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Urbaner Metabolismus: Material- und Energieflüsse in der Stadt Flächennutzung | Stadtgrün | Rohstoffe | Energie | Wasser + Abwasser | Wiederverwendung | Bioökonomie 4 · 2020 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Städtische Ressourcen All you can read Alles zusammen zum Superpreis: Die Papierausgabe in hochwertigem Druck, das ePaper zum Blättern am Bildschirm und auf dem Smartphone, dazu alle bisher erschienenen Ausgaben im elektronischen Archiv - so haben Sie Ihre Fachzeitschrift für den urbanen Wandel immer und überall griffbereit. AboPlus: Print + ePaper + Archiv www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren Trialog Publishers Verlagsgesellschaft | Baiersbronn | service@trialog.de 1 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, Städte sind in vielerlei Hinsicht Großverbraucher, sie verschlingen schier endlose Mengen Energie, Wasser, Rohstoffe und Nahrungsmittel und hinterlassen als Stoffwechselprodukte dieses urbanen Metabolismus Abfälle und Emissionen in großem Stil. Die Ressourcen für den städtischen Konsum kommen meist von außerhalb des Stadtgebiets: aus dem Umland sowie aus fernen Gegenden, von den Feldern und aus Rohstoffvorkommen der ganzen Welt. Das hat unter anderem zur Folge, dass ein großer Teil des Verkehrs durch die Transportströme zur Versorgung von Städten entsteht. Am aktuellen Punkt der Entwicklung lässt sich nichts mehr schönreden: Der gewohnte verschwenderische Lebensstil kann kein Zukunftsmodell sein, denn die Ressourcen des Planeten Erde sind endlich. Immer mehr Verbrauch führt zwangsläufig zur Übernutzung. Und damit zu Verteilungskämpfen. Daher gibt es nur eine logische Konsequenz: Wir müssen mit dem Vorhandenen sinnvoller umgehen. Gute Ideen sind gefragt. Eine besonders knappe und daher wertvolle Ressource in Städten sind Flächen, das zeigen fortwährend steigende Grundstückspreise. Flächen haben ja viele verschiedene Funktionen, die oftmals miteinander konkurrieren. Sie sind die Basis für die Nutzung anderer Ressourcen. Die meisten Flächen werden bisher jedoch recht eindimensional eingesetzt. Außenflächen von Gebäuden, Verkehrsflächen, städtische Brachen oder Grünflächen haben das Potenzial zu mehr als nur einer Nutzung. Dächer und Fassaden dienen zwar primär als Gebäudehülle, können aber auch Flächen zur Energieerzeugung, zum Anbau von Obst und Gemüse und zur Stadtklimatisierung sein. Das ist längst bekannt, wird aber oft nur zögerlich umgesetzt. Straßen schließlich haben nicht nur eine verkehrstechnische Funktion, sie sind ebenso Wirtschaftsraum, soziokultureller Treffpunkt, Schatten spendende Grünzonen und mit ihrer unterirdischen Infrastruktur Räume für den Wasserkreislauf sowie für Transport und Speicherung von Energie. Die Transformation vom verschwenderischen Verbrauch zum nachhaltigen Gebrauch städtischer Ressourcen ist letztlich eine Frage des sinnvollen, strategisch klugen und verantwortungsvollen Umgangs mit urbanen Flächen. Die vorliegende Ausgabe widmet sich dieser Thematik mit Beiträgen zu Theorie und Praxis, mit unterschiedlichen Aspekten und aus verschiedenen Blickwinkeln. Lesen Sie selbst. Ihre Christine Ziegler Redaktionsleitung „Transforming Cities“ Städtische Ressourcen 2 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES INHALT 4 · 2020 PRAXIS + PROJEKTE Energie 4 Wie die Energienetze Mittelrhein die Herausforderungen der Energiewende meistern Smart-Grid-Projekt mit dem Messwert-Gateway Energy Control Interface (ECI) Timo Beuth 8 Wärmende Sonne Leistungs- und Ertragsnachweis von großen Solaranlagen minimiert Risiko für Investoren 10 Grüne Welle in Schwäbisch Hall Eine Stadt auf dem Weg zu 100 Prozent erneuerbarer Energie. 12 Neue Impulse beim nachhaltigen Klimaschutz im Gebäudebereich Realistische quartiersbezogene Lösungsansätze durch interdisziplinären Dialog voranbringen Alexandra Beer Ressourcen 16 Wasserschleife im Gebäude Klaus W. König 20 Innovative Lösungen zur Ressourceneinsparung Europäische Best-Practices der Kreislaufwirtschaft in der Abfall- und Abwasserbehandlung Philipp Riegebauer, Jana Helder Infrastruktur 24 Kriterien für die erfolgreiche praktische Umsetzung von Glasfaserausbau- Projekten Hans-Günter Claußen THEMA Städtische Ressourcen 26 Städtische (Un-) Ordnung und urban takeover Susanne Heeg 30 Die Zukunft des Straßenraums im Quartier An der Schnittstelle von Technologieinnovation, Mobilität und Ressourceneffizienz Felix Stroh, Constanze Heydkam, Angela Wendnagel-Beck 37 Zum verantwortungsvollen Umgang mit städtischen Ressourcen - ein Beitrag der Bauingenieure Norbert Gebbeken 42 Mit Nutzenstiftung zu mehr Ressourceneffizienz im Quartier Anne Söfker-Rieniets, Birgitta Hörnschemeyer, Jonas Kleckers, Christian Klemm, Celestin Stretz Seite 10 Seite Seite 37 37 Seite 63 © Stadtwerke Schwäbisch Hall © Gebbeken © Gebbeken © Johannes Kassenberg 3 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES INHALT 4 · 2020 47 Noch immer hässlich? Wie junge Planende regenerative Energien im Orts- und Landschaftsbild werten - Ergebnisse einer Befragung Sandra Sieber 52 Nachhaltige Wärme- und Kältebewirtschaftung von Stadtquartieren Integrierte Betrachtung im Stadtentwicklungsprozess Corinna Schittenhelm, Meinhard Ryba, Till Kugler, Roland Koenigsdorff, Detlef Kurth, Christian Moormann 58 Die vertikale Stadt als solare Energiequelle? Theoretische Flächenpotenziale für bauwerksintegrierte Photovoltaik und Abschätzung der solaren Einstrahlung Martin Behnisch, Markus Münzinger, Hanna Poglitsch 63 Pro und Contra urbanes Grün Helmut Grüning 68 Der PHOENIX See in Dortmund Stadtentwicklung in Zeiten des Klimawandels Emanuel Grün, Burkhard Teichgräber, Andreas Giga, Angela Pfister 73 Dezentrales Grauwasser-Recycling Synergien eines urbanen Metabolismus am Beispiel von Kigali, Ruanda Christin Zeitz, Bernd Franke 78 40 Tonnen Tomaten von der Kläranlage Das Agrarsystem der Zukunft braucht keine Erde, es nutzt im Sinne der Bioökonomie die Nährstoffe aus häuslichem Abwasser Martin Schulwitz, Mario Reimer, Ann-Kristin Steines 82 Unterschätzte Kleingärten Erste Ergebnisse aus dem Projekt FEW-Meter Runrid Fox-Kämper, Kathrin Specht 86 Stadtgrün mit einer App (neu) entdecken Fußball spielen, Joggen oder einfach nur Entspannen? Mit der meinGrün-App finden alle eine passende Grünfläche. Patrycia Brzoska, Robert Hecht, Celina Stanley PRODUKTE + LÖSUNGEN Ressourcen 91 Immer genug Wasser für Sträucher, Blumen und Gemüse Regenwassermanagement im Kleingarten mit der KS-Bluebox ® 92 Impressum Seite 73 Seite Seite 78 78 © Joost, Ostfalia Seite 86 © R. Hecht, IÖR-Media © Schulwitz et al., 4 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Welche Aussage ist „richtiger“: die technische Betrachtung, dass der elektrische Strom von Plus nach Minus fließt oder der physikalische Blickwinkel, der von einer umgekehrten Richtung - also von Minus nach Plus - ausgeht? Allgemein hat sich die technische Perspektive durchgesetzt, aber wie so oft im Leben kommt es auf den Standpunkt des Betrachters an. Unstrittig ist jedoch, dass die Richtung des Strom- oder auch Energieflusses zunehmend von den Stromnetzbetreibern berücksichtigt werden muss. Insbesondere in den Verteilnetzen der Mittel- und Niederspannung konnte in der Vergangenheit davon ausgegangen werden, dass der Strom von den Großkraftwerken bis zur Steckdose fließt. Es speisten folglich nur die großen Erzeuger ein und die Verbraucher konsumierten den Strom. Aufgrund des Ausbaus Erneuerbarer-Energien- Anlagen sowie des Aufkommens neuer Verbraucher - wie Wärmepumpen oder Ladestationen für Elektroautos - vergrößern letztere allerdings die Lastspitzen. Das führt dazu, dass sich die Energieflussrichtung von Ortsnetztransformatorstationen und Kabelverteilerschränken ebenfalls wandelt. Dort wird der von den dezentralen Erzeugungsanlagen generierte Strom in das Niederspannungsnetz eingespeist. Dadurch fluktuiert die Spannung bei den einzelnen Niederspannungsanschlüssen. Im Zuge dessen können die zulässigen Systemgrenzen, wie das Spannungsband oder der thermische Grenzstrom, verlassen werden, zu dessen Einhaltung der Stromnetzbetreiber verpflichtet ist. Messwerte als Grundlage für Lastfluss-Betrachtungen und Netzausbau Als weitere Herausforderung kommt hinzu, dass es im gesamten Niederspannungsnetz keine Transparenz hinsichtlich der Lastflüsse gibt. Die einzelnen Wie die Energienetze Mittelrhein die Herausforderungen der Energiewende meistern Smart-Grid-Projekt mit dem Messwert-Gateway Energy Control Interface (ECI) Timo Beuth Zur Umsetzung der Energiewende ist trotz der vielen dezentralen Einspeiser ein stabiles Stromnetz gefordert. Gemeinsam mit verschiedenen Partnern hat die Energienetze Mittelrhein deshalb ein innovatives Pilotprojekt aufgesetzt. © Phoenix Contact 5 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Lastflüsse können sich beeinflussen und haben im Netzleitsystem bisher keine Rolle gespielt. In der Regel wird in der Mittelspannung erst am Abgang gemessen. Ein Beispiel soll die Situation verdeutlichen. Am Sicherungsabgang 1 im Niederspannungsnetz koppeln zahlreiche dezentrale Einspeiser ein, wobei die Energie im Kabelabgang 2 bereits den Verbrauchern zugeführt wird. Ein solcher Lastfluss über das Niederspannungsgerüst in einem Kabelverteiler oder einer Transformatorstation kann vom Netzbetreiber in den ausgedehnten Niederspannungsnetzen ohne Messtechnik nicht transparent abgebildet werden. Die Problematik besteht somit zum einen darin, dass aus untergeordneten in übergeordnete Stromnetze eingespeist wird. Ein solches Vorgehen hat Auswirkungen auf die Spannung am Netzanschlusspunkt. Auf der anderen Seite lassen sich Lastflüsse an den Netzknoten in Niederspannungsnetzen wegen der fehlenden Messtechnik nicht ermitteln. Peter Wiacker, Leiter Asset Management bei der Energienetze Mittelrhein GmbH & Co. KG, ist mit einer weiteren Schwierigkeit konfrontiert: „Im Asset Management möchten wir in puncto Netzausbau gerne in die Zukunft schauen. Zu diesem Zweck benötigen wir unbedingt Messwerte aus den bislang nicht digitalisierten Netzbereichen. Nur so können wir feststellen, welche Auswirkungen beispielsweise der erhebliche Zubau von Photovoltaikanlagen auf Einfamilienhäuser hat und wie das Stromnetz durch die steigende Zahl von öffentlichen und privaten Ladepunkten sowie intelligenten Verbrauchern beeinflusst wird“ (Bild- 1). Als Netzgesellschaft der in Koblenz ansässigen Energieversorgung Mittelrhein AG sorgt die Energienetze Mittelrhein für den sicheren und zuverlässigen Betrieb des Stromnetzes in 227 Kommunen sowie des Erdgasnetzes in 255 Kommunen in Rheinland-Pfalz. Weitbereichsregelung sowie digitaler Zwilling des Assets Ein Ortsteil, in dem immer mehr Photovoltaikanlagen installiert werden, gehört zur Gemeinde Kadenbach im Westerwaldkreis, rund 17 Kilometer nordöstlich von Koblenz. Insgesamt gibt es im Netzgebiet einer Ortsnetzstation 27 Aufdachanlagen, die an besonders sonnenreichen Tagen mit 190 Kilowatt/ Peak mehr Strom in das übergeordnete Mittelspannungsnetz einkoppeln, als die 188 Wohneinheiten verbrauchen können. Es musste also eine intelligente Lösung gefunden werden. Die enm-Mitarbeiter kamen hier schnell zu dem Ergebnis, dass die Errichtung einer regelbaren Ortsnetztransformatorstation allein nicht ausreicht (Bild 2). Vielmehr müsste die Verstellung der Spannungsstufen automatisiert anhand der Spannungen an den Netzanschlussstellen oder den schlechtesten Punkten erfolgen. Zudem erweist sich die Ausstattung des kompletten Niederspannungsnetzes mit Messtechnik aktuell noch als unwirtschaftlich. Deshalb suchte das enm-Team nach einer Weitbereichsregelung sowie einem digitalen Zwilling des Assets in Kadenbach. Ziel ist, ein digitales und somit rechenbares knotenscharfes Abbild des Niederspannungsnetzes zu erhalten, ohne flächendeckend Messtechnik installieren zu müssen. Ein Rechenalgorithmus soll die fehlende Messtechnik mit Daten ergänzen (Bild 3). Mit dem Energy Control Interface (ECI) von Phoenix Contact sind die Anforderungen der Energienetze Mittelrhein nun in einem Smart-Grid-Projekt mit weiteren Herstellern umgesetzt worden. Bei ECI geht es um ein Aufbereitungssystem für Messwerte, das auf der SmartRTU-Plattform basiert und platzsparend in das Niederspannungsgerüst oder den Kabelverteiler eingebaut werden kann. Die Lösung, die den Abmessungen einer Bild 1: Photovoltaikanlagen leisten einen erheblichen Beitrag zur Stromversorgung in Deutschland. © Phoenix Contact Bild 2: In der begehbaren Ortnetzstation sind der regelbare Ortsnetztransformator sowie die SmartRTU-Zentrale des PSIngo- Systems installiert. © Phoenix Contact Bild 3: Im Inneren der Ortsnetzstation ist der Platz begrenzt. © Phoenix Contact 6 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie üblichen Sicherungsschaltleiste entspricht, wird auf der Sammelschiene montiert (Bild 4). ECI sammelt die Werte der Messsensoren der intelligenten Sicherungsleisten PLPlano des Herstellers Jean Müller GmbH ein, bereitet sie auf und leitet sie dann über das Fernwirkprotokoll IEC 60870-5-104 an die Ortsnetzstation weiter. Zur Übertragung des Kommunikationsprotokolls werden hier Powerline-Module von Eichhoff eingesetzt. Stromversorgung und Absicherungen sind ebenfalls im ECI untergebracht. Die Hardwarelösung zur Digitalisierung von Niederspannungsabgängen lässt sich folglich per Plug-and-Play installieren. Kann die Parametrierung der SmartRTU nicht vor Ort stattfinden, ist dies auch per Offline-Tool oder aus der Ferne via HTTPS- Fernzugriff möglich (Bild 5). Verstellung der Spannungsstufen automatisiert Die Messsensoren sind in zwei Kabelverteilerschränken in den Sicherungsschaltleisten PLPlano verbaut und per Modbus-RTU- Protokoll über eine USB-Leitung an ECI angebunden. Pro Niederspannungsabgang erfolgt dreiphasig die Messung der aufgeführten Werte: Strom, Spannung (L-L, L-N), Leistungs- und Wirkleistungsfaktor, Blind- und Scheinleistung sowie Blind- und Wirkarbeit. Alle Messwerte werden an die Smart-Grid-Plattform Intelligent Grid Operator (PSIngo) des Softwareherstellers PSI Gridconnect GmbH weitergeleitet. Die Berechnung wird lokal vor Ort ausgeführt. Somit läuft die Weitbereichsregelung autark. Gleichzeitig werden die Messwerte in die Cloud übertragen und auch dort ausgewertet sowie anschließend abgespeichert, um die Netztransparenz zu erhöhen. Lassen sich Netzknotenpunkte nicht direkt messen, berechnet sie PSIngo. Auf diese Weise sind die Netzzustände in Kadenbach für die Netzführung transparent sichtbar. Der Stellwert zur Anpassung der Stufenstellung des regelbaren Ortsnetztransformators wird von PSIngo nach Auswertung aller Spannungen, Ströme und Leistungen im Netz ermittelt und in der SmartRTU umgesetzt. Kommt es zur Überschreitung eines Grenzwerts, sendet das System Benachrichtigungen an die zuständigen enm-Mitarbeiter, die bei Bedarf manuell eingreifen können. Im Normalfall funktioniert die Verstellung der Spannungsstufen völlig automatisch. „Die SmartRTU bietet uns die Möglichkeit, sowohl klassische Fernwirktechnik ebenso wie den Algorithmus zur Steuerung der regelbaren Ortsnetztransformatorstation zu realisieren. Das sorgt für eine innovative Digitalisierung des Stromnetzes und eine hohe Verfügbarkeit der Automatisierungskomponenten“, so Christoph Baumeister, Projektleiter bei SPIE, dem führenden Multitechnik-Dienstleister für Gebäude, Anlagen und Infrastruktur. „Für uns als Smart-Grid-Systemintegrator ist es immer wieder spannend, die neusten Entwicklungen verschiedener Hersteller in den unterschiedlichen Netzstrukturen zu einem Gesamtsystem zusammenzuführen.“ Beschleunigung der Fehlerbehebung „Mit smarten Lösungen wie der in Kadenbach installierten regelbaren Ortsnetztransformatorstation mit Weitbereichsregelung lassen sich die Herausforderungen derfortschreitenden Energiewende meistern“, erklärt Dr. Andreas Hoffknecht, Geschäftsführer der Energienetze Mittelrhein. „Durch den vollautomatischen Ausgleich Egal wo auf der Welt wir leben: Der Klimawandel trifft uns in mehr oder weniger ausgeprägter Form - Dürre, Hitze, Überschwemmungen, Stürme … Trotzdem möchten alle einen hohen, meist auf Energie basierenden Lebensstandard erreichen oder halten. Technik ist hier ein entscheidender Weg, um den Energiebedarf der Menschheit im 21. Jahrhundert nachhaltig und klimaneutral zu decken. Denn allein auf Basis der Sonne steht in der All Electric Society elektrischer Strom als zentraler Energieträger nahezu unbegrenzt zur Verfügung. Phoenix Contact sieht sich deshalb als Impulsgeber, der gemeinsam mit anderen Akteuren innovative Lösungen für die aktuellen Herausforderungen entwickelt und vorantreibt. Ein gutes Beispiel stellt die regelbare Ortsnetztransformatorstation mit Weitbereichsregelung der Energienetze Mittelrhein dar. Das Engagement der Bevölkerung in puncto Photovoltaikanlagen und Elektromobilität soll nicht mit einer Verschlechterung der Spannungsqualität und damit der Akzeptanz neuer Energie- und Mobilitätsformen einhergehen. Mehr Informationen: www.phoenixcontact.de/ energie TECHNIK ALS ENABLER DER KLIMANEUTRALEN ENERGIEVERSORGUNG Bild 4: SmartRTU fungiert als Kleinfernwirksystem zur Anbindung an die Cloud-basierte Smart-Grid-Plattform Intelligent Grid Operator (PSIngo). © Phoenix Contact Bild 5: Christoph Baumeister von SPIE führt den letzten Feinschliff bei der Aufbereitung der Messwertdaten durch. © Phoenix Contact 7 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie von Spannungsschwankungen ist die zuverlässige Versorgung der Bevölkerung mit Energie auch in Zukunft sichergestellt.“ Dazu trägt ebenfalls bei, dass sich mit der neuen Technik Fehler im Fall einer Störung schneller beheben lassen. Insbesondere die enge Zusammenarbeit der Partner im Kontext neuer Technologien hat zu einer erfolgreichen Projektumsetzung geführt (Bild 6). Denn neben ECI ist auch PSIngo ein neues Produkt auf dem Smart- Grid-Markt. Die Lösung in Kadenbach verdeutlicht, dass sich ein intelligentes Softwarekonzept ohne passende Mess- und Übertragungstechnik sowie professionelle Projekt- und Montageausführung nicht zielführend realisieren lässt. Im weiteren Rollout entsprechender Ansätze Bild 6: Das Projektteam vor einem nun digitalen Kabelverteiler: Unten links Fabian Palm (Asset Manager enm), unten rechts Christoph Baumeister (Projektleiter SPIE), oben von links nach rechts Michael Löh (Leiter Elektronik Jean Müller), Timo Beuth ( Vertrieb Schutz- und Leittechnik Phoenix Contact), Julian Kemper (Projektleiter, PSI GridConnect) und Stefan Kämpfer ( Vertrieb Schutz- und Leittechnik Phoenix Contact). © Phoenix Contact WISSEN WAS MORGEN BEWEGT Schiene, Straße, Luft und Wasser, globale Verbindungen und urbane Mobilität: Viermal im Jahr bringt Internationales Verkehrswesen fundierte Experten-Beiträge zu Hintergründen, Entwicklungen und Perspektiven der gesamten Verkehrsbranche - verkehrsträgerübergreifend und zukunftsorientiert. Ergänzt werden die deutschen Ausgaben durch englischsprachige Specials mit dem Titel International Transportation. Mehr dazu im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen gehört seit 1949 zu den führenden europäischen Verkehrsfachzeitschriften. Der wissenschaftliche Herausgeberkreis und ein Beirat aus Professoren, Vorständen, Geschäftsführern und Managern der ganzen Verkehrsbranche verankern das Magazin gleichermaßen in Wissenschaft und Praxis. Das technisch-wissenschaftliche Fachmagazin ist zudem Wissens-Partner des VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld. INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN - DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN »Internationales Verkehrswesen« erscheint bei der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Baiersbronn-Buhlbach, www.trialog-publishers.de Timo Beuth Industry Management and Automation - Energy Phoenix Contact Deutschland GmbH Kontakt: info@phoenixcontact.de AUTOR geraten die Sekundärkosten solcher Systeme zunehmend in den Fokus. Abgesehen von der einfachen Vor-Ort-Installation der Messtechnik erweist sich ein zentrales, automatisiertes Patch- und Devicemanagement mit Passwortverwaltung zur Administrierung der digitalen Systeme daher ebenfalls als wichtig. PSI GridConnect und Phoenix Contact arbeiten an einer herstellerübergreifenden Lösung, um den Anforderungen der All Electric Society gerecht zu werden. 8 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Bild 1: Die solare Nahwärmeanlage neben dem Fernheizwerk in Graz diente als Praxis-Beispiel für die Entwicklung des Leistungs- und Ertragsnachweises. © Solid Solar Energy Systems Wärmende Sonne Leistungs- und Ertragsnachweis von großen Solaranlagen minimiert Risiko für Investoren Die Sonne scheint nicht immer gleich stark vom Himmel und der Wärmebedarf in Nahwärmenetzen schwankt von Monat zu Monat. Deshalb ist es nicht einfach zu prüfen, ob große Solaranlagen tatsächlich die bei der Planung berechneten oder vom Systemanbieter garantierten Leistungen und Erträge erreichen. Die Sicherheit eines Leistungs- und Ertragsnachweises ist allerdings für die Investoren entscheidend. Deshalb hat das österreichische Forschungsinstitut AEE INTEC eine Methode entwickelt, die einen Leistungs- und Ertragsnachweis großer Kollektorfelder im regulären Anlagenbetrieb ermöglicht. Das Potenzial für Solarwärmenutzung in Nahwärmesystemen in Europa ist riesig. Von den rund 5 000 bestehenden Wärmenetzen nutzen bisher erst etwa 150 Sonnenwärme. Für Wärmeversorger ist es entscheidend, dass sie den von den Technologielieferanten garantierten Solarerträgen vertrauen können, um das finanzielle Risiko gering zu halten. Nun hängt der Solarertrag allerdings von unterschiedlichen Faktoren ab. Neben dem Wetter ist auch der Wärmebedarf der Abnehmer entscheidend. Die Qualität der Kollektoren spielt ebenso eine wichtige Rolle und eine suboptimale Regelung der Anlagen kann zu Mindererträgen führen. „Für die Qualitätsprüfung eines großen Kollektorfeldes müssen wir also aus den gemessenen Betriebsdaten die Faktoren, die den Solarertrag beeinflussen, so gut wie möglich voneinander trennen. Das machen wir mit Hilfe eines physikalischen grey box Modells“, erklärt Philip Ohnewein, Wissenschaftler bei AEE INTEC und Leiter des Forschungsprojekts MeQuSo. Die Abkürzung steht für „Methodikentwicklung für Qualitätsnachweise Solarthermischer Großanlagen“ unter realen Betriebsbedingungen. Das vierjährige Forschungsprojekt, finanziert vom österreichischen Klima- und Energiefonds, wurde gerade erfolgreich abgeschlossen. „Wir haben zusammen mit unseren Industriepartnern die gesteckten Ziele voll erreicht und die Testmethode D-CAT für große Kollektorfelder entwickelt. Diese Methode basiert auf einem numerischen Modell, das gut zu den gemessenen Betriebsdaten passt und hilft, das Verhalten der Solarwärmeanlage zu verstehen,“ sagt Ohnewein. Dabei erfolgt die Auswahl der geeigneten Messdaten vollautomatisch. Mit Hilfe des Kollektorfeld-Modells D-CAT 2-N und den Messdaten des realen Anlagenbetriebs werden aussagekräftige Parameter ermittelt, die zeigen, wie leistungsstark das Kollektorfeld in der Praxis tatsächlich ist. Diese Parameter sind im Wesentlichen vergleichbar mit den Ergebnissen eines Normtests für einzelne Solarkollektoren, jedoch erweitert auf große Kollektorfelder. Die Leistungskennwerte beschreiben die optischen Eigenschaften, die Wärmeverluste und die Wärmeübergänge im Kollektorfeld. „Die D-CAT Testmethode ermöglicht die Bewertung eines Kollektorfelds als technische Komponente, die die Kollektorparameter klar von Witterungs- und Betriebseinflüssen trennt“, erklärt Daniel Tschopp, ein Kollege von Philip Ohnewein bei AEE INTEC, der in seiner Doktorarbeit an der Entwicklung der D- CAT Methode beteiligt war. Die Leistungsbewertung des Kollektorfeldes ist also weitgehend unabhängig davon, dass die tatsächlichen Betriebszustände von idealtypischen Testbedingungen abweichen, weil zum Beispiel der Sommer verregnet ist oder vorübergehend höhere System- Bild 2: Visuelle Darstellung der Ergebnisse aus den Modellberechnungen - die blauen Bereiche unten stellen die Einlasstemperatur ins Kollektorfeld dar, die roten Bereiche oben die Auslasstemperatur. © AEE INTEC 9 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Temperaturen auftreten. Somit stellt die D-CAT-Methode eine neutrale und detaillierte Charakterisierung eines Kollektorfeldes als technische Komponente dar, weitgehend unabhängig von äußeren Bedingungen. Modell bewährt sich in der Praxis Die D-CAT-Methode kann bei Kollektorfeldern mit einer Größe von wenigen 100 bis zu mehreren 10 000 m 2 eingesetzt werden. Im Projekt MeQuSo nutzten die Wissenschaftler*innen von AEE INTEC das Kollektorfeld neben dem Fernheizwerk in Graz mit insgesamt 8 249 m 2 Kollektorfläche (Bild 1) um nachzuweisen, dass die neue Auswertungsmethode D-CAT die Vorgänge in der Solarwärmeanlage gut beschreibt (Bild- 2). In der Anlage Fernheizwerk Graz sind Flachkollektoren von mehreren namhaften europäischen Herstellern verbaut, die so erstmals in der gleichen Anlage unter gleichen Rahmenbedingungen (Betrieb, Wetter) verglichen werden konnten. Für das Modell D-CAT 2-N werden die Temperatur und der Massenstrom am Eingang und Ausgang des Kollektorfeldes sowie Daten zur solaren Einstrahlung benötigt. Um die Kosten der Ertragsprüfung gering zu halten, hat das AEE INTEC-Team darauf Wert gelegt, dass kommerzielle Messtechnik ausreicht, wie sie bei solaren Großanlagen zur Standardausstattung gehört. Der D-CAT-Test kann parallel zum Realbetrieb durchgeführt werden, es müssen also keine speziellen Testzyklen gefahren werden. Die D-CAT-Methode hat derzeit die Entwicklungsstufe eines „Proof of Concepts“. „Die Methodik haben wir in allen Details im MeQuSo-Abschlussbericht beschrieben, so dass Zertifizierungsbehörden, Projektentwickler oder Forschungsinstitute das Verfahren erfassen und anwenden können,“ sagt Ohnewein. Alle Projektbeteiligten profitieren vom Ertragsnachweis Damit ist AEE INTEC dem Ziel, Leistungs- und Ertragsnachweise von großen Kollektorfeldern im Realbetrieb zu führen, einen wichtigen Schritt näher gekommen. Das Verfahren kann in Zukunft Betreiber von solaren Nahwärmeanlagen dabei unterstützen, die Anlagenregelung zu optimieren und damit den Ertrag zu maximieren. Es wird außerdem helfen, im Garantiefall bei Mindererträgen festzustellen, welcher physikalische Vorgang in welcher technischen Komponente zuständig ist und welche der beteiligten Fachfirmen daher die Verantwortung trägt. Planer, Errichter, Betreiber und Besitzer der Anlage interagieren auf vielfältige Weise entlang der Projektentwicklungsphasen von der Planung bis zum regulären Betrieb. Bild 3 illustriert, welche Verantwortungsbereiche die Hauptakteure haben und wie sich diese Bereiche auf die prognostizierten und realisierten Solarerträge auswirken. Der von AEE INTEC mitentwickelte Ertragsnachweis soll also das Risikomanagement für große Solarthermie erleichtern. Die Methode stellt höchstmögliche Transparenz her und ermöglicht den Projektbeteiligten eine sinnvolle Aufteilung der Risiken, denn Planer, Errichter und Betreiber müssen nur für ihren Bereich Verantwortung übernehmen. Ein gutes Risikomanagement reduziert auch immer die Finanzierungskosten und macht das Investment für den Anlagenbesitzer attraktiver. So profitieren im Endeffekt alle am Projekt Beteiligten von dem Ertragsnachweis im Realbetrieb. Damit kann die neue D-CAT-Methode einen wichtigen Beitrag zu einer beschleunigten Umsetzung von großen Solarwärmeanlagen beitragen. Endbericht: www.aee-intec.at/ 0uploads/ dateien1538.pdf Projekt-Website: www.aee-intec. at/ mequso-methodikentwicklungfuerqualitaet snachweisesolarthermischer-grossanlagen-unterrealen-betriebsbedingungen-p185 Bild 3: Interessen und Verantwortlichkeiten der Hauptbeteiligten bei der Realisierung und dem Betrieb einer großen Solarthermieanlage. © AEE INTEC KONTAKT Philip Ohnewein Projektleiter MeQuSo AEE INTEC E-Mail: p.ohnewein@aee.at 10 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Die Reise von Schwäbisch Hall mit dem Ziel „100 Prozent Erneuerbare Energie“ begann schon vor vielen Jahren mit dem frühzeitigen Ausbau des Fernwärmenetzes. 2010 erarbeiteten die Stadt Schwäbisch Hall und ihre Nachbargemeinden gemeinsam mit den Stadtwerken Schwäbisch Hall eine Vision, wie dieser Weg für die Region aussehen könnte. „Der Kompass, der uns dabei bis heute den Weg weist, heißt Kommunale Lenkung“, erläutert Hermann- Josef Pelgrim, Oberbürgermeister der 41 000 Einwohner zählenden Stadt am Kocher. „Schritt um Schritt kommen wir seitdem unserem Ziel näher“. Bereits seit 2018 wird der Strom im Netzgebiet der Stadtwerke Schwäbisch Hall zu 100 Prozent aus Erneuerbaren Energien erzeugt. Bis 2035 will die Stadt auch im Wärmesektor klimaneutral sein. Engagierte Mitstreiter setzen die ambitionierten Ziele um „Die Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg hat uns in vielen Punkten geholfen, Wind in die Segel zu bekommen. So erstellte sie mit uns vor sieben Jahren ein integriertes Klimaschutzkonzept. Wenn man sich als Kommune aber auf so eine Reise begibt, braucht man in den eigenen Reihen auf jeden Fall qualifizierte Mitarbeiter*innen, die mit viel Fachwissen und Herzblut die Dinge vorantreiben“, so Pelgrim. „Inzwischen hat bei uns sogar ein Duo die Koordination in der Hand.“ Der Energiebeauftragte Heiner Schwarz-Leuser kümmert sich seit 2009 hauptsächlich um das kommunale Energiemanagement, also den effizienten Betrieb der Liegenschaften. 2015 kam eine Stelle für das Klimaschutzmanagement dazu. Hier ist Alina Berger seit 2020 zuständig für die Koordination und Umsetzung der städtischen Klimaschutzstrategie. Der Schlüssel liegt in der Wärmeplanung Den meisten Schub gibt auf einer solchen Reise das Großsegel. In Schwäbisch Hall hat die kommunale Wärmeplanung diese Funktion. Denn viele Haushalte der 17 Stadtteile und die meisten kommunalen Arbeitsplätze sind bereits an das Fernwärmenetz angeschlossen. Oberbürgermeister Grüne Welle in Schwäbisch Hall Eine Stadt auf dem Weg zu 100 Prozent erneuerbarer Energie. In Schwäbisch Hall stehen alle Zeichen auf Grün: Fernwärme, Windkraft, Sonnenenergie, LED-Beleuchtung, E-Busse, elektrische Lastenräder, der Ausbau von Radwegen: Die Klimaschutzmaßnahmen der Kommune gleichen den Etappen einer langen Reise in eine vorbildliche Zukunft. Alle städtischen Bediensteten und die Bürgerschaft sind dabei unterwegs. Beim European Energy Award 2020 wurde die Stadt mit der Auszeichnung in Gold belohnt. Bild 1: Auch Wind- und Solarenergie tragen ihren Teil zum Klimaschutzkonzept von Schwäbisch Hall bei. © Stadtwerke Schwäbisch Hall Bild 2: Strahlwirkung in den Landkreis: Die Neubaugebiete „Steinäcker“ und „Lange Äcker“ in Michelfeld wurden konsequent für Fernwärme erschlossen. © Stadtwerke Schwäbisch Hall 11 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Pelgrim erklärt den Zusammenhang: „Als Stadtverwaltung sehen wir uns in der Doppelrolle zwischen verantwortungsvoller Erzeugung und größtmöglicher Einsparung von Energie“, sagt er. Die Stadtwerke, zu 100 Prozent in kommunaler Hand, sind dabei ein wichtiger Akteur an Bord. Die Fernwärme wird fast ausschließlich aus Biomethan, Biogas und Erdgas in Kraft- Wärme-Kopplungsanlagen erzeugt. Neubaugebiete, die Kernstadt sowie Gewerbegebiete werden vorrangig an das städtische Wärmenetz angeschlossen. 120- Kilometer Trasse versorgen rund 15 000 Einwohner - und 80 Prozent der städtischen Arbeitsplätze. „Bei Neubauten und energetischen Sanierungen gilt sogar die Pflicht, das Fernwärmenetz zu nutzen“, bekräftigt Pelgrim. „Und die Vorschrift nimmt uns kaum jemand übel: Die Leute sind froh, wenn sie in den Wärmeverbund dürfen.“ Die Kommune agiert als Vorbild für die Bürger Die Stadt nimmt sich dabei auch selbst in Form eines kommunalen Energiemanagements in die Pflicht. Der Energie- und Wärmebedarf öffentlicher Gebäude und Liegenschaften wird konsequent beobachtet und optimiert. „Alleine die energetisch sanierte Straßenbeleuchtung spart rund 400 000 Euro pro Jahr ein“, betont der Energiebeauftragte Heiner Schwarz-Leuser. „Städtische Neubauten werden zudem, soweit möglich, über die aktuell gültigen Standards hinaus energetisch optimiert “, fügt er hinzu. Fördergelder von Bund und Land erweitern den Spielraum der Stadt für die kontinuierliche Umsetzung von Klimaschutzprojekten. Und die sind äußerst zahlreich. Das „Kocher-Muli“ zum Beispiel, ein elektrisch betriebenes Lastenfahrrad, erfreut sich bei den Bürgern großer Beliebtheit. Alle dürfen es kostenlos nutzen. Der wöchentliche Einkauf auf dem Markt wird dadurch zum sympathischen Einstieg in nachhaltige Mobilität. Zwei Mio. Euro wurden seit 2012 zudem in neue Radwege, Rampen und Stellplätze investiert. Wen die Fahrt durch Berg und Tal nicht lockt, der steigt in einen von drei E-Bussen, die regelmäßig im Nahverkehr pendeln. Die Bürger einbeziehen, sie also als Teil der Mannschaft an Bord verstehen, das ist eine der wichtigen Aufgaben für die Klimaschutzbeauftragte Alina Berger: „Mit einer begleitenden Informations- und Sensibilisierungskampagne nehmen wir die Bürgerinnen und Bürger konsequent auf dem Weg in die CO 2 -neutrale Zukunft mit.“ So stärken inzwischen auch zahlreiche Bürgerbeteiligungsprojekte die Akzeptanz von Wind- und Sonnenenergie in der Region. Mit anderen das „Große Ganze“ im Blick behalten „Wir sind davon überzeugt, dass man nicht nur das eigene Schiff auf Kurs halten, sondern auch über die Reling hinausschauen muss“, bekräftigt der Oberbürgermeister. „Darum unterstützen wir im Rahmen einer kommunalen Partnerschaft auch ein Klimaschutzprojekt mit Okahandja in Namibia.“ Ein Engagement, das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gefördert wird. Das Klimaschutz-Engagement aller Schwäbisch Haller Akteure zahlt sich aus. Anfang 2020 erhielt die Gemeinde den European Energy Award (eea) in Gold. Der eea ist das nicht nur in Deutschland am weitesten verbreitete Energiemanagement-Werkzeug für Kommunen. Während Brüssel mit dem European Green Deal die politische Großwetterlage zum Klimaschutz gestaltet, ist Schwäbisch Hall bereits zu einem echten Vorbild geworden. „Vor den Herausforderungen, denen sich Schwäbisch Hall immer wieder stellen musste, stehen auch die anderen Kommunen in Baden-Württemberg“, so Oberbürgermeister Pelgrim. „Darum sind die zahlreichen Informations- und Netzwerkangebote der KEA-BW besonders wertvoll, da Kommunen damit von Kommunen lernen können.“ Auch in Zeiten der Corona-Krise und ihrer Folgen will die Stadt an ihren Zielen festhalten. Sowohl das Klima als auch die Stadtkasse werden davon profitieren. LINKS UND INFORMATIONEN • Stadtrecht in Schwäbisch Hall/ Absatz Fernwärmeversorgung: www.schwaebischh a l l . d e / d e / r a t h a u s s e r v i c e / buergerservice/ stadtrecht • Stadtwerke Schwäbisch Hall: 100 % Ziel erreicht: Unser Strom ist regenerativ. stadtwerke-hall. de/ energievision/ • Best Practice: www.kea-bw. de/ kommunaler-klimaschutz / wissensportal/ best-practice KONTAKT Claire Mouchard KEA Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg GmbH Mail: claire.mouchard@kea-bw.de Bild 3: OB Pelgrim gibt auf dem städtischen Leihfahrrad ein gutes Vorbild. © Stadt Schwäbisch Hall 12 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Unsere Gebäude verursachen gut ein Drittel der Treibhausgase. Im Vergleich zum Jahr 1990 hat sich der Treibhausgasausstoß um etwa 40 Prozent verringert. 1 Allerdings stagnieren 1 Klimaschutzplan 2050, 2016, BMWi; Klimaschutz in Zahlen. Fakten, Trends und Impulse deutscher Klimapolitik, Ausgabe 2019, BMU. seit gut fünf Jahren die energetischen Modernisierungen und damit auch die Verringerung der Emissionen. Der Fokus von Sanierungskonzepten und anderen Maßnahmen muss insbesondere auf dem Bestand liegen, da ein Großteil der heutigen Gebäude auch 2050 noch stehen wird. Doch dabei bestehen noch erhebliche Herausforderungen und Hemmnisse. Eine Möglichkeit, diesen zu begegnen, ist die Betrachtung von Quartieren anstelle von Einzelgebäuden. Über mehrere Gebäudeblöcke hinweg können sich zum Beispiel erweiterte oder kostengünstigere Möglichkeiten für eine gemeinsame klimafreundliche Energieversorgung ergeben. Ebenso lassen sich im Quartier die unterschiedlichen Gebäudeeigentümer und weitere relevante Akteure zielgerichtet für energetische Maßnahmen ansprechen und mobilisieren. In einer Reihe von Projekten versucht der Deutsche Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e. V. (DV), sich diesem Thema intensiver zu widmen, Akteuren aus unterschiedlichen Fachrichtungen und mit verschiedenen Perspektiven einen Austausch zu ermöglichen und neue Lösungswege zu erörtern und in die Breite zu tragen. Dialoginitiative „Runder Tisch“ - Neue Impulse zum nachhaltigen Klimaschutz im Gebäudebereich Im Projekt „Neue Impulse zum nachhaltigen Klimaschutz im Gebäudebereich“ diskutieren rund 40 bis 50 Schlüsselakteure aus verschiedenen Bereichen bei insgesamt vier eintägigen Sitzungen die Chancen integrierter Quartiersansätze für energieeffiziente Gebäudesanierung und nachhaltige Energieversorgung. Vertreten sind Wohnungs- und Energiewirtschaft, Mieterschutz, Umweltverbände und Kommunen sowie Beratung und Wissenschaft. Gefördert wird der „Runde Tisch“ vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU). Die Dialoginitiative will dazu beitragen, wirkungsvolle quartiersbezogene Lösungsansätze voranzubringen und gemeinsame Wege zur Umsetzung des Klimaschutzprogramms der Bundesregierung für den Gebäudebestand zu erarbeiten. Dies erfolgt auf Neue Impulse für einen nachhaltigen Klimaschutz im Gebäudebestand Realistische quartiersbezogene Lösungsansätze durch interdisziplinären Dialog voranbringen Klimaschutz, energetische Sanierung, Quartier, Gebäude, Klimaziele Alexandra Beer Der energetische Bestandsumbau steht vor großen Herausforderungen. Integrierte Quartiersansätze bieten hier vielversprechende Möglichkeiten. Über verschiedene Veranstaltungen und Projekte ermöglicht der Deutsche Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung Fachakteuren hierzu einen interdisziplinären Austausch und entwickelt Handlungsempfehlungen für Politik und Praxis. Die Vereinbarkeit von Wirtschaftlichkeit und Sozialverträglichkeit, die Schaffung wirksamer Förderanreize, die Rolle der Kommunen oder die Potenziale von Sektorkopplung sind nur einige Themen, die dabei vertieft werden. Bild 1: Programmflyer Auftaktsitzung. © Pixabay, EuRoB 13 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie der Basis von Erkenntnissen aus Forschung, Modellvorhaben und der aktuellen Modernisierungspraxis. Diese bringt der Partner in diesem Verbundvorhaben, das Institut für Wohnen und Umwelt (IWU), in den Dialog mit ein. Auch weitere externe Experten liefern Fachimpulse. Unter Mitwirkung von Florian Pronold, MdB, Parlamentarischer Umweltstaatssekretär, befasste sich die Auftaktsitzung im Juni 2020 (Bild 1) mit den Klimaschutzpotenzialen energetischer Quartiersansätze für kostengünstigere und sozialverträglichere Modernisierungen. Mögliche Wege zur Klimaneutralität des Gebäudebestands wurden aus der Sicht unterschiedlicher Branchengruppen aufgezeigt. Ziel der Sitzung war es, einen grundsätzlichen Überblick über das Thema zu präsentieren. Außerdem sollte herausgearbeitet werden, in welchen Punkten die Akteursgruppen übereinstimmen bzw. wo es Interessenskonflikte gibt. Das Schwerpunktthema der zweiten Sitzung im September 2020 waren die Potenziale und Grenzen versorgungsseitiger Maßnahmen im Quartier in Verbindung mit gebäudebezogenen Wärmeschutzmaßnahmen. Als Einstieg stellten die Referenten unterschiedliche Möglichkeiten zur Definition bzw. Abgrenzung von Quartieren vor - aus Sicht der Stadtplanung, der Städtebauförderung und der Energiewirtschaft. Anschließend wurden integrierte, sektorübergreifende Energieversorgungslösungen in Ergänzung zur Steigerung der Gebäudeenergieeffizienz betrachtet. Fachimpulse zu Varianten für eine grüne quartiersbezogene Wärmeversorgung sowie Praxisbeispiele lieferten zusätzlichen Input für die anschließenden Diskussionen. Die dritte Sitzung im Oktober 2020 konzentrierte sich auf die Schnittstelle zwischen Quartier und Einzelgebäudesanierung. Im Fokus standen eine CO 2 -Orientierung und geeignete maximale Wärmeschutzstandards, die CO 2 - Bilanzierung auf Gebäude- und Quartiersebene, quartiersbezogene Anforderungsniveaus wie zum Beispiel die Innovationsklausel im Gebäudeenergiegesetz (GEG) und die Problematik der Bündelung von Förderung im Quartier. Außerdem wurde das Sonderthema „Graue Energie“ und Lebenszyklusbetrachtung sowie „Cradle to Cradle“-Ansätze 2 und deren mögliche Integration in gesetzliche Anforderungen und Standards diskutiert. Zwischen den einzelnen Sitzungen vertieften kleinere Expertenrunden Spezialthemen wie den Einsatz von Wärmepumpen im Bestand, grünen Wasserstoff oder Mieterstrom. Das Thema der vierten Sitzung im Januar 2 Cradle to Cradle (C2C) strebt eine Kreislaufwirtschaft ohne Abfall an. Im Kern des Cradle to Cradle-Prinzips steckt die Idee, von Anfang an in kompletten Produktkreisläufen zu denken und auf diese Art erst gar keinen Müll im herkömmlichen Sinn entstehen zu lassen. 