschätzen, um Gefahren frühzeitig erkennen und ihnen vorbeugen zu können. Zudem sind die Städte zu schützen, was dadurch gelingen kann, dass Verwundbarkeiten erkannt und nach Möglichkeit begrenzt werden. Im Falle von Krisen oder Schocks ist ein funktionierendes Krisenmanagement immens wichtig. Hierbei gilt es auch, die Schockwellen einzudämmen und Domino-Effekte zu verhindern (Stichworte sind hier dann Modularisierung und Diversifizierung). Wenn dies gelingt, fällt es Städten auch leichter, sich von Krisen wieder zu erholen. Die Städte können diese Mammutaufgaben vielfach nicht allein bewältigen. Ebenso wie es in Schadens- oder Katastrophenfällen technischer und logistischer Unterstützung von Bund und Ländern bedarf sowie gesamtstaatlich getragene Wiederaufbauhilfen bereitzustellen und zu finanzieren sind, ist es wichtig, jenseits konkreter Katastrophenlagen das Denken und Handeln vieler Akteure in den Städten schrittweise mit dem Umgang mit Risiken und Unsicherheit vertraut zu machen und so wichtige Resilienz-Kompetenzen zu entwickeln (Bild 2). Stresstests für Städte können helfen Im Rahmen der Ressortforschung hat das BBSR das Vorhaben „Stresstest Stadt - wie resilient sind unsere Städte“ konzipiert und mit Partnern umgesetzt [12]. Ziel des entwickelten Stresstests für Städte war es, die Kommunikation in den Städten und Gemeinden über Risiken und Resilienz zu initiieren. Das Konzept eines Stresstests ist als Hilfestellung für Städte und Gemeinden entwickelt worden, die sich Resilienz- Zyklus regenerieren vorbereiten vorsorgen schützen reagieren Kaskadeneffekte verhindern Krisenmanagement und Einsatzkräfte unterstützen Risiken einschätzen Gefahren frühzeitig erkennen und effektiv begegnen Verwundbarkeit begrenzen Bild 2: Resilienz-Zyklus . © nach Leismann, T., Fraunhofer EMI, 2012 34 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation aus strategischen Gründen mit Fragen der Resilienz auseinandersetzen möchten. Der Stresstest kann und will keine fachlichen Detailanalysen zu den adressierten Themenbereichen und Stresskonstellationen ersetzen. Er ist gewissermaßen als Einstieg für zwingend notwendige vertiefende und fokussierte Untersuchungen in den Städten zu verstehen. In der Praxis empfiehlt es sich, zur Durchführung eines Stresstests eine Projektgruppe zu bilden, die mit den relevanten kommunalen Fachämtern und womöglich mit weiteren Behörden besetzt ist. Hier sind methodische Fragen ebenso zu klären wie die zu verwendenden Informationen, Daten und Indikatoren. Zur Selbsteinschätzung fiele auch die Durchführung einer Befragung in die Zuständigkeit dieser Projektgruppe. Die Auswertung und Aufbereitung der Ergebnisse der Analysen und Befragungen liefert die Basis für kommunale Workshops und den Einstieg in die Diskussion zur Resilienz der Stadt. Wenn Verantwortliche in einer Kommune jenseits ihrer Alltagsaufgaben wieder stärker auch die Risiken für die Entwicklung ihrer Stadt anerkennen und zum Beispiel mit Hilfe eines systematischen Stresstests analysieren und diskutieren, kann Stadtentwicklung in Zeiten des extremen Wandels und erheblicher Unsicherheiten einen wichtigen Schritt in Richtung Zukunftsfähigkeit gehen. Aus den Pilotstädten, die das Forschungsvorhaben zum „Stresstest Stadt“ aktiv begleitet haben, gab es eine Menge ermunterndes Feedback in die Richtung, dass ein pragmatischer Selbsttest aufbauend auf den skizzierten Vorarbeiten ein wichtiges Element städtischer Planung werden kann. Angesichts der COVID-19-Pandemie sollte überlegt werden, wie und mit welchen Szenarien Stresstests für Städte und Regionen verstärkt durchgeführt werden können. LITERATUR [1] World Economic Forum: Global Risk Report 2020, S. 10 ff., im Internet unter http: / / www3.weforum.org/ docs/ WEF_Global_Risk_Report_2020.pdf, letzter Zugriff 15.04.2020. [2] Mayor of London: https: / / www.london.gov.uk/ whatwe-do/ fire-and-resilience/ london-resilience-partnership [3] Vale, L. J., Campanella, T. J. (Hrsg.): The Resilient City. How modern Cities recover from Disaster, Oxford, 2005. [4] Edwards, C.: Resilient Nation, 2009. Im Web unter www.demos.co.uk/ files/ Resilient _Nation_-_web-1. pdf ? 1242207746. [5] Horx, M.: Das Megatrend Prinzip. Wie die Welt von morgen entsteht, München, 2011, S. 309. [6] Kaplan, R. S., Mikes, A.: Managing Risks: A New Framework, Harvard Business Review, June 2012, (2012) S. 49 - 60. [7] BBSR: https: / / www.bbsr.bund.de/ BBSR/ DE/ Stadtentwicklung/ stadtentwicklung_node.html [8] Zolli, A., Healy A. M.: Resilience - Why things Bounce Back, London, 2012. [9] World Economic Forum: Global Risks, Genf, 2013. [10] Stahr, C.: Burgen, pixi Wissen - Einfach gut erklärt, Bd. 78, Hamburg, 2013, S. 22. [11] Jakubowski, P.: Resilienz als neues Leitbild gesellschaftlicher Entwicklung? , in: Pies, I. (Hrsg.): Das weite Feld der Ökonomik. In: Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft, Band 98, Stuttgart, 2013, S. 37 - 55. [12] BBSR (Hrsg.): Stresstest Stadt - wie resilient sind unsere Städte? Unsicherheiten der Stadtentwicklung identifizieren, analysieren und bewerten, Bonn, 2018. All you can read Alles zusammen zum Superpreis: Die Papierausgabe in hochwertigem Druck, das ePaper zum Blättern am Bildschirm und auf dem Smartphone, dazu alle bisher erschienenen Ausgaben im elektronischen Archiv - so haben Sie Ihre Fachzeitschrift für den urbanen Wandel immer und überall griffbereit. AboPlus: Print + ePaper + Archiv www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren d im Ihr imm AAbboo www.tra Dipl.-Volkswirt Dr. Peter Jakubowski Abteilungsleiter für Raumordnung und Städtebau im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung Kontakt: peter.jakubowski@bbr.Bund.de AUTOR 35 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Smart durch die Krise In der Corona-Krise haben wir gelernt, welche Chancen in der Digitalisierung unserer Städte liegen. Undenkbar sind Lockdown und Kontaktverbot ohne die digitale Vernetzung zur Information und zur Kommunikation. Das Zuhause wird erst durch das Netz als Ort für das Homeoffice, den Fernunterricht und zur Aufrechterhaltung sozialer Kontakte erschlossen. Die Rekordmeldungen zum Datenaustausch an den Internetknotenpunkten belegen, dass die länderübergreifende Quarantäne ein neues Maß und neue Dimensionen der digitalen Vernetzung ausgelöst hat. Ohne Vorlaufzeiten haben sich digitale Arbeitswelten und Lehrformate durchgesetzt, die bisher noch in den Kinderschuhen steckten. Und es läuft überraschend gut. Der Wechsel ins Homeoffice ohne Bedenken von Seiten des Managements, des Datenschutzes und der Arbeitssicherheit, das Verlagern von Konzerten und Unterhaltungsangeboten ins Netz, das generationsübergreifende Zocken und Streamen und nicht zuletzt die Digitalisierung der Verwaltungen deuten einen grundlegenden Wandel in der Gesellschaft an. „Die Corona-Krise beweist auch den bisherigen Skeptikern, dass die Digitalisierung ein Geschenk für die Menschheit ist. Die nun gebotene soziale Distanz wäre ohne das Internet unerträglich“, resümiert Dirk van Gehlen in der Süddeutschen Zeitung [1]. Auch wenn das Netz durch die Corona-Krise im Ausnahmezustand ist, werden diese Innovationen in unserer Gesellschaft in Unternehmen, Institutionen, in Privathaushalten und in unseren Städten nachhaltigen Einfluss nehmen. Jens Uwe Meyer stellt hierzu fest „Nichtsdestotrotz erleben aktuell Millionen von Deutschen und Tausende von Unternehmen, wie sich der Sprung in die digitale Zukunft anfühlt. Und das wird sich nicht so einfach wieder zurückdrehen lassen“ [2]. Smart in der Krise Doch die Informations- und Kommunikationssysteme (IKT) sind nicht nur Lösung im Krisenfall, sondern selbst Teil der kritischen Infrastrukturen und zugehörig zum Nervensystem unserer Städte. Städte sind komplexe, adaptive Systeme vernetzter Dienstleistungen und Infrastrukturen, deren vernetzter und selbstorganisierender Charakter hervorgehoben wird [3, 4]. Die zunehmende Komplexität eng gekoppelter Infrastruktursysteme, wie moderne Informations- und Kommunikationssysteme und Energieerzeugungs- und Verteilungssysteme erhöhen das Risiko, dass die technische Infrastruktur über sektorale und territoriale Grenzen hinweg ausfällt [5, 6]. In digitalen Städten ist die Funktionalität der IKT-gestützten Infrastrukturen durch Naturereignisse, menschliches und technisches Versagen, Gewalt und Terror bedroht. Ein systematisches Verständnis der Verwundbarkeit der digitalen Städte und wirksame Maßnahmen zur Erhöhung ihrer Widerstandsfähigkeit sind dringend erforderlich, fehlen aber noch immer. Daraus entstehen Fragen, wie die Funktionsfähigkeit digitaler Städte in Extremsituationen, Krisen und Katastrophen sichergestellt werden kann? Und wie die Zuvelässigkeit kritischer Infrastrukturen in digital vernetzten Städten der Zukunft erhöht werden kann? Dies sind nur zwei der Fragen, denen wir uns als Transformation der Städte Zur Resilienz digitaler Städte in Krisensituationen Digitalisierung, Resilienz, Informations- und Kommunikationssysteme, Smart Cities Annette Rudolph-Cleff, Joachim Schulze Mit der Corona-Krise ist deutlich geworden, welche Herausforderungen Digitalisierung und Vernetzung lösen können. Die digitale Aus- und Aufrüstung unserer Städte und ihrer technischen Infrastrukturen sind eine Entwicklung, die jetzt selbst kritische Stimmen hinter sich lässt. Doch die Informations- und Kommunikationssysteme (IKT) sind nicht nur Lösung im Krisenfall, sondern selbst Teil der kritischen Infrastrukturen. Daraus entstehen Fragen, wie die Funktionsfähigkeit digitaler Städte in Extremsituationen, Krisen und Katastrophen sichergestellt werden kann? Und wie die Zuverlässigkeit kritischer Infrastrukturen in digital vernetzten Städten der Zukunft erhöht werden kann? Mit emergenCITY werden ausgehend von drei Universitäten in Deutschland Antworten auf diese und ähnliche Fragen erforscht. 36 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Gesellschaft stellen müssen. Mit dem LOEWE-Zentrum emergenCITY werden ausgehend von drei Universitäten in Deutschland, Antworten auf diese und ähnliche Fragen erforscht. Ziel von emergenCITY ist die Erforschung von Grundlagen, Methoden und Lösungen für zukünftige resiliente digitale Städte. Im Fokus steht insbesondere die Erforschung und Entwicklung von Informations- und Kommunikationstechnologie, die in Krisensituationen selbstständig reagieren, sich anpassen und neu konfigurieren kann (siehe Bild 1). Unterschiedliche Betrachtungsebenen werden dabei einbezogen. Während fliegende Drohnen zur Lageerkennung und der Einsatz von Rettungsrobotern als cyberphysische Systeme die Rettungskräfte im Krisenfall unterstützen können, sind Informations- und Kommunikationstechnologien in allen Phasen des Alltags und der Krisenbewältigung von Bedeutung. Dies betrifft die Prävention, die Information und Kommunikation im Krisenfall und den Bewältigungs-, Anpassungs- und Transformationsprozess zur Reorganisation und Erholung nach einer Krise. Der Kern der Stressbewältigung liegt allerdings nicht bei der Technologie, sondern mit Stadt und Gesellschaft „im Politischen, im Sozio-Ökonomischen und im Sozio-Kulturellen“ [7]. Auch hier zeigen uns die gegenwärtigen Strategien zum Umgang mit dem Corona-Virus, dass der Handlungsrahmen nicht durch technologische Möglichkeiten, sondern durch politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen bestimmt wird. Die Verfolgung von Infektionswegen über Standortdaten und Bewegungsprofile in Singapur sowie die kontrovers geführte Debatte um eine Bluetooth-Tracing-App in Deutschland belegen, dass es hier um elementare politische und gesellschaftliche Fragestellungen geht [8]. Stadt und Gesellschaft bilden daher im interdisziplinären Forschungsverbund emergenCITY einen eigenständigen Programmbereich, der mit den weiteren Themenbereichen Information, Kommunikation und cyberphysische Systeme über die Forschung zu resilienten digitalen Städten und gemeinsame Querschnittsmissionen verbunden ist (Siehe Bild 2). Szenarien zur Resilienz digitaler Städte in Krisensituation Als Planer haben wir uns die Frage gestellt, welche technischen Anforderungen an die Stadt und ihre Bausteine gestellt werden müssen, um die städtische Resilienz zu stärken und Krisen und Störungen bewältigen zu können. Stadtquartiere werden dabei als ein Schlüssel zur Aktivierung von Synergien zwischen der Baustruktur und den verschiedenen Infrastruktursystemen verstanden, da sie als überschaubare Einheit Strategie und Umsetzungsebene für Maßnahmen in der urbanen Energiewende, im schonenden Umgang mit Ressourcen, im Klima- und Umweltschutz und in den Strategien zur Stärkung städtischer Resilienz sind. Mit der Entwicklung zweier Szenarien für Stadtquartiere im Rhein-Main- Gebiet, die als Fallstudien für Analysezwecke dienen, werden die technischen Anforderungen für Systemausfälle definiert und mögliche Lösungen im Infrastrukturverbund untersucht. Der empirische Nachweis in den beiden Fallstudien zeigt, dass Resilienz-Strategien auf der Ebene des Stadtquartiers zwar weit über das Thema der CO 2 -Minderung hinausgehen, aber mit den Forderungen nach Energiegewinnung, Energiespeicherung und Wassermanagement vollumfänglich die Themen Energieeffizienz, Nachhaltigkeit und Klimaanpassung bedienen, die Zielgrößen kontemporärer Planung bilden. Somit ist die Schnittmenge derjenigen Instrumente, welche ein resilientes Quartier gestalten, gegenüber denjenigen, die Energieeffizienz und Nachhaltigkeit zum Ziel haben groß. Andere sprechen in diesem Kontext von Abhängigkeiten, indem Sie Resilienz beispielsweise als „unverzichtbare Voraussetzung für Nachhaltigkeit“ [9] definieren. Aus unserer Sicht entscheidend sind integrierte Strategien, die nicht Bild 1: Szenarien der Krisenbewältigung. © EmergenCIT Y Rudolph-Cleff, Schulze erhöhte Resilienz Status Quo Notbetrieb Überleben Dysfunktion Grad der IKT-Funktionsfähigkeit niedrig hoch emergenCITY Krisenverlauf Schaden Reaktion Bewältigung Wiederherstellung Prävention/ Härtung Krise ohne IKT- Resilienz Verbesserungen durch emergenCITY Lernen aus vergangenen Krisen; Wissen zur Härtung der digialen Stadt verfügbar Informationen zu Krise und Bewältigung verfügbar; Qualität der Lösungen bewertbar Erhöhung von Anzahl & Qualität der Dienste zur Krisenbewältigung Beschleunigte Bereitstellung von überlebenswichtigen IKT-Diensten zur Grundversorgung Vermeidung von Dysfunktion Zeit 37 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation den kleinsten gemeinsamen Nenner von Energieeffizienz, Nachhaltigkeit und Resilienz anstreben, sondern gerade in deren Verknüpfung Synergien erschließen und nutzen. Zum besseren Verständnis lohnt sich der Querverweis auf die Forschung der Gebäudekybernetik, die Haustechnik und Gebäudestruktur stets als ein System begreift, bei dem alle zu planenden Elemente in wechselseitiger Abhängigkeit zueinander, in Bezug auf das Gesamtsystem und den Kontext betrachtet und eingesetzt werden müssen [10]. Resilienz muss nicht Mehrkosten bedeuten, insofern im Normalbetrieb Mehrwerte generiert werden und sich die Investitionen für den Betreiber mittelfristig auszahlen. Installiert man beispielsweise eine Grauwasseranlage, die Abwasser aus Duschen und Waschbecken für die Nutzung von Toilettenspülungen aufbereitet, ergeben sich Potenziale im Hinblick auf die Senkung der Betriebskosten, die Möglichkeiten der Gartenbewässerung im Sommer und die Nutzung der im Grauwasser enthaltenen Abwärme zum effizienten Betrieb einer Wärmepumpe [11, 12]. Im Notfall ist es technisch möglich, aus dem Grauwasser Servicewasser zu gewinnen, das die mikrobiellen Voraussetzungen der Trinkwasserverordnung erfüllt. Effizienzgewinne ließen sich durch den Einsatz von IKT und einer automatisierten sensorischen Steuerung erzielen. Ähnlich verhält es sich mit der Bereitstellung von E- Mobilität und Vehicle-to-Grid-Fahrzeugen. Während die Ladestationen im regulären Betrieb dem Parkieren und Betanken der Fahrzeuge dienen, stünde im Falle eines Blackouts die vorhandene Akkukapazität der Fahrzeuge als Notstromreserve zur Verfügung. SurPLUShome Neben den zuvor beschriebenen Szenarien, die auf der Maßstabsebene von Gebäudecluster und Quartier verortet sind, richtet EmergenCITY auch den Blick auf das Einzelobjekt. Als Arbeitsmodell und Reallabor dient der Gewinnerbeitrag der TU Darmstadt beim Solar Decathlon 2009 in Washington, das SurPLUShome auf dem Campus TU Lichtwiese in Darmstadt. Als Plus-Energie Haus konzipiert, erzeugt es in der Jahresbilanz mehr Strom durch Photovoltaik als es im selben Zeitraum verbraucht [13]. Selbst heute ist dieser Standard noch zukunftsweisend. Für das Szenario eines fünftägigen Stromausfalls betrachten wir das Gebäude aus zwei Blickwinkeln. Bis zu welchem Grad kann es sich unter ungünstigen Bedingungen, wie etwa bei reduzierter Sonneneinstrahlung im Winter, selbst versorgen? Und wie groß ist demgegenüber das Potenzial zum Versorger zu werden, wenn Überschüsse es im Sommer erlauben, elektrische Energie zur Verfügung zu stellen? Als zusätzlicher Speicher steht ein Bild 2: Zusammenspiel der Programmbereiche im Forschungsverbund. © EmergenCIT Y - Rudolph-Cleff, Schulze Bild 3: SurPLUShome - Exemplarischer Lastgang bei Stromausfall an einem Januartag. © TU Darmstadt, Fachgebiet Entwerfen und Stadtentwicklung, EmergenCIT Y - Rudolph-Cleff, Schulze 38 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Power-to-Grid Fahrzeug mit einer nutzbaren Kapazität von 14,4-kWh zur Verfügung. Erste Modellrechnungen zeigen, dass eine Selbstversorgung unter diesen Voraussetzungen selbst an einem bewölkten Januartag gelingen kann, wenn auch mit gewissen Einschränkungen im Komfort (Siehe Bild 3). Die Frage, welche Systeme im Haus wann und wie lange betrieben werden, ist nicht ausschließlich mittels Optimierung zu lösen. Vielmehr geht es darum abzuwägen, was unentbehrlich und was Luxus ist. In der Forschung spricht man in diesem Kontext von Suffizienz, dem Verzichtüben, neben Effizienz und Konsistenz einer der drei Bestandteile von Nachhaltigkeitsstrategien [15]. Spannend ist daher, wie sich der Einzelne unter den zuvor beschriebenen Rahmenbedingungen entscheidet. Geplant ist die Entwicklung eines Demonstrators für das EmergenCITY LAB, bei dem jeder interessierte Besucher zum virtuellen Bewohner des SurPLUShome werden kann, um in spielerischer Manier fünf Tage Stromausfall zu erproben. Die statistische Auswertung der Simulationen wird zeigen, wo die Prioritäten der Probanden liegen und wie das begrenzte Energiebudget eingesetzt wird. Sozialräumliche Analysen Mit der sektorenübergreifenden Betrachtung von Gebäuden und Quartieren im Geoinformationssystem (GIS) verfolgen wir einen weiteren Ansatz auf dem Weg zur resilienten digitalen Stadt. Am Beispiel der Stadt Darmstadt geht es darum, Abhängigkeiten und Interdependenzen unterschiedlicher Infrastruktursysteme und Dienste aufzuzeigen und darauf zurückzuführende Schwachstellen in der Versorgung der unterschiedlichen Stadträume und Bevölkerungsgruppen zu identifizieren. Ziel ist es sicherzustellen, dass alle Bewohnergruppen gleichberechtigten und barrierefreien Zugang zu Basisdienstleistungen erhalten und effektive Unterstützung im Krisenfall erfahren. Wir möchten Gestaltungskriterien für technologische Lösungen in Krisensituationen weiterentwickeln, denn jede technologische Entscheidung hat immer eine soziale und eine räumliche Dimension. Bürger- und Experteninterviews werden in die Entwicklung von Szenarien einbezogen, denn es geht um die Interessen aller gesellschaftlicher Gruppen, die Einbindung von lokalem Wissen und von Akteuren sowie der Berücksichtigung übergeordneter städtischer Ziele. In iterativen Schritten möchten wir lernen, welche Anforderungen von Seiten der Stadt und ihren Bürger*innen an technologische Lösungen gestellt werden und welchen Mehrwert smarte Lösungen für den Krisenfall im alltäglichen Leben haben können. Diese Mitgestaltung ist uns sehr wichtig, denn jede Maßnahme im Krisenfall wird nur dann erfolgreich sein, wenn sie von den Bürger*innen mitgetragen wird. Die IKT bietet unzählige Möglichkeiten der „smarten“ Gestaltung an und mit dem Mobiltelefon steht ein weit verbreitetes und einfach zu bedienendes Werkzeug zur Verfügung. Wie genau Partizipation im Rahmen urbaner Resilienzstrategien aussehen kann, werden die noch ausstehenden Ergebnisse des Programmbereichs Stadt und Gesellschaft zeigen. Die Arbeit im GIS ist aber auch eine der Grundlagen für die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Forschungsverbund. Der Datensatz im GIS wird einer Reihe von Belastbarkeitsstudien unterzogen, von der jede die spezifischen Auswirkungen eines eng umschriebenen Krisenszenarios untersucht. Analog zum „City Strength Diagnostic Tool“ der Weltbank [16] unterscheiden wir zwischen Schockereignissen, die durch Stromausfälle, Hackerangriffe oder Terroranschläge eintreten können, Stresssituation, die durch Dürreperioden, Waldbrände oder Pandemien ausgelöst werden können und kombinierten Schock- und Stressereignissen, wie etwa die Finanzkrise 2009, die mit der plötzlichen Pleite der Investmentbank Lehman Brothers ihren Anfang nahm und eine mehrjährige, globale Wirtschaftskrise nach sich zog. Die Ergebnisse dieser „Stresstests“ sind der Ausgangspunkt für die Ausarbeitung und Formulierung von Handlungsempfehlungen, die der Etablierung, Förderung und Stärkung städtischer Resilienz dienen. Was an technischen Maßnahmen in Frage kommt und welchen Stellenwert die IKT einnimmt, lassen die Ergebnisse der Fallstudien nur erahnen, da wir uns an diesem Punkt der Forschung erst am Anfang unserer Arbeit befinden. Bild 4: Die IKT als Schlüsselelement im Netzwerk der kritischen Infrastrukturen. © Rudolph-Cleff, Schulze, nach [14] 39 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Conclusio: Zur Resilienz digitaler Städte in Krisensituationen Digitalisierung und Urbanisierung schreiten mit großen Schritten voran. Die Zukunft unserer Städte erfordert sowohl eine zeitgemäße als auch vorausschauende Planung und Gestaltung. Die Erforschung von Grundlagen, Methoden und Lösungen für zukünftige resiliente digitale Städte steht allerdings noch am Anfang. Unumstritten ist das besondere Augenmerk, welches auf den Informations- und Kommunikationstechnologien liegt, denn diesen kommt in Hinblick auf die Resilienz digitaler Städte eine Schlüsselrolle zu [17] (siehe Bild-4). Auch wenn der Weg noch ungewiss ist, sind die Zielvorgaben für die Transformation unserer Städte bereits gesetzt: „Making Cities and human settlements inclusive, safe, resilient and sustainable“ [18] fordern die Sustainable Development Goals. Das Zusammenwirken von Politik und interdisziplinärer Wissenschaft ist notwendig, wenn die Weichen für die Zukunft gestellt werden. Die Weiterentwicklung smarter Technologien kann nur durch intelligente Versorgungsnetze, soziale Innovationen und breite gesellschaftliche Teilhabe gelingen. Die ersten Ansätze in Szenarien, Modellprojekten und Modellierungen entstehen im LOEWE-Zentrum EmergenCITY [19]. Die Zwischenergebnisse der Fallstudienanalysen belegen, dass Resilienz-Strategien die Themen Energieeffizienz, Nachhaltigkeit und Klimaanpassung in sich vereinen. Sie können aber weit mehr leisten, denn mit Anpassungsfähigkeit, Robustheit, Redundanz, Ressourcenschonung und Partizipation sind auch die Themen einbezogen, die endogene Potenziale beachten und städtische Entwicklungs- und Transformationsprozesse respektieren. Hier geht es um mehr als Standardlösungen. In der Planung und Entwicklung resilienter Städte sind robuste, ressourcenschonende und kreative Lösungen gefragt, die auf den Ort und den Menschen vor Ort antworten. LITERATUR [1] https: / / www.sueddeutsche.de/ digital/ coronavirusinternet-chance-digitalisierung-1.4846552, eingesehen am 26.03.2020. [2] https: / / w w w.manager-magazin.de/ unternehmen/ artikel/ durchbruch-fuer-digitalisierung-corona-veraendert-die-arbeitswelt-a-1305535.html, eingesehen am 26.03.2020. [3] Rudolph-Cleff, A.: Urban Interplay, in: Prominski, M. und Wang, F., Hrsg.: Urbanization and Locality, (2015) S. 77 - 96. [4] Meerow, S., Newell, J. P., Stults, M.: Defining urban resilience: A review, in: Landscape and Urban Planning, 147, (2016) S. 38 - 49. [5] Rinaldi, S. M., Peerenboom, J. P., Kelly, T. K.: Identifying, understanding, and analyzing critical infrastructure interdependencies, in: IEEE Control Systems Magazine, 21(6), (2001) S. 11 - 25. [6] Little, R. G.: Managing the risk of cascading failure in complex urban infrastructures, in: Graham, S. (Ed.): Disrupted Cities: When Infrastructure Fails, (2010) S. 27 - 39, New York. [7] Sieverts, T.: Resilienz und Stadtentwicklung, in: Klimagerechte Kulturpolitik, Kulturpolitische Mitteilungen, 164, (2019) S. 57. [8] https: / / www.zeit.de/ digital/ datenschutz/ 2020-04/ corona-app-tracking-handydaten-bluetooth-datenschutz, eingesehen am 15.04.2020. [9] BBSR, Hrsg.: Stresstest Stadt - wie resilient sind unsere Städte? Unsicherheiten der Stadtentwicklung identifizieren, analysieren und bewerten, Bonn, 2018. [10] Führ, M., Rudolph-Cleff, A., Bizer, K. und Cichorowski, G.: Dämmen allein reicht nicht. Ein Plädoyer für eine innovationsoffene Klimaschutzpolitik im Gebäudebereich, München, 2018. [11] Gehrmann, S.: ReSource Water - closing the cycles, Darmstadt, 2018. [12] Client II Definitionsprojekt: ReSource: Innovatives und ressourceneffizieentes Wasser-/ Abwassermanagementsysteem, Nanjing / China, FKZ: 01DO18009. [13] Hegger, M. (Hrsg.): Sonnige Aussichten: