Transforming cities
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expert verlag Tübingen
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Nachhaltige, klimafreundliche Gestaltung von Stadtquartieren Nachhaltige, klimafreundliche Gestaltung von Stadtquartieren Energiewende|Innenstädte|NeueMobilität|Reallabore|Transformation|Freiräume|Kreislaufwirtschaft Energiewende|Innenstädte|NeueMobilität|Reallabore|Transformation|Freiräume|Kreislaufwirtschaft 2 · 2021 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Umbau zur Stadt Umbau zur Stadt der Zukunft der Zukunft All you can read Alles zusammen zum Superpreis: Die Papierausgabe in hochwertigem Druck, das ePaper zum Blättern am Bildschirm und auf dem Smartphone, dazu alle bisher erschienenen Ausgaben im elektronischen Archiv - so haben Sie Ihre Fachzeitschrift für den urbanen Wandel immer und überall griffbereit. AboPlus: Print + ePaper + Archiv www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren Trialog Publishers Verlagsgesellschaft | Baiersbronn | service@trialog.de 1 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, was macht eigentlich die Qualität einer Stadt aus? Es mag sachliche Kriterien für eine Einschätzung geben, vieles hängt aber auch vom jeweiligen persönlichen Empfinden und Erleben ab. Macht Stadtluft frei oder ist es zu laut? Hat man einen tollen Job oder wohnt man auf viel zu engem Raum mit Blick auf die Hochbahn? Sind bestimmte Viertel nachts sicher oder gibt es zu wenige Radwege? Auch Schönheit ist bekanntlich Geschmackssache. Architektur und Ästhetik von Gebäuden, Plätzen und Anlagen sowie historische Bedeutsamkeit und geografische Lage spielen eine wichtige Rolle bei der Qualität eines Ortes. Aber für eine gute Lebensqualität stehen neben dem Image eben auch politische und soziale Stabilität, kulturelle Vielfalt und wirtschaftliche Prosperität. Solche „Urban Skills“ sind jedoch nicht überall gleich und gerecht verteilt. Gerade in Zeiten großer Umbrüche treten systemische Schwachstellen besonders deutlich zu Tage. Da hilft keine noch so schicke Skyline oder architektonische Grandezza. Im Gegenteil: Viele urbane Trends und kühnen Pläne der letzten Jahrzehnte haben den Innenstädten einen geradezu fatalen Stempel aufgedrückt. Vielleicht einmal gut gemeint, haben Ideen wie die autogerechte Stadt, die strikte Trennung der Funktionen Wohnen, Arbeiten, Erholung und Verkehr oder die geradezu alternativlose Konsumorientierung in Fußgängerzonen und Shopping-Malls zu mehr Ungleichgewicht in städtischen Strukturen geführt. Die Pandemie hat gezeigt, wie schnell solche Konstrukte an Funktion und Wert verlieren können. Schlimmer noch: Die Auswirkungen des Klimawandels werden die Funktionstüchtigkeit von Stadtstrukturen künftig in weitaus größerem Umfang auf die Probe stellen. Es wird nicht ausreichen, den CO 2 -Ausstoß sofort und drastisch zu reduzieren. Lang anhaltende Dürreperioden wechseln jetzt schon mit heftigen Unwetterlagen, die städtische Infrastrukturen schnell überfordern. Um die Qualität von Städten zu retten, gilt es deshalb, Anpassungsstrategien zu entwickeln, die alle Aspekte urbanen Lebens gleichermaßen in Betracht ziehen - politische und wirtschaftliche ebenso wie sozio-kulturelle und umweltorientierte. Eine große Bandbreite möglicher Strategien zeigen unsere Autoren in der vorliegenden Ausgabe auf. Lesen Sie selbst. Ihre Christine Ziegler Redaktionsleitung „Transforming Cities“ Umbau zur Stadt der Zukunft 2 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES INHALT 2 · 2021 FORUM Interview 4 Freiräume Flexible Umgebungen für flexibles Arbeiten. Stefanie Lürken, IWG plc 7 Energiewende entscheidet sich in Städten Gregor Grassl und Iris Belle, Drees & Sommer SE Standpunkt 10 Die Innenstadt ist tot, es lebe die Innenstadt Fünf Visionen zur Innenstadt der Zukunft Stefan Schillinger PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur 14 Kiels neue Innenstadt Effizientes Entwässerungskonzept für Freiflächen Mobilität 16 Eine Allee für klimafreundliche Mobilität Die ÖPNV-Rad-Trasse in Ludwigsburg Hendrik Beeh, Adrian H. Messe Stadtraum 22 Photovoltaik und Dachbegrünung Erfolgsfaktoren für ein nachhaltiges Solar- Gründach Gunter Mann, Felix Mollenhauer 26 Drohnen erkunden städtische Hitzeinseln Tobias Weiss, Daniel Rüdisser 29 Geschmackvolle Kulisse für jedes Event Dachterrasse des Pariser Pavillon d’Armenonville Federico Cefalu Kommunikation 32 Flaniermeile erstrahlt in neuem Licht WLAN-Mesh-basierte Vernetzung von smarten Mastleuchten Jürgen Weczerek Energie 36 Ohne Brennstoff heizen Klaus W. König 40 Wie schlaue Gebäude das Klima schützen Klaus Dederichs, Bita Sotoudeh Seite 10 Seite Seite 29 29 Seite 32 © Nick Fewings on unsplash © Ecovegetal © Ecovegetal © Projekt BID Möncke bergstraße|Otto Wulff BID Gesellschaft © Projekt BID Möncke bergstraße|Otto Wulff BID Gesellschaft 3 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES INHALT 2 · 2021 THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft 44 Soziale Innovation als Treiber städtischer Energiewenden Viktoria Reith, Sabrina Hoffmann, Maria Stadler, Karoline Rogge, Niklas Mischkowski, Adrienne Kotler 48 Smart East - die Energiewende in die Stadt bringen Reallabor in Karlsruhe Ost zur Transformation eines ganzen Stadtquartiers mit klimaschonender Energieversorgung Christoph Schlenzig, Manuel Lösch 54 Gemeinschaftlich genutzte Stromspeicher im Quartier Jan Knoefel, Frieder Schnabel 58 Transformation von Städten durch die Energiewende Von der alten in die neue Energiewelt Volker Stelzer 63 Hoch hinaus mit dem Projekt „coLLab“ der HFT Stuttgart Urbane Nachverdichtung bei innerstädtischem Wohnraummangel Annabell Gronau, Jonas Stave, Jan Cremers 66 Leerstand, nicht Stillstand Wohn-Zwischennutzung im gewerblichen Leerstand Alexandra Ulrich, Elif Kälberer, Sarah Thiel, Paul Vogt 72 Stadtverträgliche 5G-Infrastruktur der Smart City Der neue Mobilfunkstandard als Chance für die Stadtgestaltung Jannik Wendorff, Claudia Kruschwitz 78 Die Kreislaufwirtschaft als Teil einer nachhaltigen Ökonomie Max Goldammer, Oliver Rottmann PRODUKTE + LÖSUNGEN Infrastruktur 84 Top-Arbeitshilfe für Planer und Anwender Regenwasserberechnungs- Tool 84 Impressum Seite Seite 40 40 Seite 66 © THE SHIP Seite Seite 72 72 © Chang-Ting Lin, Conrad Moschner, Ted Fishka © Adapter e. V. 4 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Die Arbeitswelt befand sich bereits vor Corona im Umbruch. Welches waren und sind die Treiber der Veränderungen? Haupttreiber für diese Veränderung ist die digitale Transformation, die bereits in den 1970er Jahren mit dem Aufkommen der ersten Computer begann. Das traditionelle Büro hatte früher seine Berechtigung, vor allem, weil es der einzige Ort war, der die Materialien und Ausrüstungen geboten hat, die zum Arbeiten benötigt wurden, aber nicht zu Hause verfügbar waren: wie Schreibmaschinen, Computer, Kopierer und Aktenschränke, um unzählige Kilometer Papier zu lagern. Inzwischen hat sich das Büro jedoch auf das digitale Leben verlagert - in einigen Fällen befinden sich die in der Cloud gespeicherten Daten nicht einmal mehr im selben Land wie die Mitarbeiter, die darauf zugreifen - und das ändert die Notwendigkeit von festen Büroflächen. Wird es künftig immer weniger klassische Arbeitsformen geben - mit festen Arbeitszeiten, klaren Hierarchien und sicheren Arbeitsplätzen? Allein in den letzten zehn Jahren ist der Anteil von flexiblen Bürolösungen weltweit um 1 000 % gestiegen. JLL - ein globales Unternehmen für gewerbliche Immobiliendienstleistungen - prognostizierte schon vor der Pandemie, dass der Gesamtanteil flexibler Büroflächen von 2 % im Jahr 2019 auf 30 % im Jahr 2030 steigen würde. Angesichts der Pandemie erwarten wir nun einen noch größeren Anteil an flexiblen Arbeitsmodellen. Ein gutes Beispiel sind die beiden Business Center, die wir während der Pandemie im vergangenen Jahr eröffnet haben. Diese sind beide ausgebucht, die Nachfrage nach flexiblem Arbeitsplatz ist also definitiv da. Für den deutschen Markt sehen wir daher ein starkes Wachstum und erweitern unsere Büroflächen in der gesamten Region. Am 1. März haben wir beispielsweise die Business Center HQ Berlin Teltow und das Signature by Regus Hamburg Jungfernstieg eröffnet. Und es gibt auch noch weitere Pläne, da für den Sommer weitere Eröffnungen geplant sind, wie das Regus Stuttgart Leinfelden. Werden eher Selbständige, Gründer, Co-Worker, Projektarbeiter, Self-Entrepreneure den Arbeitsmarkt verändern? Das lässt sich so pauschal gar nicht beantworten. Jede der von Ihnen genannten Gruppen wird ihren Anteil an den Veränderungen haben. Das klassische Büro ist drauf und dran seine Rolle im Arbeitsalltag dauerhaft zu verändern. Es wird in vielen Fällen zu einem Ort der Begegnung, dem Austausch mit dem Team - das lässt sich nicht oder nur sehr bedingt per Video-Call erzeugen. Fixe Büroflächen in Unternehmen werden zwar nicht verschwinden, aber sich verkleinern. Was eigentlich unterscheidet flexibles Arbeiten von den tradierten Mustern der „Old Economy“? Die Pandemie hat gezeigt: Es geht vieles mit Remote-Working, das sich selbst Experten nie hätten Freiräume Flexible Umgebungen für flexibles Arbeiten Die Arbeitswelt verändert sich disruptiv und damit verändern sich auch die Arbeitsumgebungen. Stefanie Lürken, seit 2014 Country Manager bei IWG plc, einem Dachunternehmen führender Büroanbieter wie Regus und Spaces, geht im Gespräch darauf ein, welche Entwicklungen sie aktuell bei der Belegung von Büroflächen sieht - von hybriden Arbeitsmodellen bis hin zum weltweiten Trend, dass Berufstätige in Zukunft vermehrt auf 15-Minuten-Offices setzen werden. Stefanie Lürken. © IWG plc 5 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview vorstellen können. Die - zumindest gefühlt - jetzt rascher voranschreitende Digitalisierung trägt dazu bei, dass sich immer mehr Tätigkeiten smart - also unabhängig vom Ort - durchführen lassen. Natürlich bleiben die soziale Komponenten, die der Gang ins Büro hat. Die Wahrheit wird wie fast immer in der Mitte liegen. Arbeit im Home-Office mit ein oder zwei Bürotagen pro Woche. Das wiederum spricht sehr stark für unseren Ansatz flexible Büro-Lösungen anzubieten. Zum flexiblen Arbeiten der Zukunft gehört auch, dass diese Büros für die Mitarbeitenden der Firmen einfach erreichbar sein müssen. Worin liegen die Vorteile der neuen Flexibilität? Welche Nachteile gibt es? Wir gehen davon aus, dass die Mitarbeiter in Zukunft in vielen Fällen nur sehr wenig Zeit benötigen wollen, um von ihrem Zuhause an ihren Arbeitsplatz zu gelangen. Wir investieren daher in flexible Bürolösungen in Vorstadt-Lagen und Kleinstädten, so wie wir es bereits vor der Pandemie getan haben, da wir einen längerfristigen Trend dahingehend beobachten. IWG hat bereits in den letzten zwei Jahren fast alle neuen Offices in Gebieten außerhalb der Innenstädte eröffnet. Derzeit sehen wir, dass die Nachfrage nach Office-Lösungen in kleineren und mittleren Städten sowie Ballungsgebieten bei all unserer Marken, einschließlich Regus und Spaces, weltweit exponentiell zunehmen. Viele Jobs können dank Digitalisierung von überall ausgeübt werden. Ist ein schneller Internetanschluss also der Schlüsselfaktor schlechthin? Vor Jahren war das schnelle Internet zumindest noch ein Differenzierungsfaktor. Diese Zeiten sind allerdings weitgehend vorbei. Selbst kleinere Städte sind inzwischen an das Glasfasernetz angebunden. Was wir weltweit sehen, ist, dass die Nachfrage nach Coworking Spaces und Bürolösungen in Ballungsräumen steigt und die Nachfrage in den Innenstädten zurückgegangen ist. Wie entwickeln sich die Arbeitsumgebungen mit der neuen Unabhängigkeit und Flexibilität? (Stichwort: Coworking, Home Office, Gründerzentren, Jelly, Maker Spaces etc.) Wir sehen einen sehr deutlichen Trend, dass Unternehmen in erster Linie nach Arbeitsflächen in der Nähe der Wohnorte der Mitarbeiter suchen. Selbst während der Herausforderungen der Pandemie haben wir einige unserer größten Deals in unserer 31-jährigen Geschichte unterzeichnet, darunter mit Standard Chartered - dieser umfasst eine weltweite Mitgliedschaft für alle 95 000 Mitarbeiter der Bank, die Zugang zu unseren 3 500 Zentren bietet. Da IWG Regus jedoch in mehr als 120 Ländern tätig ist, hat sich je nach regionaler Situation die Pandemie anders ausgewirkt. Bewirtschaftete Büroflächen in gut erreichbaren Innenstadtlagen sind sicher gefragt, doch wie sieht es in städtischen Randgebieten oder gar in ländlichen Gegenden aus? Nein, wir haben derzeit keine Pläne, Business Center in der Innenstadt zu schließen. Wir investieren weiterhin in innerstädtische Standorte und bieten dort die nötige Flexibilität, die unsere Kunden verlangen. Wir sehen immer noch ein großes Interesse an unseren Business Centern in der Innenstadt. Aber natürlich verlangen Unternehmen heute nicht mehr fünfbis zehnjährige Verträge, sondern möchten flexibel sein. Daher erwarten wir, dass Unternehmen © IWG plc © IWG plc 6 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview in den nächsten drei bis fünf Jahren vor allem auf hybride Arbeitslösungen setzen werden. Wir reagieren darauf mit unserem starken Angebot, beispielsweise unserem DYOO-Konzept, das Unternehmen die Flexibilität gibt, ihr Büro ganz nach ihren Wünschen und Bedürfnissen auszustatten. Ganz abgesehen von der Corona-Pandemie haben wir jedoch bei allen unseren Offices die langfristige Rentabilität im Blick und nehmen jedes Jahr eine Anpassung und eine Schließung einer kleinen Anzahl an Büros vor, wenn diese längerfristig nicht lebensfähig sind. Nach über einem Jahr Erfahrung mit Arbeiten im Homeoffice stellt sich die Frage: Werden Berufstätige künftig wieder täglich lange Pendlerstrecken auf sich nehmen wollen? Wir gehen davon aus, dass Mitarbeiter in Zukunft in vielen Fällen sehr wenig Zeit für den Weg von ihrem Wohnort zu ihrem Arbeitsplatz benötigen werden. Deshalb investieren wir, wie schon vor der Pandemie, in flexible Office-Lösungen in Vorstadtlagen und Kleinstädten, da wir einen längerfristigen Trend in diese Richtung sehen. Welche Trends sehen Sie durch die entstehenden neuen Arbeitsformen für die Stadtentwicklung (und die Regionalentwicklung)? Werden Räume und Flächen künftig anders genutzt bzw. werden möglicherweise neue Bauformen entstehen? Der Trend zu kleineren und mittelgroßen Städten sowie hybriden Arbeitsmodellen bedeutet nicht, dass es für prestigeträchtige Zentralen keine Rolle mehr geben wird, ob sie nun im Stadtzentrum liegen oder nicht. Sie sind nach wie vor wichtig für die Corporate Identity, das Wachstum des Unternehmens und den Zusammenhalt im Team. Die Zentrale wird auch weiterhin ein Ort sein, an dem Mitarbeiter bei Bedarf zusammenkommen können. Das Büro kann sehr wichtig für die emotionale, fast „tribale“ Verbindung zwischen einem Arbeitgeber und seinen Mitarbeitern sein. Dies kann ein wichtiger kultureller Faktor für ein Unternehmen sein und einen gemeinsamen Unternehmensgeist stärken - und so auch ein Wettbewerbsvorteil zu einem anderen Unternehmen darstellen. Was meinen Sie: Sorgt mehr Freiraum in der Arbeitswelt eher für Ängste bei den Menschen oder werden die persönlichen Freiheiten, die durch mehr Flexibilität entstehen können, begrüßt? Wir glauben, dass die Pandemie einen nachhaltigen Einfluss darauf haben wird, wie wir leben und arbeiten. Städte werden in unserem gesamten Arbeitsleben nicht mehr die gleiche Bedeutung haben wie zuvor. Schon vor der Pandemie war das Pendeln eine der am wenigsten bevorzugten Aktivitäten der Menschen. Wir erwarten daher, dass die Menschen ein hybrides Arbeitsmodell favorisieren, das ihnen Arbeitsmöglichkeiten innerhalb von 15-Minuten von ihrem Zuhause bietet. Mit hybriden Arbeitslösungen meinen wir, dass die Arbeit zu Hause die Norm sein wird und dass Mitarbeiter zwei oder drei Tage im Büro oder in Coworking Spaces in der Nähe ihrer Wohnorte mit Kollegen verbringen. Innenstädte werden immer noch eine wichtige Rolle einnehmen, aber wir glauben nicht, dass es das einzige Zentrum des täglichen Lebens sein wird, so wie es vorher der Fall war. Und das ist eine gute Sache, da sich dies auch positiv auf die Umwelt auswirken wird! © IWG plc © IWG plc Bilder: Spaces Kennedydamm, Düsseldorf. 7 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Welche Rolle spielen Städte für die Energiewende? Grassl: Städte spielen eine ganz zentrale Rolle, denn schließlich werden hier rund 80 Prozent der globalen Treibhausgase emittiert. Das liegt an der hohen Dichte an Infrastrukturen und der Vielzahl von Akteuren, was wiederum einen hohen Energiebedarf und einen starken Ressourcenverbrauch nach sich zieht. Wir haben viele Menschen, viele Gebäude und viel Verkehr - und damit ganz viel Potenzial, um Dinge besser zu machen, als sie momentan laufen. Belle: Ob wir die Energiewende schaffen und das in der EU und Deutschland diskutierte Ziel der Klimaneutralität erreichen, entscheidet sich insbesondere in den Städten. Deshalb muss die Politik Städte stärker in den Fokus nehmen. Ziel muss es sein, einen strategischen Orientierungsrahmen zu entwickeln, der urbane Räume in das nationale Zielsystem aufnimmt und auf die optimal benötigte Regelleistung lokaler Infrastrukturen und die Vernetzung der Akteure setzt. Ein strategischer Orientierungsrahmen - das klingt schon mal gut, aber was heißt das konkret? Belle: Nehmen wir etwa die Energieversorgung. Noch immer sind Energieverbraucher und Energieproduzenten meist getrennt: Die Energieverbraucher in der Stadt, die Erzeuger mit ihren großen Anlagen - seien es nun klassische Kraftwerke oder moderne Windparks - draußen. Es muss aber mehr Energie dort dezentral erzeugt werden, wo sie auch verbraucht wird und die Wege kurz sind. Das einfachste Beispiel dafür sind Photovoltaikanlagen für die Stromerzeugung, die durch entsprechende Fördermaßnahmen und dank einfacher Regelungen wirklich flächendeckend auf die Dächer gebracht werden sollten und auch dazu dienen können, Elektroautos aufzuladen, die für den Stadtverkehr ideal sind. Für die Wärmeerzeugung wiederum eignen sich einerseits Wärmepumpen, welche die Umgebungswärme nutzen, und andererseits effiziente Nahwärmenetze, welche die Abwärme von Industriebetrieben oder auch Rechenzentren als Wärmeenergie in die Gebäude bringen. Das klingt nach einem ziemlich komplexen Netzwerk? Belle: Das ist es auch. Bevor das komplexe Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Beteiligten aufgebaut und energetisch sinnvoll geordnet wird, müssen die jeweiligen Konzepte immer abhängig von den konkreten Gegebenheiten eines Quartiers entwickelt werden. Hier gilt es, im Vorfeld genau zu analysieren bis hin zu den Detailfragen. Beispielsweise: Wie kommt der Strom zur E-Auto-Ladestation auf dem Parkplatz? Welche baulichen Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit die Dächer die Solaranlagen auch tragen können? Und wie werden Einspeisevergütungen und steuerliche Anreize ausgestaltet? Die Themen liegen außerhalb der klassischen Aufgaben für Stadtplaner, müssen aber bereits bei der Masterplanung berücksichtigt werden. Lokalpolitiker können hier initiieren, dass kommunale Fachämter sich bei der Ausarbeitung von Bebauungsplänen für die Spezialbereiche entsprechende Expertise mit ins Boot holen müssen. Das Ergebnis nennen wir einen Technischen Masterplan. Energiewende entscheidet sich in den Städten Die nachhaltige, klimafreundliche Gestaltung von Stadtquartieren zählt zu den wichtigsten Aufgaben der Stadtplanung. Wichtig dabei sind Energieeffizienz und eine intelligente Vernetzung der verschiedenen Akteure. Im Interview erklären Gregor Grassl, Associate Partner der Drees & Sommer SE, und Iris Belle, Leading Consultant der Drees & Sommer SE, wie die Stadt der Zukunft aussieht - und woher sie ihre Energie bezieht. Bild 1: Das Blue-City- Konzept von Drees & Sommer berücksichtigt die vielschichtigen Wechselwirkungen von all dem, was eine Stadt ausmacht. © Drees & Sommer 8 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Politiker und Stadtplaner, aber auch Projektentwickler denken bei solchen Vorhaben gerne in Stadtquartieren. Warum eigentlich? Grassl: Das Quartier hat einfach die ideale Größe: Es ist einerseits groß genug, um etwas bewegen zu können und Synergieeffekte zu heben, und andererseits klein genug, um nicht den Überblick zu verlieren. Das spiegelt sich auch in den verschiedenen Förderprogrammen etwa von KfW oder BAFA wider, die sich ausdrücklich auf Stadtquartiere beziehen. Da gibt es etwa das KfW-Programm 432 „Energetische Quartierssanierung“ oder das BAFA-Programm „Wärmenetze 4.0“, die jeweils energetische Verbes- Gregor Grassl studierte Architektur in München und ist seit 2007 bei Drees & Sommer für zahlreiche Projekte im In- und Ausland verantwortlich. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt im Bereich der nachhaltigen Stadt- und Quartiersentwicklung. Er leitet Projekte vom strategischen Beraten über Entwicklung von Klimaschutzkonzepten bis hin zur Infrastruktursystemplanung internationaler Großprojekte mit City BIM. 2009 rief Gregor Grassl in der DGNB die Arbeitsgruppen „Stadtquartiere“ und später auch „Gewerbe und Industriestandorte“ ins Leben und leitete diese. 2013 wurde er von der Zukunftsinitiative der Bundesregierung in die „Nationale Plattform Zukunftsstadt“ berufen. Zu seinen jüngsten Projekten zählen The Urban Tech Republic in Berlin sowie Springpark Valley in Bad Vilbel. Sein Wissen gibt er als Dozent im Studiengang Internationales Projektmanagement (IPM) an der Hochschule für Technik (Hf T) in Stuttgart und in seinem Buch „Nachhaltige Stadtplanung“ weiter. GREGOR GRASSL ASSOCIATE PARTNER DER DREES & SOMMER SE serungen in einem solchen abgegrenzten Bereich zum Ziel haben. Und die großen Projektentwickler haben das verinnerlicht und verwirklichen dann Projekte wie das Deutzer Hafen Quartier in Köln, das Schumacher Quartier auf dem Gelände des ehemaligen Berliner Stadtflughafens Tegel oder den Beiersdorf Campus in Hamburg, die diesen Quartiersgedanken schon im Namen tragen. Und die Summe der verschiedenen Quartiere bildet dann die Stadt. Das klingt ebenfalls nach Netzwerk. Wie wichtig ist den der Netzwerkgedanke in der Stadt der Zukunft? Grassl: Die Stadt der Zukunft ist eine vernetzte Stadt. Das bezieht sich sowohl auf die Vernetzung der verschiedenen Akteure und Quartiere als auch auf die technologische Vernetzung durch die Digitalisierung. Nur wenn die Vernetzung gelingt, kann auch die Gestaltung der urbanen Energiewende gelingen. Das kann man sich etwa am Beispiel der Stromversorgung gut vorstellen: Wenn wir mittelfristig nur noch auf grünen Strom setzen wollen, wird es Phasen geben, in denen viel Strom erzeugt wird, weil der Wind stark weht und die Sonne scheint, und Phasen, in denen gerade weniger Strom erzeugt werden kann. Dann muss die überschüssige Energie in den Hochphasen irgendwo gespeichert werden - und dazu bieten sich etwa die Akkus von Elektroautos oder auch die Warmwasserspeicher in Gebäuden an. Und in Phasen, in denen gerade wenig Strom bereitgestellt werden kann, gibt es eben keinen Strom an den E-Auto-Ladestationen. Hier ist dann die digitale Nutzung energiebezogener Daten ganz entscheidend, denn nur dann können die Sektoren Strom, Wärme und Mobilität so miteinander verkoppelt werden, dass die vorhandene Energie effizient und sinnvoll genutzt werden kann. Gibt es solche intelligenten, vernetzten Projekte schon oder ist das noch Zukunftsmusik? Belle: Auf Quartiersebene gibt es schon solche Projekte. Ein Vorreiter in diesem Bereich ist zum Beispiel das aktuell in der Berliner Europa City entstehende Quartier Heidestraße. Eine eigens entwickelte Quartiers-App soll dort die künftigen Nutzer und Mieter miteinander vernetzen und ihnen ermöglichen, sich über Nachbarschaftsangelegenheiten auszutauschen und Service-Angebote wahrzunehmen. In den Bürogebäuden unterstützen die ebenfalls appbasierten Raumnutzungssysteme später die Büroorganisation. Heizung, Kühlung, Lüftung, Jalousien und vieles mehr lassen sich dann ebenso in den Wohnbereichen automatisch steuern. Auch der Energieverbrauch wird dadurch für Nutzer transparent und kann weiter optimiert werden. Bild 2: Mit dem Quartier Heidestraße in Berlin entsteht ein Vorzeigebeispiel für energieeffiziente Bauweisen, zukunftsweisende Mobilitätskonzepte und eine umfängliche Vernetzung. © Quartier Heidestraße 9 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Iris Belle studierte Architektur an der TU Karlsruhe und promovierte 2013 an der Universität Heidelberg in Geografie. Nach beruflichen Stationen in China, Singapur und der Schweiz fing sie 2019 als Projektpartnerin bei Drees & Sommer an. Ihr Aufgabenbereich im Team Smart City Development umfasst die Entwicklung von Nachhaltigkeits- und Digitalisierungskonzepten für Stadtquartiere im In- und Ausland. Als Leading Consultant bei Drees & Sommer berät sie öffentliche und private Auftraggeber und entwickelt Konzepte, um Städte lebenswerter zu machen. Dabei stützt sie sich auf ihre Forschung und Erfahrung zu Auswirkungen sozio-technischer Systeme auf die gebaute Umwelt. Aktuell begleitet sie Projekte wie die Quartiersentwicklung York und Oxford auf den Konversionsflächen in Münster. Ihr Wissen gibt Iris Belle als Lehrbeauftragte an der Stuttgarter Hochschule für Technik im internationalen Masterstudiengang Smart City Solutions weiter. DR. IRIS BELLE LEADING CONSULTANT DER DREES & SOMMER SE Grassl: Es sind schon eine ganze Reihe weiterer Städtebau-Projekte ähnlicher Machart in Planung. Nehmen Sie etwa die Urban Tech Republic in Berlin: Hier wird eindrucksvoll demonstriert, dass auch alte Netzstrukturen in höchst moderne Low-Exergie- Netze gewandelt werden können. Sowohl Bestand als auch Neubau werden auf diese Weise klimaschonend versorgt. Diese Innovation führt zudem nicht nur zu Energieeffizienz, sondern ist langfristig auch kostengünstig. Auch durch neuartige Betreibermodelle werden solche Lösungen für Entwickler wirtschaftlich attraktiv. So haben sich auf unser innovatives Infrastrukturkonzept zahlreiche Unternehmen in einem Vergabeverfahren beworben, deren Gewinner nun die innovative Infrastruktur errichten und betreiben wird. Den späteren Bewohnern und Nutzern bietet das eine optimale Versorgung, auch im Sinne der Nachhaltigkeit ausgezeichnet mit dem höchsten Quartierszertifikat der DGNB. Unser technischer Masterplan hat für dieses Projekt Synergien zwischen der Wasserinfrastruktur zur Rückkühlung des Low-Exergie-Netzes und unterschiedliche Kombinationsmöglichkeiten mit der E-Mobilität gefunden. Das zeigt eindrucksvoll, wie wichtig die Vernetzung der verschiedenen Sektoren ist, um mehr Energieeffizienz zu verwirklichen. Wie lautet denn Ihre Vision für die Stadt der Zukunft? Grassl: Die Stadt der Zukunft ist eine, die sich selbst mit Energie versorgt und in der alle Gebäude miteinander vernetzt sind. Dabei gibt es ausschließlich Erneuerbare Energien und zugleich einen höheren Wohlfühlfaktor, weil die Luftqualität besser ist: Autos sind elektrisch oder mit Wasserstoff unterwegs, wir haben intelligente, bedarfsgerechte ÖPNV-Konzepte und die Dächer werden entweder mit Dachgärten begrünt oder mit Photovoltaikanlagen versehen und zur Stromerzeugung genutzt. Belle: Aber wir müssen natürlich auch die Vergangenheit bewahren: Hierzulande gibt es wunderschöne historische Gebäude. Die sollte man nicht kaputt sanieren, sondern man kann sie in ein intelligentes Energiekonzept mit einbeziehen - sie können dann von modernen Aktivhäusern in der Nachbarschaft mitversorgt werden. Dies wird auch rechtlich mit dem neuen Gebäudeenergiegesetz vereinfacht. Auf diese Weise kann eine Symbiose von Alt und Neu gelingen. Auch wenn wir die Infrastrukturnetze in urbanen Räumen neu erfinden, können wir den Gebäudebestand weiterbauen. So bewahren wir den Charakter, der unsere Städte zur Heimat für ihre Bewohner macht und bieten den Bewohnern ein Stück Lebenskultur, das Bauphysik und Infrastrukturplanung allein nicht erreichen. Das ist wichtig, denn die Energiewende kann nur mit den Menschen gelingen. Bild 3: Auf der Fläche des ehemaligen Flughafens Berlin- Tegel entsteht ein innovativer und nachhaltiger Forschungs- und Industriepark für urbane Technologien: „Berlin T XL - The Urban Tech Republic“. Anfang 2016 wurde das Vorhaben als erstes Gewerbequartier weltweit mit dem DGNB- Nachhaltigkeits- Vorzertifikat in Platin ausgezeichnet. © Atelier Loidl_Tegel Projekt GmbH 10 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Die Innenstadt ist tot, es lebe die Innenstadt Fünf Visionen zur Innenstadt der Zukunft Stefan Schillinger Die moderne Innenstadt ist tot - zumindest fast. Eingekauft wird immer öfter online, Umsätze brechen ein, Mitarbeiter werden entlassen, Filialen geschlossen, Restaurants setzen auf Lieferdienste, den Cappuccino gibt ’s höchstens to go. Doch tot ist die Innenstadt damit nicht. Vielmehr hat sich das bisherige Konzept mit seiner Monokultur, bestehend aus austauschbaren Retail-Flächen immer gleicher Filialisten, als unrentabel erwiesen. Aktuell werden die Prozesse, die zum Untergang führen, durch die Pandemie nur weiter beschleunigt. Es lebe also die Innenstadt der Zukunft - sie ist Chance und Herausforderung zugleich. Und besitzt das Potenzial, die moderne City abzulösen. Architektur und Nutzung müssen den Menschen wieder in den Mittelpunkt ihrer Planung rücken. Gute Architektur bezieht sich nämlich nicht nur auf Formgebung, sondern im Wesentlichen auf deren Interaktion mit dem Leben in ihr und um sie. Die Frage lautet daher: Was macht die Innenstadtarchitektur mit dem Menschen? Projektentwickler, Architekten, Investoren und Nutzer müssen als Antwort auf diese Frage Ideen und Konzepte entwerfen, wie sich das vorhandene Stadtmobiliar für mehr Lebensqualität und Aufenthaltsqualität umnutzen lässt. Ihr neuer, zukunftsorientierter Leitsatz muss lauten: form follows fiction. Eine Fiktion, die jetzt gedacht werden muss. Denn: Die moderne, rein funktionalistische Idee der Innenstadt wird nach Corona nicht mehr fruchten. Weil sie lediglich auf den Konsum ausgerichtet war, nicht aber auf all die anderen, ebenso möglichen Bedürfnisse ihrer Bürger. Fakt ist, dass Investoren und Planer den Wandel angesichts vieler gesetzlicher und bürokratischer Hürden nicht allein vorantreiben können. Es braucht auch gesellschaftlichen und politischen Mut. Nachfolgend fünf Visionen, wie aus der Krise eine Chance für alle Beteiligten wird. © Rebecca Holm auf Pixabay 11 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Vision 1: Stadtplanung statt Verkehrsplanung - der Mensch ist das Maß Die Innenstädte sind gewachsen. Ihre Straßen sind gewachsen. Immer breiter geworden. Breitere Straßen - für mehr und breitere Autos. So die Devise. Wohin aber führt dieses Wachstum, und was macht es mit dem Menschen und der Stadt? Wir sollten eines nicht vergessen: So, wie wir unsere Stadt formen, formt sie uns. Wenn die Innenstadt wieder lebendig werden will, wenn sie wieder lebendig werden soll, muss sie sich dem Tempo des Menschen anpassen. Und dieses liegt in der Regel nicht bei etwa 50 oder 60 Kilometern in der Stunde, sondern bei fünf. Der Wandel, weg von der Verkehrsplanung und hin zur Stadtplanung, braucht aber mehr als diese Erkenntnis. Er braucht vor allem alternative Mobilitätskonzepte, die gefördert und ausgebaut werden. Doch das beste Mobilitätskonzept bringt nichts ohne die nötige Infrastruktur. Daher lautet die Abhilfe: Innenstädte müssen nach und nach zu Orten werden, wo es mehr Fußgänger und Radfahrer als Autos gibt. Andere Städte machen längst vor, was uns Deutschen fehlt. In Kopenhagen, der Hauptstadt unseres Nachbarlands Dänemark, sind Kinder in der Lage, problemlos auf der Straße zu spielen. Auf diese Art von Lebensqualität rekurriert die Innenstadt der Zukunft. Vision 2: Diversity nicht nur benennen, sondern leben - die soziale Stadt Der demografische Wandel und seine Auswirkungen sind in Deutschland schon länger in vielen Bereichen des Lebens sichtbar geworden. Während man sich stetig um die zukünftigen Renten und den Mangel an Fachkräften in Pflegeberufen sorgt, fehlt in den Innenstädten von solchen Problemen jede Spur. Der Grund? Auch von alten Menschen fehlt jegliche Spur. Erfahrungsgemäß suchen Menschen - auch alte - nämlich Orte auf, die sie mögen. Orte, die sie nicht mögen, meiden sie. Die monokulturalistische Entwicklung vergangener Jahre hat immer mehr dazu geführt, dass vor allem alte Menschen aus dem Stadtbild der Innenstädte verschwunden sind. Aber auch das Angebot für Kinder ist mehr als dürftig. Wer bei IKEA etwa in Ruhe einkaufen will, kann das tun. Der Grund: Das Konzept IKEA berücksichtigt in seiner Gestaltung die Bedürfnisse all seiner Besucher. Die Familie, die IKEA aufsucht, würde vielleicht auch gerne die Innenstadt aufsuchen. Man kann aber schlecht von einem dreijährigen Kind erwarten, den Einkaufsbummel der Eltern ohne Beschäftigung durchzustehen. Temporäre Betreuungseinrichtungen, gemäß dem Konzept IKEA, aber auch Spielplätze in den Innenstädten stellen eine sinnvolle Lösung dar. Spielflächen gibt es aktuell, wenn überhaupt, aber höchstens in Neubaugebieten. Nicht selten orientiert sich das Angebot zudem eher an der Pflicht zum Vorhandensein - und nicht an den Bedürfnissen der Sprösslinge. Bereits seit Längerem bestehen Vorschläge, die das Servicewohnen für Senioren, Kitas und zeitweilige Kinderbetreuung in den Innenstädten möglich machen wollen. Keine schlechte Idee. Man denke an folgendes Mixed-Use-Gebäudekonzept: hier ein paar Büros, da Verkaufsflächen und dann ein Seniorenheim und eine Kita oder eine temporäre Betreuungseinrichtung. Was spricht dagegen? Wenn wir Diversity leben wollen, darf sich die kulturelle Vielfalt keineswegs auf die Bevölkerung jüngeren und mittleren Alters beschränken. Zeitgenössische, beschleunigte moderne Innenstadtkonzepte aber sind in ihrer Gestaltung so angelegt, dass sie vor allem Touristen, Autofahrer und Einkaufslustige anziehen. Die Langsamen, die sie entschleunigen würden, finden hier keinen Platz. Durch alternative