2021 knüpft schließlich unter der Überschrift: „Mobilisierung, Akzeptanz, Beratung und Nutzerverhalten“ an das Thema Förderung an. Dabei wird es dann um die Weiterentwicklung der bestehenden Förderung an der Schnittstelle von Mietrecht, Ordnungsrecht und Förderprogrammen im Zusammenhang mit der Akzeptanz von Maßnahmen insbesondere bei Mietern gehen. Im Anschluss werden der DV und das IWU eine Abschlussdokumentation mit konkreten Handlungsempfehlungen erstellen und - voraussichtlich im zweiten Quartal 2021 - der Fachöffentlichkeit vorstellen. Workshop „Energie-Dialog“ Der DV sieht neben Themen der Gebäudesanierung und der Fördersystematik die Vernetzung der energieproduzierenden und -verbrauchenden Sektoren als einen entscheidenden Baustein für die Energiewende und für die Dekarbonisierung aller Wirtschaftsbereiche. Im September 2020 widmete der Verband sich diesem Thema im Rahmen einer gesonderten Online-Veranstaltung (Bild 2). Genauer betrachtet wur- Bild 2: Illustration Online-Workshop © lassedesignen, fotolia.com 14 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie de vor allem die lokale Dimension der Sektorkopplung, also die Folgen für die Quartiersebene, sowie die Verknüpfung energetischer Quartierserneuerung mit klimaschonenden Mobilitätsansätzen. Dies ergänzte die Arbeit des Runden Tisches und ermöglichte eine Vertiefung sowie praktischere Ausrichtung bei einem gleichzeitig erweiterten Teilnehmerkreis von etwa 80-Personen. Der Workshop wurde mit Hilfe einer Förderung durch CIVITAS SATELLITE umgesetzt. Vertreter aus Politik, Kommunen und Wissenschaft sowie Akteure des Immobilien- und Energiemarktes beleuchteten in Fachimpulsen und durch Praxisbeispiele die Kopplung des Mobilitäts-, Energie- und Wohnungssektors auf Stadtteilebene und stellten zukunftsweisende technologische Ansätze und Konzepte vor. Die Wohnungswirtschaft stand dabei als Schnittstelle zwischen dem Mieter als Mobilitätsnutzer und dem Stromnetz sowie der Wärmeversorgung als zugrunde liegender Infrastruktur besonders im Fokus. Klar wurde, dass Themen wie Ladeinfrastruktur, Systeme zur gemeinsamen Nutzung, lokale Energieerzeugung und -verbrauch sowie die technische Integration auf Stadt-, Kreis- oder Quartiersebene nur durch ein wirksames Zusammenspiel und eine wirksame Zusammenarbeit der lokalen Akteure erfolgreich bewältigt werden können. Erneut wurde das Quartier als geeigneter Rahmen und (städtebauliche) Größenordnung für integrierte Maßnahmen benannt. Projekt „3 % plus - Umsetzung des energieeffizienten Sanierungsfahrplans für kommunale Quartiere“ Ein wesentlicher thematischer Baustein des Runden Tisches ist die Mobilisierung von Gebäudeeigentümern durch Information, Beratung und Begleitung. Dieses Thema bearbeitet der DV mit einem gesonderten Forschungsvorhaben. Das Verbundprojekt „3 % plus - Umsetzung des energieeffizienten Sanierungsfahrplans für kommunale Quartiere“ schließt die Umsetzung eines energieeffizienten Sanierungsfahrplans in Quartieren der beteiligten Modellkommunen Aachen-Brand, Ludwigsburg-Schlösslesfeld sowie in der Gemeinde Roetgen und der Stadt Eschweiler in der Region Aachen ein. Der Name des Vorhabens deutet sein langfristiges Ziel an: Das Erreichen einer Sanierungsquote von drei Prozent. Der DV untersucht in diesem Kontext, wie eine idealtypische Beratungskette (Bild 3) von der Initialberatung über die Maßnahmenplanung bis hin zur Bau- und Betriebsbegleitung aussehen sollte, welche wichtigen Akteure in der lokalen Sanierungsberatung eine Rolle spielen und wie relevante Instrumente und Formate besser und nutzerfreundlicher mit diesen verknüpft werden können. Damit wird zum übergeordneten Ziel des Projektes beigetragen, insbesondere in Quartieren mit heterogenen Eigentümerstrukturen (Wohne i g e n t ü m e r g e m e i n s c h a f t e n , Selbstnutzer, Kleinvermieter), um zum Beispiel durch gezielte Beratungsangebote neue Energieeffizienzpotenziale zu aktivieren und so die Sanierungsrate zu steigern. Partner in dem vom Bundeswirtschaftsministerium über den Förderschwerpunkt „EnEff: Stadt“ unterstützten Projekts sind die B.&S.U. Beratungs- und Service-Gesellschaft Umwelt mbH und die Hochschule für Technik in Stuttgart. Besonders in Quartieren ist die Kommune eine zentrale Handlungsebene und damit ein entscheidender Akteur für den Erfolg des Klimaschutzes im Gebäudebereich. Es geht nicht nur darum, dass Städte im eigenen Gebäudebestand Klimaschutzmaßnahmen durchführen oder über kommunale Versorger den CO 2 -Ausstoß in der Energieversorgung senken. Vielmehr müssen sie Prozesse auf Quartiersebene anstoßen und integrierte energetische Quartierskonzepte auf den Weg bringen. Dazu müssen sie verschiedene Eigentümergruppen, Energieversorger, Unternehmen und weitere Akteure mobilisieren und deren teils unterschiedliche Interessen koordinieren. Dies ist eine Managementaufgabe, die ausreichend Ressourcen benötigt und neben den kommunalen Pflichtaufgaben nur schwer zu leisten ist. Für diese anspruchsvolle Rolle benötigen die Kommunen deshalb ausreichend Unterstützung von Bund und Ländern. Ein Teilziel des Projektes ist es außerdem, einen Erfahrungsaustausch zwischen Kommunen zu ermöglichen. Zum einen erfolgt dies zwischen den am Projekt beteiligten Kommunen. Zum anderen soll aber auch ein breiterer Kreis von den Erfahrungen profitieren. Daher fand im Okto- Bild 3: Die Beratungskette der Energetischen Sanierung. © DV 2019: 3 % plus-Projekt Erstansprache und Initialberatung Konzeptorientierte Beratung Planung und Angebot Umsetzung und Ausführung Betriebsführung/ Monitoring 15 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie ber 2020 der Online Praxis-Austausch „Energetische Sanierung im Quartier - Welche Handlungsspielräume haben Kommunen? “ statt. Beim Workshop berichteten die Projektpartner zusammen mit weiteren Kommunen von ihren Erfahrungen im Rahmen des Energieforschungsprogramms des Bundeswirtschaftsministeriums. Gemeinsam diskutierten sie mit den über 80-Teilnehmern, welchen Beitrag etwa energetische Quartiersansätze, digitale Tools sowie lokale Beratungsnetzwerke zu einer höheren Sanierungsrate leisten können. Im Rahmen des „Drei-Prozent- Projektes“ ist der DV auch am Annex 75 der Internationalen Energieagentur (IEA) beteiligt, der sich mit energetischer Quartierssanierung in Kombination von Energieeffizienzmaßnahmen und dem Einsatz erneuerbarer Energien befasst. Der DV arbeitet gemeinsam mit der B.&S.U. mbH und dem Salzburger Institut für Raumordnung und Wohnen an Leitlinien für lokale „Policy Maker“. Das Ziel: Kommunen das Fachwissen der IEA besser zugänglicher zu machen. Fazit Im Rahmen der bisherigen Aktivitäten zeigt sich bereits deutlich, dass wir grundsätzlich eine andere Klimaschutzstrategie für den Gebäudebestand als bisher benötigen. Wichtig sind mehr Flexibilität und Technologieoffenheit, bessere und andere Förderanreize, ganzheitliche Beratungsketten sowie integrierte Klimaschutzansätze im Quartier. Gebäudeeigentümer sollten unter Einhaltung von Mindesteffizienzstandards flexibler wählen können, ob sie weitere CO 2 -Einsparungen über noch mehr Dämmung oder durch mehr erneuerbare Energien erreichen wollen. Die erneuerbare Energieversorgung sollte nicht nur unmittelbar am Gebäude möglich sein, sondern auch in einem größeren räumlichen Zusammenhang. … als wirkungsvolle Maßnahme gegen die Folgen zunehmender Starkregenereignisse. Mit diesem Systemaufbau, der ca. 80 l/ m 2 (bei einer Anstauhöhe von 60 mm) auf dem Dach zwischenspeichert, haben Sie das Wasser im Griff. Regenwasserbremse für die Kanalisationsnetze in unseren Städten! Wasserrückhalt via Retentions-Gründach ... Tel: 07022 9060-600 www.zinco.de/ systeme/ retentions-gruendach AUTORIN Dipl.-Ing. (FH) Alexandra Beer Projektkoordinatorin Deutscher Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e. V., Berlin a.beer@deutscher-verband.org  Mehr Informationen zum Runden Tisch „Neue Impulse für nachhaltigen Klimaschutz im Gebäudebestand“ unter: https: / / www.deutscher-verband.org/ runder-tisch-klimaschutz  Mehr Informationen zum Forschungsprojekt „3 % plus“ im Rahmen des Energieforschungsprogramms der Bundesregierung in der Veröffentlichung „Das Quartier als Schlüssel zur Steigerung der Sanierungsrate“: https: / / www. deutscher-verband.org/ aktivitaeten/ projekte/ 3plus-projekt.html  Mehr Informationen zum Konzept des Energie- Dialogs zur Sektorenkopplung sowie das Programm unter: https: / / www.deutscher-verband. org/ aktivitaeten/ veranstaltungen/ energie-dialog INFO-BOX 16 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen Bereits 2009 hatte die Europäische Umweltagentur gewarnt: „Die Wasserknappheit ist ein immer häufiger auftretendes und beunruhigendes Phänomen, das mindestens 11 % der europäischen Bevölkerung und 17 % des EU- Gebiets betrifft“. Ballungsräume, auch in Deutschland, könnten ohne Fernwasserleitungen aus dem Umland nicht mehr existieren. Doch wie geht es weiter, wenn die Ressourcen im Umland nach einigen trockenen Jahren erschöpft sind? Wasserschleifen im Gebäude zur Wiederverwendung von Grauwasser und zur Nutzung von Regenwasser sind für neue Immobilien schon heute eine Option. Beispiel Frankfurt: Für geplante Neubaugebiete in der südlichen Rödelheimer Landstraße und in der Bürostadt Niederrad existieren Konzeptstudien zum großflächigen Grauwasserrecycling. Bereits in Betrieb ist im Stadtteil Bockenheim eine Kindertagesstätte, in der Grauwasser recycelt und zum Spülen der Toiletten genutzt wird. Auch Wärmerecycling ist installiert, wobei zusätzlich das Grauwasser der 66-Wohnungen im selben Gebäude Verwendung findet. Interessenkonflikt um Regenwasser Stadtplaner wollen Niederschläge vorrangig über Gründächer verdunsten, zugunsten der City-Kühlung und Luftbefeuchtung im Sommer. Investoren wollen es in Gebäuden nutzen, um Trinkwasser zu sparen und den Immobilienwert durch ein Nachhaltigkeitszertifikat hoch zu halten. Alternativ denken sie bei Wohnungsbau, Sporthallen und Beherbergungsbetrieben an Grauwassernutzung für die Toilettenspülung, vor allem seit es hierfür in Kombination mit Wärmerückgewinnung staatliche Zuschüsse gibt. Ein Teil der Wasserversorgungsunternehmen behauptet nach wie vor, Deutschland sei ein an Wasser reiches Land. Das sagt genauso wenig aus, wie die Behauptung, seine Bewohner seien wohlhabend. Solche Äußerungen beziehen sich auf den Durchschnitt und ignorieren, dass der Reichtum nicht gleichmäßig verteilt ist. Die meisten Ballungsräume benötigen mehr Trinkwasser, als ihre eigenen Ressourcen vor Ort hergeben. Modellregion Rhein-Main Die bisherige Politik sah die Lösung für chronischen Wassermangel in Fernwasserleitungen. Deren ökologische Auswirkungen sind teilweise unbedeutend, teilweise gravierend. Frankfurt am Main überstand die mehr als sechsmonatige Dürre im Sommer 2018 auf Kosten der 50 km entfernten Region am Vogelsberg. Naturschützer dort schlugen zum wiederholten Mal Alarm wegen dramatisch sinkenden Grundwasserspiegels [1]. Eine Fernwasserversorgung ist nicht grundsätzlich zu kritisieren, sondern das Versäumnis, in Mangelgebieten flächendeckend einen Teil des Trinkwassers durch Betriebswasser zu ersetzen. Doch es tut sich was. Laut schwarz-grüner Koalitionsvereinbarung Ende 2018 will die hessische Landesregierung „Brauchwassersysteme in Industrie- und Wohnanlagen forcieren“. 1 Frankfurt, Wiesbaden und Darmstadt 1 Technisch korrekt wäre hier die Bezeichnung Betriebswasser. Denn als Brauchwasser bezeichnen Haustechnik- Fachleute das erwärmte Trinkwasser in der Sanitärinstallation. Alles nutzbare Nicht-Trinkwasser hingegen ist per Definition Betriebswasser. Wasserschleife im Gebäude Klaus W. König Bei Wasserrecycling sieht alles danach aus, als würde sich die politische „Großwetterlage“ gerade ändern. Um Regenwasser droht bereits ein Verteilungskampf. Und Grauwasser, das nur leicht verunreinigte Abwasser, wird auch für Energiesparer attraktiv, denn damit lässt sich neuerdings rentabel Wärme zurückgewinnen. Regenwassernutzung: Verwenden des atmosphärischen Niederschlags. Mindestanforderung ist eine Wasserqualität gemäß der europäischen Badegewässerrichtlinie. Bei Stichproben werden regelmäßig deutlich bessere Werte, als dort gefordert, gefunden. Eine Nachweispflicht besteht nicht. Grauwassernutzung: Verwenden des häuslichen Schmutzwassers ohne Abwasser aus Toiletten und Urinalen. Mindestanforderung ist eine Wasserqualität gemäß Anhang D der DIN- EN 16941-2, sobald diese veröffentlicht ist. Die Nachweispflicht (die es in Deutschland zuvor nicht gab) ist dort erstmals formuliert, abhängig von der Risikobewertung und Nutzungsart. Regen- und Grauwassernutzungsanlagen: Sie bestehen aus den vier wesentlichen Elementen Sammlung, Behandlung, Speicherung und Verteilung. Eine Genehmigung ist in Deutschland nicht erforderlich. Allerdings besteht Anzeigepflicht vor dem Bau einer Anlage beim Wasserversorger und Gesundheitsamt. Betriebswasser: Nicht-Trinkwasser, zum Beispiel: gefiltertes Regenwasser und aufbereitetes Grauwasser. Damit darf in privaten deutschen Haushalten der Garten gegossen, der Fußboden gewischt, die Toilette gespült und die Wäsche gewaschen werden. In Landwirtschaft, Gewerbe und Industrie ergeben sich weitere Möglichkeiten. BEGRIFFS-DEFINITIONEN 17 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen agieren bereits gemeinsam, sie sind möglicherweise auf dem Weg zu einer Modellregion. In Neubauvorhaben und bei der Erschließung neuer Baugebiete wollen sie separate Leitungsnetze für Betriebswasser installieren lassen [1]. Eine solche zusätzliche dezentrale Wasserversorgung ist sowohl auf Quartierswie auch auf Gebäudeebene möglich. Die Ökobilanz dezentraler Wasserversorgung Verringert sich die Grundwasserentnahme durch das Nutzen von Betriebswasser, werden natürliche Vorräte bewahrt. Zusätzlich ist der Aufwand für Aufbereitung und Verteilung von Trinkwasser dem entsprechend geringer, ein weiteres ökologisches Plus. Doch rechtfertigt dies den Rohstoff- und Energieeinsatz für den Bau und Betrieb einer Parallelversorgung mit Nicht-Trinkwasser?  Energiebedarf: Im direkten Vergleich zur zentralen Wasserversorgung haben die dezentralen Anlagen eine etwas schlechtere Ökobilanz durch höheren Stromverbrauch pro Kubikmeter an der Entnahmestelle. Weil eine messbare Entlastung der Abwassersysteme im Hinblick auf Abwasserqualität und -menge damit einhergeht, ergebe sich insgesamt aber ein Vorteil in der Ökobilanz, meint ein Forscherteam der Universität Hannover [2]. Dies bestätigt eine zweite Untersuchung, die an der Universität Karlsruhe durchgeführt wurde. Und deren Verfasser nennt zusätzliche Aspekte: Beträgt der Aufwand zentraler Versorgung für Aufbereitung und Transport von Trinkwasser mehr als 0,75 kWh/ m³, hat sie mehr Anteil am Treibhauseffekt als eine Regenwassernutzungsanlage im Durchschnitt. Bei Fernwasserversorgung, die mit 1,15 kWh/ m³ angenommen wird, vergrößert sich der Ökobilanz-Vorteil dezentraler Systeme noch weiter [3].  Abwasserqualität: Regenwasser ist von Natur aus „weich“, das heißt ohne Härtebildner, so dass in der Waschmaschine die minimale Waschmitteldosis genügt. Das mindert die Belastung des Abwassers mit Tensiden gegenüber der Verwendung von hartem oder mäßig hartem Trinkwasser. Das Putzen der mit Regenwasser gespülten Toiletten erfordert weniger Reinigungsmittel, da sich Urinstein nur in Verbindung mit hartem Trinkwasser bildet. Für Betrieb und Anlagenwartung von Regen- und Grauwasseranlagen gilt generell: An keiner Stelle sind Chemikalien in Form von Desinfektionsmitteln, Säuren oder Laugen erforderlich, die ins Abwasser gelangen.  Abwassermenge: Der spontane Regenabfluss zum Kanal wird zu einem großen Teil in Speichern gepuffert (Retention) und erst durch die Nutzung im Haus zeitverzögert zu Abwasser. Zusätzlich ist die Aktive Verdunstung von Regenwasser Nutzung Verdunstung Wo Investoren große Immobilien und Stadtquartiere finanzieren, wird von Ihnen zunehmend gewünscht, solche Projekte auf Nachhaltigkeit zertifizieren zu lassen und damit den Verkaufswert der Objekte für Jahrzehnte hoch zu halten. Dafür sind Lösungen mit separatem Betriebswassernetz von Vorteil, denn die Nutzer einer solchen Immobilie reduzieren den Verbrauch der Ressource Wasser und sparen dabei einen Teil ihrer Trinkwassergebühr. Auch die Menge und damit die Gebühr des Abwassers ist deutlich geringer, wenn Grauwasser wiederverwendet wird. Durch Nutzung des Regenwassers, das nicht in den Kanal eingeleitet wird, sparen die Bewohner eine dritte Gebühr, die für Ableiten von Niederschlägen pro Quadratmeter versiegelte und an den Kanal angeschlossene Fläche fällig wird. Diese Niederschlagsgebühr ist je nach Kommune unterschiedlich und beträgt, Stand 2020, pro Quadratmeter und Jahr zwischen 0,17- € (Holle/ Niedersachsen sowie Ringsheim/ Baden-Württemberg) und 1,95-€ (Wuppertal/ Nordrhein-Westfalen). Weltweit gibt es mittlerweile etwa ein Dutzend zertifizierende Organisationen. International anwendbar und für Deutschland von Bedeutung: das britische BREEAM-, das amerikanische LEEDsowie das deutsche DGNB-Label. Ihnen gemeinsam ist die Bewertung nach Punkten und, für Objekte in aller Welt, die Auszeichnung in mehreren Qualitätsstufen der Nachhaltigkeit. Bild 1: Stadtplaner wollen Niederschläge vorrangig über Gründächer verdunsten, zugunsten der City-Kühlung und Luftbefeuchtung im Sommer. Investoren wollen es in Gebäuden nutzen, um Trinkwasser zu sparen und den Immobilienwert durch ein Nachhaltigkeitszertifikat hoch zu halten. Zeichnung: © Mall Bild 2: Schema zentraler Regenwasserspeicher in der Mitte einer Gebäudegruppe. Zeichnung: © König GEBÄUDE- UND STADTTEIL-ZERTIFIZIERUNG REGENWASSER Siedlungskonzept WC WM Garten Zentrale Pumpentechnik Filterschacht Großzisterne Anschluss aller Dachflächen Überlauf Versickerung offene Wasserfläche Stufengraben für alle Leitungen Verdunstung 18 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen Abwassermenge bei Regenwasseranlagen um den Teil, der bei Bewässerung und Überlauf versickert, bei Grauwassernutzung sogar um den kompletten wieder verwendeten Anteil verringert. Beides mindert die erforderliche Energie (sowie Betriebskosten) auf der Kläranlage und erhöht deren Reinigungsleistung. Insgesamt überwiegen die ökologischen Vorteile dezentraler Betriebswasseranlagen. Darüber hinaus ergeben sich kommunale Einsparungen. Ökonomische Betrachtung Die ökonomische Bewertung von Regen- und Grauwasseranlagen kann nur im Einzelfall erfolgen, da die Betriebskosten und Einsparungen wesentlich von lokalen Faktoren abhängen. Dazu gehören bei Regenwassernutzung die örtliche Niederschlagsmenge, eventuell Festsetzung laut kommunaler Abwassersatzung oder Zuschuss durch Fördermittel sowie Reduzierung von Gebühren. Beispiele: In Oberursel (Hochtaunuskreis) gilt im gesamten Stadtgebiet bei Neubau die Pflicht, eine Regenwassernutzungsanlage zu installieren. Demnach gehört hier die Investition zu den Baukosten. Dadurch erübrigt sich die Frage nach der Amortisation. Ganz anders in Heidelberg: Hier ist das eine freiwillige Entscheidung der Bauherrschaft, die mit einem Zuschuss belohnt wird. So auch in Bad Mergentheim (Main-Tauber- Kreis), in Oettingen (Donau-Ries- Kreis) und in der Gemeinde Gräfelfing (Landkreis München). Die Hansestadt Hamburg begünstigt über die Hamburgische Investitions- und Förderbank seit 2014 Ressourcenschutz in Unternehmen, unter anderem für die „effiziente Verwendung“ von Wasser. Und das Bundesland Bremen bietet finanzielle Hilfe für Regen- und Grauwassernutzer. In diesen Fällen beträgt die Amortisation, unterstützt durch Fördermittel, in der Regel zwischen 5 und 15- Jahre, ohne Zuschüsse 10 bis 20 Jahre [4]. Lifecycle-Management: Laut Prof. Henning Balck aus Heidelberg sind 20 % der Investition eines Gebäudes verantwortlich für 80 % der Folgekosten. Insofern muss in der Investitionsphase mehr Geld ausgegeben werden, um in der Nutzungsphase ein Vielfaches davon einzusparen. Die Nutzungsdauer der Komponenten einer Betriebswasseranlage, zum Beispiel Speicher und Leitungen, beträgt viele Jahrzehnte [4]. Die Nutzung lohnt sich demnach langfristig. Regenwassernutzung Im Wohnungsbau, in Gewerbe und Industrie wird das weiche Regenwasser als preiswerte Alternative zu enthärtetem Trinkwasser geschätzt und gerne auch zur Fahrzeugwäsche in Betriebshöfen genutzt. In Verwaltungsgebäuden, Hochschulen, Schulen und Heimen wird es wegen der immensen Energieeinsparung zunehmend zur Gebäudekühlung verdunstet. Beispiel: Berlin, Institut für Physik der Humboldt-Universität, seit 2003 - Regenwasser vom Dach wird in einem 40 m³ fassenden unterirdischen Speicher gesammelt und für die Bewässerung der Fassadenbegrünung sowie zur Verdunstung in der Klimaanlage genutzt (adiabate Der regenarme und heiße Sommer 2018 hat uns, mehr noch als die Trockenphasen in den Jahren zuvor, die Grenzen der Sorglosigkeit gezeigt. In einigen ländlichen Gebieten Niedersachsens bekamen die Bewohner Einschränkungen bei der Trinkwasserversorgung zu spüren. Aber in Bremen, Hamburg und Frankfurt, die weit mehr Wasser brauchen als sie haben, war „business-as-usual“. Sie stillen ihren permanenten Durst über Fernwasserleitungen. Bei anhaltender Dürre, wie auch 2019 und 2020 in weiten Teilen Nord- und Ostdeutschlands, sind nach einiger Zeit selbst die größten Regenspeicher leer. Dann ist die zentrale Wasserversorgung besonders gefragt und Fernwasserversorgung in einigen Ballungsgebieten lebensnotwendig. „Für den Extremfall ja, aber nicht für untergeordnete Zwecke und im Normalbetrieb jeden Verwendungszweck mit Trinkwasser abdecken“, sollte die Devise sein. Denn Tatsache ist, dass konsequente Regen- und Grauwassernutzung, möglichst das ganze Jahr über den jährlichen Trinkwasserbedarf und somit auch die Wassergebühren halbieren würde - ohne Verlust an Komfort. Und bei vollen Speichern und weiter anhaltendem Regen wird der Überlauf vor Ort nach Möglichkeit versickert, das Grundwasser damit angereichert. Grundwasservorkommen stünden dann nachfolgenden Generationen länger zur Verfügung. Schließlich stellen sie in Europa etwa 50 % des Trinkwasservorrats dar und sind in Zeiten des Klimawandels unsere wertvollsten Ressourcen. KLIMAFOLGENANPASSUNG Bild 3: Bodenfeuchtezustand in Deutschland. Tagesaktuelle Karte des Gesamtbodens bis in etwa 1,8 m Tiefe am 1. 6. 2020 laut UFZ-Dürremonitor des Helmholtzzentrums für Umweltforschung. Grafik: © UFZ außergewöhnliche Dürre extreme Dürre schwere Dürre moderate Dürre ungewöhnlich trocken 19 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen Abluftkühlung). 1 m³ Regenwasser erzeugt 680 kWh Kälteleistung, so dass auf energieintensive konventionelle Kältetechnik nahezu verzichtet werden kann. Grauwassernutzung Wohngebäude, Sporthallen und Beherbergungsbetriebe sind ideale Objekte, da dort der Ertrag aus Körperreinigung dem Bedarf entspricht, der bei Raumreinigung und WC-Spülung entsteht - und der Umsatz meistens innerhalb von 24 Stunden erfolgt. Die optimale Speicher- und Anlagengröße lässt sich durch Computersimulation ermitteln. Als besonders zuverlässige Aufbereitungstechnik gilt das rein biologisch funktionierende Wirbelbettverfahren, welches sowohl wenig Energie als auch wenig Wartung benötigt und sich seit mehr als 15 Jahren bei unterschiedlichen Objekten als sehr robust erwiesen hat - selbst dann, wenn seitens der Mieter versehentlich Wandfarbe und Desinfektionsmittel eingeleitet wurden. Wärmerückgewinnung aus Grauwasser Staatliche Förderung: Das am 1. März 2018 begonnene und vorerst auf drei Jahre begrenzte Programm bezuschusst Duschrinnen, Duschtassen und Duschrohre, jeweils in Kombination mit einem Wärmeübertrager sowie Anlagen zur Wärmerückgewinnung aus dem gesamten, im Gebäude anfallenden Grauwasser, das einer Wärmerückgewinnung unterzogen wird - sofern ein zweites Leitungsnetz (Grauwassernetz) installiert wird, mit folgenden Fördersätzen [5]: Anzahl der Duschen ≤ 20: 550 EUR pro angeschlossener Dusche. Anzahl der Duschen > 20: 500 EUR pro angeschlossener Dusche. Maximal jedoch 30 % der förderfähigen Investitionskosten für Anschaffung und Installation. Beispiel: Im Pilotprojekt am Arnimplatz in Berlin, einem mehrgeschossigen Passivenergiehaus mit 41 Wohn- und 4 Gewerbeeinheiten, ist der Nachweis 2012 erstmals gelungen: Das Verfahren des dezentralen Wasserrecyclings in Kombination mit Wärmerückgewinnung holt aus dem häuslichen Abwasser deutlich mehr Energie als zum Betrieb der Anlage benötigt wird und funktioniert nahezu wartungsfrei. Es wirkt - ganz im Gegensatz zur bisherigen Betriebsweise der zentralen Wasserwirtschaft - durch diesen Energie-Überschuss und die damit verbundene CO 2 -Einsparung positiv auf das Klima [6]. Zusammenfassung Die Politik wird im Zuge der Klimafolgenanpassung in Wassermangel-Gebieten Deutschlands und Europas Betriebswassernetze etablieren bzw. das zweite Leitungsnetz im Neubau vorschreiben. Die Rhein-Main- Region könnte dafür als Modellregion dienen. Sind separate Betriebswasserleitungen Pflicht, zählt ihre Anschaffung zu den Baukosten. Die Motivation, die restlichen Komponenten installieren zu lassen, erhöht sich durch den um die Leitungskosten verringerten Anschaffungspreis. Regen- und Grauwassernutzungsanlagen sind Low-Tech, benötigen wenig Wartung im Betrieb, allerdings fundiertes Wissen bei Planung und Bau. Sie erhöhen den Wert eines Gebäudes und senken dessen Lebenszykluskosten. Unterschiedliche Verfahren sind Stand der Technik und europaweit genormt. Ökologischer und ökonomischer Nutzen hängen stark von lokalen Faktoren ab. Aktuell im Fokus sind Energiesparlösungen bei Grauwasser durch die rentable, mit staatlichem Zuschuss unterstützte Wärmerückgewinnung, bei Regenwasser die stromsparende adiabate Abluftkühlung. QUELLEN/ LITERATUR: [1] fbr-wissen. Regenwasser sammeln und nutzen. Information für Kommunen. Hrsg.: Fachvereinigung Betriebs- und Regenwassernutzung e.V. (fbr). Darmstadt, 2019. [2] Müller, U. et. al.: Regenwassernutzungsanlagen, eine ökologisch sinnvolle Alternative? Überlegungen zu einer Bremer Produkt-Ökobilanz. Diskussionspapier Nr. 193, Institut für Ordnungs- und Prozesspolitik, FB Wirtschaftswissenschaften, Hannover, 1995. [3] Späth, L.: Ökologische Aspekte der Nutzung von Regenwasser als Brauchwasser im Haushalt. Vorbereitung einer gesamtökologischen Bewertung unter Verwendung des Softwarepakets Umberto. Diplomarbeit an der Universität Karlsruhe, Institut für Siedlungswasserwirtschaft. Karlsruhe, 1999. [4] Fbr-top Blätter: Loseblatt-Reihe zu grundsätzlichen Themen der Regenwassernutzung. Fachvereinigung Betriebs- und Regenwassernutzung e. V., Darmstadt. Laufend aktualisierte Ausgaben unter www.fbr.de/ Fachinformationen/ fbr-top [5] BAFA-Merkblatt und Förderrichtlinie, online. http: / / www. bafa.de/ DE / Energie/ Energie ef f izienz / K leins erien _ K lima s c h u t z p r o d u k t e / W a e r m e r u e c k ge w innun g _ A b w a s s e r/ waermerueck gewinnung _ ab wasser_node.html [6] König, K. W.: Häusliches Abwasser - Ressource für Wasser und Nährstoffe. In: Immobilien Vermieten und Verwalten 5 (2018). Verlag Huss Medien, Berlin. Dipl.-Ing. Klaus W. König Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Bewirtschaftung und Nutzung von Regenwasser, Fachjournalist kwkoenig@koenig-regenwasser.de AUTOR 20 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen Innovative Lösungen zur Ressourceneinsparung Europäische Best-Practices der Kreislaufwirtschaft in der Abfall- und Abwasserbehandlung Abwassernutzung, Ressourceneinsparung, Kreislaufwirtschaft, Best-Practices Philipp Riegebauer, Jana Helder Wollen wir in Zukunft in einer intakten Umwelt leben und den Klimawandel verlangsamen, muss das Abfall-und Abwasseraufkommen drastisch reduziert werden. Es gibt innovative Lösungen in Städten und Regionen, die auf nachhaltige Abfall- und Abwasserbehandlung und auf qualitativ hochwertiges Recycling setzen, wie beispielsweise durch Trennung von Abwasserströmen, Vergärung von Reststoffen zur Biogaserzeugung oder automatisiertes Abfallmanagement. In diesem Artikel werden innovative Lösungen aufgezeigt und erforderliche Schritte zur Implementierung der Kreislaufwirtschaft in stadtplanerische Prozesse. Nutzbarmachung • Vakuumtoiletten • Sammlung von Lebensmittelabfällen Umwelttechnische Vorteile: • Erhöhung der Biogasproduktion • Energieffiziente Abwasserbehandlung • Wärmerückgewinnung • Einsatz für Kühlzwecke Ressourcenschonung: • Rückgewinnung von Nährstoffen aus dem Abwasser BIOGAS DÜNGER WÄRMERÜCKGEWINNUNG GRAUWASSER ABWASSER SPEISEABFÄLLE Bild 1: System zur Trennung von Abwasser und Abfällen in Helsingborg. © Nordvästra Skånes Vatten och Avlopp AB. 21 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen Der jährliche globale Ressourcenverbrauch wird sich nach Prognosen der UN bis 2060 verdoppeln. Damit verbunden werden auch die Treibhausgasemissionen weiter dramatisch ansteigen. Gleichzeitig schätzt die Weltbank, dass die weltweiten Siedlungsabfälle bis 2050 um 70 % zunehmen werden. Wollen wir in Zukunft in einer intakten Umwelt leben und den Klimawandel abmildern, muss das Abfallaufkommen drastisch reduziert werden. Der „Green Deal“ als ein zentrales Element der Agenda der neuen EU-Kommission für die nächsten fünf Jahre hat zum Ziel, das europäische Wirtschaftssystem so umzugestalten, dass schnell und in großem Stil Treibhausgase eingespart werden können. Die Kreislaufwirtschaft spielt hier eine Schlüsselrolle und gilt auch als Lösung für das globale Abfallproblem. Das Konzept der Kreislaufwirtschaft bzw. Circular Economy bietet ein Alternativmodell zum weltweit dominanten linearen Wirtschaftsmodell des Produzierens - Nutzens - Wegwerfens. Mit der Ausrichtung hin zu geschlossenen Kreisläufen erhält die Kreislaufwirtschaft den Wert von Produkten, Materialien und Ressourcen so lange wie möglich und trägt zur starken Verminderung oder Vermeidung von Abfall bei. Kreislaufwirtschaft in der Abfall- und Abwasserbehandlung Wesentliche Hemmnisse auf dem Weg zu einer kreislauforientierten Wirtschaft sind die im Vergleich zu nachhaltigem Recycling billigeren Entsorgungsmöglichkeiten wie Müllverbrennung, niedrige Preise für Primärrohstoffe sowie eine zu geringe Nachfrage nach Recyclingprodukten. Die Schließung von Deponien für nicht-vorbehandelte Abfälle sowie thermische Abfallbehandlungsanlagen zur Vermeidung entsprechender Deponiegasemissionen hat zweifellos bereits zur Verminderung des Treibhausgasausstoßes beigetragen. Nachhaltiger ist es aber, gleich so zu wirtschaften, dass weniger Abfälle entstehen und Ressourcen immer wieder verwendet werden. Eine verbesserte Abfallsammlung kann ein erster Schritt zu einer umfassenden Kreislaufwirtschaft sein. Abfallsammlung sowie Abfall- und Abwasserbehandlung sind Aufgaben der kommunalen Einrichtungen. Es gibt innovative Lösungen in Städten und Regionen, die auf der einen Seite mehr Verantwortung seitens der Produzenten anstreben und andererseits auf qualitativ hochwertiges Recycling sowie auf nachhaltige Abfall- und Abwasserbehandlung setzen - etwa auf Trennung, Vergärung und Biogaserzeugung. Folgend vielversprechende Schritte zur Implementierung der Kreislaufwirtschaft in die Stadtplanung: Helsingborg installiert drei getrennte Leitungen für Abwasser und Abfall Helsingborg ist seit vier Jahren in Folge die Nummer eins der schwedischen Kommunen in Sachen Nachhaltigkeit. Für das Jahr 2030 ist die Zielsetzung, eine Null-Abfall-Stadt zu werden. Ein solches Ziel braucht neue Lösungen. So ging der Gesamtgewinn des Smart City Implementation Award 2020 (SMAVARD 2020) an die schwedische Stadt Helsingborg für ein nachhaltiges Abwasservermeidungs-Projekt im Stadtteil Oceanhamnen. Die Vision der Stadt Helsingborg ist eine Kreislaufwirtschaft für alle. Gemeinsam mit Bürgern, Unternehmen und der Wissenschaft hat die Stadt viele verschiedene kleine und große Initiativen getestet und umgesetzt. Zu diesen transformativen Aktivitäten gehört auch die Initiative der Stadt Helsingborg und der kommunalen Abwassergesellschaft, im Stadtteil Oceanhamnen ein wegweisendes Abwassersystem aufzubauen. Das Projekt umfasst etwa 350- Wohnungen und 30 000 m² Bürofläche. Die ersten Bewohner sind im März 2020 eingezogen und die Anlage sammelt im Betrieb wertvolle Erfahrungen. Statt traditionell über eine Abwasserleitung wird über drei getrennte Leitungen entsorgt: Lebensmittelabfälle, Toilettenwasser bzw. Schwarzwasser sowie Grauwasser aus Bädern und Waschmaschinen werden in jedem Haushalt, dort, wo sie entstehen, getrennt gesammelt und abgeleitet. Diese Trennung der kommunalen Abwässer und des Küchenabfalls hat zum Ziel, mehr Wasser und Energie einzusparen, weniger Lebensmittelabfälle zu erzeugen und das Schwarzwasser umweltfreundlich zu behandeln. [1] 1. In den Küchen von Oceanhamnen werden Lebensmittelabfälle über die Spülbecken entsorgt. Sie werden kleingehäckselt und in einer separaten Leitung zur Sammelstelle geführt. Diese Lebensmittelabfälle werden dann vergoren, um Biogas daraus zu gewinnen. Aus den nährstoffreichen Gärresten wird organischer Dünger hergestellt. 2. Das Schwarzwasser aus den Toiletten wird über ein Vakuum-Entwässerungssystem abtransportiert und gesammelt. Ebenso wie die Lebensmittelabfälle dient das Schwarzwasser zur Erzeugung von Biogas. Die Reststoffe lassen sich, entsprechend behandelt, zusammen mit den anderen Gärresten zu Dünger verarbeiten. 22 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen 3. In der dritten Leitung wird Grauwasser gesammelt, das beim Waschen, Duschen und Baden anfällt. Die Wärme aus dem Grauwasser wird als Prozesswärme bei der Behandlung des Schmutzwassers genutzt. Die gewonnenen Reststoffe werden zentral in einer Anlage zur Biogaserzeugung gesammelt. Der organische Dünger aus den Gärresten entspricht den Kriterien der EU-Düngemittelverordnung. Mit der Restwärme aus dem Grauwasserstrom werden umliegende Gebäude beheizt. Das übrige vorbehandelte Abwasser aus den drei Teilströmen wird in die Kläranlage weitergeleitet. Die Herausforderung besteht vor allem darin, ein neues gemeinsames Managementsystem einzuführen, denn Abfall, Wasser und Energie unterlagen bisher verschiedenen Zuständigkeiten. Der neue Ansatz bei den Themen Versorgung und Entsorgung erfordert daher eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Stadt und Versorgungsunternehmen. Eine weitere Herausforderung besteht darin, die Anwendung von EU-Kriterien für Düngemittel aus Gärresten zu erfüllen und zudem einen traditionell konservativen Wassersektor davon zu überzeugen, dass Investitionen in nachhaltige Abwassersysteme nicht nur der Umwelt dienlich sind, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll sein können. Bürgerbeteiligung schafft Zustimmung Die Bürger haben bei verschiedenen Teilen des Projekts eine wichtige Rolle gespielt. Das Projekt wurde von Anfang an auf eine breit angelegte Partizipation von Bauherren, Bürgern und Experten der Wasser- und Abfallwirtschaft ausgerichtet. Dadurch wurde eine hohe Zustimmungsquote für das Projekt erreicht. Die Einwohner von Helsingborg sind davon überzeugt, dass es wichtig ist, die Umwelt sauber zu halten und Wasser, Energie und Nährstoffe davor zu bewahren, buchstäblich auf dem Müll zu landen. Die Umrüstung rechnet sich auch für die Bürger: Unterm Strich helfen drei Leitungen anstelle von einer, den Umgang mit Lebensmittelabfällen und Abwasser intelligenter zu gestalten. Der maximal wiederverwertbare Anteil der nicht verwendeten Lebensmittel und des gebrauchten Wassers wird wieder verwertet. Bild 2: Innovatives Abfallsammelsystem der Stadt Stockholm. © Stadt Stockholm So können die Treibhausgasemissionen um mehr als 50 %, der Energie- und Wasserverbrauch sowie Deponieabfälle auf ein absolutes Minimum reduziert werden (siehe Bild 1). Farbkodierung für Abfallbeutel in Stockholm Viele europäische Städte müssen die Recyclingraten in Mehrfamilien-Wohngebieten erhöhen. Typischerweise liegen die Recyclingraten in solchen Gebieten bei etwa 15 % oder niedriger. Um höhere Quoten zu erreichen, gilt es, mehr Platz für und besseren Zugang zu Recyclingeinrichtungen zu schaffen und das Sortierverhalten zu verbessern. In der schwedischen Hauptstadt Stockholm wurde ein intelligentes Abfallsammelsystem installiert, um die Recyclingquote in Wohngebieten zu erhöhen. Das System arbeitet mit einem optischen Sortierverfahren und einem weitgehend automatisierten Abfallsammelsystem. Zudem werden Statistiken zur Abfallsammlung der einzelnen Haushalte erstellt. Zur optischen Sortierung werden den Benutzern verschiedenfarbige Abfallsäcke zur Verfügung gestellt, entsprechend den unterschiedlichen Abfallströmen, die von der Gemeinde gesammelt werden: grün für Lebensmittel, rot für Papier und gelb für Kartonverpackungen. Die gefüllten Säcke werden mit Hilfe von Kameras mit Farbsensoren automatisch sortiert. Die farblich sortierten Abfallströme werden abgesaugt und durch ein unterirdisches Rohrleitungsnetz zu einer Sammelstation außerhalb des zentralen Stadtgebiets transportiert. Durch Kennzeichnung lassen sich Anzahl und Gewicht der nach Farben sortierten Abfallsäcke den jeweiligen Bewohnern zuordnen. 23 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen Dr. Philipp Riegebauer Consultant BABLE Smartcities philipp@bable-smartcities.eu Jana Helder, M. Sc. Consultant BABLE Smartcities jana@bable-smartcities.eu Prinzipiell gilt, dass für die Installation von unterirdischen Abfallsammelsystemen entsprechend höhere Kosten anfallen und dass entsprechend Raum zwischen der bestehenden unterirdischen Infrastruktur zur Verfügung stehen muss. Automatisierte Abfallsammelsysteme (Automated Waste Collecting System) werden deshalb üblicherweise vor allem in Neubaugebieten verlegt, zusammen mit der anderen Infrastruktur, um so die Kosten zu senken. Automatisierte Abfallsammelsysteme sind zwar in der Anschaffung teurer als herkömmliche, bieten aber in der Nutzung deutliche Vorteile (Bild 2). Viele weitere Projekte die zeigen, wie in europäischen Städten durch innovative Technologien Ressourcen gespart werden, sind auf der Webseite https: / / www. bable -smar tcities.eu/ explore/ use-cases.html zu finden. [2] Empfehlungen für städtische Implementierung von ressourcenschonenden Maßnahmen Die Transformation von der Linearwirtschaft zur Kreislaufwirtschaft erfordert neben einem neuen Konsumentenverhalten neue Lösungen für das Recycling von Abfall in Ressourcen. Dafür werden ebenfalls neue Geschäftsmodelle benötigt. Ein Übergang zu einer anderen Wirtschaftsform betrifft viele Bereiche und somit zahlreiche Akteure in verschiedenen Sektoren und Verwaltungsebenen. Einzelne Institutionen oder Unternehmen können das Modell der Kreislaufwirtschaft nicht isoliert umsetzen. Vielmehr braucht es für eine Kreislaufwirtschaft die Kooperations- und Kommunikationsbereitschaft aller Beteiligter und eine fachübergreifende Zusammenarbeit. Städte und Regionen sollten ihr Engagement für AUTOR*INNEN eine Kreislaufwirtschaft in einem Strategiepapier festlegen. Lokale Prioritäten, geplante Maßnahmen und mögliche Unterstützung werden in dieses strategische Dokument integriert. Solche Dokumente können regionale operationelle Programme der EU, langfristige Entwicklungspläne, Umweltstrategien sowie thematische oder sektorale Strategien etwa zum Abfallmanagement enthalten. Dies ermöglicht lokalen und regionalen Akteuren, ihre Aktivitäten langfristig zu planen. Bürgerbeteiligung Eine frühe Einbindung der Bürger in den Prozess ist für den Erfolg von Projekten der Kreislaufwirtschaft von großer Bedeutung. Nur mit einer nachhaltigen Verhaltensänderung der Bewohner und dem Verständnis und Interesse aller können Projekte, wie beispielsweise in Helsingborg und Stockholm, erfolgreich sein. Finanzierung Zur Implementierung von Kreislaufwirtschaft werden neue Instrumente, spezielles Know-how und Netzwerke zur Finanzierung solcher Investitionen benötigt. Nur durch ein Bündeln der Initiativen und Mittel von Unternehmen, Branchenverbänden und des öffentlichen Sektors, beispielsweise über eine Plattform, ist ein Zugang zu Wissen und Vernetzungsangeboten und das Aufzeigen von Finanzierungsmöglichkeiten effizient umsetzbar. Informationstransfer Das Wissen zur Kreislaufwirtschaft baut auf dem Informationsfluss zwischen den verschiedenen Akteuren auf. Der Austausch von Wissen und Erfahrung ist nicht auf Städte und Gemeinden und auf deren kommunale Versorgungsbetriebe beschränkt. Der Transfer von Informationen ist auch zwischen Unternehmen, Universitäten und Forschungseinrichtungen sowie zivilgesellschaftlichen Organisationen notwendig. Diese Vernetzung benötigt Plattformen zum Austausch. Durch die gemeinsame Nutzung von Wissen über Austauschportale oder die Organisation von Veranstaltungen können Städte und Regionen von den Erfahrungen anderer Akteure lernen und gezielt lokal passende Projekte initiieren und umsetzen. [3] Kontakt: BABLE : Pierre Filohn, BABLE Smartcities, pierre@bable-smartcities.eu Helsingborg: Hamse Kjerstadius, Nordvästra Skånes Vatten och Avlopp AB, hamse.kjerstadius@nsva.se Stockholm: Lisa Enarsson, Stadt Stockholm, lisa.enarsson@stockholm.se QUELLEN [1] BABLE, Use-case: Three pipes circular sewer system, 2020: https: / / w w w.bable smar tcitie s . eu/ de/ entdecken/ anwendungsfaelle/ use-case/ useCase/ threepip e s c irc ulars e wers y s tem. html [2] BABLE, Use-case: Waste heat recovery from sewage water, 2016: https: / / www.bable-smartcities. eu/ explore/ use-cases/ use-case/ useCase/ waste-heat-recover yfrom-sewage-water.html [3] URBACT, European Union, Kreislaufwirtschaft, 2020: https: / / urbac t.eu/ kreislauf wirtschaftnurein-trendthemaoderdie zukunft-unserer-st%C3%A4dte 24 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur In puncto Digitalisierung hat Deutschland bekanntermaßen Nachholbedarf: Laut Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) rangiert die Bundesrepublik in Sachen „schnelles Internet“ international auf den hinteren Rängen. Am Geld kann es eigentlich nicht liegen, hat doch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) im Rahmen des „Bundesförderprogramms für den Breitbandausbau“ 11- Mrd. Euro Fördermittel bewilligt. Davon wurde jedoch erst ein Bruchteil abgerufen. Ein Grund seien, so Verantwortliche in den Kommunen, die hohen bürokratischen Hürden für die Bewilligung von Fördergeldern. Ein weiterer wesentlicher Grund sind jedoch auch die mangelnden Ausbaukapazitäten. Vor Planung und Ausschreibung sollte zudem darauf geachtet werden, dass ein neues Glasfasernetz kostenoptimiert, termingerecht und langfristig funktionsfähig in Betrieb gehen kann. Zentraler Ansprechpartner Unternehmen, die im öffentlichen Auftrag aktiv sind, sollten gewisse Mindeststandards erfüllen. Sie sollten Referenzen vorweisen können oder über Zertifizierungen wie ISO 9001: 2015 oder ISO 45001: 2018 verfügen. Eine Lösung ist hier die Beauftragung eines zertifizierten Generalunternehmers (GU), der die einzelnen Beteiligten und insbesondere seine Nachunternehmer nicht nur koordiniert, sondern auch kontrolliert - und der im Fall der Fälle für sie haftet. Außerdem ist der GU der zentrale Ansprechpartner des Auftraggebers an der Schnittstelle zwischen Kommune und Energieversorger bzw. Telekommunikationsanbieter. So genannte Komplett- oder Komplexdienstleister gehen dabei noch einen Schritt weiter: Sie überwachen alle Maßnahmen sowie die Einhaltung der definierten Qualitätsstandards durch eigene Bauleiter. Zudem gewährleisten sie ein hohes Niveau in technischen wie auch in Fragen der Arbeitssicherheit, indem sie ihre Nachunternehmer konsequent schulen und weiterqualifizieren. Und sie ermöglichen Ihnen den direkten Zugriff auf Spezialmaschinen und benötigtes Baumaterial. Enge Verzahnung von Planung und Ausführung Wie bei allen Bauprojekten ist die Planung Grundlage für das gesamte Bauvorhaben. Arbeiten Planer und Tiefbauer Hand in Hand, ergeben sich wertvolle Synergien, etwa bei der Trassenführung. Diese sollte nicht nur nach Kennzahlen wie etwa den erreichbaren Hausanschlüssen gewählt werden, sondern auch nach Tiefbaukriterien: Mit welchen Oberflächen und welcher Bodenbeschaffenheit habe ich es entlang der späteren Trasse zu tun? Wo liegen bereits Gas- und Wasserleitungen im Boden, die berücksichtigt werden müssen? Wo lässt sich die Trasse trotz möglicherweise längerer Streckenlänge leichter realisieren? Die Förderprogramme des Bundes verlangen eine getrennte Ausschreibung. Dennoch kann und sollte man als öffentlicher Auftraggeber darauf achten bzw. dringen, dass sich Ingenieurbüro und ausführendes Tiefbauunternehmen vor allem während der Planungsphase eng abstimmen. Kriterien für die erfolgreiche praktische Umsetzung von Glasfaserausbau-Projekten Hans-Günter Claußen Beim Glasfaserausbau bietet sich derzeit ein widersprüchliches Bild: Die Fördermittel sind da, werden von den kommunalen Erschließungsträgern aber nur selten abgerufen. Ein wesentlicher Grund für diese Zurückhaltung sind auch die mangelnden Ausbaukapazitäten. Tatsächlich sind die planungs- und baupraktischen Herausforderungen bei der Umsetzung von Glasfaserausbau-Projekten komplex - aber lösbar. Bild 1: Hohe Qualität, aber auch größere Tagesleistungen und dementsprechend geringere Kosten durch anwendungsspezifische Tiefbautechnik. © Ditch Witch 25 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Optimale Trassenplanung Eine Voraussetzung für optimale Trassenplanung ist eine genaue Vorvermessung - und zwar real vor Ort, nicht nur aufgrund von Plänen. Das ist allerdings keineswegs immer üblich, was angesichts des bisher notwendigen Aufwands nicht überrascht: Ein klassischer Vermessungstechniker schafft nur etwa fünf Trassenkilometer pro Tag. Ein Kamerafahrzeug bringt nicht die notwendige Detailtiefe. Eine technisch wie preislich deutlich überlegene Alternative schafft dagegen eine neue Technologie: die GPS-gestützte Bestandsaufnahme per Video-Drohne. Mit einem solchen System lassen sich bis zu 20 km täglich vermessen und das in zentimetergenauer Auflösung. Die Kamera erkennt beispielweise auch Bauschäden im Vorfeld wie fehlerhafte Bordsteine. Die Planung wird dadurch günstiger und schneller. Perspektivisch wird der technische Fortschritt auch beim Blick unter die Erde Einzug halten. Wo bisher zur Analyse der Bodenbeschaffenheit noch Druck- oder Rammsonden eingesetzt werden, wird dies in absehbarer Zeit auch sehr viel einfacher per Geo-Radar (Ultraschall und Wärmekamera) möglich sein. Spezialisierung im Glasfaser-Tiefbau Glasfaser-Ausbauprojekte sind anspruchsvoll und komplex. Das zeigt schon ein Blick auf die zu erfüllenden Richtlinien und Vorgaben, allen voran die des Bundesverkehrsministeriums (vertreten durch den Projektträger atene KOM), aber auch die von nationalen technischen Regelsetzern wie dem Deutschen Asphaltverband (DAV) oder dem Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches (DVGW). Die fachgerechte Ausführung erfordert deshalb ein spezialisiertes Unternehmen mit entsprechender Erfahrung im Rohr- und Kabelleitungsbau, beginnend bei der Planung über Tiefbau, Montage und Oberflächenwiederherstellung bis hin zu Einmessung und Dokumentation. Ein Aspekt ist dabei besonders wichtig: Die Qualität der Bauausführung muss nachhaltig gegeben sein, denn das Netz soll ja über Jahre zuverlässig funktionieren. Es nutzt schließlich nichts, wenn der Netzbetreiber im späteren Betrieb ständig Störungen beheben muss oder die montierten Leitungen schon nach wenigen Jahren wieder repariert oder gar ausgetauscht werden müssen, weil beispielsweise Steine auf die Leitung drücken. Das gilt umso mehr, wenn die ursprünglich ausführende Firma nicht mehr greifbar ist. Spezialmaschinen, innovative Verfahren und nachhaltiges Materialmanagement Die Basis für die geforderte hohe Qualität, aber auch für größere Tagesleistungen und dementsprechend geringere Kosten legen zum einen anwendungsspezifische Tiefbautechnik und zum anderen innovative Prozesse und Verfahren. Werden etwa statt eines einfachen Baggers Spezialmaschinen wie Asphaltfräse, Grabenfräse und steuerbare Bohranlage kombiniert eingesetzt, lässt sich der Vortrieb bei deutlich geringerer Erdbewegung um ein Vielfaches beschleunigen. Ein weiteres Beispiel für ein ebenso innovatives wie praxiserprobtes Verfahren ist die Verlegung ohne Einsanden. Dabei werden die Leitungen ohne Verdichten der Rohrleitungszone quasi frei schwingend in einer Röhre fixiert. Das geht nicht nur schneller, die Kabel bleiben auch dauerhaft zugänglich für Wartungsarbeiten. Und noch etwas ist enorm wichtig für die nachhaltige Qualität der Glasfaser-Installation: hochwertige Materialien. Es lohnt sich deshalb, diese auch auszuschreiben. Gerade die coronabedingten Unterbrechungen von internationalen Lieferketten haben in diesem Zusammenhang aber noch etwas anderes gezeigt: die Notwendigkeit eines nachhaltigen Materialmanagements. Denn ohne (Spezial-)Material gibt es keinen Baufortschritt. Hier liegt - nicht erst jetzt - die Ursache für viele Bauverzögerungen und oft problematische Fristüberschreitungen. Deshalb ist eine vorausschauende Lagerhaltung, am besten kombiniert mit einer eigenen Beschaffung und Logistik, insbesondere für spezielle, schwer zu beschaffende Materialien dringend zu empfehlen. Das gibt es allerdings nicht umsonst, denn der Bauunternehmer muss dabei erheblich in die Vorleistung gehen. Fazit Die praktische Umsetzung von Glasfaserausbau-Projekten ist an vielfältige Voraussetzungen gebunden. Sie ist aber auch kein „Hexenwerk“, soweit schon vor Beginn der Planungen und Ausschreibungen einige wichtige Kriterien berücksichtigt werden. Bild 2: Die GPS-gestützte Bestandsaufnahme per Video-Drohne ermöglicht die zentimetergenaue Vorvermessung von bis zu 20 Trassen-Kilometern pro Tag. © KronoBau GmbH Dipl.