das surPLUShome des Team Germany zum Solar Decathlon 2009, Wuppertal, 2015. [14] BMI: Schutz Kritischer Infrastrukturen - Risiko- und Krisenmanagement. Leitfaden für Unternehmen und Behörden, 2011, S. 10. [15] https: / / www.bund.net, eingesehen am 15.04.2020. [16] h t t p s : / / w w w. w o r l d b a n k . o r g / e n / t o p i c / u r b a n development/ brief/ citystrength, eingesehen am 15.04.2020. [17] Christmann, G., Kilper, H., Ibert, O.: Die resiliente Stadt in den Bereichen Infrastrukturen und Bürgergesellschaften, in: Schriftenreihe Forschungsforum Öffentliche Sicherheit, 19, (2016) S. 35. [18] https: / / sustainabledevelopment.un.org/ sdg11, eingesehen am 15.04.2020. [19] Siehe hierzu: https: / / www.emergencity.de. Prof. Dr. Annette Rudolph-Cleff Professorin am Fachbereich Architektur TU Darmstadt, Fachgebiet Entwerfen und Stadtentwicklung, Darmstadt Kontakt: rudolph@stadt.tu-darmstadt.de Dr. Joachim Schulze Post Doc am Fachbereich Architektur TU Darmstadt, Fachgebiet Entwerfen und Stadtentwicklung, Darmstadt Kontakt: schulze@stadt.tu-darmstadt.de AUTOR*INNEN 40 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Gesundheitsorientierte Stadtentwicklung Umdenken in Städten aufgrund hoher Luftschadstoffbelastung - das Beispiel Ho Chi Minh City, Vietnam Gesundheit, nachhaltige Stadtentwicklung, urbane Verkehrswende, Luftqualität Martina Dettweiler, Karin Menges, Manfred Boltze, Hans Joachim Linke Aktuelle Messungen der Luftschadstoffbelastungen aus Ho Chi Minh City zeigen die gesundheitliche Belastungssituation in der vietnamesischen Metropole. Der Hauptemittent ist, wie in Europa, der Verkehrssektor. Der Beitrag zeigt die dadurch hervorgerufene Notwendigkeit eines Umdenkens in der Stadt- und Verkehrsplanung und stellt erste Erkenntnisse aus dem BMBF-Forschungsprojekt SHOTUP vor. Ziel des Projekts ist das Aufzeigen der Interdependenzen zwischen Stadtstrukturen, Verkehrssystemen und Gesundheit, um daraus Strategien für eine gesundheitsorientierte Stadtentwicklung zu generieren. Weltweite Urbanisierung als Anlass zur Gesundheitsorientierung Die Zahl der Menschen, die in Städten wohnen, steigt weltweit kontinuierlich an. Seit 2007 lebt die Mehrheit der Weltbevölkerung in Städten und der Anteil wird nach Schätzungen der UN bis 2030 auf über 60 Prozent ansteigen. Die Verstädterung ist einer der wichtigsten globalen Trends, der die Städte kontinuierlich verändern wird [1]. Ergänzend zu den Vorteilen der Urbanisierung müssen negative Aspekte, wie erhöhte Gesundheitsrisiken, vermehrt in den Blick genommen werden [2]. Zum Verkehr gibt es dabei besonders enge Bezüge. Während als positive Wirkung des Verkehrs ein Gewinn an Fitness durch Laufen und Fahrradfahren gesehen wird, beeinträchtigt der motorisierte Verkehr nicht nur durch Lärm, Stress, Unfälle und kleinere Verletzungen die Gesundheit von Verkehrsteilnehmenden und Anlieger*innen, sondern er trägt in hohem Maße zur städtischen Luftverschmutzung bei [3]. Neben dem Anstieg des Verkehrsaufkommens hat ein sich wandelndes Verkehrsverhalten Veränderungen der Luftschadstoffbelastung zur Folge. Je mehr Menschen in Städten leben, desto mehr Verkehr entsteht, und durch den Wohlstandsgewinn wird verstärkt der motorisierte Individualverkehr genutzt, der mit höheren Emissionen und daraus resultierenden Immissionen für die Menschen verbunden ist. Die hohe Luftverschmutzung, mit der 6,5 Mio. vorzeitige Todesfälle pro Jahr weltweit in Verbindung gebracht werden [2], wird hauptsächlich durch bestehende Fahrzeugtechnologien sowie begrenzten Luftaustausch aufgrund ungeeigneter Gebäudestrukturen verursacht [3, 4]. Das Thema Gesundheit ist für Viele von großer Bedeutung, und das Bewusstsein für gesundheitliche Auswirkungen nimmt stetig zu [5]. Die Weltgesundheitsorganisation definiert Gesundheit als Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens [6]. Mittlerweile ist belegt, dass neben individuellen Einflussfaktoren die gebaute Umwelt sowie die Interaktion des Individuums mit ihr als Auslöser für Gesundheit oder Krankheit betrachtet werden muss. Faktoren wie Bildung und Einkommen schaffen neben der Lebensumwelt Voraussetzungen für die menschliche Gesundheit. Stadtentwicklung kann dabei die Bereiche beeinflussen, die unter anderem die Lebens- und Arbeitsbedingungen, die Wohnverhältnisse und Aktivitäten betreffen. Jedoch werden bisher die gesundheitlichen Auswirkungen in der Stadt- und Verkehrsplanung nicht ausreichend berücksichtigt. [7] Ein gesundheitsorientierter Planungsansatz ist notwendig, um eine hohe Lebensqualität zu gewährleisten. „Lebenswerte und somit auch gesunde Städte sind zentraler Bestandteil einer nachhaltigen Raumentwicklung“ [4, S. 5]. Dieser Beitrag betrachtet die aktuelle Situation in der Metropole Ho Chi Minh City (HCMC) in Vietnam, die mit ihrer dynamischen Entwicklung zu den am meisten belasteten urbanen Räumen in Vietnam gehört und die Notwendigkeit eines Umdenkens verdeutlicht [8]. 41 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Bild 1: Sicht auf Ho Chi Minh City. © Dettweiler et al. Das Projekt SHOTUP und Ho Chi Minh City als Untersuchungsraum Die Planung und Entwicklung von Städten findet in vielfältigen Spannungsfeldern statt. Ziel des gut zweijährigen Forschungsprojektes „Sustainable and Health-Oriented Transport Planning and Urban Planning“ (SHOTUP, FKZ 01DP19005), das gemeinsam von der Technischen Universität Darmstadt und der Vietnamese-German University in Ho Chi Minh City durchgeführt wird, ist es, die Wirkungszusammenhänge zwischen Stadtstrukturen, Verkehrssystemen und Gesundheit aufzuzeigen. Darüber hinaus werden ausgewählte Wirkungszusammenhänge mit Hilfe von Messungen der Luftschadstoffbelastung in verschiedenen Quartieren in Ho Chi Minh City analysiert. Neben den Auswirkungen der Verkehrsmittel- und Routenwahl wird der Einfluss verschiedener städtebaulicher Elemente auf die Luftschadstoffbelastung untersucht. Bei den durchgeführten Messungen werden folgende relevante Luftschadstoffe und Einflussgrößen [9] erfasst: Feinstaub PM2,5/ PM10, ultrafeine Partikel, Stickoxide, Verkehrsstärke und meteorologische Kenngrößen wie Temperatur, Windgeschwindigkeit, Windrichtung und Luftfeuchtigkeit. Für die Analyse des Einflusses der städtebaulichen Elemente werden zwei Messmethoden angewendet. Stationäre Messungen werden eingesetzt, um die Zusammenhänge zwischen Verkehrsstärke, Straßentyp und Luftverschmutzung (mit Berücksichtigung der Meteorologie) zu ermitteln. Hierfür wurden zunächst Straßentypen anhand festgelegter Kriterien, wie Bebauungshöhe, Bauweise (offen/ geschlossen) und Straßenraumbreite, klassifiziert und für die weitere Analyse ausgewählt. Des Weiteren werden mobile Messungen durchgeführt, um den Einfluss städtebaulicher Elemente auf die Luftschadstoffbelastung zu untersuchen. Die gewonnenen Erkenntnisse werden durch mehrere Expertenworkshops ergänzt, um Strategien für die nachhaltige und gesundheitsorientierte Stadt- und Verkehrsplanung zu entwickeln. Im nächsten Abschnitt werden erste Erkenntnisse aus den 2019 in HCMC durchgeführten Messungen vorgestellt. HCMC ist die größte Wirtschaftsmetropole in Vietnam mit über acht Mio. Einwohner*innen und Motor des gesellschaftlichen und ökonomischen Wandels des südostasiatischen Landes. Besonders der wirtschaftliche Aufschwung und der enorme Bevölkerungsanstieg haben zu einem sprunghaft ansteigenden Verkehrsbedarf und neuen Anforderungen an die unzureichende Verkehrsinfrastruktur geführt. Negative Folgen für die lokale Gesundheit sind ständig zunehmende Staus und Umweltbelastungen durch den Verkehr. [10, 11] Der motorisierte Individualverkehr nahm in den letzten Jahrzehnten durch Wohlstandsgewinne stark zu. Einer der größten Unterschiede zu Europa ist der hohe Anteil an Motorrädern. 2017 waren in HCMC rund 7,4 Mio. Motorräder und 520 000 Pkw registriert, wobei der Anteil der PKW kontinuierlich steigt. [12, 13] Die baulichen Stadtstrukturen der vietnamesischen Metro- THEMA Urbane Transformation 42 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Bild 2: Wirkungszusammenhänge zwischen Stadtplanung, Verkehrsplanung und Verkehrstechnik sowie Gesundheit. © Dettweiler et al. [18] pole erleben seit einigen Jahren verschiedene Transformationsprozesse. Hierzu zählt die Entstehung einer modernen Skyline mit vielen Hochhäusern, die historisch kleinteilig dicht bebaute Stadtquartiere verdrängt, massive Expansion in die Peripherie und große Infrastrukturprojekte (siehe Bild 1, [14]). Wirkungszusammenhänge in der Stadt Die drei Forschungsfelder Stadtplanung, Verkehrsplanung und Verkehrstechnik sowie Gesundheit sind durch viele Wechselwirkungen miteinander verbunden (siehe Bild 2). Übergeordnet nehmen außerdem Stadtgröße, Megatrends und Meteorologie Einfluss. Die drei Forschungsfelder können in die Einflussbereiche Stadtstruktur, Flächennutzung, Verkehrsnachfrage, -angebot, -ablauf, Exposition sowie Wirkungen von Stadtplanung und Verkehr unterteilt werden. Die Einflussbereiche enthalten wiederum verschiedene Einflussfaktoren, die sich direkt und indirekt gegenseitig beeinflussen. Beispielsweise wirken das vorhandene Verkehrsangebot und die Verkehrsnachfrage auf den Verkehrsfluss und können so zu unterschiedlichen Expositionsniveaus führen. Im städtischen Umfeld sind Menschen positiven und negativen Auswirkungen des Verkehrs ausgesetzt, die unter dem Feld „Exposition“ zusammengefasst sind und unterschiedliche gesundheitliche Auswirkungen bewirken können. Das gewonnene Wissen über die Wirkungszusammenhänge soll zu einem Umdenken in Stadt- und Verkehrsplanung führen. Bisher werden diese noch unzureichend umgesetzt und sind daher durch gestrichelte Pfeile in Bild 2 dargestellt. Nachfolgend werden ausgewählte Wirkungszusammenhänge anhand erster Erkenntnisse aus in SHOTUP durchgeführten Messungen sowie weiterer Studien erläutert. Zunächst besteht ein Wirkungszusammenhang zwischen den städtischen Strukturen und dem Verkehrsaufkommen. So hat die Dichte einer Stadt Auswirkungen auf zurückgelegte Strecken und damit auf die Verkehrsmittelwahl. Kürzere Strecken infolge einer hohen Nutzungsmischung können leichter mit dem Fahrrad oder zu Fuß zurückgelegt werden und es kommt somit zu einer Verlagerung des Modal Splits zu Gunsten des Umweltverbunds, die sich positiv auf die Gesundheit der Bevölkerung auswirkt. [15] Verschiedene Einflussfaktoren des Verkehrssystems können das Ausmaß der Exposition und damit die gesundheitlichen Auswirkungen mitbestimmen. Verkehrsangebote, zum Beispiel ein gut ausgebautes öffentliches Verkehrssystem mit dichtem Streckennetz und Taktung oder ein gut ausgebautes Radwegenetz, können die Verkehrsnachfrage beeinflussen und das Ausmaß von Umweltbelastungen reduzieren. [16] Untersuchungen am Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik der TU Darmstadt haben gezeigt, dass Menschen in Deutschland während des Pendelns einem hohen Anteil der täglichen Gesamtexposition gegenüber Luftschadstoffen ausgesetzt sind [17]. Erste Messungen in HCMC, bei denen ein typischer Weg zur Arbeit mit dem Motorrad als dominierendem Verkehrsmittel zurückgelegt wurde, zeigen, dass die Belastung beim Pendeln in der vietnamesischen Metropole um ein vielfaches höher liegt, als in Deutschland. Die hohe Anzahl 43 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Bild 3: Typische Verkehrssituation in HCMC. © Dettweiler et al. Bild 4: Niveau ultrafeiner Partikel bei einer mobilen Messung in HCMC. © Dettweiler et al. an Motorrädern (siehe Bild 3) trägt maßgeblich zur schlechten Luftqualität bei. Neben den hohen Belastungen auf ihrem Weg zur Arbeit verbringen die Menschen in Vietnam zusätzlich viel Zeit im Freien, wodurch Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität eine noch größere Relevanz erhalten. Urbane Grün- und Freiräume haben gesundheitsschützende und -fördernde Wirkungen. Neben den positiven Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Bewohner*innen können durch Grünflächen Lärm gemindert und lufthygienische Problemlagen, besonders durch laubtragendes Gehölz, verbessert werden. Die Effekte von Grünflächen sind jedoch sehr komplex und kontextbezogen. [1, 19, 20] Durch erste Messungen konnte der positive Effekt von Grünflächen in HCMC auf die Luftqualität beobachtet werden. In Bild 4 ist der Rückgang der Partikelanzahlkonzentration ultrafeiner Partikel während einer mobilen Messung dargestellt, wobei der Effekt der durchquerten Grünfläche deutlich sichtbar ist. Den wenigen Grünflächen in HCMC kommt somit ein hoher Stellenwert zu, und dies spricht für einen Ausbau der grünen Infrastruktur. In HCMC finden sich verschiedene städtebauliche Strukturen, die die Geschichte der Stadt widerspiegeln. Das historische französische Stadtzentrum mit breiten begrünten Straßen im typischen Schachbrettmuster und die angrenzenden hochverdichteten und kleinteiligen Gassenviertel, die im Zuge der starken Zuwanderung während der amerikanischen Einflussnahme unkontrolliert gewachsen sind, sowie Neubaugebiete mit einer Mischung von Hoch- und Einfamilienhäusern. [21] Insgesamt zeigen die ersten Messungen Unterschiede des Belastungsniveaus durch Luftschadstoffe zwischen diesen verschiedenen städtebaulichen Strukturen. So verhindern beispielsweise die engen Gassen und fehlende Freiflächen die Belüftung einzelner Bereiche [22]. Hier zeigt sich die Meteorologie als weiterer Einflussfaktor (siehe Bild 2), der berücksichtigt werden muss. Neben der Begrünung kann die Ausrichtung der Straßen auf die Luftqualität wirken. Wenn die Windrichtung parallel zur Straßenrichtung verläuft, wird eine bessere Belüftung erzielt, und dadurch sind etwa 50 Prozent weniger Luftschadstoffe festzustellen. Außerdem prägen Gebäudeformen die Belüftungssituation und haben einen direkten Einfluss auf die Exposition. [23] Die komplexen Auswirkungen der Siedlungsstrukturen werden im Verlauf des Projekts detaillierter 44 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation untersucht und gesundheitsorientierte Maßnahmen identifiziert, um zukünftig die vielfältigen Wirkungszusammenhänge verstärkt zu berücksichtigen. Darunter sollen sowohl Maßnahmen zur Gesundheitsförderung als auch zur Prävention verstanden werden. Während die Gesundheitsförderung auf die Stärkung der Gesundheitsressourcen und -potenziale abzielt, sollen durch die zielgerichtete Prävention Risiken und Belastungen gesenkt oder verhindert werden [24]. Denkbare Maßnahmen, die sich positiv auf die Gesundheit der städtischen Bevölkerung auswirken können, sind zum Beispiel der Erhalt und die Schaffung von Freiflächen, die Förderung der aktiven Mobilität durch Maßnahmen im Verkehrsangebot und ein Städtebau, der die Belüftungssituation beachtet [19, 25]. In HCMC werden neben dem Umbau bestehender Quartiere (zum Beispiel: Straßenverbreiterungsprojekte) und dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs auch restriktive Maßnahmen zur Verkehrsreduktion, wie Begrenzung der Zulassung von Kraftfahrzeugen, Mautkonzepte und Zufahrtsverbote in hochbelastete Räumen, diskutiert [12, 21]. Notwendigkeit eines integrierten Ansatzes für lebenswerte und gesunde Städte Die aktuelle Luftqualität in der vietnamesischen Metropole HCMC zeigt sehr deutlich die Notwendigkeit einer gesundheitsorientierten Stadt- und Verkehrsplanung. Für lebenswertere und zukunftsfähige Städte muss sich die urbane Mobilität ändern und die aktuellen urbanen Transformationsprozesse müssen in den Blick genommen sowie die baulichen Grundlagen für gesunde Städte geschaffen werden. Ein integriertes Vorgehen und das Verständnis über die Haupttrends der Urbanisierung sind entscheidend für die Umsetzung der Agenda für nachhaltige Entwicklung bis 2030 [26]. Da Resilienz „unter anderem die Fähigkeit eines Individuums aus(drückt), auf veränderte (Umwelt-)Rahmenbedingungen zu reagieren und die gesundheitliche Funktionsfähigkeit in einem dynamischen Prozess aufrechtzuerhalten“ [27, S. 187], werden Menschen durch eine verbesserte Gesundheit resilienter und mit ihnen die Stadt. Insgesamt haben Städte eine große Verantwortung aber auch Möglichkeiten, die Umwelt gesünder zu gestalten [1]. Dafür müssen die Akteure der Stadtentwicklung konkret wissen, welche Einflussmöglichkeiten Stadt- und Verkehrsplanung auf die Gesundheit der städtischen Bevölkerung haben. Aus diesem Grund soll im Projektverlauf weiter detailliert untersucht werden, wie Städtebau, Verkehrsplanung und Verkehrstechnik sowie Gesundheit zusammenwirken. Nur wenn hinreichend belegt ist, welche Maßnahmen und Strategien innerhalb der beiden Fachdisziplinen die gesundheitlichen Auswirkungen positiv beeinflussen, können diese begründet und umgesetzt werden. Zukünftig sollte bei der angestrebten integrierten Planung eine Gesamtbilanzierung der vielfältigen Gesundheitswirkungen angestrebt werden. Um die Bewusstseinsbildung bezüglich verkehrsbedingter Luftschadstoffimmissionen bei der Stadtentwicklung zu fördern, wird als Ergebnis von SHOTUP ein praxisbezogener Leitfaden zu deren integrativen Berücksichtigung in Planungsprozessen erstellt. Es sollen Möglichkeiten erarbeitet werden, um städtische Strukturen schrittweise anzupassen, ein gesundes städtisches Umfeld für die Menschen zu ermöglichen und gesundheitliche Auswirkungen zu verbessern. LITERATUR [1] Clos, J., Surinach, R.: Health, Sustainable Development Goals and the New Urban Agenda. In: Nieuwenhuijsen, Mark; Khreis, Haneen (Hrsg.): Integrating human health into urban and transport planning: A framework. Cham: Springer, (2019 ) S. 17 - 30. [2] WHO Regional Office for Europe 2018: Gesunde Umwelt für gesündere Menschen. Online verfügbar unter: http: / / www.euro.who.int/ _ _data/ assets/ pdf_file/ 0009/ 367191/ eceh-ger.pdf ? ua=1 (zuletzt geprüft: 22.04.2020) [3] Hoffmann, B.: Air Pollution in Cities: Urban and Transport Planning Determinants and Health in Cities. In: Nieuwenhuijsen, Mark; Khreis, Haneen (Hrsg.): Integrating human health into urban and transport planning: A framework. Cham: Springer, (2019) S. 425 - 441. [4] Baumgart, S., Köckler, H., Ritzinger, A., Rüdiger, A.: Gesundheitsförderung - Ein aktuelles Thema für die Raumplanung und Gesundheitswesen: Einführung. In: Baumgart, S., Köckler, H., Ritzinger, A., Rüdiger, A. (Hrsg.): Planung für gesundheitsfördernde Städte. Forschungsberichte der ARL, Hannover: Akademie für Raumforschung und Landesplanung, (2018) S. 5 - 19. [5] Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung: Nachdenken über die Stadt von übermorgen. BBSR- Online-Publikation, Nr. 11, 2019. Online verfügbar unter: https: / / www.bbsr.bund.de/ BBSR/ DE/ Veroeffentlichungen/ BBSROnline/ 2019/ bbsr-online-11- 2019-dl.pdf ? _ _blob=publicationFile&v=4 (zuletzt geprüft: 22.04.2020). [6] Weltgesundheitsorganisation: Constitution of the world health organization. 1946. Online verfügbar unter: http: / / apps.who.int/ gb/ bd/ PDF/ bd47/ EN/ constitution-en.pdf (zuletzt geprüft am 22.04.2020). [7] Hornberg, C., Liebig-Gonglach, M., Pauli, A.: Gesundheitsförderung - Ein Konzept und seine Entwicklung in Deutschland. In: Baumgart, Sabine; Köckler, Heike; Ritzinger, Anne; Rüdiger, Andrea (Hrsg.): Planung für gesundheitsfördernde Städte. Forschungsberichte der ARL, Hannover: Akademie für Raumforschung und Landesplanung, (2018) S. 37 - 58. 45 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Martina Dettweiler, M. Sc. Technische Universität Darmstadt Fachgebiet Landmanagement Kontakt: dettweiler@geod.tu-darmstadt.de Karin Menges, M. Eng. Technische Universität Darmstadt Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik Kontakt: menges@verkehr.tu-darmstadt.de Prof. Dr.-Ing. Manfred Boltze Technische Universität Darmstadt Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik, Kontakt: boltze@verkehr.tu-darmstadt.de Prof. Dr.-Ing. Hans Joachim Linke Technische Universität Darmstadt Fachgebiet Landmanagement Kontakt: linke@geod.tu-darmstadt.de AUTOR*INNEN [8] https: / / aqicn.org/ map/ world/ (zuletzt geprüft: 20.04.2020). [9] European Environment Agency: Air quality in Europe - 2018 report. Online verfügbar unter: https: / / www. eea.europa.eu/ public ations/ airqualit y-ineuro pe-2018/ air-quality-in-europe-2018/ viewfile#pdfjs. action=download (zuletzt geprüft: 22.04.2020). [10] Waibel, M.: Ho Chi Minh MEGA City: Eine Einführung. In: Waibel, M. (Hrsg.): Ho Chi Minh MEGA City. Pazifik Forum, Bd. 14. Berlin: regiospectra Verlag, (2013) S.-9 - 28. [11] Zink, A.: Ho Chi Minh Megacity - Stadt der (Mega-) Möglichkeiten? : Perspektiven der jungen Generation. In: Waibel, M. (Hrsg.): Ho Chi Minh MEGA City. Pazifik Forum, Bd. 14. Berlin: regiospectra Verlag, (2013) S.-96 - 120. [12] Bose, M.: Verkehr in der Megastadt Ho Chi Minh City: Probleme und Lösungsstrategien. In: Waibel, M. (Hrsg.): Ho Chi Minh MEGA City. Pazifik Forum, Bd. 14. Berlin: regiospectra Verlag, (2013) S. 201 - 232. [13] Vietnam Register and HCM’s police department 2018: Verkehrszahlen. Nicht veröffentlichter Bericht [14] Waibel, M.: Wandel im Laufe der Zeit. In: Waibel, M., Hilbert, H. (Hrsg.): TP. Hổ-Chí-Minh: MEGA CITY. Ho Chi Minh City: Times Publishing House, (2014) S.-54 - 71. [15] Snellen, D., Borgers, A., Timmermans, H.: Urban Form, Road Network Type, and Mode Choice for Frequently Conducted Activities: A Multilevel Analysis Using Quasi-Experimental Design Data. In: Environ Plan A 34 (7), (2002) S. 1207 - 1220. [16] Nieuwenhuijsen, M., Khreis, H.: Urban and Transport Planning, Environment and Health. In: Nieuwenhuijsen, M., Khreis, H., (Hrsg.): Integrating human health into urban and transport planning: A framework. Cham: Springer, (2019) S. 3 - 16. [17] ARD/ HR, „alles wissen“, Dicke Luft im Auto vom 21.09.2017. Online verfügbar unter: https: / / www.3sat.de/ wissen/ nano/ dicke-luft-im-auto-100. html (zuletzt geprüft am 22.04.2020). [18] Menges, K., Boltze, M.: Sustainable and Health-Oriented Transport Planning and Urban Planning. In: CIGOS 2019, Innovation for Sustainable Infrastructure. Springer-Verlag 2019, S. 941 - 946. [19] Claßen, T.: Urbane Grün- und Freiräume - Ressourcen einer gesundheitsförderlichen Stadtentwicklung. In: Baumgart, S., Köckler, H., Ritzinger, A., Rüdiger, A. (Hrsg.): Planung für gesundheitsfördernde Städte. Forschungsberichte der ARL, Hannover: Akademie für Raumforschung und Landesplanung, (2018) S.-297 - 313. [20] Dadvand, P., Nieuwenhuijsen, M.: Green Space and Health. In: Nieuwenhuijsen, M., Khreis, H. (Hrsg.): Integrating human health into urban and transport planning: A framework. Cham: Springer, (2019) S.-409 - 423 [21] Gibert, M.: Stadtwandel in Ho Chi Minh City: Ein Blick in die Nachbarschaften. In: Waibel, M. (Hrsg.): Ho Chi Minh MEGA City. Pazifik Forum, Bd. 14. Berlin: regiospectra Verlag, (2013) S. 121 - 147. [22] Eckert, R.: Resilientes Ho Chi Minh City: Das Ende der kompakten südostasiatischen Stadt? In: Waibel, M. (Hrsg.): Ho Chi Minh MEGA City. Pazifik Forum, Bd.-14. Berlin: regiospectra Verlag, (2013) S. 179 - 200. [23] Boogaard, H., Borgman, F., Kamminga, J., Hoek, G.: Exposure to ultrafine and fine particles and noise during cycling and driving in 11 Dutch cities. In: Atmospheric Environment 43 (27), (2009) S.-4234 - 4242. [24] Sterdt, E., Walter, U.: Ansätze und Strategien der Prävention und Gesundheitsförderung im Kontext von Stadtplanung. In: Böhme, C., Kliemke, C., Reimann, B., Süß, W. (Hrsg.): Handbuch Stadtplanung und Gesundheit. Bern: Verlag Hans Huber, (2012) S. 27 - 36. [25] WHO Regional Office for Europe: Noncommunicable Diseases and Air Pollution. 2019.Online verfügbar unter: http: / / www.euro.who.int/ _ _data/ assets/ pdf_ file/ 0005/ 397787/ Air-Pollution-and-NCDs.pdf ? ua=1 (zuletzt geprüft: 22.04.2020). [26] United Nations: The World’s Cities in 2018. Data Booklet. 2018. Online verfügbar unter: https: / / www. un.org/ en/ events/ citiesday/ assets/ pdf/ the_worlds_ cities_in_2018_data_booklet.pdf (zuletzt geprüft: 12.04.2020). [27] Hartlik, J., Machtolf, M.: Gesundheit in der Umweltprüfung. In: Baumgart, S., Köckler, H., Ritzinger, A., Rüdiger, A. (Hrsg.): Planung für gesundheitsfördernde Städte. Forschungsberichte der ARL, Hannover: Akademie für Raumforschung und Landesplanung, (2018) S.-168 - 195. 46 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Gestaltung von Gebäuden Kriminalität und Image soziales Miteinander physikalisch messbare Kriterien Sicherheitsvorkehrungen Gestaltung von Außen- und Grünbereichen stadträumliche und stadtplanerische Aspekte Nutzung des Raumes, Angebote 46 Einflussfaktoren Mangelnde Einsehbarkeit, Sichtbarkeit, Hörbarkeit und Beleuchtung und andere sicherheitsrelevanten Defizite im öffentlichen Raum produzieren bei vielen Menschen Ängste; in welchem Maße, zeigte eine Erhebung unter 62 Teilnehmer*innen im BMBF-Forschungsprojekt „Stadtsicherheit-3D“.