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Resilienz: Wie Städte künftig Krisen besser bewältigen können Corona | Verhäuslichung | Grüne Infrastruktur | Freiraum | Neue Arbeitswelten | Smart Cities | Mobilität | 1 · 2021 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Lehren aus der Pandemie All you can read Alles zusammen zum Superpreis: Die Papierausgabe in hochwertigem Druck, das ePaper zum Blättern am Bildschirm und auf dem Smartphone, dazu alle bisher erschienenen Ausgaben im elektronischen Archiv - so haben Sie Ihre Fachzeitschrift für den urbanen Wandel immer und überall griffbereit. AboPlus: Print + ePaper + Archiv www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren Trialog Publishers Verlagsgesellschaft | Baiersbronn | service@trialog.de 1 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, Eine Erkenntnis aus der Pandemie lässt sich schon jetzt ziehen: Wir waren auf eine solche Situation nicht gut vorbereitet. Ich korrigiere mich: Wir wurden überrumpelt. Sieht so aus, als würde fast alles, was unseren modernen Lebensstil ausmacht, durch ein Virus infrage gestellt. Durch ein Virus - echt jetzt? Ja, die Zeiten sind schwierig. Doch sind wir tatsächlich bloß kalt erwischt worden? War vor Corona alles im Grünen Bereich? - Nein, war es nicht! Prokrastination, so nennen Psychologen das Verhalten, notwendige Aufgaben nicht zu erledigen, sondern immer wieder aufzuschieben - bis der Druck übermächtig wird und es so gar keinen anderen Ausweg mehr gibt, als zu handeln. Obwohl Krisenszenarien zu möglichen Pandemien längst ausgearbeitet auf dem Tisch lagen, hat das vor Corona kaum jemanden ernsthaft interessiert. Vorsorge ist ja erst mal nicht wirtschaftlich. Und so lange noch nichts passiert ist, sind die gewohnten Verhaltensweisen so schön einfach und bequem. Statt uns auf vorhersehbare (meist menschengemachte) Krisen einzustellen - etwa die Auswirkungen des Klimawandels--, schien das Vertrauen darauf, dass es der freie Markt schon irgendwie richten wird, nahezu grenzenlos. Im Ergebnis zeigt sich nun, dass der Zwang zur Ökonomisierung in vielen Lebensbereichen zwar einige Leute sehr viel reicher gemacht, die Strukturen des Sozialstaats aber erheblich geschwächt und dabei seltsame kommerzielle Blüten getrieben hat. Solches Wirtschaften bringt letztlich keine reale Wertschöpfung, sondern schadet auf Dauer dem Gemeinwohl, beispielsweise • wenn Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge (wie das Gesundheitswesen) statt für die Bürger da zu sein, Renditen abwerfen müssen, • wenn es Gewinne verspricht, mit Verschmutzungsrechten zu handeln, statt den CO 2 -Ausstoß tatsächlich zu reduzieren, • wenn Wohnen in Städten und deren Umland zum Luxus wird, • wenn der Urlaubs- und Freizeitverkehr mit rund 40 % den größten Anteil am Personenverkehrsaufwand in Deutschland hat und • wenn der Bitcoin-Handel so viel Elektrizität verbraucht wie ganz Norwegen. Die Corona-Krise hat in aller Deutlichkeit gezeigt, wie verletzlich unsere Zivilisation trotz aller moderner Errungenschaften ist. In der vorliegenden Ausgabe ziehen unsere Autoren ein Resumée und versuchen gleichzeitig einen Ausblick darauf, wie urbane Strukturen, Leben und Arbeiten in Städten nachhaltig gestärkt werden könnten. Lesen Sie selbst Ihre Christine Ziegler Redaktionsleitung „Transforming Cities“ Lehren aus der Pandemie 2 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES INHALT 1 · 2021 PRAXIS + PROJEKTE Energie 4 Wunsiedel: Grüner Wasserstoff spart 98 % CO 2 ein Andreas Schmuderer Mobilität 6 Mit Mut und Weitsicht aus der Krise Schlüssel zur Steigerung der Fahrgastzahlen im ÖPNV ist Sicherheit Farid Fambar Infrastruktur 8 Da bleibt nichts verborgen Ravensburger Klärwerk setzt auf das IRMA-System Hans-Jürgen Fiene 12 Qualität ist viel wert Kanalneubau mit bergmännischem Stollenvortrieb im Musikerviertel in Bonn 14 Unterirdisch gute Lösung für die Entwässerung D-Raintank 3000 ® für Neubaugebiet in Sasbach Stadtraum 16 Dach- und Fassadenbegrünung BuGG-Marktreport Gebäudegrün 2020 für Deutschland: Zahlen zum Markt und Informationen zu Förderungen Gunter Mann, Rebecca Gohlke 20 Stadtbäume schützen und das urbane Mikroklima verbessern Wurzelkammersystem Wavin TreeTank - ein Winwin für Mensch und Baum THEMA Lehren aus der Pandemie 22 Urbane grüne Infrastruktur in und nach der Pandemie Fabian Dosch, Stephanie Haury 29 Urbaner Wandel - die Stadt nach Corona Grünräume fördern öffentliche Gesundheit Herbert Dreiseitl 34 Pandemie als Prüfstein für das Freiraumsystem Leipzigs urbane und private Freiräume während des Lockdowns Maéva Baudoin, Jenny Kunhardt, Leonie Steinbricker, Felix zur Lage 40 Verhäuslichung Zum Verlust von Sozialkontakten und Handlungsräumen Antje Flade 44 Corona und neue Arbeitswelten Nachhaltige Veränderungen für urbane Strukturen? Rahild Neuburger Seite 12 Seite Seite 20 20 Seite 29 © Güteschutz Kanalbau © Wavin GmbH © Wavin GmbH © Herbert Dreiseitl © Herbert Dreiseitl 3 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES INHALT 1 · 2021 50 Wie Krisenkommunikation via Soziale Medien in Zeiten der Corona-Pandemie gelingen kann Hinweise und Handlungsempfehlungen für Kommunen, Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) aus dem Projekt POSITIV Fatma Cetin, Rebecca Nell, Alisa Schofer 56 Smart City: Chancen und Herausforderungen für die kommunale Infrastruktur Corinna Hilbig, Oliver Rottmann 61 Auswirkungen von Covid-19 auf den Status quo der urbanen Mobilität Maßnahmen des öffentlichen Sektors zur Anpassung städtischer Mobilitätssysteme Philipp Riegebauer 66 Mobilität im Stadtgebiet Gewinner und Verlierer in Zeiten der Pandemie und danach Andreas Krämer, Robert Bongaerts 72 Erfolgreiche Wertschöpfung mit urbaner Mobilität Datengetriebene Geschäftsmodelle im Kontext intelligenter Verkehrssysteme Pablo Guillen, Andreas Mitschele FORUM Mobilität 78 Das EcoMobileum Erlebniswelt für eine neue Mobilitätskultur Oliver Schwedes, Konrad Otto-Zimmermann PRODUKTE + LÖSUNGEN Kommunikation 83 Covid-Prävention in Smart Buildings Mit zenon das Infektionsrisiko senken 84 Impressum Seite 40 Seite 50 © Antje Flade Seite 61 © TheOtherKev auf Pixabay © Daria Nepriakhina on Unsplash 4 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Mit dem „Klimaschutzplan 2050“ 1 hat sich die deutsche Bundesregierung ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Bis zum Jahr 2050 soll Deutschland weitgehend treibhausgasneutral werden. Um dies zu erreichen, sind alle Energie verbrauchenden Sektoren wie Verkehr oder Industrie gleichermaßen gefordert, ihren Ausstoß an klimaschädlichem Kohlendioxid (CO 2 ) sukzessive zu reduzieren. Grüner Wasserstoff als Energieträger der Zukunft Im Zuge der angestrebten Dekarbonisierung spielt Wasserstoff (H 2 ) als Energieträger der Zukunft eine Schlüsselrolle: Er kann klimaneutral aus regenerativen Quellen wie Photovoltaik 1 https: / / www.bmu.de/ themen/ klimaenergie/ klimaschutz/ nationale-klimapolitik/ klimaschutzplan-2050/ (PV) und Windkraft hergestellt werden. Damit bietet das Gas die Möglichkeit, große Energiemengen zu speichern und zu transportieren. Das ist besonders dann sinnvoll, wenn - etwa an sonnigen und windreichen Tagen - zeitweise mehr Strom aus Erneuerbaren zur Verfügung steht, als gerade benötigt wird. Die Anwendungsmöglichkeiten von klimaneutral erzeugtem „grünem“ Wasserstoff als Energieträger sind dabei ebenso breit gefächert wie bei konventionell produziertem - nur eben mit einer sehr viel besseren Umweltbilanz. Ob Raffinerien, Metallurgie, Stahlproduktion, Chemieindustrie oder Chipherstellung - in der Industrie ist das Gas in vielen Prozessen unentbehrlich. Im Verkehrssektor kann Wasserstoff darüber hinaus als emissionsfreier Treibstoff dienen - und das nicht nur bei Autos mit Brennstoffzelle. Inzwischen sind auch Busse und sogar Züge im Nahverkehr mit Wasserstoff unterwegs. Und auch für den Schwerlast-, Schiffs- und Flugverkehr ist der Einsatz von klimaneutral produziertem Wasserstoff oder auf Basis von Wasserstoff erzeugter synthetischer Treibstoffe in Zukunft eine denkbare Alternative. Besonders klimafreundlich ist eine dezentrale Wasserstofferzeugung vor Ort. Denn damit reduzieren sich zum einen die Transportwege zu den Verbrauchsstellen. Der „grün“ erzeugte Wasserstoff kann sogar direkt über eine Wasserstofftankstelle für Endkunden zur Verfügung gestellt werden. Wunsiedel: Grüner Wasserstoff spart 98 % CO 2 ein Andreas Schmuderer Bis 2050 möchte Deutschland klimaneutral werden. Aus erneuerbaren Energien hergestellter „grüner“ Wasserstoff wird auf dem Weg dorthin eine wichtige Rolle spielen. Ein aktuelles Projekt, das Siemens gemeinsam mit regionalen Technologiepartnern derzeit im nordbayerischen Wunsiedel umsetzt, zeigt, wie die intelligente Erzeugung und Nutzung des neuen Energieträgers in der Praxis aussehen kann. Wunsiedel Bioenergie- und Pelletswerk. © Siemens 5 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Regionale Wasserstoff- Erzeugung in Wunsiedel im Fichtelgebirge Vor diesem Hintergrund entsteht derzeit im nordbayerischen Wunsiedel im Fichtelgebirge eine wegweisende Anlage zur klimaneutralen Erzeugung von Wasserstoff. Mit einer elektrischen Anschlussleistung von 6- MW in der ersten Ausbaustufe ist sie eine der größten ihrer Art und hat damit Modellcharakter für ganz Deutschland. Die geplante Wasserstoff-Erzeugungsanlage wird dazu dienen, die vorhandene erneuerbare Energie in ein speicherbares Medium umzuwandeln und für verschiedene Anwendungen in Mobilität und Industrie verfügbar zu machen. Gleichzeitig entsteht für die Region Nordbayern eine neue „Wasserstoff-Quelle“. Bisher muss das Gas für Endkunden über relativ lange Transportwege angeliefert werden. In Zukunft wird der Wasserstoff dann in Wunsiedel für die lokale Distribution in Druckgasbehälter abgefüllt und über LKW-Trailer an lokale und regionale Endkunden geliefert. Darüber hinaus hilft die Anlage dabei, Netzengpässe zu entschärfen sowie Flexibilität für das Stromnetz bereitzustellen. Optional kann am Standort eine öffentliche Wasserstoffbetankungseinrichtung für LKW und Busse errichtet werden. Auftraggeber der Anlage ist die eigens gegründete WUN H2 GmbH, zu der sich im September 2020 Siemens Project Ventures, der örtliche Energieversorger SWW Wunsiedel GmbH sowie die Firma Rießner Gase aus Lichtenfels im Rahmen der Vertragsunterschrift eingefunden haben. Generalunternehmer ist Siemens Smart Infrastructure. Ende 2021 soll die errichtete Anlage ihren Betrieb aufnehmen. Sie wird dann in der ersten Ausbauphase einen Wasserstoffbedarf von über 900 t pro Jahr decken können. Im Vollausbau sind später mehr als 2 000 t möglich. Die Anlage entsteht am Wunsiedler Energiepark in unmittelbarer Nähe zu einem bereits aktiven Batteriespeicher von Siemens und ergänzt das zukunftsweisende Energiekonzept, das dort umgesetzt wird: Im Rahmen einer so genannten Grid Edge- Lösung sollen perspektivisch Konsumenten, Prosumenten und das intelligente Stromnetz in einem neuartigen Energiesystem miteinander interagieren. Die am Energiepark vorhandenen Assets sowie die zu errichtende Wasserstoffanlage werden über das cloudbasierte, offene IoT-Betriebssystem von Siemens MindSphere aggregiert. PEM-Elektrolyseverfahren Konkret wird der Wasserstoff durch die Elektrolyse von Wasser hergestellt. Die für diesen Prozess erforderliche Energie liefert der aus PV- und Windkraftanlagen bereitgestellte Strom. Als sogenannter Elektrolyseur wird in Wunsiedel ein Silyzer-300 von Siemens Energy eingesetzt. Dieses Modell zeichnet sich durch einen hohen Wirkungsgrad bei hohen Leistungsdichten sowie durch einen wartungsarmen, zuverlässigen und chemikalienfreien Betrieb aus. Er arbeitet mit dem PEM-Elektrolyseverfahren. Hierbei wird Wasser durch elektrischen Strom in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Der Name PEM ist abgeleitet von der protonenleitenden Membran, der sogenannten Proton-Exchange-Membrane. Sie ist durchlässig für Protonen, aber nicht für Gase wie Wasserstoff oder Sauerstoff. Damit übernimmt sie in einem elektrolytischen Prozess unter anderem die Funktion des Separators, der die Vermischung der Produktgase verhindert. Im Vergleich zur traditionellen Alkali-Elektrolyse ist die PEM-Technologie ideal geeignet, um fluktuierenden Wind- und Solarstrom aufzunehmen, da eine hoch dynamische Betriebsweise möglich ist. Als Besonderheit werden in Wunsiedel auch der bei der Wasserstoff-Erzeugung anfallende Sauerstoff sowie die Niedertemperaturabwärme erstmalig in nahegelegenen Industriebetrieben weiter genutzt. Da somit alle Medienströme einer Verwendung zugeführt werden, zeigt die Anlage eine einzigartige Gesamt- Energieeffizienz. Realisierte CO 2 -Einsparungen Die in Wunsiedel entstehende Anlage zur CO 2 -freien Erzeugung von grünem Wasserstoff ist ein Zukunftsmodell für die sektorübergreifende Nutzung erneuerbarer Energien: In Zahlen werden im späteren Praxisbetrieb für den Bedarf von zunächst 640- t Wasserstoff 5 350- t CO 2 pro Jahr eingespart. Das größte Einsparpotenzial bietet dabei die Umstellung des Wasserstoffherstellungsprozesses. Der derzeitig benötigte Wasserstoff in der Region wird durch eine Erdgasdampfreformierung erzeugt. Dabei werden 5 000- t CO 2 freigesetzt. Zusätzlich fallen durch den Transport aus den bisherigen, bis zu 280 km entfernten Wasserstoffquellen weitere 350-t CO 2 pro Jahr an. Die Umstellung bedeutet somit eine Einsparung von rund 98 % CO 2 pro Jahr. Andreas Schmuderer Head of Consulting Distributed Energy Systems Siemens Smart Infrastructure andreas.schmuderer@siemens.com AUTOR 6 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Starker Nutzungsrückgang seit Corona-Pandemie Der Rückgang der Fahrgastzahlen lässt sich zum einen auf die Angst vor einer Ansteckung zurückführen. Zum anderen auf die zumindest zu Beginn der Pandemie geäußerten Empfehlungen aus der Politik, den öffentlichen Personennahverkehr zu meiden und auf den Individualverkehr umzusteigen. Hinzu kommen Faktoren wie die Möglichkeit zum Homeoffice oder der Wegfall von Veranstaltungen. Während des sogenannten Lockdowns im Frühjahr 2020 ging die Mobilität in Deutschland dann auch innerhalb einer Woche um 40 % gegenüber dem Vorjahr zurück. Viele Verkehrsbetriebe reagierten da- Mit Mut und Weitsicht aus der Krise Schlüssel zur Steigerung der Fahrgastzahlen im ÖPNV ist Sicherheit Farid Fambar Die Corona-Pandemie beeinflusst seit ihrem Ausbruch weltweit alle Branchen - die meisten davon negativ. Auch der öffentliche Personennahverkehr ist betroffen und hat einen großen Rückgang der Fahrgastzahlen hinnehmen müssen. Anfang Januar 2021 stand sogar kurzzeitig der komplette Stillstand für den öffentlichen Verkehr im Raum. Die Idee, den Bus- und Bahnverkehr auszusetzen, wurde letztlich nicht umgesetzt. Ob und wie häufig sich Menschen tatsächlich im Nah- und Fernverkehr anstecken, lässt sich auch schwer nachvollziehen. Trotzdem nutzen seit dem Ausbruch des Virus weniger Personen den ÖPNV. mals schnell mit einer Reduktion der Fahrpläne. Obwohl zu den unmittelbaren Maßnahmen auch die Einführung einer Maskenpflicht und die Desinfizierung der Fahrzeuge gehörten, verzichtete ein Großteil der Bevölkerung auf die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs. In einer Studie, durchgeführt vom Marktforschungsinstitut nhi2 AG, gaben beispielsweise gerade einmal 30 % der 1 000 von Mitte bis Ende Juni 2020 befragten Personen an, den ÖPNV in ihrer Stadt im gleichen Umfang zu nutzen wie vor der Corona-Krise. Die restlichen 70 % reduzierten die Nutzung: 32 % fuhren nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln, wenn es nicht anders ging, 19 % fuhren seltener und ebenfalls 19 % verzichteten sogar komplett auf den ÖPNV. Dabei zeigte sich, dass vor allem Menschen auf alternative Verkehrsmittel setzten, die schon vor der Pandemie mit den Leistungen des ÖPNV-Angebotes ihrer Stadt unzufrieden waren. Für das Nutzungsverhalten des ÖPNV in der Pandemie war also weniger die Nutzungshäufigkeit vor der Krise entscheidend, sondern vielmehr die Zufriedenheit mit dem öffentlichen Nahverkehr vor dem Corona-Ausbruch. Verändertes Fahrgastverhalten zu erwarten Nach dem Frühjahrslockdown wurden die Fahrpläne im Sommer wieder weitgehend auf den Stand vor der Pandemie zurückgeführt - seitdem versucht der ÖPNV die ursprüngliche Anzahl der Fahrgäste wieder zu erreichen. Nach dem ersten Lockdown gab es in vielen Städten wieder gut gefüllte Busse und Bahnen. Millionen Menschen sind jeden Tag auf den ÖPNV angewiesen, um zur Arbeit zu gelangen. In der Branche geht man jedoch davon aus, dass es Spitzen des Fahrgastaufkommens, beispielsweise die Rush Hour, in der Form wie vor der Pandemie in Zukunft so nicht mehr geben wird. Es werden sich eher einzelne Tage herauskristallisieren, an denen die Fahrgastzahlen zu bestimmten Zeiten ansteigen. Hinsichtlich dieser zur erwartenden Entwicklung stehen Verkehrsbetriebe deshalb vor der Herausforderung, nicht nur ihr Tarif- und Ticketsystem neu zu gestalten, sondern auch mit weniger Einnahmen zu wirtschaften. Deshalb ist es auch an der Zeit, dass sich der öffentliche Nahverkehr neu definiert. Es geht nicht länger nur darum, den Kunden von A nach B zu bewegen. Verkehrs- © Achim Scholty auf Pixabay 7 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität halten. Deshalb empfiehlt es sich für Verkehrsbetriebe hinsichtlich der Kundenzufriedenheit, die Anschlusssicherheit zu fokussieren. Fahrgäste, die trotz Verspätung ohne lange Wartezeiten an den Haltestellen ihr Ziel erreichen - auch über Umwege - sind zufrieden. Und selbst dann, wenn sowohl der Fahrplan als auch die Anschlüsse zusammenbrechen, gibt es ein Mittel, die Kundenzufriedenheit nicht vollständig zu verlieren: Information. Muss ein Fahrgast bei seinem Umstieg eine halbe Stunde warten, sollte ihm das zu Beginn dieser halben Stunde mitgeteilt werden. Die Einrichtung und Aufrechterhaltung eines umfassenden Informationssystems stellen für Verkehrsunternehmen auch eine relativ einfache und kostengünstige Möglichkeit zur Steigerung der Kundenzufriedenheit dar, denn dafür ist kein Eingriff in den Betrieb erforderlich. Um Kunden eine schnelle Übersicht zu ermöglichen, empfehlen sich zur Informationsweitergabe Messenger-Dienste. Zukünftige Entwicklungen im Blick Als zweiter Schlüssel zum Sicherheitsgefühl und damit zur Kundenzufriedenheit lässt sich die Sauberkeit nennen. Diese betrifft nicht nur die regelmäßige Reinigung der Fahrzeuge von innen und außen, sondern auch bei Zwischenfällen - zum Beispiel bei umgefallenen Flaschen - sowie an den Haltestellen und Bahnhöfen. Sauberkeit und zusätzliche helle Beleuchtung erhöhen das Sicherheitsgefühl, führen zu mehr Zufriedenheit und erhöhen auch die Loyalität des Kunden. Ebenso zählen ein als fair und angemessen empfundenes Tarifsystem und eine kundenorientierte Netztopographie zu den Schlüsseln zur Zufriedenheit. Wer aus einem zufriedenen Kunden schließlich einen begeisterten machen möchte, sollte außerdem zusätzliche Maßnahmen ergreifen, zum Beispiel an den Haltestellen Shared Bikes, E-Scooter und Ladesäulen zur Verfügung stellen. Die Einbeziehung alternativer Fortbewegungsmittel kann bei Unregelmäßigkeiten die Gäste an ihr Ziel bringen. Allerdings zeigen hier verschiedene Versuche aus den letzten Jahren, dass allein die Verfügbarkeit der Fahrräder oder E-Scooter nicht ausreicht. Die öffentlichen Verkehrsbetriebe müssen diese Möglichkeiten aktiv anbieten und das bereits dann, wenn es um die Planung der Strecke geht. Das heißt: Der Kunde sollte in der genutzten ÖPNV-App auch die Möglichkeit erhalten, eine Teilstrecke mit dem Fahrrad oder E-Scooter zu planen beziehungsweise bei Verspätungen und Ausfällen sofort umsteigen zu können. Nur Verkehrsbetriebe, die sich auf zukünftige Verhaltens- und Reaktionsmodelle ihrer Kunden einstellen, werden auch nach der Pandemie die Fahrgastzahlen steigern können. Dafür müssen sie jedoch um die Zukunft des Homeoffice in ihrem jeweiligen Tarifgebiet wissen, alternative Verkehrsmittel und die Bereitschaft ihrer Kunden, diese zu nutzen, im Blick behalten sowie Positionen der Politik zur zukünftigen Förderung des ÖPNV nicht außer Acht lassen. Weitere Informationen: www.nhi2.de,-www.oepnvanalyse.de betriebe müssen Wege finden, Begeisterung für die Sache an sich bei ihren Kunden auszulösen - wie zum Beispiel Zalando oder McDonalds es schon länger vormachen. Zufriedenheit steigert Sicherheitsgefühl Unternehmen, die versuchen, allein durch pandemiebezogene Maßnahmen Kunden zurückzugewinnen, schöpfen deshalb nicht ihre vollen Möglichkeiten aus. Ergebnisse der nhi2-Studie zeigen beispielsweise, dass es bei Weitem nicht allein die pandemiebezogenen Maßnahmen sind, welche die Nutzungshäufigkeit stützen. So gaben beispielsweise Personen, die vor der Pandemie unzufrieden mit den ÖPNV-Angeboten ihrer Stadt waren, zu 48 % an, dass sie sich während der Nutzung in der Pandemie nicht sicher fühlten. Bei Menschen, die vor der Pandemie eher zufrieden waren, waren es nur 4 %. Je höher vor der Pandemie die Gesamtzufriedenheit war, desto größer war auch das Sicherheitsgefühl während der Corona-Krise. Jede Aktion zur Steigerung der Kundenzufriedenheit erhöht somit gleichzeitig auch das subjektiv empfundene Sicherheitsgefühl der Menschen und ihre Bereitschaft, den ÖPNV wieder zu nutzen. Aus den zur Studie zugehörigen Befragungen wissen wir, dass es hinsichtlich der Zufriedenheit vor allem auf die Zuverlässigkeit im Betrieb und auf die Sauberkeit ankommt. Maßnahmen zur Rückgewinnung Die Zuverlässigkeit des Verkehrsbetriebes zeigt sich vor allem anhand der Fahrplantreue und der Anschlusssicherheit. Aufgrund vieler externer Ereignisse, wie Unfälle oder Unwetter, lässt sich die Fahrplantreue oft nicht ein- Farid Gambar ÖPNV-Forscher und Vorstand nhi2 AG Kontakt: info@nhi2.de AUTOR 8 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Der Abwasserzweckverband (AZV) Mariatal wurde 1962 gegründet, um das im dicht besiedelten Mittleren Schussental anfallende Abwasser abzuführen, zu reinigen und von Schadstoffen zu befreien. Zum AZV Mariatal gehören die Städte Ravensburg und Weingarten sowie die Gemeinden Baienfurt und Berg. Als Nachfolger einer rund 1,5 Kilometer nördlich gelegenen mechanischen Kläranlage aus den 1950er Jahren ist das aktuelle Klärwerk Langwiese Ende 1974 am tiefsten Punkt des Ravensburger Stadtgebiets in Betrieb genommen worden.Rund 80 000 Einwohner sowie zahlreiche Gewerbe- und Industriebetriebe leiten jährlich zwischen zwölf und 16- Millionen Kubikmeter Abwasser in die größte Anlage dieser Art im nördlichen Einzugsgebiet des Bodensees ein. Das Klärwerk ist auf die Reinigung einer Schmutzfracht von 184 000 Einwohnergleichwerten (EW) ausgelegt. Der anfangs schlechte Gütezustand des Bodensee-Zuflusses Schussen, die hohe Phosphatbelastung des Bodensees selbst sowie die Keimbelastung an den Badeplätzen an der Schussen- Mündung führten zu einer Verschärfung der Grenzwerte im Klärwerksablauf. Diese Limits konnten nur durch die Installation zusätzlicher Klärstufen eingehal- Da bleibt nichts verborgen Ravensburger Klärwerk setzt auf das IRMA-System Abwasserbehandlung, IT-Sicherheit, Datenmanagement, Automatisierung Hans-Jürgen Fiene Im Rahmen der Modernisierung der elektrotechnischen Anlagen des Klärwerks Langwiese haben die Verantwortlichen besonderes Augenmerk auf einen hohen IT-Sicherheitsstandard gelegt. Zum Einsatz kommt deshalb das IRMA-System, das die Netzwerke kontinuierlich überwacht, Anomalien detektiert und die Mitarbeiter dann sofort alarmiert. © Phoenix Contact 9 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur ten werden. Daher wurde das Klärwerk Langwiese frühzeitig mit einer dritten Reinigungsstufe zur Phosphor- und Stickstoffentfernung sowie einer Sandfiltration ausgestattet. Ende September 2013 kam eine Anlage hinzu, in der nach der biologischen Stufe pulverisierte Aktivkohle zugegeben werden kann. Diese vierte Klärstufe dient der Beseitigung sogenannter Spurenstoffe oder Mikroverunreinigungen, die beispielsweise durch Medikamente, Pflanzenschutzmittel oder Industriechemikalien hervorgerufen werden (Bild 1). Berücksichtigung des B3S- Sicherheitsstandards Den Planungsauftrag zur Modernisierung der elektrotechnischen Ausrüstung des Klärwerks Langwiese erhielt die Dreher + Stetter Ingenieurgesellschaft mbH. Die entsprechenden Maßnahmen umfassen auch die Erneuerung der Automatisierungstechnik sowie die Aktualisierung der Netzwerk- und Prozessleittechnik. Im Hinblick auf die Anlagengröße und zur Erfüllung der künftig sicher weiter steigenden Security- Anforderungen wurde der Fokus auf einen hohen IT-Sicherheitsstandard gelegt. Deshalb sind die Rahmenbedingungen des vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) empfohlenen branchenspezifischen Sicherheitsstandards B3S berücksichtigt worden. Der Betreiber muss hier jederzeit in der Lage sein, den Nachweis eines sicheren Betriebs zu erbringen. Darüber hinaus stellen die Branchenverbände DWA und DVGW allen Betreibern von Trinkwasserversorgungs- und Abwasserentsorgungsanlagen mit dem Merkblatt W1060/ M1060 einen praktischen Handlungsrahmen als Mindeststandard zur Verfügung. Die jeweiligen Arbeiten werden im Rahmen umfangreicher Umbaumaßnahmen im laufenden Betrieb durchgeführt. Zur Datenübertragung ist parallel zum vorhandenen Netzwerk ein LWL- System aufgebaut worden. Auf diese Weise konnten die neuen IT- und Automatisierungskomponenten unabhängig von der Bestandsanlage sukzessive in das neue, zugriffssicherere Netzwerk integriert werden. „Abgeleitet aus dem praktischen Handlungsrahmen des B3S-Sicherheitsstandards haben wir den Verantwortlichen des Klärwerks Langwiese geraten, von Beginn an das IRMA- System (Industrie Risiko Management Automatisierung) einzusetzen“, erklärt Joachim Allseits, Projektleiter bei Dreher + Stetter. „So konnte sich das Personal sofort mit der neuen Sicherheitslösung vertraut machen. Außerdem hat der Betreiber stets den Überblick über sein Netzwerk und die Dokumentation der dort befindlichen Teilnehmer lässt sich lückenlos aufstellen.“ Für ausfallsichere Netzwerke erweisen sich Redundanzmechanismen als besonders wichtig. Die Managed Switches der Baureihen FL Switch 2200/ 2300/ 2400/ 2500 unterstützen daher verschiedene gängige Verfahren wie RSTP, LACP und MRP. So sorgen die Switches herstellerübergreifend für die Minimierung der durch Netzwerkfehler oder versehentlich gesteckte Schleifen verursachten Ausfallzeiten. Zum Schutz vor unbefugten Zugriffen auf das Gerät und auf das Netzwerk umfassen die Managed Switches 2200/ 2300/ 2400/ 2500 wesentliche Security-Funktionen wie MAC-basierte Port-Security oder RADIUS- Authentifizierung. Darüber hinaus lassen sich Fehler im Netzwerk aufgrund zahlreicher Diagnosefunktionen - zum Beispiel SNMP, Syslog oder Port Mirroring - schnell lokalisieren und beheben. Im Fernwartungsfall kann auf diese Weise auch auf relevante Geräteinformationen zugegriffen werden. Sollte ein Gerät ausfallen, vereinfachen DHCP- Server-Funktionalitäten zur IP-Adressvergabe den Austausch der defekten Komponente. UNTERSTÜTZUNG VON REDUNDANZMECHANISMEN Bild 1: Das Klärwerk Langwiese verfügt über vier Klärstufen, um selbst Spurenstoffe und Mikroverunreinigungen zu eliminieren. © Phoenix Contact 10 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Management-Konsole ermöglicht. Die automatische Detektion der Netzwerk-Teilnehmer (Assets) erfolgt passiv. Es wird also kein Teilnehmer aktiv angefragt, was eine höhere Netzlast im Datenverkehr vermeidet. Bei einer aktiven Abfrage könnten ferner viele ältere Geräte sensibel reagieren, sodass Funktionsstörungen auftreten. Als Ergebnis der passiven Abfrage zeigt IRMA automatisch selbst nicht dokumentierte, folglich unbekannte Komponenten und Datenverbindungen an. Auf diese Weise lässt sich der aktuelle Netzplan jederzeit darstellen und protokollieren. Eine händische Pflege kann entfallen. Die festgestellten Assets können anschließend vom Betriebspersonal validiert und schriftlich festgehalten werden. Aufgrund des in IRMA integrierten Sicherheitsstandards B3S-Wasser steht eine Risikoanalyse für die notwendigen Anwendungsfälle zur Verfügung. Die relevanten Bedrohungskategorien/ Gefährdungen werden visualisiert und die entsprechenden Maßnahmen für die betroffenen Abteilungen, Mitarbeiter, für Hard- und Software direkt den passenden Systemen/ Assets zugeordnet. Es findet somit eine standardkonforme Dokumentation statt. Die Verantwortlichen erhalten eine Liste der wesentlichen Maßnahmen, deren Realisierung strukturiert geplant und nachverfolgbar dokumentiert wird. Der Umsetzungsgrad ist ständig in IRMA überprüfbar. Anomalien im Datenverkehr oder Änderungen der Netzwerktopologie - beispielsweise zusätzliche Netzwerkteilnehmer - werden automatisiert über potentialfreie Kontakte an das Leitsystem des Klärwerks weitergeleitet. Bei einem eventuellen Angriff ist also eine geschlossene Meldekette sichergestellt. Darstellung und Protokollierung des aktuellen Netzplans Bei IRMA handelt es sich um ein Industrie-Computer-System, das die vernetzten Anlagen der Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung kontinuierlich überwacht, Anomalien im Datenverkehr erkennt sowie die Analyse und intelligente Alarmierung der Mitarbeiter über eine übersichtliche Bild 2: Platzsparender Industrie-PC in der 19-Zoll-Rack- Variante mit zwei Höheneinheiten (HE), auf dem die IRMA-Security- Appliance- Software installiert ist. © Phoenix Contact Bild 3: Der managebare Switch FL SWITCH 2312-2GC-2SFP lässt sich durch die beiden SFP- Ports sowie zwei Combo-Ports flexibel an die jeweilige Netzwerkinfrastruktur anpassen. © Phoenix Contact Bild 4: Netzwerk- Monitoring in anlagenweiten Automatisierungs- und Leittechniknetzwerken. © Phoenix Contact Leitsystem Server 2 Leittechniknetzwerk Leitsystem PC 1 Server Switch Leitsystem PC 2 Leitsystem Server 1 IRMA Security Appliance Prozess Server Managed Switch Managed Switch Managed Switch Managed Switch Automatisierungsnetzwerk 11 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Die Hardware-Plattform, auf der die von der Videc Data Engineering GmbH vertriebene IRMA- S e c ur i t y - A p p li a n c e - S of t w a r e installiert wurde, bildet ein hochwertiger Industrie-PC für die 19-Zoll-Rack-Montage (Bild 2). Trennung der Netzwerke Zur Vernetzung aller Automatisierungskomponenten sind in den verschiedenen Gewerken der Kläranlage managebare Switches verbaut, die ein redundanter Netzwerkring miteinander verbindet. Dabei wird der Datenverkehr der einzelnen aktiven Ports an jedem Switch direkt auf einen definierten Port gespiegelt. Danach steht der komplette Traffic dem IRMA-System zur Analyse bereit. Neben der Port-Spiegelung (Port Mirroring) trennt die VLAN-Funktionalität der Managed Switches zudem die Netzwerke für die Automatisierungsgeräte von dem der Leittechnik (Bild 3). Aufruf über Standard- Webbrowser Die Verbindung zu den managebaren Switches geschieht über die beiden Netzwerkschnittstellen des Industrie-PCs für die 19-Zoll-Rack-Montage - einmal zur Überwachung des Automatisierungsnetzwerks sowie andererseits zum Monitoring der Leittechnik-Komponenten. Die Alarmmeldungen werden mittels potentialfreier Kontakte über eine digitale Schnittstelle an eine vorhandene Steuerung und von dort an das Leitsystem gesendet (Bild 4). Der Aufruf der IRMA- Management und Analyse-Konsole erfolgt über einen Standard- Webbrowser und wird durch ein Software-Zertifikat geschützt. Die intuitiv zu bedienende Web- Oberfläche erlaubt die Validierung der Assets, Durchführung des Risikomanagements sowie Hans-Jürgen Fiene Industriemanagement Infrastruktur Phoenix Contact Deutschland GmbH Kontakt: info@phoenixcontact.de AUTOR Bild 5: Der Zugriff auf die IRMA- Management und Analyse-Konsole erfolgt via Standard-Webbrowser im Leitsystem. © Phoenix Contact Bild 6: Dezentrale Bedienpanels ermöglichen den Zugriff auf die IRMA- Management und Analyse-Konsole direkt in den verschiedenen Anlagenteilen des Klärwerks. © Phoenix Contact Kontrolle des Datenverkehrs. Alarme werden hier detailliert aufgeführt und protokolliert. Spezielles IT-Wissen ist nicht erforderlich (Bild 5). Da bei einer Modernisierung nicht sämtliche Netzwerkteilnehmer gleichzeitig in Betrieb gehen, erweist es sich als hilfreich, die Assets einfach validieren und eine Risikobewertung als Checkliste vornehmen zu können. Aufgrund der Webbrowser-Funktionalität kann das Betriebspersonal dezentral über die Programmiergeräte der Automatisierungstechnik oder die Panel-Bediengeräte in den Schaltschränken der unterschiedlichen Gewerke auf die IRMA-Management- und Analyse-Konsole zugreifen (Bild- 6). „Bei fortschreitender Modernisierung der Anlagenteile waren wir überrascht, dass bis dato unbekannte Netzwerkteilnehmer im IRMA-Netzplan auftauchten“, erklärt Alexander Rischka, verantwortlich für den Betrieb der Automatisierungs- und Leittechnik des Klärwerks Langwiese. „Einer der unbekannten Teilnehmer hatte sogar Zugang zum Internet.“ Weitere Informationen: www.phoenixcontact.de/ wasser 12 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Nicht ganz alltäglich Der sogenannte Hauptsammler „Endenicher Bachkanal“ ist in einem schlechten baulichen Zustand und zudem hydraulisch überlastet. So ergaben es Untersuchungen des Tiefbauamtes der Bundesstadt Bonn. Die Bezeichnung des Kanals hat einen historischen Ursprung. In der Vergangenheit kanalisierte dieser den Endenicher Bach. Später wurde er als Mischwasserkanal umgewidmet. Weiterhin verläuft die bestehende Leitungstrasse des Sammlers teilweise auf Privatgrundstücken und sogar unter einem Gebäude hindurch, was die Zugänglichkeit für den Betrieb und die Unterhaltung des Kanals erschwert. Aus diesem Grund wurde für den Bereich eine neue Leitungstrasse gesucht und gefunden. Zukünftig wird die Hauptabwasserlast über die Richard-Wagner-Straße, Lisztstraße und den Wittelsbacherring bis zur Endenicher Straße geleitet. Dort liegt bereits ein großer Hauptsammler mit einem Durchmesser von 2,20 m, an den der neue Kanal nach Fertigstellung angeschlossen wird. Zusätzlich erneuert das Tiefbauamt den Mischwasserkanal in der Humboldtstraße, der dann zukünftig in einer größeren Rohrdimension als Abschlagskanal für einen Teil der Abwasserlast dienen wird. Geplant wurde die Gesamtmaßnahme von ZPP Ingenieure AG, Niederlassung Köln. Da ein Teilstück der neuen Trasse unter einer Hauptverkehrsstraße sowie verkehrssensiblen Bereichen verläuft, wurde diese im bergmännischen Stollenvortrieb verlegt. Während der Kanal in der Richard-Wagner-Straße im offenen Kanalbau mit Rohren DN- 2000 realisiert wurde, werden beim grabenlos hergestellten Kanal in der Lisztstraße und dem Wittelsbacherring GFK-Rohre DN 1600 sowie DN 1200/ 1800 eingesetzt. „Der bergmännische Stollenvortrieb wird heutzutage, vor allem wegen der hohen Baukosten, nicht mehr so häufig für den Kanalbau angewendet. Und auf einer Länge von gut 220 Meter in den großen Dimensionen ist dies schon etwas Besonderes“, resümiert Dipl.-Ing. (FH) Wolfgang Frömbgen, der als Bauleiter beim Tiefbauamt der Bundesstadt Bonn in Zusammenarbeit mit ZPP Ingenieure die Baumaßnahme von Auftraggeberseite überwacht. Qualität ist viel wert Kanalneubau mit bergmännischem Stollenvortrieb im Musikerviertel in Bonn Die Straßennamen in der Weststadt erinnern an große Komponisten des 18. und 19. Jahrhunderts, die mit ihren Werken unsere Kultur nachhaltig geprägt haben. Nachhaltigkeit ist auch das Stichwort, welches das Tiefbauamt der Bundesstadt Bonn dazu veranlasste, das Kanalnetz im sogenannten Musikerviertel zum Schutz der Umwelt neu zu planen. Dabei wurden rund 220 Meter der neuen Leitungstrasse grabenlos im bergmännischen Stollenvortrieb verlegt, der Rest der Strecke und weitere notwendige Kanalerneuerungsmaßnahmen mit einer Gesamtlänge von knapp 280 Meter erfolgten in offener Bauweise. Auch hier spielten Nachhaltigkeit und Qualitätssicherung eine große Rolle: Die ARGE Hauptsammler West, bestehend aus DA Ingenieur-Bau GmbH, Dormagen, und Wilhelm Fenners Baugesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn, konnte ihre Eignung für die Kanalbaumaßnahme mittels der geforderten Gütezeichen AK-1 und VO des Güteschutz Kanalbau nachweisen. ARGE-Polier Ingo Heidgen erläutert Prüfingenieur Marc Mielke die Vorgehensweise beim Umschluss der Hausanschlussleitungen an die provisorische Abwasserleitung. © Güteschutz Kanalbau 13 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Qualitätsgedanke steht im Fokus Qualität wird bei allen Kanalbaumaßnahmen in Bonn laut Frömbgen großgeschrieben: „Es ist in Bonn schon seit vielen Jahren so, dass die ausführenden Firmen den Nachweis der Eignung erbringen müssen, wenn sie an einer Ausschreibung teilnehmen wollen. Die Eignung ist durch Gütesicherung nachzuweisen.“ Über die verschiedenen Beurteilungsgruppen der Gütesicherung Kanalbau RAL-GZ 961 sei dies beispielsweise gegeben, da zur Erlangung der Gütezeichen unterschiedliche Aspekte wie die technische Leistungsfähigkeit und die Sicherstellung einer systematischen Gütesicherung bei der Ausführung der Arbeiten in die Bewertung einfließen. So werden unter anderem die fachtechnische Qualifikation des Personals sowie die technische Geräteausstattung regelmäßig geprüft. Für die Überprüfung der an der ARGE Hauptsammler West beteiligten Firmen ist Güteschutz-Prüfingenieur Dipl.-Ing. Marc Mielke zuständig: „Durch die regelmäßigen Besuche auf den Baustellen und auch an den Firmenstandorten machen wir Prüfingenieure uns immer ein aktuelles Bild über die Leistungsfähigkeit der Baufirmen und die Qualität der Ausführung. Sobald etwas zu beanstanden ist, wird dies im entsprechenden Prüfbericht festgehalten. Bei so einem großen Projekt wie hier in Bonn, läuft auf den Baustellen eigentlich alles nahezu reibungslos.“ Dem stimmt Frömbgen zu: „Dadurch, dass der Güteschutz die Firmen im Blick behält, können wir uns auf gute und gleichbleibende Qualität bei der Bauausführung verlassen.