Innenstadtkonzepte kann aber gerade hier ein gemischtes Wohnen und Leben herbeigeführt werden, durch das betagtere und ganz kleine Menschen wieder Teil des Stadtbilds werden und die Kultur einer Stadt maßgeblich mitprägen. Denn Fakt ist auch: Unsere Gesellschaft wird immer älter, und wir sind noch längst nicht an der Spitze dieses Alterungsprozesses angekommen. Holen wir uns also die Senioren im Einklang mit unseren Kindern zurück in die Innenstädte. Für eine soziale Stadt, für Entschleunigung und - damit verbunden: mehr Lebensqualität. Ganz nebenbei eine nicht ganz uneigennützige Idee, da auch wir, die heute planen, älter werden. © Nick Fewings on unsplash 12 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Vision 3: Jederzeit lebendige Innenstädte durch Mixed-Use-Konzepte und neue Betreibermodelle Nur ein Teil der Menschen, die in die Innenstadt kommen, tun dies noch zum Einkaufen. Die meisten bestellen online. Das taten sie auch vor Corona schon. Kunst und Kultur, Cafés und Restaurants - Orte der Begegnung also - stellen mittlerweile eine Seltenheit in den Innenstädten dar. Wer die Münchener Neuhauser Straße, die Zeil in Frankfurt oder etwa die Schildergasse in Köln kennt, weiß, wovon die Rede ist. Eine Entwicklung mit fatalen Folgen für die Lebendigkeit der Innenstadt: Sobald die Retail- Flächen schließen, verwandelt sich selbst die höchstfrequentierte Metropolmeile in eine leere Gasse. Diesem Stadtbild fehlt das Lebendige. Bereits in früheren Jahrhunderten gab es da bessere Konzepte: Wer in die Innenstadt kam, konnte Handwerker bei der Arbeit in ihren Ateliers beobachten und mit anderen Menschen interagieren, und das auch nach Ende der gesetzlichen Ladenöffnungszeiten. Kunst und Kultur waren alltäglicher Gegenstand und Mittelpunkt der Innenstädte und der Menschen, die sie besuchten, in ihnen arbeiteten oder gar wohnten. Dabei wollen Menschen genau das. Mit anderen Menschen sein. Soll heißen: sich zu einem Kaffee, zum Essen oder gar zu einem Konzert verabreden. Miteinander ratschen. Alles postcorona versteht sich. Wir müssen zurück zur Cappuccinokultur, in der Innenstädte Orte des Erlebnisses und des Austauschs sind. Erlebnisse, in denen wir Kunst und Kultur, aber auch Menschen erleben und einander tagtäglich begegnen. Holen wir uns das Kiezgefühl aus Kreuzberg oder Altschwabing zurück in die Herzen unserer Metropolen: ein Nebeneinander von kulturellem und intellektuellem Müßiggang, Leben und Kommerz. Möglich ist diese Art der Lebensqualität jedoch nur, wenn wir die Durchmischung durch multifunktionale, anpassbare Konzepte anstreben und anregen. Während sich die Zusammensetzung der verschiedenen Nutzungen an den jeweiligen lokalen Bedingungen orientieren muss, erweist sich die Kleinteiligkeit mit komplementären Eigenschaften als Muss. Denn nur so lässt sich sicherstellen, dass die Innenstadt auch zeitlich durchmischt ist und nach Ladenschluss noch Leben in sich birgt. Konkreter: Die viergeschossige Retail-Fläche muss ab sofort Platz für kleinere Shops, Büros, Makerspaces, Ateliers, Urban Gardening, Logistik-Hubs, Kitas, altersgruppenübergreifendes Servicewohnen und vieles mehr bieten. Synergie lautet das Credo dieses Konzepts. Der Vater, der kurz einkaufen und sich zum kreativen Arbeiten in den Makerspace begeben will, sollte die Möglichkeit haben, sein Kind währenddessen in der Betreuungseinrichtung behütet zu wissen und ein Theaterstück oder sogar noch die Eltern im Wohnheim zu besuchen. Erreichen können wir diesen Standard aber nur durch das Zusammenspiel von Architekten, Investoren, Projektentwicklern und Nutzern, die multifunktionale Mixed-Use-Konzepte entwerfen, die ökonomisch, ökologisch und sozial tragbar sind. Um die mit der Nutzungsmischung einhergehende Flexibilität zu ermöglichen, braucht es jedoch mehr als ein Konzept - es braucht neuartige Betreibermodelle und insbesondere den Mut und die Bereitschaft der Vermieter, diese zu implementieren. Diejenigen Vermieter, die ihre Gebäude kuratieren oder kuratieren lassen, wirken aktiv auf Gestaltung, Flexibilität und Resilienz ihrer Objekte Bilder (oben, Mitte, unten): Im Münchner Stadtteil Berg am Laim entsteht seit Herbst 2017 das urbane Büro- und Geschäftsquartier „DIE MACHEREI“. © ACCUMUL ATA Real Estate Group GmbH 13 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt ein und sichern so deren langfristige Wertstabilität. Anstelle der kurzfristig gedachten Vermietung der letzten Fläche an den höchstbietenden, immer gleichen Mieter entscheidet der Kurator über einen sozial, ökonomisch und ökologisch sinnvollen Mietermix unter Einbeziehung des Mixed-Use-Gedankens. Die Idee umfasst jedoch mehr als einen Gedanken. Sie enthält zugleich einen Appell an die Politik: Um die Mischung der verschiedenen Nutzungen auf engstem Raum zu ermöglichen, benötigen wir dringend eine Liberalisierung unseres Baurechts in Deutschland. Nur so werden wir echte Urbanität erzielen. Hier lohnt ein Blick auf die Städte unserer europäischen Nachbarländer. Vision 4: Mit nachhaltiger Architektur zu mehr und authentischer Nachhaltigkeit Während viele Probleme durch die Corona-Pandemie verstärkt zutage treten, rücken andere wiederum in den Hintergrund. Das akute Problem des Klimawandels etwa wird derzeit überlagert durch die Corona-Krise. Das Problem jedoch besteht weiterhin: Wir müssen die Dekarbonisierung vorantreiben. Die Art und Weise, wie wir unsere Städte denken und bauen, ist nicht nachhaltig genug. Nachhaltigkeit - kaum ein Begriff wird heutzutage wohl so inflationär genutzt. Er kann sehr vieles meinen, aber wenig fordern. Zumindest in seiner Umsetzung. In den deutschen Städten reicht der Gedanke der Nachhaltigkeit oft nur so weit, dass über Solaranlagen, grüne Dächer und Grünflächen gesprochen wird. Doch der Begriff Nachhaltigkeit bedeutet viel mehr. Er besitzt immer soziale, ökonomische und ökologische Komponenten. Somit reicht es eben nicht mehr, neue Gebäude zu bauen und ihre Dächer zu begrünen und mit Solaranlagen auszustatten. Authentische Nachhaltigkeit bezieht zunächst immer den vorhandenen Gebäudebestand mit ins Kalkül. Bei bereits vorhandenen Gebäuden sollte die Revitalisierung hinsichtlich der in ihnen enthaltenen grauen Energie immer als Erstes in Betracht gezogen werden. Selbst wenn der Bestand sich als unwirtschaftlich erweist und keine Grundlage für neue Nutzungsmöglichkeiten darstellt, kann beim Neubau immer noch auf recycelte Materialien gesetzt werden. Auch andere energieeffiziente Baustoffe, wie etwa Holz, erweisen sich immer mehr als echte und klimatisch sinnvolle Alternative zum herkömmlichen Betonbau. Fakt ist: Es gibt unzählige Möglichkeiten und Bausteine, die Dekarbonisierung voranzutreiben. Und Fakt ist auch: Durch die Gesamtheit aller Kriterien entstehen Konzepte, die flexibel und damit resilient sind. Sie entsprechen den Sustainable Development Goals (SDG) der UN. Viele Unternehmen und Anleger scheuen sich (noch) vor derartigen Investitionen. Dabei zeigt sich längst, dass diese nachhaltige Art zu investieren eine viel stabilere Rendite abwirft. Warum also als Unternehmen oder Privatperson nicht in unsere Städte investieren und die Stadt und Innenstadt der Zukunft nach nachhaltigen Kriterien qualitativ lebenswerter mitgestalten? Vision 5: Zukünftige Quartiersentwicklung - gesunde Stadt, gesunde Menschen Aktuell gibt es einige Überlegungen zur 15-Minuten- Stadt, die durch die Pandemie verstärkt zutage treten. So simpel sich die Idee dahinter präsentiert, so genial ist sie: Alle lebensnotwendigen Geschäfte und Einrichtungen innerhalb eines Quartiers sollen künftig fußläufig innerhalb einer Viertelstunde erreichbar sein. Was zunächst utopisch anmutet, lässt sich peu à peu gut umsetzen. Anstelle eines radikalen Bruchs mit dem bisherigen Stadtbild liegt es an den Architekten der Stadt, die Menschen nach und nach mitzunehmen. Hier eine schmalere Autospur, dort eine gesperrte Straße, die Fußgängerzone und Radwege erweitern und so weiter. Sogar Millionenmetropolen wie Paris ergreifen gegenwärtig Maßnahmen, die die 15-Minuten-Stadt in Gang bringen sollen. Das könnte deutschen Städten gleichermaßen gelingen. Menschen brauchen immer Zeit zur Umgewöhnung. Gerade aus diesem Grund bieten sich vor allem kleinere Veränderungen zur stetigen Veränderung des Stadtbilds an. Im Münchener Stadtviertel Berg am Laim entsteht mit „DIE MACHEREI“ beispielsweise derzeit ein Mixed-Use- Quartier, das Mietern und Anwohnern gleichermaßen kurze Wege bietet. Diese Art der Quartiersentwicklung birgt nicht nur mehr Lebensqualität. Sie verändert auch die Lebensbedingungen ihrer Bürger, indem sie auf deren Gesundheit einwirkt. Kurze Wege nämlich sind immer ein Anreiz, sich mehr zu bewegen. Saubere Luft und lebendigere Innenstädte ebenso. Das Ziel der neuen Quartiersentwicklung wie auch der Innenstadt der Zukunft lautet also: ein gesünderes Leben in einer lebenswerteren, durchmischteren, nachhaltigeren und lebendigeren Stadt. Stefan Schillinger Managing Partner ACCUMULATA Real Estate Group GmbH Kontakt: info@accumulata.de AUTOR 14 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Eine neue attraktive Innenstadt ist mit dem Projekt „Kleiner Kiel- Kanal“ geschaffen worden - ein Anziehungspunkt für Kieler und Besucher, der zum Flanieren und Entspannen einlädt. Einst war die Holstenbrücke eine sechsspurige Hauptverkehrsstraße und von Lärm geprägt. Heute fährt dort lediglich der öffentliche Busverkehr entlang, was entscheidend die Abgase in der Innenstadt verringert. Doch nur gemeinsam konnte das Projekt zum Erfolg werden. So hat die Stadt Kiel die Bürger bei der Planung intensiv mit eingebunden. Deren Wünsche und Bedürfnisse nach mehr Sitzmöglichkeiten direkt am Wasser, Wasserspiele und mehr Vegetation konnten somit umgesetzt werden. Ein weiteres Anliegen war es, das Stadtimage aufzuwerten und den Einzelhandel zu stärken. Ebenso spielte das Stadtklima eine bedeutende Rolle. Zwei Wasserbecken verbinden optisch den Bootshafen mit dem Kleinen Kiel. Bei den Bauminseln am Südbecken fiel die Wahl auf Spitzahorne, die weitestgehend resistent gegen Blattläuse sind. Für das Nordbecken entschied man sich für Sumpfeichen. Beide Baumarten vertragen das Großstadtklima sehr gut. Nicht ohne Grund hat die Stadt Kiel für die nachhaltige Stadtentwicklung den Deutschen Nachhaltigskeitspreis 2021 erhalten. Zudem erhielt das neue Zentrum beim Wettbewerb um den Deutschen Landschaftsarchitektur-Preis 2021 eine Auszeichnung im Bereich „Öffentlicher Raum als Zentrum“. So ist der neue „Holstenfleet“ ruhig, umwelt- und klimafreundlich. Weniger Straße und mehr Freiräume Das Erscheinungsbild der Holstenbrücke hat sich nach der Umsetzung der Ideen grundlegend positiv verändert. Wo zuvor eine mehrspurige Straße kaum Raum für Passanten ließ, sind heute großzügige Flächen als Erholungs- und Entspannungsraum entstanden. Darin integriert sind zwei Wasserbecken, die das maritime Flair widerspiegeln. Der neue „Holstenfleet“ ermöglicht es der Gastronomie darüber hinaus, entlang der Promenade Außensitzplätze anzubieten. Die bisherigen Verkehrsflächen für Bahn, Bus, Radfahrer und Fußgänger wurden neu strukturiert, so dass eine große Fläche entstand, die den Individualverkehr mit dem Auto ausschließt. Gekonnt wurde auf konventionelle Straßenbauelemente verzichtet. Stattdessen sorgen zurückhaltende Markierungen, taktile Bodenindikatoren und verschiedenfarbige Pflasterungen für Orientierung und barrierefreie Zugänge zu allen Bereichen. Für die Freiflächen wurde, Der Kleine Kiel-Kanal: Kiels neue Innenstadt Effizientes Entwässerungskonzept für Freiflächen Bild 1: Das neue Gesicht der Kieler Innenstadt - Blick auf das Südbecken. © ACO 15 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur in Zusammenarbeit mit den ACO Tiefbau-Ingenieuren, ein cleveres Entwässerungskonzept erarbeitet. Das Bestreben war, die Gestaltung der Flächen davon weitestgehend unberührt zu lassen. Für eine optimal dimensionierte Entwässerung wurde dabei der Abflussbeiwert und die Regenspende berücksichtigt. In den Verkehrs- und Vegetationsflächen rund um den „Holstenfleet“ wurden unter anderem Straßenabläufe ACO Combipoint mit Rosten im ACO Multitop- Design verbaut. Der Einbau ist leicht, da kein schweres Hebegerät für das Setzen der Abläufe benötigt wird. Der Combipoint ist aus Kunststoff (PP) und dreh-, neigsowie teleskopierbar. Durch den Wegfall von Ausgleichsringen und Mörtelfugen werden Verkehrsbelastungen dauerhaft in die angrenzenden Tragschichten abgeleitet. In Kombination mit den Multitop Guss-Aufsätzen sorgt die PEWEPREN-Einlage im Rahmen für eine dauerhafte Geräuschminderung. Die an der Holstenbrücke verbauten Straßenabläufe sind in Rampensteine eingepasst. Sie stellen eine sichere und gleichzeitig dezente Entwässerung dar. Darüber hinaus wurden freitragende ACO Baumschutzroste eingesetzt, die den Boden der neu gepflanzten Sumpfeichen vor einer zu starken Verdichtung schützen und gleichzeitig für eine ausreichende Wasserversorgung der Wurzeln sorgen. Das Südbecken - Leben am und mit dem Wasser Das Thema Wasser bestimmt in vielerlei Hinsicht das neue Gesicht der Holstenbrücke. Im Umfeld des zirka 60 Meter langen und 27 Meter breiten Südbeckens wurde das Rinnensystem ACO DRAIN ® Multiline Seal in mit Schlitzrahmen eingebaut. Diese Art der Entwässerung von Freiflächen integriert sich unauffällig in das Belagskonzept. Dabei sind die Rinnenkörper unter den Belägen aus Holz und Betonplatten verborgen. Lediglich ein schmaler sichtbarer Schlitz sorgt für eine effiziente Aufnahme des Oberflächenwassers. Eine Attraktion besonderer Art sind drei in das Südbecken integrierte Inseln, die wie flache Kieselsteine in das Wasser ragen. Davon ist eine Insel mit einem Holzdeck versehen und kann als Sitz- und Liegefläche genutzt werden. In die anderen beiden Inseln ist eine Brunnenanlage mit Wasserspielen integriert. Um das Wasserspiel herum sind Edelstahl-Schlitzrinnen der Firma Inotec angeordnet. Sie nehmen das heraussprudelnde Wasser auf und geben es in den Kreislauf zurück. Eine weitere Brunnenanlage befindet sich am Ende des Nordbeckens, direkt am historischen Ahlmann-Haus. Um die Brunnenanlage regelmäßig zu warten, befindet sich die Technik in den Schächten gegenüber den Inseln. Gewählt wurden Sonderabdeckungen mit Einstiegshilfe und befüllbarer/ auspflasterbarer Oberfläche der Firma ACO Passavant Detego. Sie integrieren sich bestens in die Fläche und geben ein ästhetisches Gesamtbild ab. Verweilen am Nordbecken mit seinen Holzdecks Entlang der rund 170 Meter langen und 9 Meter breiten Wasserfläche laden Wege, Flächen und Sitzbänke zum Flanieren und Verweilen ein. Parallel zum Becken Nord verlaufend ist ein zwei Meter breiter Bodenfilter mit Kolbenblütiger Kalmus und Schilf bepflanzt. Deren Wurzelstock wird besonders groß, so dass sich darin Bakterien bilden können. So erhält dieses natürliche Reinigungssystem, unterstützt von mechanischen Filtern und technischen Anlagen, dauerhaft die angestrebte Wasserqualität im Kleinen Kiel-Kanal. Zugleich wirkt der Schilffilter als klimaaktive Verdunstungsfläche in der Innenstadt. Parallel zum Nordbecken verlaufen Holzdecks, die als Lauf- und Sitzflächen angeordnet sind. Unterhalb der Holzdecks befinden sich ACO DRAIN ® Multiline Seal in Rinnen mit Stegrost-Abdeckungen. Sie entwässern die Fläche zuverlässig und schnell. Die Dichtung am Rinnenstoß sorgt dafür, dass das aufgenommene Wasser vollständig in die Kanalisation abgeleitet wird. So treten keine Schäden am Bauwerk aufgrund von Sickerwasser auf. ACO Tiefbau Vertrieb GmbH Am Ahlmannkai 24782 Büdelsdorf www.aco-tiefbau.de tiefbau@aco.com KONTAKT Bild 2 (oben): Südbecken - Auspflasterbare Sonderabdeckungen für die Technikschächte der Brunnenanlage. © ACO Bild 3 (unten): Das Nordbecken mit seinen Holzdecks, die als Lauf- und Sitzfläche dienen. © ACO 16 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Eine Allee für klimafreundliche Mobilität Die ÖPNV-Rad-Trasse in Ludwigsburg Klimaschutz, Umweltverbund, Mobilität, ÖPNV, Radverkehr, Straßenraum, Bürgerbeteiligung Hendrik Beeh, Adrian H. Messe Ein ambitioniertes Projekt für einen modernen und klimafreundlichen Verkehr: Auf einer Länge von knapp 10 Kilometern möchte die Stadt Ludwigsburg in Baden-Württemberg dem Rad- und Busverkehr mehr Platz zur Verfügung stellen. Freie Fahrt für Fahrräder und Busse soll Bürger*innen zum Umstieg auf umweltfreundliche Verkehrsmittel animieren. Emissionen von Lärm, Luftschadstoffen und Treibhausgasen sollen sinken. Ein integrierter Planungsansatz unter Mitwirkung von Expert*innen aus Verkehrs-, Stadt-, Umwelt- und Freiraumplanung stellt sicher, dass die Planung der Trasse kein reines Infrastrukturprojekt bleibt, sondern freiwerdende Potenziale für die Aufwertung des öffentlichen Raums durch den Aus- und Aufbau von Stadtgrün, Aufenthalts- und Erholungsflächen erkannt und genutzt werden. Gleichzeitig weist das Projekt weiter in die Zukunft: Mit der Planung der „Bus-Rad-Trasse“ wird parallel die Machbarkeit einer Niederflurstadtbahn, die perspektivisch auch die umliegenden Gemeinden an das Stadtzentrum anbinden soll, geprüft. Ludwigsburg ist eine Modellkommune des „Kompetenznetz Klima Mobil“. Bild 1: Residenzschloss Ludwigsburg. © Staatliche Schlösser und Gärten Baden- Württemberg, Achim Mende 17 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität prachtvollen Barockresidenz als Alternative zum als nicht mehr zeitgemäß empfundenen Stuttgarter Alten Schloss. Seine Ambitionen auf die Erlangung der Kurwürde des Heiligen Römischen Reiches suchte Herzog Eberhard Ludwig ab 1709 mit der Gründung einer neuen Stadt zu unterstreichen. So entstand um das heute größte unzerstörte Barockschloss Deutschlands eine am Reißbrett entworfene Planstadt; das rechtwinklige Straßenmuster im Stadtzentrum und die weitläufigen Alleen dieser Zeit verliehen der Garnisonsstadt den Beinamen „Schwäbisches Potsdam“ und prägen das Stadtbild bis heute. Die Motorisierung ging nicht spurlos an der Stadt vorüber. Ehemals breit angelegte Alleen und Prachtstraßen wurden in der Nachkriegszeit zunehmend für den Autoverkehr erschlossen, heute queren drei Landesstraßen und die stellenweise sechsspurig ausgebaute Bundesstraße B 27 mit knapp 70 000 Fahrzeugen pro Tag das Ludwigsburger Stadtzentrum. Von Einzelmaßnahmen zur gesamtstädtischen Netzstrategie Die Stadt Ludwigsburg kann in den Bereichen ÖPNV und Radverkehr bereits auf einige Erfolge zurückblicken. So verkehren die städtischen Buslinien bereits bis in die Abendstunden im Zehn- Minuten-Takt. Das ist ein Standard, den in der Metropolregion sonst nur die Landeshauptstadt Stuttgart vorweisen kann. Zudem wurde ein dynamisches Fahrgastinformationssystem aufgebaut. Zahlreiche Haltestellen sind barrierefrei. Die Pünktlichkeit der in dichter Taktung verkehrenden Buslinien wird auch in Stoßzeiten durch besondere Infrastruktur sichergestellt. So wurden am ZOB Bild 2: Luftbild: Visualisierung der ÖNPV-Rad-Trasse im Raum Ludwigsburg. © T TK / BERNARD GRUPPE / berchtoldkrass / bauchplan. Die Stadt Ludwigsburg: Barocke Residenzstadt und „Schwäbisches Potsdam“ Mit der Planung der ÖPNV- Rad-Trasse greift die Stadt Ludwigsburg auf lokale historische Begebenheiten zurück: Ein Ziel des Trassenprojektes ist es, die historisch geplanten barocken Alleen teilweise zu reaktivieren und erlebbar zu machen. Um das Projekt also in seiner Gänze zu verstehen, lohnt ein Blick in die Geschichte der Stadt, die zwischen 1718 und 1733 und erneut zwischen 1775 und 1797 Residenzstadt der Herzöge von Württemberg war. Etwa 12 Kilometer nördlich des heutigen Stadtzentrums der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart gelegen, ließ Herzog Eberhard Ludwig ab 1704 das Residenzschloss in Ludwigsburg errichten. Zunächst lediglich als Jagdschloss geplant, folgte bald der Ausbau zu einer 18 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität und im Stadtteil Neckarweihingen zwei Busschleusen errichtet, auf einigen viel befahrenen Straßen sind Busse auf eigens für sie eingerichteten Busspuren unterwegs und werden an Lichtsignalanlagen durch ein digitales Steuerungssystem bevorrechtigt. Im Radverkehr konnten zudem zahlreiche im 2014 beschlossenen „Radroutenkonzept 2025“ enthaltenen Routen umgesetzt werden. Ein gutes Beispiel ist die Ausweisung eines Radweges mit separaten Spuren für den Radverkehr unter Wegfall von zwei Fahrstreifen des KFZ-Verkehrs entlang der Marbacher Straße in Ludwigsburg. Im Zusammenspiel mit neuen Busstationen und Streifenabschnitten, die ausschließlich für den Busverkehr freigegeben sind, sowie mit einem Konzept für Entschleunigung und Geschwindigkeitskontrolle weißt die Marbacher Straße in Ludwigsburg viele moderne Verkehrskonzepte gebündelt auf. Trotz dieser Erfolge sieht die Stadt Ludwigsburg weiterhin Lücken und Verbesserungspotenziale für den Umweltverbund. So soll auf Linien, die bereits im Zehn-Minuten-Takt verkehren, nun die Verbesserung der Zugänglichkeit, der Zuverlässigkeit und des Komforts angegangen werden. Ferner werden nach und nach viele Busstationen mit digitalen Anzeigen versehen. Im Radverkehr möchte man einige letzte, noch vergleichsweise nicht optimal an das städtische Radwegenetz angebundene Stadtteile sowie das Klinikum Ludwigsburg in das Wegenetz integrieren. Um sich dabei nicht in Einzelplanungen zu verlieren, sollen Bus- und Radverkehr auf einem zentralen Korridor durch das gesamte Stadtgebiet gebündelt werden. Beginnend in der Ludwigsburger Weststadt, über die Innenstadt und den Stadtteil Oßweil, bis zur Kreuzung der zwei Landesstraßen L 1100 und L 1140 bei Neckargröningen (Remseck) soll das Projekt Netzlücken schließen und so eine Stammstrecke für den Umweltverbund entstehen. Auf dieser sollen künftig Busse und Fahrräder auf jeweils eigens für sie eingerichteten Spuren schnell, sicher, komfortabel und zuverlässig ans Ziel kommen. Die vielen Maßnahmen bringen also eine umfassende Neuordnung des Straßenraums mit sich, denn in der dicht bebauten Stadt stehen Flächen nicht unbegrenzt zur Verfügung. Um den Umweltverbund also im geplanten Maße zentraler platzieren zu können, sollen auch Flächen, die bisher dem motorisierten Individualverkehr (MIV) zur Verfügung stehen, künftig anders genutzt werden. Die Planung der ÖPNV-Rad- Trasse ist Teil dieser groß angelegten Transformationsstrategie. Sie fällt zeitlich mit mehreren städtebaulichen Projekten und Straßensanierungsmaßnahmen zusammen. Betrachtet werden sollen daher nicht nur die Trasse als Verkehrsprojekt, sondern auch die im Zuge ihres Baus auftauchenden städtebaulichen und stadtplanerischen Potenziale. ÖPNV-Rad-Trasse, Maßnahmen des Fußverkehrs, der Aufbau von Sharing-Angeboten und Umsteigepunkten sowie Projekte von Stadt-, Freiraum- und Umweltplanung finden zusammen in einem städtebaulichen Gesamtprojekt, das die Stadt flächendeckend verkehrlich beruhigt, den urbanen Raum durch neue Flächen für Aufenthalt, Erholung und soziale Aktivitäten aufwertet und durch neues Stadtgrün auch das Stadtklima verbessert. Gleichzeitig bewirkt der integrierte Planungsansatz eine Minimierung der Kosten für die öffentliche Hand. Die ÖPNV-Rad-Trasse als Verbundprojekt Nachdem der Ludwigsburger Gemeinderat im Juli 2020 grünes Licht für den Start der Gesamtplanung gegeben hatte, begann die Suche nach geeigneten Planungsbüros. Die Planung der Gesamttrasse wurde dabei auf insgesamt sechs Lose aufgeteilt - davon fünf räumliche Lose für die einzelnen Planungsabschnitte und ein Fachlos für die signaltechnische Konzeption in enger Bild 2: Orientierung in Ludwigsburg. © karosieben auf Pixabay 19 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Abstimmung mit den baulichen Planungen. Besonderes Augenmerk legte die Stadt Ludwigsburg dabei auf die Sicherstellung des integrierten Planungsansatzes unter Berücksichtigung von Verkehrs-, Stadt-, Umwelt- und Freiraumplanung. Als Ergebnis einer europaweiten zweistufigen Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb konnten sich zwei Planungsgemeinschaften durchsetzen. Die Stadt Ludwigsburg beauftragte im Oktober 2020 zum einen die Planungsgemeinschaft um die Schüßler Plan Ingenieurgesellschaft mbH, welche die Trasse in der Innenstadt, in der Schorndorfer Straße, in Oßweil sowie durch das zukünftige Wohngebiet „Fuchshof“ planen wird. Weiterer Vertragspartner ist das Konsortium um die Planungsgemeinschaft TTK GmbH. Diese Gemeinschaft führt die Planungen in der Ludwigsburger Weststadt und entlang der L 1140 durch und untersucht die vollständige Signaltechnik und Ampelsteuerung entlang der Trasse. Insgesamt wird die Stadt von neun Unternehmen unterstützt. Oberbürgermeister Dr. Matthias Knecht erklärte zur Vertragsunterzeichnung am 15. und 16. Oktober: „Wir freuen uns ganz besonders, dass wir für unsere ÖPNV-Rad-Trasse renommierte und erfahrene Büros an unserer Seite haben. Das Projekt ist ein entscheidender Beitrag für klimafreundliche Mobilität in Ludwigsburg.“ Bürgermeister Michael Ilk, der Anfang Oktober die Verträge unterzeichnet hat, fügte hinzu: „Es war uns wichtig, Fachleute zu finden, die sich als Planende verantwortlich für den ganzen Stadtraum fühlen. Das ist gelungen. Den Büros ist bewusst, dass sie Lebensraum für Menschen gestalten - und nicht nur Verkehrsinfrastruktur planen.“ Modellprojekt für Klimaschutz im Verkehr Nicht nur das Stadtklima soll durch den Ausbau von Grünflächen und den Aufbau neuer Baumquartiere verbessert werden. Die Stadtverwaltung Ludwigsburg sieht ihr Projekt auch als entscheidenden Schritt in Richtung einer klimafreundlichen Verkehrswende - mit der Stärkung des Umweltverbunds soll dessen Anteil am städtischen Gesamtverkehr entscheidend gesteigert und der des Autoverkehrs entsprechend verringert werden. So möchte die Stadt ihren Beitrag zum Ziel der baden-württembergischen Landesregierung leisten, den Treibhausgasausstoß im Verkehrssektor bis 2030 um 40 Prozent zu senken. Für die Stadtverwaltung war es also ein logischer Schritt, sich mit ihrem Projekt am Bewerbungsaufruf „Mutig voran beim Klimaschutz im Verkehr“ des Kompetenznetz Klima Mobil zu beteiligen. Im Rahmen dieses Aufrufes suchte das Kompetenznetz 15 Modellkommunen in ganz Baden-Württemberg, die in den kommenden Jahren ambitionierte Verkehrsprojekte umsetzen möchten, mit dem Ziel, den Treibhausgasausstoß des Verkehrs entscheidend zu verringern. Planung gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern Im Sommer 2020 entschied die Fachjury des Kompetenznetz Klima Mobil nach Ende des Das Kompetenznetz Klima Mobil ist ein Beratungs- und Vernetzungsangebot für Kommunen in Baden-Württemberg mit dem Ziel, in den nächsten Jahren die Umsetzung von hochwirksamen Maßnahmen zum Klimaschutz im Verkehr umzusetzen. Das Projekt wurde von der Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg (NVBW) in Kooperation mit der Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg (KEA-BW) ins Leben gerufen und wird inhaltlich und fachlich von einem Expertenbeirat aus Angehörigen von mehr als 20 Institutionen aus Hochschulen, Forschungsinstituten, Verbänden und Politik unterstützt. Das Kompetenznetz berät mit vier Projektberater*innen Kommunen zur Planung, und Umsetzung hochwirksamer Maßnahmen aus den Handlungsfeldern „Parkraummanagement und Umnutzung von Straßenraum“, „Verkehrsberuhigung und Straßenraumgestaltung“ und „Bevorrechtigung umweltfreundlicher Verkehre“. Neben den 15 Modellkommunen, die durch externe Planungs- und Kommunikationsexperten intensiv bei der Umsetzung erster hochwirksamer Modellprojekte unterstützt werden, gehören dem Netzwerk mehr als 70 Kommunen und Landkreise an, die durch persönliche Beratung, Fachveranstaltungen und einer zentralen Kommunikationskampagne von ihrer Mitgliedschaft profitieren. Beitritte ins Netzwerk sind laufend möglich, Mitgliedschaft und Beratung sind kostenlos. Gefördert wird das Kompetenznetz Klima Mobil durch die Bundesrepublik Deutschland. Zuwendungsgeber ist das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages, im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative (NKI). Die Fördersumme beträgt 2,3 Mio. Euro. Das Verkehrsministerium Baden-Württembergs beteiligt sich mit einem ähnlichen Betrag und unterstützt das Kompetenznetz inhaltlich. Die Gesamtkoordination erfolgt durch das Team in Stuttgart. Weiterführende Infos sind auf der Webseite zu finden: https: / / www.klimaschutz-bewegt.de/ DAS KOMPETENZNETZ KLIMA MOBIL 20 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Bewerbungsaufrufs, die Stadt Ludwigsburg als eine von 15 Modellkommunen für den Klimaschutz im Verkehr auszuwählen. Während die übrigen Modellkommunen für die Umsetzung ihrer Projekte fachliche Unterstützung durch Planungs- und Kommunikationsexperten erhalten, stellt das Ludwigsburger Modellprojekt insofern eine Besonderheit dar, als die Planungsleistungen unabhängig vom Bewerbungsaufruf von der Stadt selbst vergeben wurden. Unterstützung erhofft sich die Stadt durch den Status als Modellkommune daher vor allem in den Bereichen Kommunikation und Beteiligung. „Bei einem komplexen Vorhaben, das die Stadt verändern wird, müssen wir die Menschen mitnehmen. Die Planungen für das Projekt hat die Stadt Ludwigsburg angeschoben, jetzt geht es darum, auf Basis der Planungen, die im Herbst beginnen werden, den richtigen Fördermittelmix zu finden und die Menschen in der Stadt für das Projekt zu begeistern. Das Kompetenznetz Klima Mobil bietet für die Stadt Ludwigsburg die richtigen Bausteine zum richtigen Zeitpunkt an. Sowohl der fachkundige Austausch zur Fördermittelakquise und insbesondere der Aufbau einer Kommunikationsstrategie ergänzen unsere Aktivitäten und können das Projekt sehr gut voranbringen“, so Bürgermeister Michael Ilk hinsichtlich der Bewerbung der Kommune beim Kompetenznetz Klima Mobil. Als weiterer Projektpartner steht der Stadt Ludwigsburg neben dem Team des Kompetenznetzes Klima Mobil somit künftig die vom Kompetenznetz beauftragte Agentur Zebralog zur Seite, die sich auf Kommunikation und Beteiligung spezialisiert hat. Eine frühzeitige und zielgerichte- Hendrik Beeh Regionaler Projektberater Kompetenznetz Klima Mobil Regierungsbezirk Stuttgart Kontakt: Hendrik.Beeh@nvbw.de Adrian H. Messe Strategische Kommunikation Kompetenznetz Klima Mobil Kontakt: Adrian.Messe@nvbw.de AUTOREN te Einbindung der Ludwigsburger Bürger*innen soll sicherstellen, dass die Stadtbevölkerung mitgenommen und das Projekt nicht an dieser vorbeigeplant wird, sowie die Maßnahme im nachhaltigen Image der Stadt verankern. Wie geht es weiter? Aktuell laufen die Planungen an der Trasse, die Beteiligungs- und Kommunikationsstrategie wird vorbereitet, um die Planungen der Bevölkerung vorzustellen und sie in diese miteinzubeziehen. Der Beginn erster baulicher Maßnahmen ist nach einer Zustimmung des Stadtrates für das Jahr 2022 geplant. Der Bau der Trasse soll abschnittsweise, jeweils in Bereichen, in denen zu den jeweiligen Zeitpunkten ohnehin Baumaßnahmen anstehen, erfolgen. Zudem soll die Fertigstellung jeden Teilabschnitts bereits Verbesserungen für den Radverkehr und den ÖPNV mit sich bringen. Für 2025 ist vorbehaltlich der Genehmigung in einzelnen Neubau-Abschnitten, zum Beispiel auf Remsecker Gemarkung, die Inbetriebnahme der Gesamttrasse vorgesehen. Sollte der Erfolg sich einstellen und dazu führen, dass die Bedienung mit Bussen nicht mehr reichen sollte, macht ein Upgrade Sinn. Bei der Planung wird deshalb der zukünftige Ausbau für eine Niederflurstadtbahn geprüft. Insbesondere im Innenstadtbereich mit seinen knappen Flächenreserven ist deswegen bei den aktuellen Planungen darauf zu achten, dass Flächen, die später für den Bau der Stadtbahn benötigt werden könnten, nicht „verbaut“ werden. Gleichzeitig sollen die beim Bau der Trasse für den ÖPNV vorgesehenen Anlagen perspektivisch auch für eine Stadtbahn zur Verfügung stehen. Fazit: Klimaschutz im kommunalen Verkehr benötigt Fachkompetenz, Kommunikation und Mut zur Veränderung. Ludwigsburg steht als große Kreisstadt in der Metropolregion Stuttgart vor großen Herausforderungen beim Verkehr. Mit jahrelangem Knowhow und vielen bereits umgesetzten Projekten und Maßnahmen kann sie auf einige Erfolge zurückblicken. Die Herangehensweise, künftig verstärkt auf Beteiligungskonzepte zu setzen, ist zukunftsweisend: Anstelle einer Fragmentierung von Partikularinteressen durch Einzelkommunikation bietet Ludwigsburg die Möglichkeit an dem Transformationsprozess umfassend Teil zu haben. Die Steuerung der Kommunikation diverser Abschnitte durch einen einzelnen Dienstleister, wie es beim Kompetenznetz geschieht, erlaubt dabei einen kommunikativ-systemischen Überblick. Es geht nicht nur um Mitnahme und Überzeugung, sondern um integrative kommunale Kommunikation. Der Weg zur modernen Stadt im 21. Jahrhundert führt weg von einer rein autogerechten Planung hin zu einer Perspektive, in welcher der Mensch im Mittelpunkt steht. Gegründet im Jahr 1990, liefert Trialog seit mehr als drei Jahrzehnten zielgruppenspezifische Informationen für Entscheider in technischen Branchen. Die Trialog Publishers Verlagsgesellschaft ist ein spezialisiertes Medienunternehmen mit klassischen und digitalen Publikationen für Ingenieure, technische Fach- und Führungskräfte und Experten aus Wissenschaft und Forschung. Die crossmedialen Fachmedien des Verlags sind darauf ausgerichtet, diese Zielgruppen in Beruf und Karriere professionell zu unterstützen. Bei Trialog Publishers erscheinen die technisch-wissenschaftlichen Fachmagazine »Internationales Verkehrswesen« (mit den englischsprachigen Specials »International Transportation«) sowie »Transforming Cities | Das Fachmagazin zum urbanen Wandel«. ... sind verlässliche Informationen Trialog Publishers Verlagsgesellschaft | 72270 Baiersbronn | Schliffkopfstraße 22 | www.trialog.de © Gerd Altmann auf Pixabay Was zählt ... 