-Ing. Hans-Günter Claußen Geschäftsführer KronoBau GmbH Kontakt: info@kronobaugmbh.de AUTOR 26 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Nach Saskia Sassen sind wir Zeitzeug*innen eines Umbruchs in der sozialen Textur und Räumlichkeit von Städten aufgrund von umfangreichen Luxusinvestitionen [1]. Ihr Argument ist, dass diese Investitionen in die gebaute Umwelt mit Ansprüchen verbunden sind, die zur Herausbildung von exklusiven Räumen beitragen. Eine Folge besteht darin, dass jene ausgrenzt werden, die Städte in der Geschichte immer wieder zu interessanten, vielfältigen und dynamischen Orten gemacht haben. Saskia Sassen zufolge gilt diese Entwicklung insbesondere für Städte, die wichtige Wirtschaftsstandorte sind und deshalb Investments und Menschen anziehen. In der Tat lässt sich seit der Finanzkrise ein lebhaftes Interesse von Immobilieninvestor*innen an öffentlichen Räumen und Plätzen in europäischen Städtische (Un-)Ordnung und urban takeover Stadtentwicklung, Innenstädte, Stadtraum, Immobilien, Investoren, Gentrifikation Susanne Heeg Vermehrte Investitionen in Immobilien im städtischen Raum tragen gegenwärtig dazu bei, dass bezahlbarer Wohnraum nicht nur in Innenstädten sondern auch in Randlagen knapp wird. Bislang ungenutzte Flächen, selbst immobilienwirtschaftlich unattraktive Gebiete geraten inzwischen zunehmens ins Visier von Investoren. Die sozialen Folgen sind immens: Städte werden zu Refugien einkommensstarker Bevölkerungsgruppen, Kleinverdiener werden verdrängt. Freiräume, in denen gesellschaftliche Entwicklung sowie politische, soziale und wirtschaftliche Innovationen stattfinden können, verschwinden. Bild 1: Maintor in Frankfurt am Main. © S. Heeg 27 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Großstädten feststellen. Das Interesse gilt dabei aber weniger dem Erhalt einer vielfältigen Stadt als vielmehr der Suche nach vermarktbaren Räumen und Investitionsobjekten. Spätestens seit 2010 entstehen an vielen Ecken und Enden von Städten wie London, Paris, Barcelona, Frankfurt, Hamburg, Berlin etc. gehobene Wohnprojekte - aber auch einzelne Büroobjekte (vgl. Bild 1). Diese Bauvorhaben sind nicht mehr wie in der Vergangenheit überwiegend in den Innenstädten vorzufinden, sondern drängen auch in immobilienwirtschaftlich bislang vernachlässigte Lagen am Rande bzw. außerhalb der Innenstädte. Damit tragen sie dazu bei, dass in diesen Lagen günstiger Wohnraum verloren geht. Es stellt sich dann aber die Frage, was mit den in Corona-Zeiten als systemrelevant bezeichneten Fachkräften wie Kassierer*innen, Polizist*innen, Krankenpfleger*innen und anderen passiert, die in der Regel trotz aller Unterschiede ein Umstand einigt: Viele können mit ihren Einkommen kaum noch die immer weiter steigenden Mieten finanzieren. Bevor es allerdings in den folgenden Ausführungen um die sozialen und räumlichen Effekte der Luxusinvestitionen gehen soll, soll kurz der Umbruch in Städten erläutert werden, der dazu führte, dass Großstädte zum Fokus nationaler und internationaler Investor*innen werden konnten. Im darauffolgenden Abschnitt soll geklärt werden, welche Umstände es rechtfertigen, von einem Umbruch in der Stadtentwicklung zu reden, in der unsere Städte - und unser Denken über Städte - auf den Kopf gestellt werden. Abschließend sollen die sozialen Folgen thematisiert werden. Städtische Häutungen Städte sind schon immer Orte, wo eine Vielzahl von Menschen, Aktivitäten und Interessen zusammentrifft. Dieses Zusammentreffen stärkt Städte als Motor und Arena neuer Ideen, Visionen und ungeahnter Dynamiken, die nicht nur wirtschaftliche Ausrichtungen annehmen, sondern auch politische, soziale und kulturelle Neuerungen umfassen. So unterschiedliche Autor*innen wie Max Weber [2], Henri Lefèvbre [3], Jane Jacobs [4] oder Georg Simmel [5] haben darauf hingewiesen, dass Städte Orte sind, an und in denen gesellschaftliche Entwicklungen verhandelt werden, Möglichkeiten der Kommunikation und der Verständigung entstehen und sich politische, soziale und wirtschaftliche Innovationen durchsetzen. Insbesondere die öffentlichen und halb-öffentlichen Räume in Städten sind demnach ein Saatbeet für gesellschaftliche Auseinandersetzungen, aber auch ein Spiegel für die soziale und wirtschaftliche Verfasstheit von Gesellschaften. Diese Besonderheit gilt, seitdem Städte gegründet worden sind, aber der Anspruch im Folgenden ist nicht, die ganze Stadtgeschichte zu erfassen, sondern vielmehr die Phase in den Fokus zu nehmen, die sich seit der Deindustrialisierung der europäischen Städte seit den 1970er Jahren durchgesetzt hat und die David Harvey [6] in einem vielzitierten Artikel als „unternehmerische Stadt“ bezeichnet hat. Dieser Begriff und das damit verbundene Verständnis von Stadtentwicklung ist später von weiteren Autor*innen unter dem Begriff der neoliberalen Stadt präzisiert und aktualisiert worden [7, 8, 9]. Allerdings sollte man sich von der Idee verabschieden, dass wir gegenwärtig eine Fortführung bestehender Entwicklungen erleben. Das Argument ist vielmehr, dass sich dieser an unternehmerischen Interessen ausgerichtete Umbau in Städten verschärft. In einer Pervertierung und Intensivierung bestehender Entwicklungstendenzen kristallisiert sich eine neue urbane (Un-)Ordnung heraus, die in einer Gestaltungsmacht einkommensstarker Bevölkerungsgruppen in zentralen öffentlichen Räumen besteht. Vor diesem Hintergrund ist die Frage, was die Qualitäten dieses Umbaus sind und welche Auswirkungen sie auf öffentliche Räume und soziale Strukturen haben. Neoliberalisierung des Städtischen Seit der Deindustrialisierung in den 1970er und 1980er Jahren richtet sich Stadtentwicklung und -politik an der oberen Mittelschicht aus. Viele Städte wurden seitdem zu Orten des Konsums und der Dienstleistungen umgebaut, um eine günstige Position im Wettbewerb um Kontroll- und Kommandofunktionen sowie um einkommensstarke Haushalte zu erhalten [10]. Im Zuge dessen wurde auf Bauprojekte gesetzt, die die Mittelschicht bewegen sollte, nach Jahren der Abwanderung in das suburbane Umland wieder in die Stadt zu ziehen. Tatsächlich erfreuten sich Städte als Standorte für vorrangig tertiäre Wirtschaftsfunktionen und als Orte, die Wohn- und Konsumbedürfnisse der Mittelschicht bedienten, spätestens im neuen Jahrtausend eines verstärkten Interesses. Seitdem wird unter dem Schlagwort „Reurbanisierung“ das Phänomen des gestiegenen Interesses an Städten als Wohnort diskutiert [11, 12]. Diese Veränderung ging damit einher, privatwirtschaftlichen Akteur*innen einen größeren Spielraum zu gewähren. Der soziale Wohnungsbau wurde massiv reduziert, öffentlicher Wohnungsbau privatisiert und zugleich wurden öffentliche Grundstücke an private Investor*innen vergeben. Manuel Aalbers betont den sozialen Aspekt, wenn er hervorhebt: 28 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen „European revanchism makes the city safe for corporate investment and aims to restore social order as well as stimulating the development of a strong middle class.” [13]. Politische Strategien, die die Städte wieder für die Mittelschicht „zurückerobern” wollten, wurden aber nicht nur von Projektentwickler*innen und Investor*innen vorangetrieben, sondern auch von städtischen Verantwortlichen und Käufer*innen befördert. Diesen Entwicklungen liegt eine Stigmatisierung von Teilräumen zugrunde, die mit einer Dämonisierung von armen Nachbarschaften verbunden ist. Neue (Un-)Ordnung oder „more of the same“? Strategien der städtischen Regeneration als eine Form der räumlichen Restrukturierung von Stadtteilen bzw. Teilräumen, die von Vernachlässigung und Desinvestment geprägt sind, ist inzwischen ein geläufiges Thema [vgl. 14, 15, 16]. Seit der Finanzkrise lässt sich eine Intensivierung dieser Entwicklung erkennen, die zu einer anderen Stadt führt. Gegenwärtig sind Städte Zielorte internationaler und nationaler Investments, die die selektive und ausgrenzende Tendenz früherer Jahre verstärken. Zwar weisen sie Ähnlichkeiten mit vorherigen Strategien auf, aber durch die Summe der Investments nimmt das Stadtbild und der Stadtraum neue Qualitäten an. Dies ist ein Ergebnis der Privatisierung öffentlicher Flächen und Wohnungsunternehmen, so dass Räume verloren gingen, die offen in der Aneignung und Nutzung waren und damit dem Druck zum Konsum entgegenwirkten. So gab es noch bis zu diesem Jahrtausend städtische Teilräume, die wegen des Fehlens ertragreicher Aussichten marktfernen Nutzungen offen standen. In nicht wenigen dieser Teilräume wurden künstlerische und politische Zwischennutzungen zugelassen, die den Stadtraum spannender, interessanter und attraktiver gemacht haben. Inzwischen sind sie als Ergebnis intensiver Nutzung - und ihrer zunehmenden Bekanntheit als aufregende Orte - in den Fokus von Investoren gerutscht, die die gebaute Umwelt als scheinbar sicheren Hafen in global unruhigen Zeiten nutzen. Aufwertungen verselbständigen sich im Zuge dessen. Auch bislang schwierige Flächen entlang von Bahnstrecken, verkehrsreichen Straßen und in nicht unbedingt gut beleumundeten Stadtteilen werden inzwischen bebaut, aber nicht mit günstigem, sondern mit sehr teurem Wohnraum. Die schlechtere Lage, Anbindung und infrastrukturelle Ausstattung würden vermuten lassen, dass sich das Investmentinteresse in Grenzen hält, aber es ist zu erkennen, dass der Mangel an Wohnraum dazu führt, dass auch schwierige Lagen akzeptiert werden. Nahezu jede vermarktbare Fläche wird gegenwärtig genutzt, um Wohninvestments zu realisieren oder mit der Fläche zu spekulieren. Mit der Bebauung und dem Bezug von neuen Lagen ergeben sich nicht selten Konflikte um die Nutzung des öffentlichen Raums zwischen alten und neuen Nutzern. Um dem vorzubeugen, werden im öffentlichen Raum Maßnahmen realisiert, die bestimmte Nutzungen erschweren. So werden Bodenwellen oder Begrenzungen in Freiflächen eingefügt, um Fußball- und andere Spiele unattraktiv zu machen und größere Zusammenkünfte zu unterbinden. In neuen Großprojekten werden häufig Wegesituationen geschaffen, die ein Durchgehen nicht nahelegen bzw. sogar entmutigen (vgl. Bild 2). Insgesamt entwickeln sich Räume, in denen die Chancen zufälliger Begegnungen reduziert werden, auch weil räumliche Situationen geschaffen werden, die dazu beitragen, dass sich dort in der Tendenz kaum noch jemand aufhält, der oder die dort kein direktes Anliegen hat. Für die Bewohner*innen mag dies eine angenehme Wohnsituation schaffen, allerdings kommt es so zu einem Isolieren von sozialen Gruppen. Das Treffen auf Andere bzw. der Kontakt Bild 2: Europaviertel in Frankfurt am Main. © S. Heeg 29 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen mit Ungewohntem wird minimiert. Es lässt sich mit einem gewissen Zynismus argumentieren, dass die Miet- und Kaufpreise in den neuen Projekten automatisch mit einer sozialen Selektivität einhergeht, und ein verändertes Verhalten in öffentlichen Räumen nach sich zieht. Dies trifft aber nicht ganz zu und lässt sich daran erkennen, dass in neu entwickelten Lagen Hausmeister-, Concierge- und Sicherheitsservice dafür sorgen, dass keine konfliktiven Situationen entstehen. Öffentlicher Raum wird rund um Gebäude - und mit einer Tendenz den Straßenraum einzubeziehen - kontrolliert. Dadurch gehen offene Räume verloren, die allgemeine Aufenthaltsqualitäten für viele hatten. Soziale Konsequenzen Es ist naheliegend, dass Haushalte mit niedrigem Einkommen tendenziell ausgeschlossen werden. Diese haben eine immer wiederkehrende soziale Textur: Es sind häufig Migrant*innen, Alleinerziehende, Rentner*innen, Menschen ohne existenzsichernde Arbeit und weitere. Für diese Menschen besteht ein Druck, vor der Aufwertung in verbleibende städtische „Residualräume“ auszuweichen. Bislang betraf die Aufwertung vor allem innerstädtische Räume und inzwischen sind auch die angrenzenden Gebiete betroffen. Es ist zu vermuten, dass Räume, wenn die Aufwertungsentwicklung ungebremst weitergeht, auch zum städtischen Rand hin aufgewertet werden. Noch in den 1990er Jahren wurde Gentrifikation als eine Form der inselhaften Aufwertung in Städten verstanden. Inzwischen haben nicht oder noch nicht aufgewertete Räume fast einen Ausnahmestatus im städtischen Gewebe: die Räume, die offen in der Nutzung oder extensiv genutzt werden, werden weniger. Damit nimmt aber auch die Möglichkeit ab, Differenz zu erleben und Andersartigkeit als veränderliches Phänomen in Städten zu akzeptieren. Denn es geht nicht nur um Andersartigkeit als eine fest umrissene Kategorie, sondern um städtische Räume als Ausgangspunkt einer Verhandlung von Abweichung und der stetigen Veränderung von Wahrnehmungen. Damit sind Städte Orte, an denen ein Verständnis der Gesellschaft hergestellt und verändert wird. Das offene und dynamische Verständnis wird durch die Aufwertungstendenzen jedoch bedroht. LITERATUR [1] Sassen, S.: Who owns our cities - and why this urban takeover should concern us all, 2015. In: The Guardian, 24.11.2015. Online verfügbar unter www.theguardian.com/ cities/ 2015/ nov/ 24/ who-owns-our-citiesand-why-this-urban-takeover-should-concern-us-all, zuletzt geprüft am 30.12.2016. [2] Weber, M.: Wirtschaft und Gesellschaft: Grundriss der verstehenden Soziologie. Tübingen, 1972. J.C.B. Mohr. [3] Lefèbvre, H.: Die Produktion des städtischen Raums. In: AnArchitektur 01 (2002). [4] Jacobs, J.: The death and life of great American cities. Vintage Books ed. New York, 1992. [5] Simmel, G.: Die Großstädte und das Geistesleben. In: Petermann, Th. (Hrsg.): Die Großstadt. Vorträge und Aufsätze zur Städteausstellung. Dresden: Suhrkamp ( Jahrbuch der Gehe-Stiftung, 9), (1903) S. 185 - 206. [6] Harvey, D.: From Managerialism to Entrepreneurialism: The Transformation in Urban Governance in Late Capitalism. In: Geographiska Annaler 71 (1), (1989) p. 3 - 17. [7] Peck, J., Theodore, N., Brenner, N.: Neoliberal urbanism: Models, moments, mutations. In: SAIS Review 29 (1), (2009) S. 49 - 66. [8] Belina, B., Heeg, S., Pütz, R., Vogelpohl, A.: Neuordnung des Städtischen im neoliberalen Zeitalter - Zur Einleitung. In: Geographische Zeitschrift 101 (3+4), (2013) S. 125 - 131, zuletzt geprüft am 17.08.2014. [9] Ong, A.: Neoliberalism as a mobile technology. In: Transactions of the Institute of British Geographers 32 (3), (2007) p. 3 - 8. [10] Heeg, S.: Building for Urban Success? Project Development and Social Exclusivity in Germany Frankfurt/ Main as a Case Study. 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[16] Gray, N., Porter, L.: By Any Means Necessary: Urban Regeneration and the “State of Exception” in Glasgow ‘s Commonwealth Games 2014. In: Antipode, (2015) p. 380 - 400. AUTORIN Prof. Dr. Susanne Heeg Goethe Universität Institut für Humangeographie Fachbereich Geowissenschaften/ Geographie Kontakt: heeg@geo.uni-frankfurt.de 30 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Verkehrstechnische Funktion der Straße Die gute Erreichbarkeit verschiedener Ziele mittels eines flächendeckenden Wegenetzes mit möglichst geringem Zeitaufwand gehört zu den Hauptaufgaben einer Straße. Da diese Anforderung für alle Fortbewegungsformen gleichermaßen gilt, entstehen naturgemäß Konflikte zwischen den Nutzungsarten - sowohl hinsichtlich der Priorisierung im Straßenverkehr als auch der Flächenverteilung. Die autogerechte Stadt ist für den Autoverkehr optimiert und ermöglicht eine kontinuierliche schnelle Fortbewegung für den motorisierten Individualverkehr (MIV). Um dem entgegenzuwirken, müssen andere Fortbewegungsformen attraktiver gemacht werden: Vorrangschaltung bei Ampeln, ebenerdige Fußgängerquerungen, ausreichende Fahrbahnbreiten Die Zukunft des Straßenraums im Quartier An der Schnittstelle von Technologieinnovation, Mobilität und Ressourceneffizienz Straßenraum, Zukunftsszenarien, Ressourcenschonung, Stadtentwicklung, Mobilität Felix Stroh, Constanze Heydkamp, Angela Wendnagel-Beck Urbane Straßen erfüllen neben der bedeutsamen und offensichtlichen verkehrstechnischen Verbindungs- und Erschließungsfunktion weitere wichtige Funktionen für die Stadt: Sie sind Wirtschaftsraum, soziokultureller Aktionsraum und ökologischer Puffer für den Temperatur-, Wasser- und Schadstoffhaushalt. Aufgrund dieser vielfältigen Bedeutung wirken sich aktuelle Trends und Entwicklungen in den unterschiedlichen Bereichen maßgeblich auf den Straßenraum aus und fordern neue Konzepte hinsichtlich Planung, Umsetzung und Instandhaltung. Wie die Entwicklung von zukunftsfähigen Straßen mit Blick auf gegebene Herausforderungen gestaltet werden kann und wie dabei Technologieinnovationen Eingang finden können, wird im Rahmen des BMBF-geförderten Projekts „Straße der Zukunft“ durch die beiden Fraunhofer-Institute IAO (Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation) und IGB (Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik) gemeinsam mit dem Praxispartner Drees & Sommer und den Kommunen Ludwigsburg und Erlangen erforscht. Im Projekt werden zwei Musterstraßen in den Partnerkommunen baulich umgesetzt. Dabei fließen wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Projekt in den Prozess ein, um vor Ort den Einsatz innovativer Lösungen zu erproben. © Pixabay 31 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen beispielsweise für den zweispurigen Radverkehr, Sicherheitsvorkehrungen wie freie Sichtbeziehungen, Vorfahrt für den Öffentlichen Verkehr (ÖV) auf öffentlichen Straßen etc. stellen Anreize dar. Nicht zu vernachlässigen ist der ruhende Verkehr, denn Parkflächen bilden eine wichtige Ressource zur Neugestaltung des Straßenraums, denn vielerorts werden Fahrradwege, neue Aufenthaltsbereiche oder Lieferzonen nur aufgrund der Flächenreduktion von KFZ-Stellplätzen möglich. Ergänzend wird seit geraumer Zeit die 3D-Mobilität diskutiert, das heißt die Verlagerung des Verkehrs in die vertikale Dimension, um dem knappen Raum in urbanen Regionen gerecht zu werden. Vernetzte, automatisierte und elektrische Fluggeräte stehen dabei zentral in Forschung und Entwicklung. Die Anwendungsfelder sind vielfältig und reichen von persönlichen Flugautos über On-Demand-Flugtaxis und Krankentransporten bis hin zu Pannenservice, Müllentsorgung, landwirtschaftlicher Überwachung und Instandhaltung großflächiger Anlagen wie Solarparks aus der Luft [1]. Im weiteren Sinne umfasst diese Funktion der Straße auch den Austausch von Daten und Informationen, Messungen von Luftwerten oder die Bereitstellung von Verkehrsinformationen. Wirtschaftliche Funktion der Straße Die wirtschaftliche Funktion der Straße ist, ähnlich wie die verkehrstechnische Funktion, charakterisiert von der Erreichbarkeit von Zielen. Straßen sind zum einen Transitraum, das heißt Güter und Waren werden auf ihnen von A nach B transportiert. Zum anderen dienen Straßen und Zuwege der Anlieferung bzw. Abholung von Gütern. Dazu müssen Be- und Entladeflächen, insbesondere für größere Fahrzeuge und regelmäßige Lieferungen - je nach Standort - zur Verfügung gestellt werden. Während derartige Flächen an Wirtschaftsstandorten meist Berücksichtigung finden, werden neue Logistikkonzepte für Paket- und Warenzustellungen zunehmend auch für Wohngebiete benötigt - ausschlaggebend ist der wachsende Online-Handel. Die Entlastung der Städte soll mithilfe von Logistik-Hubs in Außenbereichen, gebündelten Auslieferungen und einem Anbieter als Zusteller auf der letzten Meile [2], autonomen Lieferfahrzeugen, hauseigenen Packstationen in Wohngebäuden, Kofferraumlieferung und Drohnenanlieferung erreicht werden [3]. Außer für Transport und Logistik dienen Straßen den Menschen, um einerseits ihren Arbeitsplatz zu erreichen und dadurch wirtschaftlich aktiv zu werden, und andererseits, um Geschäfte und Dienstleistungsanbieter zu erreichen. Hinzu kommen gastronomische Außenbereiche von Restaurants, die eine Brücke zur soziokulturellen Funktion der Straße bauen. Die Terrasse eines Cafés als Aufenthaltsraum oder die sozialen Interaktionen auf einem Wochenmarkt sind daher eng verzweigt mit der wirtschaftlichen Funktion des Straßenraums. Das wirtschaftliche Klima kann durch den Nutzungstyp der Straße verbessert werden. So stimulierte in San Francisco die Flächenkonversation von einer autogerechten Straße hin zu Fußgänger- und Fahrradnutzung, die Verkäufe des ansässigen Einzelhandels um 60 % [4]. Soziokulturelle Funktion der Straße Als öffentlicher Raum ist die Straße für jeden zugänglich und wird somit auf vielfältige Weise beeinflusst und mitgestaltet: Als kultureller Aktionsraum, in dem Raumaushandlungs- und Aneignungsprozesse stattfinden, oder als Bildungs- und Lernraum, in dem vielerlei Tätigkeiten der Menschen auf der Straße vollzogen und beobachtet werden können. Je schneller die Fortbewegung der Menschen auf der Straße ist, desto weniger soziale Interaktion und Begegnungen sind möglich und desto anonymer wird die Interaktion. Demnach geschieht die bedeutsamste Form des sozialen Austauschs auf dem Bürgersteig und verbindenden Elementen wie Plätzen. Die soziokulturelle Funktion spielt eine zentrale Rolle dabei, wie eine Straße erlebt wird: vielfältig, bunt, langweilig, laut, sicher, einladend oder abweisend. Die Begegnungs- und Aufenthaltsqualität, das Maß an Identität, die Orientierung und das Sicherheitsgefühl sind für das Erlebnis in der Straße ausschlaggebend. Gleichzeitig dient der Straßenraum aber auch als wichtige (demokratische) Demonstrationsfläche. Mobilitätsentscheidungen sind individuell unterschiedlich stark von Faktoren wie Zeit, Geld, Lebensstil oder Habitus, Umweltbewusstsein, Pragmatismus sowie dem existierenden Verkehrsangebot am Wohnort abhängig. Es ist damit zu rechnen, dass die Nachfrage nach Dienstleistungen und Produktion immer individueller und von zunehmendem Umweltbewusstsein [5] und alternativen Mobilitätsangeboten [6] geprägt sein wird. Dazu zählt neben einer starken Sharing Economy auch die Angebotsauswahl des ÖPNV, der vermehrte Einsatz von mit regenerativen Energien betriebenen E-Autos und die Mikromobilität [3]. Die Förderung alternativer Mobilitätsangebote ist nicht nur für den Planeten gut, sondern auch für den Menschen: Vor dem Hintergrund aktueller Volkskrankheiten wie Übergewicht, Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die durch Bewegungsmangel entstehen, müssen gesundheitsfördernde Bewegungsformen wie Gehen und Fahrradfahren gefördert werden. 32 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Ökologische und energetische Funktion der Straße Ökologische Aspekte haben einen direkten Einfluss auf die Lebensqualität der unmittelbaren Anwohner, die Aufenthaltsqualität für temporäre Straßennutzer, auf das Stadtklima sowie den lokalen Wasserhaushalt und die Biodiversität vor Ort. Die Qualitäten des Straßenraums werden beispielsweise durch Verkehrsemissionen in Form von Lärm, Abgasen und Feinstaub herabgesetzt. Die Versiegelung der Straße zu Gunsten der monofunktionalen verkehrlichen Nutzung führt zu Phänomenen wie Hitzeinseln oder zu weniger Verdunstung und Abflussmöglichkeiten nach Starkregenereignissen. Im Zuge der Klimawandelmitigation sollte der Straßenraum als Puffer für unterschiedlichste ökologische Vorgänge genutzt werden. Das Konzept der „Green Streets“ sieht beispielsweise die Begrünung des Straßenraums vor: das strategische und schematische Pflanzen von Bäumen, krautartigen Pflanzen, Gras und die Begrünung von Fassaden. Durch die Akkumulation von atmosphärischen Partikeln wird zum einen die Schadstoffausbreitung minimiert, zum anderen werden Versickerung und Verdunstung von Niederschlägen begünstigt. Darüber hinaus lässt ein aktueller internationaler Forschungszweig eine völlig neue Funktion für den Straßenraum vermuten: Die Energiegewinnung aus der Straße. Im Sommer erreichen die Oberflächentemperaturen von Asphaltbelägen bis zu 65 °C, was zur plastischen Deformation, beispielsweise in Form von Spurrillen, führen kann. Zur Umsetzung solarer Energie in Wärme werden solarthermische Kollektoren in die Straßenoberfläche eingebettet. Forschungen von De Bondt und Jansen [7] stellen beispielsweise ein solares Kollektorsystem für den Asphalt vor, das die Vorteile seiner wärmeabsorbierenden Eigenschaften nutzt und die Fahrbahndecke sowie andere Infrastrukturen kühlen oder erhitzen kann. Diese Wärme kann so beispielsweise zur Beheizung von umliegenden Schwimmbädern genutzt werden. Auch die durch die Bewegung von Menschen oder Fahrzeugen freigesetzte kinetische Energie (auch: Bewegungsenergie) kann im Untergrund in elektrische Energie konvertiert werden. Piezoelektrische Platten werden beispielsweise genutzt, um die kinetische Energie von menschlichen Fußtritten aufzunehmen und in elektrische Energie umzusetzen, indem eine geringe Verlagerung in der vertikalen Achse registriert wird. Die Platten können in hoch frequentierten urbanen Gebieten, wie Fußgängerzonen, angebracht werden, um beispielsweise die Energie für die Straßenbeleuchtung vor Ort zu erzeugen. Welche Trends werden sich künftig auf die Straße auswirken? Digitalisierung der Straße Sämtliche Studien zur Zukunft der Mobilität sind sich einig: Die Digitalisierung ist eine unumgängliche Entwicklung mit zentraler Bedeutung auch für den zukünftigen Straßenbau. Grundsätzlich wird eine digitale Straße als eine mit Sensoren ausgestattete Straße bezeichnet, die Daten sammelt, diese drahtlos mit einem Kommunikationsnetzwerk teilt, sodass sie anschließend in aussagekräftige Informationen umgewandelt werden, um damit idealerweise ad-hoc und automatisiert angepasste Maßnahmen zu treffen. Derartige Sensoren können in den Fahrbahnbelag integriert oder an Straßenlaternen angebracht werden. Zu den erfassten Daten zählen unter anderem lokale Verkehrscharakteristika, wie Fahrzeugtypen, Intensität oder Dichte des Verkehrs, aber auch meteorologische Merkmale, wie Temperatur, Nebel, Geräusche oder Niederschlagswerte. Weiterhin können einzelne Verkehrsteilnehmer gezählt, Emissionen erfasst, Hindernisse bestimmt, die Parkraumverfügbarkeit geprüft oder der Straßenzustand gemessen werden. In Karlsruhe wurde gemeinsam mit der EnBW eine Straßenlaterne technisch so aufgerüstet, dass sich Stauwarnungen automatisch generieren lassen. Dafür ist die Messung des Verkehrsaufkommens, ein Stromanschluss und eine Anbindung an die städtische Datenplattform notwendig. Auch für die Verwirklichung des autonomen Fahrens ist die Kommunikation zwischen Fahrzeug und Infrastruktur ausschlaggebend [8, 9, 10]. Ein Testfeld ist beispielsweise die A9 in Bayern, deren Brücken und Masten mit Radarsensoren ausgestattet sind. Spezielle Landmarkenschilder auf der Teststrecke dienen der selbstständigen exakten Standortbestimmung von vernetzten, automatisierten Fahrzeugen [11]. Ressourcenschonung im Straßenbau Ein Ziel im Rahmen der Ressourcenschonung ist die Verbesserung der Langlebigkeit von Straßenbelägen, um so Instandsetzungsmaßnahmen zu reduzieren. Insbesondere Schäden durch extreme Wettereignisse und veränderte Klimabedingungen stellen die Straßeninfrastruktur und den Verkehr heute und zukünftig vor Herausforderungen. Innovationen bezüglich der Ressourcenschonung betreffen unter anderem das Kühlen und Heizen des Straßenbelags durch Erdwärme. Die Bundesanstalt für Straßenwesen erprobt im Testgebiet „duraBASt“ im Autobahnkreuz Köln-Ost eine Form der geo- 33 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen thermischen Straßenheizung bzw. -kühlung und deren Auswirkungen auf den Straßenbelag. Erdwarmes Wasser wird aus der Tiefe hochgepumpt und in Röhren geleitet, die unter dem Asphalt verlegt sind. Die Temperatur des Belages soll damit im Winter nicht unter 5 °C fallen und im Sommer nicht über 35 °C ansteigen. Außerdem soll polymermodifiziertes Bitumen den hohen Anforderungen an Langlebigkeit gerecht werden, da traditionelle Bindemittel oft an ihre Leistungsgrenzen stoßen. Der Einsatz von Polymeren optimiert Eigenschaften wie die Verformungsbeständigkeit, Lärmabsorption, Risswiderstand und geringe Sprühfahnenbildung des Fahrbahnbelags. Ein weiterer Schwerpunkt zur Ressourcenschonung liegt auf der Wiederverwertung der verwendeten Materialien im Straßenbau. Asphalt hat eine begrenzte Anzahl an Recyclingzyklen, dennoch wird versucht, die bisherige Recyclingquote von 83 % weiter zu steigern, indem das extrahierte Bitumen mit „Verjüngungsmittel“ versetzt wird, was somit eine Recyclingquote von 99 % ermöglichen soll. Bitumen ist teuer und wird aus Erdöl gewonnen, weshalb eine weitere Innovation darin besteht, Bitumen durch Plastik zu ersetzen. In den Niederlanden gibt es bereits einen 30 m langen Plastikradweg. Auch Lignin, das in Holz, Stroh oder Pflanzen enthalten und eines der am häufigsten vorkommenden natürlichen Polymere ist, wurde bereits erfolgreich als Ersatz für Bitumen eingesetzt [12, 13]. Eine weitere Innovation stellt Bio-Asphalt dar: Speisereste, wie etwa gebrauchtes Fritieröl, werden zusammen mit ein wenig Flugasche, einem Abfallprodukt aus Kohlekraftwerken, erhitzt und statt Bitumen als Bindemittel für Asphalt eingesetzt [14]. Neuartige Fahrbahnbeläge Neben der bereits erwähnten Begrünung von Straßenzügen zur Verbesserung der lokalen Luftqualität, werden photokatalytische Oberflächen auf Straßen verbaut, um Stickoxidanteile zu mindern. Herkömmlich wird hierfür Titandioxid mit in die Straßenoberfläche eingearbeitet oder an unterschiedlichen Straßenbauwerken aufgebracht. Die Stadt Kiel setzt seit geraumer Zeit auf mit Titandioxid vermischten Asphalt, um die EU-Grenzwerte der Luftreinhaltung einzuhalten. Bei der Photokatalyse kommt es durch Lichteinwirkung zu einer Beschleunigung des chemischen Oxidationsprozesses, damit werden Stickoxide schneller zersetzt. Während des Prozesses wird das Titandioxid nicht verbraucht und die Reaktion ist beliebig oft wiederholbar [15]. Die Wirksamkeit konnte nicht nur im Labor, sondern auch in Verkehrsnähe belegt werden [16]. Zwei Zukunftsszenarien für 2030 Trotz der Funktionsvielfalt der Straße wird die Realität in vielen Städten auch heute weiterhin dominiert von den Auswirkungen autogerechter Stadt- und Verkehrsplanung der Vergangenheit. Schließlich sind die Lebens- und Entwicklungszyklen der Straßeninfrastruktur äußerst lang. Vor dem Hintergrund von sich abzeichnenden Trends, wie Digitalisierung, Ressourcenschonung und Emissionsreduzierung, steht ein neuer Entwicklungszyklus in Straßenbau und Verkehrsplanung an. Weil Straßenräume in der Zukunft mehrere verschiedene Funktionen erfüllen müssen, sollte der Straßenraum nicht nur lediglich als Endprodukt der Verkehrsplanung verstanden werden. Vielmehr sollte er an seiner gesetzlichen Ausrichtung, der „Gemeingebräuchlichkeit“ gemessen werden. Die dringlichste Herausforderung für die Planung von Straßenräumen ist es, die Anforderungen hinsichtlich Digitalisierung und Nachhaltigkeit in einer menschzentrierten Planungsperspektive und einer solchen Umsetzung weitestgehend zu berücksichtigen und den Versuch zu unternehmen, beides zu vereinen. Die beiden extremen Zukunftsszenarien „Highway of Data“ und „Grüne Lunge“ dienen der Veranschaulichung. Highway of Data Die Mobilitätssysteme im Szenario „Highway of Data“ sind digitalisiert, vernetzt und elektrisch. Ein Betrachtungsschwerpunkt liegt auf dem technologischen Fortschritt in den Bereichen Digitalisierung, Automatisierung, Vernetzung, cyberphysische Systeme, Open Data und Datenverfügbarkeit. Bild 1 visualisiert beispielhaft eine Stadtszene aus dem Szenario. Es ist ersichtlich, dass der Erfüllung der verkehrlichen Funktion des Straßenraums größte Priorität zukommt. Die gute Erreichbarkeit von Zielen für alle Menschen ist gegeben und kann mit geringem Zeitaufwand erfüllt werden. Die Flächenverteilung fällt zugunsten der verkehrstechnischen Funktionen aus. Automatisierte Fahrzeuge, Mikromobile, 3D-Mobilität und On-Demand ergeben viele bedarfsgerechte Mobilitätslösungen. Hubs spielen eine wichtige Rolle, da sie unterschiedliche Mobilitäts- und Logistik-Angebote bündeln. Der PKW-Besitz nimmt ab, wodurch Park- und Stellplatzflächen in geringerem Umfang benötigt werden als bisher. Der Straßenraum ist vorrangig effizienter Transitraum auf technologisch neuestem Stand. Vorteile für die Stadtgesellschaft ergeben sich durch die Reduktion von Lärm-, Abgas- und Feinstaubemissionen aufgrund von technologischen Maßnahmen auf Fahrzeugseite. Die Nachhaltigkeitsverantwortung 34 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen wird großenteils in die Hände der zahlreichen alten und neuen Mobilitätsanbieter gelegt. Die Grenzen zwischen öffentlichen und privaten Verkehrsformen verschwinden allmählich. Außerdem findet die Mobilität von Personen und Gütern immer mehr Anwendungsfälle im urbanen Luftraum. Während Drohnen zum Transport von Gütern und Roboter zur Auslieferung von Paketen bereits seit einigen Jahren genutzt werden, fliegen in einigen Metropolen autonome Taxis durch die Lüfte. Durch die 3D-Mobilität und die gute Erschließung des urbanen Raums wird vor allem die ökonomische Funktion im Szenario „Highway of Data“ erfüllt. Soziokulturelle sowie ökologische Funktionen der Straße sind in diesem Szenario unterrepräsentiert. Zwar werden Emissionen durch technische Innovationen reduziert, doch die vorrangige Flächenzuteilung zu verkehrlichen Zwecken ist nicht förderlich für ein gutes Stadtklima. Fehlende Versickerungs- und Verdunstungsflächen verhindern eine natürliche Temperaturregulierung, Extremwetterereignisse verursachen Chaos. Starke Regenfälle werden in der Konstruktion der Straße zwar berücksichtigt, doch der Verkehr wird durch den oberflächlichen Abfluss zeitweise eingeschränkt. Vor diesem Hintergrund fällt die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum geringer aus. Selbst wenn ehemalige Verkehrsflächen zum Beispiel in gastronomische Außenbereiche umgewidmet werden, birgt die Flächenverteilung Nutzungskonflikte, denn der Bedarf nach öffentlichen Begegnungs- und Aufenthaltsflächen sowie Orten des sozialen Austauschs sind unverändert hoch. Ebenso mindert der geringe Grünflächenanteil die Ästhetik des Raums. Grüne Lunge Das Szenario „Grüne Lunge“ stellt ein umweltbewusstes Nachfrageverhalten nach ressourcenschonenden Fortbewegungsmitteln auf individueller Ebene und eine hohe Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum in den Vordergrund. Ein Fokus im Straßenbau liegt auf der Klimawandeladaption: Biodiversität, Sharing Economy, alternative Mobilitätskonzepte, Mikromobilität und ein kostengünstiger und vielseitiger ÖPNV. Die vorgesehene Fläche für den Autoverkehr wird demnach zugunsten von ÖV-, Fahrrad-, Fuß- und Aufenthaltsflächen reduziert. Bild-2 stellt eine mögliche visuelle Variante des Szenarios dar. Auffällig ist dabei der hohe Grünanteil im Straßenraum und der Einsatz verschiedener Oberflächenmaterialien: Farbiger Asphalt für Radwege, piezoelektrische Platten zur Energiegewinnung auf Fußwegen, Holzbohlen in Aufenthaltsbereichen und Kopfsteinpflaster in den Übergängen zwischen Grünflächen und Verkehrsbzw. Aufenthaltsflächen. Außerdem werden Materialen eingesetzt, die die Durchlässigkeit von Wasser priorisieren und damit eine Pufferfunktion übernehmen. Der Bild 1: Highway of Data. © Stroh et al. 35 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Verkehr ist zwar vernetzt, doch entschleunigt und aufgrund der Straßengestaltung mit Ausrichtung auf aktive Mobilität wird das Szenario von Nutzergruppen als „Wohlfühlraum“ wahrgenommen - ob sie unterwegs sind oder sich auf öffentlichen Plätzen aufhalten. Auch blaue Stadtelemente wie Teiche und Wasserläufe finden sich häufiger wieder. Ein Konfliktrisiko besteht, falls die vorhandenen Mobilitätsangebote der hohen Nachfrage nicht gerecht werden und größere Distanzen mit Fortbewegungsmitteln der Mikromobilität nicht zu meistern sind. Die wirtschaftliche Funktion ist in diesem Szenario in Teilen berücksichtigt. Güter und Waren werden im Innenstadtbereich auf der letzten Meile mit dem Lastenrad transportiert. Die Anlieferung bzw. der Abtransport mit großen Fahrzeugen geschieht auf vereinzelten Routen, an deren Endpunkten strategisch günstig gelegene Verteilhubs eingerichtet sind. Aufgrund des geringeren Flächenbedarfs für den Verkehr dienen zugewonnene Flächen der Gastronomie oder kulturellen Veranstaltungen im öffentlichen Raum. Grundsätzlich verbessern Verdunstungs- und Versickerungsflächen sowie schattenspendende Elemente die Luftqualität bzw. generell die messbare Umweltqualität. Durch die Begrünung, die vielen Versickerungs- und Verdunstungsflächen und die Nutzung emissionsarmer Transportmodi, die insgesamt ein positives urbanes Mikroklima verursachen, entsteht eine hohe Umwelt- und Aufenthaltsqualität. Soziokulturell gesehen, existieren ausreichend soziale Begegnungsräume im öffentlichen Raum, die einladend sind und rege genutzt werden. In diesem Szenario spielt sich daher das Leben im öffentlichen Raum ab, dieser wirkt belebt und in vielerlei Hinsicht vertraut. Ausblick Heute leiden Städte unter den entstandenen Altlasten der mangelnden städtebaulichen Integration von Straßenräumen. Ressourcenschonende, klimaneutrale und menschenzentrierte Straßenräume dienen als „Pushfaktor“ für das Gelingen der Mobilitätswende. Vor dem Hintergrund von Klimawandel, Digitalisierung und Partizipationsforderungen bei der Stadtentwicklung, verändert sich die Straße der Zukunft in ihrer Planung, Umsetzung, Nutzung und Instandhaltung - das heißt über den gesamten Lebenszyklus hinweg. Die Trends für den Straßenbau sind gleichermaßen Herausforderungen. Im weiteren Projektverlauf gilt es, die beiden Extreme in einem Synthese-Szenario zusammenzuführen und die teilweise konträren Anforderungen zu integrieren: Das Syntheseszenario „klimagerecht und digital“ greift die Stärken beider vorgestellten Szenarien auf und reduziert mögliche Risiken. So wird sichergestellt, dass alle Funktionen der Straße zukünftig gleichwertig Berücksichtigung finden können. Bild 2: Grüne Lunge. © Stroh et al. 36 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Einige erste Erkenntnisse für die Zusammenführung können bereits angerissen werden: Das Szenario „Highway of Data“ zeigt beispielsweise den enormen Flächenverbrauch für Mobilitätshubs auf und regt zur Weiterentwicklung des Ansatzes an. Außerdem könnten die Verwendung verschiedenster Materialien und die Fassadenbegrünung als Anreize aus dem Szenario „Grüne Lunge“ übernommen werden, um die Aufenthaltsqualität und die Ästhetik des Raumes im Digitalszenario zu verbessern. Gleichzeitig helfen Aspekte der 3D-Mobilität, die wirtschaftliche Funktion im Szenario „Grüne Lunge“ besser zu erfüllen. Beide Szenarien zeigen zudem auf, dass die Vernetzung von Angeboten ausschlaggebend für ein erfolgreiches Mobilitätserlebnis ist. Das Szenario „Grüne Lunge“ wird ohne Digitalisierung nicht möglich sein. Wie die konkrete Ausgestaltung der urbanen Räume in den Partnerkommunen ausfällt, ist abhängig von den standortspezifischen Gegebenheiten und Bedürfnissen, die sich in einen gesamtstädtischen Kontext einfügen. Es gilt dabei, eine Balance zwischen den Mobilitätsbedürfnissen der Individuen und den gesamtgesellschaftlichen Zielen zu finden. Das fordert kommunale Strategien hinsichtlich der Flächenverteilung und Priorisierung - mit Bezug auf unterschiedliche Fortbewegungsarten im Straßenverkehr sowie zu den anderen Funktionen der Straße und ihren Bedarfen. LITERATUR [1] Werner, M., Duwe, D., Busch, C.: Zukunftsstudie E-Fliegen. Stuttgart, 2019. [2] Acatech: Neue autoMobilität II. Kooperativer Straßenverkehr und intelligente Verkehrssteuerung für die Mobilität der Zukunft. 