“ Bei dieser Maßnahme jetzt habe man für den offenen Kanalbau beispielsweise das Gütezeichen AK 1 und für den Stollenbau das Gütezeichen VO gefordert. In bis zu sechs Metern Tiefe „Die ARGE hat sich als Bietergemeinschaft auf die Ausschreibung beworben und die einzelnen Aufgabenbereiche untereinander aufgeteilt“, erläutert Dipl.-Ing. Stephan Porrmann, ARGE-Bauleiter von DA Ingenieur-Bau. „Die Firma Wilhelm Fenners stellt in erster Linie eine Stollenbau-Kolonne und wir stellen die Kolonne für den offenen Kanalbau.“ Darüber hinaus war kurzzeitig auch eine weitere Stollenbau-Kolonne von DA Ingenieur-Bau im Einsatz, um eine zeitliche Verzögerung, die sich im Bauablauf an anderer Stelle ergeben hatte, aufzufangen. Der Vortrieb des Stollens mit einer lichten Höhe von etwa 2,20- m und einer lichten Breite von 1,80- m erfolgt mit Stabgitterbögen und Verzugblechen aus Stahl. Neben der provisorischen Abwasserleitung zur Aufrechterhaltung der Abwasservorflut ist auch die Bewetterung im Stollenquerschnitt untergebracht. Die Ortsbrust wird in bis zu sechs Metern Tiefe von Hand abgebaut und das bindige Bodenmaterial mit Schubkarren abtransportiert. Da in der Lisztstraße bereits ein Abwasserkanal vorhanden ist, wird dieser während des Vortriebs sukzessive freigelegt und abgefangen. Dabei wird besonderes Augenmerk auf die Hausanschlussleitungen gelegt, die mit weiter voranschreitendem Stollenbau nacheinander an die provisorische Abwasserleitung umgeschlossen werden. Im Nachgang kann der vorhandene Kanal dann abschnittsweise abgebrochen werden. Sobald der Stollen komplett fertig gestellt ist, erfolgt der Einbau der GFK-Eiprofil-Rohre und die endgültige Anbindung der Hausanschlüsse. Der Ringraum zwischen Stollenwand und GFK- Kanal wird in einem abschließenden Schritt in drei Lagen mit zementgebundener Suspension, die in wenigen Tagen voll aushärtet, verfüllt. Zwei Jahre bis zum Ziel „Die Gesamtmaßnahme ist im Januar 2020 gestartet und soll bis Weihnachten 2021 abgeschlossen sein. Der bergmännische Stollenvortrieb wird dabei sicherlich bis Mai 2021 laufen“, schätzt Frömbgen den weiteren zeitlichen Ablauf ein. Parallel erfolgen ebenfalls bis zum Frühjahr 2021 die Kanalbauarbeiten für den Abschlagskanal in der Humboldtstraße. Aktuell liege die ARGE im Zeitplan und man sei mit dem Verlauf der Baumaßnahme zufrieden. Eine Einschätzung, die Mielke teilt: „An der Ortsbrust und im Stollen war alles in Ordnung. Das Baufeld war sauber und aufgeräumt und das vorgeschriebene Sicherheitsequipment vorhanden. Ich bin sehr zufrieden mit der Baustelle und den Arbeiten von DA Ingenieur-Bau und Fenners.“ Knifflig werden am Ende laut Porrmann noch die Umbindungen des bestehenden Hauptsammlers an die neue Kanaltrasse. Aber auch diese Herausforderung werde das Team gemeinsam meistern, ist Mielke überzeugt. Güteschutz Kanalbau Linzer Straße 21 53604 Bad Honnef https: / / kanalbau.com/ info@kanalbau.com KONTAKT 14 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Die Erschließungsarbeiten begannen im September 2019 und konnten im August 2020 termingerecht abgeschlossen werden. Die Größe der Bauplätze liegt zwischen 330 und 800 m 2 für Häuser und Doppelhaushälften - alle Grundstücke sind bereits verkauft. Neben der Strom-, Gas- und Wasserversorgung sowie der Verlegung von Glasfaseranschlüssen galt es, die Leitungen für die Abwasserbeseitigung zu erstellen. Das Gelände wird im Trennsystem entwässert, alle Grundstücke sind an den öffentlichen Abwasserkanal angeschlossen. „Für die vom Landratsamt geforderte ortsnahe Ableitung des anfallenden Niederschlagswassers wurden im Vorfeld verschiedene Varianten geprüft“, sagt Markus Doninger, Kanalaufseher beim Abwasserverband Sasbachtal. „Dabei war allen Beteiligten früh klar, dass die anstehenden Böden und die Grundwasserstände eine Versickerung vor Ort nicht gestatten würden.“ Als Alternative bot sich eine gedrosselte Ableitung des Regenwassers in den nahegelegenen Sasbach an. Familienfreundlich: Spielplatz statt Mulde Für die erforderliche Zwischenspeicherung des Wassers seien laut Dipl.-Ing. Michael Kaiser von RS Ingenieure grundsätzlich drei Optionen infrage gekommen. „Unsere Berechnungen hatten einen Bedarf für eine Rückhaltemöglichkeit mit rund 640 m 3 Speichervolumen ergeben“, so Kaiser. Ein zunächst angedachter Stauraumkanal war nicht realisierbar, da sowohl die Länge des Bauwerks als auch die Einbauhöhe nicht mit den örtlichen Gegebenheiten vereinbar gewesen wären. Auch die zweite Möglichkeit, ein offenes Rückhaltebecken, habe man angesichts des benötigten Fassungsvermögens schnell verworfen. Kaiser: „Mit Blick auf Sicherheit und Instandhaltung hätten wir einen Zaun sowie einen Pflegeweg benötigt. Zudem hätte eine Mulde auch zu viel Platz beansprucht.“ Die beste Option sei daher eine platzsparende, unterirdische Lösung gewesen, wie sie die D-Raintank 3000 ® -Elemente von Funke bieten würden. Familienfreundlicher Nebeneffekt: Die Oberfläche der neuen Rigole konnte als Rasenfläche gestaltet werden und bietet dem Nachwuchs der Sasbacher Neubürger künftig Platz zum Spielen unter freiem Himmel. Für alle Fälle gerüstet Das Regenwasser von Grundstücken, Straßen und allgemein genutzten Flächen wird über Regenwasserkanäle in Nennweiten von DN 300 bis DN 700 gesammelt und einem Drosselbauwerk mit Regenüberlauf zugeführt, das mit einem Abflussregler (50 l/ s) ausgestattet ist. Fallen in kurzer Unterirdisch gute Lösung für die Entwässerung D-Raintank 3000 ® für Neubaugebiet in Sasbach Mit dem Neubaugebiet „Kirchwegfeld“ hat die baden-württembergische Gemeinde Sasbach 44 neue Bauplätze für freistehende Einzelhäuser und Doppelhaushälften geschaffen. Damit reagiert die Kleinstadt im Ortenaukreis einerseits auf die anhaltend hohe Nachfrage nach Wohnraum für Familien. Zum anderen schließt das neue Quartier eine Lücke zwischen den Stadtteilen Sasbach und Obersasbach. Neben der kanaltechnischen Erschließung stand vor allem der Umgang mit dem anfallenden Regenwasser im Fokus: Mit Blick auf den Leitfaden zur naturverträglichen Regenwasserbewirtschaftung entwickelte das Planungsbüro RS Ingenieure GmbH & Co. KG, Achern, ein Entwässerungskonzept, das eine Sammlung und gedrosselte Einleitung des anfallenden Oberflächenwassers in den nahegelegenen Sasbach vorsah. Hierfür musste zunächst eine Rückhaltemöglichkeit geschaffen werden, bei der sich der Abwasserverband Sasbachtal als Auftraggeber für den Bau einer Rigole und damit für eine unterirdische Lösung entschied. Die mit der Umsetzung der Arbeiten beauftragte Vogel-Bau GmbH, Lahr, setzte hierfür den D-Raintank 3000 ® und weitere Produkte der Funke Kunststoffe GmbH ein. Bild 1 (links): Vlies - Folie - Vlies: Eine Montage in dieser Reihenfolge stellt sicher, dass die Folie sowohl vor Beschädigungen durch die Kanten und Ecken der quaderförmigen D-Raintank 3000 ® -Elemente als auch vor Beschädigungen durch das Erdreich geschützt ist. © Funke Kunststoffe Bild 2 (Mitte): 600x600x600mm großen Kunststoffelemente sind an der Einbaustelle leicht zu handhaben und schnell verlegt. © Funke Kunststoffe Bild 3 (rechts): Der Rigolenkörper ist 20,40 m lang, 17,40 m breit und 1,80 m hoch. Seine stabile Konstruktion sorgt für eine optimale Kraftübertragung ins umliegende Erdreich. © Funke Kunststoffe 15 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Zeit große Niederschlagsmengen an, die das Drosselbauwerk und die Zulaufkanäle überlasten, wird das Oberflächenwasser über drei Zuleitungen in drei Funke Reinigungsschächte DN 100/ 400 geführt, die dem Rigolenkörper vorgeschaltet sind. Aus den Reinigungsschächten wird das Wasser über drei Zuläufe DN/ OD 400 in die Retentionsrigole eingeleitet, in der die Verteilung über jeweils einen Spül- und einen Sedimentationsrohrstrang erfolgt. „Während das Wasser durch die oben in den Rohren angebrachten Schlitze in die Rigole abfließen kann, verbleiben Feststoffe auf der geschlossenen Rohrsohle“, so Doninger weiter. „In Kombination mit den vorgeschalteten Reinigungsschächten wird damit verhindert, dass zu viel Schmutz in den Rigolenkörper eingetragen wird.“ Die Rigole ist mit HS ® - Kanalrohren DN/ OD 315 ebenfalls mit dem Drosselschacht verbunden. Sobald das Bauwerk die anstehenden Wassermengen wieder verarbeiten kann, öffnet sich eine Rückstauklappe und der Rigolenkörper entleert sich. Platzsparend und effektiv Für das erforderliche Speichervolumen von 640 m 3 wurden im Neubaugebiet Kirchfeldweg 2958 Elemente des Systems D-Raintank 3000 ® 3-lagig verbaut. Die widerstandsfähigen Kunststoffelemente haben die Maße L x B x H = 60 0 x 60 0 x 60 0 mm und sorgen dank ihrer stabilen Konstruktion für eine optimale Kraftübertragung ins umliegende Erdreich. Der Rigolenkörper ist 20,40 m lang, 17,40 m breit und 1,80 m hoch. Um die Baugrube für den Einbau der D-Raintank 3000 ® -Elemente vorzubereiten, stellten die Tiefbauer zunächst ein Planum her, danach wurde die Baugrube zuerst mit Vlies und dann mit einer Kunststoffdichtungsbahn ausgelegt. Anschließend der Rigolenkörper mit einem weitere Vlies ummantelt, bevor er abschließend mit der Kunststoffdichtungsbahn eingeschweißt wurde. „Eine Montage in dieser Reihenfolge stellt sicher, dass die Folie sowohl vor Beschädigungen durch die Kanten und Ecken der quaderförmigen D-Raintank 3000 ® -Elemente als auch vor Beschädigungen durch das Erdreich beim Verfüllen der Baugrube geschützt ist“, erklärt Funke-Fachberater Jürgen Gäßler. Eine Rigole aus Elementen des Systems D-Raintank 3000 ® eignet sich nicht nur für die Versickerung von Regenwasser, sondern mit Blick auf eine spätere Entnahme und Nutzung auch für eine längerfristige Speicherung. „Darüber hinaus kann es mit weiteren Vorteilen aufwarten“, so Gäßler weiter. „Es verfügt über eine hohe Speicherfähigkeit von 97 % und ist dazu noch wartungsarm sowie leicht und raumsparend einzubauen.“ Für die problemlose Wartung, Spülung oder Kamerabefahrung der Rigole ist ebenfalls gesorgt: An allen vier Ecken des Rigolenkörpers im Neubaugebiet Kirchfeldweg wurden sogenannte Inspektionsblöcke mit Teleskopabdeckung installiert. Bewährte Lösungen mit System Auftraggeber und Planer setzten nicht nur für den Bau der Rigole auf Produkte von Funke. Neben den drei der Rigole vorgeschalteten Reinigungsschächten wurden HS ® -Kanalrohre für die Schmutzwassersammler und Hausanschlussleitungen sowie FABEKUN Sattelstücke für deren Einbindung in den Regenwassersammler eingesetzt. Kanalaufseher Doninger hat in der Vergangenheit bei verschiedenen Projekten gute Erfahrungen mit den Lösungen von Funke gesammelt und ist von der Qualität und dem Systemcharakter der Produkte, bei denen es sich „um hervorragende Lösungen handelt, bei denen alles zusammenpasst“, überzeugt. Dank der reibungslosen Zusammenarbeit und des planmäßigen Baufortschritts konnte die Baustelle wie geplant im August 2020 abgeschlossen werden. Sowohl Markus Doninger als auch Michael Kaiser sind davon überzeugt, mit der Wahl für eine Rigole aus D-Raintank 3000 ® -Elementen von Funke eine Wahl getroffen zu haben, die ebenso nachhaltig wie wirtschaftlich ist. Bild 4 (links): Die Konstruktion der D-Raintank 3000 ® -Elemente erlaubt den Einbau von Spül- und Sedimentationsrohren an praktisch jeder gewünschten Stelle. © Funke Kunststoffe Bild 5 (Mitte): Das Oberflächenwasser gelangt durch die Schlitze der Spül-und Sedimentationsrohre in die Rigole, Feststoffe hingegen bleiben auf der Rohrsohle. © Funke Kunststoffe Bild 6 (rechts): Neben dem System D-Raintank 3000 ® wurden in Sasbach auch HS ® -Kanalrohre in verschiedenen Nennweiten und Funke Reinigungsschächte zeingesetzt. © Funke Kunststoffe Funke Kunststoffe GmbH Siegenbeckstr. 15 Industriegebiet Uentrop Ost 59071 Hamm-Uentrop www.funkegruppe.de info@funkegruppe.de KONTAKT 16 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Dachbegrünung. Neu begrünte Flächen in 2019 Die wichtigsten Ergebnisse der BuGG-Gründachsubstrat-Umfrage sind folgende: In Deutschland sind im Jahr 2019 insgesamt 7 217 720- m² Dachbegrünungen neu hinzugekommen. Die neue Gesamt- Gründachfläche, aufgeteilt auf Extensiv- und Intensivbegrünungen ergibt:  Extensivbegrünung: 6 024 421 m². Das entspricht einem Marktanteil von 83,5 %.  Intensivbegrünung: 1 193 299 m². Das entspricht einem Marktanteil von 16,5 %. In der ermittelten Gesamt- Gründachfläche sind alle Arten von Dachbegrünungen enthalten, die Methode lässt derzeit keine Unterscheidung von Flach- und Schrägdächern bzw. Tiefgaragen oder gar Gebäudetypen zu. Es ist anzunehmen, dass es außer den an den jährlichen Umfragen beteiligten Unternehmen weitere, meist regional tätige Substrathersteller gibt, deren Liefermengen ebenso wenig berücksichtigt sind wie „konventionell” (Kies- und Erdschüttung) ausgebildete Tiefgaragenbegrünungen. Obwohl dies durch einen Korrekturfaktor ausgeglichen wurde, ist anzunehmen, dass die Gesamtfläche der jährlich begrünten Dächer noch höher liegen dürfte als die durch die BuGG-Umfragen ermittelten Werte. Die in 2019 neu hinzugekommene Gründachfläche von etwa 7 200 000- m² scheint erst einmal viel zu sein, doch das sind im Verhältnis zu den angenomme- Dach- und Fassadenbegrünung BuGG-Marktreport Gebäudegrün 2020 für Deutschland: Zahlen zum Markt und Informationen zu Förderungen Gunter Mann, Rebecca Gohlke Der Bundesverband GebäudeGrün e. V. (BuGG) veröffentlichte Ende 2020 mit dem „BuGG-Marktreport Gebäudegrün 2020” erstmals eine Übersicht der wichtigsten vorliegenden Zahlen zur Dach-, Fassaden- und Innenraumbegrünung in Deutschland. Die verschiedenen Zahlen und Daten beruhen größtenteils auf eigenen Recherchen und Umfragen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Der Schwerpunkt der Zahlen aus dem Gebäudebegrünungs-Markt liegt derzeit noch bei der Dachbegrünung, da hier die Methoden der Datenerfassung relativ klar und die Daten gut über Mitglieder- und Städtebefragungen zu ermitteln sind. Bild1: In 2019 sind in Deutschland etwa 7 200 000 m² Gründachfläche neu entstanden. © BuGG 17 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum 88,6 % 11,4 % 83,5 % 16,5 % 100 80 60 40 20 [%] 2019 nen 80 000 000-m² neu entstandener Flachdachfläche nur etwa 9 %. Das heißt, in 2019 blieben etwa 91 % der Flachdachfläche unbegrünt - ein enormes Potenzial! Entwicklungen Gründach-Markt 2008 bis 2019 Da die Methode der BuGG-Gründachsubstrat-Umfrage und die beteiligten Unternehmen über die Jahre hinweg (seit 2008) unverändert geblieben sind, lassen sich die Jahre miteinander gut vergleichen, Entwicklungen aufzeigen und Trends ableiten. Folgende Marktzahlen konnte der BuGG hieraus ermitteln:  Der Gründach-Markt wächst im Durchschnitt jährlich um etwa 7 %.  Der Gründach-Markt ist von 2008 bis 2019 um 100 % gewachsen.  Der Trend geht zu Intensivbegrünungen (Dachgärten) und damit (überwiegend) begeh- und nutzbaren Dachbegrünungen. Lag der Anteil an Intensivbegrünungen in 2008 noch bei 11,4 % (extensiv: 88,6 %), so hat er in 2019 mit 16,5 % (extensiv: 83,5 %) deutlich zugegenommen.  Das durchschnittliche jährliche Wachstum von intensiven Dachbegrünungen war höher als bei den extensiven Dachbegrünungen. Über die letzten 12 Jahre hinweg sind die Extensivbegrünungen im jährlichen Durchschnitt um 6,6 %, die Intensivbegrünungen dagegen im Durchschnitt um 10,8 % gewachsen.  Noch deutlicher ist der Trend zu Extensivbegrünungen in mehrschichtiger Bauweise: lag das Verhältnis einzu mehrschichtig in 2008 bei 47 : 53, war es 28 : 72 im Jahr 2019. Bei Intensivbegrünungen spielen einschichtige Bauweisen eine untergeordnete Rolle. Gründachbestand, Gründach- Bundesliga und Gründach-Index Bisher haben nur wenige deutsche Städte Bestandsaufnahmen ihrer im gesamten Stadtgebiet vorhandenen Dachbegrünungen vorgenommen und veröffentlicht. Es gibt verschiedene Ansätze und Methoden, bestehende Dachbegrünungen zu erfassen. Der BuGG hat die erhobenen Bestandszahlen begrünter Dächer verschiedener Städte ermittelt und in mehreren Varianten einander gegenübergestellt. Von 15- Städten waren solche Informationen verfügbar. In der Variante-2 wird die Summe der ermittelten Dachbegrünungsflächen je Stadt zur jeweiligen Einwohnerzahl (EW) in Relation gesetzt. Daraus ergibt sich dann der Gründach-Quadratmeter-Wert pro Einwohner („Gründach-Index”). Im Durchschnitt der 15 Städte liegt dieser „Gründach-Index” bei 1,2 m²/ EW. Der derzeitige Spitzenreiter Stuttgart hat einen „Gründach-Index” von 4,1 m²/ EW, das heißt, im Durchschnitt kommen auf jeden Einwohner 4,1 m² Dachbegrünung. Das Reizvolle dieser Vorgehensweise ist, dass auch kleinere Städte um die „Meisterschaft” mitspielen können, da mit relativen Werten agiert wird. Das Ranking ergibt sich somit unabhängig von der Größe der Stadt. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass die Werte der einzelnen Städte nur bedingt vergleichbar sind, da sich sowohl die Methoden als auch die Zeitpunkte der Bestandserfassung teilweise unterscheiden. Mit der „BuGG-Gründach-Bundesliga” gibt es erstmals fundierte Werte zum Gründach-Index im Städtevergleich, um für Politik und Städteplanung eine Kennzahl bereitzustellen. Auch die Städte können sich und ihre Aktivitäten in Sachen Dachbegrünung im Vergleich zu anderen Städten nun besser einordnen. Idealerweise führen Städte in regelmäßigen Abständen eine Bestandsaufnahme ihrer Dachbegrünungsflächen durch, um so beispielsweise die Wirkungen eingeführter direkter und indirekter Fördermaßnahmen zu überprüfen. Deutschland hat eine lange Gründach-Tradition. Seit Mitte der 70er Jahre werden Dächer professionell begrünt. Der Bundesverband GebäudeGrün e.V. geht davon aus, dass es in Deutschland einen Bestand von 100 000 000 bis 120 000 000- m² Gründachfläche gibt. Fassadenbegrünung: neu begrünte Flächen in 2019 Eine Ermittlung der Flächengröße der in 2019 begrünten Fassadenflächen ist schwerer durchzuführen als bei den begrünten Dach- Gründach: 7 200 000 m 2 = 9 % Flachdach unbegrünt Gründach intensiv Gründach extensiv Gesamte Flachdachfläche: ca. 80 000 000 m 2 Unbegrüntes Flachdach: 72 800 000 m 2 = 91 % 2008 Extensivbegrünung Intensivbegrünung Extensivbegrünung Intensivbegrünung Bild 2: In 2019 hinzugekommene Dachbegrünungen im Verhältnis zu neu entstandener Flachdachfläche. © BuGG Bild 3: Entwicklung Verhältnis Extensivzu Intensivbegrünung 2008 zu 2019. © BuGG 18 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum flächen. Lassen sich die Werte von „wandgebundenen” Fassadenbegrünungen noch recht einfach ermitteln, verhält sich das bei „bodengebundenen” Fassadenbegrünungen anders. Eine genaue Ermittlung der neu hinzugekommenen Flächen von bodengebundenen Fassadenbegrünungen mit selbstklimmenden Pflanzen (Direktbegrüner ohne Kletterhilfen) ist aus verschiedenen Gründen nicht möglich. Vor diesem Hintergrund sind die ermittelten und nachfolgend aufgeführten Daten zu den in 2019 begrünten Fassadenflächen zu bewerten. Der Bundesverband GebäudeGrün e. V. (BuGG) hat die Mitglieder, die Produkt- und Systemlösungen zur Fassadenbegrünung anbieten, nach begrünten Flächen in 2019 befragt. Dabei wurden die Flächensummen sowohl bodenals auch wandgebundener Fassadenbegrünungen abgefragt, bei den bodengebundenen Begrünungen allerdings nur die Flächen mit Kletterhilfen.  In Deutschland wurden demnach im Jahr 2019 insgesamt etwa 20 000 - 55 000- m² Fassadenfläche mit wandgebundener und bodengebundener Fassadenbegrünung (mit Kletterhilfen) neu begrünt.  Die wandgebundenen Fassadenbegrünungen nehmen dabei eine Fläche von etwa 5 000-m² ein.  Die befragten BuGG-Mitglieder gehen von einem Verhältnis wandgebundener Fassadenbegrünung zu bodengebundener Fassadenbegrünung mit Kletterhilfen von 1 : 3 bis 1 : 10 aus. Daraus ergibt sich in Summe eine mit Kletterhilfen begrünte Fassadenfläche von 15 000 - 50 000-m². Wie oben ausgeführt, konnten zu den Flächengrößen der bodengebundenen Direktkletterer (ohne Kletterhilfe) keine Zahlen ermittelt werden. Der BuGG geht hierbei von einer Größenordnung von 20 000 - 80 000 m² aus. Kommunale Förderung: BuGG-Städteumfrage Die Dach- und Fassadenbegrünung gewinnt im Rahmen einer klimaangepassten und wassersensiblen Stadtentwicklung bundesweit an Bedeutung, denn sie bietet einen Mehrfachnutzen für die Stadt. Für den BuGG-Marktreport Gebäudegrün 2020 wurden die Städte-Umfragedaten der letzten Jahre um eigene Recherchen erweitert, damit ein umfassendes Bild zur Förderung der Dach- und Fassadenbegrünung in Deutschland entsteht. Die wichtigsten Ergebnisse sind: Förderprogramme (direkte finanzielle Zuschüsse):  Der Anteil von Städten, die für die Dachbegrünung direkte Zuschüsse anbietet, ist gestiegen (2010: 6 %, 2019: 19 %).  Bei den Städten mit mehr als 50 000 Einwohnern stellen bereits 49 Städte und somit rund 26 % finanzielle Zuschüsse für Dachbegrünungen bereit.  Die Förderungsspanne reicht von 10 bis 100 €/ m² sowie 500 bis 100 000 €/ Vorhaben. Rang Stadt Jahr der Erhebung Einwohner Dachbegrünungen ohne Tiefgaragen [m 2 ] „Gründach-Index“ [m 2 Gründach/ Einwohner 1 Stuttgart 2017 632 742 2 593 670 4,1 2 München 2016 1 464 301 3 148 043 2,1 3 Frankfurt/ Main 2015 732 688 1 436 371 2,0 4 Nürtingen 2015/ 2008 40 395 59 450 1,5 5 Düsseldorf 2018 642 304 921 000 1,4 6 Hannover 2016 532 864 633 076 1,2 7 Osnabrück 2017 164 374 157 000 1,0 8 Nürnberg 2016 511 628 450 000 0,9 9 Berlin 2016 3 574 830 2 969 396 0,8 10 Braunschweig 2008/ 2010 246 012 186 536 0,8 11 Straubing 2019/ 2020 48 110 33 617 0,7 12 Karlsruhe 2015 300 051 177 546 0,6 13 Ottobrunn 2016 21 000 9 500 0,5 14 Dresden 2018 560 641 236 960 0,4 15 Mannheim 2014 296 690 22 000 0,1 Durchschnitt 1,2 Bild 4 In 2019 sind in Deutschland etwa 90 000-m² Fassadenbegrünungsfläche neu entstanden. © BuGG Tabelle 1: BuGG-Gründach- Bundesliga Variante 2: sortiert nach begrünter Dachfläche pro Einwohner („Gründach-Index“ ). © BuGG 19 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum  Ein ähnlicher Anstieg ist für die direkte Bezuschussung von Fassadenbegrünungen erkennbar (2010: 6 %, 2019: 17 %).  Bei den Städten mit mehr als 50 000 Einwohnern stellen bereits 45 Städte und somit etwa 24 % finanzielle Zuschüsse für Fassadenbegrünungen bereit.  Prozentual schwankt die Fördergrenze zwischen 20 % und 90 % der förderfähigen Kosten. Bei einem Großteil der Städte liegt die maximale Förderung bei 50 %. Bebauungsplan  Immer mehr Städte setzen sowohl Dachbegrünung (2010: 34 %, 2019: 67 %) als auch Fassadenbegrünung (2010: 32 %, 2019: 45 %) in Bebauungsplänen verbindlich fest.  Der Anteil der Städte über 50 000 Einwohnern mit Festsetzungen in B-Plänen liegt bei 73 % (Dachbegrünung) bzw. 41 % (Fassadenbegrünung). Gebührenreduktion bei gesplitteten Abwassergebühr  Der Anteil von Städten, der durch eine Gebührenreduktion Gründächer fördert, bleibt seit 2012 bei einem ähnlichen Wert (2012: 49 %, 2014: 53 %, 2016/ 2017: 54 %, 2019: 49 %).  Bei den Städten mit mehr als 50 000 Einwohnern liegt der Anteil nach eigener Recherche mit 72 % mittlerweile sehr hoch.  Je nach Stadt variiert zum einen die Höhe der Niederschlagswassergebühr pro Jahr (in 2019 durchschnittlich 0,81 € pro m²) und zum anderen die Höhe der maximalen Gebührenreduktion für eine Dachbegrünung von 0 % bis 100 %.  Die durchschnittliche maximale Gebührenreduktion für eine Dachbegrünung lag 2019 bei 59 % bzw. 0,48 € pro m². 4. Zusammenfassung und Ausblick Es ist erkennbar, dass die Gebäudebegrünung kein „Nischenprodukt” mehr ist. Gebäudebegrünung ist nicht nur in vielen Köpfen angekommen, sondern sie spiegelt sich auch in einer Vielzahl von Projekten wider. Der Gebäudebegrünungsmarkt wächst und ist ein Zukunftsmarkt mit großem Potenzial:  Nur etwa 9 % neu entstehender Flachdächer werden aktuell begrünt.  Die Branche der Gebäudebegrünung einschließlich ihrer angrenzenden Gewerke bieten schon jetzt Tausende von Arbeitsplätzen - Tendenz, einhergehend mit dem Wachstum, steigend!  Dach- und Fassadenbegrünung als wichtige Anpassungsmaßnahme an den Klimawandel: Regenwasserbewirtschaftung (Überflutungsschutz) und Hitzevorsorge (Verdunstungskühlung), dazu kommen Artenschutz/ Biodiversität.  Zusätzliche Nutz- und Freizeitflächen für Menschen: der hauseigene Dachgarten als krisensichere Freizeit-, Erholungs- und Bewirtschaftungsfläche. Bisher werden nur etwa 17 % der Dachbegrünungen intensiv begrünt und durch den Menschen genutzt. Der BuGG-Marktreport Gebäudegrün 2020 steht als kostenloser Download zur Verfügung: www.gebaeudegruen.info/ kontakt/ prospektanforderung FBB-NABU Umfrage 2010 FBB-NABU Umfrage 2012 FBB-NABU Umfrage 2014 FBB-NABU Umfrage 2016/ 2017 BuGG Umfrage 2019 BuGG Umfrage 2019 + Recherche 2019/ 2020 Anzahl der angeschriebenen Städte 1 499 (> 10 000 EW) 1 499 (> 10 000 EW) 1 499 (> 10 000 EW) 1 499 (> 10 000 EW) 700 (> 20 000 EW) 191 (> 50 000 EW) Anzahl der Rückläufe ( = n) 579 (39 %) 564 (38 %) 510 (34 %) 400 (27 %) 199 (28 %) Dachbegrünung Dachbegrünung Direkte Zuschüsse (Förderprogramm) 36 (6 %) 32 (6 %) 31 (6 %) 32 (8 %) 37 (19 %) 49 (26 %) Gebührenreduktion bei GAbwG 221 (38 %) 276 (49 %) 270 (53 %) 217 (54 %) 98 (49 %) 137 (72 %) Festsetzung in B-Plänen 198 (34 %) 208 (37 %) 202 (39 %) 213 (53 %) 133 (67 %) 140 (73 %) Ökopunkte 5 (9 %) 59 (11 %) 55 (11 %) 50 (13 %) 42 (21 %) 45 (24 %) Fassadenbegrünung Fassadenbegrünung Direkte Zuschüsse (Förderprogramm) 32 (6 %) 30 (5 %) 25 (5 %) 28 (7 %) 34 (17 %) 45 (24 %) Festsetzung in B-Plänen 188 (32 %) 187 (33 %) 172 (34 %) 135 (34 %) 89 (45 %) 78 (41 %) Tabelle 2: Zusammenfassung der Ergebnisse der BuGG- Städteumfragen 2010 bis 2019/ 2020. © BuGG Dr. Gunter Mann Präsident Bundesverband GebäudeGrün e. V. (BuGG) Kontakt: gunter.mann@bugg.de Rebecca Gohlke, M.Sc. Referentin Bundesverband GebäudeGrün e. V. (BuGG) Kontakt: rebecca.gohlke@bugg.de AUTOR*INNEN 20 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Versiegelte Flächen und verdichtete Böden verringern die Wasser- und Nährstoffzufuhr des Stadtbaums und machen ihn anfälliger für Schädlingsbefall und Krankheiten. Zudem bedrängen unterirdische Infrastrukturen Bäume in ihrem Wurzelraum. Um hier gegenzusteuern und für den städtischen Baumbestand dauerhaft gute Wuchsbedingungen zu realisieren, entscheiden sich kommunale Entscheider immer öfter für den Einsatz nachhaltiger Wurzelkammersysteme wie den Wavin TreeTank. Die innovative Systemlösung trägt dazu bei, dass die Wurzeln von der Oberfläche in die Tiefe gelenkt werden. Dort finden sie gleichermaßen genügend Wasser und Nährstoffe und verankern sich fest gegen Windlast. Auf Basis der Kombination mit dem Wavin Rohrprogramm für Entwässerung, Bewässerung und Belüftung entsteht eine langlebige, flexible und schützende Wachstumszone bei gleichzeitiger optimaler Nutzung der Oberflächen. Wurzelkammersysteme - ökonomisch und ökologisch die richtige Wahl Gerade in Bereichen unterhalb von Pflasterflächen oder in der Nähe zu Verkehrsflächen wird das Wurzelwachstum häufig durch starke Erschütterungen, Vibrationen und durch die Verdichtung des Pflanzenraumes behindert. Gleichzeitig sind die Bäume hier Schadstoffeinträgen durch den Verkehr ausgesetzt. In der Folge verkümmern sie, werden krank und windanfällig oder ihre Wurzeln suchen sich aufgrund des vorherrschenden Luft- und Wassermangels ihren Weg an die Oberfläche. In allen Fällen ist dies mit zusätzlichen Kosten verbunden: Entweder der Baum muss ersetzt oder die Oberfläche saniert werden. Stadtbäume schützen und das urbane Mikroklima verbessern Wurzelkammersystem Wavin TreeTank - ein Win-win für Mensch und Baum Der Stadtbaum stellt eine Vielzahl grüner Kernkompetenzen zur Verfügung, um das urbane Erscheinungsbild zu verschönern, das Mikroklima und die Luftqualität deutlich wahrnehmbar zu verbessern und die Klimaresilienz von Städten zu steigern. Leider aber nehmen der Klimawandel - zunehmende Hitze, Dürre und Starkregenereignisse - sowie die hohe innerstädtische Verdichtung negativen Einfluss auf ein nachhaltiges und gesundes Baumwachstum. Vor diesem Hintergrund sorgen hochwertige Wurzelkammersysteme wie der Wavin TreeTank dafür, dass den Baumwurzeln ein komfortables Raumangebot im Untergrund zur Verfügung steht, um genügend Nährstoffe aufzunehmen und sich frei zu entfalten. Ein gutes Gedeihen des urbanen Grüns und eine lange Lebensdauer sind die Folge. Damit bildet der Einbau des auf dem modularen Versickerungs- und Rückhaltesystem Wavin Q-Bic Plus basierenden TreeTanks eine nachhaltige Investition in eine grüne und lebenswerte Stadt von heute und von morgen. Bild 1: Einbau des auf dem modularen Versickerungs- und Rückhaltesystem Wavin Q-Bic Plus basierenden TreeTanks für einen nachhaltigen Baumwuchs und ein verbessertes urbanes Mikroklima. © Wavin GmbH Bild 2: Der TreeTank trägt dazu bei, dass die Wurzeln von der Oberfläche in die Tiefe gelenkt werden. Dort finden sie gleichermaßen genügend Wasser wie Nährstoffe und verankern sich fest gegen Windlast. © Wavin GmbH 21 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Wurzelkammersysteme, wie der Wavin TreeTank, bieten eine innovative Lösung für die Herstellung nachhaltiger Baumgruben in verdichteten Bereichen. Dabei kann der Wavin TreeTank sowohl für offene, nicht überbaute (FFL- 1) als auch für überbaute (FFL- 2) Baumgruben eingesetzt werden. Die langjährigen Erfahrungen mit dem System Wavin Q-Bic Plus unterhalb von Verkehrsflächen mit bis zu SLW 60 Belastungen versprechen einen langfristig dauerhaften und sicheren Einsatz. Unbegrenzte Flexibilität Bedingt durch den modularen Aufbau des Versickerungs- und Rückhaltesystems Wavin Q-Bic Plus, kann der Wavin TreeTank auf nahezu jede individuelle Einbauanforderung abgestimmt werden. Ob ein- oder mehrlagig, quadratisch oder rechteckig, kompakt oder in anderen Formen, unter Verkehrsflächen oder freien Flächen, in einer Reihe entlang von Gehwegen und Straßen oder einzeln - durch die Kombination von Längs- und Querverlegung sind der Gestaltung fast keine Grenzen gesetzt. Die durchdachte Konstruktion mit variablen Bauhöhen und Abdeckplatten, aber insbesondere das 5-in-1-Säulenprinzip in allen sechs Tragsäulen ermöglicht eine hohe statische Belastbarkeit jedes einzelnen Kammerelementes. Durch die konstruktiven Eigenschaften kann für den Wavin TreeTank sowohl bei starker horizontaler Belastung, wie sie durch Erddrücke entsteht, als auch bei starker vertikaler Belastung, infolge des Straßenaufbaus oder des überrollenden Schwerlastverkehrs, eine hohe Lebensdauer attestiert werden. Ein leichtes Handling vor Ort und ein schneller Baufortschritt sind zudem in der Systemgeometrie vorgesehen. Durch die integrierten patentierten Verbinder entfällt die aufwendige Montage von zusätzlichen Clips, Stiften und anderen Elementen zur Lagesicherung. Beim Verlegen der einzelnen TreeTank-Elemente gleiten die integrierten Verbinder automatisch ineinander und gewährleisten direkt die horizontale und vertikale Lagesicherung. Für das erforderliche Pflanzloch wird im Wavin TreeTank mittig eine 1,20 x 1,20 m große Fläche freigelassen, das heißt die einzelnen Blöcke werden um das Pflanzloch herum angeordnet. Zur Befüllung des TreeTanks bei mehrlagiger Anordnung werden mit einer Stichsäge gekennzeichnete Bereiche der Bodenplatte herausgesägt. So können die Wurzeln ungehindert von der oberen in die untere Lage wachsen. Auf Qualität gebaut Hergestellt aus 100 Prozent Polypropylen (PP) Neumaterial bietet der Wavin TreeTank hervorragende und konstante Materialeigenschaften, wodurch eine hohe Lebensdauer (bis zu 50 Jahren) erreicht werden kann. Das Basis-System Q-Bic Plus ist vom Deutschen Institut für Bautechnik bauaufsichtlich zugelassen (Z-42.1-543) und erfüllt somit alle Anforderungen für einen dauerhaften Einsatz unter Verkehrslasten. Weitere Informationen: Wavin TreeTank - Das Video: https: / / youtu.be/ whKSRae8-eM Bild 3: Nachhaltiger Baumwuchs verbessert das urbane Mikroklima. Den Baumwurzeln steht im Untergrund ein komfortables Raumangebot zur Verfügung, um sich frei zu entfalten. © Wavin GmbH Bild 4: Im belgischen Hasselt - im neuen Wohn- und Einkaufskomplex Quartier Bleu - haben die verantwortlichen Stadtplaner auf das Wurzelkammersystem Wavin TreeTank gesetzt. © Wavin GmbH Wavin GmbH Industriestraße 20 49767 Twist www.wavin.de/ treetank Kim.karsten.ernst@wavin.com KONTAKT 22 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Leitbild urbane grüne Infrastruktur In einer Welt zunehmender Urbanisierung mit mehr als der Hälfte städtischer Bevölkerung bildet die urbane grüne Infrastruktur 1 (UGI) ein zentrales Element für die Transformation, Nachhaltigkeit und Lebensqualität von Städten. Dies gilt auch für Deutschland, wo mehr als ein Drittel der Bevölkerung in Großstädten lebt. Die Bedeutung grüner Infrastruktur ist in verschiedenen politischen Grundsatzpapieren verankert. Die in 2020 verabschiedete Territoriale Agenda 2030 2 betont die „Entwicklung naturbasierter Lösungen sowie grüner und blauer Infrastrukturnetze“ und setzt auf eine Vernetzung grüner Infrastruktur zur Förderung von Frei- und öffentlichen Grünflächen. Die Neue Leipzig Charta 3 für die Stadtentwicklungspolitik in Europa stellt die Bedeutung der „Grünen Stadt“ als eine der drei Dimensionen europäischer Städte - gerecht, grün, produktiv - für die Transformation heraus. Dazu gehören ein entsprechender Zugang zu Grün- und Freizeitflächen, sowie gut gestaltete, unterhaltene, vernetzte grüne und blaue Infrastrukturen als Grundlage für ein gesundes Lebensumfeld. Zur Schaffung eines Ausgleichs für Flächeninanspruchnahme und städtische Dichte sind grüne und blaue Infrastrukturen zu fördern. Dies soll die Artenvielfalt in der Stadt erhöhen, eine klimaneutrale, widerstandsfähige und umweltfreundliche Stadtentwicklung fördern und die 1 Urbane grüne Infrastruktur bildet die Gesamtheit städtischen Grüns als Netzwerk aus naturnahen und gestalteten Flächen 2 www.territorialagenda.eu/ home.html 3 Vom 30.11.2020, www.bmi.bund.de/ SharedDocs/ downloads/ DE/ veroeffentlichungen/ themen/ bauen/ wohnen/ neue-leipzigcharta-2020.pdf Urbane grüne Infrastruktur in und nach der Pandemie Urbane grüne Infrastruktur, Pandemie, Shutdown, Nahraum, Ziele Fabian Dosch, Stephanie Haury Grüne Städte sind ein Eckpfeiler der Neuen Leipzig Charta für die Stadtentwicklungspolitik. Die Pandemie zeigt, wie elementar öffentliche Nahräume und eine urbane grüne Infrastruktur für die Stadtgesellschaft sind. In der Krise dienen sie als Ausweichflächen zum begrenzten Wohnraum. Das stellt das Postulat der Nachverdichtung und kompakten Städte nicht in Frage, erfordert aber eine intelligente Gestaltung vielschichtiger Nutzungsansprüche auf engerem Raum. Auch nach der Pandemie macht eine qualitätsvolle grüne Infrastruktur Städte krisenresilienter, stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt, die Gesundheitsvorsorge und Lebensqualität. © hongwon jun auf pixabay 23 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Luftqualität verbessern. Das Weißbuch Grün in der Stadt formuliert zudem den Anspruch, multifunktionale und multicodierte Freiflächen herzustellen: „Grün- und Freiräume müssen vielfältige, sich überlagernde Nutzungsansprüche erfüllen und unterschiedlichen Nutzungsintensitäten standhalten.“ 4 Der Bund fördert Stadtgrün über verschiedene Programme. Die Städtebauförderung des Bundes und der Länder ist mit den drei neuen Programmen 5 ein Stück grüner geworden: Als neue Fördervoraussetzung kommen Maßnahmen zum Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel hinzu, insbesondere zur Verbesserung der grünen Infrastruktur, beispielsweise des Stadtgrüns. Die Finanzhilfen sind unter anderem für öffentliche oder private Maßnahmen zur Schaffung und zum Erhalt von Grünflächen und Freiräumen und zur Begrünung von Bauwerksflächen bestimmt. Zusätzlich sollen über Programme wie dem Investitionsprogramm „Modellprojekte zur Klimaanpassung und Modernisierung in urbanen Räumen“ aus dem Energie- und Klimafonds 109 Projekte im Kontext Stadtgrün und Klimaanpassung gefördert werden. 6 Als förderfähige Modellprojekte kommen die Neugestaltung von Parkanlagen und Gärten, klimaneutrale Wegbefestigungen, innovative Be- und Entwässerungsanlagen oder neue Nutzungsformen von bereits bestehenden Freiflächen in Betracht. 4 www.bmi.bund.de/ SharedDocs/ downloads/ DE/ publikationen/ themen/ bauen/ wohnen/ weissbuch-stadtgruen.pdf 5 www.staedtebaufoerderung.info/ StBauF/ DE/ Home/ _teaser/ aktuelleMeldungen/ 20191912_buehne_PM_NeueStBauF/ Programmstruktur_node.html 6 www.bbsr.bund.de/ BBSR/ DE/ startseite/ topmeldungen/ urbaneraeume-klimawandel.html Die Mittelausstattung dieser Programme ist im Wesentlichen in einer Zeit mit Haushaltsüberschüssen und guter Konjunktur beschlossen worden. Für 2020 und 2021 zeichnen sich bei den öffentlichen Haushalten von Bund, Ländern und Gemeinden erstmalig seit langem wieder hohe kassenmäßige Finanzierungsdefizite ab, die Ende 2020 bei 263,5 Mrd. Euro gelegen haben, 7 ganz überwiegend eine Folge der Sonderausgaben durch die COVID-19 Pandemie. Der Finanzierungsspielraum wird daher vermutlich wieder deutlich enger werden, obwohl Städte auf die Finanzierung von Maßnahmen für den Ausbau der grünen Infrastruktur angewiesen sind. Dabei erzeugen hohe Siedlungsdichten und die hohe Wertschöpfung bebauter Flächen einen anhaltenden Druck auf städtische Freiräume. Städte zeitweilig Hotspots der Pandemie Durch die hohe Bevölkerungsdichte und globale Vernetzung sind Großstädte bei Pandemien stärker gefährdet als deren Umland und ländliche Räume. Die Siedlungsdichte, definiert als Einwohner je m² Siedlungs- und Verkehrsfläche, ist in städtischen Kreisen schon heute um den Faktor 2,5, in Metropolen sogar um den Faktor 5 höher als beispielsweise in dünn besiedelten ländlichen Kreisen [1]. Für die Ausbreitung der Pandemie noch entscheidender als die Siedlungsdichte ist der Grad der physischen Vernetzung, vornehmlich der Reise- und Pendlerverflechtungen. Unter den Bedingungen des ersten vergleichsweise strengen Shutdowns - etwa vom 22. März bis zum 6. Mai 2020 - wiesen 7 www.bundesfinanzministerium.de/ Monatsberichte/ 2020/ 11/ Inhalte/ Kapitel-3-Analysen/ 3-4-mittelfristige-projektion-oeffentliche-haushalte-2020-2024.html Bild 1: 7-Tages- Inzidenzen gemeldeter COVID-19-Fälle je 100 000 Einwohner für die acht größten Städte in 2020. © BBSR, Wenxin Hu Kalenderwoche 24 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie bundesdeutsche Großstädte zunächst keine höheren Infektionszahlen im Vergleich zu Mittel- und Kleinstädten auf, schlicht weil Arbeitsstätten geschlossen waren und Großstadtfunktionen wie Veranstaltungen, Messen etc. fehlten. Die Mobilität nahm während der Pandemie durch Homeoffice und Kurzarbeit massiv ab, wochentags um rund 40 % gegenüber dem Vorjahr 8 , wobei der Rückgang an den Tagesrandzeiten wesentlich höher als in den Tagesstunden war. Nachdem die Bundesländer die Auflagen ab Anfang Mai lockerten, steigerte sich die Bewegungsfrequenz wieder. Bereits im Sommer (zum Beispiel: 17. Juni bis 15. August) wies der städtische Raum doppelt so hohe Fallzahlen wie der ländliche Raum auf. Mit dem starken Anstieg der Fallzahlen im Spätherbst 2020 nivellierten sich die Unterschiede zwischen den verschiedenen Stadttypen jedoch wieder. 