22 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Positive Wirkungen durch Kombination Dachbegrünungen haben viele positive Wirkungen, die bei einer Kombination mit Photovoltaik besonders ins Gewicht fallen. Werden auflastgehaltene Solar-Gründachsysteme verwendet, ergeben sich daraus weitere Vorteile. Schutz der Dachabdichtung: Die Dachbegrünung schützt im Gegensatz zu unbegrünten Dachflächen die empfindliche Dachabdichtung nicht nur vor Extremtemperaturen und Hagelschlag, sondern auch vor Trittbelastung bei Wartungsgängen. Die Reparatur- und Sanierungsanfälligkeit ist deutlich geringer, wenn die Dachabdichtung durch eine Begrünung geschützt ist. Bei auflastgehaltenen Systemen zur Kombination von Dachbegrünung und Solaranlage sind zudem Dachdurchdringungen oder sonstige Eingriffe in die Dachabdichtung und Gebäudesubstanz nicht notwendig. Damit können kostenaufwändige und schadensanfällige Dachabdichtungsarbeiten vermieden werden. Vermeidung von Punktlasten Da auflastgehaltene Solar-Gründachsysteme durch die gleichmäßige Lastverteilung des Substrates gehalten werden, entfallen Punktlasten (beispielsweise durch Betonplatten), wie sie bei herkömmlichen Montagesystemen entstehen. Steigerung der Biodiversität Auch ein Solar-Gründach kann einen Beitrag zum Artenschutz leisten. Je nach Schichtaufbau und Pflanzenauswahl kann ein Biodiversitätsgründach geschaffen werden. Und aufgrund der unterschiedlichen Licht-Schatten- und Feuchtigkeitsverhältnisse durch die PV-Module entstehen auf dem Dach verschiedene Standortbedingungen. Diese können zusätzlich zu einer Erhöhung der Artenvielfalt von Flora und Fauna beitragen. Ertragssteigerung Bei Photovoltaikanlagen bestimmen die Umgebungstemperaturen die Leistung der PV-Module. Abhängig von der Sonneneinstrahlung können sich die Module im Sommer bis zu 90- °C aufheizen. Dadurch wird die Leistung um bis zu 25-% im Vergleich zur Nennleistung gemindert. Die Leistung kann Kombination von Photovoltaik und Dachbegrünung Die Erfolgsfaktoren für ein nachhaltiges Solar-Gründach Gunter Mann, Felix Mollenhauer Die Kombination von Photovoltaik und Dachbegrünung wird zwar schon seit Jahrzehnten in verschiedenen Varianten praktiziert, dennoch sind sogenannte „Solar-Gründächer“ längst noch keine Selbstverständlichkeit. Viele Bauherren, Planer und Ausführenden haben noch Vorbehalte gegen eine Kombination oder wissen gar nicht, dass diese möglich ist. Die Kombination von Photovoltaik und Begrünung funktioniert, wenn bestimmte Grundregeln beachtet werden. Bild 1: Kombination Photovoltaik und Dachbegrünung im X XL-Format. © BuGG Bild 2: Artenreiche und passende Pflanzenauswahl für ein Solar-Gründach: Niederwüchsige und dicht machende Sedum- und Kräuterarten. © BuGG 23 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum gemäß den Standard-Test-Bedingungen (STC) bei 25- °C und dem abhängigen Zelltyp mit jedem Grad an Temperatursteigerung um bis zu 0,5-% abnehmen. Untersuchungen konnten belegen, dass durch die Verdunstungsleistungen von Dachbegrünungen ein Kühleffekt entsteht. Im Gegensatz zu anderen, sich stark aufheizenden Oberflächenmaterialien bleibt bei der Begrünung die Oberflächentemperatur nahe an der Außentemperatur. Der Kühleffekt der Dachbegrünung kann dazu beitragen, die Aufheizung der PV-Module zu mindern. Da die Oberflächentemperatur und langwellige Wärmestrahlung reduziert werden, entstehen kaum Einbußen in der Modulleistung. Demnach ergeben sich bei Dachbegrünungen in Kombination mit Solaranlagen Vorteile und Ertragssteigerungen gegenüber unbegrünten Dächern. Ein genauer Wert lässt sich jedoch nicht ermitteln, da dies vom jeweiligen Objekt abhängig ist, das heißt vor allem von Faktoren wie Lage, Substrataufbau und Modulverlegung. Planungshinweise Damit die Kombination aus Photovoltaik und Dachbegrünung für beide Leistungsbereiche nachhaltig funktioniert, ist eine fachgerechte Planung, Ausführung und Instandhaltung notwendig. Dachneigung Für die Kombinationslösung Photovoltaik und Dachbegrünung darf die Dachneigung bei auflastgehaltenen Systemen nicht mehr als 5 ° betragen, um ein Abrutschen der Systeme zu vermeiden. Dachabdichtung An die Dachabdichtung gibt es bei der Installation von Solaranlagen keine besonderen Anforderungen. In Kombination mit Dachbegrünungen muss die Dachabdichtung allerdings wurzelfest nach FLL bzw. DIN EN 13948 sein. Wärmedämmung Die Wärmdämmung muss ausreichend druckstabil und belastbar sein. Bei Umkehrdächern sind Bauphysik und dampfdiffusionsoffene Bauweise zu beachten. Flächenlast Die Zusatzbelastung durch eine PVbzw. Solarthermie-Anlage beträgt etwa 20 - 60 kg/ m². Bei Dachbegrünungen müssen zusätzlich das Gewicht des Gründachaufbaus und der Vegetation von etwa 100 - 150 kg/ m² berücksichtigt werden. Die Wahl des Gründachaufbaus hängt bei auflastgehaltenen Solarständerungen davon ab, welche Auflast sie zur Lagesicherung benötigen. Blitzschutz Zu Schadensvermeidung der Solaranlage ist ein Blitzschutz notwendig. Alle Solaranlagenelemente müssen daher bei einem bestehenden oder noch zu errichtenden äußeren Blitzschutz innerhalb der Blitzschutzanlage liegen. Gleichwegs ist ein Sicherheitsabstand von mindestens 0,5 m zur Blitzschutzanlage einzuhalten. Aufbau Solar-Gründach Der grundsätzliche Aufbau von auflastgehaltenen Solar-Gründächern sieht oberhalb einer geeigneten Dachkonstruktion mit wurzelfester Dachabdichtung wie folgt aus: Schutzlage als Schutz der Dachabdichtung Als Grundelement für Solar- Gründächer dient in der Regel eine Basisplatte zur Verfüllung und Lastaufnahme. Diese Basisplatte hat meist sowohl Dränals auch Wasserspeicherfunktionen Bild 3: Auflastgehaltenes Solar-Gründach mit flachen, südausgerichteten Modulen und ausreichend großen Reihenabständen. © BuGG Bild 4: Auflastgehaltenes Solar-Gründach in Ost-West-Verlegung. © BuGG 24 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Die Basisplatten sind mit Substrat verfüllt und erhalten damit ihre Standfestigkeit. Die Vegetationstragschicht kann durchgehend auf gleicher Aufbauhöhe von etwa 8 - 10 cm, abhängig von Begrünungsart, Vegetationsziel und zu erzielender Mindestauflast (bei auflastgehaltenen Systemen) über die komplette Dachfläche oder wellenförmig (6 - 15 cm) eingebaut werden. Erfolgsfaktoren für das Gelingen einer Kombination aus Solar- und Gründach Für die nachhaltige Umsetzung von Solar-Gründächern sind folgende Grundsätze („Erfolgsfaktoren“) zu beachten: 1.- Verschattung der Solar-Module vermeiden, 2.- ausreichende Reihenabstände, sodass die Instandhaltung gut möglich ist, 3.-Verwendung auflastgehaltener Solar-Gründach-Systeme, 4.- regelmäßige, fachgerechte Instandhaltung (Pflege und Wartung), 5.-rechtzeitige Einbeziehung aller beteiligten Gewerke, einschließlich Planung. Vermeidung von Verschattung Um Verschattungen der Solar- Module durch zu hohe Pflanzen zu vermeiden, gibt es verschiedene Möglichkeiten: Der Abstand zwischen Substratoberfläche und Modulunterkante sollte ausreichend groß sein, also mindestens 20 cm, je nach Pflanzenauswahl eventuell größer. Abstände von mindestens 30 cm haben sich bewährt. Damit die Solar-Module nicht verschattet werden, sind niedrigwüchsige Pflanzen mit einer maximalen Wuchshöhe von 15 - 20-cm und dichtem Flächenschluss zu empfehlen. In der Regel sind Sedum-Moos-Kräuter-Begrünungen gut geeignet. Durch die Höhe des Gründachaufbaus und des Substrats lassen sich die Pflanzenauswahl und Vegetationsentwicklung in Abhängigkeit von den regionalen Gegebenheiten beeinflussen. Grundsätzlich gilt, je höher der Gründachaufbau, desto mehr Wasser speichert er und desto höher kann die Vegetation ausfallen. Auch wenn die geringe Substrathöhe und die maximale Wuchshöhe der Pflanzen die Pflanzenauswahl einschränken, sollte versucht werden, eine möglichst artenreiche und von Frühjahr bis Herbst blühende Vegetation aufzubringen. Niedrige, schattenverträgliche Pflanzenarten mit hohem Deckungsgrad unter den Solar-Modulen hemmen das Aufkommen unerwünschten Fremdbewuchses. Die Anlage eines Kiesstreifens vor den Solar-Modulen ist empfehlenswert, um die Pflanzenentwicklung dort einzuschränken und bei Bedarf einfacher pflegen zu können. Um Pflanzenaufwuchs zu vermeiden, können vor den Solar- Modulen auch Betonplatten ausgelegt werden. Diese dienen gleichzeitig als Wartungswege. Geringe Substrathöhen (von etwa 5 - 8 cm) vor den Solar- Modulen schließen höherwüchsige Arten aus. Bei ballastierten Systemen ist die benötigte Mindestauflast zur Standsicherung zu beachten. Ausreichend Reihenabstände Zur Durchführung der Pflege und Wartung sind Wartungswege und Absturzsicherungen vorzusehen. Es ist auf einen ausreichenden Abstand zum Dachrand und einen Abstand der Modulreihen untereinander (je nach Ausrichtung mindestens 50 - 80 cm) zu achten. Kabel und weitere zur Solaranlage gehörende Bauteile sind so zu montieren, dass beispielweise Pflanzenschnitt problemlos möglich ist. Eine durchgehende, störungsfreie Entwässerung muss sichergestellt sein - entweder durch die Basisplatte selbst oder eine darunter liegende Dränageschicht. Auf der Basisplatte ist das Modul-Montagesystem mit dem benötigten Neigungswinkel befestigt. Das Gesamtsystem ist durch Modultragschienen miteinander verbunden. Die Solar-Module werden auf die Modultragschienen aufgelegt und durch Modulklemmen gehalten. Bild 5: Schematischer Schnitt durch ein auflastgehaltenes Solar-Gründach. Der Gründachaufbau hält die PV-Aufständerung lagesicher und ohne Dachdurchdringung. © BuGG Bild 6: BuGG-Fachinformation „Solar-Gründach“. © BuGG Professionelle Versickerung von Regenwasser www.mall.info CaviLine der Sickertunnel aus Beton + Ideal zur Kombination mit einer Regenwasserbehandlung + Preiswerte Lösung für Versickerungsanlagen + Hohe Stabilität befahrbar bis SLW 60 + Schnelle Montage bei flacher Bauweise + Gesamte Anlage zugänglich nach DGUV Regel 103-003 + Beton ist ökologisch, robust und langlebig Neuheit 2021 Mall-Bemessungs-Software MBS-Online Verwendung auflastgehaltener Solar- Gründach-Systeme Auflastgehaltene Solar-Gründach-Systeme sind zu bevorzugen, da hierbei die Photovoltaikaufständerungen nicht in die Dachabdichtung/ Dachkonstruktion eingreifen und damit Wärmebrücken und Undichtigkeiten vermieden werden. Die Last des Gründachaufbaus hält die Photovoltaikaufständerungen lagesicher auf dem Dach. Mehrere Gründachsystemanbieter haben solche Systeme in ihren Programmen. Instandhaltung (Pflege und Wartung) von Solar-Gründächern Sowohl Dachbegrünung als auch Solaranlagen bedürfen einer regelmäßigen und fachgerechten Instandhaltung. Die Instandhaltung von Dachbegrünung und Montagesystem übernimmt der Gründach-Fachbetrieb, die Instandhaltung der Solaranlage inklusive der Elektronik obliegt dem Solar-Fachbetreib. Solaranlage Die jährliche Inspektion der Anlagen beschränkt sich auf eine Sichtkontrolle der Anlage und eventuell auf die Reinigung der Module. Folgende Instandhaltungsmaßnahmen sind eventuell durchzuführen: Regelmäßige Sichtkontrollen (für Isolationsschäden bei Kabeln, Beschädigungen der Verteilerkästen, Beschädigungen an Wechselrichtern oder sonstigen Bauteilen), Sichtkontrollen (nach Stürmen oder Gewittern), eine jährliche Sichtprüfung der Dabdichtung und Dachdurchdringungen, Kontrolle der Standfestigkeit der Unterkonstruktion sowie aller Anlagenteile auf Beschädigungen (Witterungseinflüsse, Ablagerungen an den Paneelen, Bewuchs, hängende Kabel, die den Dachbegrünungspfleger bei der Arbeit behindern können). Im Vier-bis-fünf-Jahrestakt sollte eine wiederkehrende Prüfung nach DIN EN 62446 durchgeführt werden. Dachbegrünung Der Pflegeaufwand eines Solar-Gründaches ist höher als bei einem vergleichbaren Gründach ohne Solaranlage, da sichergestellt sein muss, dass Pflanzen die Module nicht verschatten und kein unerwünschter Fremdbewuchs unter den Modulen entsteht. Auf Solargründächern muss die Begrünung jährlich zweibis viermal, insbesondere in den Wuchsphasen zwischen März bis Juni, kontrolliert und eventuell zurückgeschnitten werden. Grundsätzlich sollte mindestens einmal im Frühjahr und einmal im Herbst eine Pflege des Daches stattfinden. Zusätzlich zum Vorgenannten müssen Dachrandbereiche und Dachdurchdringungen auf Hinterwurzelungen kontrolliert und die Entwässerungseinrichtungen überprüft werden. Zusammenfassung Bei vorausschauender und abgestimmter Planung und einer ebensolchen späteren Ausführung unter den verschiedenen Gewerken sind Kombinationslösungen von Dachbegrünung und Photovoltaik (sogenannte Solar-Gründächer) gut machbar. Sie vereinen eine Vielzahl positiver Wirkungen. Hervorzuheben sind dabei auflastgehaltene Solar-Gründächer, deren Photovoltaikaufständerungen durch die Auflast des Gründachs lagesicher gehalten werden. Der Bundesverband Gebäudegrün e. V. (BuGG) hat zu dem Thema zwei Schriften veröffentlicht: die BuGG-Fachinformation „Solar-Gründach“, in der ausführliche Informationen rund um das Solar-Gründach zu finden sind, und den BuGG-Fokus „Solar-Gründach“, der die wichtigsten Planungsgrundlagen auf den Punkt bringt. Dr. Gunter Mann Präsident Bundesverband GebäudeGrün e. V. (BuGG) Kontakt: gunter.mann@bugg.de Felix Mollenhauer, M.Sc. Referent Bundesverband GebäudeGrün e. V. (BuGG) Kontakt: felix.mollenhauer@bugg.de AUTOREN 26 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Die Julisonne steht hoch am blauen Himmel über Graz. Eine Drohne surrt über die Touristen und die Marienstatue „Am Eisernen Tor“. Sie erfasst in einem dreidimensionalen Raster eine Vielzahl von Daten, die man für eine gründliche Analyse des Mikroklimas braucht - insbesondere die Gestalt der Gebäude und der Vegetation, die Oberflächentemperaturen und die Reflexionen der Sonneneinstrahlung auf den Oberflächen. Der Platz in der Inneren Stadt von Graz ist nicht nur zentral für das öffentliche Leben, sondern auch sehr vielseitig in seiner mikroklimatischen Struktur. Hier gibt es Grünflächen, Asphalt, Bäume und sogar einen Springbrunnen. Deshalb wählte ihn das Team von AEE INTEC für die ersten Messungen und Simulationen im Projekt Smart City Sensing. Dass es in Grünanlagen selbst bei nahezu gleicher Lufttemperatur gefühlt um mehrere Grad kühler ist als auf asphaltierten Plätzen, ist kein Geheimnis. Im Deutschen spricht man umgangssprachlich oft von „gefühlter Temperatur“, manchmal auch vom „thermischen Komfort“. Quantifizieren lässt sich das mit dem Universal Thermal Climate Index (UTCI) - ein Ausdruck, der auch die Komplexität der Fragestellung widerspiegelt. Der UTCI bildet beispielsweise die Kühlung durch den Wind ab, aber auch die Wärmestrahlung der Oberflächen und die Solarstrahlung, die aus verschiedenen Richtungen auf den Körper Drohnen erkunden städtische Hitzeinseln Klimawandel, urbane Hitzeinseln, Mikroklima, Luftqualität, Messverfahren, Drohnen, Simulation Tobias Weiss, Daniel Rüdisser Im Zuge des Klimawandels werden städtische Hitzeinseln (Intra Urban Heat Islands) immer mehr zur Herausforderung für die Stadtplanung. Das österreichische Forschungsinstitut AEE INTEC hat eine Methode entwickelt, die solche Hotspots nicht nur aufspürt, sondern auch die für den Organismus wichtige „gefühlte Temperatur“ mit hoher Präzision berechnet. Durch die einfache Darstellung möglicher Veränderungen hilft „Smart City Sensing“, die besten Maßnahmen auszuwählen und so Hitzeinseln effektiv zu reduzieren. Bild 1: SmartCitySensing verbindet Messwerte aus Drohnenbefliegungen mit detaillierten Modellrechnungen, um Mikroklimata schnell und präzise abzubilden. © AEE INTEC 27 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum einwirkt. Die gefühlte Temperatur bzw. der UTCI ist im positiven Fall ein Wohlfühlfaktor, der über die Attraktivität öffentlicher Räume entscheidet. Im negativen Fall sorgt ein zu hoher UTCI für Hitzestress im Organismus. Hitzewellen machen sich sogar regelmäßig in der Sterbestatistik bemerkbar. Die WHO empfiehlt deshalb, die Hitzebelastung in Städten gezielt zu reduzieren. Da absehbar ist, dass die Temperaturen im Zuge des Klimawandels steigen, ist der Hitzeschutz als Maßnahme für die Klimaresilienz umso wichtiger. Doch das ist gar nicht so leicht, denn dafür muss man sowohl alle Hitzeinseln in der Stadt kennen als auch die Wirksamkeit konkreter Maßnahmen bewerten können. Diese Möglichkeit bietet das Verfahren „Smart City Sensing“, das im gleichnamigen Forschungsprojekt des österreichischen Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) von AEE INTEC und Skyability aus Österreich und einem Konsortium aus dem chinesischen Guangdong entwickelt wurde. Das fertige Verfahren bietet AEE INTEC nun als Dienstleistung für Kommunen an. Mit einer Kombination aus dreidimensionalen, von Drohnen erfassten Messwerten einerseits und Simulationsmodellen andererseits können hochaufgelöste dynamische Heat Maps einzelner Plätze oder der ganzen Stadt erstellt werden. Diese Hybridlösung bildet das lokale Mikroklima weit realistischer ab als herkömmliche Mikroklimasimulationen. Gleichzeitig ist sie räumlich genauer als Messungen, in die lediglich grobe Daten von Flugzeugbefliegungen, Satellitenaufnahmen oder einzelnen Wetterstationen eingespeist werden. Durch die Drohnenbefliegung können mit geringem Aufwand deutlich größere Flächen erfasst werden als mit den bisherigen mikroklimatischen Untersuchungsmethoden. An einem Tag schaffen die Drohnen eine Stadt, ein einzelner Platz ist in wenigen Minuten überflogen. Die Veränderungen im Tages- und Jahresverlauf können ebenfalls simuliert und zusätzlich mit zyklischen Vermessungen verifiziert werden. Dafür kann man zum Beispiel einen Tag mit mehreren Flügen genauer untersuchen oder den Schwerpunkt auf die Jahreszeiten legen, die für das Mikroklima besonders interessant sind. Die Drohnen sind mit speziellen Messköpfen ausgestattet, die im Rahmen des Projektes entwickelt wurden. Dazu gehören unter anderem eine Thermografiekamera für die langwellige Wärmestrahlung, eine Multispektralkamera für die kurzwellige Solarstrahlung und bei Bedarf auch Sensoren für Luftschadstoffe (siehe Kasten). Mit den Drohnendaten lassen sich auch die Vegetation und Materialeigenschaften von Oberflächen erfassen. Weitere Daten wie Luftfeuchte und Windrichtung und -geschwindigkeit werden je nach Fragestellung per Drohne oder am Boden gemessen. Das Modell zur Berechnung des thermischen Komforts umfasst nicht nur all diese Faktoren, sondern auch die menschliche Physiologie. So trifft horizontale Wärmestrahlung zum Beispiel auf eine deutlich Bild 3: Im Webtool werden die genauen Daten für jeden Standort auf den untersuchten Plätzen angezeigt. Das Variieren der Parameter, wie die Oberflächen der Gebäude oder der Begrünungsanteil, zeigt, wie sich die Hitzebelastung am wirksamsten reduzieren lässt. © AEE INTEC Bild 2: Das Webtool zeigt eine dreidimensionale Heat Map der untersuchten Plätze an. © AEE INTEC 28 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum größere Körperfläche als senkrechte Strahlung. Bisher dient ein erwachsener Mensch als Modell. Es ist aber auch möglich, gezielt die Wirkung auf sensible Gruppen wie Kinder oder ältere Menschen zu untersuchen. So entsteht ein mit einer Heat Map überlagertes Stadtmodell in einer Auflösung von 1 x 1 m. Für Städte, die noch kein 3-D-Stadtmodell haben, kann dieses gleich mit angefertigt werden. Liegt schon ein 3-D-Modell vor, werden die neuen Mikroklimadaten dort eingefügt, zum Beispiel über CITYGML oder ArchGis. In einem Webtool kann man sich durch dieses Modell bewegen. Smart City Sensing kann jedoch nicht nur den Ist-Zustand darstellen, sondern auch simulieren, wie sich Veränderungen auswirken. So kann man Eingriffe wie Bau- oder Begrünungsmaßnahmen nicht nur qualitativ sondern auch quantitativ einschätzen. Angenommen, der heißeste Punkt auf einem Platz erwärmt sich an Sommertagen auf eine gefühlte Temperatur von mehr als 42 °C. Was muss passieren um diese auf 38 °C zu senken? Im Modell lassen sich verschiedene Maßnahmen ausprobieren: Eine begrünte Wand, neu gepflanzte Bäume, eine Rasenfläche, bauliche Maßnahmen, Verschattungselemente, Wasserflächen oder einfach ein hellerer Straßenbelag. Das Modell zeigt auch, an welcher Stelle des Platzes die Maßnahme die größte Wirkung entfaltet. Ist das Modell einmal erstellt, können die Stadtplaner*innen selbst mit dem Webtool den Ist-Zustand evaluieren und gezielt geplante Maßnahmen auf ihre Wirkung hin bewerten (siehe Link unten). Sie können zum Beispiel den Begrünungsanteil erhöhen oder die Oberflächeneigenschaften von Fassaden verändern. Dabei wird die intuitive Bedienbarkeit noch kontinuierlich erweitert. So sollen beispielsweise Bäume als vordefinierte Elemente hinterlegt werden, die sich dann per Drag&Drop in die Heat Map einbeziehen lassen. Die Stadt Graz hat sich nach dem Forschungsprojekt entschlossen, Smart City Sensing auch in Zukunft für die Stadtplanung zu nutzen. Es werden derzeit systematisch Plätze beflogen, die in den nächsten Jahren umgestaltet werden sollen. Die Ergebnisse aus der Analyse mit Smart City Sensing werden in den Entscheidungsprozess einbezogen. Weitere Informationen zum Projekt: smacise.aee-data.at Direkt zum Webtool: www.aee-data.at/ smacise/ webtool/ Während AEE INTEC aus Österreich sich vor allem mit Temperaturmodellen befasste, stand für die Projektpartner South China University of Technology, NBL Imaging System Ltd. und Yuchen Information Technology Co. Ltd aus der chinesischen Provinz Guangdong die Luftqualität im Vordergrund. Im Projekt wurden hierfür spezielle Sensorköpfe entwickelt, die unter anderem Feinstaub, Stickoxide, Schwefeldioxid, Kohlenmonoxid, Ozon und flüchtige organische Verbindungen messen. Mit der großräumigen Messung lassen sich die eingesetzten Schadstoffmodelle präzisieren und reale Gradienten feststellen. So können zum Beispiel einzelne Schadstoffquellen aufgespürt werden, die bisher nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt wurden. SPÜRNASE FÜR LUFTSCHADSTOFFE DI Dr. Tobias Weiss Bereichsleiter Gebäude AAE INTEC Kontakt: t.weiss@aee.at DI Daniel Rüdisser Bereich Gebäude AAE INTEC Kontakt: d.ruedisser@aee.at AUTOREN Bild 4: Grazer Stadtplaner und Forscher von AEE INTEC und Skyability beim Testeinsatz der Drohne am „Eisernen Tor“. Die Stadt Graz will mit Smart City Sensing erstellte Heat Maps in Zukunft bei der Umgestaltung von Plätzen einbeziehen. © AEE INTEC Bild 5: Die Drohne sammelt Daten über dem Platz „Am Eisernen Tor“ in Graz. Innerhalb weniger Minuten kann ein Platz vermessen werden, eine Stadt innerhalb eines Tages. © AEE INTEC 29 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Der Pavillon d‘Armenonville liegt am Rande des Bois de Boulogne, einem städtischen Wald und Park im Arrondissement XVI im Westen von Paris, nur wenige Minuten von der Champs-Elysees entfernt. Das aus dem 17. Jahrhundert stammende, geschichtsträchtige Gebäude wurde als Jagdschloss von Joseph Fleuriau d‘Armenonville gebaut, der für die königliche Jagd zuständig war. Nach der Zerstörung im 19.- Jahrhundert baute es der französische Architekt Gabriel Davioud wieder auf als Gasthof für Reiter und Kutscher, die durch den Bois de Bologne kamen. Der Pavillon d‘Armenonville hat sich seine raffinierte Architektur über all die Zeit bewahrt. Heute sind die Geschmackvolle Kulisse für jedes Event Dachterrasse des Pariser Pavillon d’Armenonville Federico Cefalu Der Pavillon d‘Armenonville in Paris bietet eine außergewöhnliche und prestigeträchtige Kulisse für betriebliche und private Events. Das architektonisch interessante Gebäude empfängt Gäste in sechs Lounges und einem wundervoll gestalteten 515 m² großen Dachgarten. Dort wächst eine Fülle von Gemüsesorten, Kräutern und essbaren Blumen in insgesamt 26 Pflanzbeeten, die mit dem ZinCo-Systemaufbau „Urban Farming“ versehen sind. So liefert dieser Garten Schmackhaftes frisch vom Dach für die Gourmet-Küche des Caterers und Eventmanagers Butard Enescot und ist gleichzeitig herrlicher Augenschmaus für die feiernden Gäste. Bild 1: Die 515 m² große Dachterrasse ist eine wahrlich geschmackvolle Kulisse, denn in 26 Pflanzbeeten wächst eine Fülle von Gemüse, Kräutern und essbaren Blumen. © Ecovegetal 30 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum historische Fassade, die hohen Decken sowie die elegant und gleichzeitig mit modernster Veranstaltungstechnik ausgestatteten Lounges bezaubernde Location für Events aller Art mit bis zu 2 000 Personen. Caterer- und Eventmanager Butard Enescot, der in Paris und der Provence weitere exklusive Locations besitzt, gehört zur Unternehmensgruppe Group Butard Paris. Sein 1995 gegründetes Familienunternehmen legt neben dem professionellen Anspruch auf Qualität, Kreativität und Authentizität gezielten Wert auf Umweltschutz. Die bereits seit 2001 existierende Dachbegrünung erhielt nun infolge des Umbaus 2018 eine neue Gestalt. Entworfen vom Architekturbüro Fabrice Drain, führte der erfahrene ZinCo-Partner Ecovegetal diese wahrlich genussvolle Dachterrasse aus. Das Gute liegt so nah Genau genommen liegt ja nichts näher, als die Zutaten für die kulinarischen Genüsse direkt auf dem eigenen Dach anzupflanzen, denn 100 % Frische bedeuten 100 % Geschmack. Für den gewünschten Anbau von Nutzpflanzen bot ZinCo mit seinem speziellen Systemaufbau „Urban Farming“ genau die richtige Technik. Dabei wurden verschiedene Dränage-Elemente abhängig von der Bepflanzung eingesetzt, denn eine Tomatenpflanze hat einen anderen Wasserbedarf als eine mehrjährige Kräuterpflanze. Insgesamt sind 180 m² der 515 m² großen Dachterrasse mit Pflanzbeeten belegt. Davon wiederum machen 70 m² Gemüse, Obst und Kräuter aus und auf 110 m² gedeihen Blumenarten, die ebenso kulinarisch verwendbar sind. Ganze 660 Pflanzen wachsen in den 26 Pflanzbeeten, welche analog dem Terrassenbelag ringsherum aus Kiefernholz bestehen. Das Gesamtbild strukturiert sich durch die ganz gleichmäßig in zwei Reihen und in zwei Größen angelegten, rechteckigen Pflanzbeete und die Pflanzenanordnung darin, denn auch der Weißkohl wächst in Reih‘ und Glied. Raffinierte Komposition Auf dem wurzelfest abgedichteten Dach wurde der Systemaufbau „Urban Farming“ in allen Pflanzbeeten mit der Isolierschutzmatte ISM 50 begonnen. Darauf folgte in 13 Beeten das Drän- und Wasserspeicherele- Kräuter: Currykraut, Rosmarin, Lavendel, Thymian, Duftnessel, Salbei, Minze, Zitronenmelisse, Basilikum, Schnittlauch, Lorbeer Gemüse: Artischocke, Rhabarber, Sauerampfer, Sellerie, Petersilie, Tomaten, Karotten, Bohnen Blumen: Mauerpfeffer, Sonnenblume, Nachtkerze, Wildes Stiefmütterchen Obst: Schwarze Johannisbeere, Stachelbeere, Himbeere, Apfelbaum PFLANZENLISTE (AUSWAHL) Bild 2: Die Pflanzbeete sind in zwei Größen und in zwei Reihen ganz linear angeordnet. © Ecovegetal Bild 3: Lokaler kann eine Produktion nicht sein, denn die Gourmet- Küche nutzt direkt die Ernte vom Dach. © Ecovegetal Bauprojekt: Urban Farming Dach Pavillon d‘Armenonville, Allée de Longchamp, Bois de Boulogne, 75116 Paris, Frankreich Bauherr: Butard Enescot, 75116 Paris, Frankreich Baujahr: 2018 Dachfläche: rund 515 m² Begrünungsaufbau: ZinCo-Systemaufbau „Urban Farming“ mit Aquatec AT 45 und Fixodrain XD 20 Architekt: L‘Agence Fabrice Drain Architectures, 76000 Rouen, Frankreich Ausführung Begrünung: Ecovegetal, 28410 Broué, Frankreich Systemlieferant: ZinCo GmbH, Lise-Meitner-Str.-2, 72622 Nürtingen, Deutschland BAUTAFEL 31 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum ment Aquatec ® AT 45, das gerade für den höheren Wasserbedarf von einjährigen Gemüsepflanzen eine sehr effiziente und kostengünstige Bewässerung darstellt. Das Grundprinzip beruht auf der Verteilung und Bevorratung von Wasser in den Mulden der Aquatec ® -Elemente; diese allein erreicht eine Größenordnung von rund 17 l/ m². In den Elementen sind Tropfschläuche eingeclipst, welche die Wasserbevorratung bei ausbleibenden Niederschlägen sichern. Darüber liegt das Dochtvlies DV 40, dessen Dochte das Wasser kapillar nach oben transportieren und so dem Substrat direkt im Wurzelraum zur Verfügung stellen. Genau das ist entscheidend, weiß Pierre Georgel, Firmenchef von Ecovegetal: „Unsere langjährige Erfahrung mit dieser Kapillarbewässerung zeigt, dass das Wurzelsystem von Pflanzen dreibis fünfmal dichter ist als bei einer herkömmlichen Bewässerung.“ Zudem genügen 50% der Wasserzufuhr zum Beispiel im Vergleich zur Bewässerung von oben mit Rasensprenger, bei der viel Wasser an der Oberfläche verdunstet. Gezielt für den Gemüseanbau hat Ecovegetal ein besonders leichtes Substrat entwickelt, das mit Hilfe des betriebseigenen Silozugs auf das Dach direkt in die Pflanzbeete geblasen und verteilt wurde. 20 m³ Substrat waren nötig für die gewünschte Substrathöhe von 25 cm. Maßgeschneidert auf den Bedarf Mehrjährige Kräuter und Blumen sind zwar nicht so durstig wie so manches junge Gemüse, dennoch ist auch hier in Trockenzeiten eine effiziente Bewässerung gefragt. In den restlichen Pflanzbeeten ist daher die Dränagebahn Fixodrain XD 20 in Kombination mit Aquafleece AF 300 verlegt. Das hochkapillar wirksame Aquafleece besteht aus zwei Schichten. Das unterseitige dichte Gewebe lässt von oben kommendes Wasser erst durchtropfen, wenn das oberseitige Vlies flächig wassergesättigt ist. Die auf dem Fleece befestigten Tropfschläuche sorgen in Trockenperioden dafür, dass stets ausreichend Wasser pflanzenverfügbar ist. Rund 26- m³ eines Substrats mit mehr mineralischem Anteil erzielten die hier gewünschte Substratstärke von durchschnittlich 15 cm. Ideale Voraussetzungen dafür, dass alles wächst und gedeiht. Das erfreut wohl auch manche im Wald beheimatete Krähe, die zwischendurch eine Leckerei stibitzt. Mehr als eine Augenweide Das Urban Farming-Dach hat noch mehr zu bieten als Gaumenschmaus und schöne Optik. Auch diese Dachbegrünung ermöglicht thermischen Schutz der Dachabdichtung, Lärmminderung, Regenwasserrückhalt und Klimaverbesserung. Natürlich dient sie auch der Biodiversität, also dem Artenreichtum und Erhalt von Fauna und Flora. Und, last but not least, ist die Dachterrasse vielseitige Freifläche für unvergessliche Events. Kreative Ideen gibt es jedenfalls genügend für einen luftigen Empfang, eine blumige Hochzeitsfeier oder eine nächtliche Dachparty in dieser geschmackvollen Kulisse. Federico Cefalu Export Area Sales Manager ZinCo GmbH Kontakt: info@zinco-greenroof.com www.zinco.de www.zinco-greenroof.com AUTOR Bild 4: Die Pflanzenreihen aus Ampfer, Thymian, Mauerpfeffer und Rosmarin sowie Minze ergeben ein buntes Bild. © Ecovegetal Bild 5: 100% frische Ernte für 100 % Geschmack auf dem Teller. © Ecovegetal 32 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation Bei der Mönckebergstraße, kurz Mö genannt, handelt es sich um die zwischen Hauptbahnhof und Rathaus gelegene Haupteinkaufsstraße in der Hamburger Altstadt. Der Name der 800 Meter langen Flaniermeile ist über die Hansestadt hinaus ein Begriff. Eingeweiht wurde die Mönckebergstraße am 26. Oktober 1909, nachdem der Senat unter dem Namensgeber Johann Georg Mönckeberg Ende des 19. Jahrhunderts den Abriss des Gängeviertels und eine großzügige Neugestaltung der Fläche beschlossen hatten. Heute erstrahlt die Flaniermeile nachts in neuem Licht, das 54 smarte Designerlampen des italienischen Unternehmens iGuzzini abgeben. Zur Realisierung einer vollautomatisierten Lichtsteuerung mussten die Lampen miteinander respektive mit dem Leitrechner verbunden werden. Wie sich während des Projekts herausstellte, war das eine erhebliche Herausforderung. Da die Bestandslampen zunächst lediglich erneuert werden sollten, konnten keine Kommunikationsleitungen zu ihnen verlegt werden. Nachdem erste Lösungsversuche mit PowerLine, also der Übertragung von Ethernet-Daten über die Energieleitung, scheiterten, betrauten die Aufgabenträgerin des BIDs, die Otto Wulff BID Gesellschaft mbH, das Systemhaus Computer Mack GmbH mit der Durchführung des Projekts. Geschäftsführer Michael Mack und sein Team entschieden sich nach ausgiebigen Tests für den Einsatz einer drahtlosen Kommunikationslösung, die auf WLAN-Mesh von Phoenix Contact basiert. Flaniermeile erstrahlt in neuem Licht WLAN-Mesh-basierte Vernetzung von smarten Mastleuchten Jürgen Weczerek Im Rahmen von Maßnahmen zur Stärkung der Lagequalität der Mönckebergstraße durch ein Business Improvement District (BID) sind die einfachen Straßenlampen für rund 2,5 Millionen Euro durch smarte Mastleuchten ersetzt worden. Diese werden über ein WLAN-Mesh-Netzwerk untereinander sowie mit dem zentralen Leitrechner vernetzt. So lassen sich die stimmungsvollen Lichtszenarien zuverlässig umsetzen. Bild 1: Die 54 smarten Mastlampen in der Mönckebergstraße sind durch ein WL AN-Mesh- Netzwerk miteinander vernetzt. © Projekt BID Mönckebergstraße|Otto Wulff BID Gesellschaft 33 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation Geht nicht gibt´s nicht Das in Stadland-Rodenkirchen im niedersächsischen Landkreis Wesermarsch ansässige Unternehmen, 1996 von Michael Mack gegründet, bietet aktuell mehr als die ursprünglichen IT-Dienstleistungen. Einen weiteren Tätigkeitsschwerpunkt stellt die Softwareentwicklung insbesondere für industrielle Gebäude- und Lichtsteuerungen dar. Seit 2017 ergänzt eine Elektronikentwicklung, die sich auf das Rapid Prototyping konzentriert, das Service-Portfolio. Hier werden kundenspezifische Produkte in wenigen Wochen von der Idee bis zum fertigen Gerät umgesetzt. Das Systemhaus zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass schwierige Projekte seit 25 Jahren individuell, lösungsorientiert und schnell zur Zufriedenheit der Auftraggeber abgeschlossen werden. Auf den Unternehmensfahrzeugen steht daher einfach in großen Buchstaben „Läuft“. Dieses Versprechen geben Michael Mack und seine Mitarbeiter den Kunden. Dabei betont Mack: „Wir realisieren gerne Aufgabenstellungen, die im Grenzbereich des Machbaren liegen.