2018. [3] Heß, A., Polst, S.: Mobilität und Digitalisierung: Vier Zukunftsszenarien. Bertelsmann Stiftung. Gütersloh, 2017. [4] National Complete Streets Coalition: Complete Streets Stimulate the Local Economy, o.J. Online unter: https: / / www.smartgrowthamerica.org/ app/ legac y/ documents/ cs/ factsheets/ cs-economic.pdf (abgerufen am 29.09.2020). [5] Ahrens Wieland, G., Kabitzke, U., Bäker, B., Fricke, H., Körfgen, R., Schlag, B., Stephan, A., Stopka, U., Wieland, B.: Zukunft von Mobilität und Verkehr. Auswertung wissenschaftlicher Grunddaten, Erwartungen und abgeleiteter Perspektiven des Verkehrswesens in Deutschland (Forschungsbericht FE-Nummer: 96.0957/ 2010). Dresden, 2011. [6] Rammler, S.: Nachhaltige Mobilität: Gestaltungsszenarien und Zukunftsbilder. In Handbuch Verkehrspolitik, 899-917. Springer VS. Wiesbaden, 2014. [7] de Bondt, A.H., Jansen, R.: Generation and Saving of Energy via Asphalt Pavement Surfaces. Avenhorn, 2006. Felix Stroh, M. A. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO Kontakt: felix-fabian.stroh@iao.fraunhofer.de Constanze Heydkamp, M.A. Wissenschaftliche Mitarbeiterin Smart Urban Environments Forschungsbereich Stadtsystem-Gestaltung Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO Kontakt: constanze.heydkamp@iao.fraunhofer.de Angela Wendnagel-Beck, M.Sc. Wissenschaftliche Mitarbeiterin IREUS, Universität Stuttgart Kontakt: angela.wendnagel-beck@ireus.uni-stuttgart.de AUTOR*INNEN [8] FutureManagementGroup: Future Urban Mobility. Integration und Disruption: Städte als Zentren der Neuordnung des Mobilitätsmarktes. Eltville, 2016. [9] Hertelendy, T., Prössl, K., Wiersing, S., Huther, P., Schultheis, J.: Logistik und Mobilität in Hessen 2035. Ein Zukunftsbild. Frankfurt, Dortmund, 2016. [10] Přibyl, P., Přibyl, O.: Definition of a Smart Street as Smart City´s building element. Smart Cities Symposium Prague (SCSP). Prague, 2015. 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Beseitigung Hierbei stehen die ersten drei Punkte im Vordergrund unseres Handelns. Der amerikanische Architekt William McDonough gilt als Mitbegründer des Cradle-to-cradle-Konzeptes, das davon ausgeht, dass (Bau-)Stoffe kontinuierlich in technischen Kreisläufen gehalten werden können. Dieses etwa 30 Jahre alte Kreislaufkonzept, wird im Rahmen der Fridays-for-Future- Bewegung in der interessierten Öffentlichkeit erst richtig wahrgenommen. Basierend auf dem Cradleto-cradle-Konzept sollte überlegt werden, wo es städtische Rohstoffquellen gibt und wie sie sich erschließen lassen. Das Umweltbundesamt definiert dieses „Urban Mining“ als die integrale Bewirtschaftung des so genannten anthropogenen Lagers mit dem Ziel, aus langlebigen Gütern sowie Ablagerungen Sekundärrohstoffe zu gewinnen. Darunter fallen beispielsweise Konsumgüter wie Elektrogeräte und Autos aber auch Infrastrukturen, Gebäude und Ablagerungen auf Deponien. Um dem Urban Mining gerecht zu werden, sollte bei der Planung von Gebäuden bereits der ganze Lebenszyklus betrachtet Zum verantwortungsvollen Umgang mit städtischen Ressourcen - ein Beitrag der Bauingenieure Urbanisierung, Ressourcen, Flächenverbrauch, Bauwesen, Rohstoffe, Recycling Norbert Gebbeken Die Vereinten Nationen haben mit ihrer „Globalen Agenda 2030“ Ziele für eine nachhaltige Entwicklung festgeschrieben. Das „Ziel 11“ ist „Nachhaltige Städte und Gemeinden“. Auch für Bauingenieure und Stadtplaner gewinnt dieses Thema und damit der Umgang mit städtischen Ressourcen zunehmend an Bedeutung. Der Zuzug in die Städte ist weiterhin ungebremst. Das Thema Verstädterung ist ein globales Megathema. Die vorhandenen Grundstücksflächen reichen nicht mehr aus. Das Thema „Flächenfraß“ ist zu einem Wahlkampf entscheidenden Thema geworden. Das Bevölkerungswachstum und das Wirtschaftswachstum führen zu einer Verknappung natürlicher Ressourcen. Wir benötigen also dringend Antworten auf die drängenden Fragen im Zusammenhang mit städtischen Ressourcen. Doch was sind städtische Ressourcen und wie gehen wir damit um? Der Beitrag liefert anhand von wenigen Beispielen mögliche Antworten aus der Sicht von Ingenieuren der Bauwirtschaft. Bild 1: Baustoffrecycling © Andrea Kustermann 38 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen werden; also die konsequente Anwendung des Cradle-to-cradle-Konzeptes. Dies ist ein wichtiger Beitrag zur Erreichung des „Zieles 12“ der UN-Agenda 2030, nämlich: „Nachhaltige/ r Konsum und Produktion“. Das Umweltbundesamt weist außerdem darauf hin, dass sich urbane Minen oftmals genau dort befinden, wo Rohstoffe benötigt werden. „So liegen etwa Sekundärgesteinskörnungen aus dem Rückbau von Bauwerken meist im innerstädtischen Bereich, während im Vergleich dazu Primärkies aus Steinbrüchen stammt, die sich mitunter weit entfernt befinden.“ [1] Bau- und Abbruchabfälle machen mit einer Menge von 220 Mio. t etwas mehr als die Hälfte des Gesamtabfallaufkommens (53 %) aus. Damit kommt der Bauwirtschaft eine besondere Verantwortung zu. Durch die Aufbereitung von mineralischen Bauabfällen konnten 72 Mio. t Recycling-Baustoffe hergestellt werden. Diese wurden zu 53 % im Straßenbau, zu 22 % im Erdbau, zu 4 % in sonstigen Anwendungen (vor allem Deponiebau) und zu 21 % als Gesteinskörnungen in der Asphalt- und Betonherstellung eingesetzt. Die Bau- und Entsorgungswirtschaft leistet damit bereits einen wichtigen Beitrag zu einer ressourceneffizienten Gesellschaft. Aufgrund der bestehenden, teilweise sehr alten baulichen Infrastruktur und durch den industriellen Wandel, der dazu führt, dass einige bauliche Anlagen nicht umgenutzt werden können, müssen Gebäude und bauliche Anlagen abgerissen werden. Frau Prof. Andrea Kustermann von der Hochschule München arbeitet mit ihrem Team an einem Forschungsprojekt, mit dem sie zeigen wollen, dass Recyclingbeton mit 100 % rezyklierter Gesteinskörnung durchaus für neue Betonkonstruktionen geeignet ist. Da es sich beim Wiederverwendungspotenzial von eingebauten Baustoffen um große Mengen handelt - mit einem Gewicht in Tonnen in zweistelliger Millionenhöhe - muss die Recyclingforschung dringend intensiviert werden. Bauen im Bestand - Nutzung und Umnutzung von Bestandsimmobilien Die Bestandsbauten sind eine wichtige städtische Ressource. Wenn Umnutzungen anstehen, dann droht häufig der Abriss, weil vorhandene Grundrisse, Deckenhöhen oder Wandaufbauten heutigen Ansprüchen nicht mehr genügen. Doch oft lohnt es sich, darüber nachzudenken, ob die Bestandsimmobilie durch Instandsetzung, Modernisierung, Umbau und Erweiterung doch erhalten werden kann. Dadurch wird der Wert der Immobilie gesteigert, Abfall vermieden und es wird ein Beitrag zur Baukultur sowie zur Schonung der materiellen Ressourcen geleistet. Durch den Umbau und die Sanierung des bestehenden Institutsgebäudes 0505 der Technischen Bild 2: Bauen im Bestand: Umbau und Sanierung eines Labor- und Institutsgebäudes der TUM, Luisenstrasse / Theresienstrasse, Bauherr Freistaat Bayern, Hild und K Architektur. © Gebbeken Bild 3: Gebäude Rainhausgasse, Lindau. © Dr. Schütz Ingenieure, Kempten 39 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Universität München (TUM) auf dem Innenstadtcampus hat der Freistaat Bayern ein Zeichen für den Erhalt des Baubestandes gesetzt und gezeigt, dass es sich lohnt, in den Bestand zu investieren, anstatt abzureißen und neu zu bauen. Es wird dabei angestrebt, dass ein sanierter Bestandsbau die gleichen Qualitäten aufweist wie ein Neubau. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung hat einen Leitfaden „Nachhaltiges Bauen - Gebäudestand“ [2] erarbeitet. Darin heißt es, dass die Bundesregierung das Ziel verfolgt, die Nachhaltigkeit von Gebäuden vermehrt über den gesamten Lebenszyklus durch Einbeziehung ökologischer, ökonomischer wie auch sozialer Aspekte transparent, messbar und überprüfbar auszuweisen - bei gleichzeitiger Beachtung gestalterischer, technischer und funktionaler Qualität. In ähnlicher Weise hat sich die Bundesstiftung Baukultur geäußert. Weitere Hinweise zum Bauen im Bestand gibt es zum Beispiel beim Bundesarbeitskreis Altbauerneuerung e. V. (BAKA) [3] und beim Institut für Bauforschung e. V. (IFB) [4]. Denkmalpflege Die Denkmalpflege ist weit mehr als „nur“ Bauen im Bestand. Der Erhalt des baukulturellen Erbes ist eine staatliche Aufgabe. Darum kümmert sich in Bayern das Landesamt für Denkmalpflege. Die sanierten Baudenkmäler werden zumeist einer „modernen“ Nutzung zugeführt. Oft gelingt es auch, Baudenkmäler in ein neues Gebäudeensemble zu integrieren, wie die alte Abflughalle und der alte Tower am Flughafen Riem oder die denkmalgeschützte Sander-Villa beim neuen ADAC-Hochhaus zeigen. Die bayerische Ingenieurkammer-Bau vergibt alle zwei Jahre den Denkmalpflegepreis, um die bautechnischen Leistungen im Bereich der Denkmalpflege zu würdigen. Bild 3 zeigt ein preisgekröntes Gebäude in der Rainhausgasse in Lindau. Das Gebäude „Rainhausgasse“ in Lindau wurde im Jahr 1586 errichtet. Im Laufe seiner Geschichte war es Quarantänestation, Krankenhaus, Pflegehaus, Militärlazarett, Schulhaus und Armenhaus. Das Ingenieurbüro „Dr. Schütz Ingenieure“ stellte fest, dass der denkmalgeschützte Renaissancebau in einem bedenklichen Zustand war (Bild 3 links). Die Dach- und Deckenkonstruktionen zeigten erhebliche Fäulnisschäden und das Gebäude hatte sich aufgrund unzureichender Fundamente um 20- bis 30 cm ungleich verformt, wodurch Wände stark gerissen waren. Für die Instandsetzung gab es keine Normen. Die Ingenieure mussten innovative Sanierungstechniken erarbeiten. Bei dem statisch sehr schwierigen Untergrund aus Seetonschichten Bild 4: Schaffung von Wohnraum durch Aufstockung in vorgefertigter Holzbauweise. © Gebbeken Bild 5: Schaffung von Wohnraum durch Überbauung von Parkplätzen. © Gebbeken Bild 6: Weitgehend ungenutzte Brachfläche unterhalb einer Straße bietet Platz für einen Scater. © Gebbeken 40 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen wurden teure und risikoreiche Baugrundverbesserungen vermieden. Unter dem Bestandsgebäude wurde eine neue 30 cm dicke Bodenplatte eingezogen und die Fundamente der Außenwände wurden vergrößert. Dadurch waren keine Eingriffe in die Altfundamente nötig. Die erarbeiteten Sanierungstechnologien sind besonders denkmalverträglich und wirtschaftlich. Heute wird das Gebäude mit 17- Wohneinheiten für inklusives Wohnen von der Lebenshilfe Kreisvereinigung Lindau betrieben. Intelligente Flächennutzung Aufstockung und Dachausbau Eine wichtige städtische Ressource im Rahmen der Schaffung von Wohnraum sind Bestandsgebäude, die aufgestockt werden können oder bei denen das Dachgeschoss ausgebaut werden kann. In beiden Fällen wird zur Schaffung von Wohnraum keine zusätzliche Fläche versiegelt. Bild 4 zeigt links aufgestockte Reihenhäuser und rechts ein Reihenendhaus im Ursprungszustand. Die Reihenhäuser waren ursprünglich für vierköpfige Familien geplant. Bild 8: Intelligente Nutzung von Dachflächen. © Gebbeken Bild 7: Intelligente Nutzung von Brachflächen unterhalb von aufgeständerten Straßen. Illustrationen: © Flavio Cucina, Architekt, mit Unterstützung von Motionland Familien mit mehr als zwei Kindern initiierten eine Aufstockung in Holzbauweise. Die kommunalen Initiativen zur Schaffung von Wohnraum führten in den vergangenen Jahren zu einem Boom beim Dachgeschossausbau. Dabei wird die Tektur nicht verändert, jedoch müssen Anforderungen an den Brandschutz erfüllt werden, die meist zu außenstehenden Fluchttreppen führen, die oft als störend empfunden werden. Überbauungen In der Vergangenheit wurden innerstädtisch Parkplätze und einstöckige Zweckbauten errichtet, vor allem Einkaufsmärkte, die sehr viel Grundfläche beanspruchen und versiegeln. Das ist in Zeiten der Wohnraumknappheit nicht mehr akzeptabel. Deshalb werden neuerdings derartige bauliche Anlagen vereinzelt überbaut. In München wurde der Parkplatz am Dantebad durch einen 100 m langen aufgeständerten vierstöckigen Wohnbau einer zusätzlichen Nutzung zugeführt (Bild 5). Dieses Stelzenhaus wird von Stadtplanern, Bewohnern und Anwohnern gleichermaßen gelobt und als urbane Bereicherung angesehen. Es ist zu hoffen, dass diesem Beispiel noch viele anderen folgen werden, damit die städtische Ressource „Baugrund“ effizient genutzt wird. Intelligente Nutzung von Brachflächen Innerhalb der Städte gibt es ungenutzte oder schlecht genutzte Brachflächen, die oft nicht als Nutzungspotenzial erkannt werden. Neben anderen kann man Flächen unterhalb von Hochstraßen in Betracht ziehen. Bild 6 zeigt eine weitgehend ungenutzte Fläche unterhalb einer Hochstraße. Diese Fläche wird fast täglich von „Kids“ als Scater-Platz genutzt. Solches Interesse könnte man aufgreifen und einen Scater-Park errichten. Der Architekt Flavio Cucina hat genau hierzu ein Projekt entwickelt (Bild- 7). Er schreibt: „Es ist mir wichtig zu betonen, 41 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen dass dies nicht nur ein Skatepark ist, sondern ein sogenanntes urbanes Projekt, das Dockstationen und Parkplätze für leichte Mobilität, Sitze und Straßenmobiliar, Grünelemente und ein neues LED-Beleuchtungskonzept beinhaltet. Die Realisierung dieses Projektes wäre ein wichtiger Beitrag zur sinnvollen Nutzung städtischer Ressourcen und zur Verbesserung der Urbanität.“ Intelligente Nutzung von Zweckbauten Zweckbauten wie Parkhäuser, Gewerbegebäude, Bürogebäude, Kamine etc. werden in der Regel nur für einen bestimmten Zweck funktional errichtet. In Zeiten des Klimawandels, der zur Überhitzung von Städten und zu vermehrtem Starkregen führt, könnte man Zweckbauten multifunktional auslegen. Flachdächer lassen sich begrünen. Damit speichern sie Regenwasser, sie kühlen, können bei Vorhandensein spezieller Gräser und Blumen ein Habitat für Insekten und Bienen sein und bei entsprechender Größe sogar als Weide dienen (Urban farming), so wie auf dem Dach des Gebäudes „Werk 3“ im Werksviertel München (Bild 8) [5]. Darüber können noch Photovoltaik-Anlagen (PVA) errichtet werden. Auch Fassaden lassen sich begrünen oder mit PVA bestücken. Zudem erscheint die Installation von Mini- Windrädern sinnvoll. Verantwortungsvoller Umgang mit der städtischen Ressource Wasser Im Zuge des Klimawandels beobachten wir, dass sich Starkregenereignisse häufen. Sie führen insbesondere in den versiegelten Städten vermehrt zu Überflutungen bis hin zu Sturzfluten. Nicht nur begrünte Dachflächen halten Regenwasser zurück, sondern auch Zisternen. Sie sollten insbesondere in Neubauquartieren angelegt werden, um Regenwasser zurückzuhalten und es anschließend sinnvoll zu nutzen. Dieses Wasser kann zur Bewässerung genutzt werden, aber auch als Brauchwasser zur Toilettenspülung oder bei hinreichender Qualität zum Duschen. Derzeit erfolgt unsere Toilettenspülung mit einem Lebensmittel, nämlich Trinkwasser. Ist das heute noch zu verantworten? Abschließende Bemerkungen Der Beitrag hat gezeigt, dass wir das Thema „städtische Ressourcen“ noch viel stärker in das Bewusstsein der Bevölkerung und von Entscheidern bringen müssen, damit sie optimal genutzt werden können. Oftmals ist gar nicht bewusst, was das Themengebiet „städtische Ressourcen“ alles umfasst. Städtische Ressourcen sind weit mehr als wir unter „urban mining“ verstehen. Die bayerische Architektenkammer und die bayerische Ingenieurekammer - Bau haben sich in einem Positionspapier zum Flächensparen unter anderem für Innenentwicklung vor Außenentwicklung ausgesprochen. Es wäre wichtig, die stärkere Nutzung von städtischen Ressourcen in der Bauleitplanung zu verankern, damit sie „normal“ wird, statt, wie derzeit, ein Projekt Weniger aus der „Kreativ- oder Forscherszene“. LITERATUR [1] Umweltbundesamt: Urban Miming. 2017. Online: https: / / www.umweltbundesamt.de/ themen/ abfallr e s s o u r c e n / a b f a l l w i r t s c h a f t / u r b a n m i n i n g # strategie-zur-kreislaufwirtschaft- [2] Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR): Leitfaden „Nachhaltiges Bauen - Gebäudestand“. Online: https: / / www.bbsr.bund.de/ BBSR/ DE/ forschung/ programme/ zb/ Auftragsforschung/ 2Nac hhaltigesBauenBauqualitaet/ 2012/ LeitfadenNBBestand/ 01_start. [3] Bundesarbeitskreis Altbauerneuerung e. V. (BAKA). Online: https: / / www.bakaberlin.de/ [4] Institut für Bauforschung e. V. (IFB): Bauen im Bestand, Katalog für die Altbauerneuerung, 3. Auflage 2015. [5] Mann, G.: Das Schafsdach von München. Vielfacher Nutzen auf einem Dach vereint. Transformimg Cities 1 (2020) S. 24 - 27. Bild 9: Zisterne zum Speichern von Regenwasser. Grafik: © Yvonne Behnke Prof. Dr.-Ing. habil. Norbert Gebbeken Universität der Bundeswehr München Forschungszentrum RISK Kontakt: norbert.gebbeken@unibw.de AUTOR Regenwassertank/ Zisterne Regenwasser vom Dach wird in den Tank geleitet. Das Wasser kann in Haus und Garten genutzt werden. Achtung: Kein Trinkwasser! Fallrohr vom Dach Wasseranschluss Überlauf zur Kanalisation Tauchpumpe Regenwassertank Filtersieb 42 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Rechtliche Verankerung von Ressourcenschutz durch Ressourceneffizienz Das Forschungsprojekt „Ressourcenplan im Quartier“ hat zum Ziel, eine rechtliche Lücke zu füllen: Zur Verankerung des Ressourcenschutzes durch Ressourceneffizienz im Quartier soll ein „RessourcenPlan“ als Leitlinie für Rechtsbindungen in Bundes- oder Landesgesetzgebung entwickelt werden, womit die öffentliche Hand, besonders Gemeinden, verpflichtet werden, ressourceneffizient zu handeln. Mit Hilfe einer Methode zur Bemessung, Bilanzierung und Bewertung von Ressourceneffizienz im Quartier soll dabei die Steigerung der effizienten Verwendung der Ressourcen Wasser, Fläche, Baustoffe und Energie transparent nachvollzogen werden können. Zur durchdringenden Verankerung des Ressourcenschutzes soll dieser auf allen Rechtsquellen von Bundes-, Landes- und Kommunalebene enthalten sein. Dabei sollen die neuen Instrumente in bestehende Verfahren integrierbar sein, damit der Aufwand für die Steigerung der Ressourceneffizienz so gering wie möglich ausfällt. Zur Umsetzung des Ressourcenschutzes bieten sich dafür viele bereits bestehende Gesetze und Verfahren an, die modifiziert oder ergänzt werden müssten [1], zum Beispiel in Mit Nutzenstiftung zu mehr Ressourceneffizienz im Quartier Ressourceneffizienz, Quartier, Fläche, Wasser, Baustoffe, Energie Anne Söfker-Rieniets, Birgitta Hörnschemeyer, Jonas Kleckers, Christian Klemm, Celestin Stretz Im Rahmen des Forschungsprojekts „Ressourcenplan im Quartier - R2Q“ startete im Frühjahr 2019 ein großer Forschungsverbund aus Hochschulen, wissenschaftlichen Instituten, Praxispartnern und einer Kommune, um die Verwendung der Ressourcen Wasser, Fläche, Baustoffe und Energie in Quartieren zu bilanzieren und zu bewerten, damit ihre effiziente Verwendung im Quartier mit Hilfe neuer rechtlicher Festsetzungen zukünftig gewährleistet werden kann. © Couleur auf Pixabay 43 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen den Bereichen Bauleitplanung, Städtebauförderung und sonstigem, den Gebäudebestand betreffenden Ortsrecht der Gemeinden, beim Denkmalschutz sowie in den Bereichen Abfall und Kreislaufwirtschaft. Damit wäre es möglich, die Ressourceneffizienz im privaten und im öffentlichen Raum sowie für die Neuentwicklung von Teilquartieren und dem Bestand umzusetzen. Entwicklung einer Bewertungsmethode von effizienter Ressourcenverwendung Für die Umsetzung von mehr Ressourceneffizienz und die Herleitung des gesetzlich festzuschreibenden Ressourcenplans wird im Rahmen des Projekts ein Bilanzierungstool für die Bewertung der bestehenden Ressourceneffizienz mit Maßnahmenoptionen für eine effiziente Verwendung der betrachteten Ressourcen Wasser, Fläche, Baustoffe und Energie entwickelt. Diese Vorgehensweise soll auf einer Bewertungssystematik beruhen. Damit können die verschiedenen Bemessungsweisen und -werte mittels einer übertragbaren Rahmenstruktur, die sich aus der Bewertung der verschiedenen Ressourcen ergibt, berücksichtigt und dennoch einem gemeinsamen Ziel entsprechend ausgewertet werden. Besonders deutlich zeigen sich die Unterschiede in der Vielfalt quantitativer und qualitativer Messwerte und Parameter, die mit einem transdisziplinären Ansatz gleichermaßen in die Bewertung mit einbezogen werden sollen. Es werden dazu weitere Prämissen definiert, die der Systematik zugrunde liegen sollten. Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Fortschreibbarkeit der systemischen Inhalte essentiell. Damit lässt sich gewährleisten, dass die Anforderungen und Zielsetzungen immer nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgerichtet werden können. Die Übertragbarkeit der Instrumente auf die Strukturen aller deutscher Kommunen und die Rahmenbedingungen aller Quartiere muss gegeben sein. Gleichzeitig ist die Effizienz bezüglich personeller und finanzieller Ressourcen der kommunalen Verwaltungen wichtig. Dabei ist der Aufwand für die Beschaffung neuer Daten und gegebenenfalls neuer Erhebungen möglichst gering zu halten. Ebenso ist die Betreuung von Datenbanken sorgfältig in den Alltag der kommunalen Verwaltung zu integrieren und möglichst mit weiteren Verwertungsmöglichkeiten zu verbinden. Handlungsraum Quartier Um eine gemeinsame Bewertungssystematik zu entwickeln, muss zunächst ein gemeinsamer Bilanzierungsraum abgegrenzt werden. Hierfür wird als übergeordnete Funktionseinheit, im Rahmen derer alle systemischen Zusammenhänge der Ressourcen individuell aber auch untereinander verknüpfend betrachtet werden können, das Quartier ausgewählt. Die Annahme, dass die räumliche Abgrenzung „Quartier“ als qualitative Funktionseinheit für einen transdisziplinären Ansatz geeignet ist, liegt in der Definition von Olaf Schnur begründet, die er nach dem „Fuzzy-Concept“ als „ ... unscharf konturierte(n) Mittelpunkt-Ort alltäglicher Lebenswelten ... “ beschreibt, „deren Schnittmengen sich im räumlich-identifikatorischen Zusammenhang eines überschaubaren Wohnumfelds abbilden“ [2]. Daraus ergibt sich für den Forschungsansatz ein klar und für jedes Quartier spezifisch abgrenzbarer Kontrollraum, auf den sich die Bilanzierung bezieht. Er enthält eine gemeinsame Schnittfläche aller betrachteter Quartiersdimensionen - Wasser, Fläche, Baustoffe und Energie - und umfasst auch Einflüsse und Wirkungen aus den verschiedenen Quartiersdimensionen über seine Grenzen hinaus (siehe Bild-1). Konkret bedeutet das beispielsweise, dass zur effizienten Verwendung der Ressource Wasser auch die für das Quartier zuständige Kläranlage oder der entfernt passierende Kanal mit einbezogen werden kann. Fläche Wasser Baustoffe Kontrollraum Konntrollraum n Energie Quar tiersker n/ Kontrollraum relevante Quar tiersdimensionen des Forschungsprojekts Bild 1: Quartiersdimensionen und Kontrollraum. © Söfker-Rieniets et al., eigene Grafik mit Teilen von OpenStreet- Map, abgerufen von download. geofabrik.de am 20. 1. 2018 44 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Ganzheitliches Bewertungsprinzip Bei der Evaluierung aller bestehenden Bilanzierungsmethoden und des Stands der Wissenschaft bezogen auf die Bewertung der betrachteten Ressourcen wird deutlich, dass es die Bewertung der Ressource Fläche möglich machen kann, Zielvorgaben der Ressourcen Wasser, Baustoffe und Energie zu verarbeiten und mit in die Bewertung aufzunehmen. Denn die Flächeneffizienz hängt nicht zuletzt von der effizienten Verwendung dieser Ressourcen auf ihr und durch sie ab. So ergibt sich die These, dass alle lokalisierbaren Maßnahmen zur Steigerung der Ressourceneffizienz von Wasser, Energie und Baustoffen in einer Bewertungssystematik der Ressource Fläche enthalten sein müssen [3]. Ressourceneffizienz durch Nutzenstiftung Bevor auf Grundlage aller Prämissen und Rahmenbedingungen nun der planungstheoretische Ansatz dargestellt werden kann, ist es notwendig, sich mit der Definition des Begriffs Ressourceneffizienz auseinanderzusetzen. Hierzu wird die Definition des Umweltbundesamtes weiterentwickelt und auf die Quartiersdimension angepasst. So heißt es im Glossar des Umweltbundesamtes, dass Ressourceneffizienz das „Verhältnis eines bestimmten Nutzens oder Ergebnisses zum dafür nötigen Ressourceneinsatz“ [4] bezeichnet. Bei näherer Betrachtung des Begriffs „Nutzen“ wird deutlich, dass er die Nutzung von Dingen, also auch von Ressourcen voraussetzt. Die Nutzung von Dingen bedeutet dabei nichts anderes als die Inbetriebnahme ihrer Funktion. Um in der allgemeinen Quartiersbewertung bezogen auf die Fläche die planerische Komponente zu fokussieren und die Aktivierung von soziologischen Prozessen oder die Mobilisierung von Akteuren weniger in den Vordergrund zu stellen, soll hier als Forschungsziel definiert werden, dass Ressourcen so vorliegen, dass ihre Nutzung bzw. ihre Nutzbarkeit möglich gemacht oder verbessert wird oder für den gleichen Effekt ein geringerer Ressourceneinsatz notwendig wird. Im Rahmen dieses Forschungsansatzes wird also demnach die Erhöhung des vorhandenen Nutzens, die Nutzenstiftung, als Mittel zur Steigerung der Ressourceneffizienz aufgefasst. Und die Nutzungen von Ressourcen sind eben dann möglich, wenn Funktionen bereitgestellt werden, die in Betrieb genommen werden können. Die These lautet daher, dass die Ressourceneffizienz umso höher ist, über je mehr Funktionen die Ressourcen verfügen, je höher also ihre Funktionalität ist. Bei der Wahl einer Bewertungsmethode, die alle untersuchten Ressourcen integriert, wurde der Soll- Ist-Vergleich der Funktionalität als geeignete Methode ausgemacht. Die Soll-Funktionen in der Bewertung lassen sich dabei aus kommunalen bis globalen Treibern ableiten. Als diese werden im Projekt häufig neu oder verstärkt auftretende Begebenheiten bezeichnet, die eine Transformation erzeugen oder notwendig machen. Als Beispiel ist hier der Klimawandel zu nennen, der es notwendig macht, einerseits Anpassungen an die Folgen des Klimawandels im Quartier vorzunehmen und andererseits Maßnahmen zu entwickeln, die das Fortschreiten des Klimawandels verhindern. Die einzelnen Treiber lassen sich mit Hilfe wissenschaftlicher Untersuchungen wiederum in Transformationsziele übersetzen, die sich aus den Treibern ergeben. Zum einen finden sich viele dieser Transformationsziele in bundesweit gültigen, aber auch in kommunalen Strategien wie die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen oder das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung (s. Bild 2) [5, 6]. Dabei werden bei der Ressource „Wasser“ im Projekt Aspekte der Ableitung, Nutzung und Behandlung von Schmutz- und Niederschlagswasser betrachtet. Unter den Prämissen der integralen Entwässerungsplanung (Entsorgungssicherheit, Gewässerschutz und Nutzungssicherung; [7]) werden für das Quartier Vorgaben und Empfehlungen für die Regenwasserbewirtschaftung, Abwasserbehandlung, Wasser-, Wärme-, Nährstoffsowie Energierückgewinnung erarbeitet, wobei der Abgleich mit den Belangen des Ressourcenschutzes im Fokus liegt. Die Herleitung dieser Empfehlungen erfolgt auf Grundlage der ortsspezifischen Rahmenbedin- Bild 2: Bewertungssystematik für eine Bilanzierung der betrachteten Ressourcen. © Söfker-Rieniets et al. 45 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen gungen des Entwässerungssystems (Infrastruktur, Gewässer, Flächennutzung). Planerisch können die Erkenntnisse innerhalb der Systematik der Ressource Fläche umgesetzt werden. Neben bewährten Technologien werden dazu insbesondere Systeme mit Stoffstromtrennung in Grau- und Schwarzwasser und blau-grüne Infrastrukturen in Betracht gezogen. Die Ressource „Baustoffe“ umfasst alle Materialien, die über den Hoch- und Tiefbau in das anthropogene Lager eingebracht wurden bzw. werden und mittelbis langfristig wieder als potenzielle (Sekundär-)Rohstoffe zur Verfügung stehen. Durch die Methodenentwicklung zur Erhebung des regionalen anthropogenen Lagers sowie die Bereitstellung der nötigen Technologien und Verfahren werden im Rahmen der Bewertung der Ressource „Baustoffe“ die erforderlichen Grundlagen für einen ressourceneffizienten Wertschöpfungskreislauf im Hoch- und Tiefbau geschaffen. Auf Basis dieses „Baustoffhaushaltsmodells“ können geeignete Maßnahmen für die Quartiersentwicklung abgeleitet und Transformationsziele formuliert werden. Bei der Bewertung der Ressource „Energie“ werden Methoden der Energiesystemmodellierung genutzt, um die Einbindung verschiedener Maßnahmen - von der Installation von Wärmepumpen bis hin zur Implementierung eines lokalen Energiemarkts - in urbane Multi-Energiesystem zu untersuchen. Durch den Einsatz von Optimierungsalgorithmen werden alle theoretisch möglichen Technik- und Maßnahmenkombinationen miteinander verglichen und absolute „Nachhaltigkeitsmaxima“ ermittelt. Mithilfe des im Projekt bereitgestellten Modellgenerators (dem „Spreadsheet Energy System Model Generator“) können die erarbeiteten Methoden auf andere Quartiere übertragen werden. Aus den gesammelten Transformationszielen lassen sich schließlich individuelle Soll-Funktionen von Flächen für das spezifische Quartier extrahieren. Als Beispiel resultiert aus der Bewertung der Ressource Wasser ergänzend zum örtlichen Klimaanpassungskonzept das Transformationsziel, dass die Hitzeinseln im Untersuchungsquartier minimiert werden müssen. Für das Erreichen dieses Ziels werden unter anderem an den betroffenen Orten im Quartier Flächen benötigt, die Kaltluft produzieren. Die benötigten Eigenschaften dieser Flächen sind vor allem Anschluss an bestehenden Boden, das heißt, eine entsiegelte Oberflächenstruktur. Im Rahmen des für alle Ressourcen gültigen planungstheoretischen Ansatzes wurden zwei Bewertungsstränge bezogen auf verschiedene Zielfunktionen aus den oben beschriebenen Transformationszielen entwickelt, die es möglich machen, die kommunalen Treiber und die Entscheidungsgewalt der Kommunen zu stärken und in den Vordergrund zu rücken. Die spezifischen Bedarfe in der Quartiertransformation sollen den finanziellen Voraussetzungen der Kommune entsprechend berücksichtigt werden. Zum einen werden in einer ersten Bilanzierung bundesweit gültige und ortsspezifische Treiber in Soll-Funktionen übersetzt, wie es zum Beispiel zu den vorhandenen Hitzeinseln der Fall ist. Zum anderen wird eine dem allgemein gültigen Stand der Wissenschaft entsprechende Bilanzierung vollzogen, die im Gegensatz zum eben beschriebenen qualitativen und ortsbezogenen Bewertungsstrang, eine objektive, quantitative Bewertung umfasst. Während im ersten Strang qualitative, inhaltsbezogene Funktionen bewertet werden, wird im zweiten Strang die Funktionalität einer Fläche bewertet. Hier wird der Anzahl Ist-Funktionen die Anzahl der möglichen Funktionen bei Erhalt der vorhandenen Primärfunktion gegenübergestellt. Bei der Primärfunktion handelt es sich hier um die durch die Bauleitplanung festgesetzte Funktion, beispielweise Verkehr, Wohnen, Park und vieles mehr. Als Sekundärfunktionen werden im Rahmen des Forschungsansatzes die Funktionen bezeichnet, die Flächen aufgrund ihrer Eigenschaften außerdem besitzen und die positive oder negative Effekte auf die Transformationsziele haben können [8]. Als positive Funktionen werden beispielweise Ökosystemdienstleistungen bewertet, die explizite oder implizite Wirkungen auf den Menschen haben (wie Kühlung), aber auch negative Effekte auf die oben erwähnten Transformationsziele haben, wie die Erhitzung und Speicherung von Wärme oder die nicht vorhandene Artenvielfalt bei Asphaltflächen. Bild 3: Rasengittersteine auf Parkplatzfläche. © Söfker-Rieniets et al. 46 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Eine asphaltierte Parkplatzfläche, die in ihrem Ist- Zustand zwar die Primärfunktion „Parken“ optimal erfüllt, aber einige Funktionen besitzt, die negative Effekte auf das Transformationsziel „Minimierung von Hitzeinseln“ hat, könnte bei Entsiegelung viele zusätzliche Funktionen erhalten, die positive Effekte auf diverse Transformationsziele haben. Beispielsweise könnte diese Fläche mit Hilfe von Rasengittersteinen, mit der weiter die Primärfunktion „Parken“ erfüllt wird, viele weitere Funktionen mit positiven Effekten auf einige bundesweit gültige Transformationsziele wie Klimaanpassung, Arten- und Naturschutz, Gesundheitsschutz uvm. besitzen (s. Bild 3). Die Steigerung der Ressourceneffizienz kann durch ein Monitoring der Bilanzierungsergebnisse nachvollziehbar werden und so als Beleg zur Einhaltung der rechtlichen Vorgaben dienen. Zugleich ist das Bilanzierungs- und Bewertungstool auch eine Möglichkeit, Verbesserungen in der Ressourceneffizienz transparent zu veröffentlichen und politisch zu verwerten. Dipl.-Ing. Anne Söfker-Rieniets Wissenschaftliche Mitarbeiterin Projektleiterin Teilprojekt „Fläche“ RWTH Aachen, Institut für Städtebau und Europäische Urbanistik Kontakt: soefker@staedtebau.rwth-aachen.de Birgitta Hörnschemeyer M. Sc., Wissenschaftliche Mitarbeiterin Koordinatorin des Forschungsprojekts FH Münster, Fachbereich Bauingenieurwesen, IWARU Institut für Infrastruktur · Wasser · Ressourcen · Umwelt, AG Siedlungshydrologie und Wasserwirtschaft Kontakt: b.hoernschemeyer@fh-muenster.de Jonas Kleckers, M. Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter FH Münster, Fachbereich Bauingenieurwesen, IWARU Institut für Infrastruktur · Wasser · Ressourcen · Umwelt, AG Trinkwasser und Abwassertechnik Kontakt: iwaru@fh-muenster.de Christian Klemm, M. Eng. Wissenschaftlicher Mitarbeiter FH Münster, Fachbereich Energie, Gebäude, Umwelt Kontakt: christian.klemm@fh-muenster.de Celestin Stretz, M. Eng. Wissenschaftlicher Mitarbeiter FH Münster, Fachbereich Bauingenieurwesen, IWARU Institut für Infrastruktur · Wasser · Ressourcen · Umwelt, AG Ressourcen Kontakt: c.stretz@fh-muenster.de AUTOR*INNEN LITERATUR [1] Roßnagel, A., Hentschel, A.: Rechtliche Instrumente des allgemeinen Ressourcenschutzes. Herausgegeben von Umweltbundesamt, 2017. [2] Schnur, O. (Hrsg.): Quartiersforschung: Zwischen Theorie und Praxis. VS research. Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften. 1. Aufl. (2008) S.40. [3] Juraschek, M., Kreuz, F., Bucherer, M., Sonntag, R., Schnabel, F., Hoffschröer, H., Vossen, B., Söfker-Rieniets, A., Thiede, S., Herrmann, C.: Die Ressourcen der urbanen Fabrik: Definitionen und Erläuterungen aus dem Forschungsprojekt Urban Factory, (2018), S. 14. [4] Kosmol, J., Kanthak, J., Herrmann, F., Golde, M., Alsleben, C., Penn-Bressel, G., Schmitz, S., Gomke, U.: Glossar zum Ressourcenschutz. Herausgegeben vom Umweltbundesamt, 2012. Das Projekt „R2Q - Ressourcenplan im Quartier“ wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen von FONA, Forschung für nachhaltige Entwicklung gefördert (Förderkennziffer 033W102A- K) und vom Institut für Infrastruktur · Wasser · Ressourcen · Umwelt der FH Münster, dem Institut für Städtebau und Europäische Urbanistik der RWTH Aachen, dem Fachgebiet für Sustainable Engineering der TU Berlin mit der Stadt Herne als kommunalem Partner und mit der Unterstützung der Fachpartner, dem Kompetenzzentrum Wasser Berlin, Gelsenwasser aus Gelsenkirchen, Jung Stadtkonzepte aus Köln, Abbruchtechnik Exkern GmbH & Co. KG aus Münster und dem Institut für technisch-wissenschaftliche Hydrologie GmbH (itwh) aus Hannover seit März 2019 bearbeitet. Mehr Informationen unter: www.fh-muenster.de/ r2q R2Q - RESSOURCENPLAN IM QUARTIER [5] United Nations: Transforming our World - The 2030 Agenda for Sustainable Development, 2015. [6] Bundesregierung und BMU Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (Hrsg.): Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung zur Umsetzung des Klimaschutzplans 2050, 2019. [7] DWA: Arbeitsblatt DWA-A 100 - Leitlinien der integralen Siedlungsentwässerung (ISiE) - Dezember 2006 - fachlich auf Aktualität geprüft 2017. [8] Koellner, T., Stefan, A.-M., Wolff, H.A.: Zur Einführung des Begriffs der Ökosystemdienstleistung in das Bundesnaturschutzgesetz. Zeitschrift für Umweltrecht, Nr. 7-8 (2018) S. 387 - 391. 47 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Dieser Frage wurde in einem laufenden Promotionsvorhaben 1 an der Fakultät für Architektur der RWTH Aachen nachgegangen. Im Rahmen einer Befragung wurden rund 470 Studierende aus dem Bereich der Landschaftsarchitektur (LA-Gruppe) und der Architektur (Arch.-Gruppe) zu ihren Alltags-, Sehnsuchts- und Energielandschaften befragt. Mit dieser Dreiteilung sollten gestalterische und funktionale Ansprüche bzw. Zuschreibungen an Landschaften aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet werden. Die Befragung erfolgte mittels Fragebogen. Es wurden Bilder zur Bewertung vorgelegt (geschlossene Fragen), aber auch um Charakterisierungen von Alltags- und Sehnsuchtsorten sowie um Einschätzungen zur Energiewende gebeten (offene Fragen). Die Befragung wurde in einem Zeitraum von 2016 bis 2019 in Form eines Lang-, eines Kurz- und eines Ergänzungsfragebogens an unterschiedlichen Hochschulen durchgeführt. 2 Anstoß zum Thema war eine Befragung von Studierenden der Landespflege aus dem Jahr 2000 [1], die zu dem Ergebnis kam, dass selbst eine geringe Anzahl von Windenergieanlagen (kurz WEA) im Landschaftsbild negativ gewertet werden. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam noch 2016 eine Studie mit Ortsansässigen im Saarland, in der nur 0,9 % der Befragten ein Bild mit Windenergieanlagen als „schön“ werteten [2]. Im Jahr 2020 stellt sich das Ergebnis 1 Titel: Auswirkungen neuer Wahrnehmungsmuster im Bereich der regenerativen Energiesysteme im Orts- und Landschaftsbild und ihre Bedeutung für die räumliche Planung - Alltags-, Sehnsuchts- und Energielandschaften im Fokus. 2 FH Erfurt, HfWU Nürtingen und TU München (Studienrichtung Landschaftsarchitektur) sowie RWTH Aachen, FH Aachen und der TU Darmstadt (Studienrichtung Architektur). deutlich differenziert dar. Eine durchgehende Ablehnung von regenerativen Energieanlagen lässt sich aus den Ergebnissen der Befragung nicht ableiten. Es zeichnet sich aber eine spezifische Sicht der Befragten auf den Außenbereich ab, die Entwicklungsspielräume, aber auch weiteren Konfliktstoff bietet. Erste Unterschiede Erste Unterschiede bei den beiden befragten Gruppen zeigten sich bereits bei den Fragen zu den sogenannten Alltags- und Sehnsuchtsorten, also den Herkunfts- und Alltagsorten sowie den idealisierten Orten. Während Befragte der LA-Gruppe ihren Herkunftsort bzw. Ort der Kindheit eher als Dorf charakterisierten, nannten die Arch.-Gruppe häufiger die Großstadt. Dementsprechend hatten Spielplätze und Straßen eine größere Bedeutung als Spielorte für die Arch.-Gruppe. Auch bezogen auf den aktuellen Wohnort gab es Unterschiede. So bevorzugte die Arch.-Gruppe tendenziell Orte in der Stadt (inkl. Stadtparks) als Orte des Escapes (raus aus dem Alltag), während die LA- Gruppe häufiger Felder/ Wiesen, Wälder, Gewässer und Berge als Orte der Alltagsflucht nannte. Große Bedeutung als Lieblingsort unter der Woche hatte für beide Gruppen die eigene Wohnung. Während die Arch.-Gruppe als Lieblingsort am Wochenende eher urbane Strukturen und Familie/ Freunde nannte, hatten grünbestimmte Freiräume des Innenwie des Außenbereichs für die LA-Gruppe eine größere Anziehung. Beim Wunsch-Wohnort der Zukunft bevorzugt die Arch.-Gruppe abermals urbane Strukturen, während die LA-Gruppe zu einer dörflich-ländlichen Noch immer hässlich? Wie junge Planende regenerative Energien im Orts- und Landschaftsbild werten - Ergebnisse einer Befragung Regenerative Energien, Akzeptanz, Ästhetik Sandra Sieber Die Wirkung und Akzeptanz regenerativer Energieanlagen im Orts- und Landschaftsbild beschäftigt nun schon seit gut 20 Jahren die Forschung. In dieser Zeit ist eine Generation junger Menschen herangewachsen, die ihre Heimatregion teils nur noch so kennt: Mit Windkraftanlagen auf den weiten Feldern, mit Solaranlagen auf den Dächern der Scheunen und Wohnhäusern. Aber welche Sicht auf die Energiewende und ihre Technologien hat diese junge Generation? Welche Sicht haben gerade Studierende aus den Bereichen Landschaftsarchitektur und Architektur, die als Planende zukünftig Teil der Energiewende sind? 48 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Umgebung tendierte. Beim Wunsch-Wohnort mit Kindern tendierten beiden Gruppen allerdings zum Dörflichen/ Ländlichen. Einer Kindheit im „Grünen“ wird offenbar eine besondere Qualität zugesprochen. Auch als Ort der Entspannung wird dem Ländlichen eine große Bedeutung beigemessen, was allerdings im Widerspruch zur realen Bedeutung baulicher Umgebungen bei den Escape- und Lieblingsorten steht. Was wenig überrascht: Die LA- Gruppe gärtnert in ihrer Freizeit deutlich lieber als die Arch.