9 Zwischen den Metropolen gab es im Zeitverlauf jedoch beträchtliche Unterschiede (vgl. Bild 1), die oft spezifische Ursachen haben und keinen erkennbaren Zusammenhang etwa mit Wirtschaftskraft oder Arbeitslosenquote aufweisen. Grüne Infrastruktur im Shutdown Physical oder Social Distancing, das kollektive Verbot größerer Menschenansammlungen, „Bleib-zu- Hause“-Appelle und die deutliche Zunahme von Homeoffice schränkten die Mobilität im Frühjahr 2020 und im Winter 2020/ 21 stark ein. Noch nie waren in Deutschland so viele Menschen kollektiv so lange an ihre Wohnung und das unmittelbare Wohnumfeld gebunden wie in den Phasen des verschärften Shutdowns. Im Dezember gab es nächtliche Ausgangssperren in einzelnen Bundesländern und Städten, wenn auch nicht so restriktiv wie in Südeuropa [2]. Die siedlungsnahe Erholung tagsüber blieb jedoch flächendeckend erlaubt. Die Mobilität ging insgesamt drastisch zurück und konzentrierte sich auf lokale und regionale Aktionsräume. Innenstädte 8 www.destatis.de/ DE/ Service/ EXDAT/ Datensaetze/ mobilitaetsindikatoren-mobilfunkdaten.html 9 tableau.bsh.de/ #/ views/ CoronaRegionalBBSR/ CoronaRegional- BBSR waren gespenstisch leer (vgl. Bild 2). Weniger drastisch, doch ähnlich sah es im zweiten Shutdown im Winter 2020/ 21 aus. Als Reaktion auf Bewegungsbeschränkungen suchten viele Menschen nach Alternativen für Erholung. Allerdings sperrten Städte vor allem beim ersten Shutdown Teile öffentlicher Plätze, Parkanlagen, Spielplätze, See- und Flussufer sowie Ausflugsorte, wie zum Beispiel Zürich (Parks) oder Bonn (Altstadt zur Zeit der Kirschblüte). Besonders attraktive Freiräume wie Aussichtspunkte wurden komplett abgeriegelt, Schulhöfe, Sportanlagen und sogar Bänke gesperrt. Etliche Stadtbewohner wichen auf wohnortnahe Grünflächen aus. Abstandregeln konnte die Bevölkerung an manchen Orten nur schwer einhalten, Grünflächen und Parks waren in verdichteten Lagen teilweise übernutzt. Parks und Plätze in dichten Großstädten erlebten und erleben eine noch intensivere Nutzung als sonst: Spaziergänger 10 , Jogger und andere Sportler mussten sich den knappen Freiraum teilen. Nach einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Initiative „Grün in die Stadt“ 11 halten knapp die Hälfte der Befragten städtische Grünanlagen seit der Pandemie für wichtiger, mehr als jeder Vierte sucht diese auch häufiger auf, insbesondere jüngere Menschen unter 30 Jahren sowie Eltern von Kindern unter zehn Jahren. Über die Nutzung entscheidet vor allem die Entfernung. Allerdings zeigte sich für die ältere und hochbetagte Bevölkerung ein Konflikt zwischen Gesundheits- und Sicherheitsziel: Freiräume wurden tendenziell weniger und zudem kürzer besucht. Eine im April 2020 durchgeführte Umfrage für die Kantone Genf und Zürich bestätigt das veränderte Freizeitverhalten auch in der Schweiz. 12 Während des Shutdowns besuchte die dort ansässige Bevölkerung Frei- und Grünräume im Nächst- und Nahbereich häufiger und länger als sonst. Die 10 Aus Gründen der Lesbarkeit und Kürze des Beitrags wird eine geschlechtsneutrale Formulierung gewählt 11 www.gruen-in-die-stadt.de/ informieren/ vorteile-von-stadtgruen/ stadtgruen-ist-wichtiger-denn-je 12 ilf.hsr.ch/ fileadmin/ user_upload/ ilf.hsr.ch/ Bilder/ Umfrage_Freizeit_Coronavirus_HSR _hepia.pdf Bild 2: Innenstädte und Grünflächen während des 1. Shutdowns Frühjahr 2020. © Kulik (Berlin), Dosch (Bonn); April 2020 25 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Befragten nutzten, wenn möglich, zunächst die privaten Grünräume und dann erst öffentliche Grünflächen, vor allem für Spaziergänge und Ruhe. Für den Großraum Oslo ergaben Auswertungen mobilen Trackings, dass die Freizeitaktivität im Freien während des Shutdowns um Witterungseffekte bereinigt um 291 % im Vergleich zu einem 3-Jahres- Durchschnitt für den gleichen Tag zunahm [3]). Der Prozentsatz der Bevölkerung Oslos, die täglichen Freizeitaktivitäten nachging, stieg von 4,1 % auf 14,6 %. Die Aktivitäten wurden vor allem an der städtischen Peripherie intensiviert. Sowohl die Fußgänger- (Spazierengehen, Laufen, Wandern) als auch die Fahrradaktivität nahm auf städtischen Wegen mit mehr Grün und > 75 % Baumbedeckung um das Zweifache zu. Zudem stieg die Fußgängeraktivität in Stadtparks, im Stadtwald und in geschützten Gebieten, was die Bedeutung des Zugangs zu grünen Freiflächen unterstreicht, die mit der bebauten Infrastruktur verwoben sind. In Deutschland entstanden während des ersten Shutdowns temporär Pop-up- Radwege und ganze Straßenzüge wie beispielsweise die Friedrichstraße in Berlin wurden umgebaut. So schnell und unbürokratisch sie entstanden sind, mussten sie aufgrund rechtlicher Bedenken jedoch wieder zurückgebaut werden. In vielen Städten weltweit entstanden Experimente im Stadtraum wie Parklets, Stadtmöbel auf ehemaligen Parkplatzflächen, mobiles Grün im Straßenraum oder urbane Mikrogärten. 13 Dass der Nahbereich wichtiger wurde, zeigen auch Auswertungen der Mobilität für Deutschland. 14 Die Mobilität sank 2020 im Vergleich zur Vor-Corona Mobilität um 17 % innerhalb der Städte, Fahrten Richtung Stadtzentrum gingen dauerhaft stark zurück. Die wöchentlichen Passantenzahlen in den Innenstädten 15 schrumpften im Vergleich zur Prognose während der Shutdowns um 70 - 90 %. Die Bevölkerung nutzt seither das Fahrrad um 26 % häufiger als zuvor. Nachweislich besteht ein Zusammenhang zwischen Wohnsituation und Freizeitverhalten: Die urbane Wohnungsversorgung mit ihrem höheren Anteil an kleineren Wohnungen ohne Garten oder Balkon und einer geringeren Pro-Kopf-Wohnfläche 13 Vgl. Hanzl in www.tandfonline.com/ doi/ full/ 10.1080/ 23748834.2020.1791441 14 www.teralytics.net/ de/ ressourcen-zu-covid-19/ ? selected_ data=de 15 www.ifw-kiel.de/ de/ themendossiers/ corona-krise/ datenmonitorcorona-krise/ Bild 3: Grünanlagen und Subzentrum während des zweiten Shutdowns Jahreswechsel 2020/ 21. © Dosch, Haury (Bonn); Dezember 2020 Auswirkungen der Pandemie auf das Stadtgrün und öffentliche Freiräume Erhöhte Bedeutung von Nahräumen auch aufgrund von Homeoffice und flexiblen Arbeitszeiten Vermehrte Bewegung in und Nutzung städtischen Grüns vor allem in städtischen Randlagen, Renaissance des Spazierengehens Verstärkte Nutzung touristischer Hotspots (Parks, Fluss- und Seeufer, Wälder etc.) im Nahbereich, auch im Winter Höhere Multicodierung, also Mehrfachansprüche an Grünflächen, als zuvor Kreis der sozialen Schichten, der Parkanlagen nutzt, erweitert sich auf Personen aus Risikogruppen und Personen, die der häuslichen Enge entfliehen Absperren von Freiflächen: erhöht Druck auf die verbleibenden Grünflächen und ist sozial problematisch Neue Bestimmungen zu Aufenthalt und Bewegung wegen Abstandsregeln (Einbahnstraßen, Beschränkungen etc.) Höhere ordnungsrechtliche Kontrolle von Grünräumen zu Pandemiezeiten Grünanlagen als Ersatz-Wohnräume und Räume der Lebenskultur vorwiegend junger Leute Grünflächen als wichtige Orte für Begegnung und Austausch aufgrund von Angstzuständen und Vereinsamung Mobile kulinarische Einrichtungen wie Pop-up-Cafés entstehen in Parkanlagen aufgrund von Schließungen in der Gastronomie Probleme des Klimawandels und Pandemie überlagern sich - Trockenheit, Wassermangel und Übernutzung erfordern nachhaltige Pflegeansätze Tabelle 1: Auswirkungen der Pandemie auf Stadtgrün und öffentliche Freiräume. 26 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie erweist sich in Pandemien als nachteilig. Ärmere Bevölkerungsgruppen waren von beengten Wohnverhältnissen besonders stark betroffen. Neben dem eigenen Wohnort und Läden für den täglichen Bedarf waren während der Shutdowns Parks der einzige Bereich, den Menschen im Vergleich zur „Vor- Corona-Zeit“ verstärkt nutzten. (Bild 3). Der Nutzungsdruck auf innerstädtische Parks war bereits vor der Krise groß und wird angesichts des Wegfalls anderer Freizeitangebote deutlich verstärkt. Das Abstandsgebot erhöht den Grün- und Freiflächenbedarf noch einmal deutlich. Tabelle- 1 fasst einige Auswirkungen der Pandemie auf die urbane grüne Infrastruktur zusammen. Lehren aus der Pandemie Der Nahraum wird wichtiger Die Corona-Krise verdeutlicht, wie wichtig Grün- und Freiräume im direkten Wohnumfeld sind (Bild- 4). Bei höherer Wohndichte und weniger Fernreisen wird der Bedarf an lokalen Erholungsmöglichkeiten den Druck auf städtische Grünflächen erhöhen. Für viele ist der öffentliche Raum im Shutdown fast die einzige Möglichkeit, real und nicht nur virtuell andere Menschen zu sehen, sich zu bewegen und so etwas wie öffentliches Leben zu erfahren. Grüne Infrastruktur war vor der Pandemie nützlich, während der Pandemie für etliche aber unerlässlich [2]. Das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie konstatiert, dass die Post-Corona-Stadt 16 „näher“, „öffentlicher“ und „agiler“ sein wird. 17 Die Freiräume müssen jedoch erreichbar und zugänglich sein. „Die Frage der Umweltgerechtigkeit, also nach dem gleichberechtigten Zugang zu Räumen, stellt sich in unmittelbarer Form neu: Wer Zugang zu privatem Freiraum und zu privaten Verkehrsmitteln hat, ist in der Zeit der Pandemie sicherer vor Infektionen, bzw. wer dies nicht hat, muss sich einem erhöhten Infektionsrisiko aussetzen“. 18 Ausgangsbeschränkungen schränken die Möglichkeiten zur körperlichen Betätigung für alle ein, haben aber einen größeren Effekt für gefährdete Bevölkerungsgruppen. 19 Für Kinder und Jugendliche ist besonders wichtig, sich auch in der Corona-Krise trotz Ausgangsbeschränkungen und Spielplatzsperrungen ausreichend draußen zu bewegen und zu 16 Das BMI/ BBSR untersucht im Programm „Post-Corona-Stadt “ in Pilotprojekten unter anderem auch die Gestaltung und Neunutzung von Grünflächen. https: / / www.bbsr.bund.de/ BBSR/ DE/ startseite/ topmeldungen/ pilotprojekte-post-corona-stadt.html 17 www.wupperinst.org/ a/ wi/ a/ s/ ad/ 5051/ , April 2020 18 Hennecke in freiraum-krise.de/ corona-pandemie-und-freiraumplanung/ 19 www.cdc.gov/ pcd/ issues/ 2020/ 20_0204.htm Tabelle 2: Einschätzung der relativen Bedeutung der Nutzung von Hausgärten und öffentlicher Grünflächen bestimmter Bevölkerungsgruppen - normal und im Shutdown. Anlagentyp Normalerweise ohne Pandemie Shutdown - light (ohne Absperrungen, aber Abstandsgebote und Geschäftsschließungen) Ausgangssperre (wie in Südeuropa) Bevölkerungsgruppe Alle Bevölkerungs gruppen Jugendliche Mittelalt, Kids Migrationshintergrund Hochbetagte Alle Bevölkerungsgruppen Hausgarten wenn vorhanden + ++ ++ ++ ++ Nur zur Eigennutzung Pocket Park im Wohnumfeld o ++ ++ + + Nur wohnungsnah Stadtbezirkspark + + ++ + o untersagt Regioparks besuchen/ E-Biken u. a. o - + o - untersagt Quelle: Eigene Einschätzung (ohne empirische Daten dazu). - Geringe Bedeutung bis ++ hohe Bedeutung bzw. sehr wichtig / gibt es nicht Bild 4: Aktivitäten im öffentlichen Freiraum vor (oben) und in (unten) der Pandemie. © Dosch, Haury 27 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie spielen. 20 Der Zugang zu Grünflächen sollte auch im Shutdown bei physischer Distanzierung ermöglicht werden [4]. Die Pandemie zeigt, die Bedeutung öffentlicher Grünflächen und Parks nimmt während der Pandemie für die meisten Bevölkerungsgruppen zu (vgl. Tabelle 2) - je näher desto stärker - auch für Spaziergänger, Sportler und zur Gesundheitsvorsorge. Die Bedeutung von wohnortnahen Pocket- und Quartierparks steigt. Auch für die ältere Bevölkerung, wenngleich diese weniger Nutzungsansprüche formuliert. Grünflächen müssen aber auch vorhanden sein, das ist in Stadträumen aber höchst unterschiedlich der Fall, was Satellitendaten und die daraus abgeleitete Grünausstattung einzelner Städte belegen. 21 Beispielsweise ist die innerstädtische Grünausstattung in Berliner Stadtbezirken vergleichsweise gering (vgl. Bild 5), die wenigen öffentlichen Grünflächen werden stark frequentiert. Neben den wohnungsnahen Grünflächen definiert sich Naherholung neu: Vermehrt werden etwa mit dem E-Bike erreichbare Regionalparks oder große Grünräume am Stadtrand genutzt, in denen zudem das Infektionsrisiko viel geringer ist als in der City. Das Freizeitverhalten zeigt neue Nutzungsarten wie Wildcampen und ausgeweitete Picknicks. Während des zweiten Shutdowns kam es im Winter 2020/ 21 zu Ausflugsfahrten in nahegelegene und somit stark überfüllte Mittelgebirgsregionen. Pandemie als Trigger für Stadtumbau Die Pandemie wirkt wie ein Trigger für längst überfällige Transformationen zum nachhaltigen Stadtumbau. Normative Orientierungen wie die „kompakte Stadt“ sind zu justieren. Es geht nicht um ein Ende der Verdichtung, aber um mehr Öffentlichkeit, Zugänglichkeit und Qualität von Freiräumen. Jetzt wird deutlich, wie wichtig ausreichend bemessene öffentliche Räume und grüne Oasen direkt vor der Haustür sind. Wo das nicht möglich ist, sollten wenigstens Balkone und attraktiv gestaltete Vorgärten und Mietergärten vorgesehen werden. Neue Formen der Straßenbegrünung wie begrünte Fahrradwege, Parklets oder Grünachsen sollen die Großstädte mit „sanfter Mobilität“ durchziehen. Wichtig ist hierbei eine durchgehende Vernetzung, die eine Renaissance des Spazierengehens und Radfahrens Raum bieten. 20 www.dji.de/ themen/ familie/ kindsein-in-zeiten-von-coronastudienergebnisse.html 21 www.bbsr.bund.de/ BBSR/ DE/ forschung/ programme/ refo/ staedtebau/ 2019/ gruenmonitoring/ 01-start.html Neue Kenn- und Orientierungswerte für Stadtgrün sind auszuhandeln 22 , gängige Versorgungsschlüssel nachzujustieren. 23 Stadtparks sollen wie alles Lebenswichtige - in Anlehnung an das Konzept von Paris 24 - innerhalb von 15 Minuten Fußweg erreichbar sein, kleine Parks in 300 m, große in 700 m Entfernung. Wichtig ist die Justierung übergeordneter Ziele mittels Masterplänen oder anderer informativer Planwerke. Der Senat Berlin hat sich zum Beispiel mit einer „Charta für das Berliner Stadtgrün“ verpflichtet, für mehr Grünflächen und bessere Parks zu sorgen, die für ihre Nutzer auch fußläufig zu erreichen sind. 25 Die Stadtplanung und -gestaltung sollte im Sinne einer „biophilen“ naturnahen Architektur graue und grüne Infrastruktur nahe zusammen bringen. 26 Eine vielfältige Mischung kleiner wohnortnaher Grünflächen, größerer Quartiersparks und großer Regionsparks, durchsetzt von öffentlichen Grünflächen und Korridoren in der Nähe von Wohngebieten macht die Stadtregion resilient. Zur Planung zählt auch der Bau und die Instandhaltung der grünen Infrastruktur. Zur Finanzierung schlägt zum Beispiel das Land Bremen einen Investitionsfonds für nichtöffent- 22 www.bbsr.bund.de/ BBSR/ DE/ veroeffentlichungen/ sonderveroeffentlichungen/ 2018/ handlungsziele-stadtgruen.html 23 difu.de/ publikationen/ 2020/ stadtentwicklung-in-coronazeiteneine-standortbestimmung 24 www.paris.fr/ dossiers/ paris-ville-du-quart-d-heure-ou-le-paride-la-proximite-37 25 meingruenes.berlin.de/ 26 www.mdpi.com/ 2413-8851/ 4/ 4/ 56 Bild 5. Grünfläche in m² pro Einwohner für die Stadtbezirke Berlins. Quelle: Berechnungen des Leibniz-Instituts für ökologische Raumentwicklung auf Basis von Klassifikationen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt aus dem Projekt „Monitoring des Stadtgrüns“ im Auftrag des BBSR Friedrichshain-Kreuzberg Mitte Neukölln Tempelhof-Schöneberg Lichtenberg Marzahn-Hellersdorf Charlottenburg-Wilmersdorf Pankow Reinickendorf Steglitz-Zehlendorf Spandau Treptow-Köpenick Berlin 12 24 47 48 71 87 96 123 190 193 200 385 119 0 50 100 150 200 250 300 350 400 Berlin 28 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie liche Parks und Grünanlagen vor. 27 Die Krise zeigt, dass Naherholungsgebiete und der Nahraum auch zur Gesundheitsvorsorge und Salutogenese essentiell sein können, sei es für soziale, physische oder psychische Belange. 28 Grünflächen erleichtern die soziale Distanzierung und schwächen indirekt die Ausbreitung von Pandemien. Grüne Infrastrukturnetzwerke, die die Offenheit und Durchlässigkeit einer Stadtstruktur erhöhen, können somit Strukturen stärken, die widerstandsfähiger gegen virale Pandemien sind. [5] Schon vor der Corona-Krise gab es Bedenken gegenüber einer allzu strikten investorengetriebenen, baulichen Innenentwicklung, die die Belange der Freiraumentwicklung nachrangig stellt. Ansätze wie die der doppelten Innenentwicklung oder der „intelligent kompakt-grünen Stadt“ 29 sind nun wichtiger denn je, da sie Freiräume bewahren, schaffen, vernetzen. Es gilt nun zu überprüfen, welches die Lehren aus der Pandemie sind. Wie lassen sich bestehende Freiräume und Grünflächen sichern, aufwerten und öffnen? Welche bisher ungenutzten Bereiche und Flächen lassen sich zur urbanen grünen Infrastruktur hinzufügen? Welche Rolle spielen bürgerschaftlich initiierte Projekte und an welchen Stellen muss die öffentliche Hand eingreifen? Die Krise hat sicher Grundlagen für neue Leitbilder, aber auch für die Überprüfung bestehender Leitbilder geliefert. Für ein neues Leitbild einer urbanen grünen Infrastruktur, dass auch unter und nach einer Pandemie wirkungsvoll ist, sind folgende Aspekte leitend [1]:  UGI bietet Freiräume im direkten Wohn- und Arbeitsumfeld  UGI offeriert ein System vernetzter Pocket-/ Mikroparks über Quartiersparks bis zu Regioparks  UGI bietet einen höheren Anteil öffentlich zugänglicher Grünflächen  UGI ist ausreichend quantitativ wie auch qualitativ ausgestattet  UGI bietet in verdichteten Städten intelligente Lösungen für Grün auf knappem Raum  UGI wird digital erschlossen, multicodiert gestaltet und multifunktional genutzt 27 www.gruenes-bremen.de/ ; www.bdla.de/ dokumente/ landesverbaende/ niedersachsen-bremen/ aktivitaeten-7/ 785-positionspapier-stadtgruen-konjunkturprogramm-2020/ file 28 Vgl. u.a. www.bfn.de/ fileadmin/ BfN/ service/ Dokumente/ skripten/ Skript371.pdf; www.euro.who.int/ en/ health-topics/ environment-and-health/ urban-health/ publications/ 2016/ urban-green-spaces-and-health-a-review-of-evidence-2016; difu.de/ arbeitsgruppe-gesundheitsfoerdernde-gemeinde-undstadtentwicklung; gesunde-staedte-netzwerk.de 29 des IÖR, vgl. www.sciencedirect.com/ science/ article/ abs/ pii/ S1470160X17304144  UGI schließt bürgerschaftlich initiierte Projekte ein  UGI fördert den sozialen Zusammenhalt, die Lebensqualität und kreative Nutzung  UGI ist ein Eckpfeiler resilienter Städte, insbesondere zur Klimafolgenvorsorge, Nahrungsmittelproduktion  UGI ist umweltgerecht verteilt und umweltfreundlich erreichbar  UGI bietet Begegnungsräume in Distanz und ermöglicht urbanes Gärtnern  UGI ermöglicht und physische und mentale Gesundheitsvorsorge über das Stadtgebiet für Bewegung, Sport und Ruhe/ Kontemplation gleichermaßen LITERATUR [1] Dosch, F., Haury, S.: Städtisches Grün in Pandemiezeiten. Beobachtungen, Erkenntnisse und Herausforderungen für die Zukunft. IzR-Heft 04/ 2020 Corona und Stadtentwicklung - Neue Perspektiven in der Krise? , (2020) S. 69 - 81. [2] Ugolini, F. et al.: Effects of the COVID-19 pandemic on the use and perceptions of urban green space: An international exploratory study. Urban Forestry & Urban Greening 56 (2020). https: / / doi.org/ 10.1016/ j. ufug.2020.126888. [3] Venter, Z., Barton, D., Figari, H., Nowell, M.: Urban nature in a time of crisis: recreational use of green space increases during the COVID-19 outbreak in Oslo, Norway. Environmental Research Letters, Vol. 15, No. 10, (2020). https: / / doi.org/ 10.31235/ osf.io/ kbdum. [4] Slater, S., Christiana, R., Gustat, J.: Recommendations for Keeping Parks and Green Space Accessible for Mental and Physical Health During COVID-19 and Other Pandemics. Prev Chronic Dis (2020); 17: 200204. DOI: http: / / dx.doi.org/ 10.5888/ pcd17.200204. [5] Hanzl, M.: Urban forms and green infrastructure - the implications for public health during the COVID-19 pandemic, Cities & Health, (2020) DOI: 10.1080/ 23748834.2020.1791441 Dr. Fabian Dosch Referatsleiter Stadt-, Umwelt- und Raumbeobachtung Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung Kontakt: fabian.dosch@bbr.bund.de Stephanie Haury Projektleiterin im Referat Stadtentwicklung Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung Kontakt: stephanie.haury@bbr.bund.de AUTOR*INNEN 29 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Urbaner Wandel - die Stadt nach Corona Grünräume fördern öffentliche Gesundheit Grünräume, Stadtklima, urbaner Wandel, Corona-Pandemie Herbert Dreiseitl Grünräume sind existenziell für das psychische Wohlbefinden der Menschen - gerade in Zeiten der Corona-Pandemie - für die Stabilisierung des Mikroklimas und den Erhalt der Artenvielfalt. Mit jedem weiteren Monat des Lockdowns wird die Krise unserer Lebensverhältnisse besonders in den Städten deutlicher. Ausgangs- und Reisebeschränkungen zwingen uns, mit dem eigenen Wohnraum und dem unmittelbaren Freiraum im direkten Umkreis zurechtzukommen. Naturerlebnis als wesentlicher Faktor für psychische Gesundheit, Ausgeglichenheit und Resilienz (Widerstandskraft) kann nicht mehr in der Ferne auf Reisen und Ausflügen gefunden werden. Jetzt muss das Grün auf dem Balkon, auf dem Dach, vor der Haustüre und im nahegelegenen kleinen Park um die Ecke (Pocketpark) genügen. Aber wie grün ist es dort? In der Krise erleben die Menschen sich selbst und ihre Umgebung neu. Irgendwie hat das Corona-Virus über Nacht das geschafft, was Politiker*innen, Planer*innen und Umweltaktivist*innen über Jahrzehnte nicht vermochten. Hat dieser Wandel Bestand? Wie lassen sich die positiven Erfahrungen erhalten und sogar weiterentwickeln? Bild 1: Nutzungen lassen sich überlagern und zu Synergien verbinden. Bishan-Ang Mo Kio Park, Singapur. © PUB, Singapore’s National Water Agency 30 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Es gibt heute zahlreiche international beachtete und ausgezeichnete Bauprojekte mit dem Ziel einer klimaresilienten und lebenswerten Stadtgestaltung. Was bereits vor 40 Jahren als Pionierleistung begonnen hatte, wird heute als blau-grüne Infrastruktur zunehmend Standard. Erfreulicherweise finden diese Themen jetzt mehr Beachtung in der breiten Öffentlichkeit. Im Zusammenhang mit der aktuellen Pandemie und der sich zuspitzenden Klimakrise seien in diesem Artikel wesentliche Zusammenhänge, Argumente und Anregungen beschrieben. Der Begriff „Biophilia“ bezeichnet die Liebe zur Natur sowie zu allen Lebewesen und unterstreicht die Tatsache, dass eine gesunde Umwelt mit viel Grün zu einem zentralen Grundbedürfnis der Menschen gehört. Wohl den Städten und Siedlungen, die rechtzeitig ihren Fokus auf privates und öffentliches Grün gelegt haben. Sehr gute Grün-Planung, Finanzierung, Umsetzung und Pflege zahlen sich jetzt in der Corona-Krise aus. Neueste Studien zeigen, dass Menschen in Städten mit viel Grün, wie Karlsruhe, Berlin oder Singapur, deutlich weniger mental belastet sind und erkranken. Ökosystemleistungen Immer noch sind die sogenannten Ökosystemleistungen, also alle Leistungen, die die Natur uns Menschen gratis zur Verfügung stellt, viel zu wenig erforscht und wertgeschätzt. Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) arbeitet gemeinsam mit anderen Institutionen am Forschungsprojekt „Grüne Lunge“ [1]. Hier geht es beispielsweise um das Finden geeigneter Stadtbäume, die dem zunehmenden Klimastress standhalten (Resilienz gegen Käferbefall, etc.), um einen intensiven Dialog mit Entscheidungsträger*innen sowie um die Inklusion der Bevölkerung. Stadtgrün mit Stauden, Bäumen und Gehölzen verbessert die Qualität des versickernden Regenwassers (eine Grundlage für sauberes Trinkwasser), reguliert den Wasserhaushalt durch Speicherung und Verdunstung (Kühlungseffekt), mildert die Hitzebelastung in Städten, filtert Luftschadstoffe, produziert Sauerstoff, bindet Kohlenstoff und wirkt so dem Klimawandel entgegen (Klimamitigation). Bäume bieten ein Habitat für vielerlei Lebewesen und fördern dementsprechend die Biodiversität (Artenvielfalt). Sie verschönern die Städte und bieten Raum für Erholung. Wie selbstverständlich fühlen wir uns im Sommer im Schatten eines großen Stadtbaumes wohl. All das lässt sich auch durch Bauwerksbegrünung an Fassade und Dach erreichen. Doch dieser vielfältige Nutzen in Städten wird bisher zu wenig beachtet. Public Health Die Neurologen Mazda Adli und Jonas Schöndorf widmen sich dem Thema Public Health (öffentliche Gesundheit) in einem Leitartikel im deutschen „Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz“ vom Juli letzten Jahres mit dem Titel „Macht uns die Stadt krank? Wirkung von Stadtstress auf Emotionen, Verhalten und psychische Gesundheit.“ [2] Ein Großteil der unter die Lupe genommenen Studiendaten legt nahe, dass ein kausaler Zusammenhang besteht zwischen Stadtleben und psychischem Erkrankungsrisiko für Depressionen, Angsterkrankungen sowie Schizophrenie. Nach Auffassung der Autoren ergibt sich „sozialer Stress im Kontext von Stadtleben vor allem aus der Gleichzeitigkeit von sozialer Dichte (Enge) und sozialer Isolation (Einsamkeit, Ausschlusserfahrung).“ Auch physikalische Stressoren wie Feinstaub, Lärm und städtische Hitze kommen als pathogene (krank- Bild 2: Verstädterung, Versiegelung und Klimawandel: in Ballungszentren sind Grünflächen unabdingbar, um den dramatischen Folgen entgegenzuwirken. © Kompetenzzentrum Gebäudebegrünung und Stadtklima e.V. Bild 3: Zugang zu öffentlichem Grün für alle Generationen. Kallang-River, Singapur. © Herbert Dreiseitl 31 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie machende) Faktoren hinzu. Die Autoren prägen den Begriff der „Urban-Mental-Health-Strategie für die Stadt der Zukunft“ und gehen dabei auch auf die besondere Bedeutung öffentlicher Grünflächen ein. Sie zitieren eine Studie, wonach Kinder, die mit Zugang zu einer Grünfläche aufwachsen, ein geringeres Risiko für psychische Erkrankungen im Erwachsenenalter haben. Öffentlicher Raum stimuliert auch soziale Interaktion. Normalerweise haben Stadtbewohner*innen einen besseren Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung, persönlicher Entfaltung und kultureller Vielfalt. Diese urbanen Vorteile sind aktuell durch die Corona-bedingten Maßnahmen leider eingeschränkt. Forschungs- und Handlungsbedarf besteht in Bezug auf Präventionskonzepte zum Schutz der psychischen Gesundheit der Stadtbevölkerung. So haben die Autoren in Berlin das interdisziplinäre Forum „Neurourbanistik“ gegründet mit Fachleuten unter anderem aus Psychiatrie, Psychologie, Soziologie und Stadtplanung. Sie geben in ihrer Charta erste Handlungsempfehlungen für gesündere Städte. [3] Neue Wertediskussion Die Diskussion, was ist Lebensqualität, was brauchen und wollen wir wirklich und auf welchen Konsum kann verzichtet werden, ist in der Corona- Pandemie in vollem Gange. Vielfach wird laut, dass wir weltweit nicht mehr zurück zum alten Zustand sollten, sondern die Chance nutzen mögen für eine Veränderung zu einem nachhaltigeren Lebensstil. Ganz zurecht muss das Dogma des unendlichen Wirtschaftswachstums hinterfragt werden. „Degrowth by Design“ ist jetzt nötig, also bewusste und geplante Wachstumsrücknahme, die bereits im Designprozess von Produkten festgelegt ist. Laut Friedensforscher Josef Mühlbauer (Varna Institute for Peace Research) sind für die Gestaltung des Umbruchs zur Postwachstumsgesellschaft alternative Wohlstandsindikatoren (zum Beispiel: Zeitwohlstand), ökologische Fiskalpolitiken, Emissionsbegrenzungen, gemeinschaftliche Infrastrukturen und nicht zuletzt die Förderung regionaler Selbstversorgung entscheidend. [4] Bereits vor der Krise lancierte die Europäische Union den „Green Deal“ und der renommierte Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber, Gründer des Potsdam Instituts, fordert darauf aufbauend sehr einleuchtend einen „Klima-Corona-Vertrag“, indem er sagt: „Derzeit wird sehr zu Recht von den jüngeren Teilen der Bevölkerung Solidarität mit den Älteren eingefordert, die ja viel stärker durch das Virus gefährdet sind. Umgekehrt sollten die Älteren beim Klima Solidarität mit den Jüngeren üben, denn Letztere werden die Folgen der Erderhitzung in ihrem Leben viel stärker spüren.“ [5] Anders als das Coronavirus ist die Klimakrise zunächst nicht unmittelbar lebensbedrohlich, aber in ihrer Auswirkung umso dramatischer und unumkehrbar. Daher ist nun die Frage, ob die Menschheit den wohl größeren Bedrohungen wie dem Klimawandel begegnen kann, der ja erstmal schleichend und zunächst fasst unbemerkt daherkommt. Und ohne direkten Zwang geben Menschen ihre Gewohnheiten kaum auf oder setzen keine Veränderungen in Gang. Urbanes Bauen im Wandel Welche Fragestellungen hat die Corona-Krise in der Architekturszene, im Städtebau und in der Freiraumarchitektur ausgelöst? Auch hier herrscht Unsicherheit, aber ebenso der Mut zur Veränderung. Bild 4: Auch kleine Pocketparks im Quartier haben eine große Wirkung für die Naherholung der Bewohner*innen - als soziale Begegnungsräume fördern sie physische und mentale Aktivität und Gesundheit. Tanner Springs Park, Portland Oregon USA. © Herbert Dreiseitl 32 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Während manche Verbände der eher konservativen Bauwirtschaft mit großen Ängsten einer drohenden Rezession entgegensehen, sind innovative Entwickler*innen, Planer*innen und Architekt*innen bereits auf dem Weg, zu einem Paradigmenwechsel für nachhaltigen Städtebau, für ökologische Gebäude sowie blau-grüne Infrastrukturen. Die Krise stößt neues Denken an, so hat die Stadt Singapur kürzlich Programme für eine interdisziplinäre Arbeitsweise in die Wege geleitet. „Die Stadt soll gesundes Leben für ALLE fördern. Daher müssen Gesundheitsfachleute und Stadtplaner viel stärker zusammenarbeiten,“ sagt Khoo Teng Chye, der Gründer des staatlichen Center for Liveable Cities, Singapur. [6] Die Arbeitswelt erlebt, dass Homeoffice und Videokonferenzen Wege verkürzen oder ganz überflüssig machen. Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo [7] spricht von der „15-Minuten-Stadt“, in welcher die Bewohner*innen ihre täglichen Wege zu Fuß, mit dem Rad oder öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen. In einer Stadt wie Paris ist dabei essentiell, dass dies nicht nur für die schicken Bezirke gilt, sondern für alle, auch die Vororte. Andernfalls verlagert sich die Problematik der viel zu großen Menge von PKWs in unseren Städten. Die Reduktion des motorisierten Individualverkehrs kann mehr Platz für Grün schaffen. Auch für den Architektur-Professor Niklas Maak ist die Corona-Krise Weckruf und Gelegenheit, um sich grundsätzliche Fragen zu stellen: „Wie wollen wir eigentlich leben? In liebloser Schachtel-Architektur, in schlechter, gewinnorientierter Investorenarchitektur? In Wohnformen, die für viele Ältere oder Alleinerziehende gerade sichtbar zu Vereinsamung führen? Diese Krise muss auch ein Weckruf sein“, sagt Maak. „Wir müssen das Bauen ganz neu definieren. Wir müssen zu ganz anderen Formen kommen.“ Maak arbeitet mit seinen Studenten in Harvard daran, leerstehende Einkaufszentren oder überflüssige Büros umzubauen und Pläne für neuartige Nutzungen zu entwickeln. „Denn es gibt extrem viele interessante junge Architekten, die hervorragende Ideen haben“, so Maak. [8] Europäische Programme für Stadtgrün Auf Europäischer Ebene sind neue Programme, Normen und Finanzierungen in Vorbereitung. Über die europäische Plattform „Green Cities“ wird die Begrünung der Städte [9] ausgezeichnet. Städte ab 20 000 Einwohner*innen sind aufgefordert, ehrgeizige Pläne für die Begrünung auszuarbeiten. Dazu gehören Maßnahmen zur Schaffung von biologisch vielfältigen städtischen Wäldern, Parks und Gärten, Stadtbauernhöfen, begrünten Dächern und Bild 6: Wenn Stadtplaner, Architekten, Klimaforscher und Gesundheitsfachleute zusammenarbeiten, kann das Ergebnis nur grün aussehen. Hotel Parkroyal on Pickering, Singapur. © Herbert Dreiseitl Bild 5: Eine Grünfassade verwandelt die gesamte Atmosphäre der Nachbarschaft zum Besseren. Oasia-Hotel, Singapur. © Herbert Dreiseitl 33 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Mauern, Alleen, städtischen Wiesen und Hecken. Zudem geht es um die Unterbindung von Pestizid- Einsatz und Praktiken, die die biologische Vielfalt schädigen - wie übermäßiges Mähen. Man kann nur hoffen, dass die Pläne für die Begrünung der Städte auch eine zentrale Rolle bei der Verleihung der Titel „Grüne Hauptstadt Europas 2023“ und „Grünes Blatt Europas 2022“ spielen werden. Neue (letzte) Chance Bei allen Einschränkungen und allem Leid hat die Corona-Pandemie auch etwas Gutes, da die Bereitschaft zur Veränderung in der Gesellschaft in Krisenzeiten am größten ist. Der amerikanische Urbanist Richard Florida bemerkt dazu: „Die Krise könnte unseren unbezahlbaren, hypergentrifizierten Städten ein kurzes Zeitfenster bieten, um sich neu zu orientieren und ihre kreative Szene wieder zu beleben. Vorhersagen über den Tod von Städten folgen immer auf Schocks wie diesen. Aber die Verstädterung war schon immer eine größere Kraft als ansteckende Krankheiten.“ [10] Die Urbanisierung schreitet immer weiter voran. Jetzt ist es Zeit für die Eindämmung des Klimawandels und die Schaffung einer lebenswerten und resilienten urbanen Landschaftsarchitektur. Gesunde Ökosysteme gehören grundlegend und systematisch in die Stadtplanung: bei der Gestaltung Der Klimawandel, zunehmende Versiegelung und eine abnehmende Biodiversität machen es nötig, Stadträume konsequenter zu begrünen. Um die vielfältigen Ökosystemdienstleistungen von Begrünungen an und auf Gebäuden und im Umfeld effizient und synergetisch ausschöpfen zu können, besteht noch erheblicher Forschungsbedarf für die Validierung des Leistungspotenzials, die Stärkung von Akzeptanz und Identifikation durch gezielte Nutzungsforschung. Dies wird durch das Kompetenzzentrum Gebäudebegrünung und Stadtklima e. V. (KGS) realisiert. In Zusammenarbeit zwischen Hochschulen, Verbänden, Unternehmen und Kommunen werden im Rahmen von Forschungs- und Transferprojekten, Vortragsveranstaltungen und über eine digitale Plattform Themen in Zusammenhang mit Gebäudebegrünung und Stadtklima bearbeitet. Weitere Informationen: www.kgs-nt.de KOMPETENZZENTRUM GEBÄUDEBEGRÜNUNG UND STADTKLIMA E.V. Prof. Herbert Dreiseitl Landschaftsarchitekt und Stadtplaner DREISEITLconsulting GmbH Kontakt: hd@dreiseitl.de AUTOR öffentlicher Räume, bei der Planung von Gebäuden und in der kontextuellen gesunden Einbettung in die Umgebung. Wir dürfen diese Chance nutzen für einen Wertewandel mit einer Prioritätensetzung auf eine gesündere Umwelt gerade in der Stadt und damit einen gesellschaftlichen Gewinn, für die Gesundheit der Menschen und für mehr Hoffnung für zukünftige Generationen. LITERATUR [1] Grüne Lunge: https: / / www.projekt-gruenelunge.de/ (abgerufen: 30. 01. 2021). [2] Adli, M., Schöndorf, J.: Macht uns die Stadt krank? Wirkung von Stadtstress auf Emotionen, Verhalten und psychische Gesundheit. Bundesgesundheitsblatt 63, S. 979 - 986 (2020). https: / / doi.org/ 10.1007/ s00103- 020-03185-w (abgerufen: 30. 01. 2021). [3] Forum Neurourbanistik: https: / / neurourbanistik.de/ (abgerufen: 30. 01. 2021). [4] Mühlbauer, J.: Wohlstand ohne Wachstum. https: / / www.umbruch.at/ beitraege/ josef-muehlbauer (abgerufen: 30. 01. 2021). [5] Schellnhuber, H. J.: Interview - Wir brauchen einen Klima-Corona-Vertrag. https: / / www.klimareporter. de/ gesellschaft/ wir-brauchen-einen-klima-coronavertrag (abgerufen: 30. 01. 2021). [6] Khoo, T. C.: Healthy Cities in a Post-Pandemic World: https: / / www.clc.gov.sg/ docs/ default-source/ bettercities/ bc-2020-05-newsletter.pdf (abgerufen: 30. 01. 2021). [7] Eisenreich, S.: Paris auf dem Weg zur Stadt der 15-Minuten? https: / / www.goethe.de/ ins/ fr/ de/ kul/ dos/ nhk/ 22079262.html (abgerufen: 30. 01. 2021). [8] Maak, N.: https: / / www.arcguide.de/ kategorie/ aktuelles-trends/ blog/ (abgerufen: 05.05. 2021). [9] Grüne Europäische Städte: https: / / de.thegreencity. eu/ (abgerufen. 30. 01. 2021). [10] Florida, R.: Will Coronavirus Be the Death of Cities? Not So Fast. The Wall Street Journal, 2020. https: / / w w w.w sj.com/ ar ticles / will coronav irus be -the death-of-cities-not-so-fast-11607612400? reflink=des ktopwebshare_permalink (abgerufen: 30. 01. 2021). 