“ Mit Stolz verweist der Geschäftsführer auf die vielen komplexen Herausforderungen, die er und sein Team bisher erfolgreich gemeistert haben - darunter die vollautomatisierte Lichtsteuerung an der Mönckebergstraße (Bild 2). Ergänzende Individualbeleuchtung Wie bereits erwähnt, besteht die Beleuchtungsanlage aus 54 smarten Mastleuchten, welche die bis dato entlang der Einkaufsstraße installierten, einfachen Straßenlampen ersetzen. Die neun Meter hohen Leuchten wurden vom Business Improvement District (BID) Mönckebergstraße finanziert, einem Zusammenschluss der Grundeigentümer. Neben der üblichen Straßenbeleuchtung, die weiterhin von der Stadt geschaltet wird, kann das BID die Flaniermeile nun mit individuellen Lichtszenarien erhellen. Über einstellbare LEDs lassen sich die einzelnen Häuserfassaden anstrahlen oder die Gehwege durch farbige Leuchtmittel in jeder erdenklichen Färbung illuminieren. Zu diesem Zweck sind in allen Mastleuchten jeweils zwölf separat ansteuerbare LED-Leuchtelemente verbaut. Darüber hinaus umfasst jede zweite Mastleuchte drei weitere Schnittstellen zur Versorgung und Steuerung von Dekorbeleuchtung, die beispielweise zu Weihnachten eingesetzt wird. Die Leuchtelemente werden über das DALI-Protokoll von einer in der Mastleuchte befindlichen SPS gesteuert. Für die Kommunikation zwischen den einzelnen Lichtmasten und dem zentralen Leitrechner, der in einem Straßenverteilerkasten untergebracht ist, wird das Modbus- TCP-Protokoll verwendet. Der Leitrechner, der sich über das Internet fernwarten lässt, dient der Überwachung der Straßenbeleuchtung (Bild 3). Keine Leitungen vorhanden Da es beim Beleuchtungsprojekt Mönckebergstraße um die Aktualisierung einer Bestandsanlage geht, in deren Rahmen die alten Lichtmasten gegen neue, smarte Mastlampen ausgetauscht werden, waren weder Kommunikationsleitungen noch Leerrohre vorhanden. Das nachträgliche Verlegen der Kabel in der Straße oder unter den Bürgersteigen hatte die Stadtverwaltung von vornherein ausgeschlossen. Deshalb stand das Systemhaus vor der Herausforderung, die Datenübertragung zu den Mastlampen umzusetzen. Zunächst verfolgten Bild 2: Das Team der Computer Mack GmbH, welches das Projekt in der Mönckebergstraße realisiert hat. © Projekt BID Mönckebergstraße|Otto Wulff BID Gesellschaft Bild 3: Über eine intuitiv zu bedienende Benutzeroberfläche können die einzelnen Leuchtenfunktionen und Lichtszenen für die privaten Anteile der Straßenbeleuchtung gesteuert werden. © Projekt BID Mönckebergstraße|Otto Wulff BID Gesellschaft Bild 4: Da Mesh-Knoten mehrere Verbindungen haben können, gibt es in einem Mesh-Netzwerk meist mehrere alternative Wege zum Ziel. © Projekt BID Mönckebergstraße|Otto Wulff BID Gesellschaft 34 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation Michael Mack und sein Team den schon genannten Ansatz, die Ethernet-Daten mittels TCP/ IP- Powerline über die bestehenden Energieleitungen auszutauschen. Dabei werden die Daten auf das vorhandene Energienetz aufmoduliert. Dieses Konzept wurde schnell verworfen, weil sich in der Praxis herausstellte, dass sowohl die Zuverlässigkeit der Kommunikation als auch die realisierbare Datenrate deutlich zu gering sind. Als Alternativlösung bot sich die Nutzung einer Funktechnologie an. Vor diesem Hintergrund testeten die Mack-Mitarbeiter gemeinsam mit der für die Elektronik-Arbeiten zuständigen Elektro Schiebold GmbH & Co. KG verschiedene Verfahren umfassend auf ihre Tauglichkeit und Zuverlässigkeit. Letztendlich entschieden sich die Beleuchtungsexperten für den WLAN-Mesh-Ansatz von Phoenix Contact auf Basis der Module der WLAN-Produktfamilie 2100. Als einzige untersuchte Lösung erfüllt WLAN- Mesh die funktionalen Kriterien ebenso wie die hohen Anforderungen an die Zuverlässigkeit der Datenübertragung (Bild 4). Selbstorganisierendes Funknetzwerk Der industrielle WLAN Access Point der Baureihe WLAN 2100 umfasst neben dem üblichen Access Point und Client-Mode ebenfalls die Betriebsart Mesh. Bei einem WLAN-Mesh-Netzwerk handelt es sich um ein autonomes, sich selbst organisierendes Ad-hoc-Netzwerk. Im Gegensatz zu den Standard-WLAN-Netzen benötigt es keine zentrale Infrastruktur, wie WLAN Access Points. Das WLAN-Mesh-Netzwerk umfasst nur gleichberechtigte WLAN-Mesh-Knoten (Mesh- Knoten), die automatisch eine Verbindung (Ad-hoc) zu allen anderen Mesh-Knoten im gleichen Netzwerk aufbauen, sofern sich diese in ihrer Funkreichweite befinden. Somit kann ein Mesh- Knoten gleichzeitig mit vielen Mesh-Teilnehmern verbunden sein. Weil diese Mesh-Teilnehmer wiederum über weitere Verbindungen zu anderen Mesh-Knoten verfügen, entsteht automatisch ein vermaschtes Netzwerk (Mesh-Netzwerk), über das die Mesh-Teilnehmer miteinander kommunizieren können. Sind Mesh-Teilnehmer nicht direkt erreichbar, erfolgt die Anbindung über andere Mesh-Knoten via Routing (Hops). Auf diese Weise ergibt sich eine Wegeredundanz, sodass die Daten beim Wegfall eines Mesh-Knotens einfach über einen alternativen Pfad an ihr Ziel geroutet werden, was die Ausfallsicherheit erhöht. Wie in einem Standard-WLAN- Netzwerk sichert WPA-2-Security mit AES-Verschlüsselung die Datenübertragung vor Manipulation und Abhören ab. Über den lokalen Ethernet-Port der WLAN 2100-Mesh-Knoten lassen sich einzelne Ethernet-Geräte sowie lokale Ethernet-Netzwerke in das WLAN-Mesh-Netzwerk integrieren. Aus Sicht der Anwendung respektive der Endgeräte arbeitet das gesamte Mesh-Netzwerk logisch wie ein verteilter Switch. Der Netzwerkverkehr wird im Mesh-Netzwerk gekapselt an sein Ziel geschickt. Bild 5: Für einen optimale Sitz hat die Computer Mack GmbH eine passende Adapterplatte im 3D-Druck hergestellt und zwischen WL AN 2100-Modul und Mast montiert. © Projekt BID Mönckebergstraße|Otto Wulff BID Gesellschaft Bild 6: Die smarten Lichtmasten können die einzelnen Häuserfassaden individuell über Lichtszenen anstrahlen sowie die Gehwege durch farbige LEDs in jeder erdenklichen Farbe beleuchten. © Projekt BID Mönckebergstraße|Otto Wulff BID Gesellschaft 35 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation siert, passt es seine Verbindungen dynamisch an die örtlichen Gegebenheiten an. Fällt eine Verbindung also mangels Sichtkontakt aus oder verschlechtert sich die Signalqualität, wird automatisch eine andere Route durch das Mesh-Netzwerk gewählt (Bild-5). Gemeinsam Herausforderungen gelöst Bei dem Projekt an der Hamburger Mönckebergstraße handelt es sich um das bislang größte mit der WLAN-Mesh-Lösung von Phoenix Contact realisierte Netzwerk. Bei dessen Umsetzung tauchten doch einige projektspezifische Herausforderungen auf, die aufgrund der guten Zusammenarbeit zwischen der Computer Mack GmbH, Elektro Schiebold GmbH & Co. KG sowie Phoenix Contact erfolgreich gelöst worden sind. Neben den gewonnenen Erfahrungen haben die Funkspezialisten die WLAN- Mesh-Firmware weiter für derartige Anwendungsfälle optimiert. Pünktlich zu den dunkler werdenden Tagen ist die smarte Beleuchtung der Mönckebergstraße Ende 2020 in Betrieb gegangen. Nicht nur während der Weihnachtszeit hat sie die Besucher der Flaniermeile bereits jetzt wegen der schönen Lichtstimmungen überzeugt (Bild 6). Mehr Informationen: www.phoenixcontact.de/ wireless Als kostengünstige Komplettlösung vereint der industrielle Access Point WLAN 2100 das WLAN-Funkmodul sowie zwei extra entwickelte Spezialantennen in einem kompakten, schlagfesten Gehäuse. Das besondere Gerätedesign ermöglicht eine einfache Einlochmontage auf Schaltschränken, Schaltkästen oder Maschinen. Der Anschluss für die Spannungsversorgung und das Ethernet befindet sich dabei geschützt im Innenraum, während die Funkeinheit mit den Antennen im Außenbereich liegt. Für die Installation im Feld steht ein passender IP67dichter Anschlussadapter zur Verfügung. Der WLAN 2100 lässt sich als Access Point, Client-Adapter und Mesh-Knoten nutzen (Bild 7). SPEZIELL ENTWICKELTE ANTENNEN Keine Störung durch Hindernisse An jede der entlang der Mönckebergstraße aufgestellten Mastleuchten haben Michael Mack und seine Mitarbeiter nun im oberen Bereich einen WLAN 2100-Mesh- Knoten installiert. Die SPS zur Lampensteuerung ist dann jeweils an den Ethernet-Anschluss der Mesh-Knoten angebunden. Über einen Mesh-Knoten, der in einem Straßenverteilerkasten verbaut ist, werden das Mesh- Netzwerk und somit die Mastlampen schließlich an den zentralen Leitrechner angekoppelt. Die Distanz zwischen zwei Lampen, die auf beiden Straßenseiten montiert sind, beträgt dabei in der Regel etwa 30 Meter. Allerdings sind die Straßenseiten mit Bäumen bewachsen, weshalb die Funkreichweite negativ beeinflusst werden kann. Hier zeigt sich ein Vorteil des Mesh-Netzwerks: Da es sich selbst organi- Dipl. Ing. (FH) Jürgen Weczerek, Produktmanager Network Technology Wireless Phoenix Contact Electronics GmbH, Bad Pyrmont Kontakt: info@phoenixcontact.de AUTOR Bild 7: Aufgrund der Einlochmontage lässt sich der WL AN 2100 einfach auf Schaltschränken, -kästen und Maschinen anbringen. © Projekt BID Mönckebergstraße|Otto Wulff BID Gesellschaft DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN WISSEN WAS MORGEN BEWEGT 36 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Der technologische Fortschritt bei Wärmepumpen und Geräten zur Wärmeübertragung in Verbindung mit einem „Kalten Nahwärmenetz“ ermöglicht, neben Einzelobjekten auch komplette Wohngebiete durch Abwasserwärmenutzung effizient und klimaschonend mit Wärme zu versorgen. Laut Umweltministerium Baden-Württemberg ist das Potenzial beträchtlich, zehn Prozent aller Gebäude könnten damit versorgt werden. Abwasserwärme - das flüssige Gold In der Gemeinde Schallstadt, südwestlich von Freiburg im Breisgau, waren die Voraussetzungen im Neubaugebiet Weiermatten günstig. Ein Wohngebiet mit rund 200 Wohnungen sowie das neue Rathaus entstanden unweit eines vorhandenen Abwasserkanals. Auf Brennstoffe, ob regenerativ oder synthetisch, kann komplett verzichtet werden. Der vorhandene Kanal in Schallstadt-Weiermatten sammelt die Abwässer der benachbarten Gemeinden Ebringen und Pfaffenweiler, hat einen Trockenwetterabfluss von rund 23 Litern pro Sekunde und einen Durchmesser von 90 Zentimetern. Er ist Eigentum des Abwasserzweckverbandes Breisgauer Bucht, dem somit offiziell Wasser und Wärme gehören. Die kostenfreie Entnahme wurde gestattet, nicht jedoch Einbauten im Kanal. Pumpen, durch einen Schlammrechen vor groben Partikeln geschützt, fördern das Abwasser aus einem Bypass zu den Wärmetauschern in der Heizzentrale. Von dort fließt das abgekühlte Wasser im Freispiegel zurück. Das ist der so genannte Primärkreislauf, dessen Temperatur an der Entnahmestelle des Kanals im Winter erfahrungsgemäß etwa 10 bis 12 °C beträgt, im Sommer über 20 °C. Kaltes Wärmenetz - ein paradoxer Begriff Im Unterschied zur klassischen Fernwärmeversorgung arbeitet das „Kalte Nahwärmenetz“, hier als Sekundärkreislauf zwischen Wärmetauscher und Wärmepumpen bei den Anschlussnehmern, mit niedrigen Temperaturen. Damit werden die Wärmeverluste in der Leitung minimiert. Im letzten Abschnitt, dem Gebäude mit den Nutzern, übernimmt die Wärmepumpe die Bereitstellung der gewünschten Warmwasser- und Heiztemperatur. Dies geschieht mit Hilfe von elektrischem Strom, funktioniert wie ein Kühlschrank mit dem physikalischen Prinzip von abwechselnder Kompression und Entspannung, erzielt aber Ohne Brennstoff heizen Kaltes Nahwärmenetz, Abwasserwärmenutzung, unterirdischer Pufferspeicher, thermischer Ausgleich Klaus W. König Der Nachholbedarf auf dem Wärmemarkt gefährdet den Erfolg der Energiewende, falls sich nichts ändert. Doch die CO 2 -Bepreisung zeigt Wirkung. Die Diskussion um den richtigen Brennstoff ist in vollem Gange. Dabei gibt es auch Lösungen, die ganz ohne Brennstoff auskommen. © Mohammad Rezaie on Unsplash Bild 1: Heizzentrale im neuen Rathaus, Armaturenschacht (schwarz) und Pufferspeicher (rot). Primärkreislauf vom Abwasserkanal (braun) zu den Wärmetauschern, Sekundärkreislauf des Kalten Nahwärmenetzes zu den Hausanschlüssen. © Energiedienst 37 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie den gegenteiligen Effekt. Je tiefer das Temperaturniveau der Gebäudeheizungen liegt, desto effizienter, weil stromsparend, können die Wärmepumpen arbeiten. Im Sommer funktionieren die Wärmepumpen in umgekehrter Weise als Kältemaschinen zur Raumkühlung. Allerdings wird die Wärme nicht in den Abwasserkanal eingespeist, sondern im Quartier „versenkt“. Dazu dient ein thermischer Puffer, ein 500 Kubikmeter fassendes unterirdisches Wasserbecken - das noch weitere Vorteile bringt. Pufferspeicher - das unterirdische Depot Der unterirdische Wasserbehälter schafft den Ausgleich von „Angebot und Nachfrage“ in Bezug auf Wärme und befindet sich unmittelbar vor der Heizzentrale, die in einem Anbau des neuen Rathauses untergebracht ist. Im Winter besteht die Möglichkeit, daraus Wärme zu gewinnen, falls die Abwasserwärme nicht ausreicht. Dann wird der Sekundärkreislauf nicht nur über die Wärmetauscher, sondern auch durch das Pufferbecken „gefahren“ - Dreiwegeventile im Armaturenschacht vor der Heizzentrale machen das Beimischen möglich. In gewissen Grenzen wirken das Material des Betonbehälters und das umgebende Erdreich bzw. Grundwasser als zusätzliche thermische Puffer, sowohl bei der Heizung im Winter, als auch bei der Kühlung im Sommer. „Ein Pufferspeicher aus Beton in der hier verwendeten Bauart und Größenordnung wird in einem unserer Fertigteilwerke hergestellt“, sagt Andreas Bölling, beim Hersteller Mall für diesen Großbehälter verantwortlich. „Er wird in Segmenten zum gewünschten Termin zur Baustelle gebracht und innerhalb von zwei Tagen montiert“. Das machen die Monteure des Herstellers, unterstützt von einem Autokran, damit die Gewährleistung in einer Hand liegt. Für den Aushub vorab, für den Anschluss der Leitungen sowie das Verfüllen der Baugrube danach wird ein Tiefbauunternehmen beauftragt. So kann das Gelände oberhalb des Behälters nach etwa acht Tagen vom Garten- und Landschaftsbaubetrieb fertiggestellt werden - bei Bedarf wie in Schallstadt sogar als Parkplatz, denn das Speicherbauwerk aus Betonfertigteilen ist gemäß Statik mit 0,5 Meter Mindestüberdeckung für PKW und LKW befahrbar. Wärmetauscher - eine saubere und sichere Sache Rein physikalisch gesehen wird Wärme nicht getauscht, sondern übertragen. Im Anbau des neuen Rathauses Schallstadt stehen in der Heizzentrale zwei baugleiche Wärmetauscher-Geräte nebeneinander, die man demnach auch Wärmeübertrager nennen könnte. Bei Spitzenbedarf sind sie gleichzeitig in Betrieb, sonst abwechselnd. Das Abwasser, das im Siebschacht beim Kanal entnommen wird, fließt im Primärkreislauf zu den Wärmetauschern und um zwei bis vier Kelvin abgekühlt zum Kanal zurück. Diese Energiedifferenz wird auf den Sekundärkreislauf, das Kalte Nahwärmenetz, übertragen. In den Wärmetauschern begegnen sich beide Kreisläufe, wobei das klare Wasser des Nahwärmenetzes in einer Vielzahl dünner Edelstahlrohre fließt. Die Rohre liegen als „Batterie“ parallel angeordnet im trüben Abwasserstrom und übertragen die Wärme sehr gut, solange sich kein Belag aus gelösten organischen Feinstoffen des Abwassers auf ihnen bildet. Um das zu vermeiden, fährt ein Reinigungsschlitten innerhalb der beiden Wärmetauscher einbis zweimal pro Tag für 200 Sekunden automatisch über die Rohroberflächen. Bild 3: In der Heizzentrale stehen zwei baugleiche Wärmetauscher. Bei Spitzenbedarf sind sie gleichzeitig in Betrieb, sonst abwechselnd. Das Kalte Nahwärmenetz nimmt hier etwa zwei bis vier Kelvin Energie auf und versorgt damit die Wärmepumpen der Gebäude. © Huber Bild 2: Kaltes Nahwärmenetz, Sekundärkreislauf zwischen Wärmetauscher und Hausanschlüssen. Rohrleitungen links in das Gebiet Weiermatten, rechts in das Gebiet neue Ortsmitte. Ungedämmte Leitungen für Wasser mit 12-16 °C im Vorlauf. © Energiedienst/ Junkov 38 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Wärmepumpen - die einzige Wärmequelle im Haus Decken Wärmepumpen wie bei diesem Projekt den Wärmebedarf vollständig ab, sind die Investitionskosten niedrig. Eine solche „monovalente“ Betriebsweise mit nur einem System für Grund- und Spitzenlast kommt mit wenig Technik im Heizungskeller aus. Bei Wärmepumpen ergeben sich weitere Vorteile dadurch, dass ein Brennstofflager nicht nötig ist und ein Schornstein entfallen kann. Vergleichbar mit Wärme aus Grundwasser (8 bis 15 °C) werden bei einem Kalten Nahwärmenetz Wasser-Wasser- Wärmepumpen verwendet. Da die Energie in beiden Fällen schon auf einem relativ hohen Temperaturniveau liegt, sind auch die Betriebskosten der Wärmepumpen niedrig. Die Steuerung des Kalten Nahwärmenetzes schaltet den Primärkreislauf und damit auch die Wärmetauscher zeitweise ab, wenn die Wärmepumpen in den Gebäuden keinen Bedarf haben. „Oder wenn das Abwasser im Sommer zu viel Energie liefert, denn handelsübliche Wasser- Wasser-Wärmepumpen funktionieren nur bis etwa 20 °C Quelltemperatur störungsfrei“, erklärt Stefan Schlachter, Projektleiter der Energiedienst AG, die das Kalte Nahwärmenetz realisiert und betreibt. „Da nicht nur Heizung, sondern auch Warmwasserbereitung über die Wärmepumpen erfolgt, sinkt die Netztemperatur allmählich so weit ab, bis der Normalbetrieb mit Abwasserwärme automatisch wieder anläuft“. Elektrischer Strom - der Brennstoffersatz Es ist kein Geheimnis, dass Wärmepumpen elektrischen Strom benötigen und die Wirtschaftlichkeit vom Verhältnis dieser investierten elektrischen Energie zur gewonnenen thermischen Bild 4: Thermischer Pufferspeicher. Herstellung der Betonfertigteile im Werk der Firma Mall, Donaueschingen. Halbkreisförmiges Endstück des Behälters, 6,00 m breit, 2,90 m hoch. © Mall Bild 5: Thermischer Pufferspeicher. Montage eines runden Endstücks mit Überstand der Bodenplatte als Auftriebssicherung. Die Auflast nach Verfüllen der Baugrube wirkt dem Auftrieb des leeren Behälters bei hohem Grundwasserstand entgegen. © Mall Bild 6: Thermischer Pufferspeicher. Montage der oberen Behälterhälfte in „gestülpter“ Elementbauweise. Jedes U-förmige Segment verlängert den Behälter um drei Meter. An der Seitenfläche die Öffnung für eine DN 350 Rohrdurchführung. © Mall 39 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Energie abhängt. Energiedienst- AG ist zunächst nur Contractor der Wärmelieferung inklusive Hausanschluss für das Gebiet Weiermatten, das Quartier neue Ortsmitte, die Gruppe der Plusenergiehäuser und das neue Rathaus. Wer die Wärmepumpen betreibt und woher der dazu erforderliche Strom kommt, ist unterschiedlich. Die Bewohner einiger Gebäude beziehen die elektrische Energie aus eigenen Photovoltaikanlagen. Zusätzlich oder alternativ bietet Energiedienst den Wärmenutzern den zu 100 Prozent regenerativ erzeugten Strom aus eigenen Wasserkraftwerken am Hochrhein an. Die Gemeinde Schallstadt, Eigentümerin des Rathauses, hat für dieses Gebäude das Komplettangebot von Energiedienst (Lieferung von Wärme und Betrieb der Wärmepumpe) angenommen. Jahresarbeitszahl - das Maß für Effizienz Mit einer errechneten Jahresarbeitszahl ( JAZ) von 5,56 läuft die Wärmepumpe im Rathaus sehr effizient. Das bedeutet, im Vergleich zur abgegebenen Wärmeenergie beträgt die Aufnahme von elektrischer Energie nur rund 18 %. Eine wichtige Größe, denn der Strom für die Wärmepumpe kann allgemein als Ersatz für Brennstoff gesehen werden. Er stammt bei Energiedienst aus erneuerbarer Ressource und entspricht vollumfänglich den Kriterien des Klimaschutzes. Dazu kommen, wie immer bei der Verwendung einheimischer regenerativer Energien, volkswirtschaftliche Vorteile: Kapital für Energieimport fließt nicht aus Deutschland ab, neue Arbeitsplätze entstehen, zusätzliche Steuereinnahmen stärken die beteiligten Kommunen. Das mit einem Pufferspeicher kombinierte Kalte Nahwärmenetz in Schallstadt mit Wärme aus Abwasser der Umgebung und Strom aus Wasserkraft der Region ist ein gelungenes Beispiel dafür. WEITERE INFORMATIONEN • Realisierte Sonderlösungen. Referenzbroschüre Mall GmbH, Donaueschingen. https: / / www. mall.info/ downloads/ • Merkblatt DWA-M 114: Abwasserwärmenutzung, April 2020. Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA), Hennef. https: / / webshop.dwa.de/ de/ dwam -114 a b w a s s e r w a r m e n u tzung-4-2020.html Dipl.-Ing. Klaus W. König Fachjournalist, Lehrbeauftragter an der ESB Business School der Hochschule Reutlingen, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Bewirtschaftung und Nutzung von Regenwasser kwkoenig@koenig-regenwasser.de AUTOR Projektdaten: Kaltes Nahwärmenetz Adresse Heizzentrale: Neues Rathaus Waldseemüllerstr. 1, 79227 Schallstadt Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald, Baden-Württemberg Bauherrschaft + Realisierung, Betreiber: Energiedienst AG, Rheinfelden Herstellung + Montage Pufferspeicher 500 m³, Armaturenschacht, Siebschacht: Mall GmbH, Donaueschingen Tiefbau, Schachtmontagen, Leitungsgräben: Johann Joos GmbH & Co KG, Hartheim Schachtsiebanlage (Typ RoK4), Abwasser-Wärmetauscher (2 x Typ RoWin): Fab. Huber SE, Berching Entzugsleistung gesamt: 400 kW - dies entspricht 70 % der erforderlichen Spitzenleistung (restliche Leistung wird über Pufferspeicher und solaren Eintrag sichergestellt) Rechenwert Jahresenergiebedarf der Anschlussnehmer: 1 200 000 kWh Kalkulierte CO 2 -Einsparung für das Gesamtnetz pro Jahr: 325 t - bei Verwendung von CO 2 -freiem Strom, gegenüber reiner Gasheizung Jahr der Inbetriebnahme: 2021 Fördermittel des Landes Baden-Württemberg: 216 299-€ Projektträgerschaft: Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg, Umwelt- und Energieforschung, Programm BWPLUS Projektdaten: Haustechnik Neues Rathaus Rechenwert Jahresenergiebedarf: 130 000 kWh Kalkulierte CO 2 -Einsparung pro Jahr: 35 t Wärmepumpen: Typ Eco Touch DS 5090.5DT, Fab. Waterkotte mit je einem 1 500-Liter-Pufferspeicher für Heizung und für Kühlung Warmwasser-Pufferspeicher: nicht vorhanden, da dezentrale Erwärmung JAZ Heiztechnik: bei VL/ RL 35/ 28 und 12 °C Quelltemperatur = 5,56 Stromversorgung Wärmepumpe: 100 % Strom aus Wasserkraft von NaturEnergie Stromversorgung Gebäude: 40 kW Photovoltaik Jahr der Inbetriebnahme: 2021 40 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Ein moderner Kubus, umhüllt von einer Glasfassade, mitten in Berlin: Der im Februar vergangenen Jahres eröffnete cube berlin, geplant von CA Immo mit Unterstützung des Planungs- und Beratungsunternehmen Drees & Sommer und dem PropTech Thing-it, macht architektonisch durchaus etwas her. Doch die eigentliche Innovation sieht man von außen nicht: Hinter der Fassade verbirgt sich nämlich geballte Intelligenz, denn der Bau setzt ganz auf smarte Technologie - in Verbindung mit höchsten Sicherheitsstandards. Rund 3 750 Sensoren, 750 sogenannte Beacons, also Sender mit Bluetooth Low Energy und 140 Mobilfunkantennen sammeln im cube berlin die unterschiedlichsten Daten, die die Basis für die smarte Gebäudesteuerung bilden. Eine mit künstlicher Intelligenz (KI) ausgestattete zentrale Steuerungseinheit verknüpft viele der technischen Anlagen, Sensoren sowie Planungs-, Betriebs- und Nutzerdaten miteinander. Dieses sogenannte „Brain“ erfasst die Informationen und Daten, analysiert und bewertet sie und unterbreitet Optimierungsvorschläge zum Beispiel für den Betrieb des Gebäudes. So erkennt das System etwa nicht genutzte Flächen und schaltet gegebenenfalls Anlagen wie Heizung, Lüftung, Kühlung oder Licht in diesen Bereichen ab. Das trägt dazu bei, die Energieeffizienz zu erhöhen und den Komfort für die Nutzer zu steigern. Die Energiewende ist in aller Munde, doch von der Erreichung seiner ehrgeizigen Klimaziele ist Deutschland noch meilenweit entfernt. Schlaue Gebäude, die ihren Energiebedarf selbst optimieren und sich an die Nutzerbedürfnisse intelligent anpassen, können einen wichtigen Beitrag für mehr Energieeffizienz im Immobiliensektor leisten. Das Gelingen der Energiewende hängt auch davon ab, ob im Gebäudebereich die richtigen Weichenstellungen vorgenommen werden. Wie schlaue Gebäude das Klima schützen Smart Buildings, Smart Grids, Internet der Dinge, Energieversorgung, Energieeffizienz, Erneuerbare Energien Klaus Dederichs, Bita Sotoudeh Smart Buildings revolutionieren die Immobilienbranche. Mittels Sensoren werden Nutzungsdaten des Gebäudes erhoben und die Energieeffizienz optimiert. Und via Smart Grid können die Gebäude sogar mit dem Stromnetz kommunizieren und dazu beitragen, das Lastenmanagement zu verbessern. Bild 1: Smart Grid steht für ein Datennetz, mit dem parallel zum Stromnetz die Erzeugung, die Verteilung, aber auch die Speicherung der erzeugten Energie koordiniert wird. © monicaodo 41 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Detaillierte Nutzungsdaten: Nur so viel Energieverbrauch wie nötig Das Internet der Dinge und smarte Steuerungen verändern grundlegend die Art und Weise, wie Gebäude bewirtschaftet werden. Ob der cube berlin, The Ship in Köln oder Hammerbrooklyn in Hamburg: immer mehr Gebäude verfügen über ein digitales Gehirn, das Daten der Nutzer und des Betriebs sammelt, analysiert und sich anschließend den individuellen Bedürfnissen anpasst. Sensoren und digitale Datenerfassung ermöglichen detaillierte Nutzungsprofile von Gebäuden und Anlagen in Echtzeit. So liefern beispielsweise CO 2 -Sensoren oder auch klassische Bewegungsmelder Informationen dazu, welche Räume wie stark genutzt werden. Sind Arbeitsplätze oder Räume nicht fest vergeben, zeigt eine App beim Betreten des Gebäudes die Vakanzen. Je nach Nutzung der Räume kann dann die Leistung von Heizung, Klima- oder Lüftungsanlage an den tatsächlichen Bedarf angepasst werden. Steigt etwa der CO 2 -Gehalt der Raumluft aufgrund vieler Besucher, läuft die Lüftung intensiver. Und wenn sich in einem Raum keine Personen aufhalten, wird weniger geheizt. Auf diese Weise lassen sich beträchtliche Energieeinsparungen realisieren: Bis zu 20 Prozent Energieoptimierungspotenziale sind alleine durch einen intelligenten Gebäudebetrieb möglich. Denn eine smarte Immobilie konditioniert die Räume gemäß der tatsächlichen Nutzung und schafft einen großen Beitrag zur Energieeffizienz und damit auch einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele - denn das Gebäude benötigt auf diese Weise nur so viel Energie, wie sich auch Personen in den jeweiligen Räumen aufhalten. In Zukunft kann die Künstliche Intelligenz durch eine Datenanalytik idealerweise sogar Muster für ganze Immobilienportfolios ableiten und so den künftigen Verbrauch für eine relativ große Zeitspanne vorhersagen. Aber auch die Reparatur- und Wartungskosten sowie der Verwaltungsaufwand lassen sich auf diese Weise reduzieren, denn das Gebäude der Zukunft kann mehr als nur Daten zu sammeln - es denkt mit, lernt von seinen Nutzern und passt sich deren Bedürfnissen individuell an. Dadurch werden die Prozesse im Gebäude und aber auch Probleme in optimaler Weise erkannt, bevor sie überhaupt sichtbar werden. Da ein Customized Smart Building auf eine Vielzahl unterschiedlicher Daten zurückgreift, sollte man allerdings schon in der Bild 2: Das beeindruckende Bürogebäude „cube berlin“ des Bauherrn CA Immo verfügt über hochmoderne künstliche Intelligenz und soll sich zukünftig weitestgehend selbst steuern. © CA Immo 42 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Erneuerbare Energien, etwa aus Windkraft- oder Solaranlagen, unterliegen naturgemäß hohen Schwankungen. Um den Anteil Erneuerbarer Energien am Energiemix kontinuierlich zu erhöhen, braucht es ein intelligentes, digitales Energiesystem. Parallel zum Stromnetz entsteht daher ein Datennetz, mit dem die Erzeugung, die Verteilung, aber auch die Speicherung der erzeugten Energie koordiniert wird - das Smart Grid. Die Informations- und Kommunikations-Technologie dahinter ist in der Lage, die schwankende Energiezufuhr und die Stromversorgung im Netz intelligent zu regeln. Erkennt das Smart Grid beispielsweise, dass mehr Strom produziert als benötigt wird, lassen sich einzelne Anlagen wie Windräder gezielt drosseln. Seit Januar 2020 gibt es für alle Haushalte mit einem jährlichen Stromverbrauch von mehr als 6 000 Kilowattstunden (kWh) die Pflicht, Smart Meter einbauen zu lassen. Solche digitalen, intelligenten Messsysteme sind Teil des Smart Grids und kommunizieren den Stromverbrauch und damit den Strombedarf in Echtzeit an die Netzbetreiber. Auch der Verbraucher erhält in Echtzeit Transparenz darüber, wie viel Strom er gerade verbraucht. Mit dem neuen Energiewirtschaftsgesetz will das Wirtschaftsministerium dafür sorgen, dass dynamische Stromtarife in Verbindung mit Smart Metern flächendeckend auf den Markt kommen. Sie passen sich preislich der Nachfrage und dem Angebot im Netz an und sollen so Verbraucher und Klima entlasten. Planungsphase den Datenschutz mitberücksichtigen, um rechtlichen Problemen aus dem Weg zu gehen. Grundsätzlich wird bei den in Smart Buildings gesammelten Daten unterschieden zwischen personenbezogenen und nicht-personenbezogenen Daten. Personenbezogene Daten lassen Rückschlüsse auf individuelle Verhaltensmuster zu. Sie sind deshalb durch die EU- Datenschut zgrundverordnung (DSGVO) und das deutsche Recht besonders geschützt. Anders verhält es sich mit den nichtpersonenbezogenen Daten, wozu etwa Informationen über den Energieverbrauch, technische Daten oder auch Raumbelegungspläne zählen. Schon in der Planungsphase muss daher überlegt werden, wie sich ein direkter Personenbezug möglichst vermeiden lässt, so dass das Smart Building ohne Reibungsverluste seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann. Bild 3: Auch THE SHIP in Köln gilt als ein hochintelligentes Gebäude. Mittels Sensoren werden dort Nutzungsdaten erhoben und die Gebäudesteuerung optimiert. © THE SHIP SMART GRID: STABILITÄT DURCH INTELLIGENTE STROMNETZE 43 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Smart Grid: Smart Buildings kommunizieren mit dem Stromnetz Noch größer wird dieser Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele, wenn das Gebäude etwa durch eine Solaranlage auf dem Dach oder Erdwärmepumpen auch selbst Energie erzeugt. Insbesondere die Solarenergie ist jedoch - neben der Windkraft - stark von Umweltfaktoren abhängig und somit volatil, weshalb man auch die Stabilität des Stromnetzes im Auge behalten muss. Um den Anteil Erneuerbarer Energien am Energiemix kontinuierlich zu erhöhen, braucht es daher ein intelligentes, digitales Energiesystem, dessen Herzstück ein parallel zum Stromnetz entstehendes Datennetz ist - das sogenannte Smart Grid. Damit lassen sich die Erzeugung, die Verteilung, aber auch die Speicherung der erzeugten Energie koordinieren, indem die schwankende Energiezufuhr und die Stromversorgung im Netz intelligent geregelt werden. Erkennt das Smart Grid beispielsweise, dass mehr Strom produziert als benötigt wird, lassen sich einzelne Anlagen wie Windräder gezielt drosseln - oder auch der Energieverbrauch gezielt erhöhen, indem Batteriespeicher aktiviert werden. Und dabei können Customized Smart Buildings helfen: Meldet das Stromnetz einen Energieüberschuss aus Photovoltaik oder Windenergie, kann das Gebäude die verfügbare Leistung entsprechend anpassen. So kann beispielsweise die überschüssige Energie in Batteriespeichern deponiert oder zum Erhitzen des Warmwasserspeichers genutzt und anschließend bedarfsgerecht an die Verbraucher abgegeben werden. Auch Elektroautos können als passive Energiespeicher dienen: So kann etwa im Fall eines Energieüberschusses die Leistung der ins Gebäude integrierten Ladestationen erhöht oder bei einem Engpass entsprechend herunterreguliert werden, um den Energieverbrauch an die Verfügbarkeit anzupassen. Eine solche Priorisierung des Leistungsbedarfs aller angeschlossenen Geräte im Gebäude und eine entsprechende Regulierung der verfügbaren Leistung ist der Schlüssel für intelligente Stromnetze, weil dadurch das Lastenmanagement innerhalb des Stromnetzes verbessert wird. Smart Buildings werden auf diese Weise zu einem intelligenten Quartier vernetzt, das wiederum - in etwas fernerer Zukunft - die Basis für eine Smart City bilden kann. Der Schlüssel dafür wiederum ist der Einbau sogenannter Smart Meter, also digitaler Messsysteme, die den Stromverbrauch und damit den Strombedarf in Echtzeit an den Netzbetreiber kommunizieren. Auch der Verbraucher erhält in Echtzeit Transparenz darüber, wie viel Strom er gerade verbraucht. Seit Januar 2020 gibt es für alle Haushalte mit einem jährlichen Stromverbrauch von mehr als 6 000 Kilowattstunden (kWh) die Pflicht, Smart Meter einbauen zu lassen. Mit dem neuen Energiewirtschaftsgesetz will das Wirtschaftsministerium zudem dafür sorgen, dass dynamische Stromtarife in Verbindung mit Smart Metern flächendeckend auf den Markt kommen. Sie passen sich preislich der Nachfrage und dem Angebot im Netz an und sollen so Verbraucher entlasten - und dazu beitragen, das Klima zu schützen. Klaus Dederichs Partner und Head of ICT Drees & Sommer SE Kontakt: ict@dreso.com Bita Sotoudeh Projektmanagerin Drees & Sommer SE Kontakt: ict@dreso.com AUTOR*INNEN All you can read Alles zusammen zum Superpreis: Die Papierausgabe in hochwertigem Druck, das ePaper zum Blättern am Bildschirm und auf dem Smartphone, dazu alle bisher erschienenen Ausgaben im elektronischen Archiv - so haben Sie Ihre Fachzeitschrift für den urbanen Wandel immer und überall griffbereit. AboPlus: Print + ePaper + Archiv www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren w 44 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Soziale Innovation als Treiber städtischer Energiewenden Energiewende, Transformation, soziale Innovationen, Stadtlabore, Bürgerbeteiligung Viktoria Reith, Sabrina Hoffmann, Maria Stadler, Karoline Rogge, Niklas Mischkowski, Adrienne Kotler Die Veränderung von Städten hin zu nachhaltigen, sozial und ökologisch verträglichen und lebenswerten Räumen erfordert Innovationen in ganz verschiedenen Bereichen. Während Innovationen als Treiber gesellschaftlicher Veränderungen lange Zeit vor allem im Bereich technischer Entwicklungen verortet wurden, wächst inzwischen das Bewusstsein dafür, dass soziale Innovationen als Motor gesellschaftlichen Wandels einen entscheidenden Beitrag zur Gestaltung nachhaltiger und lebenswerter Städte leisten können. Genau hier setzt auch ICLEI als europäisches Städtenetzwerk in der Zusammenarbeit mit Städten an. Gerade im Energiebereich sind soziale Innovationen jedoch bislang wenig untersucht. Unter der Leitung des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) arbeitet ICLEI zusammen mit Partnerstädten und weiteren Forschungseinrichtungen im Rahmen des EU-geförderten Projekts SONNET zu eben diesem Thema: Social Innovation in Energy