- Aber auch Faktoren wie fehlende Orientierungsmöglichkeiten, das Image eines Gebietes, konfliktäre Situationen, defizitäre Pflege und S a ub e r ke i t , Incivilities und vieles mehr können direkt oder indirekt das S i c h e r h e i t s empfinden von Bewohner*innen und städtischen Nutzer*innen beeinträchtigen. In „Stadtsicherheit-3D“ wurden in umfassenden Recherchen und Dialogen mit Expert*innen und Bewohner*innen insgesamt 46 Faktoren priorisiert und kategorisiert (siehe Bild 1). Ziel des Projektes ist die Entwicklung einer 3D-Planungssoftware als Entscheidungshilfe zur Bewertung von Problemen des subjektiven Sicherheitsempfindens. Diese soll Entscheidungsträgern etwa in Stadtplanung, Architektur, Verwaltung und Wohnungswirtschaft dazu dienen, Problemlagen im Bestand sowie mögliche Auswirkungen ihrer Planungen im Hinblick auf die subjektive Sicherheitswahrnehmung zu erfassen. Neben bestehenden Defiziten und potenziellen Auswirkungen von Neuplanungen stehen auch zukünftige stadtplanerische Anpassungen an gesellschaftliche, demographische, klimatische und technologische Wandelprozesse in einer Dialektik mit der subjektiven Sicherheitswahrnehmung. So können Konzepte und planerische Ansätze wie zum Beispiel zur Nachverdichtung, zu neuartigen, effizienten Beleuchtungssystemen und die vielzähligen Entwicklungen im Bereich Mobilität nicht nur Antworten auf bekannte Probleme geben, sondern auch neue Unsicherheiten hervorrufen - oder bestehende Sicherheitsdefizite beheben. Ziel dieses Artikels ist, einige ausgewählte Zukunftstrends jeweils im Hinblick auf ihre mögliche Beeinflussung der subjektiven Sicherheitswahrnehmung zu bewerten. Der Einfluss der untersuchten Trends auf das Sicherheitsempfinden ist kontextspezifisch und hängt von einer Vielzahl ganz individueller Faktoren ab. Allerdings lässt sich ihr Potenzial für die Förderung oder Einschränkung der Sicherheitswahrnehmung abschätzen und somit antizipieren, welche Entwicklungen aus präventiver Sicht begleitet werden sollten. Stadtentwicklungstrends und das Sicherheitsempfinden Potenzielle Wirkungen ausgewählter Trends auf die subjektive Sicherheitswahrnehmung Zukunftstrends, Stadtplanung, Sicherheitswahrnehmung, Stadtsicherheit-3D Sophie Allain, Axel Dierich Gestalt und Zustand städtebaulicher Elemente nehmen Einfluss auf das subjektive Sicherheitsempfinden. Aus Sicht der städtebaulichen Kriminalprävention gilt es, positive Wirkungen planerisch zu fördern und negative zu vermeiden. Welche potenziellen Auswirkungen der Zukunftstrends in Stadtplanung und -entwicklung auf die subjektive Sicherheitswahrnehmung in urbanen Räumen können bereits heute antizipiert werden? Bild 1: Kategorisierung der 46 Einflussfaktoren auf die subjektive Sicherheitswahrnehmung. © inter 3 47 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Im Folgenden werden zu erwartende Trends in den Feldern Mobilität, Grüngestaltung, Architektur, Stadtplanung und Nutzung des öffentlichen Raums bezüglich ihrer Veränderungen des Stadtbildes und ihrer potenziellen Einflüsse auf die subjektive Sicherheitswahrnehmung untersucht. Änderungen des Straßenbilds und Wandel der Mobilitätsformen Städte entfernen sich zunehmend von der autofreundlichen Stadt der 50er Jahre und entwickeln sich vermehrt zur gesunden und somit fußläufigen Stadt [1]. Stadtviertel werden dazu verstärkt nach dem menschlichen Maßstab geplant und Straßen entsprechend umstrukturiert [2]. Zudem kann eine höhere Vielfalt an Straßen und Wegen (Abkürzungen, Durchgänge durch Wohnblocks) Blockgrößen herabsetzen und Fußwege verkürzen. Einerseits kann dies die Lebensqualität und Verkehrssicherheit steigern. Für die Gestaltung dieser Fußwege sind andererseits eine Vielzahl von sicherheitsrelevanten, möglichen „Schwachstellen“ zu berücksichtigen, wie zum Beispiel Einsehbarkeit, Sichtbarkeit, Fluchtmöglichkeiten, geringe Frequentierung und ausreichende Beleuchtung. Aufgrund der hierarchischen Unterordnung dieser Wege sind Zuständigkeiten für Pflege und Unterhalt zu klären und organisatorisch und finanziell dauerhaft zu sichern. Die planerischen Trends im Sinne der alternden Stadt werden wiederum das Sicherheitsempfinden der engeren Zielgruppen der Älteren und Mobilitäts-Eingeschränkten steigern, indem altersgerechte, barrierefreie Wege mit erhöhten Orientierungsmöglichkeiten geschaffen werden [1, 2]. Ein Wandel von städtischen Mobilitätsformen wird unter anderem vom Mobilitätsexperten Stephan Rammler im Sinne von „Nutzen statt Besitzen“ prognostiziert [3, 4]. Insbesondere werden sich laut Rammler intermodale Verkehrssysteme, basierend auf der Idee von Reiseketten mit mehreren Verkehrsmitteln (Bahn, Fahrrad, Car-Sharing, Bus oder E-Vehikel) weiter ausbreiten [3, 5, 6]. Das Straßenbild wird sich durch den Wegfall von innerstädtischen Parkplätzen dahingehend verändern, dass Fußgängern und Fahrradfahrern etwa bei breiteren Fuß- und Radstreifen, Fahrradparkhäusern und Abstellanlagen mehr Platz zugestanden wird [7]. Andererseits bedarf es einer Lösung für Stellplätze für Mobilitätsformen wie E-Roller und Personen- Drohnen, die, ohne klare Raumzuweisung, Nutzungskonflikte mit anderen Verkehrsteilnehmenden produzieren, was deren Sicherheitsempfinden weiter beeinträchtigen würde. Um große Distanzen zwischen Wohngebieten zu überbrücken, könnten zukünftig auch Seilbahnen, Hoch- und Schwebebahnen vereinzelt realisiert werden [7]. Die Wirkung der dazu notwendigen Unterkonstruktionen auf die Einsehbarkeit und die eigene Sichtbarkeit von Personen im Umfeld der Konstruktionen sind planerisch zu berücksichtigen. Der Trend zu intelligenten Beleuchtungssystemen mit Sensoren, welche nur bei Wahrnehmung einer Bewegung aus dem Energiesparmodus einschalten [4], wird vermutlich zu Beeinträchtigungen der Einsehbarkeit der (aus größerer Distanz) entsprechend schlechter oder gar nicht mehr beleuchteten Räume führen [7]. Grüngestaltung in Städten Die Begrünung von Gebäudefassaden kann neben Luftverbesserung, Temperaturausgleich und Steigerung der Lebensqualität auch Lärmpegel dämpfen [8, 9] und Fassaden vor unerwünschten Graffitis schützen. Ob dies im Sinne der Vermeidung von Verwahrlosung und der Reduktion von Lärmstress die Sicherheitswahrnehmung steigert oder durch Lichtabsorption in dunklem Fassadengrün eher senkt, ist gestalterisch beeinflussbar. Bezüglich der Gestaltung von Grünflächen findet ein Umdenken hin zu weniger pflegeintensiven Pflanzen statt [10]. Zugleich sollten aber Hecken und Büsche verstärkt auch unter dem Aspekt des Sicherheitsempfindens gepflanzt werden und im Idealfall zum Beispiel unzugängliche Bereiche im Rücken von Parkbänken schaffen, ohne Einsehbarkeit und Sichtbarkeit unnötig einzuschränken [11]. Auch die Beleuchtung neuartiger, zunehmend auch bei Dunkelheit durch Im Forschungsprojekt „Stadtsicherheit-3D. Bewertung und Verbesserung der urbanen Sicherheit mithilfe von semantischen 3D-Stadtmodellen“ arbeiten das Fraunhofer EMI, virtualcitySYSTEMS GmbH, das Leibniz IRS und inter 3 GmbH gemeinsam mit vier assoziierten Praxispartnern an der Fragestellung, wie baulich-räumliche Faktoren identifiziert und operationalisiert werden können, die verschiedenste (Un-)Sicherheitswahrnehmungen bei Bürger*innen in urbanen Räumen fördern. Das Projekt wird von März 2018 bis Februar 2021 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Förderprogramm „Forschung für die zivile Sicherheit“ (www.sifo.de) unter der Bekanntmachung: „Zukünftige Sicherheit in Urbanen Räumen“ gefördert. Die in der Entwicklung befindliche Entscheidungshilfe basiert auf 3D-Stadtmodellen und fokussiert auf die Modellierung der eingangs genannten Einflussfaktoren für die subjektive Sicherheitswahrnehmung. Für die weiteren, nicht modellierbaren Faktoren sind Marker vorgesehen. Dazu gilt es, auch die relevanten, sich entwickelnden oder absehbaren Zukunftstrends in der Stadtentwicklung zu berücksichtigen. FORSCHUNGSPROJEKT 48 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation die Öffentlichkeit genutzter Grünräume wie Urban Gardening Projekte wird zukünftig zunehmend Thema, um ausreichendes Sicherheitsempfinden in diesen Bereichen zu ermöglichen. Als ein sehr spezielles Beispiel für Grünräume entwickelt Ronald Clark in Hannover einen „Roofwalk“, der begrünte Flachdächer der Stadt verbinden soll und so einen Erholungsraum auf den Dächern der Innenstadt schafft [12]. Städtebauliche und architektonische Trends Über die Verwendung weiterentwickelter Baumaterialen, wie Betontextilien oder gewickelte Basaltelemente (siehe Bild 2 und 3) [12, 13], können Gebäudefassaden zukünftig an Lichtdurchlässigkeit gewinnen und somit an Transparenz zunehmen und Einsicht erlauben. Auch in Parkhäusern können massive Betonkomplexe durch blickdurchlässigere Konstruktionen ersetzt werden, welche zu einer gesteigerten Raumeinsicht beitragen und folglich das Sicherheitsempfinden stärken. Des Weiteren können Trends zur Anpassung an die steigende Hitze in Städten, wie zum Beispiel Sonnenschutzinstallationen, die Fassadentransparenz und damit die subjektive Sicherheitswahrnehmung beeinflussen - tendenziell im negativen Sinne. Ein simples Beispiel sind manuell zu bedienende Rollos und Vorhänge, welche tagsüber heruntergelassen bzw. zugezogen werden. Technisch innovativer ist zum Beispiel der auf Wärmeeinstrahlung reagierende Sonnenschutz Pop-up von Bára Finnsdóttir, der sich den herrschenden Umweltverhältnissen anpasst (Bild 4). Die Verwendung von einfachen Sonnenschutzmaßnahmen und solchen intelligenten Werkstoffen hat somit zur Folge, dass Gebäude je nach Licht- und Temperaturverhältnissen ihr Erscheinungsbild verändern. Die technologischen Innovationen ermöglichen durch ihre bedarfsgesteuerte Nutzung, dass Fassadentransparenz sowie der Blick aus Gebäuden auf das Geschehen nicht dauerhaft beeinträchtigt werden. Ein weiterer Aspekt ist die Berücksichtigung von multisensorischer Information in der Architektur: Gerüche und Geräusche in der Stadt können Einfluss auf die emotionale Stimmung der Passant*innen ausüben [14]. Durch das Einspielen von (klassischer) Musik, wie im Pilotprojekt vor dem Eingang des Leipziger Hauptbahnhofes, oder die Berücksichtigung der Hör- und Geruchswahrnehmung bei der Konzeption von Straßen und Plätzen kann Aggressivität, Stress und/ oder Unsicherheit entgegenwirkt werden. Veränderung der Funktionsmischung von Stadtquartieren Stadtplanerisch werden bereits heute Quartiere mit flexiblen Nutzungen und einer hohen Funktionsmischung gegenüber großflächigen, reinen Wohnsiedlungen bevorzugt [2, 7]. Dieser Trend begünstigt die subjektive Sicherheitswahrnehmung, da eine hohe Funktionsmischung verschiedene Angebote und Nutzungen zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten generiert und einer geringen Frequentierung von Straßen entgegenwirkt sowie Sicherheit vermittelnde Anlaufstellen schafft. Auch der Trend zur Nachverdichtung von Städten [15] trägt durch die Umnutzung von Gebäuden und das Bebauen von Baulücken zu einer belebteren Stadt bei und wirkt der Verwahrlosung von Brachflächen und Bild 2: (links) Betontextil. © Anne-Kathrin Kühner, 2016 Bild 3: (rechts) Stone Web © Natascha Unger, Idalene Rapp 49 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation möglichen „Incivilities“ entgegen. Weiterhin verhelfen alternative Wohnformen wie Mini-Häuser und Hausboote [14] zu einem differenzierten Stadtbild. Dies alles kann der Anonymität in Nachbarschaften entgegenwirken und in diesem Sinne die informelle soziale Kontrolle fördern. Zugleich wird die Anzahl leerstehender Industriegebäude und womöglich Büroflächen durch den Rückgang von Industrie und Gewerbe in Städten ansteigen [7]. Hinsichtlich der Multifunktionalität der Städte erwartet Frank Claus einen Rückgang des Einzelhandels und die Zunahme der Nutzungsformen Wohnen und Gastronomie [7]. Ladenleerstände werden demnach (zumindest temporär) zunehmen und sich bei eventueller Verwahrlosung negativ auf die subjektive Sicherheitswahrnehmung auswirken. Es ist jedoch zu vermuten, dass es zu einer Nutzungsverschiebung kommt und diese neuen Freiräume zukünftig durch andere Funktionen ausgefüllt werden, wie etwa von Maker-Communities, Handwerksbetrieben oder Vereinen. Trends in der Aufteilung und gesellschaftlichen Nutzung des öffentlichen Raums Bei der Gestaltung des öffentlichen Raums setzt das Konzept der gesunden Stadt auf die Vermeidung von Stressoren. Sozialer Stress kann aus der Kombination von sozialer Dichte und sozialer Isolation und der häufig vorherrschenden Anonymität in Städten entstehen [1]. Um dazu einen Ausgleich zu bieten, werden (halb-)öffentliche Begegnungsräume geschaffen, die gleichzeitig privaten Rückzug ermöglichen [1]. Als Raumkonfigurationen, welche die Begegnung und Bewegung im Wohnumfeld fördern, werden gemeinschaftliche Freiräume ohne genaue Nutzungsvorgabe, aber unter Berücksichtigung des Aspektes von Gender Diversity geplant [1, 11]. Diese dienen der Vernetzung der Menschen und können flexibel als Spielplatz, Arbeitsort, Ruhezone und für sportliche Betätigung gemeinschaftlich genutzt werden. Diese Art der Nutzungsmischung erhöht die informelle soziale Kontrolle und baut Anonymität ab, da solche Orte Anziehungspunkt für alle Gesellschaftsgruppen sein können. Die Verbreitung von Coworking Spaces und bedarfsflexiblen Raumnutzungen in Form von Pop-Up-Stores, -Restaurants und Gemeinschaftsküchen fördert das soziale Miteinander und insofern auch die informelle soziale Kontrolle, eine gegenseitige Hilfeleistung und somit auch die subjektive Sicherheitswahrnehmung. Diese neuartigen Nutzungsformen und -konzepte verändern jedoch das Zusammenspiel von öffentlichem und privatem Wohn- und Lebensraum. Es ist denkbar, dass dieser Wandel wiederum Unsicherheiten in manchen Teilen der Gesellschaft hervorrufen wird und sich durch Umwidmungen und flexible Nutzungsdefinitionen des öffentlichen Raums neue Nutzungskonflikte ergeben. Mit besonderer Vorsicht sind temporäre Sondernutzungen eines Platzes zum Beispiel durch verschiedene Märkte zu bewerten. An Beispielfällen wie den Marktnutzungen auf dem Berliner Alexanderplatz, in denen über große Zeiträume Stände oder Zelte stehen bleiben, lassen sich eine zeitweilige Privatisierung öffentlicher Räume und das Entstehen neuer Konflikte und Unsicherheiten beobachten. Als Gegentrend zur beschriebenen begegnungsfreundlichen Gestaltung des öffentlichen Raums haben sich in den vergangen Jahren Designlösungen verbreitet, die bestimmte Nutzungen verwehren („hostile design“) [16, 17]. Oft richten sich diese gegen Wohnungslose (etwa Bänke mit Armlehnen), deren Lebensbedingungen und subjektive Sicherheitswahrnehmung sich durch ihre Verdrängung aus öffentlichen Räumen weiter verschlechtern. Doch das zunehmende Bewusstsein für die Notwendigkeit von Partizipationsmöglichkeiten an Planungsprozessen lässt vermuten, dass solche Nutzungskonflikte zukünftig besser gelöst und Verdrängungstrends vermieden werden können, indem Bewohner*innen und alle Nutzer*innengruppen ihre Nachbarschaft nach ihren Bedürfnissen mitplanen und mitgestalten und damit eigenständig Place Making betreiben. Bild_4: Pop-up Sonnenschutzinstallation. © Bára Finnsdóttir 50 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Kontextuelle Interpretation Die Berücksichtigung von Aspekten der subjektiven Sicherheitswahrnehmung wie auch der städtebauliche Kriminalprävention spiegelt sich noch nicht immer in den planerischen und architektonischen Ansätzen für die Städte von morgen wider. Zugleich bieten einige Trends die Chance, auch Herausforderungen und Probleme der (gefühlten) Sicherheit zu adressieren. So zeigen die hier diskutierten potenziellen Auswirkungen der Trends die Möglichkeit auf, das Sicherheitsempfinden über die Art der Umsetzung und Gestaltung von städtebaulichen Elementen zu beeinflussen, auch wenn der Einfluss der untersuchten Trends auf das Sicherheitsempfinden stark kontextspezifisch bleibt und von einer Vielzahl von Rahmenbedingungen abhängt. Deshalb liefert dieser Artikel zunächst Denkanstöße zur Einbindung der Perspektive der subjektiven Sicherheitswahrnehmung in architektonische und städteplanerische Gestaltungs- und Planungsprozesse. LITERATUR: [1] Zukunftsinstitut (Hrsg.): Metropolen von morgen: Gesunde Städte. In Zukunft sind Städte integraler Bestandteil des Gesellschaftssystems: Stadtstruktur und Architektur fördern die Gesundheit und das Wohlbefinden der Einwohner. Verfügbar unter https: / / w w w.zukunftsinstitut.de/ artikel/ metropolen-von-morgen-gesunde-staedte/ . [2] Calthorpe, P.: 7 principles for building better cities. TED, 2017. Verfügbar unter https: / / www.youtube. com/ watch? time_continue=125&v=IFjD3NMv6Kw&f eature=emb_title. [3] Rammler, S.: Wie Mobilität in einer modernen Stadt aussehen muss. Zukunftsinstitut GmbH. Verfügbar unter https: / / www.zukunftsinstitut.de/ artikel/ wohnen/ nutzen-statt-besitzen/ . [4] Hühn, S.: Diese 7 Punkte machen die nachhaltige Megacity der Zukunft aus. Chancen in der Stadtplanung. ingenieur.de, 2019. Verfügbar unter https: / / www.ingenieur.de/ technik/ fachbereiche/ bau/ diese-7-punkte-machen-die-nachhaltige-megacity-der-zukunftaus/ . [5] Proff, H., Brand, M., Mehnert, K., Schmidt, J. A., Schramm, D. (Hrsg.): Elektrofahrzeuge für die Städte von morgen. Interdisziplinärer Entwurf und Test im Design- Studio NRW. Springer Gabler, 2016. doi: 10.1007/ 978- 3-658-08458-5. [6] Seitz, J., Papasabbas, L.: 4 Thesen zur Stadt der Zukunft. Wie Urbanisierung Stadt und Land beeinflusst, welche Trends Stadtplanung und Stadtentwicklung prägen werden und was das für Gesellschaft und Wirtschaft bedeutet. Zukunftsinstitut GmbH. Verfügbar unter https: / / www.zukunftsinstitut.de/ artikel/ wohnen/ futopolis-die-4-thesen-der-trendstudie/ . [7] Dr. Frank Claus, IKU GmbH/ Die Dialoggestalter, im Telefoninterview mit inter 3, 13. März 2020. [8] Berardi, U., Ghaffarian Hoseini, A., Ghaffarian Hoseini, A.: State-of-the-art analysis of the environmental benefits of green roofs. Applied Energy, 115, (2014) S. 411 - 428. doi: https: / / doi.org/ 10.1016/ j.apenergy.2013.10.047. [9] Price, A., Jones, E.C., Jefferson, F.: Vertical Greenery Systems as a Strategy in Urban Heat Island Mitigation. Water, Air, & Soil Pollution, 226 (8), (2015 S. 247. doi: 10.1007/ s11270-015-2464-9. [10] Expertenbegehung über den Alexanderplatz, durchgeführt am 16.05.2018 vom IRS, mit der Landschaftsarchitektin Monika Spoerhase, von der GRUPPE F aus Berlin. [11] Interview durch inter 3 und IRS mit der Stadtplanerin Barbara Willecke zur Planung und Gestaltung des Letteplatzes in Berlin, Büro planung.freiraum, am 21.08.2018. Weiteres auf http: / / planungfreiraum. de/ a/ let.html. [12] Herrenhausen Extra: Stadtplanung für die Gesellschaft von Morgen: Grüne Städte - Grüne Zukunft. VolkswagenStiftung, 2019. Verfügbar unter https: / / www.youtube.com/ watch? v=K_htf3Wpbhg. [13] Berzina, Z. Sauer, C. (Hrsg.): Design und experimentelle Materialforschung. Textil- und Flächendesign. Weißensee: Kunsthochschule Berlin, 2014. Verfügbar unter https: / / kh-berlin.de/ uploads/ tx_ khberlin/ 141021-khb-broschu%CC%88re-rgh-digitalfinal.pdf. [14] Horx-Strathern, O. (o.J.). Wohn- und Bautrends 2020. Zukunftsinstitut GmbH. Verfügbar unter https: / / w w w.zukunf tsinstitut.de/ ar tikel/ wohnen/ wohnund-bautrends-2020/ . [15] Zukunftsinstitut (Hrsg.): Urbanisierung: Die Stadt von morgen. Verfügbar unter https: / / www.zukunftsinstitut.de/ artikel/ urbanisierung-die-stadt-von-morgen/ . [16] Long, M.: Hostile design is still a problem in our public spaces - here’s why. DesignWeek. Xeim Limited, 2019. Verfügbar unter https: / / www.designweek. co.uk/ issues/ 14-20-october-2019/ hostile-design/ . [17] Novotny, M.: Gitter, Dornen, Stacheln: Architektur, die sich gegen Obdachlose richtet. DerStandard. Wirtschaft (Hrsg.), 2020 Verfügbar unter https: / / www. derstandard.de/ stor y/ 2000114816270/ gitter-dornen-stacheln-architektur-die-sich-gegen-obdachlose-richtet. Sophie Allain inter 3 Institut für Ressourcenmanagement Kontakt: allain@inter3.de Dipl.-Pol. Axel Dierich inter 3 Institut für Ressourcenmanagement Kontakt: dierich@inter3.de AUTOR*INNEN 51 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Bürger beteiligen: analog und digital Wie integrierte Partizipationssysteme klassische Formen von Beteiligung mit Online-Möglichkeiten verbinden Partizipation, E-Partizipation, Bürgerbeteiligung, Planungsprozess, Stadtplanung, Digitalisierung, Corona-Krise Rosa Thoneick, Astrid Köhler, Jörg-Rainer Noennig Beteiligung in Planungsprozessen nimmt vielfältige Formen an. Mittlerweile werden auch digitale Kanäle genutzt, um Bürger*innen einzubinden. Doch häufig sind beide Prozesse entkoppelt voneinander: Auf Beteiligungsveranstaltungen schreiben Bürger*innen Beiträge auf Papierzettel, andere geben ihre Kommentare und Ideen in Onlineformulare ein. Eine Verbindung der Sphären findet selten statt. Hamburg entwickelt derzeit ein digitales Partizipationssystem (DIPAS), das die Beteiligung online und on-site, also vor Ort, verschneidet. Dieser Artikel liefert Erkenntnisse aus Pilotierungen bei Beteiligungsveranstaltungen in Hamburg. Bild 1: DIPAS-Tisch im Einsatz. © Projekt DIPAS 52 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Bürgerbeteiligung in Hamburg Im Rückblick werden wir das Jahr 2020 als Zeit maximaler Disruption in der Corona-Epidemie erinnern: Binnen Tagen mussten Familienroutinen, Arbeit und Sozialleben neu organisiert werden. Aus einem schrittweisen Shutdown des öffentlichen Lebens wurde eine völlige Stilllegung. Was aber tun, wenn die Beteiligung der Öffentlichkeit an Planungsverfahren nicht auf unbestimmte Zeit ausgesetzt werden kann? Der öffentliche Diskurs über Bürgerbeteiligung meint in der Regel informelle, das heißt gesetzlich nicht vorgeschriebene Verfahren, in denen Ideen gesammelt, erste Planungsentwürfe diskutiert oder Betroffenheiten frühzeitig abgetastet werden - lange bevor die formalen Verfahren stattfinden. Für diese Form der Bürgerbeteiligung hat sich in Hamburg und anderenorts in den letzten zehn Jahren eine gute Praxis herausgebildet, von der Bürger und Planungsverantwortliche gleichermaßen profitieren. Aber wie lässt sich gute Beteiligung gewährleisten, wenn weder Workshops noch Informationsveranstaltungen möglich sind? Hamburg ist hier in einer glücklichen Position: Seit 2016 verfügt die Stadt über ein eigenes Online-Beteiligungstool, mit dem bislang über 40 unterschiedliche Beteiligungsverfahren durchgeführt wurden. Die Erfahrungen sind positiv: die eingehenden Beiträge sind konstruktiv, das Angebot, sich auch von zuhause aus einzubringen, wird allgemein wertgeschätzt. Das Besondere an der Hamburger Lösung ist ihr Aufsetzen auf der städtischen Geodateninfrastruktur und ihre passgenaue Entwicklung für die Nutzung durch kommunale und ministerielle Verwaltungsebenen. Mit diesen Werkzeugen war es schon im März 2020 möglich, trotz Pandemie Beteiligungsverfahren fortzusetzen und in Vorbereitung befindliche Prozesse anzupassen und in modifizierter Form durchzuführen. Im Detail hieß das: Online-Verfahren wurden verlängert und erneut beworben, das im Internet zur Diskussion gestellte Material erweitert. Teilweise war schnelles Umschalten erforderlich: In einer entscheidenden Phase des Planungsverfahrens zum neuen Stadtteil Grasbrook musste Ersatz für die abgesagte öffentliche Entwurfspräsentation gefunden werden. Kurzerhand wurden die Pläne für 12 Stunden im Internet zugänglich gemacht, ergänzt durch Präsentationsvideos der Planungsbüros und der Möglichkeit für Bürger, online Kommentare und Bewertungen zu hinterlassen. Diese wurden über Nacht ausgewertet und am nächsten Tag der Jury übermittelt, so dass das Bürgerfeedback bei der Auswahl des Siegerentwurfs einbezogen werden konnte. Es folgten Nachfragen, zum Beispiel von Journalisten, ob das nicht ein Verlust an Beteiligungsqualität sei und man künftig auf Beteiligungsangebote vor Ort ganz verzichten wolle. Sind digitale Beteiligungsangebote ein vollwertiger Ersatz für Workshops und Planungsveranstaltungen - und wen erreicht man damit überhaupt? Hamburg verfolgte von Beginn eine Strategie des „sowohl, als auch“: Die Entwicklung eines Online-Beteiligungstools war eine notwendige Ergänzung bereits vorhandener Instrumente. Notwendig weil auch Beteiligungsangebote vor Ort oft schwer überwindbare Hürden haben: Sie sind zeitaufwändig, erfordern ausreichende Mobilität, setzen den Willen und die Fähigkeit bei den Beteiligten voraus, sich vor Gruppen öffentlich zu äußern. Gleichzeitig stehen heute technische Mittel zur Verfügung, um eine Bandbreite von Beteiligungsmöglichkeiten auch online abzubilden. In Hamburg werden die meisten Verfahren inzwischen als integrierte Prozesse gestaltet. Es gibt Info-Veranstaltungen und Werkstätten, einzelne Gruppen oder Personen werden persönlich befragt - gleichzeitig kann man sein Anliegen aber auch online vorbringen und sich digital mit anderen austauschen. Da nahezu jeder Schritt eines Beteiligungsverfahrens bereits im Internet abgebildet werden kann, ist die Verwaltung in der Lage, hier ihren Bürgern ein auf die konkreten Bedarfe und Möglichkeiten zugeschnittenes Angebot zu machen. Das Projekt DIPAS Eine Schwäche integrierter Verfahren waren die zwangsläufigen Medienbrüche: Ergebnisse einer Ideensammlung im Internet mussten für Folgeveranstaltungen aufwändig aufbereitet, Workshopresultate wiederum transkribiert und digitalisiert Bild 2: DIPAS-Elemente. © Projekt DIPAS 53 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation werden. Immer häufiger stellte sich die Frage, ob und wie digitale Werkzeuge nicht auch vor Ort eingesetzt werden können. Hamburgs Antwort: DIPAS - das Digitale Partizipationssystem. DIPAS wurde 2017 mit Mitteln der Stadt Hamburg als Forschungs- und Entwicklungsprojekt gestartet. Neben der Stadtwerkstatt in der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen (verantwortlich für Konzept und Einsatz) und dem Landesbetrieb Geoinformation und Vermessung (LGV, zuständig für Programmierung und Geodaten) kam als dritter Partner das CityScienceLab an der HafenCity Universität hinzu (zuständig für die wissenschaftliche Begleitung). Das CityScienceLab hatte 2016 im Projekt „Finding Places“ Workshops mit interaktiven Stadtmodellen