34 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Pandemie als Herausforderung für den urbanen Raum Im Frühjahr 2020 veröffentlichte die Stadt Leipzig eine Kampagne zur Eindämmung der Corona-Pandemie mit den Hashtags: #Stayhome, #Leipzigbleibtzuhause, #socialdistancing, #wirbleibenzuhause, #coronahelden [1]. Die Schlüsselbegriffe spiegeln die (inter-)nationale Strategie wieder: Die Menschen sollen zu Hause bleiben oder einen Mindestabstand von 1,5 bis 2 m einhalten. Mit dem Appell zum Zuhausebleiben erhalten private Räume eine eindeutige Zuschreibung als sichere Orte. Die Verlagerung alltäglicher, beruflicher, kultureller und sozialer Aktivitäten in die Häuslichkeit erhöht die Relevanz dort verfügbarer Außenbereiche als Übergänge zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten und schlicht als Orte mit frischer Luft. Gleichzeitig ändert sich die Perspektive auf öffentliche Räume, die zur Verringerung des Infektionsrisikos weitestgehend gemieden werden sollen. Der Zugang zu qualitativ hochwertigen öffentlichen Freiräumen ist eine Basis für die Lebensqualität in Städten. Sie unterstützen die physische wie mentale Gesundheit und fördern soziale Kohäsion [2]. Durch die Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen sowie Schließung zahlreicher Begegnungsorte zur Eindämmung des Infektionsgeschehens ist die Pandemie also ebenso eine räumliche Herausforderung. Dieser Artikel gibt einen Einblick in Rolle und Funktionen von öffentlichen und privaten Freiräumen, die im Frühjahr 2020 während des ersten sogenannten Lockdowns am Beispiel der Stadt Leipzig untersucht wurden. Die Ergebnisse verweisen auf die Leistung des bestehenden Freiraumsystems für die Resilienz der Stadt. Analyse urbaner Freiräume während der Pandemie Bereits nach wenigen Monaten Pandemie veröffentlichte Gehl eine weltweite Studie zur Nutzung von öffentlichen Freiräumen [2]. Die Mehrheit der Befragten aus 68 Ländern verließ trotz des gesundheitlichen Risikos ihr Haus oder ihre Wohnung, wobei jedoch ein Drittel lediglich notwendige Besorgungen als Grund angaben. Weitere Gründe für den Aufenthalt im Freien sind Sport, Erholung und soziale Interaktion entsprechend der Empfehlungen zur Minderung des Infektionsrisikos. Insgesamt gaben zwei Drittel der Befragten an, täglich im öffentlichen Raum zu sein, wobei insbesondere Menschen, die von sozialer Isolation gefährdet sind, diese Möglichkeit nutzen. Bislang vorliegende Publikationen aus Deutschland fokussieren vor allem die verringerte lokale und überregionale Mobilität der Bürger*innen [3]. Zudem zeigt eine Umfrage im Auftrag der Initiative „Grün in die Stadt“ des Bundesverband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau e. V. im Juni 2020, dass für 46 % der Befragten die Bedeutung städtischen Grüns gestiegen ist und dass 25 % sich häufiger in Parks aufhalten [4]. Weiterhin erscheinen aktuell viele nationale und internationale Beiträge, die neue Erkenntnisse aus der Pandemie in die Pandemie als Prüfstein für das Freiraumsystem Leipzigs urbane und private Freiräume während des Lockdowns Resilienz, Städtebau, Leipzig, Freiraumsystem, Corona Maéva Baudoin, Jenny Kunhardt, Leonie Steinbricker, Felix zur Lage Die Pandemie ist nicht nur eine gesundheitliche und soziale sondern auch eine räumliche Herausforderung. In einer dreiwöchigen Befragung im Frühjahr 2020 untersuchte das Institut für Stadtentwicklung und Bauwirtschaft der Universität Leipzig die Nutzung öffentlicher und privater Freiräume vor dem Hintergrund der Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen des ersten Lockdowns in Leipzig. Der ganzheitliche Blick auf das Freiraumsystem zeigt die bedeutende Leistung der vielfältigen Freiräume zur Abmilderung der pandemiebedingten Belastungen und den Beitrag zur städtischen Resilienz. 35 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie 1km Südvorstadt Grenzen Wasser Grünanlagen, Parks Kleingartenanlagen Friedhof Brache Wald Bild 1: Freiraumsystem, Leipzig. Luftbild: © Stadt Leipzig Amt für Geoinformation und Bodenordnung 2019. Freiraumstrategie Leipzig. © Stadt Leipzig 2017. Hervorhebungen: M. Baudoin, ISB Diskussion zukünftiger Stadtentwicklung und -planung einbringen. Jedoch liegen noch keine Untersuchungen vor, welche die Verknüpfung verschiedener Freiräume in den Blick nehmen. Hier setzte das Institut für Stadtentwicklung und Bauwirtschaft der Universität Leipzig (ISB) mit einer Befragung von Ende April bis Mitte Mai 2020 an. Mit Blick auf die Stadt Leipzig standen folgende Fragestellungen dabei im zentralen Erkenntnisinteresse:  Haben die Leipziger*innen ihre Wohnung oder ihr Haus trotz des Infektionsrisikos verlassen?  Was waren die Gründe für den Aufenthalt im Freien?  Wie haben sie öffentliche Freiräume erlebt?  Wie veränderte sich die Nutzung öffentlicher Freiräume und privater Außenbereiche? Mit der Befragung des ISB wurde die Vielfalt der Freiräume in Leipzig mit einem ganzheitlichen Blick untersucht, sie folgte so der weiten Definition urbaner Freiräume des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforderung [5]. Dies schließt auch Straßen sowie eine differenzierte Untersuchung hinsichtlich Zugänglichkeit, Größe und Nutzung ein. Durch die Überwindung der isolierten Betrachtung einzelner Räume wird der Blick auf die Potenziale der Freiräume als Netzwerk geschärft, welches im Folgenden als Freiraumsystem erfasst wird. Während des Erhebungszeitraums war nach den Vorgaben des Freistaates Sachsen der Aufenthalt im öffentlichen Raum nur mit triftigen Grund, vor allem Arbeitsweg, Einkaufen, Arztbesuch, Pflege von Angehörigen, Sport und Erholung und das Treffen 36 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie lediglich einer Person aus einem anderen Haushalt gestattet. Zudem führte Sachsen als erstes Bundesland bereits im Frühjahr eine (rechtliche) Diskussion um die räumliche Beschränkung der Mobilität auf das Wohnumfeld. Letztlich definierte das Oberverwaltungsgericht in Bautzen dies als „einen Bereich von etwa 10 bis 15 Kilometer von der Wohnung entfernt“, welches bis 20. April galt [6]. Während der sogenannten ersten Welle der Corona-Pandemie war Leipzig relativ wenig betroffen. So betrug im Frühjahr die höchste 7-Tage-Inzidenz 29,0 (3. März 2020). Erste Lockerungen gab es ab dem 6. Mai, als beispielsweise Spielplätze wieder genutzt werden konnten. Nach Abschluss der Befragung gab es weitere Lockerungen. Integriertes Freiraumsystem in Leipzig Im Vergleich zu anderen Großstädten in Deutschland ist Leipzig eine der grünsten Städte. Knapp die Hälfte der Fläche ist als öffentlicher Freiraum definiert [7]. Auf die Bevölkerungszahl gerechnet, stehen in Leipzig pro Person 15,9 m² öffentlicher Freiräume zur Verfügung, die sich über das ganze Stadtgebiet verteilen (siehe Bild 1). Grüne Korridore aus Wald und Parks entlang der Flüsse und Kanäle verbinden die innerstädtischen Parks und den 1 2 3 4 6 7 5 9 8 10 Kurt-Eisner-Str. Karl-Liebknecht-Str. Körnerstr. Richard-Lehmann-Str. August-Bebel-Str. Arthur-Hoffmann-Str. Schleußiger Weg Lößniger Str. 200m äußeren hauptsächlich landwirtschaftlich genutzte Grünring. Zusätzlich umgibt Leipzig durch den Braunkohleabbau in der Region eine junge Seenlandschaft. Zum Stadtbild und Selbstverständnis der städtischen Gesellschaft zählen auch die vielen Kleingartenanlagen und Gemeinschaftsgärten. Für einen ganzheitlichen Blick wurden seitens des ISB auch Straßen im Freiraumsystem berücksichtigt, die in der aktuellen Freiraumplanung lediglich hinsichtlich ihrer Stadtbäume gelistet sind. Straßen verbinden die vielfältigen Orte der Stadt und sind somit die Basis einer erfolgreichen Stadt der kurzen Wege. Über die Funktion für die Mobilität der Bewohner*innen hinaus sind es ebenso öffentliche Orte sozialer Interaktion [8]. Das Freiraumsystem der Stadt Leipzig integriert die privaten Außenbereiche der Wohnungen und Häuser, wie Balkone, Terrassen, private Gärten und zum Teil nutzbare Dächer als Schwellen zum öffentlichen Raum. Durch die Pandemie erhielten diese eine (neue) Rolle als Übergang zwischen „Privat“ und „Öffentlich“. In vielen europäischen Städten klatschten die Bewohner*innen an geöffneten Fenstern als Dank an die Beschäftigten im Gesundheitswesen oder sie sangen und musizierten gemeinsam von Balkon zu Balkon. Ergänzt werden die privaten Bild 2: Freiräume des Gründerzeitviertels Südvorstadt, Leipzig. Quelle: Luftbild © Google Earth 2018, Freiraumstrategie Leipzig 2017 © Stadt Leipzig; Hervorhebungen M. Baudoin, ISB. 1 Heinrich-Schützt-Platz 2 Alexis Schumann Platz 3 Steinplatz 4 Albrecht Dürer Platz 5 Schenkendorfplatz 6 Dürrplatz 7 Fockenberg 8 Galopprennbahn Scheibenholz 9 Clara Zetkin Park 10 Südplatz Südvorstadt Grenzen Wasser Bahnline Spielplatz Grünanlagen, Parks Kleingartenanalgen Brache Wald 37 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Außenbereiche durch geteilte private Freiräume, wie beispielsweise Innenhöfe und Gemeinschaftsgärten oder Kleingartenanlagen. Insbesondere in den Gründerzeitvierteln Leipzigs gibt es zahlreiche private und geteilte private Freiräume - jedoch nur wenige große Grün- und Freiräume mit einer Fläche von über 2 000 m². Beispielhaft dafür steht der Stadtteil Südvorstadt, welcher die niedrigste Versorgungsrate mit öffentlichen Grünräumen in Leipzig hat. Wie die Bilder 2 und 3 zeigen, sind jedoch die meisten Wohnungen mit einem Balkon ausgestattet und jeder Block verfügt über größere Innenhöfe. Die Bewohner*innen können daher von der Vielfalt privater Freiräume profitieren. Die Vielfalt Leipzigs spiegelt sich auch in den freien Assoziationen zum Begriff Freiraum wieder. Wie in Bild 4 erkennbar, nannten die Leipziger*innen zwar in erster Linie Parks und Spielplätze. Doch insgesamt gab es 60 unterschiedliche Nennungen. Leipziger Freiräume im Frühjahr 2020 - Ergebnisse einer Befragung Die Befragung des ISB erfolgte zwischen dem 27.-April und dem 16. Mai. Insgesamt haben 401 Personen, die in Leipzig wohnten und sich zum Zeitpunkt der Befragung nicht in Quarantäne befanden, an der zweisprachigen Online-Befragung teilgenommen. Die Teilnehmer*innen konnten vor allem über verschiedene universitäre und nicht-universitäre Netzwerke sowie die lokale Presse gewonnen werden. Die Reichweite war jedoch vor allem durch die hohen individuellen und kollektiven Belastungen und die dadurch verringerten Aktivitäten verschiedener intermediärer Kooperationspartner beschränkt. So ist es nicht gelungen, Bewohner*innen in modernen (Großwohn-)Siedlungen zu erreichen. Die folgende Diskussion der Ergebnisse konzentriert sich daher primär auf die Gründerzeitviertel in Leipzig, wie bereits am Beispiel des Leipziger Stadtteils Südvorstadt vorgestellt. Haben die Leipziger*innen ihre Wohnung oder ihr Haus trotz des Infektionsrisikos verlassen? Die Daten zeigen eine sehr hohe Nutzungsfrequenz für öffentliche Freiräume: Fast alle Befragten waren in den vorangegangenen zwei Wochen draußen gewesen. Mehr als die Hälfte der Befragten gaben an, an mehr als vier Tagen pro Woche das Haus bzw. die Wohnung verlassen zu haben. Die Teilnehmer*innen gehören jedoch vor allem zur Gruppe junger Aktiver, die durch die universitären Netzwerke erreicht wurden. Die Altersspannweite der Befragten beträgt zwar 15 bis 74 Jahre, so liegt das Mittel mit 34,5 Jahren sieben Jahre unterhalb des städtischen Altersdurchschnitts. Die Gruppe über 65, also die vulnerabelste Gruppe, ist jedoch mit unter 5 % in der Befragung kaum repräsentiert. Die Ergebnisse verweisen zudem darauf, dass die Häufigkeit, die Wohnung zu verlassen, nicht durch die Verfügbarkeit privater Freiräume beeinflusst ist. Weder nutzten Personen ohne private Außenbereiche den öffentlichen Raum mehr, noch blieben Personen mit privaten Außenbereichen häufiger daheim. Auch konnten hinsichtlich der Haushaltsform - Single, Paar, Familie oder Wohngemeinschaft - keine Unterschiede der Nutzungshäufigkeit festgestellt werden. Die Verfügbarkeit privater und gemeinschaftlich genutzter privater Freiräume der Befragten liegt über dem nationalen Durchschnitt [9]: 94 % der Befragten hatten Zugang zu einem gemeinsamen Innenhof oder Garten (24 %) oder verfügten sowohl über gemeinschaftliche Räume als auch über einen Balkon (70 %). Lediglich 6 % gaben an, keinen Zugang zu privaten oder geminschaftlichen Freiräumen zu haben. Bild 3: Typische Nachbarschaft im Gründerzeitviertel, Südvorstadt, Leipzig. Quelle: Luftbild © Stadt Leipzig Amt für Geoinformation und Bodenordnung 2017; Hervorhebungen M. Baudoin, ISB. Grundstücksgrenzen Hofgrenzen Gemeinschaftsgärten Parking Balkon, Terrasse, Dachterrasse 38 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Was waren die Gründe für den Aufenthalt im Freien? Die Befragten nannten sehr diverse Gründe für ihren Aufenthalt im Freien: An erster Position steht erwartbar die Versorgung mit Nahrungsmitteln (n = 240), direkt gefolgt von Freizeit- und Sportaktivitäten (Sport n = 220, Erholung n = 175) und dem Treffen von Verwandten und Freund*innen (n = 116). Trotz der Empfehlungen, Homeoffice zu ermöglichen und zu nutzen, gaben 97 Befragte den Arbeitsweg an. Die Diversität der Antworten unterstreicht die Rolle öffentlicher Freiräume für die Lebensqualität und soziale Kohäsion in Städten und deckt sich etwa mit den weltweiten Ergebnissen von Gehl Architects [2]. Eine große Mehrheit der Befragten nutzte die öffentlichen Freiräume auch, um sich mindestens drei Mal die Woche mit anderen Personen zu treffen. Jedoch haben die Befragten sich dabei auf bestehende enge Beziehungen limitiert. Nur zu direkten Nachbar*innen wurden neue Verbindungen aufgebaut. Wie haben sie öffentliche Freiräume erlebt? Die Ergebnisse der Befragung zeigen weder, dass die Befragten sich in öffentlichen Räumen deutlich erleichtert noch sehr gestresst fühlten. Das gilt auch für jene, die keinen Zugang zu privaten oder gemeinschaftlichen Freiräumen haben. Lediglich weitläufige Grünräume werden eher als Orte der Erleichterung empfunden, da hier ohne Probleme die notwendige Distanz zu anderen Menschen gewahrt werden kann. Ebenso fühlen sich die Befragten in privaten und gemeinschaftlichen Freiräumen erleichtert. Dagegen werden Straßen und Plätze als relativ stressige Orte empfunden: Oft ist es hier nicht möglich, den Mindestabstand zu Mitmenschen sicherzustellen. Wie veränderte sich die Nutzung öffentlicher Freiräume und privater Außenbereiche? Die Befragten äußerten eine Kontinuität der Nutzung der öffentlichen und privaten Freiräume (siehe Bild 5). So hielten sich viele in ihnen bekannten öffentlichen Freiräumen auf. Häufiger wurden vor allem die weitläufigen Grünräume für (neue) sportliche, soziale und kulturelle Aktivitäten genutzt. Einige Befragte entdeckten zudem private Außenbereiche neu und füllten diese mit neuen Aktivitäten. Hier sind insbesondere kulturelle und berufliche Aktivitäten hervorzuheben. Auch dienten Balkone und gar Fensterbänke als Orte sozialer Interaktion - wenn auch passiv, um das Leben in Straßen und Innenhöfen zu beobachten. Aus den Ergebnissen geht deutlich hervor, dass Straßen und Plätze weniger genutzt und trotz des verringerten Verkehrsaufkommens dort keine neuen Aktivitäten ausgeübt wurden. Mit Blick auf das Wohlbefinden sind es also Orte der Erleichterung, in denen während der Pandemie Neues erprobt wurde, während es keine Bemühungen der Aneignung stressiger Orte gab. Fazit - Freiraumsystem als eine Basis für die städtische Resilienz Der Lockdown diente als Prüfstein für das Leipziger Freiraumsystem und belegte die Unterstützungsleistung für zentrale Bedürfnisse der Bürger*innen und der Stadtgesellschaft, unabhängig der strengen Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen: Die meisten Befragten änderten nicht ihre Nutzung der Park Spielplatz ClaraZetkinPark Auwald Garten Wald Kleingarten Sportplatz Straße Balkon Biergarten Rabet StünzerPark Mariannenpark Marktplatz Parks Rosenthal Grüner Hof Jahrtausendfeld LeneVoigtPark Sachsenbrücke Tischtennisplatten Zoo Augustusplatz Friedenspark Bogen Innenstadt Kanal Nachbarschaft Palmengarten Parkbank See Stadtzentrum Wiese AbtnaundorferPark BotanischerGarten BracheEisenbahstraße BracheBayrischenBahnhof BrachflächeBayerischenBahnhof Cafégarten EastPark Eisenbahnstraße Fahrradweg Fockeberg Freiplatz Friedhofsparkplatz GrünauerMarktplatz Innenhof Grünflächen Johannapark KarlLiebknechtStraße LindenauerHafen LindenauerMarkt Natur Plätze PolygraphHalle Saale Strand Terrasse VolksparkKleinzschocher Seenlandschaft 2 5 5 30 33 35 47 72 88 123 Häusliche Aufgaben Arbeiten Gassigehen Kulturelle Aktivitäten Mit Kindern (spielen) Menschen beobachten Gespräche führen Freunde & Verwandte Sport Nichts Neues WALD, SEE, PARK STRASSE, BÜRGERSTEIG BALKON, FENSTERBANK 2 4 4 6 8 16 26 24 17 166 29 33 0 57 17 46 42 20 10 147 Bild 4: Wortwolke: Welcher Ort im Freien kommt Ihnen spontan in den Sinn, wenn Sie an die Einschränkungen aufgrund der Ausgangsbeschränkungen denken? Quelle: Eigene Erhebung, Gestaltung: © F. zur Lage, ISB. Bild 5: Veränderungen der Nutzung der Freiräume. Quelle: Eigene Erhebung, Gestaltung: © M. Baudoin, ISB. 7 14 43 36 30 41 26 4 % 38 8 55 27 9 54 10 WALD / SEE PARK STRASSE BURGERSTEIG BALKON FENSTERBANK 38 37 25 35 19 1 46 GENAUSO GENAUSO HÄUFIGER HÄUFIGER SELTENER SELTENER NIE 39 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Freiräume und verweisen somit auf eine Basis für Resilienz gegenüber den aktuellen Herausforderungen, die durch das bestehende Freiraumsystem gegeben ist. Sowohl öffentliche als auch private Freiräume unterstützen die alltägliche Versorgung, Sport, Erholung und soziale Aktivitäten. Insbesondere die in der Stadt zugänglichen großen Grünräume und die Vielzahl privater und gemeinschaftlich privat genutzter Außenbereiche zeichnen sich durch ein hohes Anpassungspotenzial aus und tragen so zu einer Abmilderung der pandemiebedingten Belastungen bei. Sie dienen der mentalen und physischen Gesundheit ebenso wie den sozialen Bedürfnissen und verhelfen somit auf einer höheren Ebene zur Resilienz der Gemeinschaft. Nach wie vor sind es Straßen und Plätze, welche durch die Bewohner*innen trotz verringerter Mobilität während des Lockdowns nicht genutzt werden (können). Als Verbindungsorte und Ausgangspunkte zahlreicher Aktivitäten sollten diese stärker und bewusst in das Freiraumsystem integriert werden, um auch beim Verlassen des privaten Raumes Stress zu mindern und Wohlbefinden zu stärken. Mit der Veröffentlichung dieses Artikels leben die Leipziger*innen ein Jahr mit ständigen Einschränkungen. In der zweiten Welle im Herbst und Winter 2020/ 2021 gibt es in Leipzig wesentlich mehr Infektionen. Die 7-Tage-Inzidenz hatte Ende Dezember einen Wert von 292,5 (27. Dezember 2020) und lag somit zehnmal höher als im Frühjahr. Der Druck auf urbane Freiräume in ihren Funktionen für die soziale Kohäsion und urbane Resilienz steigt. Es besteht somit weiterhin ein Handlungsbedarf der Städte, um den räumlichen Herausforderungen der Pandemie zu begegnen. Gemeinsam mit den Bürger*innen und der Wohnungswirtschaft müssen Lösungen für ein ganzheitliches Freiraumsystem entwickelt werden. LITERATUR [1] UN-Habitat: UN-Habitat key message on COVID-19 and public space, 2020. https: / / unhabitat.org/ sites/ default/ files/ 2020/ 05/ unh _covid-19_ ps _ key_message.pdf, zuletzt 31.01.2021. [2] O’Connor, E., Gehl, J.: Public Space plays vital role in Pandemic, 2020. https: / / gehlpeople.com/ blog/ public-space-plays-vital-role-in-pandemic/ , zuletzt 31.01.2021 [3] DLR Verkehr: Dritte DLR-Befragung: Wie verändert Corona unsere Mobilität? , 2020. https: / / verkehrsforschung.dlr.de/ de/ news/ drit te dlr-befragungwie-veraendert-corona-unsere-mobilitaet, zuletzt 31.01.2021. [4] forsa Politik- und Sozialforschung GmbH: Zufriedenheit mit den städtischen Grünflächen, 2020. https: / / www.gruen-in-die-stadt.de/ fileadmin/ CPG_ neu/ 200619_MaFo_Ergebnisse_Gruen_in_die_stadt. pdf, zuletzt 31.01.2021. [5] Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR): Urbane Freiräume Qualifizierung, Rückgewinnung und Sicherung urbaner Frei- und Grünräume, 2018. https: / / www.bbsr.bund.de/ B B S R / D E / v e r o e f f e n t l i c h u n g e n / s o n d e r v e r o e ffentlichungen/ 2019/ urbane-freiraeume-dl.pdf ? _ _ blob=publicationFile&v=1, zuletzt 31.01.2021. [6] Sächsisches Oberverwaltungsgericht: Eilantrag gegen die Sächsische Corona-Schutz-Verordnung erfolglos, 2020. Medieninformation 2/ 2020. 07.04.2020. [7] Stadt Leipzig: Lebendige grüne Stadt am Wasser, 2017. Freiraumstrategie der Stadt Leipzig. https: / / s t a ti c . l e ipz i g .d e / f il e a dmin / m e die nda te nb a nk / leipzigde / St adt / 02. 3 _ Dez 3 _ Umwelt _ Ordnung _ Sport/ 67_ Amt _fuer_ Stadtgruen _und_Gewaesser/ Freiraumstrategie/ Freiraumstrategie_Textfassung. pdf, zuletzt: 30.01.2021. [8] Gehl, J.: Cities for people. Island Press, 2010. Washington D.C. [9] VuMA Touchpoints: Verbrauchs- und Medienanalyse - VuMA 2020.; statista, 2021: Anzahl der Personen in Deutschland, die einen Balkon oder eine Terrasse besitzen, von 2016 bis 2019. https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 172077/ umfrage/ besitz-vonbalkon-oder-terrasse/ , zuletzt 30.01.2021. Englischsprachiger Report zur Befragung ab März unter: www.wifa.uni-leipzig.de/ isb Maéva Baudoin Wissenschaftliche Mitarbeiterin Universität Leipzig, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Inst. für Stadtentwicklung und Bauwirtschaft Kontakt: maeva.baudoin@uni-leipzig.de Jenny Kunhardt, M. Sc. Wissenschaftliche Mitarbeiterin Universität Leipzig, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Inst. für Stadtentwicklung und Bauwirtschaft- Kontakt: jenny.kunhardt@uni-leipzig.de Leonie Steinbricker Studentische Mitarbeiterin Universität Leipzig, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Inst. für Stadtentwicklung und Bauwirtschaft Felix zur Lage Studentischer Mitarbeiter Universität Leipzig, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Inst. für Stadtentwicklung und Bauwirtschaft AUTOR*INNEN 40 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Der Begriff „Verhäuslichung“, der den Rückzug aus dem öffentliche Raum ins Haus verbildlicht, wurde in den 1980er Jahren geprägt, um die Reaktion auf den rapide zunehmenden Autoverkehr, der Außenräume unwirtlicher, verlärmter und gefährlicher macht, zu charakterisieren [1]. In vielen Untersuchungen wurden die negativen Auswirkungen der Verhäuslichung insbesondere auf Kinder nachgewiesen. Man stellte fest, dass Kinder, die in einem verkehrsbelasteten Gebiet wohnen, seltener und weniger lange draußen spielen, dass durch den Bewegungsmangel ihre motorische Entwicklung verzögert wird, Verhäuslichung Zum Verlust von Sozialkontakten und Handlungsräumen Verhäuslichung, Sozialkontakte, Anregungen, Erholung Antje Flade Eine Grundstrategie der Pandemiebekämpfung ist die drastische Einschränkung von Begegnungen und Möglichkeiten des Zusammentreffens. Proklamiert wird in diesem Zusammenhang das Sichzurückziehen aus dem öffentlichen Raum. Die psychologischen Auswirkungen eines solchen Rückzugs sind immens. Weniger sozialer Austausch bewirkt, dass man einander fremd wird und vereinsamt, weniger Anregungen aus der Außenwelt sind einer sensorischen Deprivation vergleichbar, die eingeschränkten Möglichkeiten, sich zu erholen und zu bewegen, schwächen die Immunkräfte, mindern das Wohlbefinden und gefährden die physische und psychische Gesundheit. dass sie weniger Kontakte mit Gleichaltrigen haben, was ihre soziale Entwicklung beeinträchtigt, und dass sie vergleichsweise unselbstständig sind [2,-3]. Man sprach von einer „verhäuslichten Kindheit“, die an die Stelle der früheren „Straßenkindheit“ getreten ist [4]. Die technologische Entwicklung in Form der Digitalisierung hat diese Entwicklung - die Verlagerung etlicher Aktivitäten nach drinnen - enorm beschleunigt. Die Zeit, die Kinder und Jugendliche am Bildschirm verbringen und Medien konsumieren, hat auf Kosten anderer Aktivitäten wie Spielen im Freien, sportlichen Betätigungen und Bild 1: Verlagerung von Aktivitäten nach drinnen. © Antje Flade 41 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Zusammenkünften rapide zugenommen (Bild 1, [5]). Seit nunmehr einem Jahr ist die Pandemie als weiterer, die Verhäuslichung vorantreibender Faktor hinzugekommen: Eine Kernstrategie der Pandemiebekämpfung ist, die Ausbreitung des hoch infektiösen Virus zu blockieren, indem nicht zwingend notwendige Sozialkontakte vermieden werden sollen, was in eine Verhäuslichung mündet. Der Lebensraum, zu dem außer der Wohnung und dem Haus immer auch ein mehr oder weniger ausgedehnter Außenbereich gehört, wird dezimiert, um die Häufigkeit von Kontakten zu minimieren. Damit werden indessen zugleich auch Erfahrungs- und Handlungsräume beschnitten. Das Wohlbefinden, definiert als die positive subjektive Bewertung des eigenen Lebens [6], sowie die psychische Gesundheit sind gefährdet, wenn der soziale Austausch mit den Mitmenschen eingeschränkt wird, wenn sich die Bindungen an den eigenen Lebensraum lockern, wenn Anregungen aus der Außenwelt entfallen und wenn man sich nicht mehr wie bisher erholen und die gewohnte Tatkraft wieder gewinnen kann, was in Anbetracht vermehrter Belastungen umso wichtiger ist. Einschränkungen des sozialen Lebens Besonders schwer wiegt die verordnete Beschränkung sozialer Kontakte, denn der Mensch ist auch als eindeutig erkennbares Individuum (Einzelwesen) grundsätzlich zugleich auch ein Sozialwesen. Die Kernstrategie der Pandemiebekämpfung ist mit instrumentellen und emotionalen Verlusten verbunden: Weniger Kontakte bedeuten einen Schwund an Sozialkapital, das heißt weniger „emotional and practical support“ [7, 8]. Es ist keine neue Erkenntnis, dass Menschen Stress leichter bewältigen können, wenn ihnen jemand hilfreich zur Seite steht. Bei reduzierten Kontakten entfällt zum großen Teil die segensreiche emotionale und faktische Unterstützung. Verhäuslichung impliziert mehr als eine bloße Dezimierung physischen Raums. Es ist ein Verlust von Orten, mit denen sich Menschen emotional verbunden fühlen und die wichtig für sie sind. Der Unterschied wurde mit den Begriffen „Space“ (physischer Ort) und „Place“ (emotional wichtiger Ort) verdeutlicht [9]. Die gefühlsmäßige Anhänglichkeit an einen Ort tritt im Heimweh zutage. Man leidet darunter, wenn man nicht an dem geliebten Ort ist. Die Anhänglichkeit kann sich auf den Ort selbst als auch auf die Menschen, die man dort trifft, beziehen. Es ist individuell unterschiedlich, wie stark jeweils die örtliche Verbundenheit (rootedness) und die sozialen Bindungen (bondedness) sind [10]. Die verordnete Einschränkung der sozialen Kontakte schwächt vor allem die bondedness, damit aber auch die Ortsverbundenheit insgesamt. Man wird einander fremd, wenn man sich kaum mehr trifft. Das Gefühl sich auflösender und verloren gegangener Beziehungen ist niederdrückend und kann das Selbstwertgefühl schmälern [11]. An die Stelle einstmals enger sozialer Beziehungen treten vermehrt „weak social ties“, schwach ausgeprägte Beziehungen, die sich auf ein Zunicken und Grüßen und das Wissen, dass der Mensch, der einem begegnet, kein Fremder ist, beschränken [12, 13]. Die verordnete Meidung sozialer Kontakte wiegt auch deshalb schwer, weil es sich dabei um einen weitreichenden Kontrollverlust handelt: Man kann nicht mehr selbst bestimmen, ob man allein oder mit anderen zusammen ist. Der verhäuslichte Mensch kann sich zwar problemlos und ausgiebig zurückziehen, aber nur schwer nach außen hin öffnen. Es ist ein Verlust an Privatheit, wenn man Privatheit psychologisch als einen „interpersonal boundary control process“ definiert [14]. Das besagt: Über Privatheit verfügt derjenige, der selbst bestimmen kann, ob er eine Tür geschlossen hält oder offen lässt bzw. ob er Gesellschaft haben möchte oder ob man ihn in Ruhe lässt. Auch ein Zuviel an Alleinsein weist auf ein Defizit an Privatheit hin. Nicht nur einzelne Menschen, sondern auch Gruppen leiden unter dem Kontrollverlust (Bild 2). Weniger Anregungen Dass sensorische Stimulation für das psychische Wohlbefinden, die Leistungsfähigkeit, Kreativität, Inspiration und Motivation, etwas in Angriff zu nehmen und zielgerichtet zu handeln, sowie auch für die Gehirnaktivität unverzichtbar ist, wurde in vielen Untersuchungen und Experimenten bestätigt. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang die Felduntersuchungen, die in den Forschungsstationen in den Polarregionen durchgeführt wurden, um herauszufinden, wie sich die Abschottung von einer extrem unwirtlichen Außenwelt auf die in den Bild 2: „...und niemand kommt“. © Antje Flade 42 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Stationen tätigen Forscher auswirkt [15]. Die Annahme, dass man die Lern- und Arbeitsleistung dadurch steigern kann, indem man sämtliche Ablenkungen fern hält, ist längst widerlegt. Beispielsweise sind in Klassenräumen mit fehlenden Ausblicken auf eine anregende Umgebung die Leistungen schlechter, anstatt dass die Konzentrationsfähigkeit gesteigert wird [16]. Längere Aufenthalte in reizarmen Umwelten führen mit großer Wahrscheinlichkeit zu negativer Gestimmtheit, Reizbarkeit, Müdigkeit und Leistungseinbußen sowie auch zu neurophysiologischen Veränderungen [17]. Sämtliche Sinnesmodalitäten, darunter nicht zuletzt auch die haptischen und die taktilen Sinne, werden weniger aktiviert, wenn der Lebensraum, in dem vielerlei Erfahrungen gemacht werden können und der vielerlei Aktivitäten - eine Vita activa - ermöglicht, verengt wird. Die Vielfalt an Orten im Zusammenhang mit kulturellen Events, möglichen Unternehmungen und Reisen, die den Erfahrungsraum erweitern, wird ersetzt durch das Haus, in dem man bleiben soll, um anderen Menschen so wenig wie möglich zu begegnen (Bild 3). Weniger Erholung Von der Beschaffenheit seines Lebensraums hängt nicht nur ab, was ein Mensch erlebt und erinnert und was er macht und machen kann, sondern auch welche Möglichkeiten er hat, um sich von den Belastungen des Alltags zu erholen und Stress abzubauen. Dass gerade der Außenraum eine unverzichtbare Erholumwelt (restorative environment) ist, zeigt ein Blick auf die vier maßgeblichen Erholfaktoren [18]:  Restorative environments sind Umwelten, die sich deutlich von der Alltagswelt unterscheiden, die einem das Gefühl geben, psychisch weit weg zu sein (being away).  Erholumwelten haben etwas Faszinierendes an sich, was die unwillkürliche Aufmerksamkeit weckt, sodass sich der durch längeres konzentriertes Arbeiten oder Lernen strapazierte Mechanismus der gerichteten Aufmerksamkeit erholen kann.  Sie werden im Unterschied zur räumlich begrenzten und mitunter auch als beengend erlebten Wohnung als weit erlebt; man kann wieder frei atmen.  Sie sind kompatibel, indem sie Gelegenheiten bieten, vieles zu machen und gewünschten Aktivitäten nachzugehen, beispielsweise sich sportlich zu betätigen oder spazieren zu gehen. Erholung wird durch Verhäuslichung erschwert. So ist ein being away nur sehr eingeschränkt möglich. Man soll zuhause bleiben. Die Wohnung ist einem zwar sehr vertraut, doch sie fasziniert nicht. Innenräumen fehlt die Weite. Und für viele Aktivitäten reicht der Platz in der Wohnung nicht aus. Ein erschöpfter erholungsbedürftiger Mensch ist anfälliger für Erkrankungen. Fehlende Erholung schwächt das Immunsystem. Bild 3: Es wird nicht mehr gereist. © Antje Flade 43 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Die befreiende Wirkung des Draußen hat Goethe Faust in den Mund gelegt, während er einen Osterspaziergang mit Famulus Wagner macht. Nicht nur Strom und Bäche sind (vom Eise) befreit, sondern auch der Mensch atmet wieder frei: „Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern, ... aus dem Druck von Giebeln und Dächern, aus der Straßen quetschender Enge ...., aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht sind sie alle ans Licht gebracht ... Hier ist des Volkes wahrer Himmel, zufrieden jauchzet groß und klein: Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein! “ [19]. Fazit Durch die verordnete Einschränkung sozialer Kontakte vor allem in Außenräumen hofft man, die Verbreitung eines infektiösen Virus zu stoppen. Die psychischen Folgen der Strategie der Verhäuslichung werden dabei jedoch zu wenig beachtet und zu wenig bei der Planung von Maßnahmen berücksichtigt, obwohl sie gravierend sind. Es ist ein destruktiver Eingriff in das soziale Leben, ein Abschneiden von Lebensraum und Lebensmöglichkeiten. Verhäuslichung bedeutet Unterstimulation, weniger Anregungen, weniger Erfahrungen, weniger Erholung, eine mangelnde Befriedigung der sozialen Bedürfnisse nach Kommunikation und Zugehörigkeit, eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten, fehlende faktische und emotionale Unterstützung, weniger Sozialkapital und weniger Gemeinschaftlichkeit. Die psychologischen Kosten der Strategie, Begegnungen und Begegnungsmöglichkeiten weitestgehend zu reduzieren, was auf eine Verhäuslichung hinausläuft, sind alles andere als gering: Es ist die Gefährdung der psychischen Gesundheit. Online- Kommunikation und digitale Angebote können die schädigenden Auswirkungen lediglich mildern, aber sicherlich nicht beseitigen. LITERATUR [1] Nokielsky, H.: Straße als Lebensraum? Funktionalisierung und Revitalisierung sozialer Räume. In: Krüger, J., Pankoke, E. (Hrsg.): Kommunale Sozialpolitik. München: R. Oldenbourg Verlag. (1985) S. 129 - 155. [2] Hüttenmoser, M.: Auswirkungen des Straßenverkehrs auf die Entwicklung der Kinder und den Alltag junger Familien. In Flade, A. (Hrsg.): Mobilitätsverhalten. Bedingungen und Veränderungsmöglichkeiten aus umweltpsychologischer Sicht. Weinheim: Psychologie Verlags Union. (1994) S. 171 - 181. [3] Villanueva, K., Giles-Corti, B., Bulsara, M. et al.: Where do children travel to and what local opportunities are available? The relationship between neighborhood destinations and children’s independent mobility. Environment and Behavior, 45, (2012) S. 679 - 705. [4] Zinnecker, J.: Stadtkids. Kinderleben zwischen Straße und Schule. Weinheim: Juventa Verlag, 2001. [5] Christian, H., Zubrick, S. R., Knuiman, M. et al.: Nowhere to go and nothing to do but sit? Youth screen time and the association with access to neighborhood destinations. Environment and Behavior, 49, (2017) S. 84 - 108. [6] Diener, E., Oishi, S., Lucas, R. E.: Personality culture, and subjective well-being: emotional and cognitive evaluations of life. Annual Review of Psychology, (2003) 54, S. 403 - 425. [7] Mazumdar, S., Learnihan, V., Cochrane, T., Davey, R.: The built environment and social capital: A systematic review. Environment and Behavior, 50, (2018) S. 119 - 158. [8] Ross, A., Searle, M.: A conceptual model of leisure time physical activity, neighborhood environment, and sense of community. Environment and Behavior (online first), 2018. [9] Sime, J. D.: Creating places or designing spaces? Journal of Environmental Psychology, 6, (1986) S. 49 - 63. [10] Riger, S., Lavrakas, P. M.: Community ties: Patterns of attachment and social interaction in urban neighborhoods. American Journal of Community Psychology, 9, (1981) S. 55 - 56. [11] Karremans, J., Finkenauer, C.: Affiliation, zwischenmenschliche Anziehung und enge Beziehungen. In: Jonas, K., Stroebe, W., Hewstone, M. (Hrsg.): Sozialpsychologie, Berlin/ Heidelberg: Springer. 6. Aufl. (2014) S. 401 - 437). [12] Skjaeveland, O., Gärling, T.: Effects of interactional space on neighboring. Journal of Environmental Psychology, 17, (1997) S. 181 - 198. [13] Skjaeveland, O., Gärling, T.: Spatial-physical neighborhood attributes affecting social interactions among neighbors. In: Aragones, J. I., Francescato, G., Gärling, T. (Hrsg.): Residential environments. London: Bergin & Garvey. (2002) S. 183 - 203. [14] Altman, I.: Privacy: A conceptual analysis. Environment and Behavior, 8, (1976) S. 7 - 29. [15] Suedfeld, P.: Polar psychology. An Overview. Environment and Behavior, 23, (1991) S. 653 - 665. [16] Benfield, J. A., Nurse Rainbolt, G., Bell P. A., Donovan, G. H.: Classrooms with nature views: Evidence of differing student perceptions and behaviors. Environment and Behavior, 47, (2015) S. 140 - 157. [17] Suedfeld, P., Steel, G. D. et al.: Explaining the effects of stimulus restriction: Testing the dynamic hemispheric asymmetry hypothesis. Journal of Environmental Psychology, 14, (1994) S. 87 - 100. [18] Kaplan, S.: The restorative benefits of nature. Toward an integrative framework. Journal of Environmental Psychology, 15, (1995) S. 169 - 182. [19] von Goethe, J. W.: Faust. Der Tragödie erster Teil: Vor dem Tor, S. 31. Berlin/ Leipzig: Deutsches Verlagshaus Bong & Co. Dr. Antje Flade Diplom-Psychologin Angewandte Wohn- und Mobilitätsforschung (AWMF), Hamburg Kontakt: awmf-hh@web.de AUTORIN 44 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Virtuelles Arbeiten: neu und doch nicht neu Bedingt durch Corona musste der Übergang von einer vormals primär physisch geprägten Arbeitswelt in eine jetzt primär digitale Arbeitswelt schnell gehen - von heute auf morgen mussten Arbeit und Zusammenarbeit in vielen Bereichen flexibel neu und anders organisiert werden. Dies betraf mehrere Dimensionen:  Örtlich durch Verlagerung der Tätigkeiten soweit möglich in das heimische Umfeld - Home-Office etablierte sich als neue Arbeitsform. Corona und neue Arbeitswelten Nachhaltige Veränderungen für urbane Strukturen? Arbeitswelt, Corona, Digitalisierung, Home-Office, Urbane Strukturen Rahild Neuburger Es besteht kein Zweifel und wird oft thematisiert: Corona verändert unsere Arbeitswelt. Dabei ist die Pandemie weniger als Auslöser als vielmehr als Brennglas zu verstehen - denn letztlich setzt sich ein Trend durch, der in der Literatur schon lange diskutiert und in Unternehmen teilweise schon praktiziert wurde: die Flexibilisierung der Arbeit. Ausgelöst durch die Pandemie wurde die Arbeit soweit möglich vom Büro aufs heimische Umfeld verlagert. „Home-Office“ oder „smart working“, wie diese Entwicklung mitunter auch bezeichnet wird, entwickelte sich zum „new normal“. Setzt sich diese Tendenz auch in einer Zeit nach oder mit Corona langfristig durch, werden sich urbane Strukturen verändern (müssen), um attraktiv bleiben zu können.  Zeitlich durch die häufig zu beobachtende Notwendigkeit, berufliche Anforderungen mit einem zusätzlichen Betreuungs- und Home-Schooling- Aufwand vereinbaren zu müssen. Die klassische Normalarbeitszeit oder Kernarbeitszeit verlor an Bedeutung; die beruflichen Anforderungen wurden frühmorgens, am Abend, am Wochenende und häufig im elterlichen Schichtbetrieb erfüllt.  