-Gruppe. Die Ergebnisse zu den Alltags- und Sehnsuchtslandschaften deuten darauf hin, dass sich die Gruppen aufgrund von Schichtenzugehörigkeit, Habitus oder Milieu bereits in ihrer „primären Landschaftssozialisation“ unterschieden. Sie nutzen grünbestimmte Freiräume in unterschiedlicher Intensität und Intension, neigen aber zu ähnlichen Überhöhungen. Diese idealisierten Vorstellungen manifestieren sich in der Beschreibung einer Sehnsuchtslandschaft: Diese ist grün/ natürlich, mit Bergen, Gewässern, Wiesen/ Feldern, Wald, Weite und Ruhe. Ein kleiner Teil der Antworten entfiel sogar auf den Terminus der „unberührten Natur“. Die Sehnsuchtslandschaft stellt sich somit als Gegenteil der (erkennbar) anthropogen geprägten Alltagsorte und -umgebungen dar. Die Energielandschaften der Befragten Im Rahmen der Befragung zu den Energielandschaften, sollten die Befragten 8 Bilder mit und ohne regenerative Energien (Bilder 1 - 8) den vorgegebenen Kategorien zuordnen: Zum einen den sogenannten landschaftsästhetischen Kategorien „Schön“, „Erhaben“, „Interessant“ und „Nüchtern“ [3, S. 38 - 43]. Zum anderen den Landschaftskategorien „Naturlandschaft“, „Kulturlandschaft“ und „technogene Landschaft“. Für keinen der Begriffe wurde eine Definition gegeben, die Befragten sollen den ihrer Meinung nach passenden wählen. Zwei weitere Bilder in der Befragung (Bilder 9 -10) konnten zusätzlich in einer vierstufigen Skala von „Gefällt mir sehr“ bis „Gefällt mir gar nicht“ bewertet werden. Bild 1 (Landstraße) wurde von den Befragten am häufigsten als „nüchtern“ bezeichnet, Bild 2 (Staudenpflanzung) markierte für die Befragten ein „schönes“ Bild (Tabelle 1). Die Wertung der Bilder mit regenerativen Energien (Bild 3, 5, 8, 9) liegen dazwischen. Die Spannbreite der Wertungen bei Bild 3, Bild 8 und Bild 9 deuten darauf hin, dass es auch Kontext und Bildaufbau (Farbigkeit, Lichteffekte etc.) sind, die bei der Bewertung eine Rolle spielen. Deutlich wird dies besonders bei Bild 3. Dieses wurde in einer Ergänzungsstichprobe (54- Teilnehmende) gegen ein Bild mit Grünland (statt kahler Ackerfläche) ausgetauscht (Bild 11). Obwohl die Windenergieanlagen im Austauschbild deutlich prägnanter sind, wurde das Bild häufiger mit „schön“ (LA-Gruppe 33 %) oder „erhaben“ (Arch.-Gruppe 31 %) gewertet. Dabei wurde es in beiden Gruppen tendenziell als „technogene Landschaft“ wahrgenommen. Es besteht also auch kein simpler Zusammenhang zwischen den Wertungen „Natur“ und „Schön“. Bild 9 (mit Windkraftanlagen) und Bild 10 (ein vergleichbares Bild ohne Windkraftanlagen) zeigen eine Naturschutzwiese im Ostwald von Darmstadt, die in lokalen Internetforen als „schöner“ Ort beschrieben wird und dem Ideal einer Landschaft (siehe oben) möglichst nahekommen soll. Beide Bilder zeigen die gleiche Wiese aus unterschiedlichen Blickrichtungen. Es ging bei den Bildern (im Gegensatz zu Bild 8 der Befragung) gerade darum, technische Artefakte (Windenergieanlagen) im Kontext einer als hochwertig klassifizierten Naherholungslandschaft zu zeigen. Die Windenergieanlagen stehen etwa 2,5 km von der Wiese entfernt und gehören nicht Bilder 1 - 4 (oben, von links nach rechts) und Bilder 4 - 8 (unten, von links nach rechts): Bilder zur Befragung (Landstraße, Staudenbeet, Acker/ Windenergieanlage (WEA), Meer/ Siedlung, Rapsfeld/ Kurzumtriebsplantage (KUP), Strommasten/ Feld Küste, Autobahn/ Windenergieanlage (WEA)). © Sieber 49 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen zum Naturschutzgebiet. Gerade diese hochwertigen Orte sollten nach Auffassung des traditionellen oder konservativen Natur- und Landschaftsschutzes frei von zeitgenössischen Artefakten bleiben. Technische Artefakte, so die Auffassung, sollten besser in räumlicher Nähe zu anderen als „störend“ klassifizierten Elementen wie Autobahnen und Stromleitungen platziert werden [4]. Windenergieanlagen gelten in dieser Sichtweise als „schädlicher“ Eingriff, in Bezug auf das Landschaftsbild werden sie als „Störfaktoren“ [5] oder „beeinträchtigende Elemente“ [3,-S.-140] gewertet. Bild 9 der Befragung müsste daher aus der Perspektive des traditionellen/ konservativen Natur- und Landschaftsschutzes eine Abwertung im Vergleich zu Bild 10 erfahren. In der Befragung wurden Bild 9 und Bild 10 jedoch mehrheitlich mit „Gefällt“ oder „Gefällt sehr“ bewertet (Tabelle 2). Die Windenergieanlagen führen in diesem Beispiel also nicht dazu, dass ein Bild weniger oder gar nicht gefällt. Deutliche Unterschiede gibt es jedoch bei der Zuordnung der landschaftsästhetischen Kategorien. Das Bild ohne Windenergieanlage wurde häufiger als „schön“ gewertet, bei dem Bild mit Windenergieanlage bleibt „schön“ die häufigste Wertung, gefolgt von „interessant“. Nohl deutet das „Schöne“ als das Vertraute, Harmonische und als Sehnsucht nach einer Einheit von Mensch und Natur. In diesem Sinne - als das Liebliche, Idyllische und Bruchfreie - scheinen die Befragten den Begriff des „Schönen“ gedeutet zu haben. Das „Interessante“ muss/ kann nicht bruchfrei sein, es darf irritieren und fordert dadurch heraus und fasziniert. In dieser Deutung erscheint die Verschiebung von „Schön“ zu „Interessant“ nachvollziehbar. Auch die Wertung von Bild 8 (Windpark an Autobahn) als „Erhaben“ und „Interessant“ überrascht in dieser Deutung nicht mehr. Zusätzlich zu den vorgegebenen Wertungen konnten die Befragten Bild 9 und Bild 10 auch kommentieren. Das Spektrum der Antworten reicht in Bezug auf Bild 9 von medial verbreiteten Phrasen (Windkraftanlagen „zerstören“ die Landschaft), über Verweise auf die heimatliche Anmutung (Wie bei mir Zuhause) bis zu echter Begeisterung (Ich finde Windkraftanlagen schön. / Ein Ort zum Chillen). Die Kommentare lieferten aber auch unerwartete Hinweise darauf, was die Befragten eigentlich sahen. Bild 10 wurde in einigen Kommentaren als „unberührte“ Natur/ Landschaft beschrieben, bei Bild 9 waren es die Windenergieanlagen, die das Bild der „unberührten“ Natur/ Landschaften störten. Positive Kommentare werteten Bild 9 als gelungene Verbindung von „Natur“ und Technik bzw. verwiesen darauf, dass die Anlagen die „Naturwirkung“ nicht beeinträchtigen würden. Bild 9 - 10: zur Befragung - eine Naturschutzwiese im Ostwald von Darmstadt, einmal mit und einmal ohne Windenergieanlagen (WEA) im Hintergrund. © Sieber Ergebnisse | Landschaftsästhetische Kategorien Bild 1-8 n=466 B1 - Landstraße B2 - Blumenwiese B3 - Acker/ WEA B4 - Meer/ Siedlung Angaben in % S E I N k.A. S E I N k.A. S E I N k.A. S E I N k.A. LA-Gruppe 1 0 4 93 1 82 4 12 2 0 10 13 36 39 2 41 23 29 5 1 Arch.-Gruppe 1 0 6 87 5 79 8 6 4 4 14 11 26 42 6 52 17 27 2 2 B5 - Rapsfeld/ KUP B6 - Strommasten/ Feld B7 - Felslandschaft B8 - Autobahn/ WEA S E I N k.A. S E I N k.A. S E I N k.A. S E I N k.A. LA-Gruppe 56 11 12 20 0 1 4 23 71 1 42 44 13 0 1 2 11 22 64 1 Arch.-Gruppe 67 15 6 9 3 3 4 20 67 6 44 39 14 0 3 1 7 19 68 4 Ergebnisse | Landschaftskategorien Bild 1-8 Kurzfragebogen, n=174 B1 - Landstraße B2 - Blumenwiese B3 - Acker/ WEA B4 - Meer/ Siedlung Angaben in % N K T k.A. N K T k.A. N K T k.A. N K T k.A. LA-Gruppe 1 31 63 5 83 13 1 3 4 53 39 3 10 63 23 4 Arch.-Gruppe 12 26 54 9 94 4 0 1 44 26 26 3 9 83 6 3 B5 - Rapsfeld/ KUP B6 - Strommasten/ Feld B7 - Felslandschaft B8 - Autobahn/ WEA N K T k.A. N K T k.A. N K T k.A. N K T k.A. LA-Gruppe 24 68 4 4 0 26 71 3 96 0 0 4 2 8 87 3 Arch.-Gruppe 72 25 1 1 3 15 79 3 97 1 0 1 0 7 91 1 Tabelle 1: Ergebnisse der Befragung zu Bild 1 bis Bild 8 (Abkürzungen für landschaftsästhetische Kategorien: S = Schön, E = Erhaben, I = Interessant, N = Nüchtern, k. A. = keine Angaben, Abkürzungen für Landschaftskategorien: N = Natur, K = Kulturlandschaft, T = technogene Landschaft, k. A. = keine Angaben) 50 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen In einer Ergänzungsstichprobe (54 Teilnehmende) wurde daher noch einmal nach den Landschaftskategorien (siehe oben) sowie zur Wertung von „Natur“ und „Landschaft“ gefragt. Tatsächlich wurde Bild 10 überwiegend als „Naturlandschaft“ gewertet, bei Bild 9 gingen die Meinungen auseinander. Gute Natur, schlechte Technik? Bei den Zuordnungen der Landschaftskategorien zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Gruppen. Wo die Arch.-Gruppe „Natur“ sieht (Zum Beispiel: Bild 3, 5), plädiert die LA-Gruppe für „Kulturlandschaft“. Diese Unterschiede deutet auf eine spezifische sekundäre Landschaftssozialisation in der LA-Gruppe hin. Oder einfacher: Die LA-Gruppe bekommt im Studium bestimmte Vorstellungen der Begriffe, „Natur“, „Kulturlandschaft“ und „technogen“ vermittelt, während die Arch.- Gruppe eher dem (gesamtgesellschaftlichen) Schema von „Grün = Landschaft = Natur“ folgt. In der Ergänzungsstichprobe war es daher auch eher die LA-Gruppe, die Landschaften als Resultat und Spiegel anthropogener Nutzungen sah (Zustimmung LA-Gruppe 28 %, Arch.-Gruppe 17 %), während für die Arch.-Gruppe Natur und Landschaft eher „unberührt“ bleiben sollten (Zustimmung Arch.-Gruppe 18 %, LA-Gruppe 9 %). Die Zuordnungen beider Gruppen deuten aber auch auf ein spezifisches Technikwie Kulturlandschaftsverständnis hin: Autobahn, Landstraße und Strommasten werden als „technogen“ gewertet, der Hafen mit pittoresken Häusern als „Kulturlandschaft“. Auch wenn es für die Begriffe „Natur“, „Kulturlandschaft“ und „technogen“ immer mehrere (legitime) Definitionen gibt, folgt diese Wertung doch einer konservativen/ essentialistischen Deutungstradition. „Kulturlandschaft“ wird dann eher historisch/ wertend gedacht und mit (historischen) Agrarflächen gleichgesetzt. Diese Deutungstradition hat sich Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts etabliert und beeinflusst noch heute die Definition von „Störfaktoren“ oder „beeinträchtigenden Elementen“. [3, 4, 5] In dieser Tradition werden (vermeintlich) „gute Natur“ und „gute Agrarkultur“ gleichgesetzt, denn sie sind „unberührt“ von (vermeintlich) „schlechter“, zeitgenössischer oder urbaner Technik/ Lebensweise. (Vermeintliche) Technik wird zu etwas, dass (vermeintliche) Natur bedroht und abwertet. Agrartechniken werden in dieser Deutungstradition aus dem Technikbegriff exkludiert. Aus dieser Perspektive kann die historische Windmühle Teil einer „Kulturlandschaft“ sein, die zeitgenössische Windenergieanlage bleibt als „technogenes“ Element ein störender Fremdkörper. Ableitungen für die Praxis? In der Praxis hat solch ein enges (Kultur-)Landschaftsverständnis durchaus Vorteile. Wo der Landschaftsbegriff wertend und bildhaft gedacht wird, können auch Qualitätskriterien aufgestellt werden (passt/ passt nicht). Landschaft ist aus dieser Perspektive planbar. Der weite Landschaftsbegriff, wie ihn beispielsweise das „Europäische Landschaftsübereinkommen“ definiert [6], umfasst auch urbane Bereiche und anthropogene Elemente, er wertet nicht und exkludiert nicht. Wenn aber alles „Landschaft“ sein und alles zu einer „Landschaft“ gehören kann, dann lassen sich Qualitätskriterien nicht mehr so einfach ableiten. „Landschaft“ hat dann einen eher partizipativen und prozesshaften Charakter. Junge Planende können vor diesem Hintergrund in einen doppelten Konflikt geraten: Einerseits ist der enge/ wertende Landschaftsbegriff, mit den Narrativen des traditionellen/ konservativen Natur- und Landschaftsschutzes institutionalisiert, er findet sich (implizit) in Lehrbüchern und Planungsverfahren. Auf der anderen Seite steht ein weiter, nicht-wertender Landschaftsbegriff, wie im „Eu- Ergebnisse | Bild 9 und Bild 10 Landschaftskategorien n=54 N K T k.A. Angaben in % B9 - mit WEA LA-Gruppe 43 52 1 0 Arch.-Gruppe 63 21 13 3 B10 - ohne WEA LA-Gruppe 75 25 0 0 Arch.-Gruppe 89 8 0 3 Ergebnisse | Bild 9 und Bild 10 Geschmackliche Wertung n=466 G.s. G. G.w. G.g.n. k.A. Angaben in % B9 - mit WEA LA-Gruppe 23 64 12 0 0 Arch.-Gruppe 23 66 9 1 1 B10 - ohne WEA LA-Gruppe 29 56 12 1 3 Arch.-Gruppe 35 56 5 1 3 Ergebnisse | Bild 9 und Bild 10 Landschaftsästhetische Kategorien n=466 S E I N k.A Angaben in % B9 - mit WEA LA-Gruppe 52 10 29 9 0 Arch.-Gruppe 60 12 17 9 3 B10 - ohne WEA LA-Gruppe 70 10 8 9 3 Arch.-Gruppe 71 10 5 10 3 Tabelle 2: Ergebnisse der Befragung zu Bild-9 und Bild 10. (Abkürzungen der geschmacklichen Wertung für: G. s. = Gefällt sehr, G. = Gefällt, G. w. = Gefällt weniger, G. g. n. = Gefällt gar nicht. Die Abkürzungen der landschaftsästhetischen Kategorienstehen und Landschaftskategorien: siehe Tabelle 1.) Bild 11: Das Austauschbild zu Bild 3 im Ergänzungsfragebogen der Befragung - Grünland statt kahler Ackerfläche. © Sieber 51 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen ropäischen Landschaftsübereinkommen“ und die subjektive Wahrnehmung, die zeitgenössische technische Artefakte sehr wohl als gelungene Bestandteile „schöner“ Landschaften werten kann. Problematisch erscheint auch der Verlust der genutzten „Kulturlandschaft“, auf den die Befragung hindeutet. Verlust nicht im Sinne von Wandel, sondern im Sinne von fehlendem Wissen und fehlender Wahrnehmung. Bild 9 und Bild 10 der Befragung zeigen eben keine „unberührte Natur“, keine Wildnis, sondern eine historische Kulturlandschaft, die zweifach artifiziell ist: Als anthropogen geschaffene(r) Wiese/ Wald und als künstlich durch Pflege erhaltene Naturschutzwiese. Die vereinfachende Gleichsetzung „Grün = Landschaft = Natur“ übersieht die anthropogene Dimension unserer (Kultur-)Landschaften und wertet diese gleichzeitig negativ, was letztlich in ein Nutzungstabu münden kann [7]. So wichtig die Sorge um (unberührte) „Natur“ ist, so fatal wäre eine Negierung des naturschutzfachlichen Potenzials von Landnutzungen/ Kulturlandschaften. (Selbst-)kritisch muss die Aussagekraft bildbasierter Befragungen gesehen werden. Wenn, wie das Spektrum der Wertungen andeutet, auch das Setting (Bildaufbau, Farbigkeit, Lichteffekte etc.) eine Rolle bei der Wertung spielen, kann weder die Wertung „Schön“, noch die Wertung „Nüchtern“/ „Hässlich“ allein auf eine Technik oder ein Artefakt bezogen werden. Ein nüchterner Bildaufbau ist auch ohne regenerative Energietechniken nüchtern (vgl. Bild 1 und Bild 6), ein spannungsvoller Bildaufbau kann auch mit oder wegen der technischen Artefakte als „schön“ oder „erhaben“ gewertet werden (vgl. Bild 3, Bild 11 oder letztlich sogar Bild 8). Seriöse Aussagen lassen sich also nur in Bezug auf die Wertung des verwendeten Bildmaterials ableiten. Ein positives Ergebnis der Befragung ist sicher die Zustimmung, die regenerative Energietechniken im Rahmen des gewählten Bildmaterials seitens der Befragten erfahren, selbst dort, wo vermeintlich „Natur“ gesehen wird. Hochwertige Landschaftsbilder und technische Artefakte schließen sich für die Befragten nicht durchweg aus. Regenerative Energieanlagen, so ein Fazit der Kommentare der Befragten, können für Heimat stehen, für das Gewohnte oder eine gelungene Verbindung von Mensch und „Natur“. Einzelne fordern mit Blick auf die Diskussion um die Vereinbarkeit von regenerativen Energietechniken und dem Landschaftsbild auch eine Neudefinition des Landschaftsbzw. Ästhetikbegriffs. Dabei stehen die Befragten als zukünftige Planende der Energiewende auch kritisch gegenüber. Der fehlende Gestaltungsansatz/ -wille im Umgang mit regenerativen Energietechniken wird durchaus kritisiert (im Innenwie im Außenbereich). Es werden mehr Doppelnutzungen von Flächen gefordert, es wird mal eine bessere (nicht näher definierte) Integration in die Umgebung gefordert, mal eine erkennbare Inszenierung, beispielsweise in Kombination mit Wanderwegen oder als regionale Attraktion. Dabei ist sich gerade die Arch.-Gruppe aufgrund ihrer fachlichen Handlungsspielräume (als Planende im urbanen Raum) des Flächen- und Gestaltungspotenzials im Innenbereich bewusst. Energie soll da generiert werden, wo sie auch gebraucht wird, innerhalb der baulichen Strukturen. Damit thematisieren die Befragten (ohne direkt darauf einzugehen) die Zielstellungen der Energiewende: Diese zielt aktuell auf großmaßstäbliche Projekte wie den Ausbau der Off-Shore-Windkraft. Lokale Ansätze oder gestalterische Spielräume sind aber aktuell kein Ansatz des EEG. Wie die Kommentare der Befragten zeigen, könnte eine Energiewende aber auch anders aussehen, als es das EEG derzeit vorgibt. LITERATUR [1] Nohl, W.: Landschaftsästhetik heute - Auf dem Wege zu einer Landschaftsästhetik des guten Lebens - Ausgewählte Aufsätze aus vier Jahrzehnten, oekom verlag, München, (2015) S. 159 - 181. [2] Kühne, O.: Landschaft und Wandel - Zur Veränderlichkeit von Wahrnehmungen, SpringerVS, Springer Fachmedien, Wiesbaden, (2018) S. 50. [3] Nohl, W.: Landschaftsplanung - Ästhetische und rekreative Aspekte, Patzer Verlag, Berlin-Hannover, (2001) S. 38 - 43. [4] Riedel, W. et al. (Hrsg.): Landschaftsplanung, 3., neu bearbeitete, aktualisierte Auflage, Springer Spektrum, Berlin Heidelberg, (2016) S. 470. [5] Wöbse, H. H.: Landschaftsästhetik: Über das Wesen, die Bedeutung und den Umgang mit landschaftlicher Schönheit, Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart, (2002) S. 256. [6] Europäisches Landschaftsübereinkommen, Sammlung Europäischer Verträge. Nr. 176, Artikel 1, Punkt a, und Artikel 2, https: / / rm.coe.int/ CoERMPublic- CommonSearchServices/ DisplayDC TMContent? doc umentId=0900001680080630. [7] Brämer, R.: Natur obskur - Wie jugendliche heute Natur erfahren, oekom Verlag, München, (2006) S. 96 f. Dipl.-Ing. (FH) Sandra Sieber Wissenschaftliche Mitarbeiterin Fachgebiet Entwerfen+Freiraumplanung an der TU Darmstadt Kontakt: sieber@freiraum.tu-darmstadt.de AUTORIN 52 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Klimaschutz und Klimaanpassung werden zunehmend zu zentralen Aufgaben für die Stadtplanung. Das Ziel sind Städte, die gleichermaßen an den Klimawandel angepasst sind und einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Wichtig dafür ist, Gebäude klimaneutral zu heizen und zu kühlen und die Wärme- und Kältebedarfe durch nutzungsbezogene Prozesse in den Gebäuden klimaneutral zu decken (zum Beispiel: Warmwasserbereitung, thermische Anwendungen und Prozesse etc.). Die Wärme- und Kältebedarfe für die Klimatisierung lassen sich gebäudeweise durch effiziente Gebäudehüllen reduzieren. In gewissem Umfang können auch die nutzungsbezogenen thermischen Prozesse in den Gebäuden im Hinblick auf ihre Bedarfe optimiert werden. Nachhaltige Wärme- und Kältebewirtschaftung von Stadtquartieren Integrierte Betrachtung im Stadtentwicklungsprozess Energiegerechte Stadtentwicklung, Energieleitplanung, Abwärmenutzung, Kaltes Nahwärmenetz, Wärme- und Kältenetz, thermisch aktivierter Hybridkanal Corinna Schittenhelm, Meinhard Ryba, Till Kugler, Roland Koenigsdorff, Detlef Kurth, Christian Moormann Im Rahmen des Prozesses der „Energieleitplanung“ wird untersucht, wie Energieeffizienz und erneuerbare Energieversorgung in Stadtentwicklungskonzepte integriert werden können. Das Forschungsprojekt IWAES (www.iwaes.de) geht der Frage nach, wie durch die Nutzung thermisch aktivierter Abwasserkanäle und weiterer erneuerbarer Energiequellen ein ausgeglichener jährlicher Wärme- und Kältehaushalt auf Quartiersebene möglich ist. Ein Projektschwerpunkt liegt in der Zusammenarbeit der beteiligten Akteure aus Stadtplanung, Bauingenieur- und Energieingenieurwesen sowie öffentlichen und privaten Partnern. © Krisztián Gazsovics auf Pixabay 53 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Lokale, gebäudebezogene Einzeloptimierungen sind notwendig, um die Klimaschutzziele zu erreichen, aber im Sinne einer gebäudeübergreifenden Gesamtoptimierung nicht ausreichend. Erst in einer übergeordneten, quartiersorientierten Betrachtung lassen sich weitere Optimierungspotenziale erschließen. Hierzu zählen zum Beispiel eine aus energetischer Sicht optimierte Gebäudeausrichtung oder eine optimierte Nutzung von bedarfsnahen erneuerbaren Energiequellen. Die zentrale Betrachtungsebene ist hierfür das Stadtquartier. Hier sollen die unterschiedlichen Belange aus Städtebau, Energieingenieurwesen und Bauingenieurwesen in einem energetischen Quartierskonzept verknüpft werden. An dieser Stelle setzt das inter- und transdisziplinäre Verbundprojekt IWAES mit einer nachhaltigen Wärme- und Kältebewirtschaftung von Stadtquartieren an. Mit einem innovativen ganzheitlichen Ansatz wird das Ziel verfolgt, die Infrastruktursysteme der Siedlungswasserwirtschaft, konkret das bauliche Abwassersystem, auf Stadtquartiersebene so zu aktivieren, dass sie zum Transport sowie für die Ein- und Ausspeisung von Wärme und Kälte und zusätzlich als Wärmequellen und Wärmesenken genutzt werden können. Damit soll das Potenzial für einen Ausgleich des Wärmehaushalts in einem Stadtquartier erschlossen werden. Sich durch das System ergebende Puffer- und Speichermöglichkeiten können den Wärmeausgleich optimieren. Im Sinne einer „Energieleitplanung“ werden die Voraussetzungen geschaffen, thermische Verbrauchslastprofile von Gebäudenutzungen auszugleichen (siehe Bild 1). Im Rahmen des Forschungsvorhabens werden insbesondere die folgenden zentralen Fragestellungen bearbeitet:  Kann durch eine technische und stadtplanerische Optimierung unter Einbeziehung von adaptierten und thermisch aktivierten Infrastruktursystemen der Siedlungswasserwirtschaft ein ausgeglichener Wärme-/ Kältehaushalt innerhalb eines Stadtquartiers erreicht werden?  Wie sieht eine effiziente und technisch realisierbare Infrastruktur unter Nutzung der Konstruktionen des Siedlungswasserbaus zum Transport und zur Verteilung von Wärme für einen Wärmeausgleich aus?  Wie lassen sich verbleibende Restbedarfe mit erneuerbaren Energiequellen im Stadtquartier decken? Bei der Bearbeitung dieser Fragestellungen arbeiten die Disziplinen Stadtplanung, Bauingenieur- und Energieingenieurwesen eng zusammen. Damit wird die interdisziplinäre Zusammenarbeit selbst zum Forschungsobjekt, mit dem Ziel, die gesammelten Erfahrungen in der Praxis für die Entwicklung energetischer Quartierskonzepte zu nutzen. Im Projektverbund versammelt sind wissenschaftliche Vertreter aus Stadtplanung (TU Kaiserslautern), Bauingenieurwesen (Universität Stuttgart) und Energieingenieurwesen (Hochschule Biberach). Weitere Kooperationspartner sind Wirtschaftsunternehmen (die STEG, Klinger und Partner, Frank GmbH), die ihre spezifischen Fachexpertisen einbringen, und als kommunaler Partner die Stadt Stuttgart (Amt für Umweltschutz Stuttgart). Bild 1: Die relevanten Bausteine des Verbundprojekts. © Serena Oberecker, 2019 53 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES 54 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Gefördert wird das Verbundprojekt durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Maßnahme „Ressourceneffiziente Stadtquartiere für die Zukunft“ (RES: Z). Die oben genannten Forschungsfragen werden zum einen grundsätzlich wissenschaftlich untersucht, so dass die Ergebnisse auf andere Stadtquartiere übertragbar sind. Zum anderen werden die Ergebnisse auf ein konkretes Stadtquartier bezogen und unter realen Bedingungen untersucht und demonstriert. Als Untersuchungsgebiet dient das Rosensteinquartier in Stuttgart, das nach Fertigstellung des Tiefbahnhofs auf den ehemaligen Bahnflächen entstehen soll. Verschiedene Rahmenbedingungen wie beispielsweise die hohe Verdichtung, die Wohnungsnot, der hohe Industrieanteil, die Verkehrsbelastung und die Kessellage bedingen sich gegenseitig und erfordern es, hier ein nachhaltiges und dichtes neues Stadtquartier zu errichten (siehe Infobox 1). Im Rahmen ihrer Planungshoheit haben die Gemeinden die Zuständigkeit, nach § 1 Abs. 3 BauGB „… Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist.“ [3] Bei der Aufstellung von Bauleitplänen soll „den Erfordernissen des Klimaschutzes … Rechnung getragen werden.“ [4] Zugleich sind „bei der Aufstellung der Bauleitpläne … die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen.“ [5] Neben den verbindlichen Festsetzungen durch die formellen Planungsinstrumente ist eine strenge Selbstbindung der Beteiligten beim Einsatz informeller Planungsinstrumente anzustreben, wie zum Beispiel bei Quartierskonzepten, städtebaulichen Entwürfen, Fachkonzepten. Der Prozess der „Energieleitplanung“ verknüpft Energiekonzepte mit Bauleitplänen und Stadtentwicklungsplänen. Bei der Aufstellung eines Energiekonzepts werden die energetischen Optimierungspotenziale erfasst, um die Energiebedarfe zu senken und die Energieversorgung möglichst durch erneuerbare Energien zu gewährleisten. Bei Neubauprojekten bildet die Entwicklung und Bewertung von Planungsvarianten (Gebäudeausrichtung, Geschossigkeit, Versorgungsvarianten etc.) die Grundlage für das energetisches Gesamtkonzept. Bei Bestandsquartieren werden der Ist-Zustand der Gebäude und des bestehenden Versorgungskonzepts aufgenommen, Sanierungsoptionen zu einem energetischen Sanierungskonzept zusammengestellt und dazu Handlungsempfehlungen und Zielsetzungen formuliert. Für die Erarbeitung eines Energieleitplans muss die Stadtplanung den Energieingenieuren frühzeitig die Daten zu den Gebäudetypen und deren Nutzungen für die Berechnung der Wärme- und Kältebedarfe zur Verfügung stellen. Hierbei werden Variantenberechnungen in Abstimmung zwischen Stadtplanung und Energieplanung zu Optimierungsmöglichkeiten durchgeführt. Die Ergebnisse werden beispielsweise in Form von optimierter Gebäudeausrichtung oder angepasster Geschossigkeit zurückgespiegelt und sind bei der Weiterentwicklung des städtebaulichen Entwurfs zu berücksichtigen. Darüber hinaus werden in diesem interdisziplinären, iterativen Planungsprozess die Potenzialflächen für Solarthermie und Photovoltaik ermittelt und unter Berücksichtigung von notwendigen Technik-, Funktions- und Gestaltungsflächen optimiert. Die Abstimmung zwischen Stadtplanung und Bauingenieurwesen bezieht sich vor allem auf das Leitungskonzept, das bei der Planung der Baufelder und Verkehrsflächen zu berücksichtigen ist. Durch den Bau des Stuttgarter Tiefbahnhofs wird ein großes innerstädtisches Areal frei. Der Stadt Stuttgart bietet sich dadurch die Chance, der Wohnungsnot zu begegnen und neue städtebauliche Qualitäten zu schaffen. Im Jahr 2018 wurde ein städtebaulicher Wettbewerb ausgelobt, den das Büro asp Architekten GmbH 2019 für sich entscheiden konnte [2]. Der Siegerentwurf dient als Grundlage für das Forschungsprojekt. Gemäß dem Entwurf (siehe Bild 2) soll ein stark durchgrüntes Stadtquartier entstehen. Zusätzlich soll das Stadtquartier möglichst autofrei gestaltet werden, Infrastruktureinrichtungen sollen in Quartiershubs untergebracht werden. Das Ziel ist ein durchmischtes, energetisch ausgeglichenes Quartier mit ansprechenden öffentlichen Räumen und einer qualitätvollen städtebaulichen Dichte. Infobox 1: DAS ROSENSTEINQUARTIER Bild 2: Internationaler Wettbewerb Rosenstein, Stuttgart: Siegerentwurf. © asp Architekten GmbH 2019 [1] 55 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Auf Grundlage des optimierten städtebaulichen Entwurfs können durch die Energieingenieure realistische Bedarfslastgänge der Gebäude ermittelt werden. Diese bilden die Basis für Untersuchungen zum möglichen gegenseitigen thermischen Ausgleich von Wärme- und Kältebedarfen, zum dafür erforderlichen Transportbedarf mit den Ein- und Ausspeisepunkten sowie zu den noch zu deckenden Restbedarfslastgängen für Wärme und Kälte. Hier liegt die Schnittstelle zwischen Energieingenieuren und Bauingenieuren (Siedlungswasserwirtschaft), deren Aufgabe es ist, den im Quartier erforderlichen Wärme- und Kältetransport und die Deckung der thermischen Restbedarfe mittels eines thermisch aktivierten Hybridkanalsystems soweit wie möglich zu realisieren (siehe Infobox 2). Die Umsetzung der thermischen Kanalaktivierung und der dafür erforderlichen Anlagentechnik erfolgt an der Schnittstelle zwischen Bauingenieuren (Geotechnik), Energieingenieuren (Anlagentechnik) und Praxispartnern, welche auf die Dimensionierung (Klinger und Partner) und die Herstellung und Aktivierung (Firma Frank) von Abwasserkanälen spezialisiert sind. Der Energieleitplan wird schließlich der Stadt Stuttgart übergeben, die bereits während des Erarbeitungsprozesses darauf achtet, ob alle Anforderungen und öffentlichen Belange erfüllt werden. Bilanzierung für einen ausgeglichenen Wärmehaushalt von Stadtquartieren Voraussetzung für eine nachhaltige Wärme- und Kältebewirtschaftung mit einem möglichst ausgeglichenen Wärmehaushalt in einem Stadtquartier ist es, die zeitlich aufgelösten Wärme- und Kältebedarfslastprofile der Nutzungen zu ermitteln. Hieraus ergibt sich, zu welchem Zeitpunkt eine Nutzung Wärme oder Kälte benötigt, und ob diese eine Wärmesenke oder Wärmequelle darstellt. Zur Ermittlung quantitativer Lastgänge ist es erforderlich, den Nutzungen räumliche Nutzungseinheiten in den Gebäuden im städtebaulichen Entwurf zuzuordnen. Von der Gebäudeebene bis zum Quartier sind Ebenen für eine schrittweise Bilanzierung des Wärmehaushaltes festzulegen. Diese Bilanzierungsebenen richten sich nach den räumlichen Transport- und Verteilmöglichkeiten entlang der baulichen Abwasserkanäle einerseits und der städtebaulichen Struktur andererseits. Von der Gebäudeebene beginnend ergeben sich die noch zu deckenden thermischen Restbedarfe, die dann entweder noch auf der jeweiligen Betrachtungsebene durch zur Verfügung stehende erneuerbare Energien gedeckt werden können oder in die nächste Bilanzierungsebene für einen Wärmeausgleich weitergegeben werden müssen oder sollen. Die zeitschrittweise Bilanzierung auf den verschiedenen Ebenen zeigt auf, inwieweit ein ausgeglichener Wärmehaushalt je Zeitschritt möglich ist, und welche Restbedarfslastgänge für Wärme oder Kälte noch an welcher Stelle im Quartier zu decken sind. Anhand der Ergebnisse lässt sich ferner ermitteln, ob, in welchem Umfang und wo eine thermische Pufferspeicherung zur zeitlichen Entkopplung der Wärme- und Kältebedarfslastgänge zu einem besser ausgeglichenen thermischen Haushalt beitragen kann. Abschließend lassen sich die Einsatzmöglichkeiten von im Quartier vorhandenen erneuerbaren Energiequellen im Umfeld der noch zu deckenden Restbedarfe überprüfen. Angewandt auf das Untersuchungsgebiet Stuttgart-Rosensteinquartier ergeben sich aus dem städtebaulichen Entwurf die folgenden Bilanzierungsebenen (siehe Bild 3): Bild 3: Dreistufiger thermischer Quartiersansatz mit Integration des thermisch aktivierten Abwassernetzes. © Schittenhelm et al. 55 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES Mit thermisch aktivierten Abwasserkanälen wird dem Abwasser und dem umgebenden Erdreich je nach Bedarf Wärme entzogen oder an dieses abgegeben. Die in Bild 4 dargestellten Kanalquerschnitte zeigen, welche Varianten zur Aktivierung möglich sind. Je näher die Absorberleitungen am Abwasser angebracht sind, desto mehr Wärme wird dem Abwasser entzogen, entsprechendes gilt bei erdreichnaher Lage. Ein „thermisch aktivierter Hybridkanal“ ist ein aktivierter Kanal, in den zusätzliche Leitungen für einen Wärme- und Kältetransport integriert sind. Infobox 2: THERMISCH AKTIVIERTER HYBRIDKANAL 56 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen  Erste Ebene: Gebäudeblock. Der städtebauliche Entwurf sieht überwiegend eine Blockbebauung vor. Solitärgebäude sind lediglich am südöstlichen Rand des Quartiers geplant (vgl. Bild 2).  Zweite Ebene: Der städtebauliche Entwurf sieht sogenannte Quartiershubs als Versorgungszentren vor, in denen unter anderem Flächen für die Energieversorgung eingeplant sind. Diese Bilanzierungsebene umfasst die Gebäudeblöcke, die dem jeweiligen Hub zugeordnet sind. Für die Bilanzierung ergibt sich je Hub ein Hubareal.  Dritte Ebene: Gesamtes Quartier. Auf dieser Ebene werden die Bedarfe der Hubareale bilanziert. Im Projekt ist angestrebt, spätestens auf dieser Ebene einen ausgeglichenen Wärmehaushalt zu erreichen. Mit diesen Bilanzierungsebenen ist das folgende Transport- und Verteilkonzept verknüpft:  Auf Gebäudeblockebene erfolgen der Transport und die Verteilung von Wärme und Kälte zu den Verbrauchern. Der Unterschied zu einer klassischen Gebäudeverteilung liegt darin, dass im Sinne einer Wärmerückgewinnung die unterschiedlichen Verbraucher, die entweder Wärmesenken oder Wärmequellen darstellen, möglichst gegenseitig zum Ausgleich gebracht werden sollen. Zu diesem Zweck ist das Verteilnetz als Ring ausgeführt, in das Wärme ein- und ausgespeist werden kann, und in den zusätzlich erneuerbare thermische Quellen und Senken im Gebäudeumfeld als Erzeuger eingebunden werden können (Solarthermie, Außenluft, (direkte) Geothermie etc.).  In gleicher Weise ist auf der Ebene der Hubareale je Hub ein Versorgungsring vorgesehen, der die Ringe der Gebäudeblockebene mit je einem Anschluss verbindet. Durch diesen wird ein Wärmeausgleich zwischen den Blöcken ermöglicht. Zusätzliche erneuerbare Wärme- und Kältequellen werden arealzentral über den Hub in den Versorgungsring eingekoppelt. Der derzeitige Ansatz sieht vor, dass Restbedarfe an Wärme und Kälte für das Hubareal zentral vom Hub aus mit einer Wärme-Kältemaschine gedeckt werden sollen (siehe Infobox 3).  Auf der Quartiersebene sind die Hubs mit einem Primärring verbunden, der, abhängig vom Betriebszustand den Wärme-Kältemaschinen, in den Hubs als Wärmesenke oder Wärmequelle dient. Zur Versorgung des Primärrings erfolgt eine geothermische Aktivierung der das Quartier allseits umgebenden Grünflächen. In den Quartierhubs liegt die Schnittstelle zwischen dem Primärring und dem zweiten Ring der Hubareale. Damit liegt hier der geeignete Standort für eine längerfristige Speicherung zum Beispiel mit thermischen Eisspeichern. Temperaturniveau und Ausgleich von Wärmesenken und Wärmequellen Ein direkter Ausgleich von Wärmequellen und Wärmesenken ist nur dann möglich, wenn entsprechende korrespondierende Temperaturniveaus vorliegen. Das heißt, die Mindestanforderung für einen teilweisen Ausgleich ist, dass die Temperatur des Rücklaufs aus dem Wärmeabnehmer (Wärmesenke) kälter ist als die Temperatur des Rücklaufs aus dem Kälteabnehmer (Wärmequelle). Da dies meist nicht der Fall ist, ist eine Anpassung der Temperaturniveaus bis auf das jeweilige Nutztemperaturniveau notwendig. Im Versorgungskonzept ist vorgesehen, dies durch den Einsatz von Wärme-Kältemaschinen vorzunehmen, wobei folgende Fälle auftreten: Wärmepumpen und Kältemaschinen entziehen am Verdampfer Wärme auf einem niederen Temperaturniveau und geben Wärme auf einem höheren Temperaturniveau am Kondensator wieder ab. Die Bezeichnung Wärmepumpe bzw. Kältemaschine bezieht sich darauf, ob die Wärme oder die Kälte genutzt wird. Ein maximaler Nutzen liegt dann vor, wenn sowohl die abgegebene Wärme als auch die Kälte genutzt wird. Die treffende Bezeichnung wäre dann Wärme-Kältemaschine. Eine Anwendung dafür ist, Wärmesenken und Wärmequellen im Sinne eines Wärmeausgleichs zu verbinden, wenn deren unterschiedliches Temperaturniveau einen direkten Ausgleich nicht zulässt. Dafür sollen Wärme- Kältemaschinen zur Erlangung eines Wärmeausgleichs im Quartier eingesetzt werden. Bild 4: Variationen eines thermisch aktivierten Abwasserkanals. © Schittenhelm et al. Infobox 3: WÄRMEPUMPE, KÄLTEMASCHINE, WÄRME-KÄLTEMASCHINE 57 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Corinna Schittenhelm, M. Sc. Wissenschaftliche Mitarbeiterin TU Kaiserslautern, Fachbereich Raum- und Umweltplanung, Lehrstuhl Stadtplanung Kontakt: corinna.schittenhelm@ru.uni-kl.de Dipl.-Ing. (FH) Meinhard Ryba, M.Sc. Akademischer Mitarbeiter Hochschule Biberach Institut für Gebäude- und Energiesysteme Kontakt: ryba@hochschule-bc.de Till Kugler, M. Sc. Akademischer Mitarbeiter Universität Stuttgart, Institut für Geotechnik Kontakt: till.kugler@igs.uni-stuttgart.de Prof. Dr.-Ing. Roland Koenigsdorff Institutsleiter Institut für Gebäude- und Energiesysteme Kontakt: koenigsdorff@hochschule-bc.de Univ.-Prof. Dr.-Ing. Detlef Kurth Lehrstuhlinhaber TU Kaiserslautern, Fachbereich Raum- und Umweltplanung, Lehrstuhl Stadtplanung Kontakt: detlef.kurth@ru.uni-kl.de Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Christian Moormann Ordinarius und Direktor Institut für Geotechnik, Universität Stuttgart Kontakt: christian.moormann@igs.uni-stuttgart.de 1. Temperaturanhebung für die Wärmebereitstellung (Wärmepumpenbetrieb) 2. Temperaturabsenkung für die Kältebereitstellung (Kältemaschinenbetrieb) 3. gleichzeitige Temperaturanhebung und Temperaturabsenkung (Wärmepumpen- und Kältemaschinenbetrieb). Als Wärme-Kältemaschinen sollen Kompressionsmaschinen eingesetzt werden. Der Strombedarf für den Betrieb soll zu einem möglichst hohen Anteil durch PV-Anlagen an den Gebäuden des Stadtquartiers erzeugt werden. Fazit Ziel des Projekts IWAES ist es, einen ausgeglichenen Wärme- und Kältehaushalt auf Quartiersebene herzustellen. Die Innovation besteht darin, thermisch aktivierte Hybridkanäle für die Verteilung der Abwärme innerhalb des Quartiers zu nutzen. Der Prozess der Energieleitplanung bildet dabei die Grundlage, um ein energetisch, städtebaulich und technisch aufeinander abgestimmtes optimiertes Konzept zu entwickeln. Außerdem dient es dazu, die unterschiedlichen beteiligten Fachdisziplinen und Akteure in den Planungsprozess einzubinden. LITERATUR [1] asp Architekten GmbH (2019): Internationaler Wettbewerb Rosenstein, Stuttgart, https: / / www.aspstuttgart.de/ portfolio-items/ internationaler-wettbewerb-rosenstein-stuttgart/ , Zugriff am: 02.10.2020. [2] Landeshauptstadt Stuttgart: Auslobung Internationaler offener städtebaulicher Wettbewerb Rosenstein, Ideen für einen neuen Stadtteil, Stuttgart, 2018. [3] § 1 Abs. 3 S. 1 Baugesetzbuch/ BauGB in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. November 2017 (BGBl. I S. 3634), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 8. August 2020 (BGBl. I S. 1728) geändert worden ist. [4] § 1a Abs. 5 S. 1 Baugesetzbuch/ BauGB in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. November 2017 (BGBl. I S. 3634), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 8. August 2020 (BGBl. I S. 1728) geändert worden ist. [5] § 1 Abs. 7 Baugesetzbuch/ BauGB in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. November 2017 (BGBl. I S. 3634), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 8. August 2020 (BGBl. I S. 1728) geändert worden ist. WEITERE QUELLEN • Bayrisches Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit (StMUG), Bayrisches Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie (StMWIVT), Oberste Baubehörde im Bayrischen Staatsministerium des Innern (OBB) (2011): Leitfaden Energienutzungsplan, München. • Grundgesetz/ GG für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 15. November 2019 (BGBl. I S. 1546) geändert worden ist. • Pietruschka D., Kurth D., Eicker U. et al: Energetischer Stadtumbau. Energieleitplanung und Wärmenetze für neue Nachbarschaften in Ludwigsburg Grünbühl- Sonnenberg, Bonn, 2016: Fraunhofer IRB Verlag. • Malottki v. C., Koch T., Blees V.: ExWoSt-Information 48/ 1 Erweiterte Bilanzierung von Energieverbrauch und CO 2 -Emissionen auf Quartiersebene, Bonn: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, 2016. AUTOR*INNEN 58 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Die vertikale Stadt als solare Energiequelle? Theoretische Flächenpotenziale für bauwerksintegrierte Photovoltaik und Abschätzung der solaren Einstrahlung Bauwerksintegrierte Photovoltaik, Solarpotenzialanalyse, 3D-Stadtmodelle, Fassaden, Dächer, Smart City Martin Behnisch, Markus Münzinger, Hanna Poglitsch Das Ziel der Bundesregierung - Klimaneutralität des Gebäudebestands bis zum Jahr 2050 - erfordert den verstärkten Ausbau der erneuerbaren Energien. Bauwerksintegrierte Photovoltaik ist vielversprechend, um die direkte Energieversorgung an Gebäuden zu gewährleisten. Grundlegende Facette des Forschungsprojekts Standard-BIPV (gefördert vom BMWI) und Kern dieses Beitrags ist die geodatenbasierte Untersuchung der Flächenpotenziale für BIPV in Deutschland sowie die Modellierung und Visualisierung der solaren Einstrahlung auf kleinräumiger Ebene. Systeme der bauwerksintegrierten Photovoltaik (BIPV) können bei der Transformation hin zu einem klimaneutralen Energiesystem einen wichtigen Beitrag leisten. Bei BIPV handelt es sich um Bauprodukte als Teil der Fassade bzw. des Daches und als Stromerzeuger als Teil der Anlagentechnik. Sie sind sowohl baukonstruktive, gestalterische als auch elektrotechnische Komponenten der Gebäudehülle. BIPV verbindet die Bereitstellung von Energie vor Ort mit einer Steigerung der Flächeneffizienz durch Doppelnutzung und einer zusätzlichen Gestaltungsoption, die vorhandene Gebäude aufwerten kann [1]. Aktuell besteht ein enormer Bedarf an raumbezogenen Erkenntnissen, die der begründeten Entscheidungsfindung zum Ausbau von bauwerksintegrierter Photovoltaik dienen. Vor dem Hintergrund des Flächenbedarfs für klassische Solarparks und damit verbundenen Flächennutzungskonflikten erscheinen die Kernthemen dieses Beitrages für den Dialog geeignet: „Theoretisches Flächenpotenzial für BIPV an Dach und Fassade“ sowie „Modellierung und Visualisierung der solaren Einstrahlung als Entscheidungsgrundlage für BIPV-Anwendungen“. Schlaglichtartig beleuchtet werden Ergebnisse des vom BMWI geförderten Forschungsvorhabens „Standard-BIPV-Entwicklung einer vorgefertigten Standard-BIPV-Fassade für ausgewählte Bauwerkskategorien.