erprobt, deren Grundidee - Bürger und Fachleute bearbeiten gemeinsam vor Ort mit digitalen Werkzeugen Stadtplanungsthemen - mit dem bestehenden Online-Beteiligungstool vereint werden sollte. Es sollte ein 360-Grad-Beteiligungswerkzeug entstehen, das sowohl von Gruppen, als auch von einzelnen Nutzern verwendet werden kann - ein Tool für alle Fälle, in dem die gesamten Daten und Informationen eines Beteiligungsverfahrens zusammenlaufen. Dafür wurden in kurzen, intensiven Entwicklungszyklen neue Softwarefunktionen „agil“ entwickelt, deren Wirksamkeit in Pilotverfahren und Nutzertests laufend überprüft wurde. Das Projekt befindet sich aktuell in der letzten Entwicklungsphase; bis Ende 2020 soll die DIPAS-Software „open source“ veröffentlicht werden, so dass andere Kommunen oder wissenschaftliche Einrichtungen sie nachnutzen und weiterentwickeln können. Während das Online-Tool bereits existierte, fehlte noch ein digitales Äquivalent für Bürgerveranstaltungen „on site“. Daher stand zunächst die Adaption der Anwendung für einen interaktiven Datentisch im Vordergrund. Dieser funktioniert wie ein überdimensionierter Tablet-Computer, um den sich eine Personengruppe versammeln und gemeinsam Informationen abrufen und diskutieren kann. Grundlage der in DIPAS neu entwickelten Tischanwendung ist - wie im Online-Beteiligungstool - ein Kartenmodul, das auf dem Masterportal der Stadt Hamburg basiert (einem universellen Baukastensystem für Geoportale). Die hier verfügbaren Informationen zu Themen wie Mobilität, Infrastruktur, Umwelt oder Planrecht können in Workshops effektiv eingesetzt werden: Je nach Interesse der Bürger können Themen und Daten für das Projektgebiet aufgerufen und diskutiert werden. Anders als mit gedruckten Plänen sind innerhalb von Sekunden komplexe Informationen erreichbar und auf dem Tisch sichtbar. Diese sind identisch mit denen, auf die auch von zuhause oder unterwegs über das Online-Beteiligungstool zugegriffen wird. Auch Beiträge von Bürgern, die vor oder während der Veranstaltung verfasst werden, können auf dem Tisch angezeigt und diskutiert werden. Zu den weiteren Entwicklungsschritten gehört die Einbindung räumlicher Darstellungen: Eingebettet in ein 3D-Modell der bereits gebauten Stadt können so beispielsweise städtebauliche Entwürfe auf dem Tisch angezeigt werden. Per Fingersteuerung kann man sie drehen, neigen und aus verschiedenen Perspektiven im Kontext der bestehenden Stadt betrachten. Erste Tests zeigen, dass für Laien wie auch für Fachleute so ein deutlich besseres Verständnis planerischer Ideen erreicht wird als das mit zweidimensionalen Abbildungen möglich ist. Stärken, Chancen & Herausforderungen Eine Komponente von DIPAS ist die wissenschaftliche Validierung des Entwicklungswie auch Einsatzprozesses. Um für künftige Weiterentwicklungen eine Grundlage zu schaffen, wurden Stärken und Chancen wie auch Risiken und Herausforderungen untersucht. Seine besondere Stärke erhält DIPAS durch die Kombination der Vorteile aus physischen und digitalen Verfahren. In lokalen Beteiligungsveranstaltungen können sich Bürger unmittelbar in inhaltlichen Diskussionen engagieren und Fragen direkt an die Verfahrensverantwortlichen stellen. Online Bild 3: Online-Beteiligung auf dem Tablet. © Projekt DIPAS 54 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Beteiligungsformate hingegen ermöglichen auch denjenigen eine Teilhabe, die von klassischen Beteiligungssettings abgeschreckt werden. Die digitale Beitragsabgabe verringert die Hemmschwelle, sich mitzuteilen und erlaubt auch weniger extrovertierten oder redegewandten Bürgern die Mitsprache. Die digitalen Schnittstellen ermöglichen eine weitgehend ortssowie zeitunabhängige Beteiligung: Interessierte können individuell entscheiden, wann und von wo aus sie an einem Verfahren teilnehmen. So lassen sich neue Bevölkerungsgruppen erreichen, viele Hindernisse zur Teilnahme abbauen und die Beteiligungsquote bei den Verfahren erhöhen. DIPAS ist als Open Source-Anwendung konzipiert, um den niedrigschwelligen Transfer auch in andere Kommunen zu ermöglichen. Die öffentliche Verfügbarkeit des Software-Quellcodes unterstützt nicht nur die Weiter- und Fortentwicklung des Systems durch Dritte, sondern soll auch andere Kommunen anregen, das System zu nutzen und weiterzuentwickeln. Die technische Basis kann mit Unterstützung einer breiten Nutzer- und Entwicklergemeinschaft so ausgebaut werden, dass nicht nur ein durch die community qualitätsgeprüftes System entsteht, sondern auch eine Lösung mit niedrigen Zugangsschwellen, die nachhaltig verfügbar ist, aber nicht in technische oder finanzielle Abhängigkeiten führt. Durch die Open Source-Lizenzierung erhalten Kommunen die volle technische und wirtschaftliche Verfügbarkeit des Systems. Durch Schulungsmaterial für den Einsatz der Online- und OnSite-Komponenten und die Einrichtung von neuen Verfahren werden Mitarbeitende von Planungsstellen schnell in die Lage versetzt, DIPAS auch für eigene Beteiligungsverfahren einzusetzen. Technische Voraussetzungen sind die Verfügbarkeit von Geodaten sowie eine Geodateninfrastruktur, wie sie etwa durch das Hamburger Masterportal open source verfügbar ist. Eine erfolgreiche Online-Beteiligung erzeugt große Mengen von Beiträgen. Zur Entlastung der Planungsverantwortlichen werden im Rahmen von DIPAS automatische Spracherkennungssysteme getestet, die mit Hilfe Künstlicher Intelligenz Beiträge sortieren und strukturieren, um so die Auswertung der Verfahren zu erleichtern. Für Verfahrensverantwortliche und Planer ergibt sich aus DIPAS eine neue digitale Wissensbasis, die quer zu einzelnen Verfahren anwächst und Schnittstellen zu weiteren Anwendungen möglich macht, zum Beispiel zu formalen Planungsverfahren. Durch die analytische Zusammenführung der Beteiligungsprozesse und ihrer Speicherung können Verfahrensverantwortliche auf ein wachsendes Repertoire an Wissen zurückgreifen. Eine zentrale Herausforderung bei Beteiligungsverfahren ist ein unter den Erwartungen bleibender Wissensgewinn, unter anderem auf Grund geringer Komplexität der Beiträge. DIPAS adressiert dieses Problem auf mehreren Ebenen: Es gibt Bürgern durch die Bereitstellung städtischer Daten Zugang zu einem umfangreichen Informations- und Wissensschatz. Darüber hinaus wird die Beitragseingabe durch ein strukturiertes Formular unterstützt - um sicherzustellen, dass keine unvollständigen Beiträge eingehen. Durch die Verschneidung digitaler Beteiligungsmöglichkeiten mit physischen Verfahren erlaubt DIPAS den Planungsverantwortlichen, sich im Rahmen etablierter Moderationsverfahren intensiv mit Teilnehmern auseinanderzusetzen. Die Aussagekraft der automatisierten Beitragsauswertung ist gegenwärtig noch begrenzt; für die Sprach- und Inhaltsanalyse sind jedoch durch die absehbare Entwicklung bei lernenden Algorithmen größere Fortschritte zu erwarten. Demgegenüber stellt jedoch die technische Komplexität des Gesamtsystems bei einem breiteren Einsatz eine ernstzunehmende Herausforderung dar - denn es sind spezielle Hardware, leistungsfähige Netze vor Ort sowie geschulte Bedienung der Tools erforderlich. Ausblick - die Zukunft integrierter Beteiligung Mit Blick auf künftige Folgewirkungen der mit DIPAS angestoßenen Entwicklungen wurden im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung die gesellschaftlichen und technischen „Impacts“ wie auch das Transferpotenzial der Lösung abgeschätzt. Von Beginn an war es die Ambition des Projektkonsortiums, Bürgerbeteiligung in der Stadtplanung auf eine neue Qualitätsstufe zu heben und über die Standards bestehender Verfahren hinaus technische und methodische Innovationen für Verfahrensverantwortliche und Planer, aber auch neue Bild 4: Screenshot Beteiligungsverfahren 2020. © Projekt DIPAS 55 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Partizipationsmöglichkeiten für die Zivilgesellschaft zu schaffen. Vor allem für den Zugriff auf komplexe Geodaten hat DIPAS ein beispielhaft einfaches Procedere etabliert. Mit den interaktiven Tischen für lokale Beteiligungsworkshops wie auch mit dem Online-Tool sind intuitive Nutzerinterfaces („Frontends“) verfügbar gemacht worden, die auch für Nutzergruppen attraktiv und verständlich sind, die bislang nur schwer für Beteiligungsprozesse zu gewinnen waren. Für die zu erwartenden, umfangreicheren Beteiligungsquoten ermöglicht wiederum das avancierte datentechnische „Backend“ eine effiziente Verarbeitung der eingehenden großen Beitrags- und Datenmengen. Für die Zivilgesellschaft - de facto für jede Einzelperson - eröffnet DIPAS für eine Vielzahl künftiger Projekte weitaus umfassendere Beteiligungsmöglichkeiten als bisher. Die neuen Qualitäten bei der Diskussion wichtiger Planungsvorhaben sind unmittelbar erfahrbar: Kommunikation und Austausch sind direkt und sachbezogen - Ergebnisse transparent und schnell sichtbar - Dialoge interaktiv und konstruktiv. Für Bürger*innen wird so ein neues Nutzererlebnis geschaffen, dass nicht nur die Motivation zur Beteiligung steigern und die Entstehung einer offenen Beteiligungskultur vorantreiben kann, sondern einen grundsätzlichen Beitrag zur Demokratisierung der Planung und Stadtentwicklung darstellt. DIPAS verfügt zudem über erhebliches Anwendungs- und Transferpotenzial. Von Beginn an war es für einen lokalen Roll-Out über die Fachbehörden und die Fachabteilungen der einzelnen Hamburger Bezirksämter vorgesehen. Nach Abschluss der Pilotphase Ende 2020 werden daher die einzelnen Fachämter mit Hilfe der im Projekt konzipierten Informationsmaterialien und Schulungsformate in die Nutzung eingewiesen und trainiert - sodass sie 360-Grad-Beteiligungsverfahren eigenständig, schnell und einfach aufsetzen und durchführen können. Darüber hinaus zeigte sich immer deutlicher im Laufe des Pilotprojektes das Potenzial, die DIPAS- Lösung jenseits des Hamburger Kontexts auch für andere Kommunen in Deutschland und im Ausland bereitzustellen. Die wenigsten Städte und Kommunen verfügen bereits über eigene digitale Beteiligungstools: Wo online beteiligt wird, geschieht dies meist mit kommerziellen Softwarelösungen. Diese bieten zwar in der Regel full service, gleichzeitig entsteht aber auch eine starke Abhängigkeit von den Anbietern. Transferpotenzial für DIPAS in Deutschland ergibt sich zudem aus dem vom Projektpartner LGV angebotenen Masterportal, das einen neuen Standard für das Management urbaner (Geo)Daten und interaktiver Kartenanwendungen etabliert hat. Hier hat sich eine Gemeinschaft verschiedener deutscher Kommunen etabliert, die das System bereits nutzen. DIPAS bietet sich als Erweiterung der bestehenden Dienste an. Notwendige inhaltlich-methodische und technische Hilfestellungen sollen im Rahmen eines DIPAS-Folgeprojektes konzipiert werden. Ausblicke dazu werden Ende 2020 auf der Projekt-Abschlusskonferenz gegeben. Auch auf inhaltlicher Ebene zeichnen sich für DIPAS weitere Anwendungsfelder ab. Durch die „erzwungene Digitalisierung“ in der Corona-Krise wird sich voraussichtlich der Einsatz digitaler Beteiligungsverfahren über klassische Themenfelder wie Stadtplanung oder Mobilität noch erweitern. Wie auch beispielsweise im Bereich der Bildung darf man gespannt sein, welche neuen digitalen Gewohnheiten sich erhalten werden, wenn auch das öffentliche Leben nicht mehr ausschließlich im virtuellen Raum stattfinden wird. Integrierte digitale Bürgerbeteiligung könnte hier dazuzählen. Rosa Thoneick CityScienceLab Hafencity Universität Hamburg Kontakt: rosa.thoneick@hcu-hamburg.de Astrid Köhler Stadtwerkstatt Hamburg Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen Kontakt: astrid.koehler@bsw.hamburg.de Prof. Jörg-Rainer Noennig CityScienceLab Hafencity Universität Hamburg Kontakt: joerg.noennig@hcu-hamburg.de AUTOR*INNEN 56 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Mit dem Urban Design Thinking (UDT) wurde in Mannheim eine neue Methode für die ko-kreative und ko-produktive Stadtentwicklung erprobt und weiterentwickelt. Ein UDT-Team aus 26- Migrant*innen und elf städtischen Stakeholdern erarbeitete über eineinhalb Jahre hinweg bedarfsorientierte Lösungen zu den Themenfeldern Arbeiten, Wohnen, Mobilität, Zusammenleben und Mitmachen. Die Stadt Mannheim hat ambitionierte Nachhaltigkeitsziele formuliert und bemüht sich auf vielfältigen Wegen um eine nachhaltige Stadtentwicklung und einen (noch) engeren Kontakt zu ihren vielen internationalen Mitbürger*innen. Nach Jahren eines überwiegend integrationspolitisch geprägten Diskurses sollte sich der Blick wieder weiten und auf die - möglicherweise - innovativen Potenziale von hochqualifizierten Migrant*innen für eine nachhaltige Stadtentwicklung richten. Auch in Sachen Beteiligung und Innovation ist Mannheim kein unbeschriebenes Blatt. Seit Jahren laufen ebenso zahlwie erfolgreiche Aktivitäten. Die Herausforderung besteht darin, neue kokreative Herangehensweisen in diese städtischen Aktivitäten einzubetten und mit den vielen Aktiven in diesen Bereichen zu verzahnen, ohne die besonderen Qualitäten dieser neuen Arbeitsformate zu Migrants4Cities Transformation durch ko-kreative Stadtentwicklung Urban Design Thinking, Ko-Kreation, Urban Lab, Nachhaltigkeitsforschung, Reallabor Marcus Jeutner, Susanne Schön, Susanne Thomaier, Helke Wendt-Schwarzburg Das BMBF-geförderte Forschungsprojekt „Migrants4Cities: Hochqualifizierte Migrant*innen gestalten Zukunftsstädte“ erprobte von 2016 bis 2019 in Mannheim einen ko-kreativen Stadtentwicklungsprozess. Die zentralen Ergebnisse und daraus resultierenden Konzepte für den Transfer in andere Städte sind jetzt in einer umfassenden Publikation veröffentlicht [1]. Bild 1: Prototyping mit Spaß! Zweites öffentliches UrbanLab am 26. Januar 2018. © Mario Timm 57 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation beschneiden. Weiterhin muss die Stadt nach Wegen zur Umsetzung ko-kreativer Lösungen suchen, denn dieses Versprechen ist dem in Mannheim angewendeten UDT-Prozess inhärent. Schließlich stellte sich die Frage, ob und wie aus diesem experimentellen Setting in Mannheim übertragbare Erkenntnisse für andere Städte gewonnen werden können. Diesen Übertragbarkeitsanspruch einzulösen und den Transferprozess zu gestalten, hat sich in transdisziplinären Forschungsprojekten als sehr schwierig herausgestellt. Migrants4Cities hat dafür mit 40 Adressaten aus 13 Städten eine Transferbeziehung aufgebaut, sie regelmäßig mit Zwischenergebnissen versorgt und zu Formaten, Ergebnisrelevanz, Impulsen und Übertragbarkeitspotenzial dieses Ergebnistransfers befragt. Urban Design Thinking als ko-kreative Methode der Stadtentwicklung Städte und Stadtverwaltungen sehen sich mit einer engen Verflechtung aus gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen konfrontiert, die systemische Veränderungen erfordert. Damit geht eine Komplexität einher, der bisherige Lösungsansätze häufig nicht gerecht werden. So braucht es einerseits neue Ansätze, die eine breitere und echte Teilhabe verschiedener Akteure ermöglichen und andererseits Freiräume, um Dinge auszuprobieren und um zu experimentieren. In der Welt von Unternehmen findet beides bereits statt: Die Arbeit mit Prototypen nach dem Prinzip „Trial and Error“ sowie die Ko-Kreation von Lösungen durch Kund*innen, Unternehmensakteure und Externe. Auch bei Gesetzgebungsverfahren sowie der Entwicklung sozialer Dienstleistungen werden in skandinavischen Ländern bereits seit den 1970er Jahren ko-produktive Arbeitsweisen angewendet, um Erfahrungen von Bürger*innen einzubeziehen und deren Engagement in Sozialsystemen zu stärken [2]. Ko-Kreation in der Stadtentwicklung hat also eine Integrationsfunktion. Sie befähigt Bürger*innen, sich aktiv und auf Augenhöhe mit anderen Beteiligten aus Stadtpolitik, Stadtverwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft in Entscheidungsfindungsprozesse einzubringen und gleichberechtigt darauf Einfluss zu nehmen [3]. Städte stellen jedoch eine komplexe „Design-Aufgabe“ dar, von der Nutzer*innen und Planer*innen als alleinige Akteure überfordert wären. Die kokreative Zusammenarbeit mit einer Vielzahl weiterer Akteure ermöglicht dagegen das Vorantreiben städtischer Innovationen [4). Die zielgruppenspezifische Lösungsentwicklung ist dabei im städtischen Kontext je nach Betrachtungsmaßstab nicht immer ohne Weiteres möglich, da etwaige Nutzergruppen zu divers sind. Bei der Übertragung von ko-kreativen Arbeitsweisen auf Stadtentwicklungskontexte, wie UDT sie leistet, muss dieses Spannungsfeld zwischen „One size fits all“ und Nutzer*innen-Zentriertheit konzeptionell gelöst werden. Dies wird seit einigen Jahren am Fachgebiet Bestandsentwicklung und Erneuerung von Siedlungseinheiten der TU Berlin vollzogen und stellt eine methodische Weiterentwicklung des Design Thinking-Ansatzes dar [5]. Das Urban Design Thinking - eine methodische Variante des in Unternehmen verbreiteten Design Thinkings [6] - zielt darauf, Arbeitsweisen klassischer Stadtentwicklungsprozesse mit solchen der Produktentwicklung zu vereinen. Ausgehend von den realen Bedarfen spezifischer Nutzer*innen- Gruppen werden in iterativen Arbeitsschleifen passgenaue Lösungen erarbeitet. Ausgangspunkt ist dabei nie die Lösung selbst, sondern das konkrete Problem. In einem ergebnisoffenen, aber streng lösungsorientierten Prozess, wird stets die technologische und wirtschaftliche Machbarkeit berücksichtigt und deshalb in transdisziplinären Teams gearbeitet. Zentral ist auch das Prinzip des frühen Scheiterns durch prototypische Erprobungen. Kernelemente des klassischen Design Thinkings bleiben dabei erhalten: die Zusammenarbeit unterschiedlicher Teilnehmender auf Augenhöhe, die Ergebnisoffenheit, die Fokussierung auf spezifische Bedarfe, das Experiment und der iterative Prozess. Hinzu kommt ein Raumbezug. Bedarfe und Lösungen werden aus dem physischen und dem sozialen Raum einer Stadt oder eines Quartierts abgeleitet und in ihm verortet. Dies erlaubt es, Problemlagen zu spezifizieren und Nutzer*innen-Gruppen zu identifizieren. Weiterhin sind die Entwicklung und Visualisierung von Geschäftsmodellen Teil der kollaborativen Arbeit. Nicht zuletzt entstehen durch die Bild 2: Öffentliche Testaktion am 13. April 2018: Kreativ arbeiten im Freien - bald auch in der Arbeitsbox? © Markus Prosswitz 58 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation frühzeitige Einbindung potenzieller Umsetzer*innen in den Arbeitsprozess Lösungen mit einer hohen Anschluss- und Umsetzungsfähigkeit. Auch im Projekt Migrants4Cities hat die Methode es ermöglicht, dass Migrant*innen mit Akteuren aus unterschiedlichen fachlichen Bereichen zusammengearbeitet und sich so in die Entwicklung ihrer Stadt eingebracht haben. Gerade die aktivierende und akteursübergreifende Arbeit wurde von den Teilnehmenden als wichtiger, motivierender Faktor für ein Engagement in Stadtentwicklungsprozessen bewertet. Auch der Wert des Experiments und der Prototypen war deutlich erkennbar. So konnte beispielsweise das Konzept einer KulturTram vom einfachen Pappmodell über einen ersten Versuch in einem Bus bis hin zur mehrfachen prototypischen Umsetzung auf der Schiene ausprobiert und weiterentwickelt werden. Bis heute war die KulturTram bei drei Anlässen im Einsatz und verband die Quartiere und ihre Bewohner*innen. Gleiches gilt für die Lösung einer Arbeitsbox, die nach der programmatischen Entwicklung als Papp- und 3D-Modell, von Studierenden in einem Designwettbewerb entworfen, von Mitgliedern der Handwerkskammer und der Schreinerinnung gebaut und von der Hochschule Mannheim schließlich testweise aufgestellt wurde. Hieran erkennt man deutlich den Wert der Öffnung ko-kreativer Projekte mit Blick auf die Erschließung externer Perspektiven und (Fach-) Expertisen. Das Innovationspotenzial hochqualifizierter Migrant*innen Die besonderen Perspektiven und Ideen, die die hochqualifizierten Migrant*innen in den UDT-Prozess eingebracht haben, lassen sich vier Kategorien zuordnen: Berücksichtigung internationaler Beispiele städtischer Nachhaltigkeitslösungen, die sich nicht nur aus dem Herkunftsland speisen, sondern auch aus Reiseerfahrungen und Auslandsaufenthalten. Bereicherung des Prozesses durch besondere Perspektiven, die einen kosmopolitischen Blick für „typisch deutsche“ sowie alternative Lösungen umfassen. Formulierung stadtentwicklungspolitischer Bedarfe vor dem Hintergrund eigener Migrationserfahrungen, die üblicherweise eher nachrangig behandelt werden. Einbringen besonderer Fähigkeiten zur Wahrnehmung/ Wertschätzung von Verschiedenheiten und Kompetenzen im Schnittstellen- und Diversity-Management in der Stadtentwicklung. Die Einbindung dieser speziellen Bevölkerungsgruppe, die nicht zu den üblichen Beteiligten in Stadtentwicklungsprozessen gehört, erfolgte auf Grundlage eines speziell entwickelten Mobilisierungskonzeptes. Kernelemente dieses Konzeptes sind die Einbindung von Leitfiguren, die sich des Themas annehmen und die Ansprache von Multiplikatoren erleichtern, eine explizite Würdigung des Ehrenamts, die gleichberechtigte Zusammenarbeit aller Beteiligten, das ehrlich kommunizierte Umsetzungsinteresse der Stadt, die Verzahnung von Stadtgesellschaft und Stadtverwaltung sowie die Verknüpfung von Eigeninteresse und Ehrenamt. Für die Mobilisierung der Zielgruppe Migrant*innen ist zudem die Ansprache als Innovator*innen und/ oder Interessenvertreter*innen wichtig. Ebenso sollte die Verknüpfung der speziell migrantischen Perspektiven UND professioneller Kenntnisse und Kompetenzen herausgestellt werden. Auch wenn der Mobilisierungsaufwand hoch erscheint, hat sich dieser aus Mannheimer Sicht gelohnt, denn neben konkreten Lösungen hat sich die Stadt Zugang zu einem engagierten Pool an hochqualifizierten Migrant*innen für künftige Ko-Produktionsaufgaben erschlossen. Mannheimer Governance-Ansätze für eine ko-kreative Stadtentwicklung Die Stadt Mannheim hat seit mehr als zehn Jahren gute Grundlagen für die Governance ko-kreativer Stadtentwicklungsprozesse geschaffen. Auf dieser soliden Grundlage, die nicht in allen Städten vorausgesetzt werden kann, konnte der UDT-Prozess aufbauen. Nach mehr als drei Jahren lässt sich aus Sicht der Stadt sagen, dass die erarbeiteten Lösungen von hoher Wertigkeit sind und Innovationscharakter haben. Gleichzeitig sind sie Impulsgeber für bestehende Projekte. Mit den hochqualifizierten Migrant*innen ist zudem eine Zielgruppe erreicht worden, die bisher gar nicht oder nur schwer für Beteiligungsprozesse gewonnen werden konnte. Die Sichtbarmachung dieser Zielgruppe in der Stadt- Bild 3: Premierenfahrt der KulturTram beim Mannheimer Nachtwandel am 26. und 27. Oktober 2018. © Christian Fröhlich 59 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation gesellschaft war ein willkommener „Nebeneffekt“. UDT hat sich dabei als innovative Methode bewährt. Sie unterscheidet sich deutlich von bisherigen Beteiligungsformaten durch die intensive Einbindung der verschiedenen Akteursgruppen und führt zu detaillierten, bis zur Umsetzungsreife durchdachten Lösungen. In kompakter Form sollen Elemente des UDT daher zukünftig auch in andere städtische Beteiligungsprozesse eingebunden werden. Für die Verzahnung des UDT-Prozesses mit laufenden städtischen Aktivitäten und die Umsetzung der dabei erarbeiteten Lösungen bedarf es eines auf ko-kreative Stadtentwicklungsprozesse zugeschnittenen Governance-Konzepts. Damit begegnet die Stadt zwei Gefahren, die zu Frustration und Demotivation bei allen Beteiligten führen können: Parallele Aktivitäten, von denen die Beteiligten keine Kenntnis haben und folgenlose Aktivitäten, die von der Stadt nicht aufgegriffen oder deren Umsetzung nicht unterstützt wird. In Kombination mit dem formulierten Willen der politischen Akteure sind dies die besten Voraussetzungen, um ko-kreative Prozesse in das städtische Handeln zu integrieren und belastbare Ergebnisse zu erzielen. Phase 2 gestartet: Umsetzung, Verstetigung, Transfer Klar ist: Die in Mannheim erarbeiteten Nachhaltigkeitsinnovationen sind stadtindividuell und nicht 1 : 1 von anderen Städten aufzugreifen. Um einen Transferprozess anzustoßen, wurden die potenziell übertragbaren Ergebnisse in drei Komponenten zusammengefasst: dem Mobilisierungsmodul, dem UDT-Modul und dem Governance- und Umsetzungsmodul. In der nun angelaufenen zweiten Projektphase wird untersucht, ob mit diesen Komponenten der Transfer der Mannheimer Prozesse und Ergebnisse auf ausgewählte Lernpartnerstädte gelingen und mit Hilfe individueller Konzeptions-, Adaptions- und Unterstützungsleistungen attraktiv(er) gemacht werden kann. Für interessierte Nachahmer-Städte bietet die soeben erschienene Publikation einen praxisbezogenen Blick auf Hürden und mögliche Lösungsansätze bei der Einbettung von UDT in städtische Verwaltungs- und Entscheidungsstrukturen. Und vor allem: inspirierende Einblicke in die Zusammenarbeit in den UrbanLabs und die Qualität der konkreten Nachhaltigkeitsinnovationen, die dort entstanden sind. LITERATUR [1] Hübel, C., Pahl-Weber, E., Schön, S. (Hrsg.): Willkommene Perspektiven - Nachhaltige Stadtentwicklung durch Urban Design Thinking. Berlin, Universitätsverlag der TU Berlin, 2020. [2] European Commission: Analysing the potential for wide scale role out of integrated Smart Cities and Communities solutions: The role of citizens, local businesses and the mobilization and activation of communities in creating sustainable integrated SCC solutions, 2016. Im Internet unter: https: / / eu-smartcities.eu/ sites/ default / f iles/ 2017- 09/ D7_The%20 R o l e % 2 0 of % 2 0 C i t i z e n s % 2 0 in % 2 0 S CC % 2 0 s o lu tions_0.pdf [3] Menny, M., Palgan, Y. V., McCormick, K.: Urban Living Labs and the Role of Users in Co-Creation. GAIA - Ecological Perspectives on Science and Society, (27), (2018) S. 68 - 77. [4] van Waart, P., Mulder, I., de Bont, C.: A Participatory Approach for Envisioning a Smart City. Social Science Computer Review, Vol. 34(6), (2016) S. 708 - 723. Im Internet unter: https: / / journals.sagepub.com/ doi/ pdf/ 10.1177/ 0894439315611099 [5] Pahl-Weber, E.: Urban Design Thinking: Ein ko-kreativer Weg zu bedarfszentrierter Stadtplanung? In: Hübel, C., Pahl-Weber, E., Schön, S.