Methodisch-instrumentell, indem Kommunikationsprozesse in den digitalen Raum verlagert wurden und Tools für digitale Arbeit und Zusammen- © Dillon Shook on Unsplash 45 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie arbeit vormals primär physische Formen abgelöst haben. Oft führte die Nutzung all dieser Tools auch zu einer Verdichtung der Arbeitsprozesse: die Anzahl der Besprechungen erhöhte sich; dank fehlender dazwischenliegender Reise- und Fortbewegungszeiten konnten sich virtuelle Sitzungen nahtlos aneinanderreihen. All diese Konzepte wurden in Wissenschaft und Praxis schon lange diskutiert und ausprobiert [1]. Insbesondere mit dem Aufkommen des Internet begann Mitte der neunziger Jahre eine intensive Auseinandersetzung mit den Potenzialen eines zeitlich und örtlich flexiblen Arbeitens und Zusammenarbeitens - damals bezeichnet als „any time/ any placeworking“ [2]. Schlagworte waren schon damals Teleheimarbeit, remote working, home-work, virtuelle Teams oder virtuelle communities. Das zugrunde liegende Prinzip war dabei immer dasselbe: Arbeits- und Kommunikationsprozesse werden im digitalen Raum abgewickelt; der physische Standort ist häufig nicht mehr entscheidend. In vielen Fällen ist Arbeit personen- und nicht ortsgebunden. [3] Digitale Arbeitswelt: Experiment hat funktioniert Im ersten Corona-bedingten Lockdown zeigte sich dies deutlich: waren die Arbeitsprozesse personengebunden, ließen sie sich ins Home-Office verlagern; waren sie ortsgebunden, waren polarisierende Effekte die Folge. Entweder durften sie gar nicht mehr stattfinden (zum Beispiel: nicht systemrelevanter Einzelhandel, Gastronomie, Tourismus) oder es kam zur Gefahr von Überforderung (zum Beispiel: systemrelevante Bereiche wie Lebensmittelhandel oder Gesundheitsbereich). Deutlich wurde aber auch: Die Verlagerung ins Home-Office musste organisatorisch und technisch schnell umgesetzt werden. Und - es hat weitgehend funktioniert. Die meisten haben sich schnell eingefunden in die veränderten Arbeits- und Kommunikationsstrukturen. Es wurde mit den Tools und den neuen digitalen Kommunikationsformen experimentiert, man hat sich über und in so manchen Videokonferenzen amüsiert, man hat viel gelernt - von virtuellen Kommunikations- und Meetingkompetenzen über Selbstorganisation bis hin zu virtuellen Führungskompetenzen und man hat durchaus Gefallen an dieser neuen Form der Arbeit gefunden. So zeigen mittlerweile viele Studien nicht nur eine hohe Akzeptanz für das veränderte Arbeiten; viele wünschen sich auch in einer Nach- Corona-Zeit die Möglichkeit zu mehr Home-Office. Dies gilt für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber in gleicher Weise. Home-Office: Voraussetzungen und Vertrauen als Erfolgsfaktor Heißt dies nun, dass klassische Büros zukünftig gänzlich verschwinden und sich Home-Office zum „new normal“ entwickeln wird? Davon ist eher nicht auszugehen, denn die Pandemie hat nicht nur gezeigt, dass sich Home-Office technisch, personell und organisatorisch realisieren lässt und in großem Umfang möglich ist und akzeptiert wird. Letztlich hat die Pandemie auch die Grenzen des Home-Office deutlich gemacht: Home-Office funktioniert, wenn  technische Endgeräte zur Verfügung stehen, die technischen Infrastrukturen reibungslos funktionieren, Kommunikationstools, wie vor allem Video-Tools, eingesetzt werden können und gewährleistet werden kann, dass der erforderliche Informations- und Datenaustausch innerhalb der Teams bzw. zwischen zentralem Office und dezentralen Home-Office-Plätzen sicher und geschützt erfolgen kann,  der Aufgabenzuschnitt es strukturell und inhaltlich zulässt und die Aufgaben von zu Hause aus digital ausgeführt werden können,  die räumlichen Gegebenheiten ein möglichst stressfreies Arbeiten im heimischen Umfeld erlauben,  die Mitarbeiter für ein eigenverantwortliches Arbeiten im Home-Office befähigt sind bzw. werden. Notwendig sind vor allem persönliche Kompetenzen wie Selbstverantwortung und Selbstmanagement, Resilienz, Grenzziehungskompetenzen oder auch Beurteilungsfähigkeit, zum Beispiel in Bezug auf die Frage, welches Kommunikationsmittel in welcher Arbeitssituation zielführend ist,  seitens der Führung Ergebnisorientierung an die Stelle einer Forderung nach Präsenz und der damit oft verbundenen Tätigkeitskontrolle treten,  Vertrauen zwischen Führungskräften und Mitarbeitern sowie Vertrauen innerhalb der Abteilungen und Teams vorherrscht. Dass der Corona-bedingte Umstieg von einer physischen in eine virtuelle Arbeitswelt so reibungslos funktionierte, lag sicherlich besonders daran, dass dieses Vertrauen in der vormals physischen Arbeitswelt aufgebaut werden konnte. Dieses Vertrauen - von Niklas Luhmann [4] als riskante Vorleistung definiert - hat den erforderlichen schnellen Switch in die virtuelle Arbeitswelt sicherlich erleichtert, wenn nicht sogar ermöglicht [5]. Je mehr und je länger nun in virtuellen Arbeitsumgebungen gearbeitet und kommuniziert wird, desto deutlicher zeigen sich jetzt die Grenzen: Virtuell gelingt der Aufbau von Vertrauen nicht in gleicher Weise wie physisch. 46 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Dies wundert nicht. Eine maßgebliche Rolle für den Aufbau von Vertrauen stellt Kommunikation dar. Kommunikation wiederum ist vielschichtig und bedient sich verbaler, nonverbaler und paraverbaler Elemente, wobei das Funktionieren von Kommunikation und damit tatsächliche Verständigung vor allem durch die non- und paraverbalen Elemente beeinflusst werden. [6] Genau diese Elemente fließen hauptsächlich in physischen Interaktionen ein, so dass sich Vertrauen vor allem in Präsenz und im physischen Austausch aufbauen und pflegen lässt. Genau die für den Aufbau von Vertrauen erforderliche Präsenz und der physische Austausch fehlen jedoch im virtuellen Kontext. Dieses „Vertrauensdilemma“ [7] wurde schon Mitte der neunziger Jahre im Kontext von virtuellen Unternehmen diskutiert. Vertrauen ist für das Funktionieren virtueller Unternehmen einerseits erforderlich; andererseits lässt sich dieses Vertrauen gerade in virtuellen Unternehmen auf Grund des fehlenden physischen Austauschs so gut wie nicht aufbauen. Für die Anfangszeiten des Lockdowns galt dies zunächst nicht: In den Vor-Corona-Zeiten wurde durch Präsenz im Arbeitsumfeld, auf Kongressen, in Sitzungen oder auch in der Kantine oder in der Cafeteria Vertrauen aufgebaut. Dieses Vertrauen könnte ein wesentlicher Erfolgsfaktor dafür gewesen sein, dass die Umstellung auf Home-Office so schnell funktioniert hat [5]. Die Mitarbeiter kannten sich ohnehin, die Teams funktionierten auch davor und auf virtuellen Kongressen hat man sich gefreut, Kollegen virtuell zu treffen und einen kurzen Chat auszutauschen. Schwieriger wurde es, wenn Teams neu zusammengestellt wurden oder man sich das erste Mal in der Videokonferenz traf. Der im physischen Prozess bewährte Aufbau von Vertrauen ließ sich nicht eins zu eins auf den virtuellen Arbeitskontext übertragen. Dies zeigt sich noch deutlicher, je mehr und je länger die virtuellen Arbeitsphasen nun dauern: Virtuell gelingt der Aufbau von Vertrauen nicht in gleicher Weise; physische Zusammentreffen und Kommunikation werden immer mehr vermisst und die Bereitschaft für Home-Office im zweiten Lockdown scheint zu sinken. Seitens der Führungskräfte, denen die Bedeutung von Präsenztreffen für ein reibungsloses Funktionieren der Zusammenarbeit durchaus bewusst ist und seitens der Mitarbeiter, für die physische Treffen im Büro mittlerweile oft die einzige Möglichkeit überhaupt ist, überhaupt noch physische Kontakte pflegen zu können. Digitale Arbeitswelt: Erkennbare Grenzen In der zweiten Welle verdeutlicht Corona daher die Grenzen rein virtueller Zusammenarbeit. Dies gilt nicht nur in Bezug auf die Kommunikation. Gleichzeitig - und auch das wird offensichtlich - lässt sich ein reines Arbeiten im Home-Office für viele räumlich und organisatorisch gar nicht realisieren, da © Rahul Top auf Pixabay 47 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie zum Beispiel Platz und Ruhe fehlen und die Möglichkeit, sich ungestört auf ein Projekt oder eine Videokonferenz zu konzentrieren, gar nicht gegeben ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn größere Familien gezwungen sind, zu Hause eine Kombination aus Home-Office und Home-Schooling zu organisieren. Innerhalb eines Jahres ist es dank der Pandemie somit gelungen, jahrelange Überlegungen und theoretische Forschungsergebnisse in einem großflächigen Experiment zu bestätigen: Virtuelle Arbeitsformen sind möglich, sinnvoll und weitgehend akzeptiert, wenn bestimmte technische, organisatorische und insbesondere personelle Voraussetzungen gegeben sind. Sie haben aber auch ihre Grenzen, wenn Arbeitsprozesse ausschließlich virtuell abgewickelt werden. Was heißt dies nun für die zukünftige Entwicklung und Gestaltung der Arbeitsstrukturen: Wird Home-Office tatsächlich zum „new normal“, wie es gegenwärtig oft diskutiert wird? Werden physische Büroräume zukünftig nicht mehr erforderlich sein? Hybride Arbeitsformen: Neue Rolle des Büros Davon ist derzeit eher nicht auszugehen. Zu erwarten sind hybride Arbeitsformen, bei denen physische und virtuelle Arbeitsformen aufgaben- und kontextorientiert verknüpft werden. Dabei wird auch das Büro zukünftig eine wichtige Rolle spielen. Denn es ist und bleibt ein wichtiger Ort für Kommunikation und für den sozialen Austausch. Viele Ideen für neue Bürokonzepte konzentrieren sich gegenwärtig genau auf diesen Aspekt und gehen explizit oder implizit von einem Szenario aus, in dem Stillarbeit zu Hause und kommunikative Arbeit im Büro durchgeführt wird. Vor diesem Hintergrund werden auch architektonisch ganz neue Bürokonzepte diskutiert, in denen an die Stelle der klassischen Einzel- und Großraumbüros vor allem Kommunikationskonzepte ganz unterschiedlicher Art treten. Möglicherweise wird dies der zukünftigen Rolle des Büros jedoch nicht ganz gerecht. Denn gerade der Rückzug zum Büro, um sich dort auf konzentriertes Arbeiten fokussieren zu können, stellt für viele eine interessante Alternative zum Home-Office dar. Dies gilt insbesonders dann, wenn ein konzentriertes Arbeiten im Home-Office auf Grund der räumlichen Gegebenheiten oder der sonstigen Verpflichtungen nur schwer möglich ist. Insofern entspricht die häufig erkennbare Betonung der zukünftigen Büros als sozialer Treffpunkt nicht unbedingt der Realität; das Büro als physischer Rückzugsort vom Home-Office wird sicherlich zukünftig genauso relevant. Büros werden somit nicht verschwinden; sie sind als Ort für Kommunikation und Rückzug in hybride Arbeitswelten zu integrieren. Daneben werden sich andere Konzepte immer mehr durchsetzen: Co-Working-Räume, Satellitenbüros an dezentralen Standorten oder auch mobile Formen der Arbeit wie sie schon vor der Pandemie existierten: im Kaffee, beim Kunden, am Flughafen, auf Berghütten oder auch in der Ferienwohnung am Strand. Aber auch diese mobilen Formen der Arbeit werden sich durch Corona verändern. Verlieren - wie zukünftig zu erwarten ist - physische Geschäftsreisen an Relevanz, wird auch das begleitende, mobile Arbeiten während der Reise am Flughafen, im Zuge etc. oder auch beim Kunden weniger. Dahingegen wird vielleicht ein zeitweises oder dauerhaft praktiziertes, dezentrales, mobiles Arbeiten an Wunsch-Standorten beliebter. Corona hat gezeigt, dass es prinzipiell funktioniert. Dass rund 21 % der Berufstätigen umziehen würde, wenn Home-Office zukünftig möglich wäre, zeigt eine aktuelle BITKOM-Studie [8]. Als ein ganz konkretes Beispiel lässt sich hier „South Working - Lavorare dal Sud“ nennen [9]. Hier handelt es sich um eine Initiative sehr gut ausgebildeter meist sizilianischer Staatsbürger, die im Zuge der Pandemie und des damit verbundenen remote working nach Sizilien zurückkehrten, um von dort aus für verschiedene Standorte im In- und Ausland zu arbeiten und diese Form der Arbeit nun stärker in ihrer Heimat forcieren möchten. Insofern lässt sich auch bzgl. mobiler Arbeit ein durch CoVid-19 induzierter Wandel erkennen: Das begleitende mobile Arbeiten während Geschäftsreisen wird weniger; die dauerhafte Verlagerung des Arbeitsplatzes an dezentrale, mobile Wunsch-Standorte wird zunehmen. All dies zeigt letztlich einen klaren Trend: Flexible, hybride Arbeitsmodelle werden das „new normal“ in einer Zeit nach der Pandemie prägen; eine Rückkehr zum klassischen, industriellen Arbeitsmodell, das geprägt ist von einem Normalarbeitsverhältnis in Büros oder Fabriken, ist kaum mehr vorstellbar. Die hiermit verbundene Zentralisierung von Arbeit löst sich zumindest in Bezug auf Bürogebäude auf; es wird sich ein Nebeneinander von zentralen und dezentralen Arbeitsstrukturen etablieren. Urbane Strukturen: Abwandern von Arbeit? Was bedeutet dies nun für Städte? Auch wenn Büros - wie gezeigt - wichtig bleiben, werden sie nur mehr eine Komponente flexibler Arbeitsmodelle darstellen. Daher ist zu vermuten, dass der Bedarf an Büroraum in Städten abnehmen wird; obgleich sich andere Arbeitsorte wie Co-Working-Plätze etablieren werden. Diese Tendenz ist jetzt schon 48 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie erkennbar. Die Nachfrage nach Büro-Immobilien nimmt im Zuge der Pandemie ab; die Nachfrage nach Wohnmöglichkeiten im regionalen Umfeld einschließlich geeigneter Räumlichkeiten für ein Home- Office steigt angeblich. Dezentrale hybride Arbeitswelten können somit dazu führen, dass Arbeit und damit auch die Menschen, die diese Arbeit durchführen, aus Städten „abwandern“. Initiativen wie das schon erwähnte „south working“ unterstützen diesen Trend. Was dies für Städte bedeuten kann, zeigen historische Beispiele wie die ehemalige Goldgräberstadt Goldfield in Nevada oder Detroit, die bis Mitte des 20.- Jahrhunderts eine der bedeutendsten Industriestädte der Welt war. Zusätzlich forciert werden derartige Szenarien durch eine andere Entwicklung, bei der letztlich auch Corona als Brennglas zu sehen ist: die Intensivierung von Online- oder Electronic Commerce. Auch hier sehen wir einen Trend, der sich schon lange abzeichnete, der aber durch Corona richtig an Dynamik gewann und der letztlich dazu führt, dass physische Läden schließen (müssen) und sich im Zuge dessen die Stadtbilder wandeln. Städte: Wichtige Elemente im zukünftigen Arbeitskontext Aber all dies muss nicht zwangsläufig dazu führen, dass Städte menschenleer werden und sich ähnliche Szenarien wie früher abzeichnen. Vielmehr werden Städte auch in einer Arbeits-Lebenswelt, in der sich virtuelles Arbeiten und Online-Einkaufen als normal etabliert, weiterhin wichtig bleiben. Allerdings wird sich ihre Rolle ändern. Möglicherweise lassen sich hier parallele Entwicklungen zur zukünftigen Bedeutung des Büros erkennen. Wie diese könnten Städte zukünftig vor allem zwei wichtige Funktionen übernehmen: zum einen die Rolle als Kommunikationsplattform, um den ansonsten fehlenden sozialen Austausch bewusst zu forcieren und zu pflegen. Je virtueller Arbeiten, Einkaufen und Leben werden, desto wichtiger sind Plätze für den sozialen Austausch, den Städte vielfältig bieten können. Zum anderen können Städte - analog wie Büros - zukünftig einen physischen Rückzugsort anbieten. Einen Ort, an dem man sich bewusst aus der von zu Haus aus gesteuerten virtuellen Lebenswelt zurückziehen kann, um beispielsweise in Museen, Ausstellungen, Theater, Kino, Veranstaltungen etc. in eine physische Umgebung eintauchen zu können. All diese Plätze stellen physische Lebenswelten ohne zeitlichen Druck und zeitliche Verdichtung zur Verfügung und bieten somit einen attraktiven Gegenpart zu einer ansonsten primär virtuell und zeitlich verdichteten Arbeitswelt. Insofern geht es in einer Zeit nach oder mit Corona nicht nur darum, sinnvolle hybride Arbeitskonzepte zu entwickeln und zu initiieren. Wichtig ist vielmehr, auch darüber nachzudenken, wie derartige hybride Arbeitsmodelle in ganzheitliche zukünftige Konzepte für die Städteentwicklung eingebettet werden können. Dies schließt Fragen wie die zukünftige Rolle und Gestaltung von Büros und Co-Working- Plätzen, aber auch die sich dadurch verändernde Rolle von Städten und ihren physischen Angeboten für Kommunikation und Rückzug mit ein. Hier sind ganzheitliche Ideen und Perspektiven wichtig, wie sie sich ja auch in Diskussionen rund um „smart cities“ wiederfinden. LITERATUR: [1] Picot, A., Neuburger, R.: Der Beitrag virtueller Unternehmen zur Marktorientierung. In: Bruhn, M., Steffenhagen, H. (Hrsg.): Marktorientierte Unternehmensführung - Reflexionen, Denkanstöße, Perspektiven, S. 119-140. Wiesbaden 1997. [2] O‘Hara-Devereaux, M., Johansen, R.: Globalwork. Bridging distance, culture, and time, San Francisco, 1994. [3] Picot, A., Reichwald, R., Wigand, R.T., Möslein, K.M., Neuburger, R., Neyer, A.-K.: Die grenzenlose Unternehmung - Information, Organisation & Führung, 6. Auflage, Wiesbaden 2020. [4] Luhmann, N.: Vertrauen: Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, 4. Aufl., Stuttgart, 2000. [5] Neuburger, R.: Zukunft des Home-Office: das rechte Maß finden; Corporate Digital Responsibility, Juni 2020. https: / / corporate-digital-responsibility.de/ article/ zukunft-des-home-office-rahild-neuburger/ [6] Watzlawick, P., Beavin, J. H., Jackson, D. D.: Menschliche Kommunikation: Formen, Störungen, Paradoxien (8. Aufl.). Bern 1990. [7] Sydow, J.: Die virtuelle Unternehmung - eine Vertrauensorganisation. In: Office Management, 44, (1996) S. 10 - 13. [8] BITKOM: Homeoffice statt Büro: jeder Fünfte würde umziehen. https: / / www.bitkom.org/ Presse/ Presseinformation/ Homeoffice-statt-Buero-Jeder-Fuenftewuerde-umziehen [9] https: / / www.southworking.org/ Dr. Rahild Neuburger LMU Munich School of Management, Geschäftsführerin MÜNCHNER KREIS e. V., Mitglied des Vorstandes des Charta Digitale Vernetzung e. V. Kontakt: neuburger@lmu.de AUTORIN Gegründet im Jahr 1990, liefert Trialog seit mehr als drei Jahrzehnten zielgruppenspezifische Informationen für Entscheider in technischen Branchen. Die Trialog Publishers Verlagsgesellschaft ist ein spezialisiertes Medienunternehmen mit klassischen und digitalen Publikationen für Ingenieure, technische Fach- und Führungskräfte und Experten aus Wissenschaft und Forschung. Die crossmedialen Fachmedien des Verlags sind darauf ausgerichtet, diese Zielgruppen in Beruf und Karriere professionell zu unterstützen. Bei Trialog Publishers erscheinen die technisch-wissenschaftlichen Fachmagazine »Internationales Verkehrswesen« (mit den englischsprachigen Specials »International Transportation«) sowie »Transforming Cities | Das Fachmagazin zum urbanen Wandel«. ... sind verlässliche Informationen Trialog Publishers Verlagsgesellschaft | 72270 Baiersbronn | Schliffkopfstraße 22 | www.trialog.de © Gerd Altmann auf Pixabay Was zählt ... 50 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Wie Krisenkommunikation via Soziale Medien in Zeiten der Corona-Pandemie gelingen kann Hinweise und Handlungsempfehlungen für Kommunen, Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) aus dem Projekt POSITIV Soziale Medien, Krisenkommunikation, Bevölkerungsschutz Fatma Cetin, Rebecca Nell, Alisa Schofer Krisenkommunikation via Soziale Medien ist nur eine mögliche Form, Bürger*innen zu erreichen. Sofern diese Medien strategisch eingeplant und moderiert verwendet werden, bieten sie für (kommunale) Behörden eine große Chance. Im Projekt POSITIV (Auftraggeber: vhw - Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e. V. stellt der allgemeine, krisenunabhängige Einsatz sozialer Medien durch öffentliche Verwaltungen den zentralen Untersuchungsgegenstand dar. Inwiefern Soziale Medien in der Krisenkommunikation eingesetzt werden und was es zu beachten gilt, umreißt der vorliegende Artikel. Zu beachten ist, dass der alleinige Einsatz von Sozialen Medien während einer Krise nicht empfohlen wird. © Daria Nepriakhina on Unsplash 51 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie „Wer heute über Krisenkommunikation spricht, kommt nicht umhin, den Einfluss und die Auswirkungen der Sozialen Medien genauer zu betrachten“ [1]. Nicht nur veränderte Kommunikationsformen stellen die Kommunen, Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (kurz: BOS) bei der Bewältigung von Krisen vor neue Herausforderungen [2]. Auch die Art (zum Beispiel: Pandemien) und die Häufigkeiten von Krisenereignissen (zum Beispiel: Naturkatastrophen, Anschläge) haben sich in den letzten Jahren dynamisch verändert [2, 3, 4]. Daraus resultiert verändertes Informationsverhalten und Aufklärungsbedürfnis der Bevölkerung [2]. In diesem Kontext bietet Social Media Kommunen und BOS die Möglichkeit, ihrer Informationspflicht gegenüber den Bürger*innen während einer Krise schnellstmöglich nachzukommen [5, 6]. Zudem haben Organisationen die Option, Social- Media-Kommunikation in die operative Arbeit zu integrieren [7]. Neben operativen Aspekten, wie der Mobilisierung und Information der Bevölkerung, haben die Organisationen auch außerhalb einer Krise die Möglichkeit, einen Dialog mit der Bevölkerung einzugehen [8]. Basierend auf den neuen Herausforderungen und den veränderten Rahmenbedingungen, mit denen der Bevölkerungsschutz und auch Kommunen konfrontiert sind [6], stellt sich die Frage, inwiefern Soziale Medien im Kontext der externen Krisenkommunikation von Behörden herangezogen werden können. Zur Einbettung des Themas und Beantwortung der Frage werden zunächst die Begriffe Krise und Katastrophe sowie das System des deutschen Bevölkerungsschutzes näher erläutert. Ziel des Artikels ist es, sowohl die Chancen als auch Herausforderungen von Social Media für kommunale Akteure und BOS gerade in Krisenzeiten aufzuzeigen. Krise und Bevölkerungsschutz im Kontext der Krisenkommunikation Unter dem Begriff „Krise“ wird eine Situation verstanden, die von der Normalität abweicht und im Rahmen derer unter anderem Schutzgüter beschädigt werden können [9]. Schutzgüter bezeichnen grundsätzlich Faktoren, die es aufgrund von immateriellen oder materiellen Aspekten zu schützen gilt [9]. Beispielsweise stellt der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung ein Schutzgut dar [10]. Des Weiteren kann während einer Krise die Infrastruktur gefährdet sein. Ist dies der Fall, ist die Versorgung der Bevölkerung entweder eingeschränkt oder gar nicht möglich [11]. Zur Bewältigung einer solchen Schadenslage müssen spezielle Organisationen herangezogen werden [9], wie beispielsweise Berufsfeuerwehren. Prinzipiell können Krisen unterschiedliche Situationen bezeichnen und aus verschiedenen Gegebenheiten heraus entstehen. Neben natürlichen Gefahren (zum Beispiel: Extremwetterlagen) können technisches oder menschliches Versagen (zum Beispiel: Systemversagen oder Fahrlässigkeit) zu einer Krise führen. Eine Katastrophe weist im Vergleich zu einer Krise ein größeres Ausmaß an betroffenen bzw. gefährdeten materiellen und/ oder immateriellen Gütern auf. Krisenkommunikation beschreibt die Kommunikation während einer Krise, die das Ziel verfolgt, durch Informations- und Meinungsaustausch den Schaden an den oben beschriebenen Schutzgütern einzugrenzen oder möglicherweise zu verhindern [9, 10]. Somit befasst sie sich, im Gegensatz zur Risikokommunikation, mit einem speziellen und bereits eingetretenen Ereignis. Krisenkommunikation lässt sich folglich dem Krisenmanagement zuordnen [1]. Grundsätzlich setzt sich der Bevölkerungsschutz aus dem Katastrophen- und dem Zivilschutz zusammen, wobei in beiden Fällen der Fokus auf dem Schutz der Bevölkerung liegt [3]. Der deutsche Bevölkerungsschutz Die heutige Struktur des deutschen Bevölkerungsschutzes hat sich neben verschiedenen individuellen und kommunalen Entwicklungen durch die Kriege des 20. Jahrhunderts ergeben. Ende des 20.- Jahrhunderts erfolgte die Festlegung der gesetzlichen und strukturellen Rahmenbedingungen von Organisationen des Bevölkerungsschutzes [3]. „Maßgebliche Akteure {des Katastrophenschutzes} sind bis heute die im 19. und 20. Jahrhundert gegründeten Feuerwehren, die Hilfsorganisationen Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG), das Deutsche Rote Kreuz (DRK), die Johanniter-Unfall- Hilfe ( JUH), der Malteser Hilfsdienst (MHD) und die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW)“ [3]. Die verschiedenen genannten Organisationen sind in ein Gesamtsystem eingegliedert, das sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene agiert [3]. Um die verschiedenen Organisationen und deren nationale Einsätze zu koordinieren, existieren unterschiedliche Ebenen. Angefangen mit den Gemeinden, Landkreisen und kreisfreien Städten und den dazugehörigen Katastrophenschutzbehörden bestehen auf Landesebene administrativ-organisatorische Stäbe. Der Schutz der Bevölkerung im Verteidigungsfall wird vom Bund übernommen [12]. 52 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Krisenkommunikation bei Organisationen des deutschen Bevölkerungsschutzes Soziale Medien können auf unterschiedliche Art und Weise im Kontext der Krisenkommunikation genutzt werden. Unter anderem besteht für Organisationen die Möglichkeit, Angehörige von Betroffenen zu informieren oder allgemeine Informationen über die betreffende Krise weiterzugeben. Des Weiteren können über Social-Media-Helfer*innen aus der Bevölkerung generiert und koordiniert werden [13]. Außerdem können Verhaltenstipps an Betroffene weitergegeben werden [14]. Es gilt zu beachten, dass zwei grundlegende Formen der Nutzung in Bezug auf Informationen bestehen: Einerseits kann eine Organisation Informationen verbreiten und andererseits Informationen generieren, um eine Krise zu bewältigen [15]. Worauf der Fokus liegt bzw. nach welchen Informationen gefiltert (Monitoring) wird, hängt von der Art der Schadenslage ab [16]. Die Entwicklung erfolgt hin zum Einsatz von Sozialen Medien als Bestandteil der operativen Arbeit [7]. Die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern bzw. die Koordination der Öffentlichkeitsarbeit zur Gewährleistung einer einheitlichen und stringenten Informationsweitergabe, stellt eine Herausforderung der externen Krisenkommunikation von Behörden dar [14]. Außerdem wird bei der Analyse der externen Krisenkommunikation deutlich, dass die Verwendung von Social Media (vor allem Facebook) von verschiedenen Akteuren des Bevölkerungsschutzes (zum Beispiel: Feuerwehren, Polizei und Hilfsorganisationen) zunimmt [13]. Jedoch fehlt es in Deutschland bisher an Struktur und personellen Ressourcen, um einen Einsatz von Social Media im Bereich externer Krisenkommunikation bundesweit gewährleisten zu können [17]. POSITIV - Potenziale von Sozialen Medien in der öffentlichen Verwaltung Das Projekt POSITIV, das in Zusammenarbeit und unter Beauftragung des Bundesverbands für Wohnen und Stadtentwicklung e. V. (vhw) gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO und der Universität Stuttgart entstanden ist, untersucht den Einsatz Sozialer Medien durch öffentliche Verwaltungen und ihre Interaktion sowie Kommunikation mit Bürger*innen. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit Bürger*innen als „Freunde“ der öffentlichen Verwaltung gewonnen werden können. POSITIV verfolgt das übergeordnete Ziel, sowohl die Potenziale als auch Herausforderungen von digitalen Medien als „neue“ Kommunikationsform, unter den Gesichtspunkten von Transparenz und Dialog, herauszuarbeiten. Krisenkommunikation stellte hierbei einen Aspekt dar, der im Verlauf des Projektes, unter anderem bedingt durch die Pandemie, an Bedeutung gewonnen hat. Ein Fokus des vorliegenden Artikels liegt auf der Krisenkommunikation während der Corona-Pandemie bei denen Social Media eingesetzt wurde oder wird. Erfahrungswerte deutscher Kommunen - Organisationsstrukturen, Social-Media- Kommunikation und Ziele Neben der Social-Media-Nutzung zur Krisenkommunikation durch BOS, findet diese auch vermehrt durch öffentliche Verwaltungen statt, wie aus den nachfolgend dargelegten Ergebnissen hervorgeht. Der erste empirische Zugang hierzu erfolgte über leitfadengestützte Interviews. Dabei wurden Vertreter*innen aus Verwaltung und Wissenschaft, kommunalen Spitzen- und Interessenverbänden sowie intermediären Organisationen im Rahmen des Projektes POSITIV als Expert*innen befragt. Durch diese Bereichsvielfalt konnten vielversprechende Ergebnisse generiert werden, die im Folgenden zusammengefasst für die Risiko- und Krisenkommunikation dargestellt werden. Weiterführende Ergebnisse dazu sind in der im ersten Quartal 2021 durch den vhw (e. V.) veröffentlichten Studie POSITIV nachzulesen [18]. Auch in POSITIV hat sich gezeigt, dass sich Dynamik und Schnelllebigkeit als beispielhafte Merkmale der Social-Media-Nutzung zur Informationsverbreitung und Bürger*innenkommunikation für öffentliche Verwaltungen eignen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Risiko- oder Gefahrenabwehr. Grundsätzlich haben die untersuchten öffentlichen Verwaltungen positive Erfahrungen beim Einsatz von Sozialen Medien gesammelt. Die Informationsverbreitung erfolgt den berichteten Erfahrungen zufolge schnell, Themen bzw. Inhalte werden größtenteils an der Community ausgerichtet und auch unmittelbares Feedback seitens der User*innen können direkt ausgewertet werden. Auch Empfindungen oder Stimmungen der Bürger*innen sind via Facebook, Twitter und Instagram über Emojis oder Hashtags zu annotieren im Gegensatz zu anderen, nicht interaktiven (klassischen) Medien (zum Beispiel: TV, städtische Website, Pressemitteilungen etc.). Darüber hinaus kann über Soziale Medien eine große Reichweite (24/ 7) innerhalb einer Kommune erzielt werden, sodass die Mehrheit der Einwohner*innen insbesondere in Krisensituationen, wie der COVID-19-Pandemie, erreicht werden. So könnten die jeweiligen Social-Media-Nutzenden 53 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie seriöse Informationen, die aus erster Hand von ihrer Stadt oder Gemeinde kommen, schnell und einfach im eigenen Familien- oder Bekanntenkreis verbreiten. Gleichzeitig sind den Erfahrungen der untersuchten öffentlichen Verwaltungen zufolge Social-Media-Kanäle zur Bürger*innenkommunikation geeignet, das heißt, es besteht die Möglichkeit, dezidiert Dialoge mit Einwohner*innen zu führen, möglicherweise Bedarfe abzufragen oder um zivile Unterstützung zu koordinieren [18]. Vorwiegend in akuten Krisen oder Katastrophen, zum Beispiel Hagel- oder Schneestürmen oder Bränden, könnten Soziale Medien als wesentliches Kommunikationsinstrument eingesetzt werden. Dabei gab es vereinzelt Kommunen, die mit ihrer örtlichen Feuerwehr bzw. dem jeweiligen Krisenstab kooperiert und Beiträge in Absprache mit Oberbürgermeister*innen und der entsprechenden Pressestelle veröffentlicht haben. Zudem wurden Antworten für User*innen in Abstimmung verfasst und gepostet [18]. Im Umkehrschluss können ohne eine richtige Strategie sowie Absprachen im Krisenstab diverse Risiken entstehen, die sich beispielsweise durch fehlende Informationen auf Seiten der Bürgerschaft äußern können. Dadurch wird nochmals außerhalb der Erfahrungsberichte die Notwendigkeit von Kooperationen und Strategien hervorgehoben. Bevölkerungsperspektive zur Krisenkommunikation durch öffentliche Verwaltungen In diesem Zusammenhang ist die Perspektive der Bevölkerung aus der im Rahmen der Studie POSITIV bundesweit angelegten Online-Bürgerbefragung (n = 216) bezüglich der Bausteine „Vertrauenswürdigkeit“, „Transparenz“ sowie „Zufriedenheit“ zu betrachten. Eingebettet wird dies in den Kontext Krisenkommunikation und Informationsinput. Im Jahr 2020 ist in der Bevölkerung zwar allgemein ein Anstieg des Vertrauens in die Medien zu verzeichnen, demgegenüber hat sich aber ein gleichzeitiges Misstrauen während der Corona-Pandemie in Social Media entwickelt [19, 20]. Aus diesem Grund ist besonders das Vertrauen in die von öffentlichen Verwaltungen durch Social Media geteilten Information im Kontext Krisenkommunikation bedeutsam. Zu erwähnen ist, dass die Online-Befragung im Sommer 2020 durchgeführt wurde, weswegen das Antwortverhalten zu einem anderen Zeitpunkt in der Pandemie womöglich „kritischer“ ausgefallen wäre- - Stichwort: Verschwörungsmythen, Vertrauensverlust. Insgesamt lässt sich folgende Tendenz aus der Umfrage entnehmen: Ein Großteil der Teilnehmenden (n = 132) fühlt sich gut von der eigenen Stadt über die aktuellen Entwicklungen informiert. Zusätzlich ist rückblickend ein Großteil der Befragten (n = 150) mit dem Social-Media-Auftritt ihrer Stadt im Allgemeinen (n = 144) sowie während des Corona-Ausbruchs im März 2020 (n = 150) zufrieden bis sehr zufrieden. Daran lässt sich erkennen, dass die Zufriedenheit der Befragten mit dem Social-Media- Auftritt der jeweiligen Stadt während der Corona- Krise nicht gesunken ist. Demgegenüber bringen allerdings ein Informationsinput bzw. ein Informationsaustausch auf Social Media nicht ausschließlich Vorteile (zum Beispiel: leichter und schneller Informationszugang, Dialog und Interaktion) mit sich [21]. Denn durch einen Informationsaustausch können sogenannte Fake News (gefälschte Nachrichten) leichter verbreitet werden, die besonders stark auf sozialen Netzwerkseiten ansteigen [22]. Zudem beeinflussen Fake News auf sozialen Netzwerkseiten negativ das Vertrauen in Soziale Medien über alle Alterssparten in Deutschland hinweg, wobei sich speziell die jüngere Generation (unter 39 Jahren) über Social Media informiert [23]. Vorwiegend im Kontext der Krisenkommunikation ist die Argumentationslinie von Fake News nicht zu vernachlässigen, zumal (neben Facebook) vermehrt Twitter zur akuten Krisenkommunikation (zum Beispiel hinsichtlich eines Bombenfundes oder einer Evakuierung) genutzt wird. Aber auch für länger andauernde Krisen, wie beispielsweise die Corona-Pandemie, ist die Social-Media-Nutzung zur Krisen- und Risikokommunikation ein wichtiger Bestandteil, der unter anderem an der intensiveren Social-Media-Nutzung zu Informationszwecken seitens der User*Innen über alle Altersgruppen hinweg zu sehen ist [24]. Handlungsempfehlungen für die Social- Media-Nutzung in Pandemie-Zeiten Nicht jede Verwaltung verfügt über die notwendigen Ressourcen und Möglichkeiten kontinuierlich zur Risikoprävention, zur Aufklärung der Bevölkerung oder generell zum Krisenmanagement mit dem jeweiligen Krisenstab oder generell mit BOS zusammenzuarbeiten. Dennoch ist es unerlässlich in akuten Krisenphasen, wie der derzeitigen COVID- 19-Pandemie, zu kooperieren. Dies ist besonders wichtig, um den Folgen wie Fake News oder Verschwörungsmythen entgegenzuwirken. Hierfür können, in Verbindung mit den Ergebnissen der Social Media-Analyse im Rahmen von POSITIV, Handlungsempfehlungen für öffentliche Verwaltungen formuliert werden. 54 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Die aufgegriffenen Nachteile bzw. Konsequenzen (zum Beispiel: Vertrauensverlust in (Soziale) Medien) können teilweise im Kontext der Corona-Pandemie mit der Bewegung „Querdenker“ und ihren Gesinnungsgenossen („Corona-Diktatur“) in Verbindung gebracht werden [25]. In Zeiten von Corona artikulieren einige Bürger*innen (darunter auch Querdenker-Anhänger*innen) Unsicherheiten, Misstrauen gegenüber den mitgeteilten Anordnungen, Ängste sowie Unzufriedenheit mit der Corona-Politik [25]. Fazit Die Social-Media-Nutzung durch öffentliche Verwaltungen zur Krisenkommunikation kann hier ansetzen: Soziale Netzwerke können in der Funktion als unmittelbare Kommunikationsinstrumente für Nutzer*innen maßgebliche Informationen schnell und in „Echtzeit“ bereitstellen. Zudem können die von öffentlichen Verwaltungen verwendeten sowie weiterführenden Quellen in den Beiträgen verlinkt werden, sodass sich die Nutzenden sowohl online als auch offline (zum Beispiel entsprechende Dokumente online herunterladen und offline lesen, sich mit Freunden/ Bekannten darüber austauschen) selbst ein Bild von der Lage machen und sich kritisch mit den Inhalten auseinandersetzen. Allerdings sollten nur glaubwürdige Quellen herangezogen werden, um beispielsweise Misstrauen entgegenzuwirken. Denn unglaubwürdige Quellen, aber auch fehlende oder unzureichende Kommunikation im Krisenfall, schaden dem Vertrauen in (Soziale) Medien [26]. Der Informationsbereitstellung folgt auch zu einem guten Teil die Aufklärung und die damit einhergehende Möglichkeit zur Erzeugung von Transparenz für unter anderem politische Maßnahmen zur Eindämmung des Virus. Ängsten (zum Beispiel vor dem Virus, Jobverlust usw.) sowie Unzufriedenheiten in Krisenzeiten können durch die Social-Media-Nutzung ebenso entgegengewirkt werden, indem beispielsweise für den „Ernstfall bespaßt wird“ [18]. Das bedeutet, dass in dem aufgebauten Online-Netzwerk nicht nur interessante oder wichtige, sondern auch unterhaltende oder authentische Informationen (oder Inhalte) geteilt werden, um zu Krisenzeiten eine hohe Anzahl von Personen zu erreichen, sodass das Vertrauen gegenüber der eigenen Stadt oder Gemeinde erhöht werden kann [18]. Schließlich ist es wahrscheinlicher, dass jene Inhalte im eigenen Umfeld geteilt werden. Darüber hinaus ist es empfehlenswert, dezidiert Beiträge und dazugehörige Kommentare zu moderieren sowie auf Netiquette und Regelungen für die Nutzer*innenkommunikation zu verweisen. Dadurch kann mit den Bürger*innen responsiv interagiert werden. Auch dieses Vorgehen kann sowohl das Vertrauen als auch die Zugehörigkeit steigern, wodurch schließlich eine vertrauenswürdige, digitale Beziehung zwischen Kommune und Bürger*in hergestellt werden kann. Demzufolge ist eine aufgebaute Reichweite sowie Vertrauen maßgeblich in der durch Social Media betriebenen Risiko- und Krisenkommunikation. Nicht zuletzt kann durch die Social-Media-Nutzung in der Krisenkommunikation Unterstützung für Menschen angeboten werden, die Hilfe benötigen (zum Beispiel: Help-Content für Kontaktinformationen zu Beratungsstellen oder medizinischen Anlaufstellen, FAQs). Im Umkehrschluss kann die Bevölkerung durch die Einhaltung der mitgeteilten Maßnahmen sowohl Mitbürger*innen schützen als auch das Handeln in der Stadtgesellschaft verstehen und aktiv unterstützen. LITERATUR [1] Höbel, P., Hofmann, T.: Krisenkommunikation. 2., völlig überarbeitete Auflage. Konstanz, München: UVK Verlagsgesellschaft, 2014. [2] Karutz, H., Geier, W., Mitschke, T.: Einführung. In: Karutz, H., Geier, W., Mitschke, T.: (Hrsg.): Bevölkerungsschutz. Notfallvorsorge und Krisenmanagement in Theorie und Praxis. Heidelberg: Springer Verlag, (2017) S. 1 - 9. [3] Geier, W.: Geschichte, Status quo und aktuelle Herausforderungen. In: Karutz, H., Geier, W., Mitschke, T.: (Hrsg.): Bevölkerungsschutz. Notfallvorsorge und Krisenmanagement in Theorie und Praxis. Heidelberg: Springer Verlag, (2017) S. 9 - 20. [4] Nolting, T., Thießen, A.: Krisenmanagement in der Mediengesellschaft. In: Nolting, T., Thießen, A. (Hrsg.): Krisenmanagement in der Mediengesellschaft. Potenziale und Perspektiven der Krisenkommunikation. 