“ Im Fokus steht die Erfassung des Flächenpotenzials deutscher Gebäudefassaden in Bezug auf die Eignung für BIPV und die Abschätzung der Möglichkeit zur solaren Energiegewinnung an Fassaden. Während viele Städte das Potenzial von Gebäudedächern zur solaren Energiegewinnung bereits in Solarkatastern führen und damit Anreize zur Installation von PV-Modulen schaffen, waren Gebäudefassaden bisher kaum adressiert. Die flächendeckende Verfügbarkeit von dreidimensionalen Daten zum Gebäudebestand ermöglicht es, analog zum Potenzial der Dachflächen, nun auch Gebäudefassaden in Bezug auf ihre Eignung für BIPV einzuschätzen und damit die vertikale Stadt als solare Energiequelle perspektivisch stärker zu nutzen. Fakten zum deutschen Gebäudebestand Der Gebäudebestand ist vor dem Hintergrund der Umsetzung nachhaltiger Entwicklung und den Herausforderungen zur Reduktion von CO 2 sowie seiner volkswirtschaftlichen Bedeutung verstärkt ins politische Interesse gerückt (zum Beispiel: Klimaschutzplan 2050, CO 2 -Gebäudesanierungsprogramm, KfW-Programm Energetische Stadtsanierung) [2]. Bis 2050 soll ein nahezu klima- © Julia Spina on unsplash 59 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen neutraler Gebäudebestand realisiert sein und bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor gegenüber den Werten des Jahres 1990 um rund 66 - 67 % reduziert werden (Klimaschutzplan 2050, [3]). Schätzungen zufolge sind heute bereits 80 % der Gebäude von 2050 gebaut (Strategie für klimaneutrales Europa bis 2050). Maßnahmen zur Senkung des Energieverbrauchs betreffen unter anderem die Sanierungsmaßnahmen der Gebäudehülle, die Modernisierung der Gebäudetechnik und den Einsatz von Wärmepumpen mit dem Energieträger Strom sowie die verstärkte Nutzung naturverträglicher erneuerbarer Energien (vgl. [3], siehe auch modellierte Transformationspfade [4]). Analysen zum sogenannten Rebound-Effekt oder zur Kausalität zwischen Effizienzsteigerung und Mehrnachfrage zeigen allerdings, dass einseitig orientierte Maßnahmen zur Effizienzsteigerung nur 50 % der theoretisch möglichen Einsparung erzielen - oft sogar noch weniger (vgl. [5] und [6], zitiert nach [7]). Im Kontext der Debatte um die Verdopplung der Sanierungsrate von 1 % auf 2 % pro Jahr und in Verbindung mit Maßnahmen der Energieeffizienz sind somit Maßnahmen der Energiesuffizienz von zusätzlicher Relevanz [8]. Dies betrifft beispielsweise Maßnahmen zur „Verminderung des absoluten Energieverbrauchs durch veränderte Nutzenaspekte (Reduktion, Substitution oder bessere Anpassung des Nutzens an tatsächliche Bedürfnisse und Bedarfe)“ [9]. Theoretische Flächenpotenziale für BIPV an Dach und Fassade Durch die amtlichen 3D-Gebäudemodelle der Landesvermessungsverwaltungen sind in Deutschland flächendeckende und standardisierte Informationen zum Gebäudebestand vorhanden - diese vermehrt als Open Data-Produkte. 3D-Gebäudemodelle unterscheiden sich anhand der Detailstufe, Level of Detail (LoD), in welcher die modellierten Gebäude dargestellt werden. Dabei werden die amtlichen Gebäudemodelle momentan in zwei Detailstufen geführt, im LoD1 sowie im LoD2. Gemäß der Modellierungsvorschrift für LoD1 werden Gebäude als einfaches Klötzchen mit Flachdach repräsentiert. Im LoD2 werden die Gebäude mit standardisierten Dachformen dargestellt. Das Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG) führt ein Gebäudemodell in LoD1 für das gesamte Bundesgebiet. Durch die Analyse dieses 3D-Gebäudemodells kann das theoretische Flächenpotenzial für BIPV flächendeckend und regional differenziert bestimmt werden [10]. Die Bestimmung des theoretischen Flächenpotenzials umfasst die Quantifizierung der im deutschen Gebäudebestand vorhandenen Flächen. Diese Flächen sind bezogen auf ihr Potenzial für BIPV als Bruttoflächen zu verstehen. Fensterflächen, Auskragungen und andere Gebäudeinstallationen sind in den Gebäudemodellen nicht modelliert und werden bei der Bestimmung nicht berücksichtigt. Darüber hinaus wurden die Gebäudegrundfläche sowie die sich berührenden Gebäudefassaden im Zuge der Datenaufbereitung ausgeschlossen (siehe [10] sowie [11]). Insgesamt finden sich in Deutschland rund 53- Mio. oberirdische Gebäudeobjekte. Das theoretische Flächenpotenzial kann der Analyse zufolge auf etwa 12 416 km² Fassadenfläche und 5 965 km² Dachfläche beziffert werden. Das Verhältnis von Fassadenzu Dachfläche beträgt ungefähr 2 : 1. Bild 1 dient der Lokalisierung von Konzentrations- und Verteilungsmustern des theoretischen Fassadenpotenzials für BIPV. Es entspricht der Erwartung, dass Regionen mit hoher Bevölkerungsdichte und in der Regel vielen Wohn- und Nichtwohngebäuden auch über ein hohes Potenzial an Fassadenflächen verfügen. Insbesondere im Kernstadtbereich der Agglomerationsräume sowie in ihrem Umland zeichnen sich im Vergleich mit dem erweiterten Umlandbereich und vielen ländlich Bild 1: Räumliche Verteilung des theoretischen Fassadenpotenzials in Deutschland. Rasterdarstellung: Zellgröße 1 km x 1 km, Wertebereich: Minimum: 0 km² , Maximum: 2,98-km² , Mittelwert: 0,75-km². © Behnisch et al., Datenbasis: @GeoBasis-DE / BKG 2017 (Daten verändert); ESRI 2020 Light Grey Canvas - Basemap. 60 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen geprägten Regionen sogenannte Hotspots des theoretischen Fassadenpotenzials für BIPV. Typische Beispiele stellen die drei großen polyzentrischen Agglomerationsräume Rhein-Main, Rhein-Neckar und Rhein-Ruhr sowie die Regionen bzw. städtischen Großräume Berlin, Hamburg, Bremen, Stuttgart, München, Nürnberg sowie Sachsendreieck. Modellierung und Visualisierung der solaren Einstrahlung als Entscheidungsgrundlage für BIPV Anwendungen Modellierungen des solaren Ertragspotenzials sind geeignet, um in Bezug auf Lage, lokale Verschattungssituation und räumliche Umgebung die Eignung von Fassaden- und Dachflächen für bauwerksintegrierte Photovoltaik zu erhärten. Im Zuge von Detailanalysen in Fokusgebieten mit hohem theoretischem Potenzial wurde im Forschungsvorhaben „Standard-BIPV“ das solare Potenzial für alle Dach- und Fassadenflächen bestimmt. Fokusgebiete sind die Städte München, Dresden und Freiburg sowie ergänzend eine Stichprobe von 100 000 Gebäuden. Für die Modellierung und Visualisierung der solaren Einstrahlung in den urbanen Fokusgebieten wird das Gebäudemodell mit modellierter Dachform (LoD2) verwendet. Eingesetzt wurde hierzu ein Analysewerkzeug der TU München (siehe [12] und [13]), welches die solare Einstrahlung (global und diffus, keine Reflexion) auf Basis eines semantischen 3D-Stadtmodells berechnet [14]. CityGML als Standard des Open Geospatial Consortium (OGC [15]) zur Modellierung von 3D-Stadtmodellen ermöglicht es, neben Gebäuden noch weitere Stadtobjekte darzustellen. Für die Modellierung der solaren Einstrahlung auf Fassaden bietet dies den Vorteil, neben der Verschattung durch umliegende Gebäude auch die Verschattung durch den urbanen Baumbestand und das Gelände zu berücksichtigen. Für das Gelände wird ein hochaufgelöstes digitales Geländemodell (DGM1) verwendet. Der urbane Baumbestand wird aus der amtlichen Laserscanbefliegung abgeleitet und als parametrisierte Einzelbäume in das Stadtmodell integriert [16]. Bild 2 zeigt exemplarische Ergebnisdetails sowohl für die kleinräumigen Solarpotenzialanalysen als auch den modellierten Baumbestand mit seiner Verschattungswirkung. In einem browser-basierten 3D-Webclient (Open Source 3D-CityDB-Web-Map- Client) lassen sich die Ergebnisse der Solarpotenzialanalyse in Verbindung mit der Modellierung der urbanen Vegetation ergänzend visualisieren und interaktiv betrachten bzw. auswerten. Im Zuge vertiefender Analysen lassen sich die hochaufgelöst berechneten Strahlungswerte für jede Gebäudefassade aggregieren. Dadurch können die Strahlungswerte mit den im Stadtmodell enthaltenen Informationen über den Gebäudebestand kombiniert werden und daraus Kennzahlen abgeleitet werden. Standardmäßig wird in den amtlichen Gebäudemodellen für jedes Gebäude die Gebäudefunktion nach ALKIS-Objektartenkatalog geführt [17]. Dies ermöglicht die getrennte Betrachtung einzelner Gebäudefunktionen. Zudem sind geometrische Attribute wie die Größe und Ausrichtung einer Fassade sowie die Gebäudehöhe in Verbindung mit den Strahlungswerten aufschlussreich für die Gesamtbewertung. Am Beispiel der Stadt Dresden ist exemplarisch dargestellt, wie sich zusätzliche Entscheidungsgrundlagen für BIPV-Anwendungen auf städtischer Ebene ableiten lassen. Bild 3 zeigt die analytische Aufbereitung der solaren Einstrahlungsergebnisse für Gebäudefassaden unterschieden nach der Gebäudefunktion Wohnen und Nicht-Wohnen. Die solare Gesamtstrahlung - bestehend aus Direkt- und Diffusstrahlung - ist differenziert nach den 16 Richtungssektoren aufsummiert in GWh/ a (Bild 3, links) und flächenorientiert in kWh/ m²/ a (Bild 3, rechts) visualisiert. Es zeichnet sich erwartungsgemäß eine Tendenz ab - hin zu südlich ausgerichteten Fassadenflächen. Fazit Gebäudebestandsanalysen sowie Modellierungen des solaren Ertrags unterstützen die fundierte Entscheidungsfindung zum Ausbau der erneuerbaren Energien und befördern die planungsbezogene Strategieentwicklung zum angemessenen Umgang mit dem Gebäudebestand. Bild 2: Detailansicht des LoD2-Gebäudemodells (a) und exemplarische Ergebnisdetails für die kleinräumige Solarpotenzialanalyse (b) sowie den modellierten Baumbestand (b, c) mit seiner Verschattungswirkung (d). Die solare Einstrahlung ist als Textur auf den LoD2- Gebäuden über eine Farbskala von blau (wenig Einstrahlung) bis rot (viel Einstrahlung) dargestellt. © Behnisch et al., Datenbasis: Geobasisdaten, Bayerische Vermessungsverwaltung 2019. 61 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Kern dieses Beitrags war die großflächige Bestimmung des theoretischen Flächenpotenzials für bauwerksintegrierte Photovoltaik an Gebäudefassaden in Deutschland sowie darauf aufbauend die hochaufgelöste Analyse urbaner Solarpotenziale auf Basis von semantischen 3D-Stadtmodellen und zeitgemäßen Produkten der Fernerkundung. Hervorzuheben ist die Berücksichtigung des urbanen Grüns als Verschattungsobjekt und im Ergebnis das enorme Spektrum an vertiefenden Auswertungsmöglichkeiten zur lokalen Umsetzung der Energiewende. Das Bild der vertikalen Stadt als solare Energiequelle wurde quantitativ und visuell untersetzt, indem mögliche Beiträge von BIPV zur Energiegewinnung an Fassaden herausgearbeitet wurden. Speziell große Gebäude wie zum Beispiel Produktionsgebäude, Hallen, Bildungseinrichtungen und öffentliche Gebäude eignen sich besonders gut zur bauwerksintegrierten Photovoltaik - sowohl in Bezug auf das theoretische Flächenpotenzial als auch in Bezug auf den modellierten solaren Gesamtertrag. Darüber hinaus bieten sich weitere Chancen zur solaren Energiegewinnung im Bereich von Hochhäusern und größeren Komplexen der Wohnnutzung. Auf Basis des browser-basierten 3D-Webclients bieten sich Möglichkeiten zur Interaktion im Rahmen von gesellschaftlichen Partizipationsprozessen. Anhand von lokalisierten Gebäudeeigenschaften und modellierten Solarpotenzialen könnte die Bereitschaft und Motivation für die Anwendung von BIPV im Speziellen und die Mitgestaltung der Energiewende im Allgemeinen gestärkt werden. Die hier nur auszugsweise dargestellten Ergebnisse tragen nichtsdestotrotz einen gewissen Pioniercharakter aufgrund von konzeptionellen Vereinfachungen, Datenunsicherheiten und Unterschieden zwischen den Bundesländern in der Gebäudeerfassung. Inwiefern die Ergebnisse tatsächlich als Katalysatoren für den Ausbau der solaren Energiequellen dienen können, ist darüber hinaus durch standortspezifische Tiefenanalysen der Gebäude unter Berücksichtigung von beispielsweise Baukonstruktion, Fenster- und Türanteilen, Fassadencharakteristik und Gebäudefunktion sowie Aspekten des Denkmalschutzes zu erhärten. Aus Sicht der Autoren bestehen Anknüpfungspunkte für die räumliche Planung, die digitale Umweltplanung, Smart City-Konzepte und für den Aufbau urbaner Simulationsmodelle sowie für die Unterstützung von raumbezogenen Transformationsansätzen hin zu einem klimaneutralen Energiesystem. Förderhinweis Die vorgestellten Ergebnisse und Vorgehensweisen stehen in engem Kontext zum Förderprojekt „Standard-BIPV“, Förderkennzeichen 0324063, vom BMWi gefördert. Bild 3: Aufbereitung der solaren Einstrahlungsergebnisse (direkt und diffus) für Gebäudefassaden in der Stadt Dresden unterschieden nach Gebäudefunktion. Das linke Diagramm (3 a) zeigt für 16 Richtungsvektoren die Gesamtstrahlung in GWh/ a und das rechte Diagramm (3 b) die flächenbezogenen Solarerträge. © Behnisch et al. Wohngebäude Direktstrahlung Nichtwohngebäude Diffusstrahlung Wohngebäude Diffusstrahlung (a) (b) Nichtwohngebäude Direktstrahlung Gesamtstrahlung [GWh/ a] nach Ausrichtung - Dresden Gesamtstrahlung [kWh/ m 2 / a] nach Ausrichtung - Dresden 1250- 1000- 750- 500- 250- 0- 15000000- 10000000- 5000000- 0- 62 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen LITERATUR [1] Eggers, J.-B., Behnisch, M., Eisenlohr, J., Poglitsch, H., Phung, W. F., Münzinger, M., Ferrara, C., Kuhn, T. 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(eds): 3D Geo-Information Sciences, Lecture Notes in Geoinformation and Cartography, Berlin Heidelberg, Springer, (2009) p. 15 - 31. [15] OGC - Open Geospatial Consortium: Open Geospatial Consortium. City Geography Markup Language (CityGML). Encoding Standard 2.0, 2012. https: / / www. ogc. org/ standards/ citygml (Zugriff: 20.09.2020). [16] Münzinger, M.: Erkennung und parametrisierte Modellierung des urbanen Baumbestandes aus LIDAR- Punktwolken zur Integration in 3D-Stadtmodellen im CityGML-Schema. Masterarbeit an der Fakultät Umweltwissenschaften, Professur für Kartographische Kommunikation, Technische Universität Dresden, 2018. [17] AdV - Arbeitsgemeinschaft der Vermessungsverwaltungen der Länder der Bundesrepublik Deutschland: Dokumentation zur Modellierung der Geoinformationen des amtlichen Vermessungswesens (GeoInfoDok). ALKIS-Objektartenkatalog. Version 6.0, 2008. http: / / www.adv-online.de/ GeoInfoDok/ GeoInfoDok- 6.0/ broker.jsp? uMen=d3b70780 c5f2bc61-f27f-31c403b36c4c (Zugriff: 15.10.2020). Dr. Martin Behnisch Senior Scientist und Projektleitung Standard BIPV (Förderinstitution BMWI) FB Monitoring der Siedlungs- und Freiraumentwicklung Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung Kontakt: M.Behnisch@ioer.de Markus Münzinger Doktorand und wissenschaftliche Projektbearbeitung Standard BIPV FB Monitoring der Siedlungs- und Freiraumentwicklung Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung Kontakt: M.Muenzinger@ioer.de Hanna Poglitsch Doktorandin und wissenschaftliche Projektbearbeitung Standard BIPV FB Monitoring der Siedlungs- und Freiraumentwicklung Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung Kontakt: H.Poglitsch@ioer.de AUTOR*INNEN 63 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Anforderungen und Möglichkeiten Das letzte Jahrzehnt ist durch eine Folge von Hitzerekorden und Trockenphasen gekennzeichnet. Aktuelle klimatische Entwicklungen beeinträchtigen das Leben in urbanen Räumen. Neben Starkregen mit Intensitäten, die zur temporären hydraulischen Überlastung der Entwässerungssysteme führen (urbane Sturzfluten), stellen Hitzeperioden und Trockenheit eine Herausforderung dar. Von asphaltierten und betonierten Flächen wird Niederschlagswasser innerhalb kürzester Zeit in die Kanalisation eingeleitet. Asphalt und Beton speichern zudem tagsüber die Hitze und geben diese in der Nacht wieder ab. Es kommt zum sogenannten Urban-Heat- Island-Effekt (urbane Hitzeinseln). Insbesondere in den Nachtstunden führen erhöhte Temperaturen zu Hitzebelastungen der Bevölkerung. Vor allem in Innenstädten ist häufig jede verfügbare Fläche befestigt und bebaut. Verdunstung und Versickerung, die den natürlichen Wasserhaushalt prägen, finden kaum noch statt. Der klimabedingte Trend lässt sich nicht mehr aufhalten, sondern bestenfalls abschwächen. Doch zumindest die Auswirkungen extremer Wetterbedingungen lassen sich durch Konzepte zur wassersensitiven Stadtentwicklung mindern [1]. Ziel ist es, urbane Räume resilient gegenüber Hitze und Starkregen zu gestalten. Durch Entsiegelung und Bepflanzung müssen natürliche Wasserhaushaltsprozesse unterstützt werden. Dazu bieten sich folgende Möglichkeiten an: Bild 1: Mehrstöckiges vertikal und horizontal begrüntes Gebäude in München, Aika Schluchtmann. © Grüning Pro und Contra urbanes Grün Verdunstung, Versickerung, urbaner Wasserhaushalt, Bewässerung, Stadtklima, Überflutung, Stadtentwässerung Helmut Grüning Grün in urbanen Räumen zeichnet sich durch ästhetische und ökologische Wirkungen aus. Um urbanes Grün langfristig auch in stark verdichteten Räumen etablieren zu können, müssen Anforderungen der unterschiedlichen Infrastrukturen mit den Lebensbedingungen der Pflanzen in Einklang gebracht werden. Den zahlreichen positiven Wirkungen stehen jedoch auch störende Einflüsse gegenüber, die bereits im Planungsprozess urbaner Räume zu berücksichtigen sind. Durch die Auswahl angepasster Arten und geeigneter Standorte sowie dauerhafter Pflegekonzepte können störende Effekte vermieden oder zumindest reduziert werden. Hier ist die Kooperation unterschiedlicher Fachdisziplinen gefordert. Dazu zählen unter anderem Akteure aus den Bereichen Landschaftsarchitektur und Stadtplanung, Verkehrsplanung und Wasserwirtschaft. In diesem Beitrag sollen Aspekte zur Etablierung von urbanem Grün, in erster Linie aus wasserwirtschaftlicher Sicht thematisiert werden. Bild 3: Stadtgarten Essen als Beispiel für die Integration von Grünflächen in dicht besiedelten Räumen. © Johannes Kassenberg Bild 2: Beispiel für eine extensive und intensive Begrünung von Dächern. © BuGG 64 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen  Begrünung von Dächern und Fassaden (horizontales und vertikales Gebäudegrün). Ein gelungenes Beispiel für ein horizontal und vertikal begrüntes Gebäude zeigt Bild 1. Dargestellt ist der Entwurf eines 16-stöckigen Gebäudes in München.  Bepflanzte Grünstreifen und abwechslungsreich gestaltete Gärten. Zunehmenden Zuspruch findet auch urbane Agrikultur, beispielsweise auf Dächern (Bild 2). Die Vorzüge dieser Konzepte begrenzen sich dabei nicht nur auf die direkte Produktion von Lebensmitteln in städtischen Ballungsgebieten.  Stadtbäume, beispielsweise als Straßenbegleitgrün, prägen das städtische Umfeld und zeichnen sich darüber hinaus durch ein umfassendes positives Wirkspektrum aus.  Parkanlagen und Stadtwälder haben nicht nur rein ökologische Vorteile. Hochwertige und attraktive Grünflächen steigern die Lebens- und Wohnqualität und werten den Standort auf. Bild- 3 zeigt exemplarisch den Stadtgarten im Innenstadtbereich der Stadt Essen. Für das Stadtklima optimal sind viele über den städtischen Raum verteilte miteinander vernetzte Grünbereiche.  Anlagen zur Versickerung von Niederschlagswasser sowohl auf Privatgrundstücken als auch im öffentlichen Raum sind zunehmend Bestandteil von Regenwassermanagementkonzepten. Dabei handelt es sich beispielsweise um als Mulden ausgebildete Rasen- oder Wiesenflächen. Pro urbanes Grün Zahlreiche positive Aspekte sprechen für die Etablierung von urbanem Grün. Aus dem Katalog der positiven Wirkungen, vor allem von Stadtbäumen, werden hier einige Beispiele aufgeführt. Optik und Wohlbefinden: Attraktive Grünflächen im urbanen Raum ermöglichen Naturerleben und Erholung. Wie beispielsweise Breuste [2] oder Dickhaut und Eschenbach [3] anschaulich beschreiben, tragen urbanes Grün und vor allem Bäume in der Stadt zum Wohlbefinden der Bevölkerung bei. Viele Menschen fühlen sich mit Bäumen in einer Straße oder auf einem Platz wohler und identifizieren sich gleichzeitig stärker mit der Umgebung. Bäume mit ihren unterschiedlichen Farbnuancen und Strukturen (Größe, Kronen- und Blattform) werten Stadtquartiere und Straßenräume auf. Kühleffekte: Vorzugsweise Bäume wirken als Schattenspender, steigern die Luftfeuchtigkeit und kühlen durch Transpiration an heißen Tagen. Zwischen innerstädtischen Räumen und der ländlichen Umgebung werden Temperaturunterschiede von mehreren Grad Celsius gemessen. Wie Rahman et al. [4] nachweisen, kann die Kühlleistung einer Linde bis zu 2,3 kW betragen. Diese Kühlleistung resultiert aus verschiedenen Vorgängen. Dazu zählt der Schatten, den die dichten Baumkronen spenden oder das Reflektieren der kurzwelligen Sonnenstrahlen von den Blattoberflächen. Außerdem verwenden Grünpflanzen einen großen Prozentsatz der abgefangenen Strahlung, um Wasser aus den Spaltöffnungen ihrer Blätter zu verdampfen (Transpiration). Dadurch wird das lokale Klima positiv beeinflusst. Die kühlende Wirkung von innerstädtischen Grünanlagen wie Stadtparks, die auch als „Park-Kälteinseln“ (engl. park cool island) bezeichnet werden, reicht mehrere Hundert Meter in das urbane Umfeld hinein. Die Lufttemperaturdifferenz zur Bebauung kann bei mittleren bis großen innerstädtischen Parkanlagen etwa 1,5 bis 4,5 °C ausmachen [5]. Luftreinhaltung und Sauerstoffproduktion: Pflanzen nutzen Sonnenstrahlen zur Photosynthese und wandeln dabei Kohlenstoffdioxid in Sauerstoff um. Die CO 2 -Bindung und die Sauerstoffproduktion eines Baumes pro Tag hängt von seiner Größe und der Anzahl seiner Blätter ab. Darüber hinaus können Pflanzen über die Blattoberfläche Schadstoffe und Stäube aus der Luft filtern. Der reduzierende Beitrag, den urbanes Grün im Vergleich zur Schadstoffproduktion in den Städten leisten kann ist wertvoll, allerdings vergleichsweise gering [6, 7]. Überflutungsvorsorge und Wasserhaushalt: Die Wirkung von Gründächern und Versickerungsanlagen in innerstädtischen Räumen reicht nicht aus, um Bilder 4a und b: Beispiele strukturarm gestalteter Vorgärten. © Grüning 65 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Überflutungen auszuschließen. Das Überflutungsrisiko kann durch diese naturnahen Systeme aber gesenkt werden. So können einzelne Gründächer das Überflutungsrisiko bei einem Starkregen nur eingeschränkt beeinflussen. Die Dachbegrünung erfolgt aber auch nicht primär, um kurzfristig Abflüsse bei intensivem Starkregen zurückzuhalten, sondern um den lokalen Wasserhaushalt im urbanen Raum zu unterstützen. In Abhängigkeit von Aufbau und Art der Dachbegrünung (extensiv oder intensiv) können 40 bis 80- % des Jahresniederschlages zurückgehalten werden. Ein wesentliches Ziel der Maßnahmen zur wassersensitiven Stadtentwicklung ist es, das Wasser durch geeignete Speichermaßnahmen im urbanen Raum zu halten und nicht unmittelbar in die Kanalisation abzuleiten. Auch konventionelle Entwässerungssysteme werden nicht für die Ableitung extremer und sehr seltener Starkregen bemessen. Das wäre sehr aufwändig und teuer. Die Bemessung der Kanalisation ist letztlich ein Kompromiss zwischen der technisch/ wirtschaftlichen Machbarkeit und einer Risikoabschätzung. Biodiversität: Abwechslungsreich gestaltete Grünbereiche bieten Lebensräume für Insekten, Vögel und andere Tierarten und leisten damit einen wertvollen Beitrag zur Artenvielfalt. Manche urbane Räume zeichnen sich stellenweise sogar durch eine hohe Artenvielfalt der Flora und Fauna aus [8]. Im Gegensatz dazu geht in den durch Monokulturen geprägten ländlichen Räumen die Artenvielfalt dramatisch zurück [9]. Leider ist in den Städten zunehmend ein Trend zu Schotter- oder Steingärten zu beobachten, verbunden mit der Erwartung eines reduzierten Pflegeaufwandes (Bild- 4). Hier steuern zahlreiche Kommunen inzwischen durch Vorgaben in den Bebauungsplänen gegen. Auch in den Landesbauordnungen verschiedener Bundesländer wird für unbebaute oder nicht anderweitig zulässig genutzte Flächen eine wasserdurchlässige Gestaltung und Begrünung gefordert. Contra urbanes Grün Bei der Diskussion nachteiliger Effekte von urbanem Grün sollen die positiven Wirkungen keinesfalls relativiert werden. Jedoch besteht die Gefahr, dass Fehlplanungen oder die Vernachlässigung des Pflegeaufwandes bei urbanem Grün letztlich zu kontraproduktiven Entwicklungen führen. Welche Aspekte sind dabei in erster Linie vor dem Hintergrund der Entwässerungssysteme zu berücksichtigen? Pflegeaufwand: Das Spektrum der Bepflanzung reicht von grasbewachsenen Versickerungsanlagen bis zu meterhohen Bäumen, die tief im Untergrund verwurzelt sind. Alle Pflanzen im urbanen Raum haben eine Gemeinsamkeit: Sie benötigen Wasser und ein Mindestmaß an Pflege. Ungepflegte (im Sinne von „verunkrauteten“ Bereichen) stellen möglicherweise einen wertvollen Beitrag zur Biodiversität dar, wirken optisch aber weniger reizvoll. Leider ist jedoch immer wieder zu beobachten, dass Grünflächen von einem Teil der Bevölkerung nur eingeschränkt wertgeschätzt werden und vermüllen. Wie im Grünbuch Stadtgrün des BMUB [10] anschaulich beschrieben, führen Sparmaßnahmen der Kommunen zu Defiziten bei der Gestaltung und Pflege von Grünanlagen. Vor allem die Beseitigung von Herbstlaub stellt ein Problem dar. Hier können im Herbst aufgestellte Sammelbehälter, die von der Kommune regelmäßig geleert werden, den Pflegeaufwand für die Bevölkerung reduzieren und möglicherweise die eingeschränkte Akzeptanz für urbanes Grün steigern (Bild 5). Verlegte Straßeneinläufe: Straßeneinläufe sind die maßgebliche Schnittstelle zwischen der Oberfläche und der Kanalisation. Pollen und Samen sowie Laub und Äste werden vor allem bei intensiverem Regen mit dem Oberflächenabfluss zu den Straßeneinläufen transportiert. Dadurch wird der Einlauf verlegt Bild 5: Im Herbst aufgestellte Laub- Sammelbehälter zur Reduktion des Pflegeaufwandes. © Grüning Bilder 6a, b, c: Verlegung von Straßeneinläufen durch Blüten und Laub. © Grüning 66 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen und das Wasser kann nicht mehr in die Kanalisation eingeleitet werden. Mit Laub und Schmutz gefüllte Fangeimer beeinträchtigen zusätzlich die Ableitung der Oberflächenabflüsse in die Kanalisation. Bild 6 zeigt eine Auswahl verlegter Straßeneinläufe. Das Problem tritt nicht nur im Herbst durch Laub, sondern beispielsweise auch durch Blüten und Pollen im Frühjahr oder Sommer auf. Wurzelleinwuchs: Der Untergrund des öffentlichen Verkehrsraumes wird intensiv genutzt. Im Gehwegbereich werden bevorzugt Versorgungsleitungen (Trinkwasser, Telekommunikation, Gas und Elektrizität) in einer Tiefe von etwa einem Meter verlegt. Vornehmlich in der Straßenmitte liegen Abwasserkanäle und größere Transportleitungen (zum Beispiel Fernwärme). Für die öffentlichen Abwasserkanäle sind Tiefenlagen von mehr als zwei Meter üblich. Die Grundstücke sind an die öffentliche Kanalisation und an die Versorgungsleitungen angeschlossen. Vor allem im Gehwegbereich konkurrieren Baumwurzeln des Straßenbegleitgrüns mit den jeweiligen Leitungen. Über die Verbindungen der Rohrelemente oder durch schadhafte Stellen dringen Wurzeln in die Leitungen ein und führen zu Verstopfungen (Bild 7). Untersuchungen von Stützel et al. [11] zeigen, dass nicht die Verfügbarkeit von Wasser und Nährstoffen durch Leckagen oder in den Leitungen selbst der wesentliche Grund für Wurzeleinwuchs sind, sondern die Umgebungsbedingungen der Leitungszonen. Wurzeln wachsen in Richtung geringer verdichteter Bereiche mit höherem und damit luftdurchlässigerem Porenraum. Bedingungen, die häufig im Bereich der oberen Bettungsschicht von Rohrleitungen vorkommen. Neben dem Einfluss auf die Entwässerungssysteme sind weitere Aspekte bei der Etablierung von urbanem Grün zu berücksichtigen. Sturmschäden: Bei Stürmen können Bäume umstürzen oder Äste abbrechen. Stürzen hohe Bäume in naheliegende Gebäude, entsteht möglicherweise ein hoher Sachschaden und im Extremfall sind sogar Menschen unmittelbar betroffen. Beschädigung befestigter Flächen: Bäume haben die natürliche Eigenschaft zu wachsen. Sie benötigen mit der Zeit immer mehr Platz. Wenn Oberflächenbefestigungen bis fast an den Stamm heranreichen, kommt es zu Schäden und Stolperkanten (Bild- 8). Fehlen Wasser und Luft im Untergrund, wachsen Baumwurzeln aufgrund schlechter Bodeneigenschaften auch entlang der Oberfläche. Maßnahmen und Konzepte Die aufgeführten Beeinträchtigungen können zumeist durch geeignete Maßnahmen deutlich reduziert werden. Das beginnt mit der Wahl eines geeigneten Standortes und der Auswahl von Pflanzen, die an den jeweiligen Standort angepasst sind. Inzwischen werden unterschiedliche Systeme entwickelt und untersucht, um vor allem den Lebensraum für Stadtbäume so zu gestalten, dass eine langfristige Versorgung mit Wasser und Nährstoffen sichergestellt werden kann. Einen Überblick über unterschiedliche Bewässerungskonzepte für Stadtbäume geben beispielsweise Dickhaut und Eschenbach [3]. Exemplarisch für Bewässerungslösungen wird das Konzept des Forschungs- und Entwicklungsvorhabens „Entwicklung eines Bewässerungskonzeptes von urbanem Grün während klimatisch bedingter Trockenphasen (BeGrüKlim)“ vorgestellt. Im Projekt wird ein Speichersystem zur Bewässerung von Stadtbäumen entwickelt und untersucht (Bild-9). Die Behälter werden mit Regenwasserabflüssen aus konventionellen Systemen zur Entwässerung von Grundstücken und öffentlichen Flächen befüllt. Grundstücksentwässerungsleitungen oder Regenwassereinläufe von Parkplätzen oder Straßenflächen werden so an die Speicher angeschlossen. Mit dem System werden folgende maßgebliche Ziele verfolgt:  Die Bewässerungslösung gewährleistet, dass Stadtbäume Trockenphasen besser überstehen.  Die unterirdischen Speicher wirken wie dezentrale Regenrückhalteräume und leisten so einen Beitrag zum Überflutungsschutz.  Das zwischengespeicherte Wasser versickert in den Untergrund und bleibt damit Teil des natürlichen Wasserkreislaufes. Fließen dem System im gefüllten Zustand Oberflächenabflüsse zu, besteht die Möglichkeit der Überleitung in das Kanalnetz durch einen Notüberlauf.  Luftzuführungen gewährleisten die erforderliche Belüftung des Wurzelraumes. Bilder 7a und b: Wurzelschäden in Abwasserleitungen. © IKT - Institut für Unterirdische Infrastruktur Bilder 8a, b, c: Beschädigte Oberflächenbefestigung im Bereich zu kleiner Baumscheiben. © Grüning 67 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Bild 9: Konzept zur Bewässerung von Stadtbäumen und zum Rückhalt von Regenwasser mit einem unterirdischen Speichersystem. © Fa. Humberg/ FH Münster Prof. Dr.-Ing. Helmut Grüning Fachhochschule Münster - Campus Steinfurt Inst. für Infrastruktur · Wasser · Ressourcen · Umwelt Kontakt: gruening@fh-muenster.de AUTOR Im Rahmen des Projektes werden Systemlösungen entwickelt, um behandlungspflichtige Oberflächenabflüsse durch Filtersubstrate zu reinigen. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMU) gefördert. Die Bearbeitung erfolgt durch das Institut für Infrastruktur · Wasser · Ressourcen · Umwelt der FH Münster in Kooperation mit der Firma Humberg GmbH und der Gemeinde Nottuln. Das Konzept stellt einen Beitrag zur Konfliktlösung zwischen „Flächenversiegelung“ und „städtischem Grün“ dar. Auch im Bereich intensiv genutzter Räume ermöglicht das Baumschutzsystem der Firma Humberg eine Oberflächennutzung, beispielsweise durch parkende Fahrzeuge, bis an den unmittelbaren Baumbereich. Fazit Urbanes Grün wertet dicht besiedelte Räume auf. Neben den zahlreichen positiven Effekten müssen aber auch die damit verbundenen Herausforderungen berücksichtigt werden. Eine sorgfältige Auswahl der Arten und Standorte in Verbindung mit Systemen zur Bewässerung und durchdachte Pflegeprogramme sind eine Voraussetzung für langfristige Lösungen. Auch für innerstädtische Räume, die durch Bebauung und Flächenbefestigung geprägt sind, gibt es Konzepte zur wassersensitiven Stadtentwicklung. Dabei geht es darum, wertvolles Regenwasser nicht einfach in der Kanalisation verschwinden zu lassen, sondern gezielt zu verdunsten oder zu versickern. So bleibt auch im urbanen Raum das Regenwasser ein Bestandteil des natürlichen Wasserkreislaufes. LITERATUR [1] Hoyer J., Dickhaut W., Kronawitter L., Weber B.: Water Sensitive Urban Design. Principles and Inspiration for Sustainable Stormwater Management in the City of the Future. Jovis Verlag, Berlin, 2011. [2] Breuste J.: Die grüne Stadt - Stadtnatur als Ideal, Leistungsträger und Konzept für Stadtgestaltung. Springer Verlag, Berlin, 2019. [3] Dickhaut W., Eschenbach A. (Hrsg.): Entwicklungskonzept Stadtbäume - Anpassungsstrategien an sich verändernde urbane und klimatische Rahmenbedingungen. HafenCity Universität Hamburg, 2019. [4] Rahman, M. A., Moser, A., Gold, A., Rötzer, T., Pauleit, S.: Vertical air temperature gradients under the shade of two contrasting urban tree species during different types of summer days, Science of the Total Environment, 2018. [5] Henninger S., Weber St.: Stadtklima. Verlag Ferdinand Schöningh. utb, Paderborn, 2020. [6] Kappis C., Gorbachevskaya O, Valbuena R., Schreiter H., Bergsträßer A., Riedel H., Waschke, B.: Studie zum wissenschaftlichen Erkenntnisstand über das Feinstaubfilterpotential (qualitativ und quantitativ) von Pflanzen. Institut für Agrar- und Stadtökologische Projekte an der Humboldt-Universität zu Berlin (IASP), Berlin, 2007. [7] Menke P., Thönnessen M., Beckröge W., Bauer J., Schwarz H., Groß W. Hiemstra, J.A., Schoenmaker-van der Bijl, E., Tonneijk, A. E. G.: Bäume und Pflanzen lassen Städte atmen - Schwerpunkt Feinstaub. Herausgegeben durch die Stiftung Die grüne Stadt, Berlin, 2013. [8] Werner P., Zahner R.: Biologische Vielfalt und Städte - Eine Übersicht und Bibliographie. Dokumentation des F+E-Vorhabens „Biologische Vielfalt und Städte - Übersichtsstudie zum Stand des Wissens“, BfN- Skripte 245, Bundesamt für Naturschutz (BfN), Bonn, 2009. [9] Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, acatech-Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und Union der deutschen Akademien der Wissenschaften: Biodiversität und Management von Agrarlandschaften - Umfassendes Handeln ist jetzt wichtig. Halle (Saale), August 2020. [10] BMUB Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (Hrsg.): Grün in der Stadt - Für eine lebenswerte Zukunft. Grünbuch Stadtgrün, Berlin, Mai 2015. [11] Stützel T., Bosseler B., Bennerscheidt C., Schmidener H.: Wurzeleinwuchs in Abwasserleitungen und Kanäle. Kurzbericht eines Forschungsvorhabens im Auftrag des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen, Lehrstuhl für Spezielle Botanik und Botanischer Garten der Ruhr-Universität Bochum und Institut für unterirdische Infrastruktur (IKT), Bochum und Gelsenkirchen, Juli 2004. 68 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Der dicht bevölkerte Siedlungsraum in den Einzugsgebieten der Emscher und der Lippe ist in seiner Historie seit der industriellen Revolution geprägt durch verschiedene Phasen des technologischen Fortschritts, der städtebaulichen Entwicklung und den damit verbundenen wasserwirtschaftlichen Maßnahmen. In den großen Stadtquartieren mit hoher Siedlungsdichte und teilweise schwacher Sozialstruktur beeinträchtigen Extremwetterereignisse, wie häufigere oder intensivere Starkregen einerseits und längere Hitzeperioden andererseits, die Bevölkerung in besonderem Maße. Im Sinne einer erfolgreichen Klimaanpassung ist es daher deklariertes Ziel der Emschergenossenschaft und des Lippeverbandes, die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern und den Menschen in der Metropolregion mit leistungsstarken grün-blauen Infrastrukturen nachhaltig Lebensqualität zu sichern. Der PHOENIX-See in Dortmund ist ein prominentes Beispiel der positiven, integral konzipierten Wirkungen intelligenter wasserwirtschaftlicher Maßnahmen, die auch städtebaulich als Motor des Strukturwandels in der Region dienen. Entwicklung des PHOENIX Geländes in Dortmund Der PHOENIX See resultiert aus einer wasserbaulichen Neuentwicklung einer 100 ha umfassenden Fläche im Stadtgebiet Dortmund-Hörde. Sie wurde im Jahr 2001 nach der Stilllegung des Hochofen- und Stahlwerkgeländes PHOENIX verfügbar. Konzipiert wurde dieser See unter Berücksichtigung weitreichender Synergie-Effekte als multifunktionales Gewässer mit einer wesentlichen Funktion als Hochwasserrückhaltebecken sowie positiven Wirkungen auf die Gewässerbeschaffenheit und die mikroklimatischen Verhältnisse im urbanen Umfeld bei gleichzeitig ermöglichter Freizeitnutzung (siehe auch [2]). Im Oktober 2010 begann die Flutung des Sees und bereits im Mai 2011 war er nahezu gefüllt. Mit der Stilllegung des Stahlwerks und der Demontage der technischen Anlagen zum Export nach China eröffnete sich eine städtebauliche Herausforderung - und gleichzeitig eine hervorragende Chance zur wasserwirtschaftlichen Entwicklung im Sinne eines Bündels an Maßnahmen zur Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels. Die Projektkooperation der Stadt Dortmund gemeinsam mit der Emschergenossenschaft reichte daher zügig den Projektentwurf zum PHOENIX See ein. Dieser umfasste im Wesentlichen den Bau eines Innenstadtsees mit 24 ha Fläche und 840 000 m³ Volumen, die Offenlegung und Renaturierung der Emscher in diesem Bereich im Rahmen des Emscherumbaus sowie die Schaffung neuer Flächen zur Wohnbebauung und Gewerbenutzung (siehe Bilder 1 bis 3). Der PHOENIX See in Dortmund Stadtentwicklung in Zeiten des Klimawandels Klimawandel, Integrale Wasserwirtschaft, Urbane Entwicklung, Resilienz Emanuel Grün, Burkhard Teichgräber, Andreas Giga, Angela Pfister Jüngst durch Dürrejahre, aber auch geprägt durch zahlreiche extreme Starkregen ist der Klimawandel auch in Deutschland in der vergangenen Dekade deutlicher spürbar geworden. Die mit dem Klimawandel einhergehenden Veränderungen stellen global eine immense Herausforderung dar, da sie äußerst komplex ausgebildet sind, sich gegenseitig bedingen und insbesondere vom gesellschaftlichen Rahmen abhängen, auf den sie wiederum zurückwirken. [1] Bild 1: Planung des PHOENIX Geländes in Dortmund. © Emschergenossenschaft 69 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Eine zusätzliche Lamelle von bis zu 1 m Höhe und 240 000 m³ Volumen dient als Hochwasserrückhaltebecken zusätzlich zum üblichen Dauerstau mit 600 000 m³ Volumen. Der PHOENIX See wird maßgeblich durch den natürlichen Grundwasserzufluss gespeist. Dieser wird ergänzt durch den direkten Regeneintrag sowie die Einleitungen von Niederschlagswasser von den Dachflächen der neu entstandenen Bebauung. Auch der Betrieb des Sees wird aktuell als Gemeinschaftsaufgabe wahrgenommen. Dazu ist ein Drei-Parteien-Vertrag zwischen der Stadt Dortmund, den Stadtwerken Dortmund und der Emschergenossenschaft geschlossen worden, um die Gewässerunterhaltungspflicht nach dem Wasserhaushaltgesetz mit der hydraulischen Steuerung zu Zwecken des Hochwasserrisikomanagements sowie den weiteren ordnungsrechtlichen und freizeitwirtschaftlichen Handlungsrahmen sicherzustellen. Hier zeigt sich einmal mehr die Bedeutung von Kooperationen - zum einen innerstädtisch als auch mit den wasserwirtschaftlichen Verantwortungsträgern in der Region. Nur über derart gemeinsame, bzw. kooperativ entwickelte und durchgeführte Projekte, in der Region zudem intrakommunal, lässt sich dem Klimawandel regional effektiv begegnen. Klimamonitoring PHOENIX See in Dortmund Die Emschergenossenschaft errichtete in 2011 eine Klimamessstation in unmittelbarer Nähe des Sees. Dies dient der Beurteilung des kleinklimatischen Einflusses im urbanen Raum, aber vor allem auch der Bewertung der mittel- und langfristigen Gewässergüte-Entwicklung des Sees. Bezüglich der Klimawandel induzierten Trends und Veränderungen der hydrometeorologischen Parameter [3, 4, 5, 6] stellt die Messstation eine wertvolle Grundlage für Vergleiche mit der einzigen deutschlandweit verfügbaren langjährigen Stadtklimastation in Bochum (siehe auch [7]) dar. Unabhängig hiervon spielen die erhobenen Daten natürlich eine wichtige Rolle für die Freizeitnutzung des Sees - liefern sie doch aktuelle Temperaturen und Windverhältnisse. Beeindruckend stellen sich die Ergebnisse der langjährigen Temperaturverhältnisse dar, welche die globale Erwärmung der Atmosphäre regional widerspiegeln. In den vergangenen 90 Jahren liegen die 10 wärmsten Jahre in den drei Dekaden seit 1990 (siehe Bild 4). Die Grafik zeigt die Abweichungen der mittleren Jahrestemperatur in Bochum [7] seit Aufzeichnungsbeginn 1931 vom Mittelwert der aktuellen Klimanormalperiode (1961 - 1990) und jüngst an der Messstation in Dortmund. Sehr deutlich zeigen sich die hohen und kontinuierlich positiven Abweichungen seit den 1990er Jahren. Hervorzuheben ist, dass das als „Dürrejahr“ in die Annalen eingegangene Jahr 2018 nicht zu den Spitzenreitern gehört. Betont werden muss der Handlungszwang, klimaresiliente Maßnahmen - wann immer möglich - zum Umgang mit Hitzeperioden zu realisieren. Bild 2: Städtebauliche Entwicklung am PHOENIX See. © Stadt Dortmund Bild 3: Renaturierte Emscher am PHOENIX See im März 2020. © Emschergenossenschaft PHOENIX See-Bilanz im Dürrejahr 2018 Im Dürrejahr 2018 stellte sich jedoch mit besonderer Brisanz die Frage nach der Widerstandsfähigkeit des Sees gegenüber extremen Witterungsbedingungen mit Blick auf eine außergewöhnlich hohe Verdunstung bei lang ausbleibenden Niederschlägen, hohen Temperaturen und niedrigen Grundwasserneubildungsraten. Von daher legt die nachfolgende Grafik in Bild 5, als Basis einer Volumenbilanzbetrachtung, die Wasserstände im PHOENIX See mit den aufgezeichneten Tiefstständen seit der Füllung im Jahr 2011 dar. 70 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen In 2018 wurde erstmalig am 21. Oktober der Zielwasserstand des Sees von 93,50 mNHN unterschritten, und zwar mit 93,16 mNHN. Der Einfluss außergewöhnlich niederschlagsarmer und heißer Wetterbedingungen im Sommerhalbjahr auf den Füllstand des Sees ist naturgemäß erheblich. Erst im Winterhalbjahr kann eine Umkehr auf positive Bilanzgrößen konstatiert werden. In diesem Fall werden jedoch keine weiteren negativen Auswirkungen festgestellt und die Erreichung des Zielwasserstandes erfolgte vergleichsweise zügig. Grundsätzlich steht die vorteilhafte Wirkung des Sees auf das unmittelbare städtische Umfeld weit im Vordergrund [8, 9]. Neben der inzwischen sehr gut angenommenen Freizeitnutzung profitieren die Anwohner stark durch die Verdunstungskühle und den erheblichen Mehrwert der grün-blauen Infrastruktur. Der Zusammenhang verdeutlicht einmal mehr die Bedeutung einer geeigneten Bewirtschaftung, welche wiederum erfolgreich durch Kooperationen, mit konzertierten Aktionen der beteiligten Stakeholder, dauerhaft und nachhaltig durchgeführt werden kann. Zukunftsinitiative „Wasser in der Stadt von morgen“ als Motor einer wassersensiblen Stadtentwicklung Das PHOENIX See-Projekt ist ein großes integrales Vorzeigeprojekt. Es bedarf einer Vielzahl von überzeugten Projektbeteiligten, der richtigen Arbeitsformate und eines gemeinsamen Zielbildes, um Großprojekte wie dieses umzusetzen. Aber auch kleinere Projekte haben in finanzieller Hinsicht und bezüglich der interdisziplinären Erarbeitung ihre Bild 4: Klimamonitoring der Temperatur im Vergleich zur Referenzperiode 1961 - 1990 (Mittelwert 10,4 °C). © Emschergenossenschaft Bild 5: Wasserstandsganglinie des PHOENIX See seit Beginn der Flutung. © Emschergenossenschaft 71 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Herausforderung im Kontext innovativer Stadtentwicklung unter Berücksichtigung eines zukunftsfähigen urbanen Wasserhaushalts. Diesbezüglich bieten die Zukunftsinitiative „Wasser in der Stadt von morgen“ (ZI) und das Projekt der Ruhr-Konferenz „Klimaresiliente Region mit internationaler Strahlkraft“ einen guten Arbeitsrahmen. Die Zukunftsinitiative wurde durch eine gemeinsame Absichtserklärung für eine städte- und fachbereichsübergreifende Zusammenarbeit von 16- Kommunen im Verbandsgebiet der Emschergenossenschaft im Jahr 2014 begonnen. Seitdem ist die Vernetzung untereinander - Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit - stetig gewachsen. Agiles Arbeiten auf Augenhöhe ermöglicht dabei neue Denkansätze und gemeinsame Zielbilder. Auf dieser Grundlage konnten in den vergangenen Jahren, teils unterstützt durch Förderungen des Umweltministeriums oder der Emschergenossenschaft, durch Kommunen und Gewerbetreibende zusammen mit der Emschergenossenschaft eine Vielzahl von wassersensiblen Projekten im Emscherraum realisiert werden. Beispiele hierfür sind das Universitätsviertel in Essen, das Prosper-Hospital in Recklinghausen oder zahlreiche Wohnsiedlungen oder Gewerbeflächen in Gewässernähe und überall in der Region (siehe auch Bilder 6 bis 8). Anfang 2019 wurde im Rahmen eines regelmäßigen ZI-Gesprächsformates der Umwelt- und Stadtplanungsdezernenten der Impuls für eine weitergehende Strategie für die Klimafolgenanpassung der Region gegeben. Mit dem Vorhaben einer „Klimaresilienten Region mit internationaler Strahlkraft“ sollen bis 2040 durch Maßnahmen die Ziele der 2005 gestarteten Abkopplungsinitiative „Zukunftsvereinbarung Regenwasser“ von an das Mischwassersystem angeschlossenen Flächen auf 25 % erhöht werden und zusätzlich die Verdunstungsrate um 10 Prozent-Punkte gesteigert werden. Daneben sollen Hitze-Inseln bzw. das Aufheizen der Stadträume reduziert und Gewässer ökologisch verbessert werden. Das Ziel ist, eine attraktive, erlebbare und gesundheitsförderliche grün-blaue Infrastruktur zu schaffen. Durch die Aufnahme des Projektes in die Ruhr- Konferenz und den politischen Beschluss des Landeskabinetts im Herbst letzten Jahres konnte das Projekt durch das Umweltministerium NRW mit einem finanziellen Rahmen von rund 250 Mio. EUR bis 2030 ausgestattet werden. Gefördert werden im Gebiet des Regionalverbandes Ruhr unter anderem Dach- und Fassadenbegrünungen oder verschiedene Formen der Abkopplung wie zum Beispiel Mulden oder Baumrigolen vornehmlich im Bestand. Bild 8: Offene Rasenrinnen zur Regenentwässerung in einer Siedlung in Dortmund- Sölde. © DOGEWO 21 Bild 6: Die Grüne Mitte in Essen, das neue Wohnviertel zwischen Innenstadt und Universität. © Schüler des UNESCO-Schülerworkshops 2019 der Emschergenossenschaft Bild 7: Regenwasserbewirtschaftung am Prosper-Hospital in Recklinghausen bei Starkregen. © Emschergenossenschaft 72 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Dr. Emanuel Grün Vorstandsmitglied Emschergenossenschaft Wassermanagement und Technik Kontakt: Gruen.Emanuel@eglv.de Prof. Dr. Burkhard Teichgräber Geschäftsbereichsleiter Emschergenossenschaft Grundlagen und Entwicklung Kontakt: Burkhard.Teichgraeber@eglv.de Andreas Giga Emschergenossenschaft Stabsstelle ZI-Service-Center Kontakt: Giga.Andreas@eglv.de Dipl.