(Hrsg.): Willkommene Perspektiven - Nachhaltige Stadtentwicklung durch Urban Design Thinking. Berlin, Universitätsverlag der TU Berlin, (2020) S. 42 - 58. [6] Brown, T.: Change by design: how design thinking transforms organizations and inspires innovation. Erste Ausgabe, HarperCollins Publishers, New York, 2009. Marcus Jeutner, M. Sc. Stadtplaner Technische Universität Berlin Institut für Stadt- und Regionalplanung Kontakt: m.jeutner@isr.tu-berlin.de Dr. Susanne Schön Geschäftsführerin inter 3 Institut für Ressourcenmanagement Kontakt: schoen@inter3.de Dipl. Geogr. Susanne Thomaier Technische Universität Berlin Institut für Stadt- und Regionalplanung Kontakt: s.thomaier@isr.tu-berlin.de Dipl.-Kommunikationswissenschaftlerin Helke Wendt-Schwarzburg inter 3 Institut für Ressourcenmanagement Kontakt: wendt-schwarzburg@inter3.de AUTOR*INNEN 60 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Motivation, Zielsetzung und Projektbeteiligte Obwohl in den letzten Jahren klare Erfolge bei der Umsetzung der Umgestaltung des Energiesystems erzielt wurden, insbesondere im Elektrizitätssektor, ist das Erreichen der auf allen politischen Ebenen gesetzten Ziele nach wie vor eine große Herausforderung. Lokale Umsetzungsprojekte spielen bei dieser Transformation eine besonders wichtige Rolle, um die übergeordneten Transformationsziele des Energiesystems zu erreichen. Für die Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien wird die Kopplung verschiedener Sektoren (Strom, Wärme, Kälte, Mobilität, produzierende(s) Industrie und Gewerbe) immer wichtiger. Städte sind aufgrund ihrer räumlichen Kompaktheit und der Ansiedlung unterschiedlichster Sektoren hierfür prädestiniert. Vor diesem Hintergrund zielte das Projekt „PtX- Nutzungspfade in Wuppertal“ - dessen Ergebnisse hier vorgestellt werden - darauf ab, Geschäftsmodelle und Projektkonzepte für die Umsetzung der Energiesystemtransformation auf lokaler und regionaler Ebene zu entwickeln. PtX steht hierbei für „Power-to-X“, das bedeutet Umwandlung von Strom in eine andere Energieform zu Nutzungszwecken in einem anderen Sektor, beispielsweise als Heizwärme oder zu Mobilitätszwecken. Das Projekt befasste sich mit der übergeordneten Frage, wie Strom aus erneuerbaren Energien mithilfe von sektoralen Kopplungsstrategien im lokalen Energiesystem nachhaltig genutzt werden kann. Die Wuppertaler Stadtwerke (WSW) waren als Praxispartner an diesem Projekt beteiligt, als Gegenstück zum wissenschaftlichen Konsortium (Fraunhofer UMSICHT, RWTH Aachen sowie FIR an der RWTH Aachen, Wuppertal Institut, Kulturwissenschaftliches Institut, Institut Arbeit und Technik), im Sinne des gewählten transdisziplinären Ansatzes. Konkret wurde in dem Projekt eine integrale Methode zur Identifizierung und Bewertung verschie- Bewertung von Power-to-X- Pfaden im städtischen Umfeld* Praxisbeispiel: Power-to-eMobility für gewerbliche Flotten Power-to-X, Sektorkopplung, inter- und transdisziplinäre Bewertungsmethode, betriebliche Elektromobilitätsflotten Annedore Kanngießer, Jan Hicking, Stefan Jaeger Für die Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energien wird die Kopplung verschiedener Sektoren (Strom, Wärme, Kälte, Mobilität, Produktion) immer wichtiger. Städte sind aufgrund ihrer räumlichen Kompaktheit und der Ansiedlung unterschiedlichster Sektoren hierfür prädestiniert. Der Beitrag stellt eine integrative Bewertungsmethode für Power-to-X-Pfade vor, welche auf die Zusammenarbeit von Wissenschaft und lokalen Praxisakteuren ausgelegt ist, um Umsetzungspotenziale in Kommunen zu identifizieren. Die Methode wird am Beispiel von Power-to-eMobility für gewerbliche Flotten vorgestellt. © Markus Distelrath auf Pixabay THEMA Urbane Transformation * Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Forschungsprojektes „EnerAct “. Wir bedanken uns bei der Stiftung Mercator für die Projektförderung. 61 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation dener PtX-Pfade entwickelt, mit dem Ziel, dass diese Methode lokalen Akteuren (kommunalen Planern oder lokalen Energieversorgern) ermöglichen soll, die PtX-Pfade zu finden, die am besten zu ihrer Gemeinde oder ihrem Versorgungsgebiet passen und sie darüber hinaus bei der Konzeption von robusten Umsetzungsprojekten unterstützt. Insbesondere sollten die Umsetzungsprojekte so angelegt sein, dass Treiber und förderliche Faktoren aufgegriffen werden, wohingegen Risikofaktoren und hemmende Faktoren möglichst frühzeitig erkannt und vermieden werden sollten. Dies erforderte neben der transdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, um neben der technischen Machbarkeit der PtX-Pfade auch wirtschaftliche, ökologische oder gesellschaftliche Aspekte mitberücksichtigen zu können. Übersicht über die entwickelte integrale Methode Bild 1 zeigt die im vorliegenden Projekt entwickelte integrale Vorgehensweise, welche aus vier Schritten besteht. Schritt 1 und Schritt 2 stellen dabei prinzipiell einmalig durchzuführende Schritte dar (unter dem Vorbehalt einer Aktualisierung von Zeit zu Zeit). Dahingegen setzen Schritt 3 und Schritt 4 auf den zuvor gewonnenen übertragbaren Ergebnissen auf und müssen für jeden interessierten Praxisakteur individuell durchgeführt werden. Schritt 1 diente der Identifikation der grundsätzlich relevanten PtX-Pfade. Die Relevanz bemisst sich zum einen an theoretischen Kriterien - dem Technology Readiness Level als Kennzeichen der technologischen Reife, der Gesamteffizienz des Pfades sowie einer ersten Abschätzung des gesellschaftlichen Akzeptanzgrades. Zum anderen wurden bereits in Deutschland existierende bzw. in der Erprobung befindliche PtX-Umsetzungsprojekte analysiert. Dann wurde die noch resultierende Liste möglicher Pfade durch eine Expertenbewertung weiter reduziert. Letztendlich konnten die 278 ursprünglichen Pfade (welche durch eine Kombination unterschiedlicher Erzeugungstechnologien mit unterschiedlichen Umwandlungstechnologien, unterschiedlichen Speichertechnologien sowie unterschiedlichen sektoralen Nutzungsmöglichkeiten gewonnen wurden) auf eine Liste mit sechs grundlegend unterschiedlichen und relevanten PtX-Pfaden reduziert werden. Darunter sind drei Pfade, welche auf der Umwandlung von Strom über einen Elektrolyseur zu Wasserstoff basieren, dann jedoch den Wasserstoff unterschiedlichen Nutzungszwecken zuführen (als Treibstoff für Wasserstoff-Mobilität, als Beimischung in das Erdgasnetz beispielsweise zu Heizzwecken, für die stoffliche Nutzung in der chemischen Industrie). Daneben gibt es einen weiteren Pfad, in dem der Strom direkt zu Mobilitätszwecken eingesetzt wird („Power-to-eMobility“), einen Pfad, wo der Strom zu (Heiz-)wärme umgewandelt wird und einen Pfad, wo der Strom über Kompressionskältemaschinen für die Kälteerzeugung verwendet wird. Im zweiten Schritt wurden diese 6 PtX-Pfade interdisziplinär analysiert. Die Analyse erfolgte in den Kriteriengruppen „Überblick/ Allgemeines“, „Technologie“, „Strukturelles“, „Anforderungen an die Informations- und Kommunikationstechnologie“, „Ökonomie“, „Recht & Regulatorik“, „Nachhaltigkeit“, „Energiesystemdienlichkeit“, „Bezug zu Megatrends“ und „Akzeptanz“. Dabei enthielt jede Kriteriengruppe mehrere konkrete Kriterien. Insgesamt ergaben sich hierdurch 63 Kriterien, nach denen die PtX-Pfade bewertet wurden. Die Ergebnisse für alle Kriteriengruppen wurden teils in eigenständigen Ergebnisberichten dokumentiert, darüber hinaus jedoch alle in einem Excel-basierten, interaktiv bedienbaren Bewertungstool zusammengestellt. Aufgrund der Vielzahl detaillierter Ergebnisse wurde pro Pfad zudem eine zusammenfassende Bewertung der Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken (SWOT-Analyse) durchgeführt und ebenfalls in das Bewertungstool integriert. Der dritte Schritt dient dazu für eine konkrete Kommune bzw. ein konkretes Versorgungsgebiet (hier: aus Sicht der WSW als lokales Stadtwerk in Wuppertal) den PtX-Pfad auszuwählen, der unter Identifikation relevanter PTX-Pfade Interdisziplinäre Analyse der identifizierten PtX- Pfade Transdisziplinäre Zusammenarbeit zur Auswahl PtX-Pfad Als grundsätzlich relevant identifizierte PtX-Pfade Umfassendes, interdisziplinäres Bewertungs-Tool für PtX-Pfade Für Umsetzungsvorbereitung ausgewählter PtX-Pfad Konzept Geschäftsmodell & Umsetzungs-Roadmap für ausgewählten PtX-Pfad SCHRITT 1 SCHRITT 2 SCHRITT 3 SCHRITT 4 Einmalig durchzuführende Schritte Für jeden Praxisakteur durchzuführende Schritte Entwicklung Geschäftsmodell & Roadmap für ausgewählten PtX-Pfad Bild 1: Entwickelte integrale Methode. © Kanngießer et al. 62 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation den lokalen Rahmenbedingungen für eine Umsetzung am interessantesten ist. Hierzu ist die transdisziplinäre Zusammenarbeit mit dem lokalen Praxisakteur essentiell. Hierfür bestehen zwei Optionen, in Abhängigkeit davon, ob die Auswahl durch einen Vertreter des Praxisakteurs oder eine Personengruppe durchgeführt werden soll und auf welcher Detailtiefe die Auswahl erfolgen soll. Im vorliegenden Projekt wurde die zweite Option gewählt, indem ein Workshop mit mehreren Vertretern der WSW durchgeführt wurde. Auf Basis der SWOT-Analyse wurden die verschiedenen Pfade vorgestellt, diskutiert und mit den lokalen Rahmenbedingungen abgeglichen. Im Anschluss ist es sinnvoll, eine sektoralräumliche Analyse durchzuführen, um weitere lokale Akteure bzw. insbesondere die Kunden für den oder die Pfad(e), welche sich in der engeren Auswahl befinden, zu identifizieren. Ebenso ist es empfehlenswert, einen Workshop mit den so identifizierten lokalen Akteuren bzw. Kunden durchzuführen (oder alternativ Interviews mit ihnen zu führen), um die Auswahl des umzusetzenden PtX-Pfads final zu treffen bzw. zu bestätigen. Der vierte Schritt dient dazu, ein Geschäftsmodell für den zur Umsetzung ausgewählten PtX-Pfad zu entwickeln sowie anschließend eine Roadmap abzuleiten, wie das Geschäftsmodell sukzessive implementiert werden kann. Im Rahmen des vorliegenden Projektes erfolgte die Entwicklung und Dokumentation des Geschäftsmodells anhand des so genannten Business Model Canvas nach Osterwalder. Aufgrund der sehr strukturierten Vorgehensweise, der hohen Kundenorientierung und der kompakten Dokumentation erwies sich dieses Tool als empfehlenswert. Die Entwicklung des Geschäftsmodells sollte ebenfalls in transdisziplinärer Zusammenarbeit erfolgen und idealerweise die Anforderungen und Wünsche der späteren Kunden explizit einholen. Für Letzteres können Synergieeffekte mit den Kunden-Workshops bzw. Kunden- Interviews aus Schritt 3 generiert werden. Ergebnisse Geschäftsmodellentwicklung für betriebliche Elektromobilität Im vorliegenden Projekt wurde im Zuge von Schritt 3 der PtX-Pfad „Power-to-eMobility“ als für Wuppertal weiter auszugestaltender Pfad ausgewählt, mit dem spezifischen Fokus auf betrieblichen Elektromobilitätsflotten. Kundengruppe Beispiele Spezifika Unternehmen mit Dienstleistungen, bei denen Autofahrten den Kern des Geschäftsmodells darstellen Pflegedienste, Lieferdienste, Transport von Personen mit Handicap, etc. − Die Fahrzeuge haben nur kurze Parkzeiten am Geschäftssitz − Tägliche Fahrten zu vielen unterschiedlichen Orten, in der Regel kürzere Strecken − Eher homogene Flotten − Teilweise werden Fahrzeuge von Mitarbeitern abends mit nach Hause gekommen Unternehmen des produzierenden Gewerbes und von Dienstleistern, bei denen Fahrten lediglich dazu dienen, zum Arbeitsstandort bzw. zu Kunden zu gelangen Produzierendes Gewerbe (zum Beispiel: Hersteller Werkzeuge), Versicherungsunternehmen, etc. − Die Fahrzeuge bleiben typischerweise länger am Geschäftssitz − Die Fahrzeuge machen wenige Fahrten pro Tag zu wenigen unterschiedlichen Zielen, aber legen dafür eher längere Distanzen zurück. − in der Regel Parkflächen am Geschäftssitz für Kunden/ Lieferanten/ Besucher/ Mitarbeiter − Sonderrolle Autohäuser/ Werkstätten: Infrastruktur zu Demonstrationszwecken benötigt Tabelle 1: Resultierende Klassifizierung der Kundengruppen für betriebliche Elektromobilität. Bild 2: Roadmap für einen lokalen Energieversorger, der Dienstleistungen zur betrieblichen Elektromobilität anbieten möchte © Kanngießer et al. 63 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Basierend auf der Lokalexpertise der WSW wurde nach Pfadauswahl eine Gruppierung der potenziell relevanten Kundengruppen für betriebliche Elektromobilitätsflotten vorgenommen. Die sechs originären Kundengruppen „Liefer- und Kurierdienste“, „Produzierendes Gewerbe“, „Kommunale Unternehmen“, „Automobilindustrie“, „Autohäuser und Werkstätten“ sowie „Sonstige Unternehmen deren Geschäftsmodell mit Automobilen verbunden ist“, konnten zu zwei Hauptgruppen kondensiert werden, die Gemeinsamkeiten in der Nutzung von betrieblicher Elektromobilität erwarten ließen (vgl. Tabelle 1). Der anschließende Entwurf eines Geschäftsmodells für die WSW - wobei die WSW hierbei stellvertretend stehen für kommunale Akteure (spezifisch: Stadtwerke), die Services rund um das Thema betriebliche Elektromobilität anbieten wollen - erfolgte wie oben bereits beschrieben mit Hilfe der Business Model Canvas. Zunächst wurden die verschiedenen Kundensegmente identifiziert und in Hinblick auf ihre Bedürfnisse charakterisiert. Im nächsten Schritt galt es, die potenziell durch den lokalen Akteur (hier: die WSW) anbietbaren Leistungsbausteine zu identifizieren und zu charakterisieren. Diese wurden - neben einer strategischen Bewertung seitens WSW, welche Leistungsbausteine selbst ausgeführt werden sollen, welche möglicherweise über einen Partner angeboten werden können und welche gar nicht angeboten werden sollen - anschließend den zuvor identifizierten Kundenbedürfnissen gegenübergestellt, um sie hinsichtlich ihrer Relevanz zu priorisieren. Auf dieser Basis konnten weitere Aspekte des Geschäftsmodells ausgearbeitet werden: einerseits die bei den WSW zu etablierenden Schlüsselaktivitäten mitsamt den dafür benötigten Ressourcen sowie auch die zu akquirierenden Partner. Andererseits wurden mögliche Erlösströme und anfallende Kosten analysiert sowie mögliche Kommunikationsstrategien und Kanäle zur Kundenansprache zusammengestellt. Nach Fertigstellung dieses grundlegenden Geschäftsmodellentwurfes enthielt dieser 19 verschiedene Leistungsbausteine, die sich wiederum in die vier zentralen Produkte (Potenzialanalyse und -beratung, Nutzungsberatung, Anpassungsberatung und erweiterte Services) unterteilen ließen. Diese wurden anschließend in Kernbausteine und Ergänzungsbausteine unterteilt sowie eine Zuordnung zu den drei Phasen „Vorentwicklung“, „Detaillierung“ und „Servitization“ vorgenommen. Dabei war zusätzlich zu berücksichtigen, welche Leistungsbausteine inhaltlich aufeinander aufbauen. Die resultierende Roadmap ist in Bild 2 zu finden. Die Roadmap zur Umsetzung des Geschäftsmodellentwurfs differenziert neben den zuvor genannten Phasen zwischen Beratungs-, Umsetzungs- und Service-Elementen. Während die Beratungselemente die zentralen Produkte darstellen, die es zu entwickeln gilt, sind auch die Umsetzungselemente für die Kunden des lokalen Stadtwerks von Bedeutung. Denn die Umsetzung einer robusten und mit hoher Verfügbarkeit versehenen Ladeinfrastruktur bedarf einer soliden technischen Auslegung sowie deren Umsetzung. Darin muss eine komplexe Koordination erfolgten, die die unterschiedlichen Unternehmen, die einerseits die Auslegung und andererseits die Umsetzung durchführen, einsetzt, steuert und begutachtet. Die befragten Kunden erwarten zudem eine sinnvoll konfigurierte Gesamtlösung, sodass Ergänzungsbausteine die vorrangig der Phase „Servitization“ zuzuordnen sind, entwickelt, getestet und angeboten werden müssen. Das komfortable Nutzen einer Ladeinfrastruktur steht dabei im Fokus der Betrachtung. Der Einsatz industrieller Lademanagementsysteme, das einfache Abrechnen unterschiedlicher Nutzergruppen sowie das Management von Fahrzeugflotten sind nur Beispiele für Produkte einer nachhaltigen Geschäftsbeziehung zwischen Stadtwerk und Endkunden. Es gilt dennoch die Aspekte des Geschäftsmodells schrittweise entlang der Phasen zu entwickeln und früh mit Pilotkunden Erfahrungen zu machen, die einen soliden Aufbau des PtX-Pfades „Power-to-eMobility“ gewährleisten. Dr. Annedore Kanngießer Stellv. Abteilungsleiterin Energiesysteme Fraunhofer UMSICHT Kontakt: annedore.kanngiesser@umsicht.fraunhofer.de Jan Hicking Bereichsleiter Informationsmanagement Forschungsinstitut für Rationalisierung (FIR) an der RWTH Aachen Kontakt: jan.hicking@fir.rwth-aachen.de Stefan Jaeger Mitarbeiter im Fachbereich „Produktentwicklung Energiedienstleistungen und neue Technologien“ WSW Energie & Wasser AG in Wuppertal Kontakt: stefan.jaeger@wsw-online.de AUTOR*INNEN 64 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Einleitung und Problemstellung Der Anteil der Energieproduktion und des Verkehrssektors an den gesamten CO 2 -Emissionen ist sowohl in der Europäischen Union [1] als auch in Deutschland [2] erheblich. Um die nationalen [3], aber auch europäischen Klimaschutzziele [4] zu erreichen, ist eine sektorale Dekarbonisierung im Zuge einer Energie- und Verkehrswende nötig. Ein wesentliches Strukturmerkmal der Energiewende ist ein hohes Maß an Dezentralität in der Energieerzeugung. Dieses wird durch die verteilte Erzeugungsstruktur erneuerbarer Energien, der dadurch veränderten Akteursstruktur und durch zuschaltbare Lasten, wie zum Beispiel Wärmepumpen oder Ladestationen für E-Fahrzeuge, bedingt. Innerhalb der Verkehrswende stellt Strom in Bezug auf die voranschreitende Entwicklung der E-Mobilität perspektivisch den wichtigsten Energieträger dar [3], weshalb eine Sektorenkopplung des Energie- und Verkehrssektors zunehmend an Bedeutung gewinnt. Dazu können Wohnquartiere in Städten zukünftig einen wichtigen Beitrag leisten: In sogenannten „Smart Cities” sind dezentrale Energieerzeugungsanlagen und Verbraucher (auch zuschaltbare Lasten) auf lokaler Ebene intelligent miteinander verbunden, was die Effizienz und Nutzerfreundlichkeit steigern kann [5]. Wird beim Neubau oder der Sanierung eines Wohnquartiers jedoch kein integrativer Ansatz verfolgt, gehen Synergieeffekte zwischen den Sektoren verloren, was zu einer geringeren Gesamteffizienz des lokalen Systems führt. Ein Beispiel ist das Laden eines E-Fahrzeugs mit Graustrom aus dem Netz, anstatt mit lokal erzeugtem Grünstrom. Es bedarf also integrativer lokaler Energie- und Mobilitätskonzepte (im Folgenden innovative Quartierskonzepte), deren Bestandteile über entsprechende Technologien, wie beispielsweise ein intelligentes Messsystem, lokal vernetzt werden können. Die Umsetzung innovativer Quartierskonzepte kann durch geringe Wirtschaftlichkeit und veränderte institutionelle Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel neue Akteursstrukturen, mit Herausforderungen verbunden sein. Der dezentrale Charakter ist in klassischen Rollen- und Geschäftsmodellen der Energiewirtschaft nicht berücksichtigt. Der gegenwärtige regulatorische Rahmen berücksichtigt neue technologische Umsetzungen der Sektorenkopplung ebenfalls nur bedingt, was einen direkten Einfluss auf mögliche Geschäftsmodelle dieser Konzepte und demzufolge auf deren Wirtschaftlichkeit hat. So bestehen im derzeitigen Rechtsrahmen beispielsweise keine Privilegierungen für den Einsatz von Elektrodenkesseln (Power-to-Heat-Anlagen) zu Zeiten hoher Grünstromproduktion [6]. Mit Blick auf zukünftige Entwicklungspfade der Mobilität und dem Ausbau von Ladeinfrastruktur (LIS) für E-Fahrzeuge stellt die Flächenverfügbarkeit bei der Planung und Umsetzung innovativer Innovative Quartierskonzepte im urbanen Raum Praxisbeispiele für eine integrierte Energie- und Verkehrswende in Berlin E-Mobilität, Dezentrales Energiekonzept, Smart City, Ladeinfrastruktur, Intelligentes Laden, Wohnquartiere Adrian Feltes, Maxim Blankschein, José Mercado Dieser Fachbeitrag erläutert anhand zweier Berliner Praxisbeispiele innovativer Quartierskonzepte, inwiefern die lokale Systemeffizienz in urbanen Wohnquartieren erhöht und gleichzeitig die Emissionen des Energie- und Verkehrssektors reduziert werden können. Diese Praxisbeispiele stammen aus den Forschungsprojekten LaWoMa und MEISTER, in welchen unter anderem die intelligente Vernetzung dezentraler Energie- und Mobilitätskonzepte analysiert wird. Durch gezielte Implementierung innovativer Kommunikationstechnologien kann der Betrieb beider Konzepte optimal aufeinander abgestimmt werden. 65 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Wohnquartiere eine weitere Herausforderung dar [7]. Nicht jeder Anwohner besitzt Zugang zu einem privaten Stellplatz und somit auch nicht zu einem privaten Ladepunkt. Auch die Nutzungskonkurrenz an Ladeinfrastrukturen nimmt zu, da zunehmend weitere Akteure, wie zum Beispiel E-Car- oder E- Ridesharing-Anbieter, die Nutzung der Ladeeinrichtungen beanspruchen [8]. Diese Herausforderungen bestehen auch in zwei Berliner Wohnquartieren - dem Wohnpark Mariendorf und der Wasserstadt Oberhavel. Das IKEM analysiert und erprobt in diesen Quartieren mit diversen Praxispartnern konkrete Lösungsansätze innovativer Quartierskonzepte, die hier vorgestellt werden. Dimensionen und Bestandteile eines innovativen Quartierskonzepts Das Gesamtsystem möglicher Lösungen eines innovativen Quartierskonzepts ist in Bild 1 dargestellt und besteht aus drei Dimensionen: dem Energiekonzept, dem Mobilitätskonzept und dem Kommunikationssystem. Das lokale Energiekonzept besteht in erster Linie aus verschiedenen Anlagen zur Erzeugung bzw. Speicherung von elektrischer und/ oder thermischer Energie, welche in der Theorie unterschiedlich miteinander kombiniert werden können. Für diesen Beitrag wird beispielhaft das Energiekonzept des Berliner Smart City-Projektes in Mariendorf skizziert [9]. Das lokale Mobilitätskonzept verfolgt das Ziel, die Marktdurchdringung von E-Mobilität lokal zu erhöhen. Dementsprechend umfasst dieses Konzept neben der Umsetzung spezifischer Sharingangebote vor allem die kosteneffiziente Implementierung öffentlich zugänglicher LIS, deren Betrieb anhand von Parkraumdetektions-, Informations- und Kommunikationstechnologien nutzerfreundlich gestaltet wird. Die vorgestellten Mobilitätsinnovationen stammen aus den Projekten LaWoMa [10] und MEISTER [11]. Die dritte Dimension eines innovativen Quartierskonzepts liegt in einem Kommunikationssystem, welches Informationen aus dem Energie- und Mobilitätssystem an die Nutzer*innen des Quartiers übermittelt. Gleichzeitig ermöglicht das Kommunikationssystem die intelligente Übermittlung von Informationen zwischen dem Energie- und Mobilitätssystem sowie innerhalb der einzelnen Systeme. Die Stromproduktion der in Mariendorf installierten Photovoltaikanlage ist aufgrund von Witterung fluktuierend und periodisch. Mittels eines Batteriespeichers kann die produzierte elektrische Energie zwischengespeichert und somit besser an die Stromnachfrage angepasst werden. Strom wird zusätzlich auch in einem Blockheizkraftwerk (BHKW) lokal produziert. In diesem wird durch Zufuhr eines Brennstoffs (zum Beispiel: Erdgas, Biogas oder Biomasse) durch Kraft-Wärme-Kopplung neben elektrischer Energie auch thermische Energie Mobilitätskonzept Ladepark, Lastmanagement, Vehicle-to-Grid, E-Carsharing, Parkraumdetektion Kommunikation Intelligentes Messsystem, Mobilitätsapp, Nutzer-Authentifizierung, E-Roaming-Plattform Energiekonzept PV-Anlage, Batteriespeicher, Blockheizkraftwerk, Brennwertkessel, Elektrodenkessel, Wärmespeicher, Netzanschluss, Betriebsführung Bild 1: Bestandteile und Dimensionen eines innovativen Quartierskonzepts in Berliner Pilotprojekten. © Odile Stabon, Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität, 2020 66 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation erzeugt. In dem Mariendorfer „Smart City Quartier” wird Wärme zudem auch in Brennwertkesseln und einem Elektrodenkessel produziert. In einem Elektrodenkessel wird durch elektrische Energie thermische Energie mit geringen Wirkungsgradverlusten erzeugt. In einem dezentralen Energiesystem kann ein Elektrodenkessel auch mit der lokal erzeugten elektrischen Energie betrieben werden. Anhand eines Wärmespeichers kann die thermische Energie zudem zwischengespeichert und somit stärker mit der Wärmenachfrage in Einklang gebracht werden. Wesentliche Entscheidungen hinsichtlich des Betriebs der in Mariendorf installierten Energieerzeugungs- und -speicheranlagen werden in der Betriebsführung festgelegt. Zunächst wird auf Basis eines Fahrplans bestimmt, wann welche Kraftwerkstypen eingeschaltet und somit zur Deckung des lokalen Strom- und Wärmebedarfs genutzt werden. Gleichzeitig wird in der Betriebsführung auch entschieden, wann der Batteriespeicher geladen und entladen, bzw. wann der Wärmespeicher gefüllt oder geleert wird. Weiterhin wird festgelegt, wann Strom aus dem Netz zur Deckung des lokalen Strom- und Wärmebedarfs zu verwenden