1.-Auflage. Wiesbaden: Springer Verlag für Sozialwissenschaften, (2008) S. 9 - 18. [5] Köhler, T.: Gefahrenzone Internet - Die Rolle der Online-Kommunikation bei der Krisenbewältigung. In: Nolting, T., Thießen, A. (Hrsg.): Krisenmanagement in der Mediengesellschaft. Potenziale und Perspektiven der Krisenkommunikation. 1. Auflage. Wiesbaden: Springer Verlag für Sozialwissenschaften, (2008) S. 233 - 252. [6] Steiger, S., Schiller, J., Gerhold, L.: Aktive Risiko- und Krisenkommunikation in Social Media. In: BBK (Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe) (Hrsg.): Bevölkerungsschutz. Social Media, Bd. 3. 3/ 2014, (2014) S. 14 - 16. [7] Lüge, T.: Helfer ohne Grenzen. Wie soziale Medien weltweit Hilfseinsätze verändern. In: Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (Hrsg.): Bevölkerungsschutz. Social Media. 3 (2014), S. 4 - 8. [8] Unz, D., Blanz, M.: Mediale Kommunikation und Massenkommunikation. In: Blanz, M. et al.: (Hrsg.): Kommunikation. Eine interdisziplinäre Einführung. Stuttgart, 2014, S. 135. 55 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie [9] BBK (Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe): BBK-Glossar. Ausgewählte zentrale Begriffe des Bevölkerungsschutzes. Band 8, 2011. In: http: / / www.bbk.bund.de/ SharedDocs-/ Downloads/ BBK/ DE/ Publikatinen/ Pra-xis_Bevoelkerungsschut z / B and _ 8 _ Pra -xis _ B S _ BBK _ Gloss ar.pdf ? _ _ blob=publicationFile, zugegriffen am 13.09.2017. [10] BBK (Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe) 2017: Glossar. Stichwort: Krisenkommunikation. In: http: / / www.bbk.bund.de/ DE/ S er v ice -funk tionen/ G los s ar/ _ func tion -/ glos s ar. html? lv3=1956410&lv2=4968170, zugegriffen am 18.06.2017. [11] BMI Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat): Schutz Kritischer Infrastrukturen - Risiko- und Krisenmanagement (Leitfaden für Unternehmen und Behörden), 2011. https: / / www.bmi.bund. de/ SharedDocs/ downloads/ DE/ publikationen/ themen/ bevoelkerungsschutz/ kritis-leitfaden.pdf ? _ _ blob=publicationFile&v=6 [12] BMI Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat): Konzeption Zivile Verteidigung (KZV), 2016. https: / / w w w.bmi.bund.de/ DE / themen/ bevoelkerungsschutz/ zivil-und-katastrophenschutz/ konzeption-zivile-verteidigung/ konzeption-zivile-verteidigung-node.html [13] Kern, J., Zisgen, J.: „I like Hochwasser“. Eine stichprobenhafte Untersuchung der Nutzung von Facebook während des Hochwassers 2013 in Deutschland. In: BBK (Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe) (Hrsg.): Bevölkerungsschutz. Social Media, Bd. 3 (2014), S. 17 - 19. [14] BBK (Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe): Auswertungsbericht LÜKEX 13. Außergewöhnliche biologische Bedrohungslagen, 2014. Projektgruppe LÜKEX Bund. In: http: / / www. bbk.bund.de/ SharedDocs/ Kurz-meldungen/ BBK / DE/ 2014/ LUEKE X13_Krisenkommunikation_im_ Fokus.html, zugegriffen am 13.09.2017 [15] Schwarz, A., Löffelholz, M.: Krisenkommunikation: Vorbereitung, Umsetzung, Erfolgsfaktoren. In: Zerfaß, A., Piwinger, M. (Hrsg.): Handbuch Unternehmenskommunikation, 2014. [16] Zisgen, J., Kern, J., Voßschmidt, S.: Aus Fremden werden Freunde. Deutsches Recht und Soziale Medien. In: BBK (Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe) (Hrsg.): Bevölkerungsschutz. Social Media. 3 (2014), S. 9 - 13 [17] Helmerichs, J., Karutz, H., Geier, W.: Bewältigung. Psychosoziales Krisenmanagement. In: Karutz, H., Geier, W., Mitschke, T.: (Hrsg.): Bevölkerungsschutz. Notfallvorsorge und Krisenmanagement in Theorie und Praxis. Heidelberg: Springer Verlag, (2017) S. 285 - 300. [18] Bauer, W., Riedel, O., Weisbecker, A., Braun, S. (Hrsg.), Cetin, F., Nell, R., Schofer, A.: POSITIV: Bürger*innen als Freunde? Potenziale von sozialen Medien in der öffentlichen Verwaltung Fraunhofer IAO, 2020. [19] Infratest-dimap: Glaubwürdigkeit der Medien, 2020. Abgerufen von https: / / www.infratest-dimap.de/ umfragen-analysen/ bundesweit/ umfragen/ aktuell/ glaubwuerdigkeit-der-medien-2020/ zugegriffen am 13.01.2021. [20] El Ouassil, S.: Zunehmende Polarisierung. Vertrauen in Medien steigt, Misstrauen auch, 2020. https: / / www. deutschlandfunk.de/ zunehmende-polarisierung-vertrauen-in-medien-steigt.2907.de.html? dram: article_ id=485766, abgerufen am 13.01.2021. [21] Shu, K., Sliva, A., Wang, S., Tang, J., Liu, H.: Fake News Detection on Social Media: A Data Mining Perspective. ACM SIGKDD Explorations Newsletter, 19 (1), (2017) S. 22 - 36. doi: 10.1145/ 3137597.3137600 [22] Hajok, D., Selg, O.: Kommunikation auf Abwegen? Fake News und Hate Speech in kritischer Betrachtung. 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Forum Psychoanal, 36, (2020) S. 383 - 401. doi: 10.1007/ s00451-020-00405-6 [26] BMI Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat): Leitfaden Krisenkommunikation, 2014. ht t p s : / / w w w. b m i . b u n d .d e / S h a r e d D o c s / d o w n loads/ DE / publikationen/ themen/ bevoelkerungss c hut z / leit faden k ris enkommunik ation.p d f ? _ _ blob=publicationFile&v=4 Fatma Cetin, M.A. Universität Stuttgart IAT, Fraunhofer-Institut für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement Kontakt: fatma.cetin@iao.fraunhofer.de Rebecca Nell, M.A. Wissenschaftliche Mitarbeiterin Urban Data & Resilience Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO Kontakt: rebecca.nell@iao.fraunhofer.de Alisa Schofer, B.A. Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO Kontakt: alisa.schofer@iao.fraunhofer.de AUTORINNEN 56 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Smart City: Chancen und Herausforderungen für die kommunale Infrastruktur Smart City, Smart Governance, Kooperationen, Energieversorgung, Mobilität Corinna Hilbig, Oliver Rottmann Immer mehr Städte und Gemeinden entwickeln eine eigene Smart City-Strategie. So komplex und vielfältig Regulierung, Finanzierung, Planung und Organisation einer Stadt sind, so komplex und vielfältig fallen auch die Strategien für die Umsetzung von Smart City auf kommunaler Ebene aus. Städte und Gemeinden stehen zudem vor weiteren großen Herausforderungen: Zusätzlich zu Investitionsstaus bei den Infrastrukturen und teilweise strukturell angespannten Haushaltslagen bestehen infolge dieser Trends und daraus abgeleiteter politischer Ziele Anpassungsbedarfe unter anderem im Bereich der Energieeffizienz, der Gestaltung der städtischen Mobilität oder der nachhaltigen und bürgerfreundlichen Quartiersentwicklung und Verwaltung. All diese Prozesse werden unter dem Begriff „Smart City“ diskutiert. Smart City-Strategien zielen darauf ab, Städte effizienter, technologisch fortschrittlicher, umweltfreundlicher und sozial inklusiver zu gestalten. Allerdings bestehen hier große Herausforderungen, die sich meistens im Klein-Klein verlieren und ein strategisches Gesamtkonzept vermissen lassen. Eine gewisse Schwierigkeit bereitet dabei, dass es bisher keine allgemeingültige Definition einer „Smart City“ gibt und folglich eine Vielzahl von Begriffen und Konzepten existiert. Dies zeigt sich etwa in der Anzahl der benannten Handlungsfelder bestehender Konzepte, die zwar eine große Bandbreite aufweisen, aber nicht immer einer Gesamtstrategie folgen. © Tumisu auf Pixabay 57 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Hintergrund Technologische Entwicklung und Digitalisierung schreiten zügig voran und werden die Art, wie Menschen heute leben und arbeiten, maßgeblich verändern. Infolgedessen muss bei der städtebaulichen und raumstrukturellen Entwicklung von Kommunen reagiert werden, um im Standortvergleich wettbewerbsfähig zu bleiben. Digitalisierung, Effizienz und Ressourcenschonung sind für Menschen und Unternehmen wichtige Themen der Zukunft. Eine flächendeckende Breitbandversorgung steigert nicht nur die Standortattraktivität, sondern ermöglicht Innovationen in Anwendungsfeldern wie Mobilität und Bürgerservices. Zusätzlich hat die Corona-Pandemie das urbane Leben spürbar herausgefordert. So wurde speziell der digitale Vernetzungsanspruch in zahlreichen Bereichen erhöht. Die Grenzen von Wohnen, Arbeiten und Bildung verschwimmen, digitale Konversation ersetzen physische Besuche im Familien- und Freundeskreis - Entwicklungen, die eine Blaupause für etwaige künftige digitale Lösungen vorgeben. Durch neue Kommunikationskonzepte entstehen veränderte Formen der Arbeit, Bildungs(re)formen werden angestoßen, E-Government wird intensiviert, um so den gewohnten Behördengang zu ersetzen. Speziell mit Blick auf Smart City-Lösungen resultieren daraus große Herausforderungen, da nicht zuletzt bestehende Ansätze mitunter ein strategisches Gesamtkonzept vermissen lassen. Einerseits gewinnen Städte als Wohnort für den überwiegenden Teil der Weltbevölkerung seit Jahren an Bedeutung. Andererseits sind gerade in den Städten verstärkt Phänomene und Aufgaben zu bewältigen, die in nicht so stark besiedelten Räumen weniger intensiv wirken: Klimawandel, hohes Verkehrsaufkommen, Energiewende (Strom, Wärme, Mobilität) sowie Sektorenkopplung. Smart Cities können dabei zahlreiche stadttypische Prozesse unterstützen und vereinfachen [1]. Jede Stadt oder Gemeinde muss bei der Erarbeitung eines Smart City-Konzepts abwägen, welche Handlungsfelder besondere Priorität erhalten. Für einige Kommunen wird der Ausbau von öffentlichem WIFI Priorität haben, für Kommunen mit viel Motorisierten Individualverkehr (MIV) werden intelligentes Parken und neue Mobilitätskonzepte wichtig sein. Aber auch intelligente Beleuchtung und die Digitalisierung kommunaler Dienstleistungen der Daseinsversorgung sind Anwendungsfelder der Zukunft. Innovative Technologien, Quartiersentwicklung, Straßen- und Brückenanalysen oder Verkehrsmanagement: Smart City-Konzepte bieten die zahlreiche Chancen. Smart City kann Antworten auf die Herausforderungen der Urbanisierung geben: neue Mobilität, eine bessere Luft- und Umweltqualität und mehr Möglichkeiten der Teilhabe für eine alternde Bevölkerung. Durch die schnelle und effektive Verarbeitung von großen Datenmengen und Informationen (Big Data) können zahlreiche Vorteile generiert werden. Energieunternehmen können beispielsweise die Stromproduktion effizienter planen und steuern, indem sie die Zufuhr von Energieträgern in Bedarfstiefpunkten senken. Logistikunternehmen können ihre Routen effizienter gestalten, indem sie ihre Fahrzeugeinsätze besser an Stoßzeiten anpassen. So lassen sich nicht nur Kosten senken, sondern auch Emissionen einsparen [2]. Die wesentliche Herausforderung ist die Entwicklung einer ganzheitlichen Smart City-Strategie, die eine Vielzahl unterschiedlicher Angebote integriert und sich an den individuellen Bedarfen orientiert. Daraus leiten sich geeignete Organisations-, Umsetzungs- und Finanzierungsmodelle für die jeweilige Kommune ab. Insbesondere die Finanzierungsmodelle können wesentlich von der Fördermöglichkeit der geplanten Maßnahmen abhängen. Komplexität der Begriffsdefinition Smart City als Sammelbegriff für gesamtheitliche Entwicklungskonzepte in Gemeinden und Städten gewinnt sowohl für den öffentlichen Sektor als auch für private Unternehmen zunehmend an Bedeutung. Stadtentwicklungskonzepte - vor allem in urbanen Räumen, aber auch zunehmend in ländlichen Gebieten - werden immer intensiver davon beeinflusst. Ziele eines verstärkten Einsatzes von Smart City-Anwendungen sind die Verbesserung der Lebensbedingungen und der Schutz der Umwelt [3]. Private Unternehmen sehen in Smart City die Möglichkeit, sich durch ihr Technologie- und Lösungsangebot weitere Betätigungsfelder zu erschließen. Für Städte und Gemeinden sind Smart City-Konzepte unter anderem wegen des steigenden Wettbewerbs um Zuzug sowie Industrie- und Gewerbeansiedlung und die daraus resultierenden Infrastrukturerweiterungen interessant. Smarte Technologien können sowohl aus ökologischer, als auch aus ökonomischer Sicht viele Potenziale in Städten und Gemeinden entfalten. Für kommunale Unternehmen, die maßgeblich an der Daseinsvorsorge beteiligt sind, ergeben sich deshalb diverse relevante Anwendungsfelder. Smarte Stromnetze und eine intelligente Verbrauchssteuerung bieten vielfältige Chancen zur Reduzierung des Energieverbrauchs. Auch eine Reduzierung des CO 2 -Ausstoßes kann so erreicht werden [4]. Ganzheitliche Ansätze 58 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie helfen, möglichst hohe Synergieeffekte nutzen zu können. Der Begriff Smart City wird dabei häufig unterschiedlich verwendet, beispielsweise aus raumstruktureller Sicht (Smart City versus Smart Region). Im Kern ist Smart City ein Sammelbegriff, unter dem die Entwicklung und Nutzung verschiedener Technologien gefasst werden. Für Technologieunternehmen steht Smart City vor allem für vernetzte Kommunikations- und Informationssysteme. Betrachtet man jedoch den eigentlichen Sinn, so ist darunter auch intelligentes Handeln im Sinne einer ganzheitlichen Stadtentwicklung entlang der sich ändernden Bedürfnisse der Menschen zu fassen (Bild 1). Handlungsfelder für die kommunale Infrastruktur - Studienergebnisse Im Rahmen der Studie „Smart City - Chancen für die kommunale Infrastruktur“, die das KOWID an der Universität Leipzig und die PSPC GmbH 2020 in Kooperation mit den Verbänden BDEW und VKU sowie den Unternehmen VINCI, BDO, Commerz Real, RheinEnergie, Stromnetz Hamburg, VNG und Westenergie erstellt haben, wurden Experten und Entscheider aus den drei Gruppen Kommunen, kommunale Unternehmen und private Dienstleister mittels einer Tiefenbefragung zu Chancen und Hemmnissen einer erfolgreichen Smart City-Strategie adressiert. Im Rahmen der Definition des Smart City-Begriffs zeigt sich, dass die Vertreter der kommunalen Unternehmen mehr auf die zugrundeliegenden Technologien als Wesensmerkmal abstellten, als die Experten der Kommunen. Die privaten Unternehmen betonten überdies in der Definition, dass mit Smart City ein Mehrwert für die Nutzer, das heißt für die Bürger, einhergehen müsse. Die Notwendigkeit einer dezidierten Smart City-Strategie wird von den Experten gesehen. Die Identifikation von Kernzielen wurde vor diesem Hintergrund als einer der ersten Schritte bei der Konzeptionierung einer Smart City herausgestellt. Für die Vertreter der Kommune hat die höchste Priorität die Einbindung der gesamten Bevölkerung zur Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe, der Generationsgerechtigkeit und des Gemeinwohls. Es folgen innovative und flexible Mobilitätskonzepte und der effiziente Ressourceneinsatz. Doch auch die Schaffung technisch-digitaler Infrastrukturen sowie der Einsatz von IKT und neuen Technologien für diverse Aufgaben- und Infrastrukturbereiche (Bildung, Gesundheit, Wirtschaft, Freizeit) sowie die Vermittlung digitaler Kompetenz schon an den Schulen sind eine Zielgröße. Die kommunalen Unternehmen gaben ähnliche Ziele an, jedoch mit leicht anderer Schwerpunktsetzung. Der Ressourceneinsatz stand bei ihnen an erster Stelle, gefolgt von der Einbindung der Bevölkerung. Allerdings spielt die Maßnahmenperspektive je nach Gruppe eine divergierende Rolle: Während die Kommunen digitale Verwaltung/ Smart Governance priorisieren, nahm dies bei den anderen beiden Expertengruppen keine deutlich priorisierte Position ein. Signifikant war der Fokus der kommunalen Öffentliche Hand: Nachhaltiger Umgang mit Ressourcen, Umbau des Mobilitätssystems, Umbau der öffentlichen Verwaltung Technologieunternehmen: Vernetzte Informations- und Kommunikationssysteme Wissenschaft: Informations- und Kommunikationssysteme, Lebensqualität, neue Formen der politischen Partizipation Ökologischer Kontext: Neue intelligente Lösungen, um den öffentlichen Fußabdruck des Einzelnen zu mindern Baubranche: Schaffung energieeffizienter Gebäudeinfrastruktur Wirtschaft: Durch IKT kann eine neue Ökonomie entstehen, die konventionelle Prozesse und Wertschöpfungsketten erweitert, verändert oder ersetzt Bild 1: Begriffsdefinition von Smart City und Anwendungsbereiche sind stark verbunden. Eine allgemeingültige und abschließende Definition kann es deshalb nicht geben. Vielmehr hängt die Definition vom jeweiligen Smart-City Konzept ab. © Hilbig, Rottmann 59 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Unternehmen auf die Handlungsfelder Energieversorgung/ Energiedienstleistungen und Energieeffizienz sowie Digitalisierung/ digitale Infrastruktur und Vernetzung. Auch wurden Hemmnisse benannt. Die Kommunen zeichneten hier ein sehr heterogenes Bild, insbesondere fehlende finanzielle und personelle Ressourcen wurden als wesentliches Hindernis aufgeführt. Doch auch den Überblick über die technischen Möglichkeiten und Best Practices zu behalten, stellt mitunter eine Herausforderung für Kommunen dar. Die kommunalen Unternehmen sahen ein weiter gestreutes Feld von Hindernissen (konzeptionelle, ökonomische, soziologische und sektorale). Die Experten der privaten Unternehmen sahen die gleichen Barrieren. Überdies nannten sie die Bereitschaft zur Kooperation und Kollaboration als wichtige Ressource. Dabei bezieht sich die Kooperation eher auf die Ebene der Verwaltung/ Gebietskörperschaften und die Kollaboration auf die Zusammenarbeit von Unternehmen, beispielsweise bei der gemeinsamen Produktentwicklung. Für die Umsetzung von Smart City-Konzepten ist folglich die Kooperation der unterschiedlichen politischen Ebenen (Kommune, Land, Bund), aber auch von Wissenschaft und Wirtschaft erforderlich, um sich gegenseitig zu unterstützen. Auch der Austausch mit anderen Städten, Kommunen und Unternehmen kann laut privaten Dienstleistern eine große Hilfestellung dabei bieten, Nutzen aus „Best Practices“ zu ziehen. Ebenfalls interkommunale Kooperationen können für Kommunen interessant sein, wobei mindestens zwei Gemeinden ihr Wissen verbinden und übertragbare Modelllösungen entwickeln können. Durch Kollaboration zwischen verschiedenen Branchen können Synergiepotenziale gehoben und Effizienzgrade optimiert werden. So hat ein Stadtwerk etwa die Möglichkeit, mit Energiedienstleistern zusammenzuarbeiten, um den Kunden einen neuen Service bereitzustellen, da es infolge von Skalierungseffekten bei den Dienstleistern für Stadtwerke oftmals unrentabel ist, entsprechende Services selbst zu entwickeln und anzubieten. Die Frage nach den einzubindenden Stakeholdern betreffend, unterscheiden sich die Antworten nur geringfügig. Alle Experten nannten Stadtgesellschaft, Stadtverwaltung, kommunale und private Unternehmen. Die Experten der Kommunen nannten zudem auch Hochschulen sowie Stadtrat/ Politik. Die Experten der kommunalen Unternehmen schlossen demgegenüber auch Energieversorgungsunternehmen sowie Interessensvertretungen ein. Bei den Experten der privaten Unternehmen erfolgte überdies kein Fokus auf die zugrunde liegende Organisationsform. Alle Teilnehmer nannten vorrangig relevante Infrastrukturbereiche oder Branchen. Kommunale Unternehmen wurden von allen Experten als wichtige Infrastrukturanbieter identifiziert und sind demnach als Stakeholder einzubinden. Alle Experten erachten den Aufgabenbereich Mobilität als besonders geeignet für Digitalisierungsstrategien. Die Experten nannten verschiedene geeignete Maßnahmen und stellten die positiven Effekte heraus (zum Beispiel durch intelligente Verkehrssteuerung die Lärm- und Schadstoffemissionen zu begrenzen). Die dynamische Erfassung des Kundenverhaltens wird im Zusammenhang mit vielen gemachten Vorschlägen notwendig werden, da nur so eine effiziente Gestaltung des Verkehrs vorgenommen werden kann. Die Senkung des MIV wird von allen Experten als sinnvoll erachtet, weshalb es viele Hinweise zur Verbesserung des ÖPNV gab. Die Vertreter der kommunalen Unternehmen sehen darüber hinaus Handlungsbedarf bei der Baustellenkoordination. Die zeitliche und örtliche Koordination von Baumaßnahmen und möglichst eine enge übergreifende Kooperation bei der Abwicklung von Baumaßnahmen würde zu einer Reduzierung der Verkehrsbeeinflussung führen und möglicherweise auch zu einer Kostenreduzierung. Die Experten der kommunalen und privaten Unternehmen sahen zudem im Bereich Energieversorgung großes Potenzial. Die kommunalen Unternehmen erachteten es als sinnvoll, zunächst die einzelnen Energiesysteme zu einem Gesamtsystem zusammenzufassen, da nur so ein Optimum erreicht werden kann. Außerdem wurde unter anderem Überwachung durch Sensorik genannt, welche den Wartungsaufwand reduzieren kann. Die privaten Unternehmen sehen daneben die Problematik weniger in der Reintegration der Energiesysteme, sondern vielmehr im hohen Investitionsbedarf. Die technischen Lösungen stehen laut dieser Gruppe grundsätzlich bereit. Jedoch ist der Investitionsbedarf hoch - konkret geht es hier um den Ausstieg aus der Kohleverstromung, die Integration erneuerbarer Energien in das Energiesystem und den Ausbau der Netzinfrastruktur. Die Experten der Kommunen erachten zudem das Schaffen einer digitalen Infrastruktur als zentral. Währenddessen setzten die Vertreter der privaten Unternehmen vielmehr die Bildung einer digitalen Infrastruktur voraus, da sie dies als Basis für diverse Problemlösungsansätze erachten. Die Vertreter der Kommunen und der privaten Unternehmen betrachten außerdem den Bereich E-Governance als besonders geeignet für Digitalisierungsstrategien, wohingegen 60 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie die kommunalen Unternehmen diesem Bereich eine eher untergeordnete Bedeutung zusprechen. Dahingehend, dass die bisherigen oftmals komplexen Verwaltungsstrukturen viel Zeit und personelle Ressourcen kosten, wurden Lösungsoptionen zur Verfahrensvereinfachung genannt. Alle Experten sehen digitale Konzepte wie Service-Portale oder eine „Bürger-App“ als sinnvoll an. Diese sind für die Bürger direkt greifbar und entlasten durch digitale Behördengänge (zum Beispiel: KFZ-Anmeldungen, Meldegänge, Bezahlsysteme) zudem das Personal. Die privaten Unternehmen sehen auch eine Chance darin, durch digitale Verwaltungen die Akzeptanz der Bevölkerung zu erhöhen (Bürgernähe, „mit der Zeit gehen“, Modernität). Hinsichtlich der infrage kommenden Kooperationspartner zeigt sich, dass alle Experten nahezu die gleichen Akteure als wesentlich erachten (kommunale Unternehmen, Stadtrat, Stadtverwaltung, IT-Unternehmen, Privatwirtschaft, Hochschulen) jedoch schließen sowohl die Vertreter der kommunalen als auch privaten Unternehmen Start-ups explizit ein. Diese werden als besonders flexibel und schnell hervorgehoben, sie würden innovative Wege gehen und neue Geschäftsfelder entwickeln. Die Experten der Privatwirtschaft sehen in der Kooperation mit Start-ups zudem die Chance, Wertschöpfungsketten und Innovationskraft in der Region zu halten. Auf die Frage, welche Angebote eine Smart City jenseits der Digitalisierung ausmachen könnte, zielten die Antworten aller Experten besonders auf gesellschaftsrelevante und nachhaltigkeitsbezogene Gesichtspunkte ab. Die Vertreter der Kommunen nannten neben Aspekten zur Inklusion auch neue Beteiligungsformen und Verwaltungs-/ Organisationsstrukturen sowie Quartiersmanagement. Die Antworten der Vertreter der kommunalen Unternehmen fielen ähnlich aus, jedoch war das Spektrum weiter, beispielsweise bezogen auf Lebensqualität/ Gesundheit und Innovation/ Synergien. Die Vertreter der privaten Unternehmen nannten darüber hinaus noch Aspekte zu Kultur/ Bildung. In keiner der drei Gruppen scheinen bezogen auf das Thema Smart City und kommunale Infrastruktur besonders ausgeprägte Erfahrungen mit partnerschaftlichen Modellen zwischen öffentlicher Hand und Privatwirtschaft zu bestehen. Die Bereitschaft dazu wurde insbesondere von der Privatwirtschaft signalisiert. Der Fokus der Kommunen liegt derzeit weniger auf Organisationsals auf Finanzierungsmodellen. Fazit Im Rahmen der Untersuchung wurden Chancen und Hemmnisse von Smart City-Ansätzen aus den Sektoren Kommunen, kommunale Unternehmen und private Dienstleister analysiert. Notwendige Ansätze unterscheiden sich meist nur im Detail. Zielgerichtet konzipiert, kann eine Smart City helfen, Städte effizienter, technologisch fortschrittlicher, umweltfreundlicher und sozial inklusiver zu gestalten. Allerdings verlieren sich Konzepte noch immer im Detail und lassen oft ein strategisches Gesamtkonzept vermissen. Sie können jedoch einen erheblichen Beitrag zur Bewältigung der urbanen Trends leisten, wenn sie als strategisches Gesamtkonzept angegangen werden. Um dieses jedoch erfolgreich etablieren zu können ist es wichtig, mit Maßnahmen zu beginnen, die schnell eine breite öffentliche Wahrnehmung entfalten, diese aber in eine Gesamtstrategie einzubetten. LITERATUR + QUELLEN: • Der Text basiert auf einer Studie der Autoren von Dezember 2020, in Kooperation mit den Verbänden BDEW und VKU sowie den Unternehmen: BDO, Commerz Real, RheinEnergie, Stromnetz Hamburg, VINCI, VNG und Westenergie [1] Rottmann, O. et al.: Tagesspiegel Background: Smart City in Corona-Zeiten. 11. 05. 2020. Online: https: / / background.tagesspiegel.de/ [2] Portmann, E., Finger, M.: Smart Cities - Ein Überblick! . HMD 52, (2015) 470 - 481. Online. https: / / doi. org/ 10.1365/ s40702-015-0150-4 [3] Dameri, R., Rosenthal-Sabroux, C. (Hrsg): Smart City and Value Creation. In: Dameri, R., Rosenthal-Sabroux, C.: Smart City: How to Create Public and Economic Value with High Technology in Urban Space. (2014), S. 1 - 2. [4] Müller-Seitz, G., Seiter, M., Wenz, P.: Was ist eine Smart City? Betriebswirtschaftliche Zugänge aus Wissenschaft und Praxis. (2016), S. 4. Dr. Corinna Hilbig Geschäftsführende Gesellschafterin PSPC Public Sector Project Consultants GmbH Kontakt: corinna-hilbig@psp-consult.de Dr. Oliver Rottmann Geschäftsführender Vorstand KOWID-Kompetenzzentrum Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e. V. an der Universität Leipzig Kontakt: rottmann@wifa.uni-leipzig.de AUTOR*INNEN 61 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Auswirkungen von Covid-19 auf den Status quo der urbanen Mobilität Maßnahmen des öffentlichen Sektors zur Anpassung städtischer Mobilitätssysteme Städtische Mobilitätssysteme, urbane Mobilität, Umsetzungsstand von Mobilitätslösungen Philipp Riegebauer In diesem Artikel werden die Auswirkungen von Covid-19 gemäß einer für EIT Urban Mobility durchgeführten Umfrage in 14- europäischen Städten zum Umsetzungsstand von Mobilitätslösungen und der zugehörigen Literatur beschrieben. Die Maßnahmen des öffentlichen Sektors werden analysiert, um einen Einblick in mögliche Lösungen zu erhalten sowie um gegenwärtige und zukünftige Perspektiven der städtischen Mobilität aufzuzeigen. Das Virus Covid-19 erzeugt eine gesundheitliche und wirtschaftliche Krise. Einer der wichtigsten Aspekte der Ansteckung ist der persönliche Kontakt, der bei der Mobilität von Stadtbewohner*innen sehr präsent ist. Daher wird angenommen, dass die städtischen Mobilitätssysteme neben dem internationalen Reiseverkehr mit am stärksten von der Pandemiekrise betroffen sind. Covid-19 und die sozialen Distanzierungsmaßnahmen haben somit die stadtgestaltenden Kräfte grundlegend beeinflusst. Die Pandemie hat die negativen Agglomerationseffekte (Ansteckungsgefahr) exponentiell erhöht und die Ausnutzung positiver Agglomerationseffekte (Produktion und städtische Annehmlichkeiten) erschwert. Daher hat die Pandemie viele Probleme geschaffen, die gelöst werden müssen - unter anderem die zunehmende Sorge der Bürger*innen um ihre Sicherheit und Gesundheit. Städte versuchen, diesen Herausforderungen mit verschiedenen strategischen Ansätzen zu begegnen - die meisten davon lassen sich in drei Hauptkategorien zusammenfassen: Nahverkehrsplanung, nahtlose Intermodalität und Neugestaltung des öffentlichen Raums. © TheOtherKev auf Pixabay 62 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Um einen Eindruck von den Auswirkungen der Pandemie im urbanen Umfeld aus erster Hand zu bekommen, wurde eine Gruppe von 14 Städten befragt und interviewt. Die Umfrage zeigt zwar eine große Vielfalt europäischer Städte, die Stichprobe ist jedoch zu klein, um für statistische Analysen verwendet werden zu können. Des Weiteren wurde die Umfrage zu einem Zeitpunkt durchgeführt, als sich das Verständnis der Auswirkungen von Covid-19 auf verschiedene städtische Funktionen und Systeme noch in der Anfangsphase befand. Daher sollten die Ergebnisse als eine Momentaufnahme der Situation betrachtet werden. Dennoch liefern sie ein allgemeines Bild, womit eine qualitative Diskussion über die Auswirkungen der Pandemie auf urbane Mobilitätssysteme ermöglicht wird. (Bild 1) Einfluss von Covid-19 auf Mobilitätsplanung Bei der Pandemie handelt es sich nicht nur um eine Gesundheits-, sondern auch um eine Wirtschaftskrise. Investitionen in zukünftige Mobilität sind in der Privatwirtschaft zurückgegangen, was sich im Abbau von Arbeitsplätzen und an verschobenen Innovationsprojekten bei großen Automobilherstellern zeigt. Der Fokus vieler Unternehmen, die im Bereich der urbanen Mobilität tätig sind, liegt derzeit auf der Bewältigung der Krise, da eine sinkende Mobilitätsnachfrage auch zu sinkenden Umsätzen führt. Im Gegensatz dazu gaben 46 % der befragten Städte an, dass diese ihre Mobilitätsstrategie und geplanten Projekte weiterverfolgen konnten, ohne sie aufzuschieben. Bei weiteren 30 % der befragten Städte führte die pandemische Entwicklung zu einer Zunahme der Aktivitäten und die Implementierung von Mobilitätsstrategien wurde beschleunigt. Soziale Distanzierung Das Bedürfnis nach sozialer Distanzierung während der Pandemie hat Auswirkungen auf viele Aspekte unseres städtischen Zusammenlebens. Erstens stellt sie die Vorteile der städtischen Dichte in Frage, die als zentraler Parameter nachhaltiger Stadtmodelle gilt. Zweitens zeigt es, wie begrenzt die Ressource des öffentlichen Raums in kompakten Maßnahme Nein Ja Ja, Ja, Ja, aber es ist nur eine kurzfristige Maßnahme (wird nach der Pandemie beendet) und wird auch nach der Pandemie beibehalten, da es Teil der Mobilitätspläne war und wird nach der Pandemie beibehalten, obwohl es nicht Teil der Mobilitätspläne war Ausbau von Gehwegen/ Fußgängerzonen in Straßen 47 % 53 % 0 % 53 % 0 % Ausgewiesene Liefer-/ Ladezonen für Restaurants, Gewerbebetriebe und die Abholung von Schulessen 53 % 47 % 18 % 12 % 18 % Schließen oder begrenzen des Durchgangsverkehrs auf ausgewählten Straßen, im Freiräume zu schaffem 64 % 36 % 7 % 21 % 7 % Einsatz von IT-Anwendungen zur Regelung der Nutzung von öffentlichen Räumen 71 % 29 % 21 % 7 % 0 % Bild 1: Einfluss von Covid-19 auf die Mobilitätsplanung in den befragten Städten. © Riegebauer Tabelle 1: Maßnahmen, die mit Fokus auf die Sicherheit der Fußgänger*/ Anwohner*innen in den letzten Monaten in den Städten umgesetzt wurden. 63 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Maßnahme Nein Ja Ja, Ja, Ja, aber es ist nur eine kurzfristige Maßnahme (wird nach der Pandemie beendet) und wird auch nach der Pandemie beibehalten, da es Teil der Mobilitätspläne war und wird nach der Pandemie beibehalten, obwohl es nicht Teil der Mobilitätspläne war Regelungen zur Unterstützung aktiver Verkehrsmittel (Radfahren und Gehen) 29 % 71 % 0 % 71 % 0 % Pop-up-Radwege 80 % 20 % 7 % 13 % 0 % Klassifizierung von Fahrradgeschäften als systemrelevante Dienstleistungen 69 % 31 % 8 % 15 % 8 % Kostenloser oder ermäßigter Zugang zu Fahrrädern/ E-Rollern an 80 % 20 % 7 % 13 % 0 % Tabelle 2: Maßnahmen, die mit Fokus auf den Fahrradverkehr in den letzten Monaten in den Städten umgesetzt wurden. Städten verfügbar ist. Die temporäre Vergrößerung des Fußgängerraums (durch Sperrung eines Teils des Straßenraums für den motorisierten Verkehr), die Regulierung der Straßenraumnutzung (Einbahnstraßen für Fußgänger) oder die Regulierung des Zugangs (durch Zeitfenster und Liefer- und Ladezonen) waren einige kurzfristige Maßnahmen, die zur Optimierung der Nutzung des öffentlichen Raums umgesetzt wurden. Der Einsatz von IT-Anwendungen und Sensorik zur Nutzungsregelung von öffentlichen Räumen wird mehrheitlich nicht in den befragten Städten umgesetzt. (Tabelle 1) Fahrradverkehr Eine Maßnahme, die viele Städte während der Pandemie ergriffen haben und die in den Medien besonders hervorgehoben wurde, ist der Ausbau oder die Schaffung neuer Fahrradwege. Dabei wurde in vielen Fällen den Fahrrädern der bisher für Kraftfahrzeuge vorgesehene Platz zur Verfügung gestellt. Die Förderung der Fahrradnutzung entsprach nicht nur vielen Mobilitätsstrategien, sondern erwies sich während der Pandemie auch als eine spürbar sichere Art der Fortbewegung. Einige Städte sind schon seit Jahren dabei, ihre Radweginfrastruktur zu verbessern, und die Pandemie hat dazu beigetragen, diese Pläne zu beschleunigen. Bei der für EIT Urban Mobility durchgeführten Studie wurde in den Umfrageergebnissen eine Diskrepanz bei den Antworten festgestellt, welche sich auf Maßnahmen zur Förderung der Fahrradnutzung in den Städten bezogen. Die überwiegende Mehrheit der Städte hat in den letzten Monaten keine Maßnahmen wie „Bau von Pop-up-Fahrradwegen“, „Klassifizierung von Fahrradgeschäften als systemrelevante Dienstleistungen“ und „Angebot von kostenlosem oder vergünstigtem gemeinsamen Zugang zu Fahrrädern oder E-Scootern“ umgesetzt. Diese Städte haben die Gelegenheit nicht ergriffen, sie auszuweiten, und nur eine Stadt kündigte an, dass diese provisorischen Maßnahmen bald dauerhaft werden. Die Mehrheit der Städte implementierte jedoch Regelungen zur Unterstützung aktiver Verkehrsmittel wie Radfahren und Gehen. Es gilt dann die Frage zu beantworten, welche Regelungen umgesetzt wurden, wenn die drei abgefragten konkreten Maßnahmen der Umfrage von der Mehrheit der Städte verneint wurden. Provisorische Infrastruktur wie Pop-up-Fahrradspuren sind eine gute Notfallstrategie. Die Umfrageergebnisse zeigen, dass die Städte noch weiter gehen müssen. Maßnahmen, die nach der Pandemie beibehalten werden sollen, aber nicht bereits Teil der Mobilitätspläne waren, gibt es fast nicht. Änderungen im Mobilitätsverhalten brauchen eine gute administrative Unterstützung und Pop-up-Radwege müssen in dauerhafte Lösungen überführt werden. Andernfalls kann es passieren, dass, sobald der Verkehr zurückkehrt, die Fahrradnutzung wieder sinkt. (Tabelle 2) Öffentlicher Verkehr Bisher scheint ein gewisser Konsens darüber zu bestehen, dass das Infektionsrisiko bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel mit der Expositionszeit (Fahrzeit), dem Verhalten der Fahrgäste und der Verwendung von Selbstschutzmaßnahmen (Schweigen und Masken), dem Gedränge und den Lüftungsbedingungen zusammenhängt. Der öffentliche Verkehr ist besonders von der sozialen Entfremdung betroffen und hat einen seiner großen Vorteile verloren: die Fähigkeit, Menschenmengen zu bewegen. Mit weniger Ressourcen aufgrund des Rückgangs des Fahrkartenverkaufs muss der öffentliche Verkehr verbessert werden, indem die Frequenz erhöht und hohe Hygienestandards sichergestellt werden. Auch bei der geteilten Mobilität ist Sauberkeit ein Hauptthema. Deshalb haben seit Beginn der Pandemie Städte nach und nach Maßnahmen ergriffen, um die Ausbreitung des Virus 64 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Erfahrungen durch kurzfristige Reaktionen auf Covid-19, wie z. B. die Rückgewinnung von Straßenraum für Fußgänger können in langfristige Möglichkeiten zur Umgestaltung transferiert werden. Aus dem Verhalten der Bevölkerung während der Pandemie abgeleitet lohnt es sich das Verkehrssystem auf flexiblere und skalierbare Verkehrsträger zu verlagern und es mit Mikromobilitätsoptionen weiter zu integrieren. Die Zuweisung eines größeren Anteils des öffentlichen Raums an nachhaltige Verkehrsmittel wird als hilfreich gesehen, um der durch die Pandemie eingeleiteten Verlagerung hin zur individuellen Mobilität entgegenzuwirken. Für Kommunalverwaltungen Unterstützung bei der Beschleunigung von Projekten zur Förderung aktiver Verkehrsmittel unter Ausnutzung aktueller Veränderungen im Nutzerverhalten. Für politische Entscheidungsträger und Förderprogramme auf nationaler und EU-Ebene Richten Sie Ihre Dienstleistungen an den politischen Zielen für das zukünftige Mobilitätssystem aus. Es müssen Kommunikationskampagnen durchgeführt werden, die auf die Risikowahrnehmung der Nutzer während und nach der Pandemie bei Nutzung öffentlicher Verkehrsangebote abzielen. Für Mobilitätsdienstleister in öffentlichen Verkehrsmitteln zu verlangsamen. In der für diese Studie durchgeführten Umfrage schrieb die Mehrheit der Städte die Verwendung von Masken vor (87 %), verstärkte die Kommunikation über die Hygiene im öffentlichen Verkehr (73 %) und erarbeitete Protokolle für die umfassende Reinigung von Fahrzeugen des öffentlichen Verkehrs ein (69 %). Interessanterweise planten 23 % dieser Städte, die Reinigungsprotokolle auch nach der Pandemie beizubehalten, während 46 % eine kurzfristige Maßnahme in Betracht zogen. In ähnlicher Weise gaben 21 % der Befragten an, dass sie die Kommunikationsaktivitäten zur Hygiene im öffentlichen Verkehr fortsetzen werden, während 53 % dies nach der Pandemie nicht tun werden. Obwohl diese Zahlen nur einen Eindruck davon vermitteln, welche Maßnahmen in Zukunft verlängert werden könnten, werden die langfristigen Auswirkungen, welche auch nach dem Ende der Pandemie und der Rückkehr zu einer normalen Zeit Bestand haben könnten, deutlich. Temperaturkontrollen an (Bus-) Bahnhöfen wurden mit großer Mehrheit nicht als Möglichkeit zur Verringerung des Infektionsrisikos bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel eingesetzt. (Tabelle 3) Empfehlungen Die Umfrageergebnisse zeigen, dass das Zeitfenster für Städte immer noch offen ist, um die Verhaltensänderungen, die die Pandemie hervorgerufen hat, zu nutzen und eine nachhaltige Transformation ihrer urbanen Mobilität voranzutreiben. Schließlich müssen lokale Regierungen und Verkehrsbehörden den wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie im Verkehrssektor große Aufmerksamkeit schenken, um bestehende und aktuelle Herausforderungen zu bewältigen. Bild 2 zeigt relevante Empfehlungen zur Mitigation der in der Umfrage erfassten Auswirkungen von Covid-19 auf städtische Mobilitätssysteme. Dabei ist es sinnvoll, die Handlungsoptionen auf EU-, nationaler und kommunaler Ebene sowie für städtische Mobilitätsdienstleister zu unterscheiden. Schlussfolgerungen Der Artikel zeigt auf, dass die veränderten Anforderungen an urbane Mobilitätssysteme nicht nur ein Problem darstellen, sondern auch als eine Chance begriffen werden können, positive Veränderungen zu beschleunigen. Vor dem Ausbruch der Covid- 19-Pandemie waren die europäischen Städte dabei, Maßnahme Nein Ja Ja, Ja, Ja, aber es ist nur eine kurzfristige Maßnahme (wird nach der Pandemie beendet) und wird auch nach der Pandemie beibehalten, da es Teil der Mobilitätspläne war und wird nach der Pandemie beibehalten, obwohl es nicht Teil der Mobilitätspläne war Verpflichtende Verwendung von Masken in öffentlichen Verkehrsmitteln (Bus, U-Bahn, etc.) 13 % 87 % 67 % 13 % 7 % Verstärkte Kommunikation über die Hygiene von öffentlichen und gemeinsam genutzten Mobilitätsoptionen 27 % 73 % 53 % 13 % 7 % Erstellung von Protokollen für die häufige, umfassende Reinigung von Fahrzeugen 31 % 69 % 46 % 8 % 15 % Temperaturkontrollen an Bahnhöfen/ Busbahnhöfen 92 % 8 % 0 % 8 % 0 % Tabelle 3: Maßnahmen, die mit Fokus auf öffentliche Verkehrsmittel in den letzten Monaten in den Städten umgesetzt wurden. Bild 2: Empfehlungen zur Mitigation der Auswirkungen von Covid-19 auf städtische Mobilitätssysteme [1]. © Riegebauer 65 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie ihre Mobilitätsparadigmen zu verändern - und sie tun es immer noch. Wie aus der Auswertung der Umfrage in den Tabellen 1 bis 3 hervorging, haben nicht alle Städte die gleichen Maßnahmen mit den gleichen Absichten (kurzfristig versus langfristig) umgesetzt. Innerhalb der EU gibt es eine Vielzahl von lokalen und nationalen Subventionen und staatlicher Unterstützung, so dass verschiedene Städte in verschiedenen Ländern von unterschiedlichen Szenarien profitieren. Unterschiedliche Szenarien können in verschiedenen Städten gefunden werden:  Es gibt Städte, die ihre Pläne oder Infrastrukturen im Vergleich zu den bereits bestehenden kaum verändert haben,  andere mussten aufgrund von Personalumsetzungen und Budgetbeschränkungen die meisten ihrer strategischen Pläne auf Eis legen, um dringendere Gesundheitsbedürfnisse, die durch die Pandemie entstanden sind, in Angriff zu nehmen,  wieder andere hatten die Chance, neue Mobilitätsprojekte, die sie in der Pipeline hatten, voranzutreiben, da die Notwendigkeit von Veränderungen durch die Pandemie noch deutlicher wurde. Wie aus den Umfrageergebnissen hervorgeht, erwies sich Covid-19 dementsprechend nicht als entscheidender Faktor in den städtischen Mobilitätssystemen. Covid-19 erwies sich allerdings als Beschleuniger für die Stadtentwicklung. Die Städte haben sich mit der Pandemie nicht radikal verändert, sondern sie haben sich angepasst und in einem höheren Tempo weiterentwickelt, mit bereits existierenden Lösungen, die aber noch nicht in einem größeren Maßstab eingesetzt wurden. Damit scheint es, dass einige Städte ihre langfristigen Mobilitätsstrategien nicht überdenken, sondern im Gegenteil die Covid-19-Maßnahmen nutzen, um einige von ihnen zu fördern:  Die Zunahme von taktischem Urbanismus zur temporären Rückgewinnung von Straßenraum (zur Verbreiterung von Gehwegen oder zur Schaffung von mehr Platz für Gastronomie) kann zu einer dauerhaften Neugestaltung des öffentlichen Raums führen, um die Begehbarkeit von Quartieren zu verbessern.  