Transitions. Bild 1: Mannheim - Leben am Neckar. © Daniel Lukac / Stadtmarketing Mannheim GmbH 45 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Unter sozialen Innovationen versteht man dabei Innovationen, die an der Veränderung sozialer Beziehungen ansetzen, beispielsweise durch neue Formen der Kooperation oder durch die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, Nutzungs- oder Eigentumsstrukturen. In sechs verschiedenen Städten (Mannheim, Antwerpen, Bristol, Grenoble, Warschau und Basel) beschäftigt sich das Projekt SONNET mit Fragen rund um die Rolle sozialer Innovationen für die Energiewende. Was können soziale Innovationen beispielsweise dazu beitragen, unsere Energiequellen, deren Nutzung und Produktion sauberer zu machen? Wie kann eine Veränderung sozialer Beziehungen dabei helfen, unseren zukünftigen CO 2 -Fußabdruck zu reduzieren? Ziel des Projekts ist es, Antworten auf diese Fragen zu erarbeiten und herauszufinden, wie soziale Innovationen zu nachhaltigeren Energiesystemen in Europa beitragen können. Um ein genaueres Verständnis der Vielfalt sozialer Innovationen im Energiebereich zu gewinnen, sowie deren Prozesse und Potenziale zu erforschen, steht im Fokus des Projektes der Ansatz von City Labs (in Anlehnung an sogenannte Reallabore, welche als Kooperation zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft das gegenseitige Lernen in einem experimentellen Umfeld ermöglichen). In diesen Experimentierräumen werden Transformationspotenziale in den jeweiligen Städten direkt vor Ort eruiert und Strategien zur Umsetzung bestimmter Maßnahmen erprobt, reflektiert und evaluiert. Die jeweiligen City Labs setzen dabei unterschiedliche Schwerpunkte und untersuchen die sozio-ökonomischen, sozio-kulturellen und sozio-politischen Bedingungen sozialer Innovationen im Energiebereich. Das City Lab Mannheim Eines der City Labs wird in der Stadt Mannheim durchgeführt. Hier liegt der Fokus auf der Entwicklung und Erprobung neuer organisatorischer Steuerungs- und Beteiligungsprozesse. Ziel ist es, das Verständnis für die Herausforderungen der lokalen Energiewende aus Sicht der Nutzenden und aus Systemperspektive zu schärfen sowie ein Momentum für neue soziale Innovationen zu schaffen. Dies umfasst sowohl inneradministrative Prozesse in der Stadtverwaltung als auch eine breit angelegte Beteiligung an Transformationsprozessen, um die Bürgerschaft aktiv in die Mitgestaltung und Entscheidungsfindung einzubeziehen. Strategien werden dazu gemeinsam mit verschiedenen Akteursgruppen durch innovative Methoden (beispielsweise Design Thinking) ausgearbeitet, im Anschluss in der Praxis getestet und evaluiert. Durch das City Lab wird ein Raum geschaffen, der lokalen Akteuren die Möglichkeit zur Vernetzung gibt, während gleichzeitig die Stadt Mannheim deren Aktivitäten zur lokalen Energiewende unterstützt. Die Stadt Mannheim bietet wichtige Faktoren für die Erforschung urbaner sozialer Innovationen. Aufgrund der zentralen Lage in einer industrieintensiven Metropolregion, die sich derzeit auf dem Weg der Dekarbonisierung befindet, ist die soziale und lokale Energiewende für die Stadt von großer Bedeutung. Deshalb hat sich Mannheim bereits politisch im Leitbild „Mannheim 2030“ zu einer klimagerechten, klimaneutralen und resilienten Stadtentwicklung verpflichtet. Der Ausbau regenerativer Energien auf lokaler Ebene soll durch innovative Projekte, welche sozialverträglich, ökologisch sinnvoll und ökonomisch realisierbar sind, vorangetrieben werden. Darüber hinaus hat die Stadt gemeinsam mit ICLEI die „Mannheim Message“ im Rahmen der Sustainable Cities and Towns 2020 Konferenz verabschiedet - ein Leitbild für die europäische Stadtentwicklung, für die Umsetzung des Europäischen Green Deals auf lokaler Ebene. „Dies ist ein extrem vorbildlicher Prozess; die Stadt Mannheim ist sowohl auf europäischer wie auf deutscher Ebene ein Vorreiter in Sachen politischer Wille und Offenheit für nachhaltige Erneuerungen. Die Logik sozialer Innovation hilft hierbei, um gemeinsame Entwicklungspfade zwischen Stadt, Bürger*innen, und Unternehmen zu gestalten“, betont Niklas Mischkowski, Officer für Governance and Social Innovation bei ICLEI. Das City Lab wurde im Stadtteil Neckarstadt- West etabliert. Hierbei handelt es sich um ein oft benachteiligtes Viertel mit sozialen Problemlagen, dennoch ist Neckarstadt-West ein aktiver, kreativer und diverser Stadtteil. Eine energetische Quartiersanalyse zeigt dem City Lab, welche Handlungsschwerpunkte lokal gesetzt werden können und wo Entwicklungsbedarf besteht. Das Projekt SONNET nutzt die bereits bestehenden Netzwerke in der Neckarstadt-West, um Ideen sozialer Innovationen in der Energiewende zu verbreiten. Durch das City Lab kann das vielseitige Handlungsfeld „Energie“ an die lokalen Akteur*innen herangetragen, Multiplikator*innen für das Projekt gewonnen, sowie erste Maßnahmenideen entwickelt und gemeinschaftlich umgesetzt werden. Bürger*innenbeteiligung in Zeiten einer Pandemie - Herausforderung und Chance Das Mannheimer City Lab startete im Dezember 2019 gemeinsam mit Vertreter*innen der Stadtverwaltung, Akteur*innen und Multiplikator*innen aus lokalen Netzwerken und mit wissenschaftlicher 46 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Unterstützung des Fraunhofer ISI mit mehreren Design Thinking Workshops. In diesem kreativen Prozess wurden vielfältige Ideen entwickelt, wie soziale Innovationen im Quartier Neckarstadt-West gelingen können. Die in diesem Prozess erarbeiteten Kernideen sollten einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht und mit dieser diskutiert werden. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt die Corona-Pandemie bereits in vollem Gange und stellte die Weiterentwicklung des Projekts zunächst vor große Herausforderungen, denn die geplanten Beteiligungsaktionen konnten nicht wie geplant vor Ort durchgeführt werden. Ganz im Sinne der Erforschung neuer organisatorischer Steuerungsprozesse wurde kurzfristig ein neues Partizipationskonzept erarbeitet. So nutzte das Mannheimer City Lab alternative Wege zur Bürger*innenbeteiligung - nicht nur virtuell. Im September 2020 wurde ein Pop-Up-Event im öffentlichen Raum organisiert, bei dem Passant*innen unter Einhaltung eines Hygienekonzeptes dazu eingeladen waren, die bisherigen Ideen zu diskutieren, zu schärfen sowie neue Sichtweisen mit einzubringen. Das Projekt SONNET sowie die Ideen wurde in zahlreichen Netzwerken und Kooperationsgesprächen (zum Beispiel: Quartiermanagement, Verbraucherzentrale, Campus Neckarstadt-West, etc.) vorgestellt und diskutiert. Die Ergebnisse flossen schließlich in ein interaktives Quartiersgespräch ein, das im Dezember 2020 virtuell stattfand. Über 50- Teilnehmer*innen informierten sich rund um die Aktivitäten des SONNET City Labs in der Neckarstadt-West und bauten die Ideen zur lokalen, sozialen Energiewende weiter aus. In mehreren Kleingruppen wurden lebhafte Diskussionen zu den Themen „umweltfreundliche Mobilität“, „Förderung, Bildung und Partizipation“ sowie „Energie und Wohnen“ geführt. Einige dieser Ideen sind: Ausbau von Mobilitätsstationen zur Unterstützung des multimodalen Verkehrsverhaltens, Förderung des Umweltverbundes und Reduktion des motorisierten Individualverkehrs (MIV) Neuauflage der Aktion „Spar dir dein Auto! “: Ein Wettbewerb bei dem die Teilnehmenden auf den eigenen PKW verzichten und dafür kostenfreie oder vergünstigte Angebote für ÖPNV, Bike- und Carsharing erhalten inklusive medialer Begleitung Einrichtung eines „Ideenbusses“ als Ort zur Information über Best-Practice-Beispiele, zum Austausch und zur Vernetzung lokaler Akteur*innen zu gemeinschaftlichen Projekten Einrichtung eines Quartiersfonds (Crowdfunding), um privates Engagement und öffentliche Ressourcen zur Funktionsstärkung und lokalen Bild 2: Ideendokumentation im Quartier. © MV V Regioplan GmbH Bild 3: Das Mobile Grüne Zimmer ® . © Helix Pflanzen GmbH 47 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Entwicklung zu aktivieren sowie transparente Entscheidungsfindung zur finanziellen Unterstützung von „Energieprojekten“ vor Ort Angebot eines Kinderenergiecamps als Motivation zum spielerischen Erlernen und Sensibilisieren zu Klimaschutzthemen; Schüler*innen gehen als Multiplikator*innen in ihr soziales Umfeld; mit der Klimaschutzagentur Mannheim gGmbH kann an bestehende städtische Angebote angeknüpft werden (zum Beispiel: Klimahelden, KliMAaktive Schule). Gamification: Lokaler Gebrauch von verhaltensändernden Apps kann die Motivation schaffen, sich mit den Themen Energie und Klima auseinanderzusetzen. Durch spielerische Erfahrungen können Reize geschaffen werden, Klimaschutz langfristig in das Alltagshandeln zu integrieren. Energieoptimierte Musterwohnung als Live-Demonstration: engagierte Gebäudeeigentümer- *innen werden bei ihren umfangreichen Sanierungsmaßnahmen beraten, unterstützt und ermöglichen Interessierten einen Einblick, wie sich die Umsetzungshemmnisse bei kleinen und großen Investitionsvorhaben reduzieren lassen (vom Kühlschrankkauf über den Austausch der Beleuchtung bis zur solarenergetischen Potenzialnutzung) Ausblick - Beteiligung weitergedacht Um trotz anhaltender Pandemiebedingungen die Bürger*innenbeteiligung zu sichern, wird das City Lab von Mai bis August 2021 das Mobile Grüne Zimmer ® in den Stadtteil bringen. Dieses bietet eine Bühne für die lokalen Organisationen und Vereine, um Mitstreiter*innen für ihre Aktionen zur Umsetzung der lokalen Energiewende zu gewinnen. Des Weiteren steht ab Juni 2021 die App Klimathon zur Verfügung, bei der sich alle Bewohner*innen von Neckarstadt-West über mehrere Wochen bei unterschiedlichen „Challenges“ in Energie- und Klimaschutzthemen gegeneinander und miteinander messen können. Dies stellt eine Möglichkeit dar, auch in pandemischen Zeiten Bürger*innen zu aktivieren und spielerisch zu informieren. Darüber hinaus kann über die entwickelten Ideen auf dem Mannheimer Online-Beteiligungsportal „Mannheim gemeinsam gestalten“ abgestimmt, Unterstützung angeboten oder es können neue Sichtweisen eingebracht werden. Um die erarbeiteten Maßnahmen des SONNET Projekts in die Umsetzung zu bringen und zu verstetigen sowie Beteiligungsmöglichkeiten perspektivisch auch abseits des virtuellen Raums anbieten zu können, wird in Neckarstadt-West ein Sanierungsmanagement mit einer geplanten Lauf- Sabrina Hoffmann Projektleitung Nachhaltige Stadtentwicklung Stadt Mannheim Kontakt: sabrina.hoffmann@mannheim.de Viktoria Reith Klimafolgenanpassungsmanagerin Stadt Mannheim Kontakt: viktoria.reith@mannheim.de Maria Stadler Wissenschaftliche Mitarbeiterin Competence Center Politik und Gesellschaft Fraunhofer ISI Kontakt: maria.stadler@isi.fraunhofer.de Karoline Rogge Wissenschaftliche Leitung SONNET- Projekt + Stellvertretende Leiterin Competence Center Politik und Gesellschaft Fraunhofer ISI Kontakt: karoline.rogge@isi.fraunhofer.de Niklas Mischkowski Officer Governance & Social Innovation ICLEI Kontakt: niklas.mischkowski@iclei.org Adrienne Kotler Officer Communications & Member Relations ICLEI Kontakt: adrienne.kotler@iclei.org AUTOR*INNEN zeit von fünf Jahren implementiert. Ob es den Europäischen Green Deal, die Mannheim Message oder das lokale City Lab betrifft: Städte und ihre Partnerorganisationen werden durch die Pandemie zu langfristigem Denken angehalten. „Und das ist sicher eine notwendige Fähigkeit in Fragen der Nachhaltigkeit“, findet man auch bei ICLEI. Weiterführende Informationen unter: www.sonnet-energy.eu 48 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Motivation und Ziel Die Gebäude im Smart-East-Quartier sind teils über 100 Jahre alt und ihre Energieversorgung soll so erweitert und im Quartier vernetzt werden, dass sie in Kürze einen Beitrag zur Energiewende vor Ort leisten. Das stellt eine Herausforderung dar, weil es kaum vergleichbare Beispiele gibt, an denen sich Smart East - die Energiewende in die Stadt bringen In Karlsruhe Ost entsteht ein Reallabor für die Transformation eines ganzen Stadtquartiers in ein smartes Quartier mit klimaschonender Energieversorgung Energiewende, Reallabor, Stadtquartier, Partizipation, Karlsruhe Christoph Schlenzig, Manuel Lösch Sowohl international als auch auf nationaler Ebene verstärkt sich der Trend in der städtebaulichen Planung, durch die Schaffung smarter Energiesysteme das Ziel einer klimaneutralen Stadt zu erreichen. Überwiegend handelt es sich dabei aber um Planungen für Neubaugebiete. Die Sektoren Strom, Wärme, Kälte und Mobilität können in diesen von vorneherein gemeinsam geplant und gekoppelt werden. Smart East dagegen ist ein Reallabor-Projekt, in dem ein gemischtes Gewerbe- und Wohngebiet mit Bestandsgebäuden in Karlsruhe-Ost in ein energieoptimiertes smartes Quartier transformiert werden soll. Hierzu sollen neue digitale Geschäftsmodelle zur energetischen Kooperation im Quartier entwickelt und demonstriert werden. die Verantwortlichen dieses Reallabors orientieren können. Mit Smart East entsteht daher gleichzeitig eine für andere Kommunen wertvolle Blaupause für energieoptimierte Bestandsquartiere. Das Leuchtturmprojekt soll innerhalb von drei Jahren umgesetzt werden und wird mit einer Million Euro durch das Land Baden-Württemberg unterstützt. Bild 1: Luftbild des Quartiers „Smart East“ in Karlsruhe. © Baden T V 49 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft IT-Komponenten und Algorithmen. Aufbauend auf theoretischen Analysen beschäftigt sich das FZI mit dem optimierten Betrieb von Energieanlagen und der Kommunikation über intelligente Messsysteme. Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) - Institut für Automation und angewandte Informatik Das Karlsruher Institut für Technologie - Institut für Automation und angewandte Informatik betreibt Forschung auf dem Gebiet innovativer, anwendungsorientierter Informations-, Automatisierungs- und Systemtechnik für zukunftsfähige Energiesysteme. Das KIT ist für die Digitalisierung des Quartiers durch den Aufbau einer digitalen Infrastruktur zuständig. Dadurch können Mess- und Zustandsdaten aus den Gebäuden erfasst und mithilfe von Kommunikationssystemen übermittelt werden. Das KIT trägt außerdem maßgeblich zur Erstellung von Modellen der Einzelanlagen und des Gesamtquartiers bei, welche die Grundlage für eine vorausschauende Einsatzplanung der vernetzten energietechnischen Anlagen im Quartier sind. Diese Modelle dienen dazu, wirtschaftliche Betriebsvarianten für neue Geschäftsmodelle zu identifizieren. Die Seven2one Informationssysteme GmbH Das Karlsruher IT-Unternehmen Seven2one Informationssysteme GmbH ist Experte für die Digitalisierung der Geschäftsmodelle der Energiewende und entwickelt dazu individuelle Lösungen für das Energiemanagement dezentraler Energiesysteme in smarten Quartieren und Unternehmen. Seven2one ist verantwortlich für den Aufbau der digitalen Quartiers-Plattform zur energetischen Vernetzung der Gebäude in Smart East. Die Plattform bündelt die Daten aller Zähler und Sensoren in einer Datendrehscheibe, bindet dort die Optimierungsmodelle der Forschungspartner an und ermöglicht so das kontinuierliche Quartiers-Energiemanagement. Für die Menschen bietet die Plattform Portale zur Visualisierung der relevanten Quartiersinformationen aus Sicht des Betreibers („Leitstand“) sowie aus Sicht der Mieter („Kundenportal“) und ermöglicht so Transparenz und Partizipation. Die Stadtwerke Karlsruhe (SWK) Die Stadtwerke Karlsruhe (SWK) sind als regionaler Energieversorger maßgeblich an der Realisierung innovativer Lösungsansätze für zukünftige Energiesysteme beteiligt und investieren in das Reallabor, um neue Quartiers- und Mobilitätskonzepte zu entwickeln. Die Stadtwerke Karlsruhe unterstützen bei der Instrumentierung der Liegenschaften mit intel- Ein gemischtes Gewerbe- und Wohnquartier in der Oststadt von Karlsruhe wird zu einem energieoptimierten und klimaschonenden Quartier. DIE VISION: Von der Idee zur Bündelung von Know-how Anfang 2019 entstand die Idee, mit einem Verbund aus Forschungsinstituten sowie IT- und Energieunternehmen ein Reallabor für ein smartes Quartier auf der Innovationsachse Haid-und-Neu-Straße in Karlsruhe-Ost zu entwickeln. Ziel war es, in einem Reallabor die Potenziale einer klimaschonenden Energieversorgung mit erneuerbaren Energien in einem städtischen Bestandsquartier in der Praxis zu erproben, neue digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln und anschließend die Wirtschaftlichkeit zu bewerten. Durch die Verbindung aus Forschung, IT- und Energie-Unternehmen ist ein starkes Projekt-Team entstanden, welches die Kompetenzen der TechnologieRegion Karlsruhe bündelt, wo mit der Energieinformatik ein neuer Wirtschaftsschwerpunkt im Entstehen ist. Der amtierende Oberbürgermeister der Stadt, Dr. Frank Mentrup, ist als Schirmherr des Reallabors von Smart East überzeugt und bezeichnet es als ein wichtiges Mustervorhaben, das einen möglichen Weg zur Erreichung der Klimaschutzziele 2050 für Karlsruhe aufzeigt. Mit ihm als politischem Zugpferd und den elf weiteren Praxispartnern aus der Region entstand für dieses Leuchtturmprojekt ein starker Verbund für die Realisierung der Vision von Smart East. Verbundpartner und assoziierte Partner Die initiierenden Verbundpartner des Reallabors haben genau das spezifische Know-how, um trotz der hohen Komplexität des Vorhabens Smart East zum Erfolg zu führen. Der Verbund setzt sich aus vier direkt beteiligten Organisationen zusammen. Das FZI Forschungszentrum Informatik Das FZI Forschungszentrum Informatik in Karlsruhe ist eine wirtschaftsnahe und unabhängige Forschungseinrichtung an der Schnittstelle zwischen universitärer Forschung und praktischer Anwendung. Im Anwendungsfeld Energie erforschen die FZI-Wissenschaftler neue Verfahren und Technologien, die dazu beitragen, Energiesysteme mit einem hohen Anteil erneuerbarer Energiequellen effizient zu betreiben. Im Projekt Smart East liegt der Fokus auf der Ausgestaltung digitaler Geschäftsmodelle zur energetischen Kooperation in intelligenten Quartieren und der Entwicklung dazu notwendiger 50 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft ligenten Messsystemen und entwickeln gemeinsam mit den Projektpartnern neue Geschäftsmodelle. Ziel ist es, die Praxistauglichkeit und Wirtschaftlichkeit der Geschäftsmodelle einzuschätzen und deren Umsetzbarkeit in realen Umgebungen zu prüfen, um dann wirtschaftlich nutzbare und einsatztaugliche Musterlösungen für Stadtwerke herauszuarbeiten. Darüber hinaus helfen sieben assoziierte Partner bei der Realisierung von Smart East. Der Zusammenschluss der initiierenden Partner mit den assoziierten Partnern schafft ein Konsortium mit breit angelegtem Wissen, wertvollen Erfahrungen und starken Netzwerken. Folgende Unternehmen unterstützen das Reallabor mit ihrer Expertise: 1. Die Technologiefabrik Karlsruhe GmbH gehört zu einer der sechs Liegenschaften von Smart East und ist als Gründerzentrum Heimat für 80 Startup-Unternehmen aus dem Bereich der IT- und High-Tech-Branche unter einem Dach. 2. Die Smart Grids-Plattform Baden-Württemberg e. V. für Energiewirtschaft, Industrie, Politik und Wissenschaft ist für die Vernetzung des Projekts mit den Energiewende-Aktivitäten im Land zuständig und ein wesentlicher Kommunikationskanal, um die Projekt-Erfahrungen und Ergebnisse bekannt zu machen. 3. Das Energienetzwerk fokus.energie e. V. befindet sich als Mieter unter dem Dach der Technologiefabrik. Das Netzwerk bringt Menschen zusammen, ermöglicht fachliche Koordination und Bündelung, um innovativen Konzepten im Energiebereich zum Erfolg zu verhelfen. Der Verein trägt mit seiner Informationsplattform zur Kommunikation gegenüber der interessierten Öffentlichkeit bei. 4. Die badische Energie-Servicegesellschaft mbH (BES) ist ein lokaler grüner Energieerzeuger mit innovativen und smarten Lösungen zur Energieversorgung. Die BES ist eine Tochter der Stadtwerke Karlsruhe und der Hoepfner Bräu Verwaltungsgesellschaft. Die BES entwickelt passgenaue Lösungen nach den jeweiligen Vor-Ort-Anforderungen und verkauft Nutzenergie in Form von Wärme, Kälte oder Strom an die Kunden - zum Beispiel über Community-Modelle. Sie ist gleichzeitig Energieversorger für das Hoepfner Areal, auf dem sich vier Liegenschaften von Smart East befinden. 5. Der CyberForum e. V. ist das größte regional aktive Hightech-Unternehmer-Netzwerk in Europa, mit 1 200 Mitgliedern und rund 30 000 Arbeitsplätzen. Das CyberForum ist als Mieter in der Hoepfner Burg ein wichtiger Stakeholder im Quartier. 6. Die TechnologieRegion Karlsruhe GmbH (TRK) ist eine Regionalentwicklungs- und Standortvermarktungsgesellschaft, die sich auf Wirtschaft, Innovation und Wissenschaft fokussiert. Mit der Energiestrategie „R E-Action 1.5“ bietet die TRK Kommunen und politischen Entscheidern in der TRK einen Handlungsrahmen, um die Pariser Klimaziele zu erreichen und zugleich die regionale wirtschaftliche Entwicklung zu fördern. Ziel ist es, die Energiewende wirtschaftlich, gesellschaftlich und ökologisch zu einem Erfolg zu machen sowie die Energieinformatik als neuen Wirtschaftsschwerpunkt der TechnologieRegion Karlsruhe zu etablieren, wozu Leuchtturmprojekte wie das Reallabor Smart East beitragen. Ein besonderer Schwerpunkt der TRK liegt in der Entwicklung smarter Quartiere und durch den Erfahrungsaustausch in Netzwerken sowie eine begleitende Öffentlichkeitsarbeit wird die TRK das Projekt Smart East aktiv begleiten. 7. Die Hoepfner Bräu Friedrich Hoepfner Verwaltungsgesellschaft mbH & Co KG verfolgt unter der Führung von Herrn Dr. Hoepfner innovative Konzepte für ein nachhaltiges Immobilienmanagement und beteiligt sich mit vier Liegenschaften am Smart-East-Reallabor. Sie ist auch Anteilseigner an der BES. Durch den Verbund aus insgesamt elf Projektpartnern ist es gelungen, mit Eigentümern, Immobilien- und Anlagenbetreibern, Mietern und dem loka- Bild 2: Smart East Karte. © ink drop, stock. adobe.com 51 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft len Energieversorger alle betroffenen Stakeholder für Smart East zu begeistern und an Bord zu holen. Dadurch wurde die große Chance geschaffen, neue Konzepte zur Quartiersversorgung und dazu passende Geschäftsmodelle in der Realität umzusetzen und zu erproben. Status quo des Bestandsquartiers Entlang der Innovationsachse Haid-und-Neu-Straße in Karlsruhe-Ost befinden sich insgesamt sechs Liegenschaften, die unterschiedlich genutzt werden. Es handelt sich dabei um Wohn- und Bürogebäude, Labore, ein Mehrgenerationenhaus, zwei Startup-Zentren und das neue, sich im Bau befindliche, Innovationszentrum iWerkx mit dem Smart Production Park. Das Quartier hat mit Gebäuden unterschiedlichen Baualters und energetischer Ausgestaltung eine heterogene Struktur. Die Gebäude sind zum Teil noch mit konventionellen Stromzählern ausgestattet und nicht untereinander vernetzt. In den sechs Liegenschaften findet sich Energieerzeugung durch Photovoltaik (PV)-Anlagen, Blockheizkraftwerke oder Fernwärmeversorgung, Energieverbrauch durch viele Gebäudeklimaanlagen und Ladesäulen für Elektromobilität sowie thermische Heiß- und Kaltwasser-Pufferspeicher. Das neue iWerkx wurde bereits mit einem modernen Energiekonzept geplant, die Technologiefabrik besitzt als Industriebau aus dem Jahr 1914 eine klassische Energieversorgung. Die Stadtwerke Karlsruhe sind zusammen mit der Badischen Energie-Servicegesellschaft lokaler Energielieferant in dem Quartier und deshalb insbesondere an der Bestimmung des Potenzials für den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien interessiert. In diesem Zusammenhang wird vor allem untersucht, ob sich die räumlich angrenzenden Gebäude durch wirtschaftliche Geschäftsmodelle zu einer Energiegemeinschaft zusammenschließen lassen und welche Potenziale sich zur Sektorkopplung anbieten. Vier Aktionsfelder für das Reallabor Zur Transformation des Bestandsquartiers in ein energieoptimiertes und klimaschonendes Quartier wurden vier Aktionsfelder definiert. Diese werden in Smart East gesamtheitlich verfolgt. Die Transformation soll damit auch als Blaupause für andere Quartiere dienen. Aktionsfeld 1: Klimaschutz Dezentrale Energieversorgung mit Sektorkopplung Das Aktionsfeld widmet sich der Ermittlung der Dekarbonisierungspotenziale durch den Aufbau einer dezentralen erneuerbaren Energieversorgung, deren Chance sich aufgrund der räumlichen Nähe der Liegenschaften zueinander ergibt. Smart East wird in diesem Zusammenhang die Möglichkeiten zur Kopplung der Sektoren Strom, Wärme, Kälte, Gas und Mobilität im Quartier erschließen und das reale Potenzial dieser Maßnahme für den Klimaschutz ermitteln. Ziel ist es, möglichst viel Strom vor Ort aus erneuerbaren Energien zu gewinnen und intelligent im Quartier zu nutzen. Zusammen mit der umweltfreundlichen Fernwärme der Stadtwerke Karlsruhe und den vorhandenen Blockheizkraftwerken soll die Klimabilanz des Quartiers optimiert werden. Das Quartiers-Energiemanagement ermöglicht die intelligente Integration von Kühl- und Wärmelasten sowie geeigneten Quartiersspeichern. Damit kann der vor Ort erzeugte Strom im Quartier verbraucht, gespeichert, in Wärme bzw. Kälte umgewandelt oder zum Laden von Elektroautos verwendet werden. In diesem Zusammenhang wird außerdem die Nutzbarkeit, der sich durch die Sektorkopplung ergebenden Flexibilität zur Stabilisierung des öffentlichen Stromnetzes untersucht. Synergieeffekte durch Energiemanagement im Quartier Zur Optimierung des Energiesystems in diesem Reallabor werden neue Verfahren der Energieinformatik angewandt, praxistauglich gemacht, im Betrieb getestet und weiterentwickelt. Die rund um das FZI House of Living Labs des FZI Forschungszentrums Informatik und die Hoepfner-Brauerei in der Karlsruher Oststadt liegenden Gebäude, werden zu einem energieoptimierten Quartier vernetzt. Dazu wird, basierend auf dem existierenden modularen Framework von Seven2one, ein Quartiersenergiemanagement aufgebaut, welches die Optimierungsmodelle der Forschungspartner integriert. Die sektorgekoppelte Optimierung von Erzeugung, Bild 3: Die Hoepfner- Burg. © Ras Rotter 52 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Speicherung und Verbrauch wird dabei durch die Vernetzung der lokalen Gebäude-Energiesysteme auf der übergeordneten Quartiersebene erreicht. Die gemischten Nutzungsarten Büro, Labor, Produktion, Gewerbe und Wohnen ermöglichen dabei neue Optimierungsspielräume zur dezentralen Abstimmung von Verbrauch und regenerativer Erzeugung. Damit wird gezeigt, wie sich ein vorhandener Gebäudebestand technisch aufrüsten und im Verbund zu einer intelligenten Energiezelle verknüpfen lässt. Dabei werden Synergieeffekte untersucht, die durch die heterogene Anlagenzusammensetzung mit unterschiedlichen Nutzungsprofilen und dem Austausch von Stromüberschüssen unter den vernetzten Gebäuden in Echtzeit entstehen. Aktionsfeld 2: Digitalisierung Digitalisierung durch Retrofitting: Das Reallabor zeigt, wie ein städtisches Quartier digitalisiert werden kann - die Grundvoraussetzung für ein integriertes Energiemanagement und Sektorkopplung. Durch ein Retrofitting-Konzept zur Nachrüstung und Modernisierung der Messinfrastruktur werden die Gebäude und Bestandsanlagen mit digitaler Mess- und Steuerungstechnik ausgestattet, allen voran intelligente Messsysteme. Diese werden in Verbindung mit den Smart-Meter- Gateways zur zentralen Kommunikationseinheit, die für die Realisierung des Datenaustauschs mit dem Quartiers-Energiemanagement nötig ist. Der Fokus beim Retrofitting liegt auf der Verwendung standardisierter Schnittstellen zur Messdatenerfassung, Kommunikation und Steuerung, um eine möglichst kostengünstige Nachrüstung zu ermöglichen. Quartiersplattform für Optimierung und Dokumentation: Ein weiterer Aspekt der Digitalisierung von Smart East ist der Aufbau der Quartiersplattform. Die Plattform dient der Optimierung des Energieaustauschs innerhalb des Quartiers, der Speicherbewirtschaftung und des Lademanagements für die Elektrofahrzeuge. Hier werden alle benötigten Daten aus dem Quartier gebündelt und dokumentiert. Gleichzeitig ermöglicht ein Portal die transparente Visualisierung der Informationen und Ergebnisse. Dieser Zugang steht allen Partnern zur Verfügung, eingeschränkt aber auch anderen Interessierten aus Forschungseinrichtungen und der Energiebranche. So wird es der Fachwelt und anderen Kommunen möglich, an den Erkenntnissen, der Vorgehensweise und der entwickelten Lösungen zur Umsetzung neuer Geschäftsmodelle teilzuhaben. Aktionsfeld 3: Geschäftsmodelle Vielfältige Geschäftsmodelle für Energiemanagement im Quartier: Ein zentrales Element des Reallabors ist die Entwicklung innovativer Geschäftsmodelle für lokale Energiegemeinschaften im Quartier. Neue Geschäftsmodelle zum dezentralen Energiemanagement in Quartieren werden entwickelt und im Reallabor untersucht. Beispiele für Geschäftsmodelle sind Energie-Contracting, neue Anwendungsfälle für Smart Meter wie Sub-Metering und Mieterstrom, Dienstleistungen rund um Energiegemeinschaften sowie die Errichtung und der Betrieb von Quartiersspeichern oder Ladeinfrastruktur im Quartier inklusive eines integrierten Energiemanagements. Im Blickfeld sind außerdem zeitvariable Tarife, das Pooling und die netzdienliche Vermarktung von Flexibilität bei Stromverbrauch und -erzeugung. Stromüberschüsse können lokal zwischen den Akteuren im Quartier ausgetauscht und Lastverschiebungen bei der Nachfrage nach Strom, Wärme, Kälte, Gas, Lüftung und Elektromobilität berücksichtigt werden. Möglich ist die Vermarktung von aggregierter Flexibilität am Regelleistungsmarkt oder am (EPEX) Intraday-Strommarkt zur Glattstellung der Bilanzkreise. Hierzu sollen Möglichkeiten zur Bildung einer Energiegemeinschaft und damit zusammenhängende Auswirkungen auf anfallende Umlagen und Entgelte untersucht und praxisnah aufgezeigt werden. Regulatorik setzt Rahmenbedingungen: Soweit diese Geschäftsmodelle regulatorisch umsetzbar sind, werden sie in Smart East in der Realität erprobt. Es wird gezeigt, ob und wie mit ihnen unter den aktuellen energiepolitischen Rahmenbedingungen Geld verdient bzw. gespart werden kann. Allerdings können regulatorische Einschränkungen dazu führen, dass nicht alle identifizierten Bausteine eines Geschäftsmodells konform zu den bestehenden Rahmenbedingungen umsetzbar sind. Im letzteren Fall soll der Mehrwert der nicht umsetzbaren Aspekte auf der Ebene von Bilanzrechnungen aufgezeigt werden. Dabei sollen auch Handlungsanleitungen entwickelt werden, die Ausgestaltungsmöglichkeiten innerhalb der Regulatorik zur Etablierung neuer Geschäftsmodelle aufzeigen. Aktionsfeld 4: Partizipation Öffentlichkeitswirksame Demonstration: In dem Reallabor werden alle wesentlichen Stakeholder des Quartiers einbezogen: Eigentümer, Mieter, Anlagenbetreiber und Energieversorger. Durch die intensive Kommunikation mit den unterschiedlichen Stakeholdern im Quartier und dem 53 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft konsequenten Auftritt in der Öffentlichkeit sollen die Ergebnisse aus Smart East allen Beteiligten und Interessierten transparent und nachvollziehbar gemacht werden. Anwenderkreistreffen für Stakeholder im Quartiersumfeld: Im Rahmen von Smart East wird ein Anwenderkreis etabliert, der zusammen mit der neu geschaffenen Kompetenzstelle Smarte Quartiere der Smart Grids- Plattform Baden-Württemberg e. V. organisiert wird. Im Rahmen mehrerer Treffen und Workshops können potenziell interessierte Stakeholder wie Kommunen, Wohnungswirtschaft, Immobilienentwickler, Gewerbeparkbetreiber oder öffentliche Liegenschaftsbetreiber das Projekt von Anfang an begleiten, erste Erkenntnisse selbst nutzen oder ihre Fragestellungen in das Projekt einbringen. Smart East wird somit eine Lösung für Energiewende und Klimaschutz in Bestandsquartieren aufzeigen und durch intensive Öffentlichkeitsarbeit sollen auch andere Quartiere zum Handeln motiviert werden. Bei der Transformation hin zu energieoptimierten und klimaschonenden Quartieren soll Smart East als Vorbild und Blaupause auch für weitere Quartiere und andere Kommunen dienen. Herausforderungen und Risiken von Smart East Das Vorhaben birgt einige Risiken für die teilhabenden Verbundpartner. Zunächst ist die Digitalisierung und Nachrüstung von Messinfrastruktur in alten Gebäuden mit aktivem Betrieb eine Herausforderung. Weiterhin stehen im Projekt selbst keine Mittel zum Ausbau zusätzlicher PV-Anlagen im Quartier zur Verfügung. Die ersten Potenzialabschätzungen deuten auf ein PV-Potenzial in der Größenordnung von 500- kWp hin. Hier ist nun konsequente Überzeugungsarbeit bei den Eigentümern gefordert. Diese sollen von der Wirtschaftlichkeit der Investition überzeugt werden, damit das Potenzial erneuerbarer Energien auf freien Dachflächen voll ausgeschöpft werden kann. Somit besteht ein Risiko, dass nicht alle Erneuerbare-Energien-Potenziale voll ausgeschöpft werden können, die vor Ort theoretisch zur Verfügung stehen. Die Zukunftsvision Das Projekt soll in der Praxis nachweisen und demonstrieren, dass durch eine Vernetzung von Energieanlagen eine optimierte Betriebsführung möglich ist. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die Kopplung der Sektoren Strom, Wärme, Kälte, Gas und Mobilität durch eine entsprechende Digitalisierung. Es soll gezeigt werden, dass durch entsprechende Software nicht nur ein substanzieller Beitrag zum Klimaschutz, sondern auch eine Reduzierung der Energiekosten für Bestandsquartiere möglich ist. Die Vernetzung der Energieanlagen zu einem Verbund und die lokale Abstimmung von Erzeugung und Verbrauch im Quartier erlaubt dabei eine sichere, robuste und netzdienliche Energieinfrastruktur. Zukünftige Geschäftsmodelle werden das netzdienliche und marktorientierte Anbieten der durch die Sektorkopplung entstehenden Flexibilität in Stromverbrauch und -erzeugung ermöglichen. Herausforderungen der schwankenden Stromerzeugung durch Sonne und Wind im öffentlichen Stromnetz kann somit effizient entgegnet werden. Das Projekt Smart East hat Vorbildcharakter, indem es eine übertragbare Blaupause zur Transformation weiterer Bestandsquartiere bietet. Mit den entwickelten Geschäftsmodellen und der digitalen Plattform zum Quartiers-Energiemanagement wird damit ein signifikanter Beitrag zu den Klimaschutzzielen in Baden-Württemberg und darüber hinaus geleistet. In den kommenden Jahren wird sich die Kooperation in Quartieren im Bereich der Energieversorgung wesentlich verändern und dadurch eine lebenswerte und attraktive urbane Umwelt geschaffen. Dr. Christoph Schlenzig Geschäftsführer Seven2one Kontakt: christoph.schlenzig@seven2one.de Manuel Lösch, M.Sc. Abteilungsleiter FZI Forschungszentrum Informatik Kontakt: loesch@fzi.de AUTOREN Name: Smart East Entstehungsort: Haid-und-Neu-Straße in Karlsruhe-Ost Laufzeit: 2021 bis 2023 Beteiligte Partner: 11 Liegenschaften: 6 Förderung: 1 Mio. € STECKBRIEF: 54 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Quartierspeicher im Stadtkontext Smarte Stadtquartiere erzeugen ihren Strom zu immer größeren Teilen selbst. Um die Schwankungen der Erneuerbaren Energien auszugleichen, spielen Batteriespeicher eine wichtige Rolle im zukünftigen Energiesystem. Im Vergleich zu vielen einzelnen Heimspeichern lassen sich mit wenigen gemeinschaftlich genutzten Großspeichern, auf die alle Bewohner zugreifen können, einige Vorteile erzielen. So entfällt etwa der Platzbedarf und das Risiko (zum Beispiel: Brandlast) im Haushalt. Außerdem bieten sogenannte Quartierspeicher die Chance, dass ein noch größerer Anteil der selbsterzeugten Energie innerhalb des Quartiers verbraucht werden kann, da Erzeugungs- und Verbrauchsspitzen noch besser untereinander ausgeglichen werden können [1,-2]. Gemeinschaftlich genutzte Stromspeicher im Quartier Quartierspeicher, Multi-Use, Prosumer-Gemeinschaften, Energie-Dienstleistungen Jan Knoefel, Frieder Schnabel In Städten kann die gemeinschaftliche Speicherung von Strom in sogenannten Quartierspeichern eine wertvolle Ergänzung im Energiesystem der Zukunft sein. Wird der Quartierspeicher allerdings rein zur Erhöhung des Eigenverbrauchs genutzt, lassen sich kaum profitable Geschäftsmodelle abbilden. Dieser Beitrag stellt daher potenzielle Netz- und Systemdienstleistungen vor, die im Rahmen eines Multi-Use durch den Quartierspeicher neben der Eigenverbrauchserhöhung erbracht werden können. Außerdem wird gezeigt, in welchem Umfang dies durch eine flexible Anpassung der Speicherkapazitäten möglich ist. © Solarimo auf Pixabay 55 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Neben diesen energetischen und organisatorischen Vorteilen können sich Quartierspeicher außerdem positiv auf die Gemeinschaft in einem städtischen Umfeld auswirken. Denn in sich lokal bildenden Energie-Gemeinschaften können Quartierspeicher ein gemeinsames und sinnstiftendes Element werden, das die Gemeinschaft untereinander und zum Quartier stärkt [3]. Außerdem ermöglicht es den Bewohner*innen noch aktiver an der Entwicklung der Energiewende teilzuhaben. Ergänzt man die privaten Prosumer um Verbraucher und Erzeuger aus Industrie, Supermärkten, Bildungseinrichtungen und ähnlichem, kann der Speicher noch wichtiger werden, um Erzeugung und Verbrauch lokal auszugleichen. Ein Quartiersspeicher kann insofern dazu beitragen, sowohl den sozialen wie auch den ökologischen Herausforderungen der Urbanisierung zu begegnen [4]. Heute werden Batterien auf Haushalts- und Quartiersebene in Deutschland vor allem zur Erhöhung des Eigenverbrauchs von selbst erzeugtem Strom eingesetzt [3]. Bleibt dies der einzige Einsatzzweck, sind Quartierspeicher jedoch wirtschaftlich aufgrund der hohen Investitionskosten (noch) nicht rentabel. Allerdings können Batterien neben der Erhöhung des Eigenverbrauchs auch noch weitere Dienstleistungen im Sinne eines Multi-Use erbringen. Denn, infolge der schwankenden Energienachfrage und -produktion über den Tag und zu den verschiedenen Jahreszeiten, ist die Batterie zu einem erheblichen Teil des Tages entweder leer oder vollständig geladen [5, 6]. Ein Multi-Use ermöglicht eine effizientere Nutzung der Batterie und kann somit zusätzliche Gewinne für einen positiven Business Case generieren. In diesem Beitrag werden mögliche Anwendungsfelder von Quartierspeichern in Deutschland strukturiert vorgestellt und die vielversprechendsten Anwendungen für einen Multi-Use aufgezeigt. Darüber hinaus liefert eine technische Simulation der Energieflüsse eines Quartiers mit Variation der Anzahl der Haushalte, der Photovoltaikleistung und der Batteriegröße den Nachweis, dass eine Multi- Use-Nutzung von Quartierspeichern, sogar mit nur geringen Auswirkungen auf den Eigenverbrauch innerhalb des Quartiers, möglich ist. Energiedienstleistungen und ihre Kombinationen Um die Zwischenspeicherung von selbst erzeugtem Strom im Vergleich zur Anschaffung eines Heimspeichers wirtschaftlich interessanter zu gestalten, kann Nutzer*innen die Möglichkeit angeboten werden, ihre jeweils benötigte Speicherkapazität flexibel zu variieren. Dies erfolgt, indem sie einen Teil der Gesamtkapazität eines Quartierspeichers anmieten und diesen zum Beispiel wöchentlich oder monatlich flexibel an ihren aktuellen Bedarf anpassen. Mit diesem Konzept kann der oben beschriebenen ineffizienten Nutzung von Batterien entgegengewirkt werden, da beispielsweise bei in Wintermonaten typischerweise geringer Stromproduktion und gleichzeitig hohem Bedarf nur eine sehr kleine und somit kostengünstige Speicherkapazität angemietet werden muss. Gleichzeitig kann der Speicherbetreiber die zu diesem Zeitpunkt nicht benötigten Monitoring Energieerzeugung und -verbrauch immer im Blick • Monitoring der Energieflüsse • Visualisierung • Frühwarnsystem Speicherausfälle • Wartung und Betrieb Speicher • … Monitorin ingggggg Energiemanagement Erzeugung, Verbrauch und Speicher intelligent steuern • Energieberatung • Smarter Haushalts-, • Quartier-, • Netzmanager • … nergiemanag na na na na na ement Sektorenübergreifende Dienstleistungen Synergien heben • Ladestrom für E- Fahrzeuge • Cross Selling • Strompreisversicherung • Nutzung der Speicherabwärme • … S • • • • Netzstabilität Mit Speichern die Spannung im Netz aufrechterhalten • Vermeidung von Abregelung • Bereitstellung Blindleistung • Aggregation & Direktvermarkung von Flexibilität • Redispatch • … Netz ng vvvvvvvon on on on ooo Autarke Systeme Unabhängig von externen Stromlieferanten • Schwarzstart • Notstrom • Inselnetz • … n n Handel mit Speicherkapazität Den Speicher zur Verfügung stellen • feste Speicherkapazität • Flexible Speicherkapazität • Stromkonto • Lastspitzenkappung • … Han H peiche Stromhandel Überschussstrom auf den Markt bringen • P2P-Vermarktung • Regionale Stromgemeinschaft • Intraday-Handel • Regelleistung (PRL, SRL) • … S und m Blick lick ck ck ck k rieb Netzstabi abi abi bi bbbbbbbbi bi abb li li lit lität Sp Den D Verf • fe S • F S • S • L • … Sp SSSS Eigenverbrauch Bild 1: Dienstleistungen mit Quartierspeichern neben der Eigenverbrauchserhöhung. ©Knoefel, Schnabel 56 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Speicherkapazitäten bzw. Stromüberschüsse sekundär für weitere Anwendungen in einem Multi- Use-Ansatz nutzen. Quartierspeicher können für eine Vielzahl von solchen Zweit- und Drittanwendungen genutzt werden. Einen Überblick zeigt Bild 1. Diese Dienstleistungsideen stammen aus Literaturrecherchen zu bereits existierenden Energiedienstleistungen sowie Kreativitätsworkshops mit Fachexperten und Unternehmen aus dem Energiebereich. Die identifizierten Dienstleistungsideen wurden in die folgenden sieben Kategorien eingeteilt, wobei die Grenzen nicht immer trennscharf sein können: Energiemanagement, Monitoring, Handel mit Speicherkapazität, Stromhandel, sektorübergreifende Dienstleistungen, Netzstabilität und autarke Systeme. Eine ausführliche Erläuterung aller Dienstleistungen findet sich bei Schnabel und Kreidel [7]. Aus dieser Grundgesamtheit an potenziellen Dienstleistungen eignen sich einige im Stadtkontext für eine Multi-Use-Kombination mit der primären Anwendung der Eigenverbrauchssteigerung. So können beispielsweise zusätzlich Elektrofahrzeuge von Privatnutzern oder Carsharing-Flotten im Stadtquartier über einen Quartierspeicher geladen werden. Denn dieser ermöglicht hohe Ladeleistungen, ohne dass dafür die Infrastruktur (zum Beispiel: Trafostationen) in der Region ausgebaut werden muss. Zudem zählen E-Fahrzeuge zu den wenigen Verbrauchern, die auch in den Sommermonaten, wenn die Stromerzeugung hoch ist und es sonst wenig Strombedarf gibt, nennenswerte Energiemengen abrufen. Ebenfalls interessant könnte ein Peer-to-Peer- Stromhandel über den Quartierspeicher werden, auch wenn es derzeit keinen implementierten Markt auf Quartiersebene gibt. Dies liegt an einem herausfordernden Rechtsrahmen mit dessen Marktrollen und Verantwortlichkeiten sowie an unausgereiften marktorganisatorischen Prozessen, wie beispielsweise die Abwicklung von Transaktionen mittels Blockchain. Prinzipiell könnte jedoch ein Prosumer gespeicherten Überschussstrom an andere Privathaushalte verkaufen. Wirtschaftlich interessant wird der Handel innerhalb einer Nachbarschaft vor allem dann, wenn der Strom nicht über das öffentliche Netz ausgetauscht werden muss, da in diesem Fall keine oder nur geringe Netzentgelte und andere Gebühren anfallen. Während beide vorab genannten Beispiele für Multi-Use-Anwendungen - ebenso wie etwa eine Lastspitzenkappung oder die Direktvermarktung von Strom - die Effizienz durch Vermarktung von überschüssigem Strom bei voller Batterie erhöhen, sollten weiterhin auch Anwendungen kombiniert werden, die bei leerer Batterie die freistehenden Speicherkapazitäten für die Erwirtschaftung zusätzlicher Gewinne nutzen. Hierzu zählt etwa die Teilnahme am Regelenergiemarkt. Diese erfordert allerdings eine Präqualifikation durch den für die jeweilige Regelzone zuständigen Übertragungsnetzbetreiber sowie eine Bündelung mehrerer Speicher in der Regel über ein einzelnes Quartier hinaus, um die geforderten Mindestkapazitäten sicherstellen zu können [8]. Vereinbarkeit von Multi-Use mit Eigenverbrauchserhöhung Sollen Zweit- und Drittanwendungen gemeinsam mit der Eigenverbrauchserhöhung in einem Multi- Use-Ansatz kombiniert werden, bedarf es einer Abschätzung über die dafür zur Verfügung stehende Restkapazität des Speichers. Zur Bestimmung wird das IÖW-Energie-Prosumer Modell (EProM) genutzt, mit dessen Hilfe Energieflüsse von Produktion, Verbrauch und Speicherung in einem Stadtquartier minutengenau simuliert werden können [9]. Berechnungen eines beispielhaften Stadtquartiers basieren auf einem realen Pilotprojekt in Köln- Widdersdorf welches aus 75 Wohnungen besteht und zentral mit Wärmepumpen beheizt wird. Eine 225 kWp-Solaranlage liefert Strom und ein 84 kWh großer Quartierspeicher mit einer Leistung von 18- kW ermöglicht die gemeinschaftliche Speicherung. Mit Hilfe der Simulation der Energieflüsse konnte ermittelt werden, dass die Batterie 5- % des Jahres nahezu leer und 70- % des Jahres annähernd vollständig geladen ist. Beide Zustände bieten das Potenzial, für sekundäre Dienstleistungen genutzt zu werden. Wird zum Beispiel die oben beschriebene variable Anpassung des Anteils der Speicherkapazität für die Erhöhung des Eigenverbrauchs monatlich angepasst, kann in einigen Monaten ein Teil der Kapazität für andere Dienstleistungen genutzt werden. Bild 2: Freie Speicheranteile für Multi- Use durch Einsatz flexibler Speicherkapazitäten. © Quelle und detaillierte Berechnungen: Knoefel und Hermann (2021) 70,3% 30,6% Eigenverbrauchsquote Autarkie Nutzung des Speichers ganzjährig ausschließlich zur Eigenverbrauchsoptimierung 69,8% 30,4% 28% der Speicherkapazität können für andere Dienstleistungen genutzt werden Eigenverbrauchsquote Autarkie Monatlich variierende Anteile, die für andere Dienstleistungen genutzt werden 57 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Bild 2 verdeutlicht, dass bei einem minimalen Rückgang der Eigenverbrauchsquote und einem leicht geringeren Autarkiegrad 28- % der Speicherkapazität für sekundäre Dienstleistungen genutzt werden können. Je kürzer die Zeiträume zur Anpassung der Speicheranteile gewählt werden, desto größer wird auch die verfügbare Speicherkapazität für sekundäre Dienstleistungen. Allerdings ist fraglich, ob eine sehr geringe Taktung wie beispielsweise ein täglicher Wechsel technisch umsetzbar ist. Außerdem zeigen Ergebnisse der Simulation, dass die verfügbare Speicherkapazität für sekundäre Dienstleistungen bei einer wöchentlichen Anpassung der Speicheranteile nur geringfügig größer ist als bei einer monatlichen. Fazit Es wird deutlich, dass ein Quartierspeicher mehr leisten kann, als nur den Eigenverbrauch zu erhöhen. Eine Vielzahl von Dienstleistungen ist möglich, von denen das Laden von Elektrofahrzeugen, der Peer-to-Peer-Stromhandel und die Teilnahme am Regelenergiemarkt zu den vielversprechendsten gehören. Die Kombination mit der Erhöhung des Eigenverbrauchs führt zu einer besseren Auslastung der Batterie und erhöht deren Profitabilität. Zur Umsetzung eines Multi-Use von Speichern bietet es sich an, monatlich die für die jeweiligen Dienstleistungen reservierten Kapazitäten an den jeweiligen Bedarf anzupassen. Berechnungen an einem beispielhaften Stadtquartier zeigen, dass dies sogar nur vernachlässigbar geringfügige Auswirkungen auf die Eigenverbrauchsquote und die Autarkie hat. Damit die Potenziale eines Multi-Use aber auch in der Praxis gehoben werden können, braucht es entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen. Diese erschweren derzeit sowohl die gemeinschaftliche Speicherung als auch die Umsetzung von Multi-Use- Konzepten. Der gesetzliche Rahmen sollte entsprechend angepasst werden, damit Quartierspeicher in Zukunft eine sinnvolle Ergänzung eines städtischen Energiekonzeptes werden und einen wertvollen Beitrag für die Energiewende leisten können. Danksagung Diese Studie basiert auf Ergebnissen des Forschungsprojekts „ESQUIRE - Energiespeicherdienste für smarte Quartiere“ und wurde im Projekt „Steuer- Board Energie - Steuerungsmechanismen im polyzentrischen Energiesystem der Zukunft“ erweitert, die beide vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unter dem Förderkennzeichen FKZ 02K15A020 (IÖW), FKZ 02K15A022 (IAO) bzw. FKZ 01UU2005B (IÖW) gefördert wurden. LITERATUR [1] Knoefel, J., Herrmann, B.: Technisch-ökonomische Bewertung von Quartierspeichern. Eine Betrachtung der Wirtschaftlichkeit und der regionalökonomischen Effekte von Quartierspeichern. 27, 2021. [2] Meisenzahl, K., Waffenschmidt, E.: District Battery for Optimized Use of Photovoltaic Energy. Veranstaltung: 14th International Renewable Energy Storage Conference 2020 (IRES 2020), Bonn, Germany. https: / / www.atlantis-press.com/ article/ 125952210. [3] Hoffmann, E., Mohaupt, F.: Joint Storage. A Mixed-Method Analysis of Consumer Perspectives on Community Energy Storage in Germany. Energies 2020 13, Nr. 11, (2020) S. 3025. [4] IÖW: Solarstrom in der Stadt speichern: Quartierspeicher für die Energiewende. Website: https: / / www.stromspeicher-in-der-stadt.de/ (Zugriff: 22. April 2021). [5] Fluri, V.: Wirtschaftlichkeit von zukunftsfähigen Geschäftsmodellen dezentraler Stromspeicher. Universität Flensburg, 2018. https: / / www.zhb-flensburg. de/ fileadmin/ content/ spezial-einrichtungen/ zhb/ dokumente/ dissertationen/ fluri/ fluri-2019-wirtschaftlichkeit-dez-stromspeicher.pdf. [6] Graulich, K., Bauknecht, D., Heinemann, C., Hilbert, I., Vogel, M., Seifried, D., Albert-Seifried, S.: Einsatz und Wirtschaftlichkeit von Photovoltaik-Batteriespeichern in Kombination mit Stromsparen. 2018. https: / / www. oeko.de/ publikationen/ p-details/ einsatz-und-wirtschaftlichkeit-von-photovoltaik-batteriespeichernin-kombination-mit-stromsparen. [7] Schnabel, F. Kreidel, K.: Dienstleistungen für gemeinschaftlich genutzte Quartierspeicher. Arbeitspapier. Projekt Esquire. Stuttgart, 2019. [8] Schnabel, F.: Geschäftsmodelle für gemeinschaftlich genutzte Quartierspeicher. Working Paper. Projekt Esquire. Stuttgart, 2020. [9] IÖW: Energie-Prosumer als Schlüsselelement der Energiewende. https: / / www.ioew.de/ klima-undenergie/ ioew-prosumer-modell (Zugriff: 19. April 2021). Jan Knoefel, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Institut für ökologische Wirtschaftsforschung Kontakt: Jan.Knoefel@ioew.de Dipl.-Ing. Frieder Schnabel Wissenschaftlicher Mitarbeiter Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) Kontakt: Frieder.Schnabel@iao.fraunhofer.de AUTOREN 58 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Transformation von Städten durch die Energiewende Wie die Transformation des Energiesystems von der alten in die neue Energiewelt Städte verändern wird - ein Ausblick Energiewende, Energietransformation, alte Energiewelt, neue Energiewelt, Zukunft der Stadt, Stadtstruktur Volker Stelzer Getrieben vom Wettlauf zwischen der Reduktion der Treibhausgase und der Erwärmung der Jahresmitteltemperaturen wird sich die Versorgung mit Energie in den nächsten Jahren dramatisch wandeln. Dieser Wandel wird auch die Stadtstruktur, die Stadtentwicklung und die Stadtplanung verändern. Darüber hinaus wird er in vielen Städten Auswirkungen auf die Stadt-Umland-Beziehungen haben. In dem Beitrag werden die wichtigsten sich abzeichnenden Veränderungen dargestellt. Neue Herausforderungen für Städte Vielfältige, sich rasch ändernde Rahmenbedingungen stellen Städte aktuell vor große Herausforderungen. Digitalisierung, demographischer Wandel, Klimaerwärmung, internationaler Wettbewerb sind nur einige von ihnen. Ein bisher wenig beachteter Treiber für Veränderung ist die Energietransformation. Diese Veränderungen in der Bereitstellung und dem Transport, aber auch beim Konsum von Energie werden hauptsächlich getrieben von den Anstrengungen zur Verringerung der Klimaerwärmung und durch technologischen Fortschritt. Charakterisiert werden kann die Transformation mit rund 50 Aspekten, durch die sich die alte von der neuen Energiewelt unterscheidet oder die von der Transformation des Energiesystems stark verändert werden (Tabellen 1 bis 6 [1 - 11]). Einteilen lassen sich diese Veränderungen in die fünf Bereiche Energieerzeugung (Tabelle 1), Energietransport (Tabelle 2), Energiesystem allgemein (Tabelle 3), Material (Tabelle 4), Ökonomie (Tabelle 5) und Gesundheit, Natur (Tabelle 6). Tabelle 1: Veränderungen in der Energieerzeugung durch Transformation von der alten zur neuen Energiewelt. © Stelzer Aspekt Alte Energiewelt Neue Energiewelt Anlagenstandorte Natürliche Gegebenheiten spielen geringere Rolle Natürliche Gegebenheiten spielen größere Rolle Rolle von Verbrennungsprozessen Verbrennungsprozesse spielen große Rolle Verbrennungsprozesse spielen geringe Rolle Rolle von Dampfprozessen Dampfprozesse spielen große Rolle Dampfprozesse spielen geringe Rolle Zentralität Mehr zentrale und weniger dezentrale Anlagen Weniger zentrale und mehr dezentrale Anlagen Distanz zum Verbraucher Weniger Anlagen in direkter räumlicher Nähe zum Verbraucher Mehr Anlagen in direkter räumlicher Nähe zum Verbraucher Primärenergieeffizienz Im Durchschnitt geringere Primärenergieeffizienz Im Durchschnitt höhere Primärenergieeffizienz Leistungsdichte Stärker konzentrierte Leistung Stärker verteilte Leistung Auslastung Höhere Anzahl Volllaststunden Geringere Anzahl Volllaststunden Produktion Relativ konstante Produktion Relativ volatile Produktion Witterungsabhängigkeit Kaum witterungsabhängig Hohe Witterungsabhängigkeit 59 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft In dem Beitrag werden für jeden der Bereiche die Aspekte herausgestellt, die in den nächsten Jahren besonders zu einer Veränderung des Aussehens und Funktionierens von Städten beitragen werden. Veränderung in der Energieerzeugung Von den Veränderungen in der Energieerzeugung haben vor allem die Aspekte Anlagenstandorte, Zentralität der Anlagen und die Distanz zum Verbraucher Auswirkungen auf die Stadt. In der alten Energiewelt spielen vor allem die Nähe zu den Vorkommen fossiler Rohstoffe bzw. die Verkehrsanbindungen für den Transport der Energierohstoffe, die Kühlmöglichkeiten für die Dampfprozesse, das Vorhandensein von Flächen für kompakte Anlagen, die Nähe zu den Energieverbrauchsorten, sowie die Distanz zu Wohngebieten wegen der Schadstoffemissionen die entscheidende Rolle bei der Standortwahl von Energieanlagen. Als Resultat liegen heute viele von ihnen in der Nähe von Städten, an Flussläufen und Küsten (viele Kohle- und Atomkraftwerke sowie Raffinerien) oder aber in den Städten (viele Gaskraftwerke). Dort sind sie mit ihren massiven Gebäuden oft stadt- oder stadtteilprägend. In der neuen Energiewelt spielen solch massive Gebäude eine deutlich geringere Rolle. Die Standorte der Anlagen richten sich vielmehr nach dem Vorhandensein natürlicher Energiequellen (Sonneneinstrahlung, Wind, geothermischer Gradient, Wasserkraft). Ein großer Teil der Gebäude ist mit Solaranlagen, seien es Kollektoren für Solarthermie oder Photovoltaik, ausgestattet. Diese Anlagen sind viel näher an den Privatverbrauchern und dem Gewerbe als in der heutigen - alten - Energiewelt. Ein Großteil der massiven fossilen Kraftwerke der alten Energiewelt werden rückgebaut oder umgenutzt, zum Beispiel als Energiespeicher. Veränderung beim Energietransport Die Veränderung des Energietransportes hat vor allem durch die verringerte Bedeutung von Wasserstraßen, Häfen, Schienen und Autobahnen, die erhöhte Bedeutung von Speichern und anderen Netzstrukturen Auswirkungen auf die Stadt. Übergabestationen, inklusive ihrer Lagerflächen für Kohle bzw. Öl- und Gastanks, können umgenutzt werden. In Häfen können so ganze Stadtteile am Wasser entstehen, die heute noch durch diese Infrastrukturen blockiert sind. Ähnlich wie das beispielsweise in Hamburg vorgemacht wurde. Die Speicherung von Energie beim Endverbraucher (Privathaushalt, Gewerbe, Industrie, öffentliche Hand) hat sich in der Vergangenheit gewandelt. So wurde der Holzvorrat wie in alter Zeit in vielen Gebäuden in der Stadt in der Neuzeit erst vom Kohlenkeller und dann vom Heizöltank abgelöst. Heute sind viele dieser Räume umgewidmet, da die Energieversorgung mit Gas und Strom erfolgt, die keine Lagerung von Energierohstoffen beim Endverbraucher erfordert. In der neuen Energiewelt wird in den Gebäuden Fläche für die Lagerung von Energie vorgesehen werden. Hierbei handelt es sich zum einen um Wassertanks für die Brauch- und Heizwasserspeicherung, die durch Solarkollektoren oder Wärmepumpen gespeist werden. Hierdurch kann durch die Solarkollektoren auch Warmwasser und Heizenergie für Nachtzeiten und Zeiten, in denen die Sonne nicht scheint, bereitgestellt werden. Darüber hinaus werden in der neuen Energiewelt viele Gebäude über eigene Stromspeicher verfügen, um einen Teil des Stroms, der vor allem durch die Nutzung der Solarenergie, die über die Gebäudehülle gewonnen wird, auch in Nachtzeiten nutzen zu können. Da in der neuen Energiewelt Frischholz kaum noch zur Energiebereitstellung genutzt werden Tabelle 2: Veränderungen beim Energietransport durch die Transformation von der alten zur neuen Energiewelt. © Stelzer Aspekt Alte Energiewelt Neue Energiewelt Internationalität Internationaler Lokaler Importabhängigkeit Große Importabhängigkeit Gering Importabhängigkeit Import von regenerativem Strom, Gas und Treibstoff Kaum Viel Bedeutung von Wasserstraßen, Schienen- und Autobahnanbindungen Wichtige Funktion als Transportwege, die konstant in Funktion gehalten werden müssen, um den Nachschub an Energierohstoffen zu sichern Geringere Bedeutung als Transportweg für Energierohstoffe Speicher, regelbare Lasten, Reservekapazitäten Wenig Speicher, regelbare Lasten, Reservekapazitäten Viel Speicher, regelbare Lasten, Reservekapazitäten Netzstruktur Andere Netzstruktur Andere Netzstruktur Stromleitung Monodirektional Bidirektional Steuerungsnotwendigkeiten im Stromnetz Geringere Steuerungsnotwendigkeiten Höhere Steuerungsnotwendigkeiten 60 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft wird, werden auch die Gebäude - heute vornehmlich im Stadtrandbereich und kleineren Städten in ländlich geprägten Regionen - die heute noch ausschließlich oder ergänzend mit Holz heizen, umgestellt werden. Gebäudetechnisch verfügen moderne Gebäude der neuen Energiewelt auch nicht mehr über einen Schornstein. Neben den verbraucherseitigen Energiespeichern wird eine neue Infrastruktur in Städten an Bedeutung gewinnen: die Quartierenergiespeicher. In kleinerem Umfang werden dort, wo die räumlichen Voraussetzungen gegeben sind, saisonale Warmwasserspeicher, zum Beispiel in Lärmschutzwällen oder im Untergrund, angelegt. Sie können weit größere Mengen warmen Wassers speichern, als dies in Gebäuden möglich ist. Sehr viel spricht dafür, dass der Quartierstromspeicher in der Stadt der Zukunft zum allgemeinen Stadtbild gehören wird. Er hat in der Welt, in der ein Großteil der Gebäude mit Solaranlagen ausgestattet ist und die Mobilität auf elektrische Antriebe umgestellt ist, eine Schutzfunktion für das Stromnetz. Die Schutzfunktion rührt daher, dass es in der neuen Energiewelt in Städten häufig vorkommen wird, dass an sonnenreichen Tagen in Quartieren ohne große Stromverbraucher ein Überschuss an Strom produziert wird. Dieser Überschuss kann erheblich sein und im Extremfall Teile des Niederspannungsnetzes überlasten. Andererseits wird immer wieder die Situation entstehen, dass viele Menschen ihre Elektroautos gleichzeitig laden wollen. Auch dies kann soweit gehen, dass das Netz gefährdet ist. Da sich beide beschriebenen Situationen in größeren Zeiträumen abwechseln, ist ein Quartierstromspeicher eine ideale Infrastruktur, um die genannten Risiken abzumildern. Wie solche Stromspeicher letztendlich aussehen werden und wie ihre Verteilung ist, sprich auf wieviele Haushalte ein Quartierspeicher kommen wird, lässt sich jetzt noch nicht seriös vorhersagen, wird aber mit Sicherheit - je nach Situation - unterschiedlich sein. An die beschriebene künftige Situation muss auch das städtische Stromnetz selbst angepasst werden. Auch die Netzstruktur, die Auslegung auf bidirektionalen Betrieb und die Steuerung der Energieflüsse in den städtischen Energienetzen werden sich ändern. Allerdings hat dies kaum Auswirkungen auf die Stadtstruktur oder die Stadtentwicklung und wird deshalb hier nicht weiter ausgeführt. Allgemeine Veränderungen des Energiesystems Von den allgemeinen Veränderungen des Energiesystems ist für Städte vor allem die Umstellung der Sektoren Wärme und Mobilität auf Strom relevant. Durch bessere Dämmmaßnahmen, die Einführung von Lüftungssystemen sowie Erd- und Umgebungswärmepumpen reduziert sich die Nachfrage nach Heizöl, Erdgas und Fernwärme pro Quadratmeter Wohnfläche, so dass derartige Infrastrukturen zum Teil unökonomisch und somit rückgebaut werden. Tabelle 3: Allgemeine Veränderungen im Energiesystem durch die Transformation von der alten zur neuen Energiewelt. © Stelzer Tabelle 4: Veränderungen bei den Energiequellen und dem Materialeinsatz durch die Transformation von der alten zur neuen Energiewelt. © Stelzer Aspekt Alte Energiewelt Neue Energiewelt Sektoren (Strom, Wärme, Mobilität) Sektoren weitestgehend getrennt Starke Sektorkopplung Rolle von Strom Gesamtsystem weniger strombasiert Gesamtsystem mehr strombasiert Wasserstoff Kein Wasserstoff Wasserstoff spielt eine Rolle Methan Methan fossil erzeugt Methan regenerativ erzeugt Resilienz Andere Gefährdung der Versorgungssicherheit Andere Gefährdung der Versorgungssicherheit Rechtsregime Geringerer Anteil der Wertschöpfungskette unterliegt nationalem Rechtsregime Größerer Anteil der Wertschöpfungskette unterliegt nationalem Rechtsregime Aspekt Alte Energiewelt Neue Energiewelt Energiequellen Vorwiegend fossil Vorwiegend regenerativ Kernenergie Mehr Kernenergie Weniger Kernenergie Seltene Erden Geringer Einsatz Hoher Einsatz Materialaufwand für Anlagen Geringerer Aufwand Höherer Aufwand Abwärme Geringe Abwärmenutzung Verstärkte Abwärmenutzung Reststoffbeseitigung Etabliert Zum Teil neue Entwicklungen 61 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Auch im Mobilitätsbereich steigt mit der Verschiebung von Marktanteilen von benzin- und dieselbetriebenen Fahrzeugen zu Fahrzeugen, die mit Strom betrieben werden, der Druck auf Tankstellen und Reparaturwerkstätten. Vor allem innerstädtische Anlagen werden zunehmend Probleme bekommen und aufgeben. Diese Flächen stehen wiederum anderen Nutzungen zur Verfügung. Bei den verbliebenen Tankstellen im Außenbereich wird zunehmend Wasserstoff, vor allem für den Schwerlastverkehr, angeboten. Auf der anderen Seite wird im öffentlichen und privaten Raum die Installation von Stromtankmöglichkeiten zunehmen. Veränderungen bei den Energiequellen und dem Materialeinsatz Bei der Kategorie der Energiequellen und dem Materialeinsatz prägt der Wechsel der Energiequellen die Stadtentwicklung am deutlichsten. Besonders die Selbstversorgung mit Energie wird in der neuen Energiewelt zunehmend stadtbildprägend. Schon bei der Planung von Neubaugebieten aber auch von Renovierungsarbeiten wird die Produktion von Energie auf dem Gebäudedach und mit Fassadenelementen fest eingeplant. Aber auch der Aspekt der Abwärmenutzung kann für Städte sehr relevant sein. In Städten fällt an vielen Stellen Wärme an (Gewerbe, Industrie, Abwasserleitungen, Kläranlage). Diese „Überschusswärme“ entweicht in der alten Energiewelt sehr oft ungenutzt in die Umgebung. In der neuen Energiewelt gibt es deutlich weniger Prozesse, in denen Energie im Überschuss als „Nebenprodukt“ anfällt, da es deutlich weniger Verbrennungs- und Dampfprozesse geben wird. In der neuen Energiewelt wird in den verbleibenden Anlagen die „Abfallenergie“ weitgehend genutzt und zum Teil in Wärmenetze eingespeist. Tabelle 5: Veränderungen in der Ökonomie durch die Transformation von der alten zur neuen Energiewelt. © Stelzer Tabelle 6: Veränderungen in den Bereichen Gesundheit, Natur und Fläche durch die Transformation von der alten zur neuen Energiewelt. © Stelzer Aspekt Alte Energiewelt Neue Energiewelt Ort der Wertschöpfung Größerer Anteil im Ausland Geringerer Anteil im Ausland Eigentümerzahl Weniger direkte Eigentümer Mehr direkte Eigentümer Beschäftigter im Energiesektor Weniger Mehr Kostenschwerpunkt Betrieb, Nachsorge Anlagenbau Langzeitkosten Einige Langzeitkosten Kaum Langzeitkosten Investitionen in Nutzung fossiler Energieträger Sehr hoch Sehr gering Klassischer Maschinenbau (vorgelagerte Prozesskette) Hohe Bedeutung Geringere Bedeutung Elektrotechnik (vorgelagerte Prozesskette) Geringere Bedeutung Hohe Bedeutung Energiearmut Größer Geringer Aspekt Alte Energiewelt Neue Energiewelt Lärm Höhere Lärmbelastung Geringere Lärmbelastung Gesundheits- und ökosystembelastende Emissionen (PM2,5, NO x , Hg, Radionuklide) Größere Mengen Geringere Mengen Gefahr katastrophaler Unfälle Mehr und andere Weniger und andere Beitrag zur Klimaerwärmung Freisetzung großer Mengen Treibhausgase Freisetzung geringer Mengen Treibhausgase Verhältnis zur Natur Stärker extraktiv Stärkere Nutzung von Energieflüssen Natureingriffsintensität Höher Niedriger Flächenintensität Geringere Flächeninanspruchnahme Größere Flächeninanspruchnahme Konkurrenz zu Lebensmittelproduktion Geringer Stärker Untergrund Andere Eingriffe in den Untergrund Andere Eingriffe in den Untergrund Rekultivierungsaufwand Groß Klein Nutzung der Meere Geringere Nutzung Stärkere Nutzung 62 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Ökonomische Veränderungen Für die Ökonomie in Städten spielt der Energiesektor in der Regel keine große Rolle. Aus diesem Grund sind viele der Aspekte, die für die Ökonomie der Energiewende wichtig sind, nicht sehr prägend für Städte. Eine Ausnahme ist die Anzahl der Menschen, die an der Energieerzeugung direkt finanziell beteiligt sind. Durch die Vielzahl der Energieproduzenten in der neuen Energiewelt ist die Planung von Veränderungen in diesem Bereich deutlich komplexer als in der alten Energiewelt, wo die Energieversorgung weitestgehend in der Hand von wenigen Akteuren liegt. Veränderungen in den Bereichen Gesundheit, Natur und Fläche Für Städte ergeben sich deutliche Veränderungen im Bereich Gesundheit, Natur und Fläche durch den Übergang von der alten in die neue Energiewelt. Vor allem die Belastung mit Lärm und mit Schadstoffen verringert sich in den Städten der neuen Energiewelt. Ursächlich für die Verbesserung der Luftqualität ist die Verringerung von Verbrennungsprozessen für die Mobilität, aber auch für die Wärmeproduktion und die Stromerzeugung. Weil die Klimaerwärmung Städte erheblich beeinflusst, hat die Verringerung der Freisetzung treibhauswirksamer Emissionen in der neuen Energiewelt einen starken Einfluss auf die Stadtentwicklung. Sollte der Übergang von der alten in die neue Energiewelt noch lange Zeit benötigen, dann wird die zunehmende Erwärmung der Atmosphäre die Hitzeereignisse in Städten deutlich verstärken, was einen Anstieg an kreislaufbelastenden Situationen zur Folge haben wird. Darüber hinaus treten vermehrt Starkniederschlagsereignisse auf, die die Entwässerungseinrichtungen in vielen Städten überlasten, da diese nicht auf diese Situationen ausgelegt sind. Wenn der Übergang generell schneller erfolgt, können die dramatischsten Auswirkungen der Klimaerwärmung noch verhindert werden. Außerdem nehmen die Eingriffe in den Untergrund von Städten durch die Nutzung von Erdwärme und Geothermie in der neuen Energiewelt zu, während sie im Außenbereich abnehmen, da es in ihr keine großen Abbaugebiete für fossile Rohstoffe mehr gibt. Ausblick Der dramatische Wandel, der sich in der Energieversorgung aktuell weltweit vollzieht, wird in Zukunft eines der prägenden Elemente der Stadtentwicklung und Stadtplanung sein. Neben den Veränderungen in den bestehenden Infrastrukturen wirkt sich vor allem die Ausweitung der Energieproduktion auf die Wohngebäude aus. Darüber hinaus werden Stadt- Umland-Beziehungen neu belebt, da Städte tendenziell verstärkt Energiequellen aus dem direkten Umland nutzen und weniger Energieträger, die von weit her transportiert werden. Städte die vorausschauend planen, können schon heute diesen Strukturwandel offensiv angehen, anstatt sich an die alten Strukturen zu klammern und mit viel Kraftaufwand zu versuchen, die alten, nicht mehr zeitgemäßen Strukturen zu konservieren. Eine der größten Fragen in diesem Prozess ist: Findet der Wandel von der alten in die neue Energiewelt schnell genug statt, damit die Klimaerwärmung soweit begrenzt werden kann, dass die größten Probleme für die Städte aus Überhitzung, Trockenheit und Starkniederschlägen nicht eintreten werden. LITERATUR [1] Dieckhoff, C.: Modellierte Zukunft, Energieszenarien in der wissenschaftlichen Politikberatung. Bielefeld, 2015. [2] Droege, P.: 100 % Renewable. London,2011. [3] Hennicke, P., Rasch, J., Schröder, J., Lorberg, D.: Die Energiewende in Europa. Eine Fortschrittsvision. München, 2019. [4] International Energy Agency - IEA (2020): Energy Technology Perspectives 2020. Paris. [5] International Energy Agency - IEA (2020): World Energy Outlook 2020. Paris. [6] International Energy Agency - IEA (2021): Global Energy Review. Paris. [7] Jenzing, B.: Trend zur hauseigenen Tankstelle. In: neue energie, 02 (2021), S. 36 - 41. [8] Poganietz, W.