ist. Grundsätzlich kann die Fahrweise des BHKW in der Betriebsführung nach dem lokalen Strom- oder Wärmebedarf sowie bei der Möglichkeit einer Netzeinspeisung auch nach dem aktuellen Strommarktpreis ausgerichtet sein [12]. Die Entscheidungen, welche im Rahmen der Betriebsführung getroffen werden, sind also maßgeblich für die Zusammensetzung der Energiebilanz der lokalen Strom- und Wärmenachfrage. Perspektivisch kann die Betriebsführung durch eine intelligente Vernetzung vollkommen automatisiert erfolgen, was die Umsetzung bestimmter Optimierungsansätze - wie beispielsweise ein minimaler Bezug von Netzstrom - nochmals verbessern kann [13, 14]. Ferner kann den Mieter*innen durch im Quartier effizient erzeugten Strom ein im Vergleich zum konventionellen Strombezug günstigerer Stromtarif angeboten werden [9]. Der Stromverbrauch des Ladeparks, bei welchem in Mariendorf sieben Ladepunkte an einem Netzanschluss angeschlossen sind, wird durch ein statisches Lastmanagementsystem (LMS) gesteuert. Das LMS ermöglicht die Installation mehrerer Ladepunkte mit unveränderter Anschlusskapazität. Ein solches LMS verteilt eine für alle Ladepunkte vorgegebene Ladeleistung gleichmäßig auf mehrere angeschlossenen E-Fahrzeuge, in Abhängigkeit davon, in wie viele E-Fahrzeuge gleichzeitig elektrische Energie übertragen wird [15]. Durch ein LMS können kostenintensive, einmalige Erhöhungen der Anschlusskapazität und hohe Lastspitzen vermieden werden. Allerdings kann die Errichtung eines Ladeparks auf vorher anders genutzten Parkflächen (zum Beispiel: Mieterparkplätzen) die lokale Flächenkonkurrenz („Parkdruck“) stark erhöhen. Um die Nutzungseffizienz und gleichzeitig die Nutzerfreundlichkeit zu erhöhen, werden die Ladestellplätze mittels geeigneter Detektionstechnik überwacht. Parkraumdetektoren identifizieren über Sensoren den Belegstatus der Parkplätze innerhalb des Wohngebiets. Mit Hilfe von Kommunikations-Hardware und einer intelligenten Buchungs- und Roaming-Plattform [16], welche über eine Mobilitäts-App (MoA) aufgerufen werden kann, könnten die Nutzer*innen von E-Fahrzeugen freie Parkplätze in Echtzeit ausfindig machen und buchen. Auf diese Weise wird die Nutzungsintensität der LIS und somit deren Wirtschaftlichkeit gesteigert. Zudem können die Nutzer*innen in der MoA zukünftig auch die aktuell maximal mögliche Ladeleistung der Ladepunkte ermitteln, welche in Abhängigkeit der derzeitigen Nachfrage in dem Ladepark bereitgestellt werden kann. Perspektivisch können die Nutzer*innen zudem Informationen zu den derzeitigen Stromquellen der Ladevorgänge in der MoA abrufen. Darüber hinaus wird den Mieter*innen in den MEISTER-Pilotstandorten in Berlin Falkenberg und Mariendorf Zugang zu einer Flotte von quartierseigenen E-Carsharing-Fahrzeugen ermöglicht, wodurch wiederum die Flächenkonkurrenz beim Parken gesenkt und gleichzeitig die Nutzungseffizienz der Ladestellplätze erhöht werden kann. Die Umsetzung derartiger E-Carsharing-Modelle kann zudem zu einer erheblichen Senkung der Fahrzeuggesamtkosten und der CO 2 -Emissionen beitragen, da sich verschiedene Nutzer*innen die gemeinsamen Ausgaben der E-Fahrzeuge teilen und Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren ersetzt werden. Die Nutzungsintensität des Ladeparks kann durch eine intelligente Buchungs- und Abrechnungsplattform gesteigert werden, welche in MEISTER gegenwärtig konzipiert und getestet wird. Die Entwicklung dieser Plattform verfolgt das Ziel, Verbindungen zu den bestehenden Betreibern von Abrechnungspunkten herzustellen, um Endkund*innen perspektivisch einen anbieter- und betreiberunabhängigen, EU-weiten Zugang zu den Ladepunkten zu ermöglichen. Die Plattform kann auf diese Weise externen Nutzer*innen verschiedener, nichtlokaler Betreiber ermöglichen, ihre Fahrzeuge an den Ladepunkten im Wohnquartier aufzuladen. Die Nutzer*innen von E-Fahrzeugen können so anbieterübergreifende Abrechnungsprozesse, insbesondere über die MoA oder eine RFID-Karte, vornehmen. 67 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Ferner könnte der Stromverbrauch der Ladevorgänge zukünftig durch ein intelligentes Messsystem, bestehend aus einem Gateway und intelligenten Zählern, digital registriert werden. Das intelligente Messsystem kann gleichzeitig die Authentifizierung unterschiedlicher Nutzer*innen an den Ladepunkten erlauben. Durch diesen digitalen Informationsaustausch erfolgt im Anschluss auch die Abrechnung der Ladevorgänge [5]. Der Preis eines Ladevorgangs könnte für die Nutzer*innen wiederum sofort in der MoA sichtbar sein [17]. Diskussion und Fazit Der integrative Ausbau der zuvor vorgestellten Konzepte kann einen wesentlichen Beitrag zur Treibhausgasminderung, insbesondere in urbanen Wohnquartieren, leisten, indem lokal erzeugter (grüner) Strom direkt im Wohnquartier genutzt wird. Dieses Potenzial ist einerseits von den Erzeugungstechniken und den verwendeten Brennstoffen, andererseits aber auch von der Harmonisierung der lokalen Stromerzeugung und -nachfrage abhängig. Erfolgt keine Harmonisierung durch entsprechende Kommunikation, Lastmanagement oder angepasstes Nutzerverhalten (wie in Bild 1 dargestellt), wird in solchen Systemen zunehmend „Graustrom“ aus dem Netz bezogen, was sich negativ auf die Treibhausgaseinsparung auswirken kann. Wenn überschüssiger Strom aus Wohnquartieren in das allgemeine Stromnetz eingespeist wird, könnten zudem zunehmend konventionelle Kraftwerke aus dem nationalen Kraftwerkspark gedrängt werden, was einen positiven Einfluss auf die Gesamtemissionen Deutschlands hätte. Die Umsetzungsmöglichkeiten innovativer Quartierskonzepte sind von deren Wirtschaftlichkeit abhängig, welche die lokalen Akteure im Rahmen neu entworfener Geschäftsmodelle erzielen können. Quartierskonzepte sind vergleichsweise mit hohen Investitionskosten verbunden. Die Amortisationszeit dieser Investitionen, insbesondere mit Blick auf LIS, ist stark von der Nachfrageentwicklung abhängig, die derzeit nur bedingt prognostizierbar ist [18,- 19]. Weiterhin sind Privilegierungen des Betriebs innovativer Energie- und Mobilitätskonzepte häufig nicht im Rechtsrahmen abgebildet, was einen direkten Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit hat. Folglich ist eine Anpassung des derzeitigen Rechtsrahmens und der Rollenmodelle notwendig, um den Mehrwert innovativer Konzepte berücksichtigen zu können [20]. Aus Nutzerperspektive zeigen sich schon heute positive Vorteile dieser Konzepte. Für die Stromkund*innen in einem Quartier besteht im Hinblick auf die Stromherkunft im Vergleich zum Netzbezug ein hohes Maß an Transparenz. Weiterhin ist durch Smart Meter oder einer MoA eine direkte Kommunikation mit den Nutzer*innen möglich, was ebenfalls die Transparenz der Verbräuche erhöht und eine höhere Planungssicherheit (beispielsweise für notwendige Ladevorgänge) schafft. Die Planungssicherheit kann zum Beispiel durch ein fahrplan-basiertes Lastmanagement unterstützt werden. Dieses berücksichtigt neben der Auslastung des Netzanschlusses ebenso Faktoren wie den eigentlichen Energiebedarf sowie Fahrpläne von Flotten oder einzelnen Fahrzeugen [21]. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass innovative Quartierskonzepte durch Effizienzsteigerung des jeweiligen Systems und durch das Ausschöpfen von Synergieeffekten einen Beitrag zu „Transforming Cities“ und zum Erreichen der Klimaziele leisten können. Welche Effekte und Synergien der einzelnen Konzepte an den Pilotstandorten entstehen, wird aktuell in den Projekten LaWoMa und MEISTER analysiert. Inwiefern eine Skalierbarkeit innovativer Quartierskonzepte gegeben ist, muss weiter untersucht werden. Auch der Markthochlauf der E-Mobilität und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle haben einen großen Einfluss auf die Umsetzbarkeit sowie Skalierbarkeit solcher Konzepte und stellen demnach einen weiteren Forschungsbedarf dar. LITERATUR [1] Europäische Kommission: Greenhouse Gas Emission Statistics - Emission Inventories. Brüssel, 2019. Online abrufbar unter: https: / / ec.europa.eu/ eurostat/ statistics-explained/ pdfscache/ 1180.pdf. Letzter Zugriff am 20. April. 2020. [2] Umweltbundesamt: Emissionen Ausgewählter Treibhausgase nach Kategorien. Dessau-Roßlau, 2018. Online abrufbar unter: https: / / www.umweltbundesamt.de/ daten/ klima/ treibhausgas-emissionen-indeutschland#emissionsentwicklung-1990-bis-2017. Letzter Zugriff am 20. April 2020. [3] Agora Verkehrswende: 12 Thesen zur Verkehrswende. Berlin, 2017. Online verfügbar unter: https: / / w w w.agora-verkehrswende.de/ fileadmin/ Projekte/ 2017/ 12_Thesen/ Agora-Verkehrswende-12-Thesen-Kurzfassung_WEB.pdf. Letzter Zugriff am 20. April 2020. [4] Europäische Kommission: The European Green Deal. Brüssel, 2019. Online abrufbar unter: https: / / ec.europa.eu/ info/ sites/ info/ files/ european-greendeal-communication_en.pdf. Letzter Zugriff am 20. April 2020. [5] Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi): Gutachten Digitalisierung der Energiewende. Topthema 3: TK-Netzinfrastruktur und TK- Regulierung. Berlin, 2018. Online abrufbar unter: https: / / www.bmwi.de/ Redaktion/ DE/ Publikationen/ Studien/ digitalisierung-der-energiewende-thema-3. pdf ? _ _blob=publicationFile&v=10. Letzter Zugriff am 18. April 2020. 68 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation [6] Doderer, H., Steffensen, S., Schäfer-Stradowsky, S.: Positionspapier. Power-to-Heat. Eine Chance für die Energiewende. Berlin, 2018. Online abrufbar unter: https: / / www.ikem.de/ wp-content/ uploads/ 2018/ 03/ 20180306_IKEM_Positionspapier_Power-to-Heat.pdf. Letzter Zugriff am 18. April 2020. [7] Notz, J. N.: Die Privatisierung öffentlichen Raums durch parkende Kfz. Von der Tragödie einer Allmende - über Ursache, Wirkung und Legitimation einer gemeinwohlschädigenden Regulierungspraxis. Berlin, 2017. Online abrufbar: https: / / www.ivp.tu-berlin.de/ fileadmin/ fg93/ Dokumente/ Discussion_ Paper/ DP10_Notz _ Privatisierung _%C3%B6ffentliche n_Raums_durch_parkende_Kfz.pdf. Letzter Zugriff am 18. April 2020. [8] Gewobag: Sharing is Caring: Gewobag und Volkswagen-Sharing-Tochter WeShare starten E-Mobility Kooperation. Berlin, 2019. Online abrufbar unter: https: / / w w w.gewobag.de/ ueber-uns/ presse-undmedien/ sharing-iscaring-gewobag-und-volkswagen-sharing-tochter-weshare-starten-e-mobility-kooperation/ . Letzter Zugriff am 20. April 2020. [9] Ernst, R.: Smarte Technologien im Quartier - Energetische Modernisierung des „Wohnparks Mariendorf “ der Gewobag in Berlin. In: Wohnungswirtschaft heute. digital. Jahrgang 2019. Ausgabe 9. 7 Seiten. Bosau, 2019. Online abrufbar unter: https: / / wohnungswirtschaft-heute.de/ wp-content/ uploads/ 2019/ 09/ Smarte-Technologien-Energetische-Modernisierung- Wohnpark-Mariendorf-Berlin-Gewobag.pdf. Letzter Zugriff am 20. April 2020. [10] Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.: LaWoMa - Energieversorgungskonzept für den Wohnpark Mariendorf. Berlin. Online abrufbar unter: https: / / www.ikem.de/ portfolio/ lawoma/ . Letzter Zugriff am 20. April 2020. [11] EU-Projekt Meister: Pilots. Solutions Tested in Each City, 2018. Online abrufbar unter: https: / / meisterproject.eu/ pilots/ . Letzter Zugriff am 20. April 2020. [12] Arbeitsgemeinschaft für Sparsamen und Umweltfreundlichen Energieverbrauch e. V.: BHKW Grundlagen. Hamburg, 2010. Online abrufbar unter: https: / / www.asue.de/ sites/ default/ files/ asue/ themen/ blockheizkraftwerke/ 2010/ broschueren/ 06_06_10_ bhkw-grundlagen-2010.pdf. Letzter Zugriff am 20. April 2020. [13] Pehnt, M. et al.: Wärmenetzsysteme 4.0. Endbericht - Kurzstudie zur Umsetzung der Maßnahme „Modellvorhaben erneuerbare Energien in hocheffizienten Niedertemperaturwärmenetzen“. Heidelberg, Berlin, Düsseldorf, Köln, 2017. Online abrufbar unter: https: / / www.ifeu.de/ wp-content/ uploads/ W%C3%A4rmenetze-4.0-Endbericht-final. pdf. Letzter Zugriff am 18. April 2020. [14] Schneller, A., Frank, L., Töpfer, K.: Wärmenetze 4.0 im Kontext der Wärmewende. Analyse der Regelungs- und Förderlandschaft innovativer Wärmenetzsysteme. Berlin, 2017. Online abrufbar unter: https: / / www.adelphi.de/ en/ system/ files/ mediathek/ bilder/ W%C3%A4rmenetze%204.0%20im%20 Kontext%20 der%20W%C3%A4rmewende%20-%20adelphi.pdf. Letzter Zugriff am 18. April 2020. [15] Kompetenzzentrum Elektromobilität Nordrhein- Westfalen: Wie steuert man mehrere Ladestationen? Düsseldorf, 2020. Online abrufbar unter: https: / / www.elektromobilitaet.nrw/ infos/ lastmanagement/ . Letzter Zugriff am 18. April 2020. [16] EU-Projekt Meister: Project Objectives, 2018. Online abrufbar unter: https: / / meisterproject.eu/ projectobjetives/ . Letzter Zugriff am 20. April 2020. [17] Marqués, A., Bellver, P.: MEISTER: fostering smart emobility large scale adoption in European cities. In: Proceedings of 8th Transport Research Arena TRA 2020, April 27-30, 2020. Helsinki. Online abrufbar unter: https: / / zenodo.org/ record/ 3747347#.XpbpOv37REZ. Letzter Zugriff am 20. April 2020. [18] Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) und STETE Planung: Elektromobilitätskonzept Stadt Ludwigshafen am Rhein. Heidelberg und Darmstadt, 2019. Online abrufbar unter: https: / / www.ifeu.de/ wp-content/ uploads/ elektromobilitaetskonzept-Ludwigshafen-2019.pdf. Letzter Zugriff am 18. April 2020. [19] Nationale Plattform Elektromobilität: Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge in Deutschland Statusbericht und Handlungsempfehlungen 2015. AG 3 - Ladeinfrastruktur und Netzintegration. Berlin, 2015. Online abrufbar unter: http: / / nationale-plattformelektromobilitaet.de/ fileadmin/ user_upload/ Redaktion/ NPE_ AG3_ Statusbericht_LIS_2015_barr_bf.pdf. Letzter Zugriff am 18. April 2020. [20] Schäfer-Stradowsky, S., Kalis, M., Yilmaz, Y.: Experimentierklauseln für Verbesserte Rahmenbedingungen Bei Der Sektorenkopplung. Juristische Studie. Berlin, 2018. Online abrufbar unter: https: / / www.ikem.de/ wp-content/ uploads/ 2019/ 03/ Experimentierklauself%C3%BCr-verbesserte-Rahmenbedingungen-beider-Sektorenkopplung.pdf. Letzter Zugriff am 18. April 2020. [21] Kiesbauer, G.: Intelligentes Lademanagement: Lastspitzen vermeiden, bedarfsgerecht laden. Mannheim, 2019. Online abrufbar unter: https: / / partner.mvv.de/ blog/ intelligentes-ladelastmanagement-lastspitzenvermeiden-bedarfsgerecht-laden. Letzter Zugriff am 18. April 2020. Adrian Feltes, M. Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Energiewende im Verkehr Institut f. Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V. (IKEM) Kontakt: adrian.feltes@ikem.de Maxim Blankschein, M. Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Energiewende im Verkehr Institut f. Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V. (IKEM) Kontakt: maxim.blankschein@ikem.de Dr.-Ing. José Mercado Wissenschaftlicher Referent Energiewende im Verkehr Institut f. Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V. (IKEM) Kontakt: jose.mercado@ikem.de AUTOREN 69 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Einleitung Unter dem Begriff der Verkehrswende wird seit den 1990er-Jahren ein Paradigmenwechsel in der Steuerung von Mobilität diskutiert [1]. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Infrastruktur des öffentlichen Raums im Sinne des Leitbilds der „autogerechten Stadt“ nach dem motorisierten Individualverkehr (MIV) ausgerichtet. Das Hauptziel der städtischen Verkehrspolitik bestand darin, das Wirtschaftswachstum durch den Ausbau der Infrastruktur zu fördern. Die deutsche Wiedervereinigung, die EU-Erweiterung und der Anstieg der deutschen Bevölkerung haben jedoch neue Stakeholdergruppen hervorgebracht, die sich für den Abbau sozialökologischer Ungleichheiten im Rahmen einer integrierten Verkehrspolitik einsetzen. Charakteristisch hierfür ist die Berücksichtigung der ökonomischen, der ökologischen und der sozialen Dimension für die Stadtentwicklung. Durch die Bereitstellung neuer Mobilitätsangebote soll schließlich eine emissionsarme Fortbewegung gewährleistet werden [2]. Die Verkehrswende zwischen Theorie und Praxis Verkehrswende, Governance, Netzwerke, Kommune Jasmin Rychlik, Malte Möck, Derk T. Trei Dieser Aufsatz skizziert kommunalpolitische Aspekte des Wandels in der deutschen Verkehrspolitik. Anhand des Baus der Lincoln-Siedlung in Darmstadt stellen wir heraus, welche Besonderheiten in der Koordination staatlicher und nichtstaatlicher Akteure dazu beitragen, die Verkehrswende auf kommunaler Ebene erfolgreich voranzutreiben. Den Verlauf der Planungsprozesse betrachten wir dabei vor dem Hintergrund rechtlicher Rahmenbedingungen, die die kommunale Zusammenarbeit strukturieren und Vorgaben für die konkrete Ausgestaltung des Großbauprojekts darstellen. Bild 1: Neubaufelder der Lincoln-Siedlung in Darmstadt. © Torsten Friedrich THEMA Urbane Transformation 70 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Die Einführung neuer Mobilitätsangebote im Zuge der Verkehrswende führt uns zu der Frage, wie sich dieser Paradigmenwechsel auf die konkrete Ausgestaltung der kommunalen Planungsprozesse auswirkt. Ausgehend von einem Überblick über mögliche Steuerungsformen betonen wir die Rolle der Koordination in Netzwerken. Doch nicht nur die Struktur der Netzwerke, sondern auch die rechtlichen Rahmenbedingungen beeinflussen die Ausgestaltung von verkehrsplanerischen Großbauprojekten in der Praxis. Deshalb skizzieren wir in einem zweiten Schritt bundesrechtliche Vorgaben sowie die europäischen und internationalen Rahmenbedingungen. Vor diesem Hintergrund zeigen wir am Beispiel der Lincoln-Siedlung in Darmstadt die Besonderheiten in der Koordination staatlicher und nichtstaatlicher Akteure auf. Die Governance der Verkehrswende und lokale politische Netzwerke Bevor wir uns mit der Frage beschäftigen, welche Besonderheiten in der Koordination staatlicher und nichtstaatlicher Akteure dazu beitragen, die Verkehrswende auf kommunaler Ebene erfolgreich voranzutreiben, wird zunächst ein Überblick über verschiedene Koordinations- und Steuerungsformen skizziert. Diese werden häufig unter dem Begriff der Governance diskutiert. Während sich die klassische Perspektive des Regierens auf staatliche Akteure, eine top-down Verwaltung und Verordnungen konzentriert, nimmt Governance auch Akteure aus Wirtschaft und Gesellschaft sowie andere Formen der Steuerung in den Blick [3]. Zu letzteren zählen eine wettbewerbsorientierte Verschiebung von Anreizen oder die gemeinschaftliche Aushandlung von Regeln. Auch in der Verkehrspolitik ist eine solche Differenzierung analytisch gewinnbringend [4]. Vielfältige Maßnahmen, wie beispielsweise Vorschriften zur Zulässigkeit, Anreize zur Nutzung oder die Etablierung bestimmter Formen der Fortbewegung beeinflussen die Mobilität. Politische Netzwerke haben als Koordinationsform für verkehrsplanerische Prozesse auf lokaler Ebene an Bedeutung gewonnen [5]. Das können Vereine, Bürgerinitiativen, Planungsbüros oder lokale Unternehmen sein. Die Art und Weise, wie sie sich koordinieren, folgt aber auch nicht zwangsläufig einer Anreizstruktur, sondern ist offen für Verhandlungen und Argumente. So können auch gesellschaftliche Akteure gemeinsam mit staatlichen Instanzen und Unternehmen eine Gestaltung von Mobilität in Angriff nehmen. Obwohl ein solcher Koordinationsmodus auf den ersten Blick demokratisch erscheint, können Akteure versuchen, diese Netzwerke zielgerichtet auszugestalten. Sich verfestigende Netzwerkstrukturen, die vor allem auf Vertrauen als Ressource aufbauen [6], erhöhen zwar die Effektivität, können aber die Offenheit für die Partizipation neuer Akteure reduzieren. Im Feld der Verkehrspolitik sind ortsspezifische Problemstellungen besonders wichtig, da sie zwischen urbanen und ländlichen Gebieten sowie zwischen kurzen Strecken und überregionalen Distanzen variieren. Insofern muss eine Verkehrswende an die örtlichen Gegebenheiten angepasst werden und kann von der Beteiligung lokaler Akteure profitieren. Angebote und Technologien sollen nicht nur den Antritt einer Fahrt, sondern auch eine komfortable Ankunft ermöglichen. Deshalb müssen sie flächendeckend und einheitlich sein [7]. Vermissen Reisende am Ziel Mobilitätsoptionen, weil Sharing-Anbieter nur unzureichend oder gar nicht vorhanden sind, bleibt die Fahrt mit dem eigenen Auto attraktiver. Lokale politische Netzwerke müssen sich in der Gestaltung von Großbauprojekten immer auch an den Rahmenvorgaben von Land, Bund, EU und nicht zuletzt der internationalen Ebene orientieren. Bild 2: ÖPNV-Anbindung und Parkraumbewirtschaftung in der Lincoln- Siedlung in Darmstadt. © Torsten Friedrich 71 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Regulierungsvorgaben für die Ausrichtung der hessischen Verkehrspolitik Bevor wir zeigen, wie die konkrete Ausgestaltung der kommunalen Planungsprozesse in Netzwerken erfolgt, geben wir zunächst einen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen, die die interkommunale Zusammenarbeit strukturieren und gleichzeitig die Vorgaben für die konkrete Ausgestaltung des Großbauprojekts bilden. Auf der europäischen Ebene werden politische Leitlinien festgelegt, um Städte und Gemeinden bei der Entwicklung integrierter Konzepte der Verkehrsplanung zu unterstützen [8]. Der Zuständigkeitsbereich der EU umfasst auch die Planung und die Verteilung von Geldern für die transeuropäischen Verkehrswege [9]. Die Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes, die Ergebnisse des Rio Summit von 1992 und das Cardiff-Abkommen trugen dazu bei, die Agenda 21 für eine nachhaltige Transformation der Verkehrslage zu entwickeln. Unter dem Titel „European Climate Change Program“ (ECCP) veröffentlichte die Europäische Kommission ihre Ideen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen [10]. Für die Ausgestaltung der kommunalen Verkehrspolitik ist die europäische Ebene jedoch weniger von Relevanz, da die Kontrolle über die Verwendung dieser Gelder weitgehend in nationaler Hand verbleibt [11]. Mit dem Inkrafttreten des Kyoto-Protokolls, das im Anschluss an die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UN-FCCC) verabschiedet wurde, ist der Klimaschutz auf nationaler Ebene in eine neue Phase eingetreten [12]. Im Rahmen des Kyoto- Protokolls verpflichteten sich die EU-15, ihre Emissionen bis zum Jahr 2012 um 8 % zu reduzieren [13]. Ausgehend von dem Ziel des Pariser Abkommens eine langfristige Entwicklungsstrategie für niedrige Treibhausgasemissionen zu verfolgen, wurde der Aktionsplan darauf ausgerichtet, eine substanzielle Treibhausgasneutralität bis zum Jahr 2050 zu erreichen [14]. Die deutsche Strategie zur Luftreinhaltung ist darauf ausgerichtet, die Einhaltung der EU-Umweltschutznormen einzuhalten [15]. Um diese Normen zu erfüllen, wurde 1974 das Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) verabschiedet und seitdem mehrfach an zahlreiche Bestimmungen des europäischen Rechts angepasst [16]. In dem Gesetz wurden allgemeine Ziele zur Verringerung der Luftverschmutzung in Deutschland durch spezifische Regelungen festgelegt. Mit dem Inkrafttreten des BImSchG haben die Immissionsschutzgesetze der Bundesländer an Bedeutung verloren. Die Zuständigkeit der Länder beschränkt sich seitdem darauf, gesetzliche Verordnungen, zum Beispiel Smogverordnungen, zu erlassen [17]. Das Bundesland Hessen verfügt über einen begrenzten, aber keineswegs zu vernachlässigenden verkehrspolitischen Handlungsspielraum. Die Landesregierung trägt die Verantwortung für die Planung, Umsetzung und den Betrieb der Verkehrsinfrastruktur. Die Landesaufgaben erstrecken sich auf den regionalen Verkehr, einschließlich der Planungsentscheidungen für wichtige Verkehrsknotenpunkte wie Flughäfen, das Landesstraßennetz und die Kreisstraßen [18]. Dazu gehören auch Maßnahmen zur Förderung der Nahverkehrsinfrastruktur, deren budgetäre Mittel vom Bund in Anlehnung an das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz von 1971 zur Verfügung gestellt werden. Das Gesetz regelt eine anteilige finanzielle Beteiligung von Bund, Ländern und Gemeinden. Davon ausgenommen sind Bundesautobahnen und Bundesstraßen, die Eigentum des Bundes sind, der die Kosten für den Bau und die Instandhaltung trägt [19]. Die UN-FCCC und das dazugehörige Kyoto-Protokoll gelten weiterhin als zentrale Bezugspunkte für die Ausrichtung der hessischen Verkehrspolitik, die auf eine Reduktion der Treibhausgasemissionen abzielt [20]. Den Anlass für das Vorhaben, die Treibhausgasemissionen auf Landesebene zu reduzieren, bilden die Grenzüberschreitungen für Luftschadstoffe, die 2003 an verschiedenen Stationen gemessen wurden. Auf der rechtlichen Grundlage der 22.- Verordnung des BImSchG wurde vom Hessischen Ministerium für Umwelt, ländlichen Raum und Verbraucherschutz (HMUKLV) Bild 3: E-Car-Pooling- Fahrzeug für Bewohner*innen an einer Ladesäule. © Mobilitätsamt Darmstadt 72 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation der Luftreinhalteplan für den Ballungsraum Rhein- Main aufgestellt, um die Schadstoffbelastung zu reduzieren [21]. Im Rahmen der Fortschreibung des Luftreinhalteplans wurde - ergänzend zu dem Aktionsplan Darmstadt 2005 - eine Ausdehnung des LKW-Durchfahrverbots beschlossen [22]. Nach der Überarbeitung der 35.