Die Entwicklung des Fahrradnetzes (sowohl auf Ebene der städtischen Fahrspuren als auch der interurbanen Express-Korridore) als Reaktion auf den Rückgang der Kapazitäten des öffentlichen Verkehrs kann diese Transportart konsolidieren.  Das Leben in einer Nachbarschaft, in sauberer und ruhiger Umgebung, mit weniger Autos auf den Straßen, mit Anbindung an lokale Dienstleistungen, kann das soziale Bewusstsein für die Lebensqualität erhöhen. Der Klimawandel, die Gesundheit in den Städten, die soziale Eingliederung und der Zusammenhalt, die wettbewerbsfähige Wirtschaft, neue Regierungsmodelle und Innovationstechnologien stellen die wichtigsten Herausforderungen für die urbane Mobilität dar. Es gilt die aktuelle Krise auch zu nutzen, um langfristig widerstandsfähigere und klimafreundlichere urbane Mobilitätssysteme zu schaffen. Auch wenn die Pandemie in naher Zukunft ein Ende finden könnte, werden die Herausforderungen der urbanen Mobilität aus der Zeit vor der Pandemie weiter bestehen. [1] Informationen zur Hauptstudie: Diesem Artikel liegen Umfrageergebnisse aus 14- Städten zum Umsetzungsstand von Mobilitätslösungen in europäischen Städten zugrunde. Die Erfassung wurden im Rahmen der „Covid-19 Thought Leadership“-Studie, gefördert durch den EIT Urban Mobility, durchgeführt. Der Artikel fokussiert sich auf die Detailauswertung der Frage „Welche Maßnahmen haben Sie in ihrer Stadt in den letzten Monaten implementiert“? Im Vergleich zur Gesamtstudie werden für diese Frage zusätzliche Aspekte aufgezeigt. Die vom Themenspektrum breiter angelegte Gesamtstudie [1] enthält unter anderem Herausforderungen, Anforderungen und Strategien eines nachhaltigen urbanen Mobilitätssystems, Best-Practices und sie benennt wirtschaftliche Auswirkungen von neuen Mobilitätslösungen. Weitere Autoren des Kapitels „Auswirkungen von Covid-19 auf städtische Mobilitätssysteme” der EIT Urban Mobility Hauptstudie „Covid-19 Thought Leadership“ Studie sind Jana Helder, Miguel Mósca und Gretel Schaj von BABLE Smartcities aus Stuttgart. Innovative Use-Cases zu Mobilitätslösungen von europäischen Städten auf der BABLE Smartcities Website: https: / / www.bable-smartcities.eu/ explore/ use-cases.html LITERATUR [1] EIT Urban Mobility: Covid-19 Thought Leadership Study. Erscheint Anfang März 2021, abrufbar unter https: / / www.eiturbanmobility.eu Dr. Philipp Riegebauer Consultant BABLE Smartcities Kontakt: philipp@bable-smartcities.eu AUTOR 66 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Mobilität im Stadtverkehr - was wird durch COVID-19 anders? Die Diskussion um die zukünftige Mobilität in deutschen Städten ist bereits vor Ausbruch der Corona- Krise sehr intensiviert worden. Zuvor standen Überlegungen zu einem grundsätzlich kostenlosen ÖPNV während der Koalitionsverhandlungen im Frühjahr 2018, ab Frühjahr 2019 die Rechtsprechung zu den Dieselfahrverboten im Vordergrund [1]. Insgesamt wurde dabei entweder auf den ÖPNV oder aber auf die Nutzung des PKW innerhalb der Stadtgebiete fokussiert, weniger auf das Fahrrad. Trotz der objektiv klaren Argumente für eine Verbesserung der Fahrrad-Infrastruktur - eine Studie von Greenpeace unterstrich die Auswirkungen der Ausgaben der öffentlichen Haushalte für den Radverkehr [2] genauso wie die Untersuchung von Buehler und Pucher (2011) - war (und ist) die Bereitschaft der Kommunen und der Öffentlichkeit eher begrenzt, der Nutzung des Fahrrads als wesentliches Element der Verkehrswende einen größeren Stellenwert einzuräumen [3]. Auf diesen Sachverhalt haben die Autoren in einer früheren Publikation hingewiesen [4]. Durch den Ausbruch der Corona-Pandemie im März 2020 haben sich allerdings die Rahmenbedingungen dramatisch verändert, wie Canzler treffend ausführt [5]: „Sobald Autofahrspuren reduziert werden oder Parkplätze verschwinden sollen, ist meistens Schluss mit der Radwegeplanung … Doch in der Corona- Krise ist alles anders. Social Distancing, präziser eigentlich: Physical Distancing macht es möglich. Temporäre Infrastrukturen entstehen. Weltweit werden Straßen für Autos gesperrt, Flaniermeilen für Zufußgehende eingerichtet und phantasievoll abgetrennte Fahrradspuren angelegt.“ Vor diesem Hintergrund wird untersucht, welche nachhaltigen Struktureffekte Covid-19 für die Mobilität in Städten mit sich bringt und speziell welchen Beitrag die Nutzung des Fahrrads zur Verkehrswende leisten kann. Dabei stehen folgende Fragen im Vordergrund:  Wie wirkt sich die Corona-Krise auf die Mobilität im Stadtgebiet aus und welche Veränderungen ergeben sich in Hinblick auf die relative Wettbewerbsfähigkeit der Verkehrsmittel?  Wie ist die Akzeptanz der Fahrradnutzung für die Mobilität im Stadtgebiet seit Ausbruch der Corona-Krise?  Wie wird die Eignung des Wohnorts zur Nutzung des Fahrrads bewertet und welche Abhängigkeiten bestehen zwischen dieser subjektiven Bewertung und dem Grad der Fahrradnutzung und -akzeptanz? Welche länderspezifischen Unterschiede ergeben sich dabei?  Welche Perspektiven ergeben sich für einzelne Verkehrsmittel nach Ende der Pandemie und als Hebel für die weiter angestrebte Verkehrswende? Studiendesign und Methodik: Nutzung von zwei Erhebungen im Vergleich Die Bewertung aus Verbrauchersicht basiert auf einer repräsentativen Onlinebefragung in vier europäischen Ländern (über 2 500 Personen ab 18 Jahren in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Schweden im November/ Dezember 2020 als Kooperationsprojekt der exeo Strategic Consulting AG und der Rogator AG). Als Vergleichsbasis dienen unter anderem Ergebnisse der Studie MobilitätsTRENDS 2018, um den Kontrast der Situation während und vor der Corona-Krisensituation herzustellen [6]. Mobilität im Stadtgebiet Gewinner und Verlierer in Zeiten der Pandemie und danach Corona-Krise, Stadtmobilität, Fahrrad, ÖPNV, Verkehrswende Andreas Krämer, Robert Bongaerts Die Entwicklungen hin zu einer Verkehrswende im Stadtgebiet wurden durch den Ausbruch der Corona- Pandemie jäh unterbrochen und teilweise konterkariert. So geht zunächst der öffentliche Personenverkehr als Verlierer der Krise hervor, während die Akzeptanz des PKW zunimmt. Gleichzeitig gewinnt der Radverkehr, der bisher nur wenig als Element der Verkehrswende betrachtet wurde, an Bedeutung. Diese Entwicklung wird wahrscheinlich nachhaltig, also nicht reversibel sein und damit die zukünftige Verkehrsplanung in Städten bestimmen. 67 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Verkehrsmittelnutzung im Stadtgebiet in Zeiten der Corona-Pandemie Veränderte Mobilität im Stadtgebiet Bezüglich der Häufigkeit der Nutzung des Stadtverkehrs ergeben sich für die DACH-Länder relativ ähnliche Ergebnisse mit einer ausgewiesen hohen Relevanz des Stadtverkehrs für die Verbraucher: In 2020 geben rund 81 % der Befragten (2018: etwa 86 %) an, mindestens einmal pro Monat im Stadtverkehr unterwegs zu sein, rund 20 - 22 % sogar täglich oder fast täglich (2018: 35 - 47 %) [4]. Weniger stark ausgeprägt ist die Nutzung des Stadtverkehrs in Schweden. Bild 1 verdeutlicht die veränderte Mobilität im Stadtgebiet am Beispiel Deutschlands. Seit März 2020 hat sich der Anteil der Befragten mit täglicher Mobilität fast halbiert (22 % versus 42 %), der Anteil an Personen, die den Stadtverkehr gar nicht nutzen, gleichzeitig verdoppelt (9 % versus 4 %). Korrespondierend dazu weist eine Studie des ADAC (Nov. 2020) aus, dass der Anteil an Berufspendlern, die an fünf Tagen zum Arbeits- oder Ausbildungsplatz fahren, von 66 % vor der Krise auf 48 % gesunken ist (in der Messung im April 2020 zur Zeit des ersten harten Lockdowns betrug der Anteil sogar nur 32 %) [7]. Bei Bussen und Bahnen sind nicht nur sinkende Nutzerquoten bestimmbar, sondern der Grad der Ablehnung steigt gleichzeitig an. Verständlich ist daher, dass die sinkenden Fahrgastzahlen im öffentlichen Nahverkehr den kommunalen Verkehrsbetrieben ernste Zukunftssorgen bereiten [8]. Schließlich bedeutet dies für den ÖPNV in den Städten eine komplette Umkehr vom bestehenden Trend, berichten die Verkehrsbetriebe doch seit fast zwei Jahrzehnten von kontinuierlich steigenden Fahrgastzahlen. Die Gründe für den Nachfrageverlust sind einerseits direkt auf die Corona-Pandemie zurückzuführen (die Angst vor Ansteckungsgefahr ist aus Verbrauchersicht im ÖPNV besonders groß [9]), andererseits indirekt Folge einer verstärkten Tätigkeit im Homeoffice. So ist der ÖPNV gleich zweifach durch die Krise betroffen: Zum einen sinkt die Mobilität im Stadtgebiet, zum anderen findet eine Nachfrageverschiebung zu Lasten des ÖPNV statt [9]. Ein Gewinner unter den veränderten Rahmenbedingungen ist das Fahrrad: Der Anteil der Nutzer steigt in Deutschland auf 26 % an (2018: 19 %), der Anteil der Personen mit Fahrrad-Ablehnung sinkt (von 33 % in 2018 auf aktuell 25 %). Diese Strukturveränderungen werden auch in anderen Studien bestätigt. So weist der Mobilitätsmonitor 2020 des Instituts für Demoskopie Allensbach einen Anteil von 32 % der Studienteilnehmer (Okt. 2020) aus, die angeben, Corona-bedingt mehr Fahrrad zu fahren, 3 % geben eine geringere Fahrradnutzung an [10]. Zugewinne ergeben sich auch bei den Sharing- Anbietern, allerdings ist das niedrige Ausgangsniveau zu beachten. Das Beispiel Frankfurt am Main Die allgemein beschriebenen Verschiebungen in der Nutzung der Verkehrsmittel lassen sich auch am konkreten Beispiel der Stadt Frankfurt aufzeigen. Im Rahmen unterschiedlicher Studien wurde die Nutzung von Verkehrsmitteln vor der Corona-Krise (Erhebung im Februar/ März 2020, 12 Monate rückwirkend) und vor dem zweiten Lockdown (Oktober 2020, Perspektive ab März 2020) erforscht (Bild 2). In der Struktur der genutzten Hauptverkehrsmittel kommt eine eindeutige Nachfrageverschiebung zu 1) Frage in Nov./ Dez. 2020: Wie häufig sind Sie persönlich seit März 2020 im Stadtverkehr (eigener Wohnort oder andere Stadt) unterwegs? Identische Frage im Mai 2018 allerdings bezogen auf die letzten 12 Monate 2) Welche Verkehrsmittel nutzen Sie, wenn Sie innerhalb der Stadt unterwegs sind? - Geändert in 2020: Welche Verkehrsmittel nutzen Sie seit März 2020, wenn Sie innerhalb der Stadt unterwegs sind? Und: Welche dieser Verkehrsmittel kommen grundsätzlich nicht in Betracht, wenn Sie innerhalb der Stadt unterwegs sind? PKW (eigenes Auto) Bahn/ S-Bahn/ U- Bahn/ Straßenbahn Bus Fahrrad (eigenes) Mitfahrer im PKW CarSharing BikeSharing* Genutzt Kommt nicht in Frage Deutschland Mai 2018 Verkehrsmittel im Stadtverkehr 2) Deutschland Nov./ Dez. 2020 Jeden Tag Mehrmals pro Woche Monatlich oder seltener Nie Jeden Tag Monatlich oder seltener Nie Mai 2018 Nov./ Dez. 2020 Mehrmals pro Woche Mobilität im Stadtverkehr 1) * E-Roller wurden 2018 nicht einbezogen (im Vergleich nicht dargestellt) Bild 1: Mobilität in Städten sowie genutzte / nicht akzeptierte Verkehrsmittel (% der Befragten, D). © exeo Strategic Consulting AG / Rogator AG 68 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Lasten des ÖPNV (S-Bahnen, U-Bahnen, Straßenbahnen) und zugunsten des PKW, von Zu-Fuß-Wegen und des Fahrrads zum Ausdruck. Besondere Berücksichtigung sollte dabei finden, dass sich selbst bei Besitzern einer Zeitkarte (Stammkunden des ÖPNV) entsprechende Nachfrageverschiebungen manifestiert haben [11]. Die Gründe für die schlagartig angestiegene Attraktivität des Fahrrads als Fortbewegungsmittel sind leicht gefunden [12]. Das subjektive Ansteckungsrisiko ist nahe null, das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung ist nicht erforderlich, eine Bewegung an der „frischen Luft“ ist problemlos möglich. Der Boom bei den Absatzzahlen von Fahrrädern unterstreicht dies [13], deutet aber auch bereits darauf hin, dass es sich bei diesem kurzfristig eingetretenen Nachfrage-Shift möglicherweise nicht um eine vollständig reversible Reaktion handelt. Veränderte Wertschätzung für das Fahrrad Stadtverkehr aus der Perspektive der Radfahrer Aus den Fragen zur Nutzung des eigenen Fahrrads sowie der Akzeptanz des Fahrrads als Verkehrsmittel in der Stadt lassen sich drei Teilgruppen bilden (Bild 3): Die erste Gruppe (23 - 26 % der Befragten in der DACH-Region) nutzt das Fahrrad bereits aktuell. Die zweite Gruppe (48 - 52 %) nutzt das Fahrrad zwar nicht, es kommt als Verkehrsmittel in der Stadt Bild 2: Veränderte Verkehrsmittelnutzung im Stadtgebiet Frankfurt/ M. © exeo Strategic Consulting AG / traffiQ 1) Welche Verkehrsmittel nutzen Sie, wenn Sie innerhalb der Stadt unterwegs sind? Und: Welche dieser Verkehrsmittel kommen grundsätzlich nicht in Betracht, wenn Sie innerhalb der Stadt unterwegs sind? Segmentbildung Nutzung / Nichtakzeptanz Fahrrad. Fahrrad-Nutzung im Stadtverkehr Nov./ Dez. 2020 (seit Mrz. 20) Deutschland Österreich Schweiz Fahrrad genutzt 26% 23% 23% Fahrrad akzeptiert nicht genutzt 48% 52% 49% Fahrrad nicht akzeptiert 25% 25% 28% Summe 100% 100% 100% Fahrrad-Nutzung im Stadtverkehr Mai 2018 Deutschland Österreich Schweiz Fahrrad genutzt 19% 24% 20% Fahrrad akzeptiert nicht genutzt 47% 43% 48% Fahrrad nicht akzeptiert 33% 33% 32% Summe 100% 100% 100% Nutzung des Fahrrads im Stadtgebiet nach Regionen / Städten 1) Nutzung des Fahrrads im Stadtgebiet nach Altersklasse A B C A B C Untersuchung im Nov./ Dez. 2020 (seit Mrz. 20) Untersuchung im Mai 2018 A B C A B C Bild 3: Fahrrad-Nutzung im Stadtverkehr im DACH-Gebiet 2020 und 2018 (% der Befragten). © exeo Strategic Consulting AG / Rogator AG PKW als Fahrer S-Bahnen U-Bahnen Straßenbahnen Busse Zug PKW als Mitfahrer Zu Fuß Fahrrad Mofa / Moped / Motorrad Sonstige Verkehrsmittel Taxi Mobile Personen in Frankfurt/ M. Studie 2: Okt. 2020 mit Fokus auf Mobilität während der Coronakrise (Bezug: Seit Mrz. 2020) Studie 1: Feb./ Mrz. 2020 mit Fokus auf Kundenwert (Bezug: Letzte 12 Monate ) Studienansatz Grundgesamtheit: Personen, die im Stadtgebiet Frankfurt am Main mobil waren. Rekrutierung über ein Online Access Panel. Validierung der Ergebnisse über vorliegende Sekundärdaten (intern / extern). n=885 n=1.001 Verkehrsmittel Ranking Häufigkeit** Am häufigsten genutztes Verkehrsmittel: Delta %-Punkte mit/ vor Corona Zeitkarten- Inhaber* Bartarif-Nutzer ÖPNV-Nicht- Nutzer Zeitkarten- Inhaber* Bartarif-Nutzer ÖPNV- Nicht- Nutzer Vor 31% 39% 22% 13% 14% 7% 6% 4% 6% 4% 5% 5% 5% 8% 5% 10% 5% 9% 1% 2% 1% 0% 0% 1% Mit Corona Saldo Prozent- Punkte ** Ranking nach Relevanz vor Ausbruch der Corona-Krise * Jahres- oder Monatskarte, Semester- oder Schülerticket, Job-/ Landesticket 69 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie jedoch in Frage. Für die dritte Gruppe (25 - 28 %) kommt das Fahrrad nicht in Frage. Im Vergleich zu den Ergebnissen der Vorstudie ist eine Präferenzverschiebung zugunsten des Fahrrads erkennbar. Die Verteilung dieser Gruppen ist - wie bereits in 2018 gemessen - stark altersabhängig: Während 14 % in der Altersklasse unter 30 Jahren das Fahrrad ablehnen, sind dies bei den Senioren bereits 37 %. Bewertung der Fahrrad-Eignung des Wohnortes Neben der Nutzung und Akzeptanz des Fahrrads wurden die Studienteilnehmer in der Erhebung 2020 auch gebeten zu bewerten, wie gut der Wohnort für die Nutzung des Fahrrads ausgerichtet ist (Anzahl/ Qualität der Radwege). Auf einer Skala von 0 (gar nicht) bis 100 (sehr gut) liegen für Deutschland die Werte im Durchschnitt bei etwa 57 Punkten und damit leicht unter Österreich (61 Punkte), der Schweiz (61 Punkte) und Schweden (62 Punkte). Auch der Punktebereich mit einer guten Bewertung (67 - 100 Punkte) ist in Deutschland relativ schwächer vertreten (Bild 4). Bei Verknüpfung dieser Ergebnisse mit der Struktur der genutzten Verkehrsmittel wird deutlich: Erhält der Wohnort eine Bewertung hinsichtlich der Fahrradeignung im Bereich 0 - 33 Punkte, liegt die Quote der Fahrradnutzer bei 12 % und die der Fahrrad-Ablehner bei 30 %. Gleichzeitig ist die Nutzung von Bussen und Bahnen vergleichsweise gering und die des PKW überdurchschnittlich verbreitet. Erhält der Wohnort bezüglich der Fahrradeignung eine Bewertung von 67 - 100 Punkten, liegt die Quote der Fahrradnutzer mit 36 % etwa drei Mal höher und die der -ablehner mit 17 % nur etwa halb so hoch. Die Bewertung der Fahrradeignung des Wohnorts steigt in Deutschland mit zunehmender Zahl der Einwohner zunächst stark an (rund 42 Punkte bei kleineren Orten bis 62 Punkte in Städten mit 100 000 bis 500 000 Einwohnern). In Großstädten fällt die Bewertung demgegenüber wieder etwas ab (59 Punkte). Reversibilität der Corona-bedingten Mobilitätsveränderungen Fahrradnutzung nach Ende der Pandemie Eine zentrale Frage besteht darin, ob sich die Corona-bedingten Veränderungen nach einer Beendigung der Pandemie wieder komplett auf das Ausgangsniveau von vor der Krise zurückführen lassen. Für die Nutzung des Fahrrads scheint dies nicht zwingend der Fall zu sein (Bild 5). Unterschiedliche Erhebungen deuten darauf hin, dass die Corona- Krise einen nachhaltig positiven Effekt auf den Modalanteil des Fahrrads in Städten haben kann [10]. In der eigenen Studie ergeben die Antworten auf die Frage „Wie werden Sie das Fahrrad innerhalb der Stadt nutzen, wenn die Corona-Krise beendet ist (das heißt mit Verfügbarkeit eines Corona-Impfstoffs)? “ vor allem in Deutschland und Österreich im Saldo eine positive Tendenz. Studienergebnisse 1) Wie gut ist Ihr Wohnort für die Nutzung des Fahrrads ausgerichtet (Anzahl / Qualität der Radwege)? Bitte vergeben Sie Punkte von 0 (gar nicht) bis 100 (sehr gut). 2) Welche Verkehrsmittel nutzen Sie seit März 2020, wenn Sie innerhalb der Stadt unterwegs sind? Und: Welche dieser Verkehrsmittel kommen grundsätzlich nicht in Betracht, wenn Sie innerhalb der Stadt unterwegs sind? PKW (eigenes Auto) Bahn/ S-Bahn/ U-Bahn/ Straßenbahn Bus Fahrrad (eigenes) Mitfahrer im PKW CarSharing BikeSharing E-Roller Genutzt Kommt nicht in Frage Verkehrsmittel im Stadtverkehr 2) Fahrradeignung 0-33 Punkte Fahrradeignung 67-100 Punkte Fahrradeignung des Wohnorts (ø Punkte) 1) 67-100 Punkte 34-66 Punkte 0-33 Punkte Verteilung Punkteklassen in % Zusammenhang Fahrradeignung Wohnort und Verkehrsmittelwahl 0 te te te Ve V rteilung Punkteklassen in % Bild 4: Fahrrad-Nutzung im Stadtverkehr im DACH-Gebiet 2020 und 2018 (% der Befragten). © exeo Strategic Consulting AG / Rogator AG Bild 5: Fahrrad-Stellplätze als feste Größe der Stadtplanung, Beispiel Bonn. © exeo Strategic Consulting AG 70 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie des VCÖ (Verkehrsclub Österreich) zufolge rechnen etwa 60 % der Bevölkerung Österreichs damit, längerfristig mehr Rad zu fahren [14]. Wiederbelebung des ÖPNV Wie dargestellt wurde, ist der ÖPNV im Stadtgebiet besonders stark von Nachfrageeinbrüchen betroffen. Nach massiven Rückgängen während des ersten harten Lockdowns (März/ April 2020) war aber eine Wiederbelebung zu verzeichnen. Vor dem im November einsetzenden zweiten Lockdown erreichten die Fahrgastzahlen bereits wieder etwa 80 % des Vor-Krisen-Niveaus [15]. Im oben beschriebenen Beispiel Frankfurt/ Main lag die Nachfrage im September 2020 bei etwa 68 % des Vorjahresniveaus [11]. Ein vollständiges Erreichen des Vor-Krisen-Szenarios erscheint grundsätzlich möglich. Dabei wird es einerseits darauf ankommen, die derzeit sehr hohen subjektiven Infektionsängste zu verringern, anderseits müssen Fahrten, die zukünftig aufgrund einer verstärkten Homeoffice-Tätigkeit entfallen, durch andere Reiseanlässe ausgeglichen werden [9]. Rückführung des PKW-Verkehrs Bezugnehmend auf die verstärkte Bedeutung des PKW als Verkehrsmittel während der Pandemie kommt Dörre zum Schluss [16]: „Offenbar steigert die Corona-Krise die Gefahr einer Schädigung von Sektoren, die für eine nachhaltige Verkehrswende unverzichtbar sind“. Ob das für eine Mobilität in der Stadt dauerhaft gelten wird, darf bezweifelt werden. Zu ungünstig sind die Aussichten für die Auto-Nutzung in der Stadt, wenn sich die Gesellschaft wieder in Richtung Normalisierung bewegt [17]. In einem Szenario, welches eine Nachfrageerholung bei Fahrten mit Bussen und Bahnen im Stadtgebiet und eine erhöhte Mobilität mit dem Fahrrad unterstellt (siehe dazu auch die Abschätzung vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club [18]), wird der PKW wieder an Bedeutung verlieren. Durch die Entscheider in Politik und Kommunen kann dies auch weiter aktiv gesteuert werden. Ausblick: Das Fahrrad als zunehmend relevanter Baustein der Verkehrswende Während der Corona-Krise spielt das Fahrrad seine bisher bekannten Vorteile aus: Es verfügt als Verkehrsmittel in Städten über erhebliche Effizienzvorteile in Hinblick auf Energieverbrauch, Emissionen (keine Schadstoffbelastung, geringe bis keine Lärmbelästigung) und Flächenverbrauch. Krisenbedingt kommen weitere Vorteile hinzu, die in einer veränderten Wahrnehmung einer Fortbewegung „unter freiem Himmel“ mit wenig Kontaktmöglichkeiten besteht. Falls es gelingt, ein Szenario anzusteuern, bei dem das Fahrrad im Stadtgebiet einen höheren Modalanteil erreicht und sich die Nachfrage im ÖPNV erholt, aber die Spitzenauslastung reduziert wird (und damit der Komfort und die Attraktivität verbessert ist), könnten sich aus der Corona-Krise neben viel Leid und Isolation tatsächlich nachhaltig positive Effekte ergeben. Eine Wiedererstarkung der Verkehrsmittel im Umweltverbund nach Eindämmung der Pandemie wird unter anderem davon abhängig sein, wie Synergien zwischen Rad und ÖPNV besser genutzt werden können. Verschiedene Ansatzpunkte sind hier denkbar, zum Beispiel multimodale Angebote, Infrastrukturverbesserungen wie Mobilitätsknotenpunkte, Tarifänderungen wie Fahrradmitnahme als Zusatzleistung etc., um nur einige Punkte nennen. LITERATUR [1] Krämer, A., Bongaerts, R., Baake, J.-W.: Dieselfahrverbote in Großstädten. Hilft ein kostenloser ÖPNV? Rahmenbedingungen, Abhängigkeiten und die Perspektive der Menschen im Stadtverkehr. Der Nahverkehr, Jg. 36, Heft 10, (2018) S. 36 - 41. [2] Greenpeace: Radfahrende schützen - Klimaschutz stärken; Sichere und attraktive Wege für mehr Radverkehr in Städten, 2018. 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Mobilität und Logistik während und nach der Corona-Krise: Analysen für Hessen und Deutschland, 2020. [13] Geißler, R.: Absatz teilweise verdoppelt: Fahrrad- Boom hält an. MDR aktuell v. 24. Juli 2020, Abruf am 30. 12. 2020 unter https: / / www.mdr.de/ nachrichten/ wirtschaft/ inland/ fahrrad-boom-corona-100.html [14] VCÖ: 60 Prozent von Österreichs Bevölkerung rechnet künftig mit mehr Radverkehr. Pressemeldung v. 23. Oktober 2020, Abruf am 31. 12. 2020 unter https: / / w w w.vcoe.at/ presse/ presseaussendungen/ detail/ vcoe-60-prozent-von-oesterreichs-bevoelkerung-rechnet-kuenftig-mit-mehr-radverkehr [15] VDV: ÖPNV-Branche rechnet auch 2021 mit deutlichen Verlusten. Pressemeldung v. 13. 11. 2020, Abruf am 31. 12. 2020 unter https: / / www.vdv. d e / pre s s e . a s px ? id =2 f4 0 0 d 5fd 6 21- 475 3 - 8 b c 2- 31a146933652&mode=detail [16] Dörre, K.: Die Corona-Pandemie - eine Katastrophe mit Sprengkraft. Berliner Journal für Soziologie, 30 (2), (2020) S. 165 - 190. [17] Altermatt, S., Ehrbar, S. Müller, P.: Interview - SBB- Chef ist sechsfacher Vater - Luzerner Zeitung v. 19. 12. 2020; Abruf am 20. 12. 2020 unter https: / / www. luzernerzeitung.ch/ wirtschaft/ der-tod-meiner-frauhat-uns-alle-zusammengeschweisst-ld.2078239 [18] ADFC: Handlungsempfehlung für Kommunen. Bleibt alles anders: Corona und der (Rad)-Verkehr, 2020. Prof. Dr. Andreas Krämer exeo Strategic Consulting AG, Bonn Kontakt: andreas.kraemer@exeo-consulting.com Dr. Robert Bongaerts exeo Strategic Consulting AG, Bonn Kontakt: robert.bongaerts@exeo-consulting.com AUTOREN WISSEN WAS MORGEN BEWEGT Schiene, Straße, Luft und Wasser, globale Verbindungen und urbane Mobilität: Viermal im Jahr bringt Internationales Verkehrswesen fundierte Experten-Beiträge zu Hintergründen, Entwicklungen und Perspektiven der gesamten Verkehrsbranche - verkehrsträgerübergreifend und zukunftsorientiert. Ergänzt werden die deutschen Ausgaben durch englischsprachige Specials mit dem Titel International Transportation. Mehr dazu im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen gehört seit 1949 zu den führenden europäischen Verkehrsfachzeitschriften. Der wissenschaftliche Herausgeberkreis und ein Beirat aus Professoren, Vorständen, Geschäftsführern und Managern der ganzen Verkehrsbranche verankern das Magazin gleichermaßen in Wissenschaft und Praxis. Das technisch-wissenschaftliche Fachmagazin ist zudem Wissens-Partner des VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld. INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN - DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN »Internationales Verkehrswesen« erscheint bei der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Baiersbronn-Buhlbach, www.trialog-publishers.de 72 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Erfolgreiche Wertschöpfung mit urbaner Mobilität Datengetriebene Geschäftsmodelle im Kontext intelligenter Verkehrssysteme Smart Mobility, Intelligente Verkehrssysteme (IVS), Datengetriebene Geschäftsmodelle, Big Data Pablo Guillen, Andreas Mitschele Die stetig wachsende Nachfrage nach urbaner Mobilität bringt zahlreiche Herausforderungen mit sich, eröffnet aber auch Chancen für innovative Ansätze. So werden über intelligente Verkehrssysteme (IVS) aus dem Kontext „Smart Mobility“ in zunehmenden Umfang Daten erhoben, beispielsweise zu Fahrzeugen, Straßen, Ampeln oder Parkplätzen. Die damit verbundenen Wertschöpfungspotenziale lassen sich mit datengetriebenen Geschäftsmodellen (DGGM) erschließen. Der Beitrag klassifiziert solche DGGM systematisch und zeigt anhand konkreter Anwendungsbeispiele Optionen für die Stakeholder im urbanen Umfeld auf. Einer Studie der Vereinten Nationen (UN) zufolge wächst die urbane Bevölkerung weltweit bis zum Jahr 2050 um weitere 2,5 Milliarden Menschen [1]. Dieser massive Zuwachs führt zu einer zunehmenden Nachfrage nach innerstädtischer Mobilität, was negative Auswirkungen für das urbane Ökosystem und die Lebensqualität mit sich bringt. „Smart Mobility“-Initiativen sollen unter Anwendung innovativer Technologien und Konzepten zu einer Verbesserung der Lebensqualität beitragen. In Folge der zunehmenden Vernetzung innerhalb des Mobilitätssektors spielen in diesem Kontext datengetriebene Ansätze eine zentrale Rolle. Diese schaffen neue Wertschöpfungspotenziale, die mithilfe sogenannter datengetriebener Geschäftsmodelle (DGGM) erschlossen werden können. Smart Mobility und intelligente Verkehrssysteme in Smart Cities Grundlegendes Konzept für eine „Smart City“ aus automatisierungstechnischer Sicht ist die mit Sensorik instrumentierte, digital vernetzte und mittels Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) intelligente Stadt [2]. Dabei soll die Organisation von Städten in Anbetracht gesellschaftlicher Entwicklungen funktionsfähig gehalten und gleichzeitig effizienter und nachhaltiger gestaltet werden [3]. Als Teilbereich wollen Smart Mobility-Initiativen den urbanen Verkehr durch den Einsatz moderner Transporttechnologien in Kombination mit IKT-Technologien verbessern. Intelligente Verkehrssysteme, als eine Kategorie von Smart Mobility, zeichnen sich dabei durch eine intensive Nutzung von IKT aus. © Micheile Henderson on Unsplash 73 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Diese umfassen Anwendungen zum Sammeln, Speichern und Verarbeiten sogenannter „urbaner Mobilitätsdaten“ [4]. Deren Auswertung liefert schließlich spezifische Informationen über den Verkehr einer Stadt, die für die Planung, Implementierung und Bewertung von Initiativen und Richtlinien für urbane Mobilität verwendet werden können [5]. Darüber hinaus eröffnen diese generierten und ausgewerteten Mobilitätsdaten neue Wertschöpfungspotenziale für die Stakeholder im urbanen Umfeld. Entsprechend geeignete DGGMs können dabei zur Steigerung der urbanen Lebensqualität beitragen [6]. Datengetriebene Geschäftsmodelle und Big Data Ein Geschäftsmodell beschreibt, wie eine Organisation grundlegend funktioniert [7]. Entsprechend adressiert ein Geschäftsmodell die wesentlichen Kunden sowie das zugehörige Nutzenversprechen eines Unternehmens. Außerdem beschreibt es die grundlegende Wertschöpfungsarchitektur sowie die Ertragsmechanik einer Organisation [8]. Im Zuge der Digitalisierung haben technologische Innovationen bestehende Geschäftsmodelllogiken grundlegend verändert und die Gestaltung vollkommen neuer Geschäftsmodelle ermöglicht. Einen wesentlichen Treiber dieser Entwicklungen stellt „Big Data“ dar. Darunter werden die gewaltigen Datenmengen verstanden, die aufgrund immer weitreichenderer Datenerfassung exponentiell zunehmen. Innovative Technologien, wie Big Data Analytics, eröffnen dabei Unternehmen neue Geschäftsmöglichkeiten, indem sie ermöglichen, Wert aus der Datenflut zu generieren [9]. Solche datengetriebenen Geschäftsmodelle (DGGM) verwenden Daten als Schlüsselressource zur Generierung jeglicher Art von digitalen Produkten bzw. Services mithilfe von Schlüsselprozessen wie Datenaggregation, Datengenerierung, Datenanalyse, Datenaustausch, Datenverarbeitung, Dateninterpretation, Datenverteilung und Datenvisualisierung, um Wert für Stakeholder zu schaffen und Einnahmen zu erfassen [10]. Urbane Daten in intelligenten Verkehrssystemen Im Zuge der rasanten Fortschritte der IKT innerhalb des Mobilitätssektors hat der Bereich der urbanen Mobilität aus Datensicht erheblich an Relevanz gewonnen. Eine zentrale Technologie stellt dabei das Internet of Things (IoT, dt. „Internet der Dinge“) dar. Demnach werden im Zuge von IVS beispielweise Fahrzeuge, Straßen, Ampeln oder Parkplätze mithilfe von Sensoren und Netzwerkanschlüssen zu „Smart Devices“ und können somit innerhalb des urbanen Raums miteinander kommunizieren. Dabei werden sehr große Mengen urbaner Mobilitätsdaten generiert und ausgetauscht. Die Quellen sowie die Charakteristika der entsprechenden Daten werden in Bild 1 aufgezeigt. Im Zusammenhang mit der Datenfrequenz können beispielsweise Echtzeitdaten zum PKW-Aufkommen in einer Stadt übertragen werden, um den aktuellen Verkehrsfluss gezielt zu optimieren. Alternativ lassen sich historische Daten über das Verkehrsaufkommen zu bestimmten Zeitintervallen abrufen (zum Beispiel des Verkehrsaufkommens bei einem Fußballspiel), um vorausschauende Planungsmaßnahmen abzuleiten. Urbane Mobilitätsdaten eröffnen vielfältige Potenziale für die Stakeholder im innerstädtischen Umfeld, um möglicherweise negativen Auswirkungen gesellschaftlicher Trends, wie Urbanisierung und Bevölkerungswachstum, entgegenzuwirken und zugleich substanziellen Mehrwert in Städten zu generieren. Aktuelle Praxisbeispiele zeigen jedoch, dass sich das technologische Potenzial oftmals schwer in einen spürbaren ökonomischen, ökologischen und sozialen Wert für die beteiligten Akteure umsetzen lässt. Dies lässt sich auf die vielfältigen Bild 1: Quellen und Charakteristika urbaner Mobilitätsdaten. © Guillen nach [11, 12], Icons: https: / / www. flaticon.com 74 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Herausforderungen der zu entwickelnden DGGM zurückführen, wie beispielsweise unzureichende Kenntnisse hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung solcher Geschäftsmodelle. [11, 13] Trotz erheblicher Relevanz für die Praxis besteht hier noch viel Raum für Forschungsarbeiten. Im Folgenden wird ein Überblick möglicher Ausprägungen von Geschäftsmodellinnovationen in IVS gegeben. Hierzu wurde auf Basis einer systematischen Literaturanalyse zunächst eine integrierte Taxonomie für DGGM im Kontext von IVS hergeleitet, um den konkreten Optionenraum im urbanen Ökosystem aufzuzeigen. Business Model Canvas als Ausgangspunkt Taxonomien repräsentieren Methoden oder Modelle zur Klassifizierung bestimmter Objekte in verschiedenen Dimensionen nach einem vorgegebenen System [14]. In der weitverbreiteten Geschäftsmodell- Taxonomie „Business Model Canvas“ (BMC) nach Osterwalder und Pigneur wird das Geschäftsmodell eines Unternehmens mithilfe von neun Schlüsselelementen klassifiziert. Diese sind unterteilt in einen Wertbereich (Nutzenversprechen, Kundensegmente, Kundenbeziehung, Kundenkanäle und Einnahmequellen) sowie einen Effizienzbereich (Schlüsselaktivitäten, -ressourcen, -partner und Kostenstruktur). Ersterer beschreibt den generierten Mehrwert für die Kunden, wohingegen sich der Effizienzbereich auf die internen Prozesse fokussiert, die zur Generierung des Werteversprechens notwendig sind. [15] Aufgrund eines hohen Strukturierungsgrads und einer holistischen Betrachtungsweise eignet sich das BMC-Rahmenwerk gut zur Modellierung und Analyse von Geschäftsmodellen und dient nachfolgend als Ausgangspunkt [16]. Die Taxonomie soll dabei aufzeigen, wie Stakeholder des städtischen Umfelds auf Basis der urbanen Mobilitätsdaten (Mehr-) Wert generieren können. Dabei sollen konkrete Möglichkeiten von Wertversprechen für bestimmte Akteure aufgezeigt werden. Außerdem soll dargestellt werden, wie diese erbracht und letztlich monetarisiert werden können. Entsprechend liegt der Fokus im Weiteren auf den fünf Dimensionen des BMC-Wertbereichs. Klassifizierung von Geschäftsmodellen Die nachfolgende Taxonomie zeigt den Stakeholdern den konkreten Optionenraum für potenzielle IVS-Geschäftsmodelle auf. Allen Komponenten des Wertebereichs wurden dabei plausible Ausprägungen auf Basis einer umfassenden Literaturanalyse zugeordnet. Wertangebot beim Kunden Im Rahmen der ersten Komponente Kundensegmente werden die relevanten Kundengruppen bestimmt, die mittels des DGGM im Kontext urbaner Mobilität adressiert werden sollen. Dabei kann es sich um Bürger einer Stadt, um Unternehmen und Stadtverwaltungen handeln. [11] Das Nutzenversprechen als zweites Schlüsselelement erfasst die Produkte und Dienstleistungen, die den jeweiligen Kundensegmenten auf Basis von Daten angeboten werden. Ein Produktangebot kann als „Data-as-a-Product“ umgesetzt werden, indem den Abnehmern (historische) Daten als Endprodukt zur Verfügung gestellt werden. Dieses wird dazu anhand gewisser Metriken (zum Beispiel: Umfang, Kosten, Qualität) standardisiert und entsprechend für alle Kunden angeboten. Alternativ können Daten auch als „Data-as-a-Service“ bereitgestellt werden. Hier erfolgt das Datenmanagement über den gesamten Lebenszyklus durch den Anbieter, wodurch die Daten flexibel und je nach Kundenbedarf über das Internet abgerufen werden [17, 18]. Von „Information-as-a-Service“ spricht man, wenn aus den Daten durch Vorabanalysen Informationen gewonnen werden. Über „Analytics-as-a-Service“ schließlich werden Analyse- und Visualisierungstools zur Verfügung gestellt, mit denen Kunden selbständig Mehrwerte generieren können [10, 19]. Außerdem wird in dieser Dimension