-Geogr. Angela Pfister Abteilungsleiterin Emschergenossenschaft Wasserwirtschaft Kontakt: Pfister.Angela@eglv.de Um eine Umsetzung der vielen zum Teil zusätzlichen Maßnahmen zu ermöglichen, wurde in Zusammenarbeit der Kommunen bei der Emschergenossenschaft für alle Antragsteller eine Service-Organisation eingerichtet. Sie fungiert je nach Bedarf als Berater, Vermittler und Dienstleister. Zusammen mit einigen kommunalen Vertretern wird über eine ZI-Prozesssteuerung das Projekt „Klimaresiliente Region“ im kollegialen Miteinander gelenkt und in die Umsetzung gebracht. Hierdurch ist die Basis geschaffen, in den kommenden Jahren viele weitere Projekte bis hin zu Großprojekten wie dem PHOENIX See anzustoßen und umzusetzen. Fazit Ausgelegt als Multifunktionsanlage zur Nutzung für Wasserwirtschaft, Städtebau und Freizeit hat der PHOENIX See die Erwartungen voll erfüllt. Die Aufwertung des Stadtquartiers ist gelungen, die Vermarktung der neu erschlossenen Flächen ist fast abgeschlossen. Die Erlöse haben den vorgestreckten finanziellen Aufwand der Stadt Dortmund weitgehend gedeckt. Rund um das Jahr wird das Gelände um den PHOENIX See von der Bevölkerung als Freizeitattraktion angenommen. Schließlich stellt der Speicherraum für Hochwasser einen wichtigen Beitrag zum Hochwasserrisikomanagement im umgestalteten Emschersystem dar. Der Großraum Metropole Ruhr wird sich als „Klimaresiliente Region“ in der Zukunft weiter im Sinne tragfähiger grün-blauer Infrastruktur entwickeln. LITERATUR [1] Umweltbundesamt (UBA): Monitoringbericht 2019 zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel. Bericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe Anpassungsstrategie der Bundesregierung. Dessau-Roßlau, 2019. [2] Möhring, B., Korte, T., Zur Mühlen, P., Petruck, A., Pfister, A., Sommerhäuser, M.: Der PHOENIX See - Highlight des Strukturwandels im neuen Emschertal. In: KW Korrespondenz Wasserwirtschaft 7 (1), (2014) S. 17 - 22. DOI: 10.3243/ kwe2014.01.001. [3] Brasseur, G. P., Jacob, D., Schuck-Zöller, S. (Hrsg.): Klimawandel in Deutschland. Entwicklung, Folgen, Risiken und Perspektiven. 1. Auflage 2017. Berlin, S.l.: Springer Berlin. Online verfügbar unter http: / / www.climate servicecenter.de/ products_and_publications/ publications/ detail/ 064081/ index.php.de, zuletzt geprüft am 19.01.2017. [4] Deutsche IPCC-Koordinierungsstelle (DE-IPCC): Sonderbericht über den Ozean und die Kryosphäre in einem sich wandelnden Klima. Hauptaussagen. (2019) Deutsche Übersetzung. Online verfügbar unter https: / / w w w.deipcc.de/ media/ content/ Hauptaussagen_SROCC.pdf, zuletzt aktualisiert am 26.09.2019, zuletzt geprüft am 26.09.2019. [5] Pfister, A.: Langjährige Entwicklung von Starkregen - Handlungsempfehlungen für die Zukunft. In: Pinnekamp, J. (Hrsg.): 49. Essener Tagung für Wasser- und Abfallwirtschaft. „Wasserwirtschaft 4.0“. Essen, 02. - 04.03.2016. Aachen: Ges. zur Förderung der Siedlungswasserwirtschaft an der RWTH Aachen (Gewässerschutz - Wasser - Abwasser, 239), (2016) 35/ 01 - 35/ 14. [6] Stadt Dortmund: PHOENIX See, unter https: / / www. dortmund.de/ de/ freizeit_und_kultur/ phoenix_see_ dortmund/ medien/ bilderstrecke_phoenix_287946. html, abgerufen am 05.08.2020. [7] Grudzielanek, M., Steinrücke, M., Eggenstein, J., Holmgren, D., Ahlemann, D., Zimmermann, B.: Das Klima in Bochum. Über 100 Jahre stadtklimatologische Messungen. In: GeoLoge (1), (2011) S. 34 - 42. [8] Grün, E., Becker, M., Schumacher, R.: Schafft besseres Klima: integrale urbane Wasserwirtschaft, Transforming Cities 1 (2017) S. 40 - 44. [9] Grün, E., Best, H.-J., Spengler, B.: Die Zukunftsinitiative „Wasser in der Stadt von morgen“ - Der Maßnahmenplan 2020+, Korrespondenz Wasser (12)/ 5 (2019). AUTOR*INNEN 73 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Grauwasser - eine weltweit vernachlässigte Ressource Im Gegensatz zu Schwarzwasser (Abwässer aus Toiletten) und Küchenabwässern (fettreiche Abwässer mit Lebensmittelresten) ist Grauwasser gering belastetes, fäkalienfreies Abwasser aus Körperhygiene, Wäscherei und Reinigung [1]. In Übereinstimmung mit den UN Nachhaltigkeitszielen SDG- 11: „Nachhaltige Städte und Gemeinden“ und SDG- 6: „Sauberes Wasser und sanitäre Grundversorgung“ ist das Recycling von Grauwasser eine Kernkomponente in der nachhaltigen Wasserwirtschaft, um Slums aufzuwerten und den Zugang zur Grundversorgung für alle zu verbessern [2]. Die lokale Wiederverwendung von aufbereitetem Grauwasser zur Lebensmittelproduktion oder für Toilettenspülungen spart Ressourcen und Kosten und fördert die Grundwasserneubildung durch lokale Versickerung (Sponge City Concept) oder gleicht über Wasserflächen das Mikroklima insbesondere in Städten und wasserarmen Regionen aus. Technisch und ökonomisch ist eine dezentrale Grauwasseraufbereitung zu hygienisch einwandfreiem Betriebswasser sowohl für Einzelhaushalte als auch für Wohnblöcke durch angepasste Verfahren möglich. Auch in Deutschland wäre die dezentrale Grauwasseraufbereitung möglich, setzt jedoch die getrennte Erfassung des Grauwassers voraus. Beispiele finden sich in ambitionierten Neubauprojekten wie etwa beim Quartier Jenfelder Au in Hamburg. Der hier realisierte HAMBURG WATER Cycle ® umfasst neben der Trennung und dezentralen Aufbereitung der Schwarz- und Grauwasserströme auch die Energiegewinnung aus Abwasser. Die getrennte Erfassung der Abwasserströme als Schwarz- und Grauwasser in den Haushalten ebnet den Weg zu mehr Ressourceneffizienz in der weltweiten Siedlungswasserwirtschaft. Hier liegt auch eine große Chance für informelle, ungeplante Stadtteile, die meist weder über hausintere Leitungssysteme noch über eine zentrale Abwasserableitung und -behandlung verfügen. Im Rahmen des vom BMBF geförderten Projekts Rapid Planning untersuchte das ifeu das Potenzial einer dezentralen Grauwasserbehandlung und deren Synergien mit der urbanen Landwirtschaft speziell für informelle Stadtteile der ruandischen Hauptstadt Kigali. Das Projekt Rapid Planning Das vom BMBF geförderte Rapid Planning Projekt - „Nachhaltiges Infrastruktur-, Umwelt- und Ressourcenmanagement für hochdynamische Metropolen“ unterstützte die Entwicklung einer schnell umsetzbaren und sektorübergreifenden Stadtplanungsmethodik für die Ver- und Entsorgungssektoren Wasser, Abwasser, städtische Landwirtschaft, feste Abfälle und Energie. Ziel war die Identifikation und Nutzung von Synergien, die durch sektorübergreifende Infrastrukturplanung im Sinne eines urbanen Metabolismus geschaffen werden können. Die integrierte sektorübergreifende Planung erfordert, mehr noch als die sektorale Planung, räumlich aufgelöste Daten zu den urbanen Verbrauchs- und Erzeugungsmustern, um die Eignung zentraler oder dezentraler Infrastrukturlösungen prüfen zu können. Der Zugang zu verlässlichen Planungsdaten stellt eine bedeutende Hürde für politische Entscheidungsträger bei der Integration des urbanen Metabolismus in der Stadtplanung dar. Dafür entwickelte das Projekt zusammen mit den Verwaltungen der Millionenstädte Kigali/ Ruanda und Da Nang/ Vietnam eine Methodik, mit Dezentrales Grauwasser-Recycling Synergien eines urbanen Metabolismus am Beispiel von Kigali, Ruanda Grauwasser, Recycling, Stoffstromanalyse, Urbane Landwirtschaft, Urbaner Metabolismus, Abwasser Christin Zeitz, Bernd Franke Der Bedarf an Anbauflächen, Bewässerung und Dünger drängt städtische Bauern in Entwicklungsländern zum unhygienischen direkten Kontakt mit Abwasser. Das ifeu erhob und testete das Potenzial einer dezentralen Grauwasseraufbereitung angepasst an informelle Stadtteile in der ruandischen Hauptstadt Kigali. Der hohe Anteil von 60 bis 70 % Grauwasser am Gesamtabwasseraufkommen, die vorherrschend getrennte Ableitung (Latrinen für Schwarzwasser) und die hohe Reinigungseffizienz von Pilot-Pflanzenkläranlagen zeigen den Weg eines ressourcenschonenden Wassermanagements mit vielfältigen Vorteilen für die urbane Landwirtschaft auf. 74 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen der Städte schnelleren Zugang zu ihren aktuellen und zukünftigen Daten in räumlicher Auflösung erhalten können. Dies umfasst eine Kombination von kleinskaligen Datenerhebungen, Fernerkundungen und Stoffstromanalysen. Als Sankey-Diagramme dargestellt, bilden Stoffstromanalysen ein entscheidungsunterstützendes Werkzeug und eine ideale Grundlage für die Kommunikation und Planung von Infrastrukturen in hochdynamischen Städten [3]. Innerhalb des Forschungskonsortiums von 11 deutschen Institutionen und UNHABITAT arbeitete das ifeu an der Stoffstromanalyse als Grundlage für ein nachhaltiges Ressourcenmanagement und an der praktischen Implementierung identifizierter Synergien in Agatare, einem informellen Stadtteil Kigalis. Stoffstromanalyse des Abwasser- und Lebensmittelsektors in Kigali Das größte Potenzial sektorübergreifender Synergien wurde auf der Grundlage der Stoffstromanalysen für den Nahrungsmittelsektor durch Maßnahmen im Abwasser- und Abfallsektor ermittelt: (a) die dezentrale Grauwasserbehandlung zur Sicherung der Wasserqualität für die Nahrungsmittelproduktion und (b) die Nutzung organischer Abfälle und von Klärschlamm für die Düngerproduktion. Bild 1 und Bild 2 zeigen Ergebnisse der Stoffstromanalyse als Sankey-Diagramm. Die Frischwasserversorgung in Kigali erfolgt überwiegend netzwerkgebunden und zentral durch die Water and Sanitation Company (WASAC). Im Jahr 2016 waren 95 % der Haushalte über Leitungen und 5 % über Wasserkioske versorgt. Der Verbrauch der Haushalte Kigalis von 16 Mio. m 3 entsprach 2016 bei einer Bevölkerung von 1,3 Mio. Einwohnern einem vergleichsweise geringen Pro-Kopf-Verbrauch von etwa 33 l pro Tag. In Deutschland liegt der Wert bei 122 l pro Tag [4]. Im Jahr 2016 stammten 94 % der gesamten Wasserversorgung von Kigali aus Oberflächengewässern (30,5 Mio. m 3 ) und 6 % aus Grundwasser (1,9 Mio. m 3 ). Die Leitungsverluste waren mit 35,5 % sehr hoch; rund 11 Mio. m 3 Non-Revenue Water versickerte oder wurde ohne Zahlung abgezweigt und führt somit zu wirtschaftlichen Verlusten von WASAC. Wasserknappheit insbesondere in den Trockenzeiten sowie steigende Kosten machen Wasser in Kigali zu einer wertvollen und zunehmend nachgefragten Ressource. Bild 1: Stoffstromanalyse des Wasser- und Abwassersektors von Kigali/ Ruanda 2016. © Zeitz/ ifeu Bild 2: Stoffstromanalyse des Lebensmittelsektors von Kigali/ Ruanda 2016. © ifeu‚ Urban Food Model / Rapid Planning 75 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Die Abwasserentsorgung Kigalis ist nicht zentral organisiert. Ein stadtweiter Kanalanschluss an eine zentrale Kläranlage ist aufgrund der geringen Abwassermenge, des niedrigen mittleren Einkommens der Bevölkerung und der hügeligen Topographie nicht wirtschaftlich [5]. Da in Kigali im Untersuchungszeitraum rund 91 % aller Haushalte Sickergruben- Latrinen ohne Wasserspülung verwendeten [6], bestehen 58 % des anfallenden häuslichen Abwassers aus Grauwasser. Im Jahr 2016 fielen rund 6,6 Mio. m 3 Grauwasser im privaten Sektor an und wurden meist unbehandelt in die Regenwasserkanalisation oder in Sickergruben ohne Filterbarriere eingeleitet. Die Mengen von Urin und Fäkalien durch menschliche Ausscheidungen lagen im Jahr 2016 bei 0,8 Mio. m 3 (0,68 Mio. m 3 Gelbwasser und 0,12 Mio. m 3 Braunwasser), davon landeten bis zu 0,72 Mio. m 3 unverdünnt in Grubenlatrinen, meist ohne Filterbarriere [7]. Zusammen mit dem Abwasser aus Toilettenspülungen lag die Schwarzwassermenge 2016 bei 3,4 Mio. m 3 . Spültoiletten sind meist an Klärgruben (Septic tanks) angeschlossen, allerdings mit unbekannten Wartungsstandards. Die mangelnde Grauwasserbehandlung und Niederschlagsrückhaltung im Einzugsgebiet führt zu Verschmutzung, Hygienerisiken und Überflutung der landwirtschaftlich genutzten Feuchtgebiete in Kigali. Wie in vielen schnell wachsenden Städten in Entwicklungsländern benötigen städtische Bauern außer Raum Wasser und Dünger, sie kommen deshalb mitunter direkt mit Abwasser in Kontakt, das aufgrund der fehlenden Abwasserinfrastruktur beides vermeintlich kostenlos zur Verfügung stellt [8]. Die urbane Landwirtschaft am Fuße der dicht besiedelten teilweise steilen Hügelketten Kigalis spielt eine wichtige Rolle in der städtischen Versorgung mit frischen Lebensmitteln und prägt gleichzeitig als Nahholungsgebiet das Landschaftsbild der Stadt. Der Mangel an Dünger, eine ineffiziente Bewässerung, die Trockenzeiten und erratische Niederschläge schränken die Produktivität der urbanen Landwirtschaft ein. Im Jahr 2013 wurden 75 % der Nahrungsmittel für Kigali außerhalb von Kigali im Inland produziert (0,8 Mio. t), 5 % wurden importiert (54 000 t) und 20 % wurden von der urbanen Landwirtschaft innerhalb Kigalis produziert (0,21 Mio. t). Die städtische Agrarproduktion umfasst Gemüse und Obst (inkl. stärkehaltige Wurzeln und Hülsenfrüchte) sowie Getreide und hatte im Jahr 2013 einen Anteil von 21 % bzw. 41 % an der Gesamtnachfrage der Stadt. Ein Vergleich der gesamten Pro-Kopf-Nahrungsmenge der Bevölkerung von Kigali mit dem deutschen durchschnittlichen Nährstoffverbrauch [9] zeigt eine geringere Energie- , Protein- und Fettaufnahme. Die Verluste von frischen Lebensmitteln wurden mit 0,15 Mio. t pro Jahr ermittelt, hauptsächlich auf Nachernte-, Verarbeitungs- und Verteilungsebene. Dezentrales Grauwasserrecycling in Kigali, Ruanda - eine Option zum Upgrading Nach Angaben der Stadt Kigali [10] sind 78 % der Siedlungen in Kigali informell gebaut worden. Eine Untersuchung vom ifeu und der Hochschule Ostfalia zeigte, dass der Anteil Grauwasser am gesamten häuslichen Abwasser für informelle Stadtteile bis zu 70 % betragen kann. Das Grauwasser wird vor der Einleitung in die Umwelt weder behandelt noch recycelt. Zwar regelt das Rwanda Standards Board (RSB) die zulässigen Grenzwerte für die Einleitung von häuslichem Abwasser [11], duldet jedoch mangels Alternativen die illegale Einleitung von Grauwasser in Regenwasserkanäle, die in den landwirtschaftlich genutzten Feuchtgebieten münden (Bild 3). Ziel der Projektkomponente „Dezentrale Grauwasserbehandlung“ war es, das Potenzial einer dezentralen, kostengünstigen Technik zur Behandlung und Wiederverwertung von Haushaltsgrauwasser als Interims- oder Hybridtechnologie wissenschaftlich zu testen und bislang fehlende Daten über Haushaltsgrauwasser (Menge, Eigenschaften, Wege und Senken) zu sammeln. Eine 2016 vom ifeu durchgeführte Befragung von 293 Haushalten zum häuslichen Grauwassermanagement im Stadtteil Agatare bestätigte, dass Grauwasser zumeist direkt oder indirekt in Regenwasserkanäle eingeleitet wird. Für die untersuchten Pilotsysteme erfolgte die Anpassung des technischen Designs einer Vertikalen Pflanzenkläranlage (Vertical Flow Constructed Wetland) [12] Bild 3: Der Weg des Grauwassers vom Haushalt, über die Regenwasserkanäle bis zu den landwirtschaftlich genutzten Feuchtgebieten in Kigali/ Ruanda © Joost/ Ostfalia, Zeitz und Dietzsch/ ifeu 76 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen an die lokalen Bedingungen und mit verfügbaren Materialien und die anschließende Konstruktion und Installation in Zusammenarbeit mit lokalen Partnern (Bild 4 und Bild 5). Die Haushaltsmitglieder wurden in der Anwendung und Wartung des Systems geschult. Das Low-Tech-System wird ohne elektrische Pumpen beschickt und ist modular aufgebaut, um ein Upscaling auf verschiedene Haushaltsgrößen zu ermöglichen. Der technische Aufbau umfasst sieben Reinigungsstufen (Bild 4). Das Grauwasser wird über einen Trichter mit Sieb, das größere Partikel zurückhält, in das System eingefüllt (1). In einem Fettfangbehälter mit definiertem Volumen verlangsamt sich das Grauwasser, so dass Fett aufschwimmt (2) und sich feste Partikel absetzen (3). Die Verweilzeit im Fettfang führt zur Umwandlung von organischen Feststoffen in lösliche organische Säuren (4). Zur Bekämpfung der dabei entstehenden Gerüche wird Holzkohle eingesetzt. Durch regelmäßige Beschickung des Systems wird das Grauwasser in einen Sandfilter bestimmter Höhe und Korngröße und mit Vetivergras als Phytoremediationsmittel geschoben: Nährstoffe und Wasser werden vom Vetivergras aufgenommen und in Biomasse umgewandelt (5), überschüssige feine Schwebteilchen herausgefiltert (6) und die löslichen organischen Säuren von Bakterien aufgenommen und verstoffwechselt (7). Die wissenschaftliche Überwachung über einen Zeitraum von sechs Monaten in den Jahren 2016 und 2017 erbrachte den Nachweis, dass eine signifikante Reinigung des häuslichen Grauwassers erreicht wird. Monatliche chemische und mikrobiologische Analysen im Zu- und Ablauf des Systems belegen die Reduzierung der Verschmutzungsindikatoren Chemischer Sauerstoffbedarf (CSB) um 96 %, Fäkalcoliforme (FC) um 99,88 %, Summe der suspendierten Feststoffe (TSS) um 98 %, Gesamtstickstoff (TN) um 85 % und Gesamtphosphor (TP) um 67 %. Die Wasserqualität nach der Behandlung entspricht den ruandischen und internationalen Grenzwerten für die Einleitung [11, 13] und dem WHO-Grenzwert [14] der FC für die Wiederverwendung in der Bewässerung in der Landwirtschaft. Im Ergebnis steht den Haushalten Betriebswasser für die Bewässerung des angeschlossenen Gemüsegartens und für Putzzwecke zur Verfügung, was zu deutlichen Wassereinsparungen führt. Die hygienische Qualität des angebauten Gemüses wurde im Jahr 2018 durch Analysen des Labors der Universität Ruanda bestätigt und zeigt weder coliforme Bakterien noch Parasitenbefall. Das erste dezentrale Grauwasseraufbereitungssystem wird seither täglich genutzt und wird wegen der positiven Wassereinsparungen und der Bewässerung für den häuslichen Nutzgarten vom Eigentümer auch über die Projektlaufzeit hinaus kontinuierlich gewartet. Die Messungen in Haushalten und in Regenwasserkanälen sowie die Daten zur Pilotanlage ermöglichten eine verlässliche Stoffstromanalyse und Bewertung der Umweltwirkungen für den Stadtteil Agatare. Dort werden derzeit jährlich rund 20 000 m 3 Grauwasser (40 % des gesamten anfallenden Grauwassers) mit etwa 35 t CSB, 280 × 1012 Cfu FC, 14 t TSS, 0,5 t TN und 0,1 t TP über Drainagen in die landwirtschaftlich genutzten Feuchtgebiete eingeleitet. Der hohe Anteil von 60 bis 70 % Grauwasser am Gesamtabwasseraufkommen in Kigali, die vorherrschend getrennte Ableitung und die hohe Reinigungseffizienz in Pilot-Pflanzenkläranlagen, zeigen den Weg eines ressourcenschonenden Wassermanagements für Kigali mit vielfältigen Vorteilen für die urbane Landwirtschaft auf. Das dezentrale Grauwasserrecycling zu hygienisch sauberem einwandfreiem Bewässerungswassers für die urbane Landwirtschaft kann die Nahrungsmittelproduktion und somit den urbanen Selbstversorgungsgrad mit Obst und Gemüse insbesondere während der Trockenzeit steigern und die Verschmutzung der Feuchtgebiete und des Grundwassers aufhalten. (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) Bild 4 (links), Bild 5 (Mitte) und Bild 6 (rechts): Schema und Foto der Pilotanlage zur dezentralen Grauwasserbehandlung und anschließende Nutzung in Gemüsegärten sowie QR Code zum Rapid Planning Kurzfilm Amazi n’ubutaka - Water and Soil © Zeitz/ ifeu 77 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Das ifeu und die Projektpartner der TU Berlin und Hochschule Ostfalia empfehlen dezentrale, einzugsgebietsbezogene Grauwasserbehandlungsanlagen an den Hangfüßen gemäß der erfolgreich getesteten Technik der Vertikalen Pflanzenkläranlage mit Vorbehandlung und Speicherbecken. Dies stellt eine integrierte, kostengünstige Option dar, um informelle Stadtteile aufzuwerten und die urbane Landwirtschaft zu stärken (Bild 7). Im Gegensatz zu einer kosten- und ressourcenintensiven zentralen Abwassersammlung und -behandlung, bietet die dezentrale Grauwasseraufbereitung eine angepasste Lösung für die Stadt Kigali mit ihren vielen Hügeln. Neben der Elektromobilität, ist dies ein weiteres gutes Beispiel von Leapfrogging, welches das Überspringen von Entwicklungsstufen in Ruanda möglich machen könnte. Der Kurzfilm Amazi n‘ubutaka - Water and Soil dokumentiert die praktische Arbeit des Rapid Planning Projekts in Kigali/ Ruanda, siehe QR-Code (Bild 6). LITERATUR [1] DIN: EN 12056-1: Gravity drainage systems inside buildings - Part 1: General and performance, 2000. [2] UN: The 17 Sustainable Development Goals. 2016, online verfügbar unter: https: / / sdgs.un.org/ goals. [3] Brunner, P. H., Rechberger, H.: Practical handbook of material flow analysis. Boca Raton, FL: CRC/ Lewis, 2004. [4] bdew, Bundesverband der Energie und Wasserwirtschaft e. V.: Entwicklung des personenbezogenen Wassergebrauches 1990 - 2018, 2019. (Zugegriffen am 7. März 2020.) Online verfügbar unter: http: / / www.bdew.de/ service/ daten-und-grafiken/ entwicklung-des-personenbezogenen-wassergebrauchs/ . [5] OPM: Kigali Urban Sanitation Study, Presentations at Worldbank Sanitation Study Workshop Kigali March 2017, 2017. [6] NISR und MINECOFIN: Rwanda Fourth Population and Housing Census (2012 RPHC) - Thematic Report: Characteristics of households and housing, Kigali, Rwanda, 2012. [7] NISR: Thematic report - Environment and natural resources (EICV) Integrated Household Living Conditions Survey, National Institute of Statistics of Rwanda, Kigali, Rwanda, März 2016. [8] Foeken, D. W. J.: To subsidise my income: urban farming in an East-African town, 223, 2006. https: / / o p e n a c c e s s . l e i d e n u n i v. n l / h a n d l e / 18 8 7/ 1474 2 (Zugegriffen am 6. Feb. 2017). [9] MRI und BMEL: Nationale Verzehrsstudie II - Lebensmittelverzehr und Nährstoffzufuhr auf Basis von 24h-Recalls“, 2013. https: / / www.mri.bund.de/ de/ institute/ ernaehrungsverhalten/ forschungsprojekte/ nvsii/ (Zugegriffen am 28. Juli 2020). [10] City of Kigali (CoK): An 8-in-1 affordable urban Housing Block inaugurated in Kimisagara, 2018. ht tps : / / k igalicit y. gov.r w/ inde x .php? id =131&t x _ n e w s _ p i 1 % 5 B n e w s % 5 D = 4 2 & t x _ n e w s _ pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Bactio n%5D=detail&cHash=c0f4418727324d3adeb68272b 8cf3562 (Zugegriffen am 25. Okt. 2020). [11] RSB: RSB RS 110: 2009 Water Quality - Tolerance limits of discharged domestic wastewater, 2009. [12] Tilley, E., Ulrich, L., Luthi, C., Reymond, P., Zurbrügg, C.: Compendium of Sanitation Systems and Technologies, 2014. [13] BGBl: Verordnung über Anforderungen an das Einleiten von Abwasser in Gewässer (Abwasserverordnung - AbwV) BGBl. I S. 1108, 2625, 2016. http: / / www.gesetze-im-internet.de/ abwv/ (Zugegriffen am 7. Feb. 2017). [14] WHO (Hrsg.): Guidelines for the microbiological quality of treated wastewater used in agriculture: recommendations for revising WHO guidelines, 2000, (zugegriffen am 12. Apr. 2017. Verfügbar unter: http: / / www.who.int/ iris/ handle/ 10665/ 57600. Bild 7: Dezentrales Grauwassermanagement am Hangfuß für Agatare/ Kigali. © TU Berlin modif. von M. Olbertz 2018, ifeu 2017 Christin Zeitz Dipl. Geoökologin Projektleiterin ifeu - Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg gGmbH Kontakt: christin.zeitz@ifeu.de Bernd Franke Biologe Themen- und Projektleiter ifeu - Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg gGmbH Kontakt: bernd.franke@ifeu.de AUTOR*INNEN 78 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Die Herausforderungen einer nachhaltigen Nahrungsmittelproduktion und der Ressourcenrückgewinnung Um knapper werdende Ressourcen und Nutzflächen einsparen und die erhöhte Lebensmittelnachfrage der wachsenden Bevölkerung decken zu können, gilt es die Landwirtschaft und entsprechende Anbaumethoden weiterzuentwickeln [1, 2]. Dabei stellt sich die Frage, wie eine landwirtschaftliche Ertragsersteigerung bei begrenzten Ressourcen erreicht werden kann. Dieser Frage widmet sich auch das Wissenschaftsjahr 2020/ 21 - Bioökonomie. Ziel ist es, wissenschaftliche Erkenntnisse und technologische Innovationen zu vereinen, um Lösungsan- 40 Tonnen Tomaten von der Kläranlage Das Agrarsystem der Zukunft kommt ganz ohne Erde aus und nutzt im Sinne der Kreislaufwirtschaft die Nährstoffe aus häuslichem Abwasser Kreislaufwirtschaft, Siedlungswasserwirtschaft, urbane Landwirtschaft, Ressourcenrückgewinnung, Szenariotechnik Martin Schulwitz, Mario Reimer, Ann-Kristin Steines In Zeiten des Klimawandels und zunehmender Urbanisierung bei gleichzeitiger Ressourcenverknappung unterliegt die Nahrungsmittelversorgung der global wachsenden Bevölkerung vielfältigen Herausforderungen. Wie kann die Bevölkerung möglichst umwelt- und ressourcenschonend mit nachhaltig produzierten Lebensmitteln versorgt werden? Diese Frage versucht das Forschungs- und Demonstrationsprojekt „SUSKULT“ mit einem auf häuslichem Abwasser basierenden Anbaukonzept für Kulturpflanzen zu beantworten. THEMA Städtische Ressourcen © Schulwitz et al., 79 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen sätze für eine schonende Ressourcennutzung und nachhaltige Erzeugung, Verarbeitung und Nutzung von Produkten bei gleichzeitiger Sicherung des Lebensstandards zu finden [3]. Das Bundeskabinett beschloss im Jahr 2017 die Novelle der Klärschlammverordnung, um den Zielen des nachhaltigen Umwelt- und Ressourcenschutzes verstärkt gerecht zu werden. Die Neuordnung der Klärschlammverwertung erlaubt demnach ab dem Jahr 2029 nur noch einen begrenzten Einsatz von Klärschlamm als Dünger in der Landwirtschaft. Zudem sollen laut der Neufassung wertgebende Klärschlammbestandteile wie Phosphor verstärkt zurückzugewonnen und in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt werden [4]. Deshalb müssen neue Lösungen zum Nährstoffrecycling gefunden werden. Das BMBF-Verbundprojekt „SUSKULT - Entwicklung eines nachhaltigen Kultivierungssystems für Nahrungsmittel resilienter Metropolregionen“ erprobt einen innovativen Ansatz zur Kombination von Nährstoffrecycling aus Abwasser mit urbaner Landwirtschaft. Die SUSKULT-Vision aus Sicht der Stadtforschung In dem Projekt SUSKULT arbeiten bis 2022 15- Verbundpartner aus Wissenschaft und Praxis an der Entwicklung eines hydroponischen (wasserbasierten) Agrarsystems zum Nährstoffrecycling aus häuslichem Abwasser. Aus dem Abwasser werden die für die Kultivierung benötigten Nährstoffe Kohlenstoffdioxid, Phosphor, Kalium und Stickstoff in reiner Form über ein neuartiges Membranfiltersystem extrahiert und in einer Nährstofflösung angereichert (Flüssigdünger). Die Wurzeln der angebauten Kulturpflanzen befinden sich dauerhaft in der Nährstofflösung und können die Nährstoffe so direkt aufnehmen. Überschüssige Nährstoffe werden dem Kreislauf wieder zugeführt und gehen nicht verloren [5]. Die optimalen Wachstumsbedingungen werden nicht nur durch die Nährstofflösung, sondern auch durch eine gezielte Lichtsteuerung mit einer speziellen LED-Technik sowie ein konstantes Raumklima in den Gewächshäusern generiert (siehe Bild 1). Somit können längere Vegetationsperioden erreicht und folglich ein höherer Jahresertrag erzielt werden. Die kontrollierbaren Umweltbedingungen erlauben zudem einen vertikalen Pflanzenanbau, wodurch die Flächeneffizienz erhöht wird [6]. Durch das Siedlungswachstum liegen Kläranlagen zudem meist nicht mehr in peripheren Lagen am Stadtrand, sondern sind vor allem in metropolitanen Räumen oftmals an Siedlungsbereiche angeschlossen oder in diese integriert, wodurch Lieferwege eingespart werden können. Der Vertrieb der erzeugten Nahrungsmittel kann so überwiegend vor Ort oder im umliegenden Lebensmitteleinzelhandel stattfinden. Gleichzeitig folgt der Ansatz dem Trend zu einer stärkeren Regionalität der Lebensmittelproduktion [7] und kann durch den lokalen Bezug eine stärkere Auseinandersetzung und Identifikation der Verbraucher mit den produzierten Lebensmitteln fördern. Eine wesentliche Innovation der SUSKULT-Vision liegt in der Zielsetzung, dass die Kläranlagen der Zukunft nicht mehr ausschließlich als Orte der Abwasserbehandlung wahrgenommen werden. Bis zum Jahr 2050 sollen sie sich als sogenannte „NEWtrient ® -Center“ zu Zentren der Nährstoffrückgewinnung entwickeln und in der Gesellschaft eher als „Marktplätze für Nährstoffe“ wahrgenommen werden. Dazu ist eine generell höhere gesellschaftliche Akzeptanz für die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft erforderlich. Dieser Herausforderung wird im Projekt über einen integrativen Ansatz mit breiter Einbindung unterschiedlicher Akteure sowie partizipativen Elementen begegnet. Die Verbraucher sind damit künftig nicht nur Konsumenten, sondern über die häuslichen Abwässer gleichzeitig auch Bestandteil des Nahrungsmittelproduktionsprozesses - sie werden daher als „Prosumenten“ betrachtet. Im Rahmen des Projektes erfolgt die beispielhafte Umsetzung über eine Demonstrationsanlage auf dem Gelände des Klärwerks Emschermündung an der Stadtgrenze zwischen Dinslaken, Oberhausen und Duisburg. Ziel ist es, dort pro Jahr bis zu 40 Tonnen Gemüse zu produzieren. Bild 1: Automatisierte Steuerung der Umweltbedingungen und der Nährstofflösung im vertikalen Pflanzenbau (rechts) in einer SUSKULT- Versuchsanlage. © Schulwitz et al., 2019 80 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Szenariostudien als methodischer Zugang In SUSKULT beschränkt sich die Forschung nicht nur auf die Entwicklung von abwasser- und agrartechnischen Lösungsmöglichkeiten, vielmehr wird ein integrierender Ansatz verfolgt. Ein Teilbereich des Projektes widmet sich demnach ganz konkret den möglichen Folgen der Umsetzung der SUSKULT-Vision für die Stadtentwicklung und den damit verbundenen Herausforderungen. Im Rahmen einer Szenariostudie, die durch das ILS - Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH durchgeführt wird, sollen die Wirkungsmechanismen zwischen den NEWtrient ® - Centern (Bild 2) und der Stadtentwicklung sowie Handlungsmöglichkeiten zur Umsetzung der SUS- KULT-Vision identifiziert werden. Dazu werden verschiedene Szenarien möglicher Entwicklungen bis zu den Jahren 2035 und 2050 für unterschiedliche Kläranlagenstandorte in der Fallstudienregion Ruhrgebiet erarbeitet. Die qualitativen Szenarien werden in Form kurzer Geschichten (Narrative) anschaulich aufbereitet und sollen so einem breiten Adressatenkreis Impulse für die Diskussion zur langfristigen Umsetzbarkeit der SUSKULT-Vision liefern. Für tiefergehend Interessierte werden die qualitativen Szenarien auch mit quantitativen Modellierungen einzelner Schlüsselfaktoren unterlegt. Als Grundlage für die Szenarienentwicklung wurden zunächst in einem Brainstorming mögliche Einflussfaktoren in einem Online-Fragebogen gesammelt. Aus den insgesamt 90 Nennungen konnten 37- unterschiedliche Einflussfaktoren kategorisiert werden, von denen 22 Faktoren Mehrfachnennungen aufweisen. Wie Bild 3 zeigt, können die Einflussfaktoren entsprechend ihrer Nennungen unterschiedlichen Themenfeldern zugeordnet werden. Es ist zu erkennen, dass die Themenbereiche „Nahrungsmittel (Nachfrage & Produktion)“, „Flächenentwicklung im Ruhrgebiet“ sowie „Umwelt & Klima“ als besonders relevant angesehen werden. Anhand möglicher Entwicklungen der Faktoren können unterschiedliche Szenarien entwickelt und später in anschauliche Narrative überführt werden. Zur Komplexitätsreduzierung für die weiteren Schritte der Szenariostudie ist allerdings eine Beschränkung auf eine Auswahl der Einflussfaktoren notwendig. Dazu wurden durch die beteiligten Stakeholder (unter anderem Wissenschaftler, Vertreter*innen der Abwasserverbände, der Regionalplanung und aus der kommunalen Praxis) jeweils zehn Punkte auf die 22 mehrfach genannten Einflussfaktoren verteilt. Aufgrund der neun höchsten Punktsummen werden folgende Faktoren in die Wirkungsanalyse aufgenommen (in absteigender Reihenfolge der Punktsummen): Ressourcenverfügbarkeit, Qualität der erzeugten Lebensmittel, Bewusstsein für Klima/ Umwelt in der Gesellschaft, Produktionskosten der erzeugten Lebensmittel, Akzeptanz der bzw. Nachfrage nach Produkten der Kreislaufwirtschaft, gesellschaftliche Bedeutung der Ressourcenrückgewinnung, Flächennutzung/ Flächenverfügbarkeit im Ruhrgebiet, städtebauliche Integrierbarkeit der SUSKULT-Anlagen sowie technische Entwicklungen in der Siedlungswasserwirtschaft. Die Auswahl und Bewertung der Einflussfaktoren verdeutlicht, dass die Verbraucherperspektive als wesentlicher Erfolgsfaktor der SUSKULT-Vision wahrgenommen wird (Bewusstsein für Klima/ Umwelt, Qualität der Lebensmittel, Akzeptanz usw.). Aber auch planerische Aspekte wie die Flächen- Bild 2: Schema des NEWtrient ® - Centers der SUSKULT Vision. © Fraunhofer UMSICHT 81 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen verfügbarkeit und die städtebauliche Integration werden als bedeutsam für die Umsetzbarkeit der SUSKULT-Vision angesehen. Im nächsten Schritt wird über den paarweisen Vergleich der Einflussfaktoren eine Wirkungsmatrix erstellt, die die Identifikation der Schlüsselfaktoren ermöglicht. Da sich anhand der Entwicklung der Schlüsselfaktoren zentrale Entwicklungspfade eines Szenarios sehr fokussiert ableiten lassen, stellen sie die zentrale Grundlage zur Entwicklung der Rohszenarien dar. Zudem können die Schlüsselfaktoren dazu verwendet werden, als Indikatoren die Identifikation von Meilensteinen oder Handlungsfenstern zu vereinfachen. Die in der Szenariostudie entwickelten Szenarien werden somit einen wichtigen Beitrag zur langfristigen Umsetzung der SUSKULT-Vision leisten. Die Identifikation von Handlungsoptionen und -notwendigkeiten sowie von zentralen Akteuren ist Voraussetzung für die frühzeitige Aufstellung von Umsetzungs- und Entwicklungspfaden. Zudem können die Szenarien eine Diskussion über die Umsetzung der SUSKULT-Vision initiieren, die über die (agrar-)technischen Aspekte hinaus auch die gesellschaftlichen und räumlichen Rahmenbedingungen sowie die Verbraucherperspektive berücksichtigt. Durch diesen multidisziplinären und integrativen Ansatz leistet SUSKULT einen Beitrag zum Transformationsprozess zu einer nachhaltigeren und ressourceneffizienteren Gesellschaft. Anmerkung Das Projekt wird in der Fördermaßnahme „Agrarsysteme der Zukunft“ im Rahmen der „Nationalen Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. LITERATUR [1] Tilman, D., Balzer, C., Hill, J., Befort , B. L.: Global food demand and the sustainable intensification of agriculture, 2011. Online abrufbar unter: www.pnas.org/ cgi/ doi/ 10.1073/ pnas.1116437108 (letzter Aufruf am 15.09.2020). [2] World Bank: Urban Agriculture: Findings from Four City Case Studies. Urban Development Series Knowledge Papers. July 2013, No. 18. [3] BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) 2020: Wissenschaftsjahr 2020/ 21: BioÖkonomie. Online abrufbar unter: https: / / www.wissenschaftsjahr.de/ 2020-21/ das-wissenschaftsjahr/ hintergrund (letzter Aufruf am 15.09.2020). [4] BMU (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Nukleare Sicherheit): Verordnung zur Neuordnung der Klärschlammverwertung, 2017. Online abrufbar unter: https: / / www.bmu.de/ gesetz/ verordnung-zur-neuordnung-der-klaerschlammverwertung/ (letzter Aufruf am 15.09.2020). [5] Richter, S., Kind, S.: Geschlossene hydroponische Agrarsysteme. Themenkurzprofil Nr. 17. TAB Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag. Berlin, 2017. [6] Kalantari, F., Mohd Tahir, O., Akbari Joni, R., Fatemi, E.: Opportunities and Challanges in Sustainability of Vertical Farming: A Review. Journal of Landscape Ecology, (2017). Online abrufbar unter: 10.1515/ jlecol-2017-0016 (letzter Aufruf am 15.09.2020). [7] Kögl, H., Tietze, J. (Hrsg.): Regionale Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung von Lebensmitteln. Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz. Universität Rostock, 2010. Online abrufbar unter: http: / / rosdok.uni-rostock.de/ file/ rosdok _derivate_000000004324/ FB02_10.pdf (letzter Aufruf am 14.08.2020). 31% 18% 17% 9% 8% 7% 6% 4% Martin Schulwitz, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter ILS - Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH Kontakt: martin.schulwitz@ils-forschung.de Dr. Mario Reimer Stellv. Forschungsgruppenleiter „Raumbezogene Planung und Städtebau“ ILS - Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH Kontakt: mario.reimer@ils-forschung.de Ann-Kristin Steines Studentische Hilfskraft ILS - Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH Kontakt: ann-kristin.steines@ils-forschung.de AUTOR*INNEN Bild 3: Themenfelder der Einflussfaktoren nach Nennungen. © Schulwitz et al. (n = 90) Nahrungsmittel (Nachfrage & Produktion) Flächenentwicklung Ruhrgebiet Umwelt & Klima Abwasseraufkommen/ -behandlung Image & Akzeptanz Kreislaufwirtschaft Politische/ Planerische Programme Bevölkerungsentwicklung Sonstiges 82 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Im Rahmen des Projekts FEW-Meter (FEW steht für: Food-Energy-Water) wird die Ressourceneffizienz urbaner Landwirtschaft in Fallstudien in Frankreich, Großbritannien, Polen, den USA und Deutschland untersucht. Ziel des Projekts ist es, den Beitrag bestehender Formen urbaner Landwirtschaft zur nachhaltigen Entwicklung von Städten zu verstehen. Dazu wurden umfangreiche Daten während zwei Wachstumsperioden (2019 und 2020) in Kleingärten, Gemeinschaftsgärten, kommerziellen Farmen und Schulgärten gesammelt. Dieser Artikel beschreibt ausgewählte, erste Ergebnisse der Datensammlung in deutschen Kleingärten im Jahr 2019. Citizen Science bei der Datensammlung Ansätze von Citizen Science (oder auch Bürgerwissenschaften) finden seit zehn Jahren verstärkt Anwendung in der Forschung [3, 4]. Dabei geht es um Forschungsbeiträge zu wissenschaftlichen Prozessen von institutionell nicht an die Forschungseinrichtung gebundenen Personen. Im Sinne dieses Ansatzes arbeitet das Forschungsteam des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) im FEW-Meter-Projekt intensiv mit dem Landesverband Westfalen und Lippe der Kleingärtner e. V. (LWL) zusammen. Zur Rekrutierung der Teilnehmer*innen fand im November 2018 ein erster Workshop mit interessierten Gärtner*innen in der Landesschule des LWL in Lünen statt. Neben allgemeinen Informationen über das Projekt und die anstehende Aufgabe ging es darum, Indikatoren und Modalitäten der Datenerhebung mit den potenziellen Fallstudienteilnehmer*innen zu diskutieren. Elf Gärtner*innen aus Kleingärten in Bochum, Dortmund und Münster erklärten sich im Zuge der Veranstaltung bereit, im Projekt mitzuwirken und unterzeichneten eine entsprechende Erklärung. Mit einer Aufwandsentschädigung pro Sammeljahr und einer kostenlosen Bodenprobe mit Düngeempfehlung konnte das Projektteam den Teilnehmenden einen kleinen finanziellen Anreiz bieten. Insgesamt gibt es eine Arbeitsteilung zwischen den Gärtner*innen, dem LWL und dem ILS (Bild 1): Unterschätzte Kleingärten Erste Ergebnisse aus dem Projekt FEW-Meter Nexus-Ansatz, städtische Gärten, Ressourceneffizienz, Indikatoren Runrid Fox-Kämper, Kathrin Specht Immer mehr Menschen leben in Städten. Viele Konsument*innen wünschen sich eine Versorgung mit vor Ort erzeugten Lebensmitteln, was auch der Nachhaltigkeit zugute kommt. Auch die klassischen Kleingärten mit ihrer jahrhundertelangen Tradition der Nahrungsmittelproduktion in der Stadt leisten hier ihren Beitrag [1]. Sie erfüllen „wichtige soziale, ökologische und städtebauliche Funktionen“ [2] und erfreuen sich in vielen europäischen Ländern und auch in Deutschland großer Beliebtheit. Bundesweit existieren rund 1 Mio. Kleingärten. Über ihre tatsächliche Produktivität und den Ressourceneinsatz ist allerdings nur wenig bekannt. Diese Forschungslücke will ein internationales Forschungsteam schließen. Kleingarten Ernte und Produktion nach Sorten (kg/ Tag) (Gärtner*innen) Biodiversität (LWL und Gärtner*innen) Energie/ Transport (Strom, Kraftstoff, Dünger, Wegstrecken) (Gärtner*innen) Wasserverbrauch nach Quellen (l/ Tag) (Gärtner*innen) Boden und Düngung (Bodenprobe, LWL) Befragung zu Motivationen und Aktivitäten (ILS) Informationen zur gesamte Anlage (ILS und LWL) Erfassung der Ausstattung und Flächen (ILS)  Förderung: Gefördert durch die Joint Programm Initiative SUGI (Sustainable Urbanisation Global Initiative) von Urban Europe und dem Belmont Forum; kofinanziert von Horizon 2020 sowie beteiligten nationalen Forschungsförderagenturen (für Deutschland das Bundesministerium für Bildung und Forschung); Förderkennzeichen 01LF1801A  Dauer: 06/ 2018 - 12/ 2021  Leitung: Adam Mickiewicz University, Poznań (Polen)  Konsortium: 13 Projektpartner aus Wissenschaft (7), Städten (2), KMU (1) and Gartenorganisationen (3) aus Deutschland, Frankreich, Polen, Großbritannien und den USA Internet: www.fewmeter.org The FEW-meter - an integrative model to measure and improve urban agriculture, shifting it towards circular urban metabolism Bild 1: Arbeitsteilung bei der Datensammlung im FEW-Meter- Projekt. © ILS 83 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen 1. Die Gärtner*innen sammelten kleinteilig Daten zur produzierten Menge der einzelnen Obst- und Gemüsearten (in kg Tagesmenge) und zu den eingesetzten Wasserressourcen (in genauen Gießmengen und nach Wasserquellen). Zudem erfassten sie ihren Energieverbrauch an Strom, Dünger, Kraftstoffen und Wege-km im Zusammenhang mit dem Garten. Die Teilnehmer*innen probierten die Form der Datenerfassung aus und passten sie mit Unterstützung des ILS individuell an (ausgedruckte Tagebücher, Word-Formulare, Excel-Tabellen). Falls nicht vorhanden, erhielten die Gärtner*innen eine Waage und eine Wasseruhr. Für diese Aufgaben gab es eine intensive Betreuung durch das Forschungsteam und einen Berater des LWL. 2. Der Praxispartner (LWL) hat zusammen mit den Gärtner*innen die gesamte Pflanzenwelt im Garten erfasst, um den Beitrag der Kleingärten zur Biodiversität zu kartieren. Darüber hinaus hat der LWL in allen Gärten Bodenproben genommen und analysieren lassen und konnte so die Gärtner*innen mit Düngeempfehlungen beraten. 