- Verordnung zum BImSchG, die vorsah, emissionsarme Fahrzeuge zu kennzeichnen, konnte - je nach Ausmaß der Schadstoffbelastung - eine Unterscheidung der Kraftfahrzeuge anhand von Plaketten vorgenommen werden. Auf dieser rechtlichen Grundlage wurde am 1. November 2015 eine Umweltzone in Darmstadt eingerichtet, die nur noch Fahrzeugen die Zufahrt gestattet, die mit einer grünen Plakette ausgewiesen sind [23]. Die Lincoln-Siedlung in Darmstadt Während die Ziele der Verkehrswende auf Landes-, Bundes- oder europäischer Ebene häufig anhand von abstrakten Kennzahlen, wie der Einhaltung bestimmter Emissionswerte, bestimmt werden, zeigen sich auf lokaler Ebene ganz eigene Dynamiken. Als aktuelles Beispiel betrachten wir die Entstehung der Lincoln-Siedlung in Darmstadt. Die Konversionsfläche im Süden der Stadt soll Raum für 5 000 Menschen bieten - eine Zahl, die nach einem Verkehrsgutachten aus dem Jahr 2010 zu einer Überlastung der anliegenden Verkehrswege und damit des gesamten südlichen Stadtgebietes geführt hätte [24]. Aus dieser evidenten Belastung entwickelte sich eine Dringlichkeit, die durch die örtlichen Fürsprecher genutzt wurde, um alternative Mobilitätskonzepte zu etablieren. Neben der Berücksichtigung nationaler und internationaler Vorgaben zur Emissionsminderung, zeigt sich die Verkehrswende hier vor allem durch das kreative Neudenken bereits bekannter Konzepte. Technische Innovationen werden auf lokaler Ebene höchstens im Rahmen von Pilotprojekten getestet und eher in einem abstrakt-funktionalen Rahmen diskutiert. Neben der Schaffung von alternativen Mobilitätsangeboten, wie beispielsweise einem gut ausgebauten ÖPNV-Netz, der Bereitstellung von Lastenfahrrädern und Bike- und Car-Sharing-Angeboten, sorgt auch ein fundiertes Konzept zur Parkraumbereitstellung und -bewirtschaftung dafür, die Verkehrswende in Darmstadt voranzutreiben. Jedes einzelne Konzept hätte das Mobilitätsangebot erweitert, ohne dabei jedoch zu einer nennenswerten Entlastung beizutragen. Eine Entlastung wird erst durch die Vernetzung der Angebote gewährleistet, die wiederum nur durch die Verschränkung von öffentlichen und privaten Mobilitätsdienstleistern umgesetzt werden kann, die von einer Mobilitätszentrale im Herzen der Lincoln-Siedlung querschnittsorientiert koordiniert wird [25]. Dieses Konzept wurde weitestgehend durch die Verwaltung, in enger Zusammenarbeit mit privatwirtschaftlichen Akteuren erarbeitet, wodurch Netzwerke entstanden sind. Diese Netzwerke weisen einen hohen Grad an Expertise auf. Aus ihrer öffentlich-privaten Zusammensetzung können sie einen Kapazitäts- und Informationsvorteil entwickeln, der es ihnen erlaubt, in Planungsprozessen die Initiative zu ergreifen und ihre eigenen Vorschläge zu platzieren. Sie erweisen sich in diesem Fall also als förderlich für eine Verkehrswende, sofern sie eine gemeinsame Richtung verfolgen. Governance findet dabei nicht jenseits der politischen Arena statt, befähigt diese Netzwerken aber dazu, einen erheblichen Einfluss auszuüben. Die kommunale Leistungsfähigkeit der Verkehrswende wird jedoch durch Entscheidungen begrenzt, die außerhalb ihres Einflussgebietes liegen. Eine besondere Herausforderung liegt für Kommunen dabei in der Verhandlung mit überregional agierenden Unternehmen. Diese verfügen mit dem Hebel des Standortwettbewerbs über ein gerade für stark verschuldete Kommunen empfindliches Druckmittel. Sie lassen sich nur schwer in lokale Netzwerke einbinden, die auf eine Umsetzung der Verkehrswende drängen. Hier bedarf es der Rückbesinnung auf klassische Koordinationsformen, um die Berücksichtigung sozial-ökologischer Aspekte auch für privatwirtschaftliche Akteure attraktiv zu gestalten. So könnte eine bessere Einbindung in örtliche Governance-Prozesse gelingen. Bild 4: Kostenfreies E-Lastenradverleihsystem „Heinerbike“. © Mobilitätsamt Darmstadt 73 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation LITERATUR [1] Canzler, W., Radtke, J.: Der Weg ist das Ziel: Verkehrswende als Kulturwende. Oder: Zur schwierigen Entwöhnung vom Auto. Aus Politik und Zeitgeschichte, 43/ 2019, (2019) S. 33 - 38. [2] Busch-Geertsema, A., Klinger, T., Lanzendorf, M.: Wo bleibt eigentlich die Mobilitaetspolitik? : eine kritische Auseinandersetzung mit Defiziten und Chancen der deutschen Politik und Forschung zu Verkehr und Mobilitaet. Informationen zur Raumentwicklung (2), 2015. [3] Benz, A., Dose, N.: Governance - Modebegriff oder nützliches sozialwissenschaftliches Konzept? In Benz, A., Dose, N. (Hrsg.): Governance - Regieren in komplexen Regelsystemen (2. Auflage ed., (2010) S. 13 - 36). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. [4] Bandelow, N. C., Lindloff, K., Sikatzki, S.: Governance im Politikfeld Verkehr: Steuerungsmuster und Handlungsmodi in der Verkehrspolitik. In: Schwedes, O., Canzler, W., Knie, A. (Hrsg.): Handbuch Verkehrspolitik, Springer (2016) S. 165 - 187. [5] Klijn, E.-H., Koppenjan, J.: Governance network theory: past, present, and future. Policy & Politics, 40 (4), (2012) S. 587 - 606. [6] Klijn, E.-H., Edelenbos, J., Steijn, B.: Trust in governance networks. Administration & Society, 42(2), (2010) S. 193 - 221. [7] Audouin, M., Finger, M.: The development of mobilityas-a-service in the Helsinki metropolitan area: A multi-level governance analysis. Research in Transportation Business & Management, 27, (2018) S. 24 - 35. [8] Schöller, O., Rammler, S.: „Mobilität im Wettbewerb“: Möglichkeiten und Grenzen integrierter Verkehrssysteme im Kontext einer wettbewerblichen Entwicklung des deutschen und europäischen Verkehrsmarktes-Begründung eines Forschungsvorhabens, WZB Discussion Paper. Online unter: https: / / www. econstor.eu/ bitstream/ 10419/ 47926/ 1/ 372019439. pdf 2003. [9] Windhoff-Héritier, A., Kerwer, D., Knill, C., Douillet, A.-C., Lehmkuhl, D., Teutsch, M.: Differential Europe: the European Union impact on national policymaking: Rowman & Littlefield, 2001. [10] O´Riordan, T.: The transition to sustainability: the politics of Agenda 21 in Europe: Routledge. 2013. [11] Fichert, F.: Transport policy planning in Germany - An analysis of political programs and investment masterplans. European Transport Research Review, 9 (2) (2017) S. 28. [12] Faure, M., Gupta, J., Nentjes, A.: Climate change and the Kyoto protocol: Edward Elgar Publishing, Cheltenham, 2003. [13] Humphreys, D.: Smoke and mirrors: Some reflections on the science and politics of geoengineering. The Journal of Environment & Development, 20(2) (2011) S. 99 - 120. [14] Rhodes, C. J.: The 2015 Paris climate change conference: COP21. Science progress, 99(1), (2016) S. 97 - 104. [15] Popp, D.: International innovation and diffusion of air pollution control technologies: the effects of NOX and SO2 regulation in the US, Japan, and Germany. Journal of Environmental Economics and Management, 51(1), (2006) S. 46 - 71. [16] Guderian, R.: Air pollution: phytotoxicity of acidic gases and its significance in air pollution control, Vol. 22 (1977). Springer Science & Business Media, Berlin, Heidelberg, New York. [17] Weidner, H.,Mez, L.: German climate change policy: A success story with some flaws. The Journal of Environment & Development, 17(4), (2008) S. 356 - 378. [18] Schwedes, O.: Verkehrspolitik: Eine interdisziplinäre Einführung. Springer Verlag, Wiesbaden, 2018. [19] Schmitz, H.: Der Einfluß von Verkehrswegeinvestitionen nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz auf den innerstädtischen Modal Split. Vol. 3113 (1982) Springer-Verlag. [20] Worms, M. J., Radermacher, F. J. (Hrsg.): Klimaneutralität-Hessen 5 Jahre weiter: Springer-Verlag, Wiesbaden, 2018. [21] Böhm, M., Berger, D.: Kommunen und Verkehr. Natur und Recht, 39(6), (2017) S. 361 - 366. [22] Blees, V.: Luftreinhaltung: Herausforderung für die kommunale Verkehrsentwicklungsplanung-Umwelt- und Verkehrsplanung am Beispiel der Region Frankfurt. Paper presented at the Kolloquium Luftqualität an Straßen, 2011. [23] Boltze, M., Kohoutek, S., Krüger, P.: Entwicklung von Strategien zur Luftreinhaltung für die Stadt Offenbach am Main, 2011. [24] Wissenschaftsstadt Darmstadt: Rahmenplan Bessungen Süd (Bericht E, F, G) (2011). Online unter: https: / / w w w.darmstadt.de/ fileadmin/ PDF - Rubriken/ Rathaus/ Aemter_und_einrichtungen/ 61-Stadtplanungsamt/ Konversion/ Rahmenplan_Bessungen_ Sued_EFG.pdf. [25] Wissenschaftsstadt Darmstadt: Lincoln-Siedlung Mobilitätskonzept, 2018. Online unter: https: / / www. darmstadt.de/ fileadmin/ Bilder-Rubriken/ Leben_in_ Darmstadt/ mobilitaet_und_verkehr/ verkehrsprojekte/ Mobilitaet_Lincoln/ lincoln_mobil_fachbroschuere.pdf. Das diesem Bericht zugrundeliegende Vorhaben wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Förderschwerpunkt Sozial-ökologische Forschung unter dem Förderkennzeichen FKZ 01UR1702B gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei der Autorin/ beim Autor. Jasmin Rychlik, M.A. Wissenschaftliche Mitarbeiterin Institute of Comparative Politics and Public Policy TU Braunschweig Kontakt: j.rychlik@tu-braunschweig.de Malte Möck, M.A. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Institute of Comparative Politics and Public Policy TU Braunschweig Kontakt: m.moeck@tu-braunschweig.de Derk T. Trei, M.A. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Institute of Comparative Politics and Public Policy TU Braunschweig Kontakt: d.trei@tu-braunschweig.de AUTOR*INNEN 74 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Die Verkehrswende trägt nicht nur zum Erreichen von Klimaschutzzielen bei, sondern auch zur Steigerung der Lebensqualität, vor allem von Stadtbewohnern. In Städten sind daher umfassende Maßnahmen erforderlich, um die Mobilität zu verändern. Innovative Technologie und die Digitalisierung schaffen dabei neuartige Möglichkeiten, um Bedürfnisse bezüglich Mobilität zu erfüllen. Solche Mobilitätsmaßnahmen sind auch in dem vom BMWi und BMBF geförderten Projekt „EnStadt: Pfaff“ 1 ein zentrales Thema. Das Projekt hat das Ziel, die Entwicklung eines smarten Stadtteils in Kaiserlautern zu unterstützen, indem Forschungs- und Praxispartner gemeinsam innovative Konzepte für das Jahr 2029 entwickeln und diese in dem Stadtteil erproben. Die Projektpartner bringen verschiedene Sichtweisen und Kompetenzen mit: von Stadt- und Raumplanung über Architektur und erneuerbare Energien bis hin zu Software Engineering. Alle verbindet die gemeinsame Vision, eine nachhaltige, lebenswerte und zukunftsorientierte Wohn- und Arbeitsumgebung zu schaffen. Ein Projektschwerpunkt liegt dabei auf dem Bestreben, ein möglichst autoarmes und nachhaltiges Quartier zu schaffen. Das Projektkonsortium hat dafür folgende Leitsätze zur Zielerreichung formuliert: Alle Mobilitätsbedürfnisse werden klimafreundlich erfüllt. Die Menschen im Quartier werden dabei unterstützt, auf klimafreundliche Mobilität umzusteigen. Der Flächenbedarf für die Mobilität ist gering. Die negativen Eigenschaften des motorisierten Individualverkehrs (MIV) werden minimiert. Die Wege zur Erfüllung täglicher Bedarfe sind kurz und Möglichkeiten zur Vermeidung von Fahrten sind gegeben. 1 https: / / pfaff-reallabor.de/ Innovative Maßnahmen zur Verkehrswende bei der Entwicklung eines klimaneutralen Stadtquartiers Smart City, Urbane Mobilität, Digitale Ökosysteme Svenja Polst, Mark Thomas, Martin Kohl, Katharina Buseinus Um die Verkehrswende zu erreichen, ist eine Vielzahl von Maßnahmen nötig. Einige Maßnahmen aus dem Projekt „EnStadt: Pfaff“, das die Entwicklung eines neuen, smarten Stadtteils in Kaiserslautern unterstützt, werden in diesem Beitrag vorgestellt. Dies sind sowohl architektonische, als auch städtebauliche und verkehrsrechtliche Maßnahmen für den öffentlichen und privaten Raum sowie digitale Lösungen. Bild 1: Standorte der Mobilitätsstationen im Pfaff-Quartier. © EnStadt: Pfaff, 2020, auf Grundlage der 2. Fortschreibung des städtebaulichen Rahmenplans Pfaff (ASTOC/ Mess 2018) Nachhaltige Mobilität im Reallabor 75 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Die Mobilität im Quartier ist dem Ressourcenschutz verpflichtet. Für das Erreichen der Leitsätze, werden innovative Mobilitätskonzepte und -maßnahmen benötigt. Maßnahmen für zukunftsfähige Mobilität in EnStadt: Pfaff Einige Maßnahmen und Konzepte, die in dem Projekt „EnStadt: Pfaff“ (Bild 1) entwickelt wurden, werden im Folgenden vorstellt. Umweltfreundliche Mobilitätsarten Um der Vision eines klimafreundlichen Quartiers näher zu kommen, braucht es eine gut ausgebaute Infrastruktur - im privaten als auch im öffentlichen Bereich. Erst dann kann auf das eigene Auto verzichtet und umweltfreundlichere Mobilitätsangebote können genutzt werden. Im öffentlichen Bereich wurden daher sieben dezentral angelegte Mobilitätsstationen konzipiert, die neben dem bekannten Car- und Bike-Sharing auch neuartige Sharing-Angebote, zum Beispiel E-Lastenräder, umfassen sollen. Hierbei liegt die Innovation in der bewussten Entscheidung, mehrere kleine Stationen im Quartier zu etablieren, anstelle einer großen Station (siehe Bild 1). Kriterien zur Standortwahl waren die Einbeziehung von bestehenden Radwegen, kurze Wege für alle Nutzungen (zum Beispiel: Wohnen und Gewerbe) im Quartier und, wenn möglich, die Nähe zum ÖPNV. Da gleichzeitig Parkmöglichkeiten des motorisierten privaten Individualverkehrs auf wenige Tiefgaragen und Parkhäuser begrenzt werden, entstehen durch kürzere Wege starke Anreize, klimafreundliche Mobilität zu nutzen. Die hohe Durchdringung des Quartiers mit Mobilitätsstationen, soll zur öffentlichen Wahrnehmung einer neuen Mobilität beitragen. Durch das Prinzip „teilen statt besitzen“ vieler Mobilitätsangebote soll der Ressourcenverbrauch der Mobilität gesenkt werden. Damit sich die negativen Effekte der Automobilität reduzieren lassen, wird beim Carsharing im Gebiet konsequent auf die Nutzung von lärm- und emissionsarmen Antriebstechnologien, insbesondere auf Elektromobilität, gesetzt. Um Elektromobilität beim verbliebenen privaten Fuhrpark zu fördern, wurde durch die Stellplatzsatzung ein Werkzeug geschaffen, mit dem die Anzahl der Ladepunkte im privaten Bereich erhöht werden kann. Im parallel laufenden Erschließungs- und Bebauungsplanprozess konnten die Standorte der Mobilitätsstationen und die Finanzierung der Infrastruktur über die Stellplatzablöse gesichert werden. Für den weiteren Quartiersausbau ist es nun essentiell, durch Kooperation mit der Stadt, diversen Mobilitätsanbietern und der Wohnungswirtschaft Strategien zu finden, um im abschnittsweisen Ausbau des Quartiers die Mobilitätstationen mit Mobilitätsangeboten zu bestücken. Dies kann von der immobilienbezogenen Kooperation von Wohnungswirtschaft und beispielsweise Car-Sharing-Anbietern bis hin zu einer quartiers- oder stadtweiten Mobilitätsgesellschaft, nach dem Vorbild der Blue Village FRANKLIN mobil GmbH 2 in Mannheim, gewährleistet werden. Stellplatzreduzierung und Finanzierung alternativer Mobilitätsangebote Die Entscheidung darüber, welche Verkehrsmittel für den Alltag genutzt werden, hängt auch von den verfügbaren Abstellmöglichkeiten ab. Viele PKW- Stellplätze erzeugen mehr Autoverkehr, viele Fahrradabstellanlagen fördern den Radverkehr. Daher wird es im Pfaff-Quartier verhältnismäßig wenige PKW-Stellplätze im öffentlichen Raum geben, welche zum Teil der Elektromobilität vorbehalten sind. So wird Raum für Fußgänger, Fahrradabstellmöglichkeiten und Begrünung geschaffen und die Aufenthaltsqualität im Quartier erhöht. Um auch im privaten Bereich eine reduzierte PKW-Nutzung und Flächeninanspruchnahme zu erreichen, wurde eine Stellplatzsatzung für das Pfaff-Quartier erarbeitet. Durch die Satzung werden bei Neubauvorhaben nur etwa 55 % der üblicherweise nachzuweisenden PKW-Stellplätze vorgegeben, die Anzahl der Fahrradabstellplätze wird gleichzeitig verdoppelt. Die Besonderheit dieser Stellplatzsatzung liegt darin, dass sie Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten für die Infrastruktur klimafreundlicher Mobilitätsformen schafft. Hierfür hält die Satzung zwei Instrumente bereit: Eine Ablöseverpflichtung durch Stellplatzeinschränkung und das Werkzeug „Bauen für nachhaltige Mobilität“ (BNM). Mit der Ablöseverpflichtung zahlt der Bauherr eine bestimmte Summe und kann so auf den Bau von PKW-Stellplätzen und Garagen verzichten, wenn diese nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten herzustellen sind. Mit diesen von der Kommune zweckgebunden zu nutzenden Einnahmen werden unter anderem die bereits erwähnten Mobilitätsstationen finanziert. Das BNM ermöglicht eine weitere Stellplatzreduzierung auf freiwilliger Basis, wenn im Gegenzug Infrastrukturen für nachhaltige Mobilität (mehr Fahrradabstellplätze, Reparaturstationen, Ladeinfrastruktur) hergestellt werden. Dabei sind die eingesparten Kosten der Nichtherstellung von Stellplätzen höher als die der BNM-Maßnahmen. So wird mit diesen Beträgen nicht nur der klassische Stellplatzbedarf für PKW und Fahrrad finanziert, sondern durch die 2 https: / / franklin-mannheim.de/ franklin-mobil-gegruendet-5310/ 76 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Ablösezahlung auch indirekt die Infrastruktur für alternative Mobilitätsangebote. Denn das Angebot der Mobilitätsstationen macht die reduzierte Stellplatzzahl erst praxistauglich. Die Systematik senkt die Baukosten und die Anzahl der Autos im Quartier sorgt aber gleichzeitig für ausreichende, alternative Mobilitätsangebote, wobei weniger Fläche als üblich verbraucht wird. Die Ablöseverpflichtung durch Stellplatzeinschränkung in modernen Stadtquartieren stellt einen innovativen und bisher kaum angewendeten Ansatz dar. Aufgrund unterschiedlicher Gesetzesgrundlagen bei der Herstellung von Stellplätzen (Landesbauordnungen) kann diese Regelung allerdings nicht überall Anwendung finden. Zudem muss darauf geachtet werden, dass die geringe Anzahl herzustellender Stellplätze keine negativen Auswirkungen auf die umliegenden Stadtteile hat (zum Beispiel eine Erhöhung des Parkdrucks). Hierfür kann eine Parkraumbewirtschaftung sowie die stetige Evaluierung des Bedarfs an Parkplätzen Abhilfe schaffen, um Missständen frühzeitig begegnen zu können. Gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer durch Straßen- und Raumgestaltung Bereits bei der Rahmenplanung eines Quartiers kann das Prinzip der kurzen Wege dazu beitragen, künftige Verkehrsbewegungen zu vermeiden, zu verkürzen oder zu verlagern. Zusätzlich kann auch die Gestaltung der Straßenräume sowie der Gebäude zur Reduzierung von motorisiertem Verkehr und damit einhergehenden Emissionen beitragen. Durchgangsverkehr soll im Pfaff-Quartier vermieden werden, wohingegen Radfahrer und Fußgänger alle Wege nutzen können. Hierzu wird ein Teil der zentralen Pfaff-Achse als Fußgängerbereich ausgewiesen und der Autoverkehr ausgeschlossen. Eine strukturierte Gestaltung und Übersichtlichkeit der Straßenräume (unter anderem wegen der reduzierten öffentlichen Stellplätze) ermöglicht gute Sichtbeziehungen zwischen den Verkehrsteilnehmern. In Verbindung mit niedrigen Geschwindigkeiten (Tempo 20) soll Aufmerksamkeit und gegenseitige Rücksichtnahme geschaffen und so eine Gleichberechtigung aller Verkehrsarten erreicht werden. Radfahrern wird ein sicheres Fortbewegen im Mischverkehr ermöglicht und Fußgänger können die Fahrbahn nahezu überall gefahrlos überqueren. Bauliche Elemente im Straßenraum (begrünte Mittelinseln) sowie teilweise versetzte Fassadenfluchten tragen dabei zur Verlangsamung des Verkehrs bei. Zudem werden Gehweg und Fahrbahn niveaugleich ausgebaut, was zu einer Verringerung der Dominanz des motorisierten Verkehrs führt. Auch die Gebäude selbst können durch eine vorteilhafte Planung eine komfortable Nutzung nachhaltiger Mobilitätsformen erleichtern. Eine wichtige Anforderung der Stellplatzsatzung Pfaff ist die Errichtung einer ausreichend großen Anzahl gut erreichbarer und sicherer Fahrradabstellanlagen. Die Hürden zur Nutzung werden somit verringert und fördern ein nachhaltiges Mobilitätsverhalten. Grünelemente an Gebäuden mindern die noch verbleibenden negativen Einflüsse des Autoverkehrs, da sie eine positive stadtökologische und lufthygienische Auswirkung auf den Stadtraum, aber auch auf das Gebäudeinnere haben (Kühlung im Sommer, Wärmedurchlasswiderstand im Winter). Öffentliche und private Freiräume profitieren von den kühlenden und luftreinigenden Effekten des Fassadengrüns insbesondere im Pfaff-Quartier, da aufgrund von Altlasten eine hohe Flächenversiegelung notwendig und damit eine starke Hitzeentwicklung zu erwarten ist. Architektur kann daher mit einem sinnvoll bedachten Einsatz von Baumaterialien die Folgen von Verkehrsemissionen abmildern und so, für das Wohlbefinden aller, zu einem angenehmeren Stadtklima beitragen. Eine Verringerung des Verkehrsaufkommens mithilfe innovativer Planungskonzepte im Vorhinein ist jedoch wirksamer und nachhaltiger. Bild 2: Fish‘n‘ Tipps. © Fraunhofer IESE Bild 3: Wettbewerbs-App Luba. © Regina Reichert 77 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Mobilitätsverhalten ändern mittels digitaler Unterstützung Die Quartiersbewohner sollen dabei unterstützt werden, ihre Mobilitätsgewohnheiten hin zur Nutzung von klimafreundlichen Mobilitätsangeboten zu ändern. Nach jetziger Einschätzung müssen folgende Schritte zur Gewohnheitsänderung durchlaufen werden: (1) Problem verstehen, (2) erkennen, dass es Lösungen gibt, (3) selbst dazu beitragen wollen, (4) erkennen, wie man beitragen kann, (5) erstmalig beitragen und (6) langfristig beitragen. Die Quartiersbewohner sollen bei den Schritten 2, 4 und 6 mittels digitaler Lösungen (Apps), die Teil einer digitalen Quartiersplattform sind, unterstützt werden. Für Schritt 2 wird das Spiel „Mein MiniLautern“ entwickelt, das Spielern bewusst machen soll, dass die Mobilität in Kaiserslautern auch anders aussehen und positive Effekte haben kann. Im Spiel informiert sich der Nutzer bei einem fiktiven Bürgergremium nach den Bedürfnissen der Menschen im Quartier. Seine Aufgabe ist es, Mobilitätsmaßnahmen (zum Beispiel: Mobilitätsstationen) auszuwählen, die die Bürger möglichst glücklich machen und einen großen Beitrag zum Umweltschutz liefern. Der Nutzer bekommt vom Bürgergremium Feedback, wie die Konzepte bei den Bürgern ankommen. Das Spiel wird ein Exponat einer Ausstellung im Quartier werden. Anlässlich Schritt 4 wurde der digitale Service „Fish‘n‘ Tipps“ (siehe Bild 2) entwickelt: Ein Bewohner erstellt seinen personalisierten Fisch, der wie ein digitales Haustier, zum Beispiel auf einem Tablet, umherschwimmt und Verhaltenstipps gibt. Der Fisch bekommt Infos von anderen digitalen Services im Quartier, beispielsweise dass der Bewohner zwei Kilometer mit dem Carsharing-Auto gefahren ist. Basierend darauf würde der Fisch den Tipp geben, dass ein Fahrrad für diese Distanz besser geeignet ist und Infos zu Leihrädern geben. Der Fisch kann sich auch mit anderen Fischen, also anderen Nutzern, über generelle Nachhaltigkeitstipps austauschen. In Schritt 6 soll eine Wettbewerbsapp namens „Luba“ (siehe Bild 3) helfen, klimafreundliches Mobilitätsverhalten regelmäßig auszuführen, bis es zur Gewohnheit wird. Mehrere Personen (etwa fünf) schließen sich zu einer Gruppe zusammen, die gegen alle anderen Gruppen antritt. Die Gruppenmitglieder sammeln Punkte, indem sie klimafreundliche Mobilitätsmittel für ihre alltäglichen Wege nutzen. Alle Apps unterstützen unaufdringlich und spielerisch die Verkehrswende. Ausblick Die vorgestellten Maßnahmen zeigen nur einen Teil der Maßnahmen, die im Projekt bisher erarbeitet wurden. Eine Herausforderung bei deren Entwicklung war die zeitliche Verkettung mit planerischen Abläufen und Vorschriften sowie das Kennenlernen und Verstehen aller Projektpartner. Am Projekt beteiligt sind sowohl Wissenschaftler, Planer als auch Mitarbeiter der Stadtverwaltung. Obwohl es etwas Mühe kostet, Ansichten, Sprache und Vorgehensweise aller Partner zu verstehen, wirkte sich die Zusammenarbeit positiv auf die entwickelten Maßnahmen aus. Diese Art der Zusammenarbeit ist auch für andere Städte empfehlenswert. Ob die Maßnahmen ausreichen, um die Verkehrswende zu unterstützen und ein autoarmes, nachhaltiges Quartier zu schaffen, wird sich bei deren Evaluation zeigen. Es wäre zu wünschen, dass sich andere Regionen davon inspirieren lassen, sich ebenfalls mit Mobilitätsmaßnahmen zu beschäftigen, die zur Verkehrswende und zum Klimaschutz beitragen. Svenja Polst, M.Sc. Senior Digital Innovation Designer Abteilung für User Experience und Requirements Engineering, Fraunhofer IESE Kontakt: svenja.polst@iese.fraunhofer.de Mark Thomas Raum- und Umweltplaner Referat Stadtentwicklung Stadtverwaltung Kaiserslautern Kontakt: mark.thomas@kaiserslautern.de Martin Kohl Projektmanager Leiter AG-Mobilität EnStadt Pfaff Stoffstrommanagement und Zero Emission Institution für angewandtes Stoffstrommanagement, Kontakt: m.kohl@umwelt-campus.de Katharina Buseinus, M.A. Architektur Institut für nachhaltiges Bauen und Gestalten Hochschule Kaiserslautern Kontakt: katharina.buseinus@hs-kl.de AUTOR*INNEN 78 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Hintergrund Laut HDE-Online Monitor 2019 (IFH Köln GmbH) liegen die jährlichen Wachstumsraten im Online- Handel seit dem Jahr 2014 bei rund 10 Prozent. Damit wird der Anteil des Onlinehandelsumsatzes am Gesamtumsatz des deutschen Einzelhandels immer größer: von 0,3 Prozent im Jahr 2000 auf fast 11 Prozent im Jahr 2019. Zur Auslieferung der entsprechenden Warensendungen fahren eine Vielzahl von Kurier-, Express- und Paketdienstleistern (KEP), speziell auf der letzten Meile, gleiche Wegeketten ab. Um hier eine effektivere und damit umweltfreundlichere Lösung zu initiieren, können die Fahrten auf der letzten Meile gebündelt werden. Es besteht jedoch aktuell die Herausforderung, dass die Paketdienstleister oftmals nicht miteinander kooperieren (wollen). Um diese organisatorische Hürde zu umgehen, wurde im Projekt DeinDepot das Potenzial einer endkundeninitiierten Lieferung an ein quartierszentrales Depot erörtert. Um die Pakete in das sogenannte DeinDepot zu leiten, würden die Endkunden bei Online-Bestellungen die Adresse des zentralen Depots als Lieferadresse angeben. Durch die Wahl dieses Vorgehens ist die herausfordernde Einbindung der Paketdienstleister in das Vorhaben nicht nötig. Die Lieferung auf der letzten Meile würde dann gebündelt und umweltfreundlich abgewickelt werden - beispielweise durch ein elektromobiles Lastenrad (eventuell durch einen unabhängiger Dienstleister). Erläuterung des DeinDepot-Konzepts Das Konzept von DeinDepot wird nach dem Aufbau entsprechender baulicher, organisatorischer und digitaler Strukturen an die Bewohner*innen eines Stadtteils kommuniziert. Wenn der Endkunde Interesse am Konzept DeinDepot hat, meldet er sich persönlich oder über das Internet entsprechend an. Bei zukünftigen Online-Bestellungen gibt der Endkunde als Lieferadresse die Adresse des DeinDepots an. Somit sind die verschiedenen Paketdienstleister verpflichtet, die Waren an den entsprechenden Ort zu fahren. Bei einer erfolgreichen Umsetzung des Konzepts würde eine möglichst hohe Anzahl von Kunden im entsprechenden Stadtgebiet teilnehmen. DeinDepot bietet drei Optionen an, das Paket dem Endkunden zu übergeben bzw. bereitzustellen. Entsprechende Präferenzen können durch den Endkunden an den DeinDepot-Betreiber kommuniziert werden (beispielweise über eine App): Zunächst kann der Endkunde sein Paket im Einzelhandelsgeschäft (Lieferadresse) während der regulären Öffnungszeiten abholen. Die zweite Möglichkeit bietet die Paketwand, welche im unmittelbaren Umfeld des entsprechenden Einzelhandelsgeschäfts platziert ist. Wenn der Kunde diese Möglichkeit präferiert, wird das Paket entsprechend eingelagert. Der Paketempfänger kann das Paket dann mit einer entsprechenden Zugangskontrolle (digital) zu einem beliebigen Zeitpunkt abholen. Potenzialanalyse einer gebündelten Paketzustellung Interdisziplinäre Forschung des Research Lab for Urban Transport (ReLUT) Letzte Meile, Bündelung, Paketzustellung Dominic Hofmann, Tobias Hagen, Petra K. Schäfer, Kai-Oliver Schocke, Domenik H. Wendt, Felix Bergold, Sabine Scheel-Kopeinig, Dana Stolte, Simon Steinpilz Im Projekt DeinDepot wurde eine Potenzialanalyse zur Umsetzung eines zentralen Depots mit dem Ziel einer umweltfreundlichen und gebündelten Auslieferung von Paketen auf der letzten Meile durchgeführt. Im Vergleich zu diversen Praxisprojekten, welche in Folge unzureichender Vorabanalysen wieder eingestellt werden mussten, werden in DeinDepot interdisziplinäre Herausforderungen identifiziert. Neben verkehrlichen, logistischen und wirtschaftlichen Aspekten werden auch rechtliche Themen betrachtet. Die empirischen Ergebnisse basieren auf einer quantitativen Befragung sowie auf qualitativen Experteninterviews. 