-R., Timpe, C., Becker, L., Höfer, T., Koch, M., Seebach, D., Weiss, A., Wildgrube, T.: Transformation des Energiesystems bis zum Jahr 2030. Kaltenkirchen, 2019. [9] Rösch, C., Bräutigam, K.-R., Kopfmüller, J., Stelzer, V., Fricke, A.: Sustainability Assessment of the German Energy Transition. Energy, Sustainability and Society, 8 (1), (2018) Art. Nr. 12. [10] Schippl, J., Grunwald, A., Renn, O. (Hrsg): Die Energiewende verstehen - orientieren - gestalten. Baden- Baden, 2017. [11] Vuille, F., Marechal, F.: Energy Challanges in Urban Systems. In: Binder, C., Wyss, R., Massaro, E. (Hrsg.): Sustainability Assessment of Urban Systems, Cambridge, (2020) S. 353 - 383. Dr. Volker Stelzer Projektleiter Karlsruhe Institut für Technologie, KIT Kontakt: volker.stelzer@kit.edu AUTOR 63 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Im Rahmen des internationalen Wettbewerbs Solar Decathlon Europe 2021 beschäftigt sich ein interdisziplinäres Team aus Studierenden, Mitarbeitenden und Lehrenden der Hochschule für Technik Stuttgart im Projekt „coLLab“ mit innovativen und übertragbaren Lösungsansätzen zur urbanen Nachverdichtung. Unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeit, Energieeffizienz und verantwortungsbewusstem Umgang mit Ressourcen und Bauland sollen durch Sanierung, Revitalisierung und Erweiterung des Hoch hinaus mit dem Projekt „coLLab“ der HFT Stuttgart Urbane Nachverdichtung als Lösungsvorschlag bei innerstädtischem Wohnraummangel Annabell Gronau, Jonas Stave, Jan Cremers Derzeit leben mehr als zwei Drittel der Bevölkerung Europas in städtischen Gebieten. Während die Tendenz steigt und immer mehr Menschen in die Städte ziehen, fehlt es bereits jetzt an bezahlbarem Wohnraum. Die Nachfrage in dicht bebauten Städten impliziert die Frage, wo und wie dieser neue Raum geschaffen werden soll. Weitere Flächenversiegelung würde die Überhitzung von Städten beschleunigen und die Kaufwerte für baureifes Land in den Städten sind laut Deutschlandstudie 2019 so hoch wie noch nie [1]. Eine Möglichkeit, um sowohl der wachsenden Nachfrage nach Wohnraum als auch den steigenden Grundstückspreisen im Hinblick auf nachhaltiges Bauen gerecht zu werden, stellt die Nachverdichtung von Bestandsstrukturen dar. Bild1: Visualisierung der Sanierung und Aufstockung des „Bau 5 - Kompetenzzentrum für Mobilität und Verkehr“ der HFT Stuttgart. © Mikhail Kuznetsov 64 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Bestandes lebenswerte, soziale und lebendige Orte entstehen. Im konkreten Fall werden ein typisches Verwaltungsgebäude im Bestand saniert und für eine Wohnnutzung aufgestockt sowie Konzepte für den umliegenden öffentlichen Raum entwickelt. Auf lokaler Ebene soll das Projekt bezahlbaren Wohnraum mithilfe nachhaltiger Finanzierungskonzepte bereitstellen und, global betrachtet, durch klimagerechtes Bauen einen Beitrag zu Klimaschutz und -anpassung leisten. Ein gebauter Ausschnitt dieser gesamtheitlichen Planung im Maßstab 1 : 1, das sogenannte Demonstrationsgebäude, steht 2022 im Wettbewerb zu Projekten 17 weiterer internationaler Hochschulteams, die sich ebenfalls mit der Frage der Nachverdichtung des urbanen Raums beschäftigen. Ergebnisse aus Lehre und Forschung finden damit konkrete Anwendung und werden mithilfe von Wirtschaftspartnern real umgesetzt. Bestandsgebäude Bau 5 Das Bestandsgebäude, genannt „Bau 5“, ist Teil des Campus der Hochschule für Technik Stuttgart im Herzen der Stadt. Es wurde in den 1950er Jahren überwiegend aus Stahlbetonfertigteilen erbaut und fällt durch eine vertikal gegliederte Fassade aus Stahlbetonstützen und -lisenen auf. Die tragenden Innenwände der langen Büroflure und massive Flach- und Rippendecken aus Beton machen den Bau 5 zu einem typischen Vertreter seiner Zeit und damit zu einem exemplarischen Studienobjekt für die Sanierung und Aufstockung von Bestandsgebäuden. Dieser prototypische Charakter des Bau- 5 ebnet den Weg für eine spätere Übertragbarkeit des Konzeptes und macht das Projekt relevant im Kontext der städtischen Nachverdichtung über die eigenen Landesgrenzen hinaus. Im Gegensatz zum angrenzenden Stadtteil Stuttgart-West, der durch gründerzeitliche Wohnblöcke, dichte Bebauung und kleinteiligen Einzelhandel geprägt ist, erscheint der Campus mit monolithischen Büro- und Hochschulgebäuden und weitläufigen Strukturen alles andere als urban. Das Areal ist von mehrspurigen Straßen umgeben und wirkt abgeschottet vom nur acht Geh-Minuten entfernen Zentrum Stuttgarts, dem Schlossplatz. In den Abendstunden sind hier kaum noch Menschen anzutreffen, lediglich der angrenzende Stadtpark wird für Freizeitaktivitäten genutzt. Ziel ist es, durch Umnutzung und Revitalisierung des Bestandes sowie durch die Aufstockung neue Wohn- und Arbeitsformen direkt auf dem Campus zu etablieren. Dazu werden neben wenigen Privaträumen diverse, großzügige Flächen zur gemeinschaftlichen Nutzung zur Verfügung gestellt, die sich die neuen Bewohner*innen ihren Bedürfnissen entsprechend aneignen können. Auf dem Campus soll zukünftig gewohnt, gearbeitet, gelehrt, geforscht und gelebt werden und das auch nach 18-Uhr. Durch weitreichende Mobilitätskonzepte und Sharing-Angebote soll die Zugänglichkeit des Areals verbessert und der motorisierte Personenverkehr weitgehend reduziert werden und somit ein lebenswertes auf den menschlichen Maßstab angepasstes Quartier entstehen. Dabei ist das Projekt „coLLab“ selbst Reallabor an der Hochschule und versucht, durch neu etablierte Strukturen Transferprozesse anzustoßen: Was wird benötigt, um interdisziplinäre Arbeit in größerem Maßstab zu ermöglichen? Welche Strukturen müssen vorhanden sein, um Menschen aus verschiedenen Bereichen zusammenzubringen und das soziale Miteinander zu stärken? Welche Art von Räumen muss dafür verfügbar sein? Welche Firmen aus der Region können als Partner in den Planungsprozess eingebunden werden? Und wie lässt sich der urbane Raum, unter anderem durch lokal angesiedelte Projekte und Initiativen, bereits jetzt konkret umgestalten - beispielsweise durch selbst gebaute Stadtmöbel oder durch Bepflanzung? Diese Fragen und Erkenntnisse aus der eigenen Arbeitsweise und -umgebung werden in das Raumprogramm für die Sanierung und Umnutzung des Bau 5 sowie die Gestaltung des umliegenden öffentlichen Raums mit einfließen. Übertragbarkeit Um die Übertragbarkeit des Konzeptes zu gewährleisten, werden verschiedene bauliche und energetische Maßnahmen angewendet, die vor allem durch Parametrisierung und Simulation optimiert und Bild 2: Campus der HFT Stuttgart aus der Vogelperspektive. © Jürgen Pollak, Nachbearbeitung: Clarissa Werner 65 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft durch ihren hohen Grad an Modularität auf andere Situationen übertragen werden können. Die Tragstruktur der Aufstockung basiert auf einem adaptierbaren Holzskelett, dem sogenannten Grid, das auf die bestehende Lastabtragung angepasst wird. In modularer Holzbauweise mit einem hohen Vorfertigungsmaß werden Wohn- und Funktionsmodule in das Holzskelett eingeschoben und gegeneinander versetzt. Diesen Modulen südlich vorgelagert sind Grün- und Begegnungsflächen zur gemeinschaftlichen Nutzung wie beispielsweise Flächen für Urban Gardening, Sitzmöglichkeiten etc. Im Rastermaß des Bau 5 wird das Grid entlang der Fassade bis zum Boden geführt, um einerseits die Symbiose zwischen Bestand und Aufstockung architektonisch zu visualisieren und andererseits die für die Aufstockung benötigte Versorgungsinstallation geschickt zu integrieren. Am Grid wird eine Netzstruktur aus Seilen befestigt, die in gestalterisch und funktional optimierter Weise mit einzelnen organischen Photovoltaik-Zellen (OPV) belegt wird. Die vorgehängte Fassade wird dabei so ausgerichtet, dass sie sowohl zusammen mit einer auf dem Dach angebrachten PV-Anlage zur energetischen Versorgung von Bestand und Aufstockung beiträgt, dem sommerlichen Wärmeschutz dient, als auch Lichtdurchlässigkeit vor allem in den Wohnmodulen garantiert. So ergibt sich je nach Standort und Ausrichtung ein spezifisches Fassadenbild, welches im Planungsprozess durch parametrische Optimierung vergleichsweise schnell an die jeweilige Situation angepasst werden kann. Mit dem Projekt soll der Grundstein für ein modulares Aufstockungssystem gelegt werden, welches über die Systemgrenze einzelner Gebäude hinaus gesamtheitliche Konzepte betrachtet, um nachhaltige, innovative und lebenswerte Quartiere aus dem Bestand zu entwickeln. Urbane Nachverdichtungen haben ein vielversprechendes Potenzial, um der steigenden Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum in städtischen Gebieten gerecht zu werden und in Verbindung mit klima- und menschengerechter Bauweise einen wesentlichen Beitrag zur Wende des Bausektors in Richtung Nachhaltigkeit zu leisten. LITERATUR: [1] Technische Universität Darmstadt: Deutschland Studie 2019, Wohnraumpotenziale in urbanen Lagen (2019), S. 26. Bild 3: Visualisierung der Aufstockung von Bau 5 mit Holzkonstruktion und Gemeinschaftsflächen. © Mikhail Kuznetsov Annabell Gronau, M.A. Akademische Mitarbeiterin Hochschule für Technik Stuttgart Kontakt: annabell.gronau@hft-stuttgart.de Jonas Stave, M.Sc. Akademischer Mitarbeiter Hochschule für Technik Stuttgart Kontakt: jonas.stave@hft-stuttgart.de Prof. Dr.-Ing. Jan Cremers Hochschule für Technik Stuttgart Kontakt: jan.cremers@hft-stuttgart.de AUTOR*INNEN 66 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Leerstand, nicht Stillstand Wohn-Zwischennutzung im gewerblichen Leerstand Wohnraum, Wohnformen, Leerstand, Zwischennutzung, Flächenverbrauch, Wohnmodul, Ko-Produktion Alexandra Ulrich, Elif Kälberer, Sarah Thiel, Paul Vogt Nach Jahrzehnten eines investorenbestimmten Wohnungsmarktes sind heute die fehlenden Flächenressourcen wesentliches Hindernis gut gemeinter Wohnungspolitik. Ein weitgehend ungenutztes Flächenpotenzial ist gewerblicher Leerstand. Diesen als Wohnraum nutzbar zu machen, bedarf es nicht nur einer technischen Lösung und Umsetzungsstrategie, sondern auch der Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit bei Politik und Bevölkerung. Dieser Aufgabe hat sich der Verein Adapter e. V. aus Stuttgart angenommen. Das Konzept wird in Workshops und Aktionswochen mit potenziellen Nutzer*innen bereits erprobt. Dabei geht es auch um die Frage, wie viel Raum benötigt eine Person und wie kann das Zusammenleben im Leerstand gelingen? Parallel läuft die Entwicklung des Wohnmoduls. Der Prototyp kann dank Fördergeldern bis zum Sommer fertiggestellt werden und wird dann für einige Wochen in Stuttgart und Hamburg als „Diskussionsraum“ für alle Interessierten aufgebaut werden. Hands off my tags! © Michael Gaida auf Pixabay 67 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Wir stehen vor einem 12-geschossigen Gebäudekomplex in Stuttgart, nur wenige hundert Meter von der Innenstadt entfernt. Das heterogene Straßenbild besteht aus gut erhaltenen, sanierten Gründerzeit-Bauten und mehrgeschossigen Wohnhäusern aus der Nachkriegszeit. Die Erdgeschosse werden gewerblich genutzt - ein Yogastudio, ein kleiner Getränkemarkt, ein Kunstatelier. Auf dem Dach des Gebäudekomplexes prangt der Schriftzug einer bekannten deutschen Versicherung. Der Vorplatz ist großzügig angelegt, breite Treppen führen zum Haupteingang. Ein Wasserspiel plätschert vor sich hin, die Passierschranke ist heruntergelassen. Es ist ein sonniger Tag, doch die Jalousien des Bürogebäudes bleiben hochgefahren. Hinter den im Licht dunkel-spiegelnden Scheiben arbeitet keiner mehr, das Gebäude wurde bereits weitestgehend geräumt. Wir blicken auf einen von vielen gewerblichen Leerständen in deutschen Städten. Leerstand - was verstehen wir darunter? Zum einen die Aufgabe der ursprünglichen Funktion und damit die Abwesenheit von Nutzer*innen, zum anderen sprechen wir von einer zeitlichen Dimension. Ist diese länger als drei Monate, handelt es sich um strukturellen Leerstand. Dieser ist nicht (mehr) in der offiziellen Statistik erfasst. Gewerblicher Leerstand entsteht in wirtschaftlich dynamischen Städten durch Standortverlagerung oder den Umzug eines Unternehmens in neue Räumlichkeiten. Bei Gewerbeflächen, gerade bei größeren Arealen, kann die Phase bis zum Mieter- oder Eigentümerwechsel durchaus fünf bis zehn Jahre dauern. Auf der anderen Seite finden sich für ältere Bürokomplexe häufig jedoch kein Nachmieter, weil Grundrisstypen und geringe Deckenhöhen den Ansprüchen einer zeitgemäßen Büronutzung nicht mehr entsprechen und eine Sanierung aufwendig ist. Der Nutzungszyklus sinkt und Bürogebäude werden oft aus Mangel an Nachfrage oder Umnutzungskonzepten abgerissen. Das ist nicht nur aus ökologischen Gesichtspunkten reine Verschwendung: Denn das Potenzial des gewerblichen Leerstands, als Möglichkeitsfenster für experimentelle Umnutzungskonzepte und neue Formen der kooperativen Stadtentwicklung, bleibt ungenutzt. Eine stärkere Auseinandersetzung mit dem gewerblichen Leerstand und eine temporäre Verfügbarmachung der Flächen in Form von Zwischennutzungen könnten Antworten auf drängende Fragen des urbanen Lebens geben. Die Stadt endet nicht an der Wohnungstür Als Mieter fühlen wir uns häufig machtlos gegenüber dem Wohnungsmarkt. Auf der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung müssen wir unter Umständen nehmen, was wir kriegen können. Dabei sollte unsere Wohnung ein Ort sein, der uns Freiheiten gibt. Sie ist der von uns selbst gestaltete Mikrokosmos im gesellschaftlichen Gefüge. Hier können wir uns vom Öffentlichen zurückziehen, uns erholen, selbstbestimmte und persönliche Vorstellungen vom Zusammenleben zum Ausdruck bringen. Zugleich ist das Wohnen einem Wandel unterworfen. Klassische Haushaltskonstellationen werden seltener oder entsprechen nicht mehr den aktuellen Lebensrealitäten. Wohnen und Arbeiten sind nicht mehr in einem modernistischen Sinne klar räumlich voneinander getrennt. Im Gegenteil: Nutzungsmischung im Quartier und innerhalb des Gebäudes ist Bestandteil der sich immer weiter verdichtenden Städte. Überhaupt steigen die sozialen, ökonomischen und ökologischen Erwartungen und Forderungen an den urbanen Raum. Unsere Städte sollen kompakter, grüner, gerechter und produktiver werden. In all dem sollten wir nicht vergessen, welchen Stellenwert die Wohnnutzung einnimmt. Die Stadt und was wir unter dem Begriff der Urbanität verstehen, funktioniert nur in Verbindung mit den Bewohner*innen. Denn sie sind es, die durch ihr Verhalten, ihre Tätigkeiten und Aneignung, Orte definieren und gesellschaftliches Leben mitgestalten. Die Privatheit gehört also genauso zur Stadt wie die Öffentlichkeit und muss sich gleichermaßen im Kontext der Stadt behaupten. Dennoch ist der Umgang mit dem Thema Wohnen oft ambivalent. Die meisten Menschen tendieren dazu, im Bereich Wohnen verhältnismäßig konservativ zu agieren, sich an Gewohntem zu orientieren und es passiert leicht, dass die gesellschaftlichen Ansprüche und die persönlichen mit zweierlei Maß gemessen werden. Die Wohnung wird mehr und mehr zu einem vom städtischen Kontext losgelösten Bereich, in dem es zu einem regelrechten Innovationsstau kommt. Daher ist es essentiell, die Thematik sichtbar zu machen und einen praktischen und erlebbaren Zugang zum Thema zu schaffen, der die Perspektive verändern und neue Möglichkeiten eröffnen kann. Dabei geht es nicht in erster Linie um „die Wohnung“, sondern um ein Verständnis davon, was es bedeutet „zu wohnen”. Es gilt, einen Anspruch auf die Mitgestaltung unserer Wohnpraktiken zu 68 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft erheben und diese weiterzuentwickeln, um bei den steigenden Anforderungen an die Stadt das Wohnen nicht mehr in einer reinen Reproduktionspraxis zu isolieren. Wir brauchen Möglichkeitsräume, um neue Wohnformen zu testen, den sozialen Umgang miteinander nicht nur auf zufällige Begegnungen zu beschränken und voneinander zu lernen. Neue Grundrisstypen und Gebäudetypologien, neue Akteurs- und Prozessstrukturen oder das Anpassen von Planungsinstrumenten und rechtlichen Rahmenbedingungen sind dabei ebenso wichtig, wiedas Erarbeiten eines gemeinsamen Verständnisses von Quartier und Nachbarschaft. Es braucht unkonventionelle Ansätze, um Kreativität zu wecken und innovative Antworten zu finden. Zwischennutzungen als Aktionsforschung Die Beschäftigung mit dieser Herausforderung im Rahmen eines freien Semesterprojektes am Städtebau-Institut der Universität Stuttgart führte zur Gründung des gemeinnützigen Vereins Adapter. Um sich den wandelnden Lebensrealitäten und Wohnbedürfnissen anzunähern, greift das Konzept von Adapter auf die Aktivierung von gewerblichen Leerständen im Rahmen von Zwischennutzungen zurück. Zwischennutzungen, die nicht selten Übergangsphasen im Nutzungskontinuum von Gebäuden oder öffentlichen Räumen darstellen, definieren sich vor allem durch ihre zeitliche Begrenzung. Gerade durch diesen temporären Charakter entstehen so ideale Orte für das Testen neuer Wohn- und Lebensformen, die in ein reales Umfeld eingebettet werden. Denn da sie einer anderen Logik als der etablierter Planungsinstitutionen oder renditeorientierter Marktmechanismen folgen, können in ihrem Kontext ergebnisoffene Prozesse stattfinden, die gleichsam unkonventionelle Ansätze und Akteurskonstellationen mit einschließen und fördern. Dementsprechend bieten Zwischennutzungen Raum für experimentelle Momente auf Zeit und werden von uns als ein Format urbaner Aktionsforschung verstanden. Sie bieten - in einem Wechselspiel von Wissensanwendung und Wissenserzeugung - die Chance den eigenen Entwurf mit der Realität zu konfrontieren und akteurs- und ortsspezifische Erkenntnisse zu integrieren. Durch die Festsetzung eines definierten Zeitraumes können hier unter den Bedingungen der Wirklichkeit neue Ansätze erprobt und reflektiert werden. Der Forschungskontext ermöglicht darüber hinaus eine Weitergabe des gewonnenen Wissens an mögliche Folge-Nutzungen bzw. -Projekte. Auf diese Weise können Zwischennutzungen als Pioniernutzungen Impulse für eine kommende Nutzung der Flächen geben oder allgemeine Handlungsempfehlungen für die Baupraxis formulieren. Einer Schlüsselrolle kommt hierbei den Eigentümer*innen der Gewerbeflächen zu, die mit ihrer Bereitschaft für den ergebnisoffenen Aktivierungsprozess der Immobilien zu innovativen, gesellschaftlich-relevanten Entwicklungen beitragen, sowie der Stadtverwaltung, die durch eine Befürwortung des unkonventionellen Ansatzes den Weg bereitet. Die Bespielung einer räumlichen Brachfläche durch eine (Wohn-)Zwischennutzung ist allerdings ebenfalls an raumspezifische Voraussetzungen gekoppelt. Die bauliche Struktur muss in diesem Sinne auch nach dem Ende der Zwischennutzung eine Unter einer Brücke in der Stadt steht eine öffentliche Wohnung. Sie wird nicht mehr durch ihre Wände beschränkt und ist den Blicken der Stadt ausgesetzt. Dadurch, zunächst ihrer Funktion als Rückzugsort beraubt, beginnt die Wohnung mittels performativen als auch interaktiven Formaten mit dem sie umgebenden öffentlichen Raum zu interagieren: Handlungen werden von dem privaten in einen öffentlichen Kontext gerückt, entwickeln so neue Dynamiken und werden zu gemeinschaftlichen Erfahrungen. Bei dieser Verschiebung des Blickwinkels geht es um das Ausloten und Erkennen von Grenzen, das Erspüren neuer Qualitäten und um das Hinterfragen unserer Wohngewohnheiten. (Bild 1) INSTALLATION „39QM“ Bild 1: Installation „39qm“. © Adapter e. V. 69 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft mögliche Folgenutzung gewährleisten. Um eine flexible Raumnutzung zu bewahren, braucht es daher einen behutsamen Umgang mit dem Bestand und reversible architektonische Eingriffe. Gleichzeitig stellt eine gemeinschaftliche Wohnnutzung auf Zeit im Leerstand bestimmte Anforderungen an ihre Bewohner*innen, sodass sie nicht auf alle Gesellschaftsgruppen gleich attraktiv wirkt. Einerseits müssen die individuellen Lebensumstände einen nur zwischenzeitlichen Wohnortwechsel zulassen können, andererseits muss eine gewisse persönliche Ereignis-Offenheit in Bezug auf den experimentellen Rahmen bestehen. Im Idealfall können Zwischennutzungen aber nicht nur das Leben von Nutzer*innen oder Bewohner*innen bereichern, sondern sie können gleichzeitig die umliegende Nachbarschaft bzw. Stadtgesellschaft aktiv mit in das Geschehen einbeziehen. In diesem Fall bildet die zwischenzeitliche Belebung des Leerstandes eine neue nachbarschaftliche Anlaufstelle aus, die Anreize zur weiteren Mitgestaltung - auch über die Dauer einer temporären Nutzung hinaus - des städtischen Nahraumes durch die Anwohnerschaft schaffen kann. Zwischennutzungen entfalten ihr Potenzial am besten, wenn sie als Werkzeug städtischer Planung eingesetzt werden, was sowohl neue Vorstellungen des städtischen Lebens experimentell erprobt, als auch zur Teilhabe an eben jenem anregt. In der Konsequenz erreichen sie mit ihrer Forschungsintention und ihrem Standpunkt in der Nachbarschaft höhere Akzeptanz, um neue, unübliche Nutzungsideen zu generieren: für die Stadtbevölkerung bis hin zu den politischen und privatwirtschaftlichen Instanzen. Das Handwerkszeug von Adapter Um neue gemeinschaftliche Wohnformen in der Alltagsrealität zu erproben, verfolgen wir konkret den Plan, eine etwa zwei Jahre dauernde Wohn- Zwischennutzung in einem gewerblichen Leerstand umzusetzen. Zur Annäherung an dieses Vorhaben und um zu gewährleisten, dass sich durch die Zwischennutzung neue Erkenntnisse für die Wohnbaupraxis generieren lassen, entwickeln wir eigene aktionsbasierte Forschungsmethoden und Werkzeuge und führen Untersuchungen in verschiedensten Maßstäben und Zeiträumen durch. Wir organisieren kürzere Testphasen und Impulsprojekte, bauen 1: 1-Mock-ups und entwickeln Beteiligungsworkshops, in denen wir das Thema des gemeinschaftlichen, urbanen Wohnens untersuchen. Dabei suchen wir nach räumlichen Antworten auf Bedürfnisse und Anforderungen an das urbane Wohnen und wollen das Bewusstsein für Wohnbedürfnisse und Stadträume bei allen Beteiligten zu steigern. In Workshops regen wir an, sich mit dem eigenen Wohnverhalten auseinander zu setzen, um Bewohner*innen Werkzeuge zur Untersuchung des Wohnalltags an die Hand zu geben. So können sie bewusst mit Unvorhergesehenem, Konflikten, Irritationen und Inspirationen umgehen und zu neuen tragfähigen Ansätzen für gemeinschaftliches, urbanes Wohnen beitragen. Ziel ist, in der Auseinandersetzung mit persönlichen Wohnvorstellungen neue tragfähige Ansätze für gemeinschaftliches urbanes Wohnen zu erproben. Für eine Zwischennutzung braucht es nicht nur die räumliche Vorstellungskraft und eine Sensibilisierung für gemeinschaftliches Wohnen. Dem Bild 2: Workshop „Wohn doch wie du willst“. © Adapter e. V. In einem leerstehenden Autohaus kommen 15 Personen zusammen. Sie diskutieren über Orte an denen sie sich wohl fühlen und entwickeln daraus Bilder für ein Wohnung, die in Interaktion mit der Stadt steht. Im Dialog und individuell, in verschiedenen räumlichen Situationen mit unterschiedlichen Graden an Privatheit setzen sich die Teilnehmenden mit Fragen des Wohnempfindens auseinander. Wie fühle ich mich in verschiedenen Situationen? Was fehlt mir beim Wohnen? Perspektivwechsel. Was braucht die Umgebung? Was will ich als Bürger*in der Stadt? Welche Synergien können sich ergeben? (Bild 2) WORKSHOP „WOHN DOCH WIE DU WILLST“ 70 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft leerstehenden Gebäude muss mit einer architektonischen Lösung begegnet werden, die Antworten auf bauliche, technische und bau-physikalische Fragen gibt. Hierfür haben wir ein modular aufgebautes Paneel-System für den Innenausbau entwickelt. Mit diesem Paneel-System kann zum einen ein schneller und flexibler Ausbau umgesetzt werden, zum anderen die Raumgestaltung partizipativ und experimentell erprobt werden. Das System ist so konzipiert, dass die einzelnen Teile von höchstens zwei Personen von Hand durch Treppenhäuser und Türen getragen werden können. Es ist von den späteren Nutzer*innen selbst montierbar und ermöglicht eine Vielzahl von Aufbauvariationen. Nach dem Ende der Nutzungsphase kann das System wieder in seine Einzelteile zerlegt und an einem anderen Ort erneut aufgebaut werden. Die Paneele werden zu unterschiedlich großen Räumen gefügt, die alle Funktionen des Wohnens aufnehmen können. Auch während einer Nutzung kann die Raumaufteilung angepasst werden. Der Aspekt des Selbstbaus ermöglicht eine „erprobende Raumgestaltung”. Nutzer*innen können die Räume selbstständig anpassen und sind involviert in den Aufbau ihres Zuhauses auf Zeit. Das Paneel-System ist so nicht nur Werkzeug zur Nutzbarmachung von temporär zur Verfügung stehenden Flächen, sondern auch ein Mittel, um die Raumgestaltung selbst zu untersuchen und neue Ansätze zu entwickeln. Was brauche ich? Worauf kann ich verzichten? Ansprüche an den Raum werden direkt erfahren. Vom Leerstand zur neuen Wohnkultur Wir stehen vor einem 12-geschossigen Gebäudekomplex in Stuttgart, nur wenige hundert Meter von der Innenstadt entfernt. Auf dem Vorplatz parkt ein Mann sein Fahrrad und trägt seine Einkäufe in das Gebäude. Die Fenster im Erdgeschoss sind geöffnet, im Innenraum kocht eine Gruppe Studierender gerade in der offenen Gemeinschaftsküche. Am Eingang ist eine Infotafel aufgebaut, die über das Modellprojekt „Wohn-Zwischennutzung im gewerblichen Leerstand“ informiert und zum nächsten Infoabend einlädt. Im Foyer ist ein Mock-up des Paneelsystems aufgebaut. Eine paar Interessierte bekommen gerade die Funktionsweise von einer Bewohnerin des Der gemeinnützige Verein Adapter beschäftigt sich mit neuen Perspektiven zum Urbanen Wohnen und hat zum Ziel, den sozialen Austausch und Möglichkeiten zur Mitgestaltung in der Stadt zu stärken. Der Verein ist Mitglied des bundesweiten Netzwerks „Urbane Liga“. Diesen Sommer ist Adapter e. V. mit einem Wohnmodul des Paneel-Systems in verschiedenen deutschen Städten unterwegs. www.adapter-stuttgart.de ADAPTER E. V. Bild 3: Paneel-System. © Adapter e. V. Leerstandes erklärt. In den oberen Stockwerken findet das Paneel-System bereits seine praktische Anwendung. Mehrere Wohncluster verteilen sich in den offenen Bürogrundrissen. Private und gemeinschaftliche Bereiche werden durch die Anordnung der Paneele geschaffen. Manche Bewohner*innen haben ihre eigene Nasszelle, andere teilen sich ein Bad. In der Mitte des Raumes trifft sich gerade eine Arbeitsgruppe, um ein gemeinsames Hausfest zu planen, zu dem die ganze Nachbarschaft eingeladen wird. So oder so ähnlich könnten zukünftig leerstehende Gewerbebauten temporär (um)genutzt werden und neue Impulse für das Wohnen geben. Während leerstehende Wohngebäude immer stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt werden und durch Zweckentfremdungsverbote als Wohnraum verfügbar bleiben sollen, birgt der gewerbliche Leerstand noch unentdecktes Potenzial, um neue Wohnformen in Form einer Zwischennutzung zu testen. Adapter möchte die Aufmerksamkeit auf dieses Möglichkeitsfenster richten und neue Ansätze für eine Nutzer*innen-getragene Wohnkultur mitgestalten. Alexandra Ulrich Adapter e. V. Kontakt: ulrich@adapter-stuttgart.de Elif Kälberer Adapter e. V. Kontakt: kaelberer@adapter-stuttgart.de Sarah Thiel Adapter e. V. Kontakt: thiel@adapter-stuttgart.de Paul Vogt Adapter e. V. Kontakt: vogt@adapter-stuttgart.de AUTOR*INNEN WISSEN FÜR DIE STADT VON MORGEN w w w.tr a n s f o r m i n g c iti e s . d e / e i n z e l h e f tb e s t e ll e n w w w.tra n s f o r min g c iti e s . d e / m a g a z in a b o n ni e r e n Digitalisierung versus Lebensqualität Big Data | Green Digital Charter | Kritische Infrastrukturen | Privatheit | Sharing-Systeme 1 · 2016 Was macht Städte smart? URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Mit veränderten Bedingungen leben Hochwasserschutz und Hitzevorsorge | Gewässer in der Stadt | Gründach als urbane Klimaanlage |Baubotanik 1 · 2017 Stadtklima URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Lebensmittel und Naturelement Daseinsvorsorge | Hochwasserschutz | Smarte Infrastrukturen | Regenwassermanagement 2 · 2016 Wasser in der Stadt URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Verbrauchen · Sparen · Erzeugen · Verteilen Energiewende = Wärmewende | Speicher | Geothermie | Tarifmodelle | Flexible Netze | Elektromobilität 2 · 2017 2 · 2017 Stadt und Energie URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Erlebnisraum - oder Ort zum Anbau von Obst und Gemüse Urban Farming | Dach- und Fassadenbegrünung | Grüne Gleise | Parkgewässer im Klimawandel 3 · 2016 Urbanes Grün URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN 1 · 2017 Die Lebensadern der Stadt - t für die Zukunft? Rohrnetze: von Bestandserhaltung bis Digitalisierung | Funktionen von Bahnhöfen | Kritische Infrastrukturen 4 · 2016 Städtische Infrastrukturen URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Die Vielschichtigkeit von Informationsströmen Smart Cities | Automatisierung | Mobilfunk | Urbane Mobilität | Datenmanagement | Krisenkommunikation 3 · 2017 Urbane Kommunikation URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Angri ssicherheit · Betriebssicherheit · gefühlte Sicherheit IT-Security | Kritische Infrastrukturen | Notfallkommunikation | Kaskadene ekte | Vulnerabilität | Resilienz 4 · 2017 4 · 2017 Sicherheit im Stadtraum URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Was macht Städte smart? Soft Data | IT-Security | Klimaresilienz | Energieplanung | Emotionen | Human Smart City | Megatrends 1 · 2018 Die intelligente Stadt URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Energie, Wasser und Mobilität für urbane Regionen Mieterstrom | Solarkataster | Wärmewende | Regenwassermanagement | Abwasserbehandlung | Mobility as a Service 2 · 2018 Versorgung von Städten URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Zunehmende Verdichtung und konkurrierende Nutzungen Straßenraumgestaltung | Spielraum in Städten | Grüne Infrastruktur | Dach- und Fassadenbegrünung | Stadtnatur 3 · 2018 Urbane Räume und Flächen URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Daseinsvorsorge für ein funktionierendes Stadtleben Urbane Sicherheit | Mobilität im Stadtraum | Zuverlässige Wasser- und Energieversorgung | Städtische Infrastruktur 4 · 2018 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Gesund und sicher leben in der Stadt Gesund und sicher leben in der Stadt Innovativer und nachhaltiger Umgang mit knappem Stadtraum Stadtgrün | Gewerbegebiete | Nachkriegsmoderne | Stadt auf Probe | Reverse Innovation | Stadtverkehr 1 · 2019 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Leben und arbeiten in der Stadt Mit der Größe der Städte wachsen auch Risiken und Belastungen Vulnerabilität | Risikowahrnehmung | Prävention | Bürgerbeteiligung | Freiwilliges Engagement | Resilienz 2 · 2019 2 · 2019 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Städte im Krisenmodus? Anpassungsstrategien an die Auswirkungen des Klimawandels Stadtklima | Grüne und blaue Infrastruktur | Schwammstadt | Stadtgrün | Urbane Wälder | Klimaresilienz 3 · 2019 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Städtisches Grün - städtisches Blau Beispiele zukunftsorientierter nachhaltiger Stadtentwicklung Urbane Wasserwirtschaft | Nicht-fossile Mobilität | Stadtnatur | Blau-grüne Infrastrukturen | Stadtklima 1 · 2020 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Zwischen Klimawandel und Kimaanpassung Innovative Konzepte für den Wandel städtischer Quartiere Stadtentwicklung | Resilienz | Bürgerbeteiligung | Energiewende | Mobilität | Luftqualität | Smart City 2 · 2020 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Urbane Transformation Ambivalenz zwischen urbanem Lifestyle und ländlicher Idylle Digitalisierung | Smart Cities | Mobilität | Ländliche Regionen | Urbane Peripherie | Stadtökologie | Stadtgrün 3 · 2020 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Urbanes Land - durchgrünte Stadt Urbaner Metabolismus: Material- und Energieflüsse in der Stadt Flächennutzung | Stadtgrün | Rohsto e | Energie | Wasser + Abwasser | Wiederverwendung | Bioökonomie 4 · 2020 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Städtische Ressourcen Resilienz: Wie Städte künftig Krisen besser bewältigen können Corona | Verhäuslichung | Grüne Infrastruktur | Freiraum | Neue Arbeitswelten | Smart Cities | Mobilität | 1 · 2021 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Lehren aus der Pandemie TranCit halbe hoch.indd 1 30.04.2021 14: 40: 37 72 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft 5G als (eine) Grundlage der Smart City Global stehen Städte heute im Zentrum vieler der drängendsten Probleme unserer Zeit. Das Konzept der Smart City stellt bei der Adressierung etlicher der aktuellen Herausforderungen einen unerlässlichen Lösungsansatz dar. Dabei soll die Smart City digitale Technologien auf kommunale Anwendungsfelder übertragen, um somit Städte nachhaltiger, effizienter und inklusiver gestalten zu können [1]. Die Grundlage einer jeden intelligenten Stadt ist die zuverlässige, schnelle und leistungsstarke Konnektivität der verschiedenen Akteure und Objekte Stadtverträgliche 5G-Infrastruktur der Smart City Der neue Mobilfunkstandard als Chance für die Stadtgestaltung 5G-Infrastruktur, Stadtraum, Stadtmobiliar, Stadtgestaltung, Smart City Jannik Wendorff, Claudia Kruschwitz 5G wird unsere Städte verändern. Aber nicht nur die Anwendungen, die mit 5G ermöglicht werden, sondern auch der erhöhte und veränderte Bedarf an Sendeinfrastrukturen für den neuen Mobilfunkstandard wird unsere Städte nachhaltig prägen. Die stadtverträgliche Integration neuer Mobilfunkanlagen, insbesondere für Small Cells, stellt eine seltene Chance dar, den Stadtraum gestalterisch wie auch funktional aufzuwerten. Dabei ermöglicht ein abgestimmtes 5G-Integrationskonzept, die Standortindividualität auszubauen und zu kommunizieren sowie die Belebung von Nachbarschaften und Quartieren anzuregen Bild 1: Identitätsstiftende 5G-Antennen vor dem Dortmunder Klinikum. © Till Merbecks 73 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft untereinander [2]. Um diese Grundlage flächendeckend zur Verfügung zu stellen, wird zukünftig 5G als neuer, fünfter Mobilfunkstandard eine essentielle Rolle einnehmen. 