3. Der Forschungspartner (ILS) hat eine Befragung der Gärtner*innen zu ihren Motivationen, Konsumgewohnheiten und Aktivitäten im Garten durchgeführt, an der 15 Gärtner*innen aus elf Gärten teilnahmen. Darüber hinaus hat das ILS-Team kleinteilig alle Infrastrukturelemente in den Gärten flächen- und volumenbezogen erfasst und die verwendeten Materialien bestimmt. Diese Daten speisen eine Lebenszyklusanalyse (Life Cycle Assessment), welche Aufschluss über die in die Erntemengen „eingebaute“ Energie gibt. So wird zum Beispiel die Energiemenge für den Bau des Zauns um den Kleingarten gemäß seiner durchschnittlichen Lebenserwartung anteilig auf die geernteten Mengen umgelegt. Die so gewonnenen Daten wurden vom ILS in einer gemeinsamen Datenbank aller Fallstudien digitalisiert. Für das Jahr 2019 wurden so in den elf deutschen Gärten 550 Infrastrukturelemente erfasst und die Gärtner*innen haben mit ihren Gartentagebüchern über 4 200 Datensätze geliefert. Ergebnisse aus 2019 liegen umfassend vor und können hier nur beispielhaft angerissen werden. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Arbeitsteilung zwischen den Gärtner*innen, dem LWL und dem ILS für das FEW-Meter-Projekt unverzichtbar war, um eine derartige Datenmenge erheben zu können. Vielfalt statt Monokultur Im Mittel verfügen die an der Studie teilnehmenden Kleingärtner*innen über eine Gartenfläche von 543- m². Bei den größeren Gärten mit Flächen ab Gesamtfläche (m²) Anbaufläche (m²) Anteil Anbaufläche an Gesamtfläche DE01 441 131 30 % DE02 855 519 61 % DE03 400 100 25 % DE04 290 105 36 % DE05 851 266 31 % DE06 520 126 24 % DE07 550 197 36 % DE08 540 140 26 % DE09 423 183 43 % DE10 700 180 26 % DE11 400 125 31 % Mittelwert 543 188 33,6 % Tabelle 1: Flächenaufteilung in den beteiligten Kleingärten. © ILS Bild 2: Förderung des Artenreichtums durch Blühpflanzen. © ILS 700-m² handelt es sich in einem Fall um den Schulgarten der Landesschule des LWL, in zwei weiteren Fällen nutzen Gärtner*innen zwei zusammengelegte Parzellen. Im Durchschnitt wird entsprechend der Anforderungen im Bundeskleingartengesetz ein Drittel der Gesamtfläche produktiv - das heißt für den Anbau von Obst und Gemüse - genutzt (Tabelle- 1). Auf den übrigen Flächen befinden sich in der Regel ein Gartenhaus, Terrassen und Wege, Blumenbeete und Rasenflächen. In allen Gärten unterstützen die Gärtner*innen die Artenvielfalt durch eine Vielzahl von Blumenbeeten und -wiesen oder Blühsträuchern (Bild 2). In drei Gärten wird aktiv geimkert, darüber hinaus gibt es in vielen Gärten Schutzmaßnahmen für Bestäuber wie etwa Insektenhotels. Vogeltränken und -häuschen, Feuchtbiotope oder Teiche finden sich fast in allen Gärten. Auch bei den geernteten Nahrungsmitteln setzen die Gärtner*innen auf eine große Vielfalt an Obst- und Gemüsearten mit individuell deutlichen Unterschieden. Insgesamt wurden in den Gärten 121 verschiedene Arten Obst und Gemüse von Äpfeln bis Zucchini in jeweils unterschiedlichen Sorten angebaut. Auch dies stellt einen Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt dar. 84 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Ernte und Selbstversorgung Auf den Anbauflächen wurden im Jahr 2019 in allen elf Gärten zusammen fast drei Tonnen Obst und Gemüse geerntet. Beim Obst dominierten Äpfel, während beim Gemüse insgesamt Kürbis, Tomaten und Kartoffeln die größten Mengen ausmachten (Bild 3). Die Gesamtmenge der 2019 geernteten Lebensmittel variiert deutlich zwischen den Gärten. Im Durchschnitt betrug die Ernte im ganzen Jahr 268-kg, mit einer Varianz von 112 bis 805 kg (Bild 4). Nach eigenen Angaben deckten die Gärtner*innen damit einen Großteil ihres Haushaltsbedarfs an Obst und Gemüse. Sechs der befragten 15 Gärtner*innen versorgten sich sogar zu 100 % aus dem Garten. In Bezug auf die Produktivität haben die Gärtner*innen im Schnitt rund 1,5 kg/ m² Anbaufläche geerntet. Dabei erreichten zwei Gärten einen Bild 3: Erntemengen häufigster Obst- und Gemüsearten aller Gärten (2019); kumuliert in kg. © ILS Bild 4: Erntemengen pro Garten (2019); in kg. © ILS Bild 5: Wasserverbrauch (2019) in m³. © ILS 2 22 7 6 32 24 7 7 6 20 2 12 0 5 10 15 20 25 30 35 139 477 189 199 805 386 112 272 119 108 138 268 0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 Wert von über 3 kg/ m², während drei Gärten nur rund 0,6 kg/ m² Obst und Gemüse ernteten. Da in Kleingärten der biologische Anbau von Obst und Gemüse ohne Einsatz chemischer Dünger und Pestizide vorgeschrieben ist, können diese Werte am ehesten mit Daten zur Produktivität aus dem Bereich des Bioanbaus verglichen werden. Wasserverbrauch Auch hinsichtlich des Wasserverbrauchs gibt es deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Gärten (Bild 5). Sieben Gärten liegen deutlich unter dem Mittelwert von 12 m³ mit Verbräuchen zwischen 2 und 7 m³, während in vier Gärten deutlich überdurchschnittliche Verbrauchswerte von 20-bis 32 m³ vorliegen. Derart hohe Werte lassen sich nur teilweise durch eine entsprechend hohe Ernte erklären. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Gärtner*innen nicht nur die produktiven Beete, sondern auch Zierpflanzen gegossen haben oder das Wasser anderweitig genutzt haben (zum Beispiel für Planschbecken). Dennoch bleiben die Gründe für die immensen Unterschiede bislang unklar. Hier, sowie auch bei anderen Daten, wird der Vergleich mit den Ergebnissen aus der zweiten Wachstumsperiode in 2020 aufschlussreich sein. Nur etwa die Hälfte des genutzten Wassers stammt aus städtischem Leitungswasser; andere Quellen sind zu gleichen Teilen (also je 25 %) Grundwasser oder Regenwasser. Werden letztere Quellen überwiegend oder sogar vollständig genutzt, schlägt sich dies in einem geringeren Gesamtverbrauch nieder. Weitere hier nicht dargestellte Ergebnisse liegen zu eingesetzten Düngemitteln, Kompostverwendung und Transportwegen vor. Vielfältige Motivationen für das Gärtnern Kleingärten sind nicht nur Produktionsstätten für Obst und Gemüse, sie haben auch einen hohen Freizeitwert und bieten Raum für Begegnungen und soziale Interaktion. In der durchgeführten Befragung ging es vor allem darum, die Motivationen der Gärtner*innen für das Gärtnern sowie die Effekte zu erfassen, die das Gärtnern für sie hat. Offenbar fühlen sich die beteiligten Gärtner*innen sehr wohl in ihren Kleingärten, denn sie gaben an, durchschnittlich 25 Stunden pro Woche dort zu verbringen. Überraschend war, dass die Gärtner*innen nach eigenen Angaben im Durchschnitt 11,8 Stunden pro Woche aktiv gärtnern. Wir wollten daher wissen, welche Motivationen sie hierfür haben. Die befragten Gärtner*innen nannten ein Bündel an Motivationen (Bild 6). Der Aufenthalt im 509 139 119 92 40 33 31 15 12 10 280 257 220 134 101 98 64 51 43 37 35 33 32 32 26 25 22 20 20 20 0 100 200 300 400 500 600 Äpfel Pflaumen Birnen Kirschen Kiwi Erdbeeren Weintrauben Sauerkirschen Himbeeren Stachelbeeren Kürbis Tomaten Kartoffeln Zucchini Blattsalat Gurken Möhren Kohlrabi Grüne Bohnen Zwiebeln Rote Beete Mangold Wirsing Spargel Johannisbee… Paprika Radieschen Porree Rotkohl Aubergine Gesamterntemenge: 2.946 kg Obst Gemüse 85 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Freien, der Zugang zu frischem Gemüse, Obst und Kräutern sowie die Entspannung im Garten ist den Gärtner*innen am wichtigsten. Dagegen spielt die Motivation, durch den Garten Geld zu sparen, nur eine untergeordnete Rolle. Das ist bemerkenswert, da sich alle Gärtner während der Gartensaison teilweise bis vollständig mit Gemüse und Obst aus dem eigenen Garten versorgen, was sicherlich auch ein hoher ökonomischer Nutzen ist. Im laufenden Jahr 2020 konnte die Datensammlung trotz der Corona-Pandemie fast ohne Einschränkungen fortgesetzt werden, so dass keine Datenlücken zu erwarten sind. Im Gegenteil: Einige der Gärtner*innen berichteten, dass sie 2020 deutlich mehr Zeit im Garten verbracht haben und mehr Gemüse angebaut haben als zuvor. Während des Lock-Downs waren die Kleingartenanlagen im Bereich des LWL durchgängig für die Pächter*innen zugänglich und nutzbar. Der Kleingarten diente während der Pandemie als Rückzugsort im eingeschränkten Alltagsleben und als Urlaubsort gleichermaßen. Aus vielen Kleingartenanlagen wird als Ergebnis eine deutlich gesteigerte Nachfrage nach Gartenparzellen berichtet, so dass die teilweise schon vorhandenen Wartelisten noch länger geworden sind. Die deutschen Fallstudien und die beteiligten Gärtner*innen tragen zu einer weltweit einzigartigen Datenbank mit hohem Detailgrad über Erntemengen, Ressourcenverbrauch und weiteren Daten zu den verschiedenen Formen urbaner Landwirtschaft bei. Mit der Datenbank können die Beiträge urbaner Landwirtschaft zur Versorgung der Bevölkerung, aber auch die eingesetzten Ressourcen konkret beziffert werden. Die so gewonnen Daten können helfen, urbane Landwirtschaft aus der Marginalität herauszuholen, aber auch Optimierungsbedarfe aufzeigen. In der letzten Phase des Projekts werden die Daten dazu genutzt, Optimierungsmodellierungen durchzuführen, die in Verbindung mit einer Analyse der politischen Rahmenbedingungen Hinweise zur Steigerung der Ressourceneffizienz urbaner Landwirtschaft und ihrer Einbettung in städtische Energiesysteme liefern sollen. LITERATUR [1] Bell, S., Fox-Kämper, R., Keshavarz, N., Benson, M., Caputo, S., Noori, S., Voigt, A. (Hrsg.): Urban Allotment Gardens in Europe. New York, 2016. [2] Gerth, H., Buhtz, M., Marsch, S., Radtke, N., Theuer, J., Winter, T., Seebauer, M., Klimek, B.: Kleingärten im Wandel. Innovationen für verdichtete Räume. BBSR, Bonn, 2018. [3] Bonn, A., Richter, A., Vohland, K., Pettibone, L., Brandt, M., Feldmann, R., Hofer, H.: Grünbuch Citizen Science Strategie 2020 für Deutschland, 2017. [4] Dickinson, J. L., Shirk, J., Bonter, D., Bonney, R., Crain, R. L., Martin, J., Phillips, T., Purcell, K.: The current state of citizen science as a tool for ecological research and public engagement. Frontiers in Ecology and the Environment, 10 (6), (2012) p. 291 - 297. 0 2 4 6 8 10 12 14 16 Wissen weitergeben und mit anderen teilen Berufliche Fähigkeiten erwerben Geld sparen Die Möglichkeit haben, mit anderen Menschen zu interagieren Die Umwelt verbessern Die Art, wie Lebensmittel produziert werden, mit verändern Sich körperlich betätigen Neue Dinge Lernen Einen Beitrag zu meinem gesellschaftlichen Umfeld leisten Entspannen oder Lösen von Stress Sich an einer Aktivität beteiligen, die mir Spaß bereitet Zugang zu frischem Gemüse, Obst oder Kräutern haben Im Freien sein sehr wichtig wichtig neutral nicht so wichtig überhaupt nicht wichtig Bild 6: Motivationen für das Gärtnern (n = 15). © ILS Dipl.-Ing. Architektin Runrid Fox-Kämper Senior-Researcher ILS - Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH Kontakt: runrid.fox-kaemper@ils-forschung.de Dr. Kathrin Specht Agrarökonomin Wissenschaftliche Mitarbeiterin ILS - Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH Kontakt: Kathrin.specht@ils-forschung.de AUTORINNEN 86 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Städte brauchen Grün Immer mehr Menschen wohnen in Städten. Mehr Wohnraum wird benötigt und die Stadtquartiere entsprechend immer dichter bebaut. Umso wichtiger ist es, dass Städte auch ausreichend Grünflächen aufweisen - Grün in Form von Parks, Gärten, Blühstreifen, Alleen oder Wäldern. Denn diese Grünstrukturen erbringen vielfältige Ökosystemleistungen (ÖSL) 1 und tragen damit maßgeblich zur Sicherung der Lebensqualität der wachsenden Bevölkerung in Städten bei [2 - 4]. Schon heute leben etwa 77 % der Menschen in Deutschland in Städten; Prognosen zufolge steigt dieser Anteil weiter an [5]. Beim Bestreben, Städte trotz Wachstum und Nachverdichtung lebenswert zu gestalten, spielen die Sicherung und Förderung urbaner Grünflächen eine bedeutende Rolle. Denn diese erfüllen wertvolle Funktionen und haben positive Auswirkungen auf Menschen, die sie aktiv nutzen oder einfach „nur“ wahrnehmen. Urbanes Grün wirkt sich beispielsweise positiv auf das Stadtklima, die Gesundheit der Bevölkerung und auf die biologische Vielfalt aus; es dient als Ort der Naturerfahrung, der Entspannung und für soziale Interaktionen [2 - 4, 6 - 8]. Einer Umfrage der Deutschen Gartenamtsleiterkonferenz (GALK) 2013 zufolge sucht ein Drittel der Befragten Grün- und Parkanlagen täglich, die Hälfte einbis dreimal pro Woche auf [9]. Die jüngsten Ausgangs- 1 Bei Ökosystemleistungen handelt es sich um einen Nutzen, der von Ökosystemen wie Stadtparks ausgeht und vom Menschen in Anspruch genommen wird [1]. beschränkungen im Zusammenhang mit der COVID- 19-Pandemie im Frühjahr 2020 haben die Nachfrage nach Grünflächen in der Stadtbevölkerung verstärkt [10]. Auswertungen von Smartphone-basierten Bewegungsdaten in Oslo ergaben beispielsweise einen Anstieg von Aktivitäten im Freien um 291 % gegenüber dem 3-Jahres-Mittel für die gleichen Tage [11]. Mit voranschreitender Digitalisierung und der Zunahme der Arbeit im Homeoffice wird auch die Nachfrage nach urbanen Grünflächen weiter steigen - vor allem nach Grün in Wohnortnähe, um dort die Pausen verbringen zu können. Auch im Hinblick auf den Klimawandel und die steigende Hitzebelastung in Städten spielen schnell erreichbare Grünflächen in der Wohnumgebung eine immer größere Rolle. Durch einen Besuch dieser Bereiche kann die Stadtbevölkerung von den vielseitigen positiven Effekten des Grüns profitieren. Eine gute Grünerreichbarkeit ist besonders für sensible Gruppen wie Senior*innen und Familien mit Kindern wichtig [12]. Studien zeigen, dass außer einer guten Erreichbarkeit auch weitere Faktoren beeinflussen, ob und wie häufig öffentliche Grünflächen aufgesucht werden. Eine Rolle spielen unter anderem die Größe von Grünflächen sowie individuelle Ansprüche an ihre Qualitäten und Funktionen [8, 13, 14]. Für eine gerechte und nachhaltige Versorgung der Stadtbevölkerung mit Grün ist es notwendig, dass solche speziellen Anforderungen identifiziert und in der Stadtplanung berücksichtigt werden. Stadtgrün mit einer App (neu) entdecken Fußball spielen, Joggen oder einfach nur Entspannen? Mit der meinGrün-App finden alle eine passende Grünfläche. Stadtgrün, Digitalisierung, Partizipation, App, Location-based Services Patrycia Brzoska, Robert Hecht, Celina Stanley Stadtgrün erfüllt wichtige Funktionen für Mensch und Umwelt. Die Bevölkerung, aber auch Stadtverwaltungen sollten Grünflächen daher kennen. Sie sollten wissen, wo sie liegen, welche Qualitäten sie aufweisen und wie sie sich am besten erreichen lassen. Mit der Entwicklung einer digitalen Infrastruktur und der WebApp „meinGrün“ wird ein neuartiges Informationsangebot geschaffen. Dank der Nutzung offener Daten ist eine Übertragbarkeit auf andere Städte möglich. Doch welchen Mehrwert bringt die App für die Bevölkerung und welche Rolle können die gewonnenen Daten bei der Stadtentwicklung spielen? 87 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Fehlendes Wissen über Stadtgrün Damit Menschen von den positiven Effekten des Stadtgrüns profitieren können, sollten sie wissen, wo sie Grünflächen finden, wie diese ausgestattet sind und wie sie die grünen Areale am besten zu Fuß oder per Rad erreichen. Grundvoraussetzung dafür ist, dass entsprechende Informationen zu den Grünflächen und zu ihrer Erreichbarkeit zur Verfügung stehen. Mit diesen Informationen können Personen Grünflächen entsprechend ihrer individuellen Ansprüche suchen und über geeignete Wege erreichen. Bisher liegen solche Informationen in deutschen Städten nur vereinzelt vor. Mit gängigen Suchmaschinen und Kartendiensten lassen sich zwar beispielsweise „Parks“ finden, eine Suche nach bestimmten Ausstattungsmerkmalen (zum Beispiel: Bäume, schattige Orte, Spielplätze oder öffentliche Toiletten) ist bisher nicht möglich. Städtische Informationssysteme stellen diese Informationen bereits teilweise bereit, allerdings häufig begrenzt auf kommunale Flächen. Zu halböffentlichen Flächen, beispielsweise genossenschaftlichen Grünflächen an Wohnanlagen, geben diese Informationssysteme häufig keine Auskunft, obwohl die Flächen in der Regel allgemein zugänglich und nutzbar sind. Im Hinblick auf eine Stadtplanung, die eine nachhaltige und gerechte Grünversorgung der Bevölkerung berücksichtigt, sollten dafür genaue Informationen zum aktuellen, gesamtstädtischen Grünangebot sowie zum tatsächlichen Bedarf einbezogen werden. So ist neben der Ausstattung und Qualität von Grünflächen vor allem interessant, wie einzelne Grünflächen von den Menschen wahrgenommen und genutzt werden. Auf diese Weise lassen sich Defizite in der städtischen Grünversorgung aufzeigen. meinGrün − Mehr Informationen zu Grünflächen für alle Die oben genannten Punkte setzen eine breite Informationsbasis zum Stadtgrün voraus, die oftmals nicht gegeben ist. Eben dieser Informationslücke widmet sich das meinGrün-Projekt und verfolgt das Ziel, der Stadtbevölkerung, Stadtgästen, aber auch Stadtverwaltungen bessere Informationen zu Grünflächen in der Stadt zur Verfügung zu stellen. Dies erfolgt durch die Entwicklung und Bereitstellung einer digitalen Dienst-Infrastruktur sowie der App „meinGrün“, mit der ein neues interaktives Informationsangebot zu urbanen Grünflächen für die breite Öffentlichkeit geschaffen wird. Die Entwicklung und Erprobung der Dienste sowie der App erfolgen in den Pilotstädten Dresden und Heidelberg im Rahmen eines transdisziplinären Ansatzes. Die Stadtverwaltungen, aber auch die Bevölkerung beider Städte wurden über mehrere Befragungskampagnen und Mitmachaktionen zur Erfassung funktionaler Anforderungen sowie beim Testen der App frühzeitig in die Entwicklung eingebunden (s. Bild 1). Die Befragungen erbrachten unter anderem wichtige Hinweise darauf, welche Aktivitäten im Grünen besonders nachgefragt sind und wie die Grünflächen ausgestattet und beschaffen sein müssen, damit diesen Aktivitäten dort auch gut nachgegangen werden kann. Diese Aspekte fließen sowohl in die Entwicklung der Infrastruktur als auch die der meinGrün-App ein (s. Bild 1). Bei der Entwicklung werden diverse Geodaten verwendet und kombiniert verarbeitet (s. Bild 1). Um eine einfache Übertragbarkeit auf andere Städte zu gewährleisten, nutzt das Projektteam vor allem frei verfügbare Daten, wie etwa nutzergenerierte Daten aus OpenStreetMap (OSM), die freien Fernerkundungsdaten der Erdbeobachtungssatelliten Sentinel-2 des Copernicus-Programms oder Daten aus Social-Media-Netzwerken, wie Twitter, Instagram oder Flickr. Aus diesen Daten werden Informationen zur physischen Grünstruktur, zur Ausstattung sowie zur Nutzung/ Wahrnehmung der Grünflächen abgeleitet und für die App bereitgestellt. Dabei begibt sich das Projektteam auch auf neues methodisches Terrain, da für einige Fragestellungen neuartige Ansätze der Informations- und Wissensextraktion erprobt werden müssen. Bild 1: meinGrün- Konzept. © R. Hecht, IÖR-Media 88 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Mit der im Projekt entwickelten App „meinGrün“ sollen die Nutzenden ihren Bedürfnissen entsprechend angepasste Informationen zu nahegelegenen Grünflächen erhalten und somit in ihren Freizeit- und Erholungsaktivitäten durch innovative Informations- und Routingdienste unterstützt werden. Das leicht abrufbare Informationsangebot zu Grünflächen über eine Applikation soll dabei Anreize schaffen, die Alltagsmobilität beim Aufsuchen der Grünflächen nachhaltiger und gesundheitsfördernder zu gestalten. Der größte Anteil des motorisierten Verkehrsaufkommens in Städten ist dem Freizeitbereich zuzurechnen [15], zu dem auch Ausflüge ins Grüne zählen. Die meinGrün-App bietet ausschließlich Informationen zu Fuß- oder Fahrradrouten an. Fahrten ins Grüne mit dem PKW sollen so reduziert werden. Dies kann potenziell die Schadstoffbelastung der Luft sowie den Lärm in Städten reduzieren und das Verkehrssystem entlasten [16]. Zugleich unterstützt die meinGrün-App die Gesundheit und das Wohlbefinden der nutzenden Personen, indem sie Formen aktiver und passiver Erholung (Bewegung, Naturnähe, Ruhe) ebenso fördert wie soziale Interaktionen. Darüber hinaus könnten durch Auswertungen der App-Nutzungsdaten wissenschaftliche Studien zur Wahrnehmung und Nutzung von Grünstrukturen aus Sicht der Stadtbevölkerung unterstützt werden. Das meinGrün-Projekt trägt zu einer Verbesserung der Informationslage zur quantitativen und qualitativen Ausstattung von Grünflächen bei, da mit den automatisierten Ansätzen, aber auch mithilfe der Nutzenden Daten generiert werden, die für verschiedene Fachbereiche, wie Stadtplanung, Gesundheit, Verkehr, aber auch Soziales relevant sind und teilweise nicht vorliegen [17]. Diese ausführlichen Daten sowie Informationen werden den Pilotstädten in Form eines Webportals zur Verfügung gestellt. Sie können für kommunale Planungen und Entscheidungsprozesse verwendet werden und somit zu einer nachhaltigeren und gerechteren Planung von Grünflächen in den Städten führen. Damit tragen sie auch zur Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) der Vereinten Nationen bei, insbesondere zu Ziel 11 „Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig gestalten“. Ein Blick in die meinGrün-App Um die meinGrün-App einem möglichst breiten Kreis an Nutzenden zugänglich zu machen, wurde sie als Webanwendung (WebApp) umgesetzt. Sie kann somit einfach über den Browser aufgerufen und auf PCs, Tablets sowie Smartphones verwendet werden. Dadurch haben die Nutzenden die Möglichkeit, die App von zu Hause aus zu erkunden oder spontan unterwegs zu nutzen. In der meinGrün-App gibt es drei Wege, eine passende Grünfläche zu finden (s. Bild 2, Schritt A). Die Schnellsuche erlaubt die Recherche über frei wählbare Begriffe, wie etwa Aktivitäten, Grünflächen-Kriterien oder Grünflächennamen. Die zweite Möglichkeit ist die Suche nach Aktivitäten. Insgesamt stehen dafür 20 verschiedene Aktivitäten verteilt auf zwei Kategorien zur Auswahl: „Aktiv im Grünen“ (zum Beispiel: Joggen, Frisbee oder Tischtennis) und „Entspannt im Grünen“ (zum Beispiel: Lesen, Natur beobachten oder Sonnenbaden) (Schritt B). Um eine geeignete Grünfläche zu finden, können die Nutzenden hier auch entscheiden, wie wichtig ihnen bestimmte Ausstattungsmerkmale, etwa eine Wiese zum Fußball spielen, sind (Schritt C). Welche Kriterien eine Grünfläche erfüllen muss, um für eine bestimmte Aktivität infrage zu kommen, hatten die Befragungen im Vorfeld der App-Entwicklung gezeigt. Die dritte Suchoption ist die über die Auswahl bestimmter Kriterien, die eine Grünfläche erfüllen sollte. In den Kategorien „Ausstattung“, „Eigenschaften“, „Naturelemente“ und „Sportausstattung“ kann aus insgesamt 34 Kriterien gewählt werden. Die Kriterien lassen sich zudem beliebig kombinieren und gewichten (Schritt D). Die Suche berücksichtigt alle Grünflächen innerhalb des aktuell gewählten Kartenausschnitts, wobei die Trefferliste stets die maximal 20 am besten geeigneten Grünflächen samt Bewertung und Entfernung zum aktuellen Standort anzeigt (Schritt E). Nach Auswahl einer Grünfläche kann dahin zu Fuß Bild 2: Schritt für Schritt durch die meinGrün-App. © C. Stanley, IÖR 89 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen oder per Fahrrad navigiert werden. Der integrierte Routingdienst stellt hierfür die schnellste, grünste und leiseste Route unter Angabe von Dauer und Streckenlänge zur Auswahl (Schritt F). Stand und erste Erfahrungen Die meinGrün-App steht in den Pilotstädten Heidelberg und Dresden seit Juni 2020 zur Verfügung. Anders als geplant, fand der Launch der App aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht vor Ort in den Städten, sondern virtuell auf dem meinGrün-Blog (https: / / meingruen.org) statt. Für den App-Launch wurden ein kurzer Online-Werbespot produziert sowie verschiedene virtuelle Schnitzeljagden entwickelt. So konnten die Nutzenden die unterschiedlichen Funktionen der meinGrün-App auf spielerische Weise zu Fuß oder per Rad selbst erkunden. Seit dem Launch nutzen täglich im Schnitt 28- Personen die App (Beobachtungszeitraum 22. 6. - 30. 9.2020). Informationen zur App-Nutzung werden seit Mitte September erhoben. Sie zeigen, dass mit der meinGrün-App besonders häufig nach den Aktivitäten „zum Spielplatz gehen“, „Fußball spielen“, „Spazieren“ sowie „Entspannen“ gesucht wurde. Auch die Kriterien „Bäume“, „Bänke“, „Viel Grün“ sowie „Toiletten“ zählen zu den am häufigsten nachgefragten. Diese Informationen werden künftig auch den Stadtverwaltungen beider Pilotstädte zur Verfügung stehen. Sie können sie beispielsweise nutzen, um städtische Grünflächen nachfrageorientiert weiterzuentwickeln. Zudem erreicht das Projektteam Feedback der Nutzenden zu ihren Erfahrungen mit der App, welches zur Verbesserung der App aufgegriffen wird. Ausblick Das meinGrün-Projekt schafft Mehrwerte für Stadtbevölkerung und kommunale Verwaltungen. Dank der meinGrün-App erhalten die Nutzenden schnell und unkompliziert detaillierte Informationen zu Grünflächen in ihrer Stadt und in Wohnungsnähe (siehe Bild 3). Gleichzeitig fördern die neuen Routingoptionen sowie Möglichkeiten der Suche nach passenden Grünflächen in Standortnähe eine nachhaltige und gesunde Nahmobilität. Künftig könnte die App auch für den Bereich Umweltbildung erweitert werden und zum Beispiel zu den Leistungen und Werten von Stadtgrün informieren. Die durch meinGrün bereitgestellten Datengrundlagen und Informationen zu Grünflächen in der Stadt können in der Stadtplanung unterstützend verwendet werden. So erhalten Planer*innen beispielsweise zusätzliche Informationen zur Nutzung und Wahrnehmung von Grünflächen. Auf dieser Basis können Bild 3: Nutzeroberfläche der meinGrün-App. © R. Hecht, IÖR-Media Das Projekt meinGrün wird vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) im Rahmen der Forschungsinitiative mFUND gefördert (FKZ: 19F2073A). Zum Projektkonsortium gehören das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (Projektleitung; Indikatoren, Bewertung, Back-End-Dienste), das Deutsche Fernerkundungsdatenzentrum des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (Fernerkundung), das Institut für Kartographie der Technischen Universität Dresden (Social-Media-Datenanalyse und Visualisierung), das Heidelberg Institute for Geoinformation Technology der Universität Heidelberg (Routingalgorithmen), das Institut für Software-Entwicklung und EDV-Beratung in Karlsruhe (App-Entwicklung) sowie urbanista in Hamburg (Bürgerkommunikation/ -beteiligung) und Terra Concordia in Berlin (Baumkatasterdaten, Launch-Events). Bei der Entwicklung der meinGrün-WebApp kooperierte das Projektteam darüber hinaus eng mit den Verwaltungen der beiden Pilotstädte Dresden und Heidelberg. Sie standen nicht nur beratend zur Seite, sondern haben auch kommunale (Grünflächen-) Daten für das Projekt zur Verfügung gestellt. HINTERGRUND sie sehr detaillierte räumliche Defizitanalysen in Bezug auf die Grünversorgung durchführen. Die meinGrün-App könnte auf diese Weise wichtige Entscheidungsgrundlagen für Planungsprozesse liefern. Durch die Verwendung größtenteils offener Daten ergibt sich zudem eine gute Übertragbarkeit von meinGrün auf andere Städte. Auf diese Weise können weitere Städte von den Forschungs- und Entwicklungsergebnissen des Projektes profitieren. 90 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Durch das meinGrün-Projekt entstehen offene Dienste, die losgelöst von der App genutzt werden können. So wird beispielsweise der entwickelte Routingdienst für „grüne“, „leise“ und demnächst „schattige“ Wege auch unabhängig nutzbar sein und in eigenen Applikationen eingebunden werden können. Die Daten, Dienste sowie eine finale Version der meinGrün-App werden zum Ende des Projektes im Sommer 2021 frei verfügbar sein. Projekt-Homepage: meingruen.ioer.info meinGrün-Blog: https: / / meingruen.org meinGrün-App: https: / / app.meingruen.org/ LITERATUR [1] Grunewald, K., Bastian, O.: Ökosystemdienstleistungen (ÖSD) - mehr als ein Modewort? In: Grunewald, K., Bastian, O. (Hrsg.): Ökosystemdienstleistungen. Konzept, Methoden und Fallbeispiele. Springer Spektrum, Berlin, Heidelberg, (2013) S. 1 - 11. [2] Menke, P.: Grüne Infrastruktur. In: Standort, 40 (2) (2016) S. 117 - 122. [3] Bolund, P., Hunhammar, S.: Ecosystem services in urban areas. Ecological Economics 29 (2), (1999) S.-293 - 301. [4] Gómez-Baggethun, E., Gren, Å., Barton, D. N., Langemeyer, J., McPhearson, T., O’farrell, P., Andersson, E., Hamstead, Z., Kremer, P.: Urban ecosystem services. In: Elmqvist, T. et al.: Urbanization, biodiversity and ecosystem services: Challenges and opportunities. Springer, Dordrecht. (2013) S. 175 - 251. [5] Statista: Urbanisierungsgrad: Anteil der Stadtbewohner an der Gesamtbevölkerung in Deutschland in den Jahren von 2000 bis 2019. (2020) https: / / de.statista. com/ statistik/ daten/ studie/ 662560/ umfrage/ urbanisierung-in-deutschland/ #professional (abgerufen am 14 .10. 2020). [6] Grunewald, K., Li, J., Xie, G., Kümper-Schlake, L. (Hrsg.): Towards green cities: Urban biodiversity and ecosystem services in China and Germany. Cham: Springer International Publishing, 2018. [7] Haase, D.: Was leisten Stadtökosysteme für die Menschen in der Stadt? In: Breuste, J., Pauleit, S., Haase, D., Sauerwein, M.: Stadtökosysteme. Funktion, Management und Entwicklung. Springer Spektrum, Berlin, Heidelberg, 2016, S.129 - 163. [8] Tost, H., Reichert, M., Braun, U., Reinhard, I., Peters, R., Lautenbach, S., Hoell, A., Schwarz, E., Ebner-Priemer, U., Zipf, A., Meyer-Lindenberg, A.: Neural correlates of individual differences in affective benefit of real-life urban green space exposure. Nature Neuroscience 22, (2019) S. 1389 - 1393. [9] BMUB: Grün in der Stadt − Für eine lebenswerte Zukunft. Grünbuch Stadtgrün, 2015. https: / / www.bbsr. bund.de/ BBSR / DE/ veroeffentlichungen/ ministerien/ bmub/ verschiedene-themen/ 2015/ gruenbuch- 2015-dl.pdf ? _ _blob=publicationFile&v=2 (abgerufen am 14. 10. 2020). [10] Kleinschroth, F., Kowarik, I.: COVID-19 crisis demonstrates the urgent need for urban greenspaces. Frontiers in Ecology and the Environment 18 (6), (2020) S.-318 - 319. [11] Venter, Z., Barton, D., Gundersen, V., Figari, H., Nowell, M.: Urban nature in a time of crisis: Recreational use of green space increases during the COVID-19 outbreak in Oslo, Norway. Environmental Research Letters 15, (2020) S. 104075. [12] Grunewald, K., Richter, B., Meinel, G., Herold, H., Syrbe, R.-U.: Proposal of indicators regarding the provision and accessibility of green spaces for assessing the ecosystem service „recreation in the city“ in Germany. International Journal of Biodiversity Science, Ecosystem Services & Management 13 (2), (2017) S.-26 - 39. [13] Schipperijn, J., Stigsdotter, U.K., Randrup, T.B., Troelsen, J.: Influences on the use of urban green space - A case study in Odense, Denmark. Urban Forestry & Urban Greening 9, (2010) S. 25 - 32. [14] Tyrväinena, L., Mäkinen, J., Schipperijn, J.: Tools for mapping social values of urban woodlands and other green areas. Landscape and Urban Planning 79 (1). (2007) S. 5 - 19. [15] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Verkehr in Zahlen 2019/ 2020. 48. Jahrgang, 2020. https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Publikationen/ G/ verkehr-in-zahlen-2019-pdf.pdf ? _ _ blob=publicationFile (abgerufen am 21. 10. 2020) [16] Kelpin, R., Giesel, F., Heinrichs, M.: STREETLIFE field trials - from pilot sites solutions to emission saving potentials. ITS2016, 6. - 9. Juni 2016, Glasgow, Schottland. [17] Krellenberg, K., Artmann, M., Hecht, R., Stanley, C.: Wissen zum Stadtgrün durch neue Datenzugänge verbessern. In: Meinel, G., Schumacher, U., Behnisch, M., Krüger, T. (Hrsg.): Flächennutzungsmonitoring XI. Flächenmanagement - Bodenversiegelung - Stadtgrün. Berlin: Rhombos, IÖR Schriften 77, (2019) S. 237 - 241. Patrycia Brzoska, M. Sc. Projektkoordinatorin FB Monitoring der Siedlungs- und Freiraumentwicklung Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung e. V. Kontakt: p.brzoska@ioer.de Dr.-Ing. Robert Hecht Projektleiter FB Monitoring der Siedlungs- und Freiraumentwicklung Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung e. V., Kontakt: r.hecht@ioer.de Celina Stanley, M. Sc. wissenschaftliche Mitarbeiterin FB Wandel und Management von Landschaften Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung e. V. Kontakt: c.stanley@ioer.de AUTOR*INNEN 91 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Ressourcen Während es sich beim D-Raintank 3000 ® um einen unterirdischen Speicher handelt, in dem Regenwasser gesammelt und anschließend nach und nach in den Untergrund entlassen wird, eignet sich die KS-Bluebox ® nicht nur für die Rückhaltung von Regenwasser, sondern - mit Blick auf eine spätere Entnahme und Nutzung - auch für eine dauerhafte Speicherung. Das machten sich die Kleingärtner Magdalena Nickl und Vincent Kalnin in München zunutze: Auf ihrer Parzelle beim Kleingartenverein Süd-West 25 Neuhofen-Tal sorgt der Einbau einer KS-Bluebox ® mit einem Speichervolumen von rund 2 m 3 zukünftig dafür, dass Sträucher, Blumen und Gemüse das ganze Jahr über ausreichend mit Wasser versorgt werden können. Kleingärten in deutschen Städten haben meistens Parzellengrößen zwischen 250 und 350- m 2 . Das ist nicht viel, wenn man etwas anpflanzen und außerdem den Garten zur Erholung nutzen möchte. Zur Bewässerung der Pflanzen werden üblicherweise Regentonnen eingesetzt. Der Platzbedarf einer Regentonne mit 200 Liter Inhalt liegt bei ewa 1 m 2 und die Kosten betragen - je nach Ausführung - durchaus bis zu 100 Euro oder Immer genug Wasser für Sträucher, Blumen und Gemüse Regenwassermanagement im Kleingarten mit der KS-Bluebox ® Mit Produkten wie dem D-Raintank 3000 ® , der D-Raintank 3000 smallbox ® oder der KS-Bluebox ® bietet die Funke Kunststoffe GmbH zukunftsweisende Lösungen, mit denen sich Regenwassermanagement effektiv, wirtschaftlich und nachhaltig umsetzen lässt - und das auch im Kleingartenbereich. Bild 4: Magdalena Nickl und Vincent Kalnin freuen sich über das Ergebnis und immer ausreichend Wasser im Garten: Nach dem Einbau haben sie die KS-Bluebox ® mit einem Pflanzbeet überdeckt. © Funke Kunststoffe GmbH Bild 1: Eine typische Kleingartenparzelle mit rund 280 m 2 Grundfläche. © Funke Kunststoffe GmbH/ Gerhard Blaasch Bild 3: Einbau der KS-Bluebox ® . © Funke Kunststoffe GmbH Bild 2: Ein altes Kellergewölbe bot ausreichend Platz für den Einbau einer KS-Bluebox ® . © Funke Kunststoffe GmbH 92 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Ressourcen Impressum Transforming Cities erscheint im 5. Jahrgang Herausgeber Eberhard Buhl, M.A. Verlag Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl | Christine Ziegler Schliffkopfstr. 22, D-72270 Baiersbronn-Buhlbach Tel. +49 7449 91386.36 · Fax +49 7449 91386.37 office@trialog.de · www.trialog.de Redaktionsleitung Dipl.-Ing. arch. Christine Ziegler VDI (verantwortlich) Tel: +49 7449 91386.43 Fax: +49 7449 91386.37 christine.ziegler@transforming-cities.de Anzeigen Tel. +49 7449 91386.46 Fax +49 7449 91386.37 anzeigen@trialog.de Gültige Anzeigenpreisliste Nr. 5 vom 01.01.2020 Vertrieb und Abonnentenservice Tel. +49 7449 91386.39 Fax +49 7449 91386.37 vertrieb@trialog.de Erscheinungsweise Viermal im Jahr Bezugsbedingungen Die Bestellung des Abonnements gilt zunächst für die Dauer des vereinbarten Zeitraumes (Vertragsdauer). Eine Kündigung des Abonnementvertrages ist zum Ende des Berechnungszeitraumes schriftlich möglich. Erfolgt die Kündigung nicht rechtzeitig, verlängert sich der Vertrag und kann dann zum Ende des neuen Berechnungszeitraumes schriftlich gekündigt werden. Bei Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages, bei Arbeitskampf oder in Fällen höherer Gewalt besteht kein Entschädigungsanspruch. Zustellmängel sind dem Verlag unverzüglich zu melden. Es ist untersagt, die Inhalte digital zu vervielfältigen oder an Dritte weiterzugeben, sofern nicht ausdrücklich vereinbart. Bezugsgebühren JahresAbo Print: gedruckte Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 120,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 11,90, Ausland EUR 25,-) JahresAbo ePaper: elektronische Web-Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 115,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), ohne Versandkosten JahresAbo Plus (Print + ePaper): als gedruckte Ausgabe + elektronische Web-Ausgabe + Archiv zum Jahresbezugspreis von EUR 157,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 11,90 , Ausland EUR 25,-) StudiAbo ePaper: elektronische Web-Ausgabe. Reduzierter Jahresbezugspreis von EUR 76,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.). Eine aktuelle Studienbescheinigung ist Voraussetzung. Einzelheft Print: gedruckte Ausgabe zum Einzelbezugspreis von EUR 35,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 3,-, Ausland EUR 6,50) Einzelausgabe ePaper: elektronische Web- Ausgabe zum Einzelbezugspreis von EUR 35,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), ohne Versandkosten Campus- und Firmenlizenzen auf Anfrage Organ | Medienpartnerschaft VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld Druck QUBUS media GmbH, Hannover Herstellung Trialog, Baiersbronn-Buhlbach, www.trialog.de Titelbild Man pouring vegetables in pail. © Elevate on unsplash Copyright Vervielfältigungen durch Druck und Schrift sowie auf elektronischem Wege, auch auszugsweise, sind verboten und bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Abbildungen übernimmt der Verlag keine Haftung. Eine Publikation der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Baiersbronn-Buhlbach ISSN 2366-7281 (print) www.trialog.de/ agb mehr. Da der Regen nicht kontinuierlich fällt, man das Wasser in trockeneren Zeiten aber täglich benötigt, ist die Vorhaltung von mindestens drei Regentonnen zu empfehlen. Nur so kann der Gärtner Wasserkosten einsparen und gleichzeitig etwas Positives für die Umwelt tun. Brachfläche sinnvoll genutzt Das war auch der Ansatz von Magdalena Nickl und Vincent Kalnin in München: Von einem befreundeten Kleingärtner auf die Produkte von Funke aufmerksam gemacht, bauten sie in einen brachliegenden alten Keller aus Betonwänden eine KS-Bluebox ® mit einem Fassungsvermögen von rund 2 m 3 ein. Sie besteht aus jeweils sechs Elementen des D-Raintank 3000 ® (60 x 60 x 60 cm) sowie der D-Raintank 3000 smallbox ® (60 x 60 x 30 cm) und wurde werkseitig mit Kunststoff ummantelt. Die Vorteile beim Einsatz der KS-Bluebox ® sind vielfältig: KS- Bluebox ® -Elemente können nach den Wünschen der Kunden individuell gefertigt werden. Eine Ausführung in unterschiedlichen Längen und Breiten ist möglich. Durch die mögliche Kombination mit den D-Raintank 3000 smallbox ® Elementen (H = 330 mm) können unterschiedliche Aufbauhöhen realisiert werden. Die realisierbare Größe richtet sich letztendlich nach den Ladekapazitäten der Transportfahrzeuge. Allerdings können verschiedene KS-Bluebox ® -Elemente an der Einbaustelle in Modulbauweise miteinander verbunden werden. Diverse Anschlussmöglichkeiten sorgen für große Flexibilität, das leichte Gewicht macht die Handhabung an der Einbaustelle einfach. Platz gespart Nach dem Einbau der KS-Bluebox ® mit ihrem Fassungsvermögen von rund 2 000 Litern stehen jetzt das ganze Jahr über genügend Wasserreserven zur Verfügung, um den rund 280 m 2 großen Kleingarten zu bewässern. Zum Vergleich: Um diese Menge an Niederschlagswasser bereitzustellen, hätten alternativ etwa 10 Regentonnen aufgestellt werden müssen - ein für einen Kleingarten nicht unerheblicher Platzbedarf, der mit dem Einbau der KS-Bluebox entfällt. Der Platz kann nun als Pflanzfläche oder zur Erholung genutzt werden. Funke Kunststoffe GmbH Siegenbeckstr. 15 Industriegebiet Uentrop Ost 59071 Hamm-Uentrop info@funkegruppe.de www.funkegruppe.de Bild 5: Die KS-Bluebox ® besteht aus werkseitig kunststoffummantelten D-Raintank 3000 ® -Elementen und dient der Rückhaltung, Speicherung und Nutzung von Regenwasser. © Funke Kunststoffe GmbH Lehren aus der Pandemie Am 5. März 2021 erscheint die nächste Ausgabe von Transforming Cities mit dem Themenschwerpunkt  Gesundheitsschutz  Digitalisierung  Daseinsvorsorge  Energie- und Wasserversorgung  Resiliente Infrastrukturen  Neue Arbeitsformen  Sicher mobil in der Stadt  Freiräume