der direkt generierte Nutzen des DGGMs für das urbane Umfeld erfasst. So kann eine Reduzierung von Verschmutzung, Verkehrsstaus, Lärmbelastung und Transferkosten sowie eine Erhöhung der Transfergeschwindigkeit oder der Sicherheit der Bewohner verfolgt werden [20]. Der konkrete Nutzen kann sich dabei für die verschiedenen Stakeholder in unterschiedlicher Form äußern: Beispielsweise führt eine erhöhte Verkehrssicherheit für die Bürger einer Stadt zu weniger Gefahren im Straßenverkehr. Für die Stadtverwaltung sinken gleichzeitig die Kosten im Zusammenhang mit Unfallhilfen [21]. Kundenkanäle und -beziehungen Das dritte Schlüsselelement sind die Kundenkanäle, über die den Kunden das Nutzenversprechen bereitgestellt wird. Dies kann beispielsweise über eine API (Application Programming Interface) für einen direkten Zugang, per Web-Download, Web- Schnittstelle oder eine sonstige Software erfolgen. [11, 22] Darüber hinaus kann das Angebot auf Basis einer der folgenden Plattformvarianten bereitgestellt werden: „Analytics Plattform“ (Bereitstellung von Analyse-Tools), „Data Marketplace“ (Plattform- 75 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie betreiber agiert als Vermittler zwischen Angebot und Nachfrage von datengetriebenen Produkten bzw. Dienstleistungen), „Software-as-a-Service”- Plattform (als Host für diverse, darauf laufenden Anwendungen) oder als digitale Vertriebsplattformen (zum Beispiel: Apple App Store) [23, 24]. Außerdem können den Kunden Daten in einem Datenpool zur Verfügung gestellt werden, über den verschiedene Stakeholder mithilfe eines kollektiven „Crowdsourcings“ von Mobilitätsdaten ein gemeinsames Datenset schaffen. Bei einem Crowdsourcing werden Daten von einer verteilten Gruppe von Mitwirkenden unter Einsatz des Internets und sozialer Kollaborationen erzeugt. [25] Die Komponente Kundenbeziehungen beschreibt die jeweiligen Beziehungen, die ein datengetriebenes Unternehmen mit den adressierten Kundensegmenten pflegt. Bei DGGM im Kontext urbaner Mobilität können Kunden eine aktive Rolle im Wertschöpfungsprozess in Form einer „Co-Creation“ und Community einnehmen. Ersteres beschreibt die gemeinsame Entwicklung und Kollaboration zwischen Kunden und Unternehmen. Dabei stellen Kunden bestimmte Ressourcen und Kompetenzen zu Verfügung, die zur Wertschöpfung mittels eines Produktes oder einer Dienstleistung mitverwendet werden [26]. Im Rahmen einer Community ermöglicht der Einsatz digitaler Technologien die soziale Interaktion von Konsumenten mit gleichen Interessen, wodurch Daten generiert werden [27]. Zudem können Kunden auch passiv über eine virtuelle bzw. automatisierte Schnittstelle, eine persönliche Assistenz oder über einen sogenannten „Self-Service“ (zum Beispiel FAQ) agieren [21]. Vielfältige Umsatzmodelle Die fünfte Schlüsselkomponente Einnahmequellen determiniert das Umsatzmodell einer Organisation [28]. Unternehmen können den Verkauf von Vermögenswerten verfolgen oder beispielsweise Leasing-, Lizensierungs- oder Abo-Modelle (nutzungsbasiert oder mit Flatrate) einsetzen. Außerdem können Umsätze über eine Drittpartei, Werbung oder ein „Freemium“-Modell erzielt werden. Bei letzterem können Nutzer auf ein Produkt oder eine Dienstleistung kostenlos mit bestimmten Limitationen zugreifen, die gegen eine regelmäßige Gebühr aufgehoben werden können. Das DGGM wird so durch die bezahlende Nutzergruppe finanziert. Darüber hinaus können Datenprodukte bzw. -services als sogenannte „Open Data“ kostenlos öffentlich zugänglich gemacht werden, was vor allem bei städtischen Behörden üblich ist [22]. Dabei werden Mobilitätsdaten von der Behörde selbst generiert, gegebenenfalls mit weiteren Daten privater Organisationen angereichert und anschließend unter anderem aufgrund der Rechenschaftspflicht öffentlicher Institutionen bzw. der Zugangsrechte der Bürger veröffentlicht. Zudem können Einnahmen über ein Gainsharing- Modell (Höhe des Umsatzes nach dem, durch den Konsum erzeugten, Vorteil auf der Kundenseite), einen Pay-per-Use-Ansatz (Kunden zahlen für Produkt bzw. Service nutzungsabhängig), eine Vermittlungsgebühr und das sogenannte „Packaging Model“ (Fixpreis für Erwerb einer bestimmten Menge an Daten) gewährleistet werden. [11, 29, 30] Im Folgenden wird die vorgestellte Taxonomie zur Typisierung von drei ausgewählten und in der IVS-Domäne etablierten Unternehmen eingesetzt. Dadurch wird der theoretisch hergeleitete Optionenraum für Geschäftspotenziale im Kontext urbaner Mobilität mit relevanten Beispielen aus der IVS- Praxis validiert. Anwendung auf Unternehmen Zunächst wird der Navigationsservice Waze untersucht. Wenngleich sich dieser nicht ausschließlich auf den Stadtbereich bezieht, so trägt der Service dennoch auch zur Verbesserung des urbanen Straßenverkehrs bei. Die Waze-App (Android, Apple) stellt Bürgern Echtzeit-Verkehrsinformationen, zum Beispiel über Staus, Unfälle, Gefahrenstellen, Baustellen, zur Verfügung (Information-as-a-Service). Der Service trägt somit zur Reduzierung von Verkehrsstaus und gleichzeitig zur Erhöhung der Transfergeschwindigkeit sowie zur Verkehrssicherheit bei. Bei dem community-basierten Ansatz beteiligen sich die Kunden aktiv an der Wertschöpfung, indem sie der Community die Verkehrsinformationen bereitstellen. Der grundsätzlich kostenlose Service finanziert sich über Werbung und den Verkauf von Daten an Drittparteien. [31] Das französische Startup Vianova als nächstes Beispiel forciert die Kollaboration von Stadtverwaltungen und Betreibern von Mikromobilitätsservices mithilfe einer Analytics-Plattform („Mobility Data Platform“), die beiden Kundengruppen einen effizienten, bilateralen Datenaustausch ermöglicht (Data-as-a-Service). Über ein Dashboard (Software-asa-Service) werden neben den Daten auch Tools zur Datenanalyse und -visualisierung zur Verfügung gestellt (Analytics-as-a-Service). Das Konzept fördert die Zusammenarbeit beider Akteure und soll zudem Mikromobilitätsdienstleistungen in Städten zugänglicher machen. Damit generiert das Unternehmen Nutzen in alle plausiblen Dimensionsausprägungen im urbanen Ökosystem. Die Kunden partizipieren aktiv durch eigene Datenbereitstellung an der Wert- 76 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie schöpfung des Services (Co-Creation). Über das Umsatzmodell konnten keine Informationen in Erfahrung gebracht werden. [32] Als letztes Beispiel aus der IVS-Praxis wird die Plattform DataMall betrachtet. Die Initiative der „Land Transport Authority“ (LTA), die als gesetzliche Behörde unter dem Verkehrsministerium der Regierung von Singapur agiert, offeriert Mobilitätsdaten der Metropole. Adressiert werden sollen hierbei vor allem Unternehmen und Drittparteien, um kollaborativ, innovative Lösungen für den lokalen Verkehr zu entwickeln. Über die zugehörige Plattform (Data Marketplace) können sowohl historische Daten „asa-Product“ via Download als auch dynamische Echtzeitdaten „as-a-Service“ via API kostenlos als „Open Data“ bezogen werden. Je nach Verwendung dieser Daten seitens der Abnehmer kann das Unternehmen zur Generierung verschiedener Nutzenausprägungen in der Metropole beitragen. Auf Basis der großen Datenvielfalt sind grundsätzlich alle Ausprägungen der Nutzendimension möglich. Die Kundeninteraktion ist dabei passiv, da diese über eine virtuelle Schnittstelle abgewickelt wird. [33] Bild 2 stellt die Einordnung der Geschäftsaktivitäten der Beispielunternehmen in die hergeleitete Taxonomie dar. Ergebnisse und Diskussion Die vorgestellte Taxonomie zu Klassifizierung datengetriebener Geschäftsmodelle im Kontext intelligenter Verkehrssysteme kann als Ausgangspunkt einer Untersuchung solcher Geschäftsmodelle in der Theorie dienen. Organisationen aus der Praxis können sich mithilfe der Taxonomie darüber hinaus einen Überblick über die Geschäftsmodelllandschaft verschaffen und ihre Aktivitäten entsprechend positionieren. Der Ansatz lässt sich außerdem zur Analyse des Marktumfeldes und als Basis zur Entwicklung eigener, plausibler Geschäftsmodellinnovationen heranziehen. Die Taxonomie kann Organisationen somit dabei unterstützen, Wertschöpfungspotenziale auf Basis der immer weiter zunehmenden Datenmengen im urbanen Mobilitätssektor zu heben und dabei gleichzeitig zur Verbesserung der Lebensqualität in Städten beizutragen. 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Dimensionen Ausprägungen Kundensegmente Kundenmarkt Bürger Unternehmen Stadtverwaltung Nutzenversprechen Produkt/ Dienstleistung Data-as-a-Product Data-as-a-Service Information-as-a-Service Analytics-as-a-Service Nutzen Reduzierung der Verschmutzung Reduzierung des Verkehrsstaus Reduzierung der Lärmbelastung Reduzierung der Transferkosten Erhöhung der Sicherheit Erhöhung der Transfergeschwindigkeit Kundenkanäle Bereitstellung API Web-Interface Download Software Plattform Analytics Plattform Data Marketplace SaaS-Plattform Digitale Vertriebsplattform Datenpool Kundenbeziehung Interaktion Aktiv Passiv Co-Creation Community Virtuell Persönlich Automatisiert Self- Service Einnahmequellen Umsatzmodell Verkauf von Vermögenswerten Abo-Modell Kostenlos Flatrate Nutzungsbasiert Drittpartei Freemium Werbung Open Data Leasing Lizensierung Gainsharing Pay-per-Use Vermittlungsgebühr Packaging Model Bild 2: Waze (blau), Vianova (grün), DataMall (lila) - DGGM-Taxonomie im Kontext von IVS mit Beispielunternehmen [34]. © Guillen 77 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie [7] Magretta, J.: Why Business Models Matter. 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Pablo Guillen MBition GmbH Kontakt: pablo.guillen@web.de Prof. Dr. Andreas Mitschele Professor im Studiengang BWL-Digital Business Management Duale Hochschule Baden-Württemberg Stuttgart Kontakt: andreas.mitschele@dhbw-stuttgart.de AUTOREN 78 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES FORUM Mobilität Die Verkehrspolitik sieht sich mit Blick auf eine nachhaltige Entwicklung mit der Herausforderung konfrontiert, die Menschen davon zu überzeugen, den aktuellen Wachstumspfad zu verlassen und stattdessen zukünftig kleine, langsame Fahrzeuge zu nutzen, die nur über geringe Reichweiten verfügen. Das Potenzial ist seit langem bekannt, etwa, dass 50-Prozent der mit dem Auto gemachten Wege unter fünf Kilometer lang sind, also zu Fuß, mit Fahrzeugen der Mikromobilität, dem Fahrrad oder anderen Fahrzeugen mit menschlichem Maß zu bewältigen sind [1] und auf wenigstens dreißig Prozent aller Autofahrten verzichtet werden kann [2]. Demgegenüber stehen jene mentalen Infrastrukturen der Menschen, die geprägt sind durch das Auto im Kopf. Etwas anderes zu denken, erscheint kaum möglich, darüber hinaus ist eine Vielzahl der Produkte im Bereich der Fahrzeuge unterhalb der Größenordnung „Auto“, die es schon gibt, weder bekannt noch können sie ausprobiert werden - sie stehen uns im wahren Sinne des Wortes nicht vor Augen. 1 Vor diesem Hintergrund haben das Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung der Technischen Universität Berlin und das Büro The Urban Idea von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt eine Machbarkeitsstudie finanziert bekommen, um die Realisierung einer Erlebniswelt für nachhaltige städtische Mobilität zu sondieren - das EcoMobileum ® . 2 Hier sollen Erfahrungshorizonte einer neuen Mobilitätskultur eröffnet werden, um die Menschen von der Verkehrswende zu begeistern. 1 Das Büro The Urban Idea hat eine Datenbank angelegt, die aktuell rund 700 Fahrzeuge für die unterschiedlichsten Anwendungsbereiche umfasst: www.theurbanidea.com/ zwischenschuh-und-auto. 2 Abschlussbericht mit den Konzeptstudien auf: https: / / www. ivp.tu-berlin.de/ AB_Machbarkeitsstudie -EcoMobileum ist eine eingetragene Marke von The Urban Idea GmbH Das EcoMobileum Erlebniswelt für eine neue Mobilitätskultur Stadtplanung, Verkehrsplanung, Ausstellung, Erfahrung, Mobilitätsbildung Oliver Schwedes, Konrad Otto-Zimmermann Die Verkehrswende erfordert ein neues Mobilitätsverständnis, das sich nicht mehr daran bemisst, mit immer größeren und schnelleren Fahrzeugen stetig wachsende Distanzen zu überwinden. Vielmehr ist ein Trendbruch zugunsten von Fortbewegungsmitteln zwischen Schuh und Auto erforderlich, der heute noch kaum denkbar erscheint, geschweige denn erlebbar ist. Um die Menschen von der Verkehrswende zu überzeugen, braucht es Erlebniswelten, wo sie eine neue Mobilitätskultur erfahren können. Bild 1: So könnte der Ausstellungsraum in der ehemaligen Freiburger Stadthalle aussehen. © The Urban Idea; Visualisierung: studio klv 79 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES FORUM Mobilität Das Konzept des EcoMobileum Das EcoMobileum fußt auf drei konzeptionellen Säulen, die je nach Bedarf sowohl unterschiedlich kombiniert als auch selektiv verwendet werden können:  Die Ausstellung In der Ausstellung sollen neben der Vielfalt von bekannten insbesondere auch innovative, aber noch weitgehend unbekannte Produkte der Mobilität mit menschlichem Maß präsentiert werden. Dabei ist es von zentraler Bedeutung, dass sich kein Messecharakter einstellt. Vielmehr müssen sich alle Anbieter*innen in ein Gesamtkonzept fügen, das die Besucher*innen im Sinne einer Erlebniswelt in städtische Alltagssituationen eintauchen lässt. Dementsprechend müssen die Produkte von den Besucher*innen einfach genutzt und in bestimmten lebensweltlichen Kontexten ausprobiert werden können.  Die Ausfahrt Die „Erfahrung“ der neuen Mobilitätsangebote in der lebensweltlich gestalteten Ausstellung kann mit einer Ausfahrt außerhalb der Ausstellung auf diversen Parcours fortgesetzt werden. Dort wird es möglich sein, das Fahrzeug auf seine Alltagstauglichkeit hin zu prüfen. Dazu müssen möglichst realitätsnahe (Verkehrs-)Infrastrukturen angeboten werden, die den unterschiedlichen Anforderungen verschiedener Nutzer*innengruppen genügen.  Die Akademie Schließlich sollen in einer Akademie/ Mobility- School auch verschiedene Formen des Wissenstransfers angeboten werden. Dabei bildet das Konzept der Mobilitätsbildung in Abgrenzung zur Verkehrserziehung das verbindende Element. Durch didaktisch anspruchsvolle Formate werden Zukunftsbilder einer neuen Mobilitätskultur vermittelt, in der die Bürger*innen lernen selbstbestimmt und entsprechend ihren jeweiligen Bedarfen eine nachhaltige Mobilität zu praktizieren. In diesem Dreiklang wird es das EcoMobileum seinen Besucher*innen ermöglichen, neue Fahrzeuge mit menschlichem Maß kennenzulernen (Ausstellung), mit ihnen neue Stadtraumqualitäten zu erfahren und ein neues Mobilitätsverständnis zu erleben (Parcours) und die Zusammenhänge rund um Mobilität, städtische Lebensqualität und globale Nachhaltigkeit zu verstehen (Akademie). Im Folgenden wird das EcoMobileum aus Sicht der Integrierten Verkehrsplanung im Rahmen der aktuellen Herausforderungen städtischer Verkehrsentwicklung kontextualisiert. Zentrale Themenfelder städtischer Verkehrsentwicklung sind die Neuaufteilung des öffentlichen Raums, neue Verkehrsangebote, wie sie unter dem Begriff Mobility as a Service (MaaS) diskutiert werden, sowie institutionelle Reformen, als wesentliche Voraussetzung einer Neuorganisation von Verkehr und Mobilität. Im Rahmen der EcoMobileum-Erlebniswelt werden die drei Themenfelder den drei konzeptionellen Säulen zugeordnet. Demnach werden in der Ausstellung die einzelnen Fahrzeuge mit dem übergreifenden Thema MaaS verbunden. Die Ausfahrt wird dazu genutzt, die Neuaufteilung des öffentlichen Stadtraums zu thematisieren und die Parcours dementsprechend zu gestalten. Im Rahmen der Akademie schließlich werden die notwendigen institutionellen Reformen diskutiert, wie beispielsweise die Entwicklung neuer Beteiligungsformate für die Bevölkerung. Die Ausstellung: Mobility as a Service (MaaS) In den Städten sind weltweit neue Verkehrsangebote eingeführt worden, die von privaten Anbietern im öffentlichen Raum beworben und von potenziellen Kunden genutzt werden können, sogenannte Sharing-Angebote. Während es vor zehn Jahren zunächst mit Carsharing-Angeboten begann, sind es in den letzten Jahren vor allem diverse Kleinstfahrzeuge der Größenordnung zwischen Schuh und Auto, die im öffentlichen Stadtraum angeboten werden. Vor diesem Hintergrund gilt MaaS als Hoffnungsträger für eine nachhaltige Verkehrsentwicklung. Demnach erlauben die neuen I&K-Technologien die Verknüpfung aller Verkehrsmittel zu multimodalen Mobilitätsangeboten, die den Nutzer*innen bedarfsgerecht angeboten werden können, in dessen Folge - so jedenfalls die Hoffnung - sie auf den privaten PKW verzichten werden. Während die wissenschaftliche Debatte um das MaaS-Konzept aktuell von einem angebotsorientierten Planungsverständnis dominiert wird, das dem Prinzip „the market knows best“ folgt, stellen wir dem ein integriertes Planungsverständnis gegenüber, dem die Überzeugung zugrunde liegt, dass sich Planung an politischen und gesellschaftlichen Zielen orientieren muss [3]. Dementsprechend gehen wir davon aus, dass MaaS nur dann einen Beitrag zu einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung leisten wird, wenn es an zuvor politisch definierten Zielen ausgerichtet wird und die Mobilitätsangebote gemeinsam mit regulativen Maßnahmen in ein Gesamtkonzept integriert werden. Die EcoMobileum-Erlebniswelt kann genutzt werden, um zu zeigen, dass das bisher technikgetriebene und durch ein ökonomisch verengtes Planungsverständnis geprägte MaaS im Sinne einer integrierten Verkehrspolitik und -planung weiterentwickelt und im Rahmen eines auf wissenschaft- 80 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES FORUM Mobilität lichen Gütekriterien fußenden Mobilitätsmanagements eingebunden sein muss, wenn das politisch angestrebte Ziel einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung erreicht werden soll [4]. Eine integrierte MaaS-Plattform, die den Besucher*innen alle ausgestellten Produkte anbietet, könnte gleichsam die alles verbindende Matrix der Ausstellung bilden (Bild 1). Dazu würde es sich anbieten, Anbieter aus dem Bereich des öffentlichen Verkehrs einzuladen, die schon immer in enger Kooperation mit den Städten und Gemeinden einen integrierten gesamtstädtischen Ansatz vertreten haben. Ein EcoMobileum in Berlin könnte beispielsweise die erfolgreiche Jelbi- App der Berliner Verkehrsbetriebe nutzen, mit der sich die Besucher*innen dann durch die Erlebniswelt bewegen können. Die Ausfahrt: Neuaufteilung des öffentlichen Raums Die Stadt- und Verkehrsplanungsdebatten werden in jüngster Zeit zunehmend durch Gerechtigkeitsfragen geprägt, die sich bis dahin nicht gestellt hatten [5]. Nachdem es beispielweise jahrzehntelang gesellschaftlich akzeptiert war, private Autos kostenlos im öffentlichen Stadtraum abzustellen, wird dies zunehmend kontrovers diskutiert. Seit kurzem findet eine Wiederentdeckung städtischer Raumqualitäten statt [6]. Am augenfälligsten zeigt sich das daran, dass Parkplätze von Autos geräumt werden, um sie ihrer ursprünglichen Funktion als Marktplätze wieder zugänglich zu machen. Unter dem Begriff der Umweltgerechtigkeit werden zudem immer öfter die Belastungen der Stadtgesellschaft durch private Autos thematisiert. Das Land Berlin hat einen Umweltgerechtigkeitsbericht erstellt, in dem quartiersscharf abgelesen werden kann, welche Bevölkerungsgruppen in welchem Ausmaß von Luft- und Lärmemissionen betroffen sind, nur über wenig Grünflächen verfügen und von bioklimatischen Belastungen betroffen sind [7]. Insgesamt wird der Verkehr von den Stadtgesellschaften zunehmend als Belastung wahrgenommen, welche die Gesundheit der Bevölkerung beeinträchtigt und die Lebensqualität einschränkt [8]. Die hier skizzierte verkehrspolitische und -planerische Transformation der Stadtgesellschaft, in deren Zentrum die Neuaufteilung des öffentlichen Stadtraums steht, wird einen konfliktreichen Aushandlungsprozess erfordern. Das EcoMobileum könnte der Ort sein, wo die Menschen daran beteiligt werden. Speziell die Ausfahrt kann dazu genutzt werden, für Besucher*innen neue verkehrsplanerische Gestaltungskonzepte für den Straßenraum erlebbar zu machen und sie von ihnen bewerten zu lassen (Bild- 2). Anders als die traditionelle Verkehrsplanung ist die Integrierte Verkehrsplanung, mit ihrem Fokus auf den Menschen und einen menschengerechten Stadtverkehr, auf kollaborative Beteiligungsprozesse mit den Bürger*innen angewiesen. Die EcoMobileum- Erlebniswelt eröffnet die Möglichkeit eines solchen transdisziplinären Wissenstransfers, von dem alle Beteiligten gleichermaßen profitieren. Beispielsweise könnten die aktuellen wissenschaftlichen Debatten über neue Kreuzungsdesigns konkret und für die Besucher*innen anschaulich in die Konzeptionierung der Parcours einfließen und mit den neuen Kleinstfahrzeugen von ihnen „erfahren“ werden. Die Wissenschaft wiederum könnte hier die subjektive Wahrnehmung unterschiedlicher Gestaltungsvarianten des öffentlichen Straßenraums in einem Umfang erfassen, wie es im Rahmen von begrenzten Forschungsprojekten selten möglich ist. Die Politik wiederum könnte die Erfahrungen der Menschen nutzen, indem sie sie in den konfliktreichen Aushandlungsprozess um die Neuverteilung des öffentlichen Straßenraums einbezieht und ihre Kompetenzen für eine informierte Entscheidungsfindung heranzieht, anstatt sich wie in der Vergangenheit allein auf eine „Expertokratie“ zu verlassen [9]. Schließlich erhalten auch die Anbieter neuer Kleinstfahrzeuge durch die alltagsweltlichen Erfahrungen der Besucher*innen wichtige Hinweise zur Verbesserung ihrer Produkte, die auf einer klassischen Messeausstellung nicht möglich wären. Die Ausfahrt im Rahmen der EcoMobileum- Erlebniswelt ist somit ein vielschichtiger Praxistest, der die anstehende verkehrspolitische und -planerische Transformation der Stadtgesellschaft unterstützt und damit einen konstruktiven Beitrag dazu leistet, die angestrebte Verkehrswende informiert und aktiv zu gestalten. Die Akademie: Mobilitätsbildung Die womöglich größte Hürde nachhaltiger Verkehrsentwicklung bilden die von den Sozialwissenschaften gut erforschten, von den Verkehrs- Bild 2: Mögliche Anordnung von Parcours auf dem Gelände des ehem. amerikanischen Supermarkts im Patrick Henry Village in Heidelberg © The Urban Idea 81 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES FORUM Mobilität wissenschaften jedoch bis heute vernachlässigten, mentalen Infrastrukturen [10]. Damit sind die alltäglichen Vorstellungen von Verkehr und Mobilität gemeint, die jeder von uns verinnerlicht hat und die unser Handeln leiten. In Deutschland, wie in den meisten reichen Industrieländern, sind die mentalen Infrastrukturen stark vom privaten Automobil geprägt, sodass das „Auto im Kopf “ die Vorstellung davon bestimmt, wer als mobil erachtet wird [11]. Demnach zeichnet sich der Idealtypus eines mobilen Menschen dadurch aus, dass er über einen privaten PKW verfügt, der am besten direkt vor der eigenen Haustür geparkt steht. In dieser Situation erscheint bei jeder geplanten Aktivität das Auto vor dem geistigen Auge und verdrängt zugleich alternative Verkehrsmittel wie das Fahrrad oder den öffentlichen Verkehr. Wenn zudem die alternativen Angebote an Attraktivität verlieren, weil sie immer weniger nachgefragt werden, verstärkt sich dieser Effekt, und die Menschen können gut begründet sagen, dass es keine angemessene Alternative zu ihrem privaten Auto gibt. Ein Leben ohne den privaten PKW erscheint ihnen dann immer weniger denkbar. Vor diesem Hintergrund besteht die Herausforderung einer zukunftsweisenden Verkehrspolitik und -planung, die auf Alternativen zum privaten PKW angewiesen ist, darin, die einseitig am privaten Auto ausgerichteten mentalen Infrastrukturen anzusprechen und für denkbare Alternativen zu sensibilisieren. Diese gezielte Ansprache unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen entsprechend ihrer jeweiligen Anforderungen und Bedarfe ist die Aufgabe des Mobilitätsmanagements und eines ihrer zentralen Instrumente ist die Mobilitätsbildung. Anders als die konventionelle Verkehrserziehung, die eine Anpassungsstrategie verfolgt, indem sie die Menschen für das Überleben in der bestehenden Autogesellschaft trainiert, ist die Mobilitätsbildung darauf gerichtet, ein breites Verständnis von Verkehr und Mobilität zu vermitteln mit dem Ziel, ein ebenso selbstbewusstes wie verantwortungsvolles Mobilitätsverhalten zu unterstützen [12]. Die Akademie des EcoMobileums kann hier anknüpfen und für die unterschiedlichen Altersgruppen passende Bildungsangebote entwickeln. Als Freizeiteinrichtung müsste das EcoMobileum den spielerischen Aspekt noch weiterentwickeln und auch entsprechende medial aufbereitete Angebote im Sinne der „Gamification“ für die älteren Bevölkerungsgruppen entwickeln. Die Besucher*innen könnten beispielsweise aktiv in partizipative Planungsprozesse eingebunden werden und dabei grundlegende Informationen zu dem Themenfeld nachhaltiger Verkehrsentwicklung erhalten. Durch mediale 3D-Unterstützung könnten sie sich etwa an einer Straßenraumgestaltung beteiligen und dabei die formalen Planungsschritte kennenlernen. Dieses Wissen kann sie dazu ermächtigen, sich Zuhause kompetent einzubringen und die Qualität der Ergebnisse von Verkehrspolitik und -planung vor Ort zu verbessern. Aber auch konventionelle Bildungsangebote sollen dort ihren Platz haben. Dementsprechend sollte das EcoMobileum auch Räume zur Verfügung stellen, in denen sich Expert*innen aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft austauschen und entsprechende Schulungen stattfinden können. Gleichzeitig sollten die Städte und Gemeinden darüber aufgeklärt werden, was sie schon heute unter den gegebenen Rahmenbedingungen im Sinne einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung umsetzen können. Indem die Städte und Gemeinden Bildungsreisen in das EcoMobileum organisieren, könnten beispielweise die von der Agora Verkehrswende zusammengetragenen kommunalen Handlungsspielräume den Verantwortlichen in Politik und Verwaltung nahegebracht werden [13]. Darüber hinaus könnten die traditionellen Verkehrsschulen weiterentwickelt werden zu Akademien im Sinne des EcoMobileum und somit auch die Anlaufstelle für die klassischen Bildungseinrichtungen wie KITAs und Schulen sein, die als Teil ihrer Mobilitätsbildung dorthin Ausflüge organisieren. In allen Fällen muss gewährleistet sein, dass der aufklärerische Bildungsanspruch durch spielerische Formen medial anspruchsvoll vermittelt wird. Fazit: Der politische Wille zählt Die EcoMobileum-Erlebniswelt leistet einen zentralen Beitrag zu der politisch angestrebten Verkehrswende, indem es dem aktuellen Trend des „höher, weiter, schneller“ mit dem Konzept der Mikromobilität begegnet, die auf weniger Verkehr, kürzere Bild 3: So könnte das Außengelände vor der ehemaligen Freiburger Stadthalle aussehen. © The Urban Idea, Visualisierung: studio klv 82 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES 82 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES FORUM Mobilität Distanzen und geringere Geschwindigkeiten zielt. Dabei ist das Besondere am EcoMobileum, dass es die Verkehrswende nicht nur postuliert, sondern sie seinen Besucher*innen erfahrbar macht. Jeder kann sich dort ein Bild von möglichen Zukünften machen, wenn er neue Verkehrsmittel auf ihre Alltagstauglichkeit erprobt. Das EcoMobileum setzt nicht primär auf technische Innovationen, vielmehr sind die dort präsentierten neuen Verkehrsmittel nur Vehikel zur Unterstützung eines neuen Mobilitätsverhaltens. Das EcoMobileum will ein neues Verständnis von Verkehr und Mobilität vermitteln und zielt damit auf eine soziale Innovation. Dem liegt die Einsicht zugrunde, dass die großen gesamtgesellschaftlichen Transformationen in der Vergangenheit immer mit einem tiefgreifenden kulturellen Wandel verbunden waren. Das EcoMobileum will diesen Kulturwandel dadurch unterstützen, dass es seinen Besucher*innen Möglichkeitsräume eröffnet, Verkehr und Mobilität neu zu denken. Das EcoMobileum ist ein innovativer Ansatz, den Wandel zu einer neuen Mobilitätskultur in demokratischen Gesellschaften zu gestalten und die Menschen daran zu beteiligen. Dabei befähigt das EcoMobileum die Besucher*innen auf verschiedene Weise darin, den kulturellen Wandel aktiv mitzugestalten. Die durch einen kulturellen Wandel bei der Bevölkerung oftmals ausgelöste Unsicherheit aufgrund von Befürchtungen oder sogar Ängsten vor dem noch unbekannten Neuen sowie daraus resultierende Widerstände, können durch die spielerische Aneignung in der Erlebniswelt konstruktiv gewendet werden. Damit ist das EcoMobileum ein innovativer Beitrag zur politischen Legitimierung nachhaltiger Verkehrsentwicklung, die auf die Einsicht der Menschen heute mehr denn je angewiesen ist. Das EcoMobileum kann von der Politik genutzt werden, um die Verkehrswende zu gestalten. Das setzt voraus, dass die Politik die Verkehrswende gestalten will. So wie es eine politische Entscheidung für die Energiewende bedurfte, setzt auch die Verkehrswende eine entsprechende politische Entscheidung voraus. Von einem solchen politischen Willen ist auch das EcoMobileum abhängig. LITERATUR [1] Nobis, C., Kuhnimhof, T., Follmer. R., Bäumer, M.: Mobilität in Deutschland - Zeitreihenbericht 2002 - 2008 - 2017. 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Konrad Otto-Zimmermann The Urban Idea GmbH - EcoMobility Studio Kontakt: info@theurbanidea.com AUTOREN 83 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Kommunikation 83 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES Reine Luft für ein geringeres Infektionsrisiko Eine reduzierte Aerosolbelastung in der Luft gilt als gutes Indiz für ein verringertes Infektionsrisiko 1 . Regelmäßiges Lüften zählt zu einer wichtigen Maßnahme in der Prävention von Covid- Ansteckungen. Doch wann genau sollte gelüftet werden? Und wie lässt sich das Lüften bei kalten Außentemperaturen am energiesparendsten umsetzen? Der richtige Zeitpunkt zum Lüften hängt von der Aerosolbelastung 1 https: / / www.umweltbundesamt.de/ sites/ default/ files/ medien/ 2546/ dokumente/ irk_stellungnahme_lueften_sarscov-2_0.pdf in den Räumen ab. Je nach Anzahl der Personen, die sich im Raum befinden, variieren die optimalen Lüftungszeiten. Mittels einfacher Sensoren wird die Luftqualität in Räumen gemessen. zenon erfasst die Daten und wertet sie in Echtzeit aus. Wird der in zenon vordefinierte Grenzwert überschritten, erhält der Nutzer über das Dashboard und die mobilen Dienste die Information, dass der Raum gelüftet werden muss. In Gebäuden, in denen die Fenster automatisiert gesteuert sind, lässt sich der Lüftungsvorgang digitalisiert durchführen. Mit der Softwareplattform werden auch Messwerte für die Raumtemperatur erfasst, um die Räume zwischen den Lüftungszyklen effizient zu beheizen. Durch die Auswertung der digitalen Daten kann neben dem Infektionsschutz der Grundstein für eine bewusste CO 2 -Reduktion der Gebäudeemission gelegt werden. Zutritte regulieren, Mindestabstand garantieren Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Prävention von Ansteckungen ist die Einhaltung des Mindestabstands. Dazu gibt es Regelungen, wie viele Personen sich gleichzeitig in bestimmten Gebäudebereichen aufhalten dürfen. Viele Covid-Prävention in Smart Buildings Mit zenon das Infektionsrisiko senken Unser Leben hat sich durch Covid-19 rasant verändert. In Zukunft werden das Virus und die Prävention vor Ansteckung unseren Alltag fest im Griff haben. Orte, an denen viele Menschen aufeinandertreffen, werden auch nach dem Lockdown im Visier der Aufmerksamkeit stehen. Hier liegt das Augenmerk besonders auf Büro- und Produktionskomplexen, Schulen oder öffentlichen Gebäuden. Mithilfe der Softwareplattform zenon von COPA-DATA lässt sich die Covid-Prävention in smarten Gebäuden leicht digitalisieren. © Robert V. Ruggiero on unsplash 84 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Kommunikation Impressum Transforming Cities erscheint im 6. Jahrgang Herausgeber Eberhard Buhl, M.A. Verlag Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl | Christine Ziegler Schliffkopfstr. 22, D-72270 Baiersbronn-Buhlbach Tel. +49 7449 91386.36 · Fax +49 7449 91386.37 office@trialog.de · www.trialog.de Redaktionsleitung Dipl.-Ing. arch. Christine Ziegler VDI (verantwortlich) Tel: +49 7449 91386.43 Fax: +49 7449 91386.37 christine.ziegler@transforming-cities.de Anzeigen Tel. +49 7449 91386.46 Fax +49 7449 91386.37 anzeigen@trialog.de Gültige Anzeigenpreisliste Nr. 6 vom 01.01.2021 Vertrieb und Abonnentenservice Tel. +49 7449 91386.39 Fax +49 7449 91386.37 vertrieb@trialog.de Erscheinungsweise Viermal im Jahr Bezugsbedingungen Die Bestellung des Abonnements gilt zunächst für die Dauer des vereinbarten Zeitraumes (Vertragsdauer). Eine Kündigung des Abonnementvertrages ist zum Ende des Berechnungszeitraumes schriftlich möglich. Erfolgt die Kündigung nicht rechtzeitig, verlängert sich der Vertrag und kann dann zum Ende des neuen Berechnungszeitraumes schriftlich gekündigt werden. Bei Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages, bei Arbeitskampf oder in Fällen höherer Gewalt besteht kein Entschädigungsanspruch. Zustellmängel sind dem Verlag unverzüglich zu melden. Es ist untersagt, die Inhalte digital zu vervielfältigen oder an Dritte weiterzugeben, sofern nicht ausdrücklich vereinbart. Bezugsgebühren JahresAbo Print: gedruckte Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 120,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 11,90, Ausland EUR 25,-) JahresAbo ePaper: elektronische Web-Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 115,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), ohne Versandkosten JahresAbo Plus (Print + ePaper): als gedruckte Ausgabe + elektronische Web-Ausgabe + Archiv zum Jahresbezugspreis von EUR 157,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 11,90 , Ausland EUR 25,-) StudiAbo ePaper: elektronische Web-Ausgabe. Reduzierter Jahresbezugspreis von EUR 76,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.). Eine aktuelle Studienbescheinigung ist Voraussetzung. Einzelheft Print: gedruckte Ausgabe zum Einzelbezugspreis von EUR 35,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 3,-, Ausland EUR 6,50) Einzelausgabe ePaper: elektronische Web- Ausgabe zum Einzelbezugspreis von EUR 35,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), ohne Versandkosten Campus- und Firmenlizenzen auf Anfrage Organ | Medienpartnerschaft VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld Druck QUBUS media GmbH, Hannover Herstellung Trialog, Baiersbronn-Buhlbach, www.trialog.de Titelbild People with face mask waiting for a train in underground station during coronavirus crises. © Clipdealer Copyright Vervielfältigungen durch Druck und Schrift sowie auf elektronischem Wege, auch auszugsweise, sind verboten und bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Abbildungen übernimmt der Verlag keine Haftung. Eine Publikation der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Baiersbronn-Buhlbach ISSN 2366-7281 (print) www.trialog.de/ agb Gebäude verfügen über Zutrittssysteme, die Daten über Ein- und Austritte erfassen und Besucherströme lenken. Mit dem Einsatz von zenon können dynamische Grenzwerte für die zulässige Anzahl an Personen festgelegt werden, die sich in bestimmten Gebäudebereichen oder im gesamten Gebäude gleichzeitig aufhalten dürfen. Um stets unter den definierten Höchstwerten bei der Anzahl der erlaubten Personen in einem Gebäudebereich zu liegen, werden die Drehtüren oder Zutrittsschleusen situativ gesteuert. Dadurch werden Ansammlungen gezielt vermieden. Die Orchestrierung der Daten in zenon gibt den Verantwortlichen einen genauen Überblick, wie viele Personen sich in welchem Gebäudebereich aktuell aufhalten und in welchem Segment die Grenzwerte annähernd erreicht sind. So lässt sich das Infektionsrisiko von Besuchern verringern. Zur Einhaltung geltender Vorgaben werden die erfassten Daten als Nachweis in digitaler Berichtsform grafisch und textuell bereitgestellt. Bewährtes neu gedacht „Die Pandemie zeigt uns schonungslos, dass eine effektive Covid-Prävention auch in Gebäuden wichtig ist. Ein digitales Abbild von Messwerten kann in zenon einfach interdisziplinär orchestriert werden. So können vom Zutritt bis zur Belüftung und der effizienten Beheizung des Gebäudes alle wichtigen Einstellungen zur Risikominimierung für die Menschen über zenon automatisch ausgeführt werden“, sagt Jürgen Schrödel, Geschäftsführer von COPA-DATA Deutschland. Über zenon zenon ist eine Softwareplattform von COPA-DATA für die Fertigungs- und die Energiebranche. Maschinen und Anlagen werden gesteuert, überwacht und optimiert. Offene und zuverlässige Kommunikation in heterogenen Produktionsanlagen zeichnen zenon besonders aus. Offene Schnittstellen und über 300 native Treiber und Kommunikationsprotokolle unterstützen die horizontale und vertikale Integration. Das ermöglicht die kontinuierliche Umsetzung des industriellen IoT und der Smart Factory. Projekte mit zenon sind hochgradig skalierbar. zenon schafft Ergonomie, sowohl für den Projektersteller als auch für den Nutzer der fertigen Applikation. Die Engineering-Umgebung ist flexibel und vielseitig einsetzbar. Das Prinzip „Parametrieren statt Programmieren“ hilft schnell und fehlerfrei zu projektieren. Komplexe Funktionen für umfangreiche Anwendungen werden out-of-the-box mitgeliefert. Es entstehen intuitive und robuste Applikationen. Mit diesen können Anwender zu mehr Flexibilität und Effizienz beitragen. Weitere Informationen: www.copadata.com Bild 2: Vereinzelungsanlagen dienen nicht nur der Sicherheit im Allgemeinen, sondern können auch zur Covid-Prävention beitragen, wenn die Daten über Zutritte erfasst und zentral gesteuert werden. © COPA-DATA Bild 1: Über ein Dashboard lässt sich die Luftqualität in allen Räumen übersichtlich kontrollieren. © COPA-DATA Bauen in der Zukunftsstadt Am 7. Juni 2021 erscheint die nächste Ausgabe von Transforming Cities mit dem Themenschwerpunkt  Visionäre Bautechnik  Smarte Gebäude  Neue Wohnformen  Green Housing  Öko-Cities  Straßen und Plätze, Shared Spaces  Intelligente Infrastruktur