79 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Die dritte Zustellmöglichkeit ergibt sich durch die Verwendung eines Lastenrads. Es besteht hier zudem für den Endkunden die Möglichkeit, ein Lieferzeitfenster zu wählen. Kann das Paket wider Erwarten nicht zugestellt werden, wird es entweder in dem DeinDepot-Einzelhandelsgeschäft oder in der Paketwand bis zur Abholung eingelagert. Angewandte Methodik Im Rahmen des Forschungsprojektes DeinDepot wurde vom 4. bis 13. September 2019 eine quantitative Online-Befragung von 2 017 Panelteilnehmern durchgeführt. Adressaten der Befragung waren volljährige Einwohner*innen deutscher Großstädte (Einwohnerzahl > 100 000). Um Repräsentativität in Bezug auf die Merkmale Geschlecht und Alter der Bevölkerung in deutschen Großstädten sicherzustellen, wurde die Online-Befragung durch ein Befragungsunternehmen durchgeführt, welches auf ein großes Konsumentenpanel zurückgreifen konnte. Zusätzlich wurden 13 Experteninterviews durchgeführt. Ziel war es dabei, von relevanten Stakeholdern aus den Bereichen Wirtschaft, Politik, Forschung und Interessensvertretungen Erkenntnisse aus deren Arbeit und anderen Forschungsprojekten zu gewinnen sowie Einschätzungen zum Konzept DeinDepot zu erhalten. Ergebnisse der quantitativen Befragung Das Konzept DeinDepot wurde von 94 % der Befragten verstanden. Im Mittel sind Befragte, die das DeinDepot-Konzept verstanden haben, etwas jünger. Außerdem sind sie durchschnittlich besser gebildet. Nutzungsbereitschaft Von den 1 893 Befragten, welche das Konzept verstanden haben, ziehen 60,5 % (n = 1 145) der Befragten in Betracht, künftig das DeinDepot als Lieferadresse anzugeben. Das durchschnittliche Nutzerpotenzial von DeinDepot in Großstädten in Deutschland beträgt also 60,5 %. Die zuvor aufgezeigten Nutzerpotenziale werden im Folgenden differenziert nach räumlichen und persönlichen Merkmalen betrachtet. Im Stadtteiltyp „City“ ist mit 69 % das höchste Nutzerpotenzial vorhanden, gefolgt vom Stadtteiltyp „Mischgebiet“ mit 62 % (das nur geringfügig über dem Durchschnitt von 60,5 % liegt) und dem Stadtteiltyp „Wohngebiet“ mit lediglich 53 %, der klar unterdurchschnittlich ist. Die Analyse der Nutzerpotenziale nach Größenklassen deutscher Großstädte zeigt, dass die Quoten potenzieller Nutzender ab einer Größenklasse von 200.000 Einwohner*innen sinken, je mehr Einwohner*innen die Großstadt hat. Hinsichtlich der Altersklassen ergibt sich ein eindeutiges Bild. Mit zunehmendem Alter reduziert sich der Anteil jener, die DeinDepot nutzen würden sehr stark. In der Altersklasse der 18bis 29-Jährigen sind es 76 %, in der Altersklasse der 40bis 49-Jährigen noch 66 %. In der Altersklasse der über 60-Jährigen nur noch rund 43 %. Zahlungsbereitschaft Bei den 1 145 Befragten, welche das DeinDepot als Lieferadresse nutzen würden, wurde die Zahlungsbereitschaft abgefragt. Folgende Frage wurde hierzu formuliert: „Wieviel wären Sie bereit, für die Zustellservices von DeinDepot pro Paket maximal zu bezahlen? “ Rund 60 % der Befragten (686 Personen) wären bereit, für DeinDepot etwas zu bezahlen. Im Mittel liegt die Zahlungsbereitschaft bei diesen Befragten bei 1,20 € (Median: 1, Standardabweichung: 0,67). Für alle potenziellen DeinDepot-Nutzenden liegt die Zahlungsbereitschaft im Mittel bei 0,72 €. Bild 1: Schemata des DeinDepot. © Frankfurt UAS Bild 2: Nutzung von DeinDepot als künftige Lieferadresse. © Frankfurt UAS 80 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Wie zuvor dargestellt, haben knapp 60 % aller potenziellen DeinDepot-Nutzenden eine positive Zahlungsbereitschaft (mindestens 0,50 €). In Relation zur Gesamtbevölkerung in deutschen Großstädten haben nur 36 % eine positive Zahlungsbereitschaft. Für den Stadtteiltyp „City“ wird der höchste Anteil von Einwohner*innen mit positiver Zahlungsbereitschaft mit im Mittel 45 % beobachtet, gefolgt vom Stadtteiltyp „Mischgebiet“ mit 36 % und dem Stadtteiltyp „Wohngebiet“ mit lediglich 30 %. Rechtliche Aspekte Vertragsschluss Es muss sichergestellt werden, dass zwischen DeinDepot und dem Endkunden ein Vertrag geschlossen wird. Hierbei bietet sich ein Online-Vertragsabschluss an. Dies kann etwa über eine Dein- Depot-Homepage oder eine App erfolgen. Darüber hinaus sollte sichergestellt werden, dass Pakete von nicht-registrierten Kund*innen nicht angenommen werden können. Weil keine rechtliche Verpflichtung zur Annahme solcher Pakete besteht, sollten diese unmittelbar abgewiesen werden. Falls versehentlich ein solches Paket angenommen wird, sind die Ausführungen zur außervertraglichen Haftung bei Lagerverträgen zu beachten. Vertragsgestaltung Weil der Vertrag vermutlich als typengemischter Vertrag zu qualifizieren ist, sollten die angebotenen Leistungen von DeinDepot möglichst eindeutig geregelt werden. Die Vertragspflichten können so im Einzelbzw. Streitfall besser unterschieden werden. Empfohlen wird, den Endkunden verschiedene Leistungsarten zur Auswahl anzubieten. So kann sichergestellt werden, dass die jeweils zu erbringende Leistung klar definiert ist. Kartellrecht Bei der Ausgestaltung von DeinDepot muss zwingend auf kartellrechtskonforme Prozesse geachtet werden. Für den Fall, dass DeinDepot im Verhältnis zu KEP-Dienstleistern als Wettbewerber einzuordnen ist, sollte eine Informationsweitergabe zwingend verhindert werden. Auch sollten Prozesse implementiert werden, die sicherstellen, dass über DeinDepot keine Informationen zwischen den verschiedenen KEP-Dienstleistern ausgetauscht werden. Dies umfasst etwa auch die Verhinderung von zeitgleichen Anlieferungen mehrerer KEP- Dienstleister. Versicherbarkeit Vor Abschluss eines Versicherungsvertrags ist der konkrete Versicherungsbedarf von DeinDepot zu bestimmen. Dabei sollte den zuvor aufgezeigten Varianten und etwaigen vertraglichen Besonderheiten Rechnung getragen werden. Die Bedarfserfassung kann etwa über einen spezialisierten Versicherungsvermittler erfolgen. Verkehrliche und logistische Aspekte Bei der Suche nach einem geeigneten Quartier für DeinDepot sollten unter anderem folgende Aspekte bezüglich der Lieferung per Lastenrad analysiert werden: Paketvolumen Empfängerstruktur Dimensionierung der Straßen, Geh- und Radwege Topografische Gegebenheiten Am DeinDepot selbst müssen Flächen zum Rangieren, Halten, Parken und Laden vorhanden sein. Dies betrifft Flächen für die Anlieferung mit dem Lieferfahrzeug wie auch mit Lastenrädern. Bild 3: Nutzerpotenziale für DeinDepot nach Altersklassen. © Frankfurt UAS Bild 4: DeinDepot-Zahlungsbereitschaft (in Prozent der potenziellen DeinDepot-Nutzenden). © Frankfurt UAS 81 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Für die Dimensionierung dieser Flächen müssen zuvor folgende Fragen geklärt werden: Von wievielen Personen/ KEP-Dienstleistern wird das Depot genutzt? Mit welchen und von wievielen Fahrzeugen wird das Depot angefahren? Wie gestaltet sich die zeitliche Verteilung der An- und Auslieferungen? Sind ausgewiesene Lieferzonen notwendig? Fazit Das Forschungsprojekt DeinDepot konnte das interdisziplinäre Potenzial für die Umsetzung eines zentralen Depots mit dem Ziel einer umweltfreundlichen und gebündelten Auslieferung von Paketen auf der letzten Meile aufzeigen. Es zeigt sich, dass die Herausforderungen im verkehrlichen Bereich eine hohe Relevanz besitzen. Bei einer umfassenden Planung sollten verkehrliche Faktoren jedoch kein größeres Hindernis bei einer potenziellen Umsetzung darstellen. Im Bereich der Logistik sind primär flächenabhängige Faktoren zu berücksichtigen. Dies betrifft zum einen die Lagerfläche des eigentlichen Depots sowie die notwendigen Außenflächen. Zusätzlich ist es bei der Standortplanung notwendig, stadtstrukturelle Faktoren zu berücksichtigen. Die Ergebnisse der wirtschaftlichen Analyse zeigen die monetäre Aufwandsbereitschaft von Kundenseite auf. Zusätzlich werden aber auch Ansätze zur Berechnung der aufkommenden Kosten aufgezeigt. Eine umfassende Wirtschaftlichkeitsanalyse des vorgeschlagenen Konzepts ist lediglich durch die Einbeziehung weiterer Stakeholder möglich. Die rechtliche Analyse zeigt auf, dass das DeinDepot-Konzept eine Vielzahl von Gesetzeskategorien tangiert. Trotzdem konnten explizite Handlungsempfehlungen ausgesprochen werden. Die Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt DeinDepot bilden somit eine interdisziplinäre Grundlage für alle Stakeholder, welche die Einführung eines entsprechenden Konzepts planen. Das Forschungsprojekt wurde vom Research Lab for Urban Transport (ReLUT) der Frankfurt University of Applied Sciences durchgeführt. Informationen zum Projekt und zur Forschungsinstitution können unter www.relut.de abgerufen werden. Gefördert wurde das Projekt aus Mitteln des Landes Hessen. Praxispartner war der Bundesverband der Kurier- Express-Post-Dienste e. V. (BdKEP). QUELLE • IFH Köln GmbH: Online-Monitor 2019. Hg. v. Handelsverband Deutschland (HDE). Berlin. Online abgerufen unter https: / / einzelhandel.de/ online-monitor. Dr.-Ing. Dominic Hofmann Wissenschaftlicher Leiter des Research Lab for Urban Transport (ReLUT) Frankfurt University of Applied Sciences Kontakt: dominic.hofmann@fb1.fra-uas.de Prof. Dr. Tobias Hagen Professor für Volkswirtschaftslehre und Quantitative Methoden Frankfurt University of Applied Sciences Kontakt: thagen@fb3.fra-uas.de Prof. Dr.-Ing. Petra K. Schäfer Professorin für Verkehrsplanung Frankfurt University of Applied Sciences Kontakt: petra.schaefer@fb1.fra-uas.de Prof. Dr. Kai-Oliver Schocke Professor für Logistik und Produktionsmanagement Frankfurt University of Applied Sciences Kontakt: schocke@fb3.fra-uas.de Prof. Dr. Domenik H. Wendt LL.M. Professur für Bürgerliches Recht, Europäisches Wirtschaftsrecht und Europarecht Frankfurt University of Applied Sciences Kontakt: wendt@fb3.fra-uas.de Felix Bergold LL.B. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Research Lab for Urban Transport (ReLUT) Frankfurt University of Applied Sciences Kontakt: felix.bergold@fb3.fra-uas.de Dr. Sabine Scheel-Kopeinig Wissenschaftliche Mitarbeiterin Research Lab for Urban Transport (ReLUT) Frankfurt University of Applied Sciences Kontakt: s.scheel-kopeinig@fb3.fra-uas.de Dana Stolte M.Eng. Wissenschaftliche Mitarbeiterin Research Lab for Urban Transport (ReLUT) Frankfurt University of Applied Sciences Kontakt: dana.stolte@fb1.fra-uas.de Simon Steinpilz B.A. Wissenschaftliche Hilfskraft Research Lab for Urban Transport (ReLUT) Frankfurt University of Applied Sciences AUTOR*INNEN 82 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Kommunikation Produktionsbetriebe, die langfristig wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen ihre Anlagen, Maschinen, Prozesse und Daten zunehmend miteinander vernetzen. Die Produktion wird für Interaktionen über das Internet und im Kontext intelligenter Netzwerke immer weiter und schneller nach außen geöffnet. Die Vorbereitung auf die Smart Factory in der Industrie 4.0 verlangt eine direkte Kommunikation mit unterschiedlichen Unternehmensbereichen oder sogar über Unternehmensgrenzen hinweg. Außerdem wünschen sich Führungskräfte Reports, Kennzahlen und sogar Zugriff auf die SCADA-Ebene über mobile Geräte - möglichst in Echtzeit. Dass sich dabei für die Sicherheit im Unternehmen potenzielle Lücken wie Scheunentore öffnen, liegt auf der Hand: Mit zunehmender Vernetzung müssen bislang gut abgeschottete Bereiche von außen zugänglich gemacht werden. Und damit erhöhen sich die Anforderungen an die Sicherheit enorm. Der Weg zur Industrie 4.0 stellt Automatisierer vor neue Herausforderungen. Netzwerke in der Automatisierung sind darauf ausgelegt, ausfallsicher und hochverfügbar zu arbeiten. Doch mit der Digitalisierung steigt der Anspruch an die Cyber-Security. Denn Sicherheitslücken gefährden die produktive Verfügbarkeit und können große wirtschaftliche Schäden verursachen. Ein erfolgreiches Cyber-Security-Konzept ist damit absolute Grundvoraussetzung für einen sicheren Weg Richtung Smart Factory. Doch welche Schritte gilt es auf dem Weg zur sicheren Smart Factory zu beachten? Wer folgende drei Schritte befolgt, ist für die Industrie 4.0 gerüstet: Relevanz für das Thema Security schaffen Das Thema Sicherheit muss in hochvernetzten Betrieben höchsten Stellenwert haben. Es darf kein Randthema sein. Doch tatsächlich sind viele Unternehmen mit einer vernetzten Produktion noch nicht ausreichend geschützt. Laut einer Umfrage von COPA-DATA, in der 228 Unternehmen befragt wurden, wird der Stellenwert der IT-Sicherheit in der Produktion von mehr als der Hälfte der Unternehmen als mittel bis gering eingeschätzt. Häufig werden noch veraltete Systeme eingesetzt, für die es keine aktuellen Sicherheitsupdates mehr gibt. Die Folge: enorme Sicherheitslücken, die Angreifer von außen nutzen können. Die Umfrage zeigte, dass rund 20 Prozent der Unternehmen nur unzureichend vor Angriffen geschützt sind. Doch wer Cyber Security und Industrie 4.0 Drei Maßnahmen für die Smart Factory Philipp Artmeier In der Produktion standen lange Zeit analoge Sicherheitsaspekte im Vordergrund: Eine gut verschlossene und bewachte Produktionshalle stellte ausreichenden Schutz dar. Denn bislang bestand die Vernetzung vor allem unter den einzelnen Maschinen innerhalb einer Produktionsanlage. Doch im Zuge der Digitalisierung und dank der Entwicklungen im Bereich Automatisierung ändert sich das gerade grundlegend. 83 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES die Chancen einer vernetzten Produktion nutzen möchte, muss dringend mehr Relevanz für das Thema IT-Sicherheit schaffen. Nur so lassen sich wirtschaftliche Risiken vermeiden und die Wettbewerbssicherheit der Betriebe auch in Zukunft garantieren. Know-How als Basis für den sicheren Weg zur Smart Factory Über die Jahre hat sich eine klare Unterscheidung zwischen IT und Automatisierungstechnik etabliert. Während für die IT eine umfassende und sich permanent anpassende Absicherung gegen Sicherheitsrisiken schon lange integraler Bestandteil des Systembetriebs ist, suchen Automatisierer vielerorts noch nach einem geeigneten Security-Konzept. Die IT setzt schon lange den Schwerpunkt auf Security: Das System muss sicher gegen unerwünschte Zugriffe sein. Automatisierung priorisiert derzeit noch häufig Zuverlässigkeit: Die Anlage muss störungsfrei laufen. Solange Automatisierungsprozesse nicht von außen erreichbar waren, stand die Zuverlässigkeit mit Recht im Vordergrund: Warum die Anlage durch ein Software-Update stören, das für die Produktion nicht wichtig ist? Tatsache ist, dass sich die Angriffsfläche signifikant vergrößert hat. Ein Einbruch in diese Netzwerke kann die Ausfallsicherheit kompletter Produktionsanlagen massiv gefährden. Es gilt also, das Wissen für IT-Sicherheit aufzubauen oder extern einzukaufen, um das Steuer fest im Griff zu behalten. Die Aufgabe ist groß, aber sie ist zu bewältigen. Zum einen hat in der Regel die IT im Unternehmen bereits Expertise aufgebaut. Andererseits gibt es spezielle Dienstleister, die auf diesem Weg unterstützen können. Schwachstellen identifizieren und beseitigen Durch die Vernetzung und die Öffnung nach außen sind die möglichen Schwachstellen vielfältiger geworden. Extern kann ein schlecht geschütztes Partnerunternehmen zum Einfallstor werden. Intern sind Programme, die nicht auf dem aktuellen Stand sind und Schnittstellen oder Geräte im Firmennetz die häufigsten Sicherheitslücken. Aber auch Mitarbeiter, die schwache Passwörter verwenden oder sorglos damit umgehen, können einen unerlaubten Zugang zum Netzwerk ermöglichen. Security sollte von allen digitalen Kontakten als Grundbedingung verlangt werden: Wer Teil des Unternehmensnetzwerks sein will, muss grundlegende Sicherheitsstandards erfüllen, egal ob Menschen, Unternehmen, Hard- oder Software. Security als ganzheitliche Herausforderung Risiken in der Sicherheitslandschaft industrieller Anwendungen und Anlagen kann mit planvollen Methoden und Security-Strategien wirkungsvoll begegnet werden. Eine genaue Analyse möglicher Sicherheitsrisiken und das Erkennen von Sicherheitsvorfällen gehen einher mit der Entwicklung entsprechender Notfallpläne. Security-Schwachstellen, technisch wie auch organisatorisch, müssen beseitigt oder zumindest aktiv kontrolliert werden. So gelingt die Entfaltung der produktiven Potenziale in der Smart Factory - mit Sicherheit ! Philipp Artmeier Senior Technical Consultant Energy Ing. Punzenberger COPA-DATA GmbH Kontakt: smartcity@copadata.de AUTOR All you can read Alles zusammen zum Superpreis: Die Papierausgabe in hochwertigem Druck, das ePaper zum Blättern am Bildschirm und auf dem Smartphone, dazu alle bisher erschienenen Ausgaben im elektronischen Archiv - so haben Sie Ihre Fachzeitschrift für den urbanen Wandel immer und überall griffbereit. AboPlus: Print + ePaper + Archiv www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren Trialog Publishers Verlagsgesellschaft | service@trialog.de 84 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Ressourcen Impressum Transforming Cities erscheint im 5. Jahrgang Herausgeber Eberhard Buhl, M.A. Verlag Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl | Christine Ziegler Schliffkopfstr. 22, D-72270 Baiersbronn-Buhlbach Tel. +49 7449 91386.36 · Fax +49 7449 91386.37 office@trialog.de · www.trialog.de Redaktionsleitung Dipl.-Ing. arch. Christine Ziegler VDI (verantwortlich) Tel: +49 7449 91386.43 Fax: +49 7449 91386.37 christine.ziegler@transforming-cities.de Anzeigen Tel. +49 7449 91386.46 Fax +49 7449 91386.37 anzeigen@trialog.de Gültige Anzeigenpreisliste Nr. 5 vom 01.01.2020 Vertrieb und Abonnentenservice Tel. +49 7449 91386.39 Fax +49 7449 91386.37 vertrieb@trialog.de Erscheinungsweise Viermal im Jahr Bezugsbedingungen Die Bestellung des Abonnements gilt zunächst für die Dauer des vereinbarten Zeitraumes (Vertragsdauer). Eine Kündigung des Abonnementvertrages ist zum Ende des Berechnungszeitraumes schriftlich möglich. Erfolgt die Kündigung nicht rechtzeitig, verlängert sich der Vertrag und kann dann zum Ende des neuen Berechnungszeitraumes schriftlich gekündigt werden. Bei Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages, bei Arbeitskampf oder in Fällen höherer Gewalt besteht kein Entschädigungsanspruch. Zustellmängel sind dem Verlag unverzüglich zu melden. Es ist untersagt, die Inhalte digital zu vervielfältigen oder an Dritte weiterzugeben, sofern nicht ausdrücklich vereinbart. Bezugsgebühren JahresAbo Print: gedruckte Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 120,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 11,90, Ausland EUR 25,-) JahresAbo ePaper: elektronische Web-Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 115,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), ohne Versandkosten JahresAbo Plus (Print + ePaper): als gedruckte Ausgabe + elektronische Web-Ausgabe + Archiv zum Jahresbezugspreis von EUR 157,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 11,90 , Ausland EUR 25,-) StudiAbo ePaper: elektronische Web-Ausgabe. Reduzierter Jahresbezugspreis von EUR 76,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.). Eine aktuelle Studienbescheinigung ist Voraussetzung. Einzelheft Print: gedruckte Ausgabe zum Einzelbezugspreis von EUR 35,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 3,-, Ausland EUR 6,50) Einzelausgabe ePaper: elektronische Web- Ausgabe zum Einzelbezugspreis von EUR 35,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), ohne Versandkosten Campus- und Firmenlizenzen auf Anfrage Organ | Medienpartnerschaft VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld Druck QUBUS media GmbH, Hannover Herstellung Trialog, Baiersbronn-Buhlbach, www.trialog.de Titelbild Reflection in windows of modern office building. © Clipdealer Copyright Vervielfältigungen durch Druck und Schrift sowie auf elektronischem Wege, auch auszugsweise, sind verboten und bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Abbildungen übernimmt der Verlag keine Haftung. Eine Publikation der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Baiersbronn-Buhlbach ISSN 2366-7281 (print) www.trialog.de/ agb Augen auf beim Neustart Worauf nach der Corona- Pause beim Trinkwasser zu achten ist Schritt für Schritt werden die Corona-Regeln in Deutschland gelockert und allmählich kehrt das Leben in Schulen, Läden und Friseurgeschäfte zurück. Aber Vorsicht: Nach wochenlangem Stillstand drohen Verkeimungen im Trinkwasser. Mit gezielten Maßnahmen lässt sich gegensteuern! Sauberes Trinkwasser ist lebenswichtig. Deshalb muss es jederzeit hygienisch unbedenklich bleiben. Während der Corona- Beschränkungen wurden viele Trinkwassernetze in Gebäuden nicht oder nur selten genutzt. Dies bietet ideale Siedlungs- und Wachstumsbedingungen für Bakterien, Pilze und Sporen. Um auf der sicheren Seite zu sein, gibt es wirksame Maßnahmen, die beim Neustart beachtet werden sollten. Je nachdem, wie lange der Betrieb ruhte, sind unterschiedliche Maßnahmen sinnvoll. Eine Übersicht hat der Deutsche Verein der Qualifizierten Sachverständigen für Trinkwasserhygiene e. V. (DVQST) zusammengestellt. Betroffen sind im Prinzip alle Betriebe, die mehrere Wochen nicht - oder nur sehr eingeschränkt - genutzt worden sind: Öffentliche Einrichtungen wie Kindertagesstätten und Museen, Firmengebäude, Restaurants und Ladengeschäfte. Gut zu wissen: Falls der Betrieb wegen einer zweiten Infektionswelle in Zukunft erneut unterbrochen werden muss, sollten Betreiber präventiv tätig werden. Verstärkter Keimbildung lässt sich mit geeigneten Maßnahmen wirksam begegnen. Je nach Dauer eines Stillstands reichen die vorbeugenden Maßnahmen vom Absperren ganzer Leitungsstränge bis hin zum Abtrennen des häuslichen Trinkwassernetzes von der Versorgungsleitung. Über die wichtigsten Maßnahmen zur Trinkwasserhygiene nach der Corona-Pause klärt REHAU in einer Checkliste auf. Download unter www.rehau.de/ .... Nach langem Stillstand droht die Verkeimung von Trinkwasser in der Wasserleitung. Mit gezielten Maßnahmen lässt sich gegensteuern. © REHAU AG + CO REHAU AG + Co info@rehau.com http: / / www.rehau.de Urbanes Land · durchgrünte Stadt Am 4. September 2020 erscheint die nächste Ausgabe von Transforming Cities mit dem Themenschwerpunkt Dorf 2.0: Digitalisierung in ländlichen Regionen Neue Wohn- und Arbeitswelten Verkehr und Infrastruktur zwischen Stadt und Land Versorgung im ländlichen Raum Landflucht oder Stadtflucht Stadtklima Stadtökologie, urbane Ökosysteme Fauna + Flora: Wildes Leben in der Stadt Dach- und Fassadenbegrünung Urban Gardening, Landwirtschaft in Städten Flächennutzung