5G besitzt dabei nicht nur das Potenzial, Daten deutlich schneller als bisher per Funkverbindung zu übertragen, sondern lässt sich je nach Ausgestaltung auch durch eine signifikant erhöhte Kapazität, eine minimale Verzögerung, einen geringeren Energieverbrauch pro übertragener Information sowie eine hohe Zuverlässigkeit charakterisieren [3]. Für Smart City-Anwendungen wie die autonome Mobilität sind vor allem die hohe Zuverlässigkeit und die geringen Latenzen des 5G-Netzes notwendig, weshalb andere, bereits bestehende oder sich aktuell etablierende schmalbandige Netzwerke (etwa LoRaWANs), zukünftig nicht ausreichen werden [4]. Bisher erhielt der Mobilfunk aus städtebaulicher Sicht wenig Beachtung, warum sollte sich das mit 5G ändern? Um die Vorteile, wie höhere Datenraten, zu realisieren, nutzt die 5G-Technologie unter anderem höhere Übertragungsfrequenzen. Diese höheren Frequenzen bedingen aufgrund der physikalischen Gegebenheiten geringere Signalreichweiten und damit den Bedarf einer erhöhten Anzahl an Sendestationen [5]. Neben den bisherigen sowie den neu zu errichtenden Dachstandorten für Mobilfunksendeanlagen (Macro Cells) werden für 5G vermehrt sogenannte Small Cells eine wichtigere Rolle einnehmen. Small Cells dienen in stark frequentierten Räumen der Kapazitätssteigerung, ihre Infrastruktur muss dabei in direkter räumlicher Nähe zu Nutzerin und Nutzer installiert werden [6]. Auf Grundlage der technischen Rahmenbedingungen von 5G ist daher davon auszugehen, dass sich die Anzahl und damit auch die Raumwirksamkeit der 5G-Anlagen signifikant erhöhen wird. Besonders die Small Cell-Standorte sind aufgrund ihrer bodennahen Position aus städtebaulicher Perspektive interessant und relevant. Die EU-Kommission geht je nach Szenario von bis zu 1 000 Small Cells pro km² aus [7]. Aktuell sind nur etwa 20 % der Small Cell-Anlagen im öffentlichen Außenbereich errichtet worden, doch stellt bereits dieser prozentuale Anteil bei einer angenommenen stark steigenden Anzahl an benötigten Small Cells einen signifikanten Eingriff in den Stadtraum dar [8]. Erste vereinzelte Ansätze zur stadtverträglichen Integration der Small Cells gibt es bereits (vgl. [6]); ein quartiers- oder sogar stadtweiter Ansatz zur mehrwertstiftenden und stadtraumbelebenden 5G-Integration konnte bisher nicht ausgemacht werden. Reallaborstudie „5G Infrastruktur für die Smart City“ An der zukünftig stark erhöhten Raumwirksamkeit von 5G-Sendeanlagen setzt die Reallaborstudie an, die im Rahmen des durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Projekts „5GAIN - 5G Infrastrukturen für Zellulare Energiesysteme unter Nutzung künstlicher Intelligenz“ im sich im Aufbau befindenden Dortmunder 5G-Reallabor durchgeführt wurde. Weitere Beteiligte neben Autor und Autorin waren Niklas Buchholz sowie 14- Masterstudierende der Masterstudiengänge Architektur und Stadtplanung der RWTH Aachen. Die Studie ging dabei drei zentralen Fragen nach: Wie können die neuen 5G-Infrastrukturen stadtverträglich in Quartiere integriert werden? Inwiefern können sie zusätzliche Mehrwerte für die lokale Bevölkerung bieten? Ist eine vollständige 5G-Abdeckung mit stadtverträglicher und gleichzeitig wahrnehmbarer Sendeinfrastruktur möglich? Das Reallabor eignet sich aufgrund seiner heterogenen Stadtstruktur und den vielfältigen Nutzungen sehr gut für eine spätere Übertragung der Ergebnisse. Es erstreckt sich dabei in sieben Teilgebieten vom südwestlichen Bereich der Dortmunder Innenstadt über das Klinik- und Kreuzviertel bis zu den Westfalenhallen im Süden (Bilder 1 und 2). Bild 2: Übersicht 5GAIN- Reallabor in Dortmund. © Institut für Städtebau 74 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Identifikation einer gestalterischen Haltung Grundlage verschiedener Implementierungsszenarien und neuer Mehrwerte für Quartiere ist die gestalterische Haltung zur (Un-)Sichtbarkeit der neuen 5G-Infrastrukturen. Prinzipiell eignen sich insbesondere die Small Cell-Anlagen aufgrund ihrer relativ geringen Größe dazu, ihre notwendige Technik im Stadtraum möglichst unauffällig zu gestalten oder gar komplett zu verstecken. Ansätze einer unsichtbaren Verortung der Sendeinfrastrukturen im Stadtraum bestehen etwa darin, diese in bestehendes Stadtmobiliar zu implementieren (Litfaßsäulen, Normaluhren), Netztechnik und Antenne voneinander zu trennen und separat als sogenannte Nebensteller zu integrieren (Antenne in Laterne, Technik im Blumenkübel) oder bestehende städtische Infrastrukturen durch Neue mit entsprechend eingebauter Sendetechnologie zu ersetzen (zum Beispiel: smarte Beleuchtungsanlagen) (vgl. [6]). Während der Ansatz unsichtbarer 5G-Sendeanlagen maßgeblich von Akteur*innen der technischen Disziplinen oder Lösungsanbieter*innen neuer Netzwerktechnologien vorgeschlagen wird, wurde bereits in der Vergangenheit aus technosoziologischer Perspektive für die Sichtbarkeit von Kommunikationsinfrastrukturen plädiert. Versteckte Infrastrukturen versuchen die Diskussion um die Effekte, Verortung und das Design ebenjener zu vermeiden. Bürger*innen bleiben so im Unklaren über die Kommunikationsinfrastrukturen, die sie täglich benutzen [9]. Besonders im Zusammenhang mit der bereits partiell verbreiteten Angst gesundheitlicher Folgen von 5G ist davon auszugehen, dass eine versteckte Infrastruktur möglichen Verschwörungstheorien weiteren Aufwind geben dürfte. So hat etwa die Installation von Small Cell-Anlagen in Busunterständen in Amsterdam zu erheblichen Protesten geführt. Ein vielversprechender Ansatz dürfte daher sein, wenigstens zu einem gewissen Anteil sichtbare Small Cells in den Stadtraum zu integrieren, wodurch die wahrnehmbaren Sendeinfrastrukturen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, den Diskurs anregen und Skepsis abbauen können [10]. Raumrelevanz von Small Cells Im Rahmen der Reallaborstudie wurden verschiedene Integrationsansätze für Small Cells entwickelt. In den meisten Fällen fand eine Umgestaltung bestehender Trägerinfrastrukturen und eine Integration von 5G-Sendetechnologien statt. Tabelle 1 sind die im Reallabor identifizierten Trägerinfrastrukturen sowie deren Häufigkeit zu entnehmen. Eine besondere städtebauliche Relevanz wurde für bereits existierendes Stadtmobiliar, Versorgungsschränke und ÖPNV- Stationen ausgemacht. Die im Rahmen der Studie entwickelten Small Cells-Integrationsansätze lassen sich in drei Gruppen differenzieren, deren Übergänge fließend sind: Small Cell Trägerinfrastruktur Häufigkeit & Regelmäßigkeit Beleuchtungsanlagen (hoch) ++ Beleuchtungsanlagen (niedrig) +++ Fahrleitungsmasten (Straßen- & S-Bahn) + Ampelanlagen ++ (Groß-)Verkehrszeichenträger + ÖPNV-Stationen U- & S- Bahn + ÖPNV-Stationen Bus ++ Dächer, Dachkanten ++ Gebäudefassaden ++ Litfaßsäulen + Solitär (Freie Gestaltung) ++ Vegetation +++ IKT-Anlagen + Paketstationen + Versorgungsinfrastruktur ++ Tabelle 1: Potenzielle Trägerinfrastrukturen für 5G-Small Cells im Dortmunder Reallabor. © Institut für Städtebau Bild 3: Identitätsstiftende Small Cell „U-Entwurf “. © Till Merbecks 75 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Stadtbildwirksame und identitätsstiftende Small Cells | Stadtraumbelebende Small Cells | Gestaltverbessernde Small Cells Die Gruppe der stadtbildwirksamen und identitätsstiftenden Small Cells verteilt sich über das gesamte Reallabor. Infrastrukturen dieser Gruppe werten den Stadtraum insgesamt auf, indem sie neben der 5G-Abdeckung das Stadtbild verbessern und/ oder die Identifizierung lokaler Bevölkerungsgruppen und Besucher*innen mit dem Quartier steigern. Ein Beispiel ist die Umgestaltung der U-Bahnstation am Klinikum im Reallabor. Die neugestaltete Station wurde mit einem beleuchteten „U“-Symbol inklusive integrierter Small Cell-Sendestation ausgestattet, welches in seiner Erscheinung an das bekannte „Dortmunder U“ erinnert (Bilder 1 und 3). Der „U-Entwurf“ wurde auf alle Haltestellen im Reallabor übertragen und könnte so stadtweit zu einem einzigartigen Identifikationsmerkmal für Dortmund werden. Die technische Infrastruktur der Small Cell wurde zudem für weitere Funktionen wie eine Ladestation für Smartphones, eine E-Bike-Sharing-Station sowie einen Abholautomaten für Medikamente genutzt. Hierdurch konnte eine gestalterische Aufwertung und Vereinheitlichung bestehender Infrastrukturen sowie eine Ergänzung um neue Angebote im Sinne einer „Funktionsfamilie“ an diesem stark frequentierten öffentlichen Platz erreicht werden, was zu einer Steigerung der Aufenthaltsqualität und damit sicherlich zu einer Belebung führen würde. Das Beispiel zählt damit gleichzeitig zu den großmaßstäblichen Ansätzen der Gruppe der stadtraumbelebenden Small Cells, die vor allem größere öffentliche Räume wie Plätze und Fußgängerzonen beleben. Ein zweites Beispiel ergänzt den innerstädtischen Friedensplatz am Rathaus und die angrenzende Einkaufsstraße um neue, attraktive Aufenthaltsorte und Servicestellen. Insbesondere an diesem zentral gelegenen Ort der Stadt soll über die mehrwertstiftenden zusätzlichen Nutzungen und die Sichtbarkeit der 5G-Infrastrukturen eine positive Resonanz bei der Bevölkerung erzielt werden. Ausgangspunkt des Ansatzes ist die Aufrüstung bestehender, gestalterisch prägnanter Straßenlaternen mit 5G-Sendetechnik sowie eine Integration von Fahrrad-Reparatur-/ Ladestationen und städtischen Infopoints mit Bildschirmen. Zwischen den 5G- Laternen werden sinuskurvenförmige Sitz-/ Liege-/ Klettergelegenheiten installiert, die zum Verweilen einladen. Die integrierte 5G-Technik gestaltet sich dabei minimalintensiv, während die räumlich prägnanten Sitzmöglichkeiten und Services den Stadtraum spürbar beleben. Die Konstruktion der Sitzbank dient zudem als Medienkanal zwischen den Laternen, sodass nur wenige technische Anschlüsse geschaffen und bauliche Anpassungen vorgenommen werden müssen (Bild 4). Neben den großmaßstäblichen Ansätzen dieser Gruppe der stadtraumbelebenden Small Cells finden sich auch kleinmaßstäblichere Transformationen. Beispielsweise von Kabelverteilerschränken zu multifunktionalen Objekten mit Bücherschränken Bild 4: Stadtraumbelebende Small Cells. © Chang-Ting Lin, Conrad Moschner, Ted Fishka Bild 5: Kleinmaßstäbliche stadtraumbelebende Small Cells. © Chang-Ting Lin, Conrad Moschner, Ted Fishka (m) Jannik Ehlers (l,r) 76 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft und Paketstationen, die in Wohngebieten mit begrenztem öffentlichem Raum für neue Treffpunkte sorgen. Auch digitale Spieltische sowie die Möglichkeit, über Augmented Reality, digitale Ausstellungen (in blau dargestellt) in den Stadtraum zu integrieren, besitzen das Potenzial zur Stadtraumbelebung (Bild-5). Die dritte Gruppe umfasst schließlich gestaltverbessernde Small Cells, die Stadtmobiliar insbesondere in Wohngebieten gestalterisch aufwerten. Sie können eine gewisse identitätsstiftende Wirkung im Zusammenspiel mit gestalterisch verwandten Small Cells haben, sind jedoch weder besonders stadtbildwirksam noch besonders stadtraumbelebend. Zu ihnen zählen Laternen, Litfaßsäulen und Fahrradhäuser. Im Beispiel (Bild 6) wurde die Umgestaltung bestehender Trägerinfrastrukturen zu Small Cells mit quartiers-einheitlichen Licht- und Textelementen verbunden. Abdeckung und Vielfalt der Elemente Die mannigfaltigen Ansätze zur stadtverträglichen Integration von Small Cell-Anlagen haben gezeigt, dass eine wahrnehmbare und stadtraumaufwertende 5G-Mobilfunkinfrastruktur in allen Teilbereichen des heterogenen Reallabors installierbar ist. Übertragen auf die gesamte Fläche des Reallabors wurde weiterhin festgestellt, dass eine nahezu lückenlose idealisierte 5G-Abdeckung mühelos mit wahrnehmbaren Small Cells gewährleistet werden kann (Getroffene Annahme: Senderadius 100- m). Bild 7 zeigt dabei eine Auswahl vielfältiger, in der Anordnung räumlich möglichst optimierter Small Cell-Anlagen im Dortmunder Reallabor. Betrachtet man die alleinige Nutzung von Laternen (mit Dauerstromversorgung) als häufigste verfügbare technische Infrastruktur im Reallabor, ermöglicht diese bereits eine idealisierte 5G-Abdeckung von rund 80 %. Lediglich Randbereiche wären so nicht versorgt. Laternen sind jedoch nur bedingt geeignet, um den Stadtraum durch eine neue Gestaltung und angegliederte Funktionen zu beleben. Aus diesem Grund wurden sie für das Reallabor in weiten Teilen nur als ergänzende Small Cells-Standorte vorgesehen. Bereiche des Reallabors ohne eingezeichnete Signalabdeckung sind in der Regel abseits des Straßenraums verortet und ließen sich, sofern dies nötig sein sollte, mit vollintegrierten Sendeanlagen abdecken. Fazit Die vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass ein abgestimmtes 5G-Integrationskonzept von Small Cell- Standorten neben der neuen Funktionalität auch ein hohes Potenzial zur Aufwertung und Belebung Bild 7: Idealisierte 5G-Small Cell Abdeckung im Reallabor. © Institut für Städtebau Bild 6: Gestaltverbessernde Small Cells. © Elena Pluschnikov 77 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft des Stadtraums besitzt. Gleichzeitig bietet der städtebauliche 5G-Integrationsprozess für Städte die Chance, die eigene Stadtidentität zu stärken und wahrnehmbar zu präsentieren. Aufgrund der aufgezeigten stark unterschiedlichen Stadträume des Reallabors kann angenommen werden, dass eine Übertragung und Anpassung der präsentierten Ansätze auf andere Stadtgebiete unter Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten gelingen kann. Städte sollten sich frühzeitig nicht nur mit den neuen Mehrwerten befassen, die durch 5G realisierbar werden, sondern auch mit den stadtbildrelevanten Auswirkungen des Ausbaus und diesen dazu nutzen, den eigenen Stadtraum lebenswerter zu gestalten. Beteiligte Studierende: Thomas Berger, Jannik Ehlers, David Engelbrecht, Ted Fishka, Michael Funken, Honglin Gao, Valentin Kubatta, Chang-Ting Lin, Johannes Märtl, Till Merbecks, Conrad Moschner, Elena Pluschnikov, Xiaolong Xue, Hui-Qin Yang. LITERATUR [1] Lauzi, M.: Smart City. Technische Fundamente und erfolgreiche Anwendungen. München, Hanser, (2019) S.-9. [2] Etezadzadeh, C.: Smart City - Stadt der Zukunft? Die Smart City 2.0 als lebenswerte Stadt und Zukunftsmarkt. Wiesbaden: Springer Vieweg, (2015) S. 39. [3] Saghezchi, F., Rodriguez, J., Mumtaz, S., Radwan, A., Lee, W., Ai, B. et al.: Drivers for 5G. The „Pervasive Connected World“. In: Rodriguez, J. (Hrsg.): Fundamentals of 5G mobile networks. West Sussex: Wiley, (2015) S.-9 - 10, 24 - 25. [4] Lauzi, M.: Smart City. Technische Fundamente und erfolgreiche Anwendungen. München, Hanser, (2019) S.-76. [5] Cox, C.: An introduction to 5G. The new radio, 5G network and beyond. Hoboken, NJ, Wiley, (2021) S. 3 - 4. [6] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Hrsg.): Mitnutzungspotenziale kommunaler Trägerinfrastrukturen für den Ausbau der nächsten Mobilfunkgeneration 5G. Eine Handreichung der AG Digitale Netze des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Berlin, (2019) S. 10 - 11, 17. [7] Forge, S., Horvitz, R., Blackman, C., Bohlin, E.: Light Deployment Regime for Small-Area Wireless Access Points (SAWAPs). Final report. Luxembourg: Publications Office of the European Union, (2019) S. 27. [8] Small Cell Forum (Hrsg.): SCF market status report July 2020. Small cells and digital transformation (050.10.4). (2020) S. 6. [9] Parks, L.: Around the antenna tree. the politics of infrastructural visibility. In: Association for Computing Machinery (Hg.): SIGGRAPH ‚07. ACM SIGGRAPH 2007 art gallery. SIGGRAPH07: Special Interest Group on Computer Graphics and Interactive Techniques Conference. San Diego, (2007) S. 345 - 347, 345. [10] Forge, S., Horvitz, R., Blackman, C., Bohlin, E.: Light Deployment Regime for Small-Area Wireless Access Points (SAWAPs). Final report. Luxembourg: Publications Office of the European Union, (2019) S. 30 - 31. Wir erhalten Einzigartiges. Mit Ihrer Hilfe. www.denkmalschutz.de IBAN: DE71 500 400 500 400 500 400 BIC: COBA DE FF XXX, Commerzbank AG Spendenkonto VON SIEGFRIED BESIEGT, VON UNS G E R E T T E T. Drachenbrunnen auf dem Drachenfels in Königswinter. Jannik Wendorff, M. Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter RWTH Aachen University, Institut für Städtebau und Europäische Urbanistik Kontakt: wendorff@staedtebau.rwth-aachen.de Dr.-Ing. Claudia Kruschwitz Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Forschungskoordinatorin RWTH Aachen University, Institut für Städtebau und Europäische Urbanistik Kontakt: kruschwitz@staedtebau.rwth-aachen.de AUTOR*INNEN 78 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Wirtschaftswachstum, Ressourcenverbrauch und Umweltschutz Der weltweite Anstieg des Rohstoffabbaus und -verbrauchs ist einer der Hauptverursacher des Klimawandels. Verursacht wird dieser Anstieg insbesondere durch eine steigende Weltbevölkerung mit entsprechend wohlstandserhaltenden und -erweiternden Intentionen. Im Rahmen des European Green Deal hat sich die Europäische Kommission nunmehr entschieden, die Klimaziele innerhalb der EU weiter anzuheben. Sie verpflichten sich, die Treibhausgasemissionen bis 2030 nicht wie bisher um 40 %, sondern um mindestens 55 % im Vergleich zu 1990 zu senken. Im April 2021 wurde diese Verschärfung final durch die Unterhändler der EU-Staaten sowie das Europäische Parlament bestätigt. Dies erfordert von allen Ländern eine größere Kraftanstrengung als bisher. Deutschland hat bereits vor Jahren auf den Klimawandel reagiert, im Rahmen der Energiewende wurden weitreichende Klimaschutzmaßnahmen in den Sektoren Strom, Wärme und Mobilität sowie bei der Energieeffizienz implementiert. Im aktuellen Klimaschutzprogramm 2030 werden Sektorziele für die notwendigen Treibhausgasemissionen festgelegt sowie sektorübergreifende Maßnahmen angesprochen [1]. Auffällig ist dabei, dass der Fokus überwiegend auf den Sektoren Wärme, Energie und Verkehr liegt. Die Kreislaufwirtschaft, deren großes Klimaschutzpotenzial vom Bundesumweltministerium selbst sowie auch in vielen weiteren Studien längst erkannt wurde, wird hingegen kaum erwähnt. Dies ist umso erstaunlicher, da ein Wandel hin zur „Circular Economy“ und die konsequente Umsetzung des European Green Deal auch positive, wirtschaftliche Auswirkungen implizieren würde [2]. Dieser Beitrag befasst sich vor diesem Hintergrund mit der Frage, welchen Beitrag die Circular Economy und eine auf Recycling ausgerichtete Kreislaufwirtschaft zum Klimaschutz in Deutschland leisten. Kreislaufwirtschaft als ein Weg zu mehr Nachhaltigkeit Die bisherigen Anstrengungen im Rahmen der Energiewende allein werden nicht ausreichen, die Klimaschutzziele bis 2050 zu erreichen. Ökologische Nachhaltigkeit ist bei einer stetig wachsenden Bevölkerung, die ihr Wohlstandsniveau mindestens beibehalten will, in einem linearen Wirtschaftssystem nur schwer zu erreichen. Ein System, das darauf ausgelegt ist, dass Gegenstände nach ihrer Nutzung entsorgt werden und als Abfall enden, generiert von sich aus kaum Nachhaltigkeit. So führt die Produktion neuer Konsumgüter ohne entsprechendes Recycling und Rückführung in den Wirtschaftskreislauf zu mehr Emissionen klimaschädlicher Treibhausgase und zu hoher Ressourcenverschwendung [3]. So hat sich seit dem Jahr 1970 die Menge der jährlich abgebauten Rohstoffe von 27 Mrd. Tonnen auf 92-Mrd. Tonnen im Jahr 2017 erhöht. Bis 2060 ist bei Fortschreibung dieses Trends mit einem erneuten Anstieg auf etwa 190 Mrd. Tonnen zu rechnen [4]. Die Circular Economy hat den Anspruch, ein Wirtschaftssystem zu schaffen, in dem keine Rohstoff-, Nährstoff- oder Wertverluste entstehen [5]. Somit kann der bestehende Zusammenhang zwischen Wirtschaftsentwicklung und Abfallaufkommen auf- Die Kreislaufwirtschaft als Teil einer nachhaltigen Ökonomie Kreislaufwirtschaft, Recycling, nachhaltige Ökonomie; Klimaschutz Max Goldammer, Oliver Rottmann Insbesondere nachdem das Bundesverfassungsgericht Teile des deutschen Klimaschutzgesetzes für nicht verfassungskonform erklärt hat, ist die deutsche Klimapolitik wieder verstärkt in den Blick der Öffentlichkeit geraten. Im Speziellen kritisierten die Verfassungsrichter, dass für die Zeit nach 2030 keine hinreichenden Maßgaben zur Emissionsreduktion festgelegt sind. Ungeachtet dessen, dass es technologiebasiert schwierig ist, über Dekaden sehr konkrete Zielvorgaben zu implementieren und speziell hier die Legislative entscheidungsrelevant ist, fällt in der deutschen Klimapolitik ein Merkmal doch besonders auf: Der Fokus der Klimapolitik liegt fast ausschließlich auf den drei Sektoren Strom, Wärme und Mobilität. Die Potenziale, die von einer konsequent kreislauforientierten Wirtschaft ausgehen, finden dagegen wenig Beachtung. 79 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft gebrochen und eine Entkopplung von Wachstum und Ressourcennutzung erreicht werden. Damit spielt die Circular Economy eine wesentliche Rolle beim umfassenden Wandel der Industrie hin zu langfristiger Wettbewerbsfähigkeit und Klimaneutralität [6]. Neben der Abfallvermeidung und dem Ressourcenschutz kommt der gesteigerten Rückführung von Sekundärrohstoffen aus Recyclingprozessen im Rahmen der Kreislaufwirtschaft eine besondere Bedeutung zu. Ohne effektives und effizientes Recycling sind die Nachhaltigkeitsziele nicht zu erreichen. Ein Wandel hin zur Kreislaufwirtschaft würde Europa unter Ausnutzug neuer Technologien mehr wirtschaftliche Vorteile bis zum Jahr 2030 bieten als der momentane lineare Entwicklungspfad. Dies entspricht einem zusätzlichen Anstieg des BIP um 0,5 %. Auch die Umsetzung des European Green Deal hat das Potenzial, bis 2030 etwa 700 000 neue Arbeitsplätze zu schaffen [7]. Grundzüge der Kreislaufwirtschaft Der Wertschöpfungskreislauf der Circular Economy unterscheidet sich in einigen Punkten fundamental vom heute vorherrschenden linearen Wirtschaftssystem. Ziel der Circular Economy ist die Entkopplung vom Wirtschaftswachstum und dem Verbrauch knapper, natürlicher Ressourcen sowie eine ökologisch nachhaltige Produktion. In Bild 1 sind die sechs Stufen dieses Wertschöpfungskreislaufs schematisch dargestellt. Am Beginn der Wertschöpfung steht ein nachhaltiges Produktdesign. Dieses setzt ganz oder überwiegend auf Sekundärrohstoffe und gestaltet Produkte so, dass am Ende des Lebenszyklus ein problemloses Recycling möglich ist. Ziel ist es, Produkte so zu konzipieren, dass sie langlebig, möglichst leicht zu reparieren sowie wiederverwendbar und recycelbar sind. Die Herstellung der Produkte soll möglichst ressourcenschonend erfolgen. Wo möglich, ist der Verzicht auf den Input neuer Materialien zentral und diese sind durch Recyclingrohstoffe zu ersetzen. Zusätzlich sollten möglichst wenige Abfallprodukte anfallen [8]. Produktionsausschuss bzw. Fehlproduktionen können durch das nachhaltige Design direkt recycelt und erneut in den Produktionsprozess eingespeist werden. Anstelle des Verkaufs von Produkten und Gütern setzt die Circular Economy auf den Verkauf von Nutzungsberechtigungen an diesen Produkten. Dies ist vergleichbar mit einem Leasingmodell, bei dem der Produzent Eigentümer bleibt und die Produkte am Ende der Nutzungsdauer zurücknimmt und direkt in den Wiederverwertungsprozess integriert. Diese „Leihmodelle“ erhöhen gleichzeitig die Lebensspanne der Produkte und Geräte, da die verleihenden Unternehmen ein Interesse daran haben, den Wartungsaufwand ihrer Produkte möglichst gering zu halten und so lange wie möglich von ihnen zu profitieren. Gänzlich werden sich Abfälle auch in Zukunft nicht vermeiden lassen und mit zunehmender Knappheit an Ressourcen wird der Einsatz recycelter Sekundärrohstoffe weiter ansteigen. Besonderes Augenmerk liegt daher auf der Sammlung und Wiederverwertung nicht mehr genutzter Produkte. Eine Entsorgungsinfrastruktur mit getrennter Erfassung und Sortierung der Abfallprodukte birgt die Basis für effektives Recycling und für den Beginn eines neuen Kreislaufs [9]. Kreislaufwirtschaft als Pfeiler einer ökologischen und nachhaltigen Wirtschaft Mit der Verabschiedung des neuen Aktionsplans Kreislaufwirtschaft im März 2020 hat sich auch die EU dieser Thematik erneut angenommen und eine zukunftsfähige Agenda für die Schaffung eines umweltfreundlichen und wirtschaftlich wettbewerbsfähigen Europa implementiert [10]. Ziel des neuen Aktionsplans Kreislaufwirtschaft in der EU ist es, den Anteil der kreislauforientiert verwendeten Materialien in den nächsten zehn Jahren zu verdoppeln. Im Zuge der Klimaneutralität soll die Kreislaufwirtschaft auch auf etablierte Wirtschaftsakteure ausgeweitet werden mit dem Ziel, das zukünftige Wachstum von der Ressourcennutzung zu entkoppeln. Dies kann nur durch eine konsequente Steigerung der Recyclingbemühungen und damit verbunden dem verstärkten Einsatz von Sekundärrohstoffen gelingen [11]. Um diese Ziele zu erreichen, hat die EU verbindliche Recyclingquoten für ihre Mitgliedstaaten Bild 1: Schematische Darstellung der Circular Economy. Quelle: https: / / kemen-design.de/ portfolio/ webseiten/ , (05.05.2021) 80 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft festgelegt. Die Recyclingquote von Siedlungsabfällen soll bis 2035 auf 65 % steigen, bei Verpackungsabfällen sollen sogar 70 % bis zum Jahr 2030 erreicht werden. Der Anteil der Siedlungsabfälle, die deponiert werden, soll auf maximal 10 % bis zum Jahr 2035 reduziert werden und die Ablagerung getrennt gesammelter Rohstoffe soll komplett untersagt werden. Flankierend wurden Systeme und Maßnahmen verabschiedet, die die Circular Economy stärken sollen, so zum Beispiel das System der erweiterten Herstellerverantwortung sowie Fördermittel zur Förderung von Wiederverwendung und Industriesymbiose [12]. Trotz aller Bemühungen sinkt aktuell jedoch das Abfallvolumen innerhalb der Europäischen Union nicht und auch das selbst gesetzte Ziel einer Recyclingquote von 50 % aller Siedlungsabfälle wird in etwa der Hälfte der EU-Staaten nicht erreicht [13]. Kreislaufwirtschaft in Deutschland - das KrWG Durch das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) werden die europäischen Vorgaben in deutsches Recht überführt. Die Grundsätze der Abfallvermeidung und die Abfallbewirtschaftung folgen einer fünfstufigen Abfallhierarchie. Erste Stufe ist die Abfallvermeidung, gefolgt von der Vorbereitung zur Wiederverwendung, dem Recycling, der sonstigen Verwertung und erst als letzter Stufe der Abfallbeseitigung. Vorrang hat dabei jeweils die Stufe, die die geringsten negativen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt aufweist. Zur Umsetzung dieser Abfallhierarchie sind verbindliche Quoten und Zielvorgaben festgelegt. So müssen seit dem 1. Januar 2020 mindestens 50 % der Siedlungsabfälle recycelt und zur Wiederverwertung vorbereitet werden. Bis zum Jahr 2035 muss der Anteil auf 65 % steigen [14]. Deutschland nimmt mit Bezug auf die Abfallbehandlung und das Recycling in Europa eine Technologieführerrolle ein. So wurde in den letzten Jahrzehnten ein flächendeckendes Netz aus über 15 000 Vorbehandlungs-, Sortier- und Aufbereitungsanlagen etabliert. Der Einsatz von Nahinfrarottechnologie ermöglicht es, unterschiedlichste Materialarten zu erkennen, Kamerasystemen ermöglichen eine Sortierung nach Farben und Formen und sensorgestützte Technologien helfen Fremdkörper zu identifizieren. All diese Technologien vereinfachen den Zugang zu hochwertigen Sekundärrohstoffen und bilden die Grundlage einer effektiven Kreislaufwirtschaft [15]. Bei genauer Betrachtung der unterschiedlichen Quoten wird deutlich, inwieweit die Recyclingbemühungen in Deutschland und der EU im Vergleich erfolgreich sind und wo Nachholbedarf besteht. Recyclingquoten im europäischen Vergleich Bild 2 illustriert die Recyclingrate von Verpackungsabfällen in Deutschland im Vergleich zum EU-weiten Durchschnitt. Es ist zu erkennen, dass sowohl Deutschland als auch die gesamte EU auf einem guten Weg ist, das für 2030 vorgeschriebene Ziel einer 70 %-Recyclingquote zu erreichen. Die europaweite Quote hat sich von 55 % im Jahr 2005 auf 66 % im Jahr 2018 erhöht. Die deutsche Recyclingquote bewegt sich seit Jahren um die 70 %, mit einem Maximum von 74 % im Jahr 2009. Seitdem ist ein leichter Abfall dieser Quote auf 69 % im Jahr 2018 zu beobachten. Im Rahmen der Novellierung des Abfallrechts der Europäischen Union aus dem Jahr 2018 wurden die vorgeschriebenen Recyclingquoten von Siedlungsabfällen weiter erhöht. Statt wie bisher 50 % erfordern die neuen Ziele Recyclingquoten von 55 % im Jahr 2025 und 65 % im Jahr 2035 [16]. Deutschland erreicht das für 2035 vorgeschriebene Ziel bereits seit dem Jahr 2014 durchgehend. Europaweit ist ein starker Anstieg der Recyclingquote von 33 % im Jahr 2005 auf 48 % im Jahr 2019 zu beobachten, die notwendige Quote von 55 % ist allerdings noch nicht erreicht, so dass hier weitere Maßnahmen nötig sind (siehe Bild 3). Eng verbunden mit der Erhöhung der Recyclingquote von Siedlungsabfällen ist die Reduktion des Anteils der deponierten Siedlungsabfälle. Europaweit wurden im Jahr 2018 immer noch 45 % der Bild 2: Recyclingrate von Verpackungsabfällen in Deutschland und der EU. © Goldammer, Rottmann; Daten: Eurostat Bild 3: Recyclingrate von Siedlungsabfällen in Deutschland und der EU © Goldammer, Rottmann; Daten: Eurostat 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Deutschland EU27 68% 64% 72% 69% 66% 68% 70% 55% 67% 60% 63% 68% 65% 71% 74% 67% 67% 71% 71% 71% 73% 72% 69% 57% 59% 64% 65% 67% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Deutschland EU27 61% 43% 63% 67% 33% 41% 42% 47% 64% 63% 62% 63% 64% 67% 63% 66% 37% 38% 45% 65% 67% 67% 67% 33% 35% 37% 39% 47% 47% 48% 81 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Siedlungsabfälle deponiert und somit dem Wertstoffkreislauf entzogen, da sie nicht wiederverwendet werden können. In Deutschland beträgt dieser Anteil im Jahr 2018 noch 18 % (siehe Bild 4). Der zehnprozentige Rückgang dieses Anteils zwischen den Jahren 2004 und 2006 ist auf das 2005 eingeführte Verbot der Deponierung von unbehandelten, biologisch abbaubaren Abfällen zurückzuführen [17]. Zur Erreichung der Zielvorgabe der Europäischen Union von maximal 10 % deponierten Siedlungsabfällen sind sowohl europaals auch deutschlandweit weitere Anstrengungen notwendig. Im Rahmen des neuen Aktionsplans Kreislaufwirtschaft der Europäischen Union soll der Anteil der in der Kreislaufwirtschaft verwendeten Materialien in den nächsten zehn Jahren verdoppelt werden [18]. Mit Blick auf den in Bild 5 dargestellten Anteil über die letzte Dekade wird deutlich, dass hierbei noch Potenzial nach oben herrscht. Zwar ist ein leicht positiver Trend zu erkennen, zur Erreichung der Ziele müsste der Anstieg allerdings von durchschnittlich 0,1 % in den letzten zehn Jahren auf 1 % pro Jahr verzehnfacht werden. Abschließend ist festzuhalten, dass über die gesamte Europäische Union hinweg die Bedeutung des Recyclings und der Wiederverwertung von Rohstoffen zugenommen hat. Zur Erreichung der festgelegten Ziele und der langfristigen Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch sind weitere Bemühungen notwendig. Dann liefert eine umfassende moderne Recyclingstruktur einen wichtigen Beitrag auf dem Weg in eine Circular Economy und hilft, die europäischen Klimaziele zu erreichen. Kreislaufwirtschaft und Klimaschutz in Deutschland Die Kreislaufwirtschaft stellt einen wesentlichen Bestandteil einer künftigen nachhaltigen Industrie auf dem Weg zur Klimaneutralität dar. Durch hohe Rezyklatquoten und die Wiedereinbringung hochwertiger Sekundärrohstoffe in den Wirtschaftskreislauf anstelle der Deponierung von Abfällen und der Verwendung neuer Primärrohstoffe könnten enorme Mengen schädlicher Treibhausgase eingespart werden. Allein das Verbot der Deponierung unbehandelter Abfälle aus dem Jahr 2005 hat in Deutschland den Treibhausgasausstoß der Abfalldeponien um 77 % im Vergleich zu 1990 gesenkt [19]. Dies entspricht einem Rückgang von 38,3 Mio. Tonnen CO 2 - Äquivalenten im Jahr 1990 auf nur noch 9,7 Mio. Tonnen im Jahr 2018. Auch über die Einsparungen, die originär dem Abfallsektor zuzuordnen sind, besteht sektorenübergreifend enormes weiteres Potenzial für die Kreislaufwirtschaft. So liegen weitere Hebel in der Steigerung der Energieeffizienz in der Produktion, in der Substitution von Primärenergieträgern sowie in der Nutzung von Fern-, Strom- und Prozesswärme in der energetischen Abfallbehandlung. Insgesamt werden durch das stoffliche Recycling und die Verwertung von Sekundärrohstoffen jährlich über 100 TWh Primärenergie eingespart, was dem durchschnittlichen Stromverbrauch von 32 Mio. Haushalten entspricht [20]. Ein Blick auf ausgewählte Recyclingprodukte verdeutlicht das Potenzial, welches mit Bezug auf den Klimaschutz besteht. So werden bei der Verwendung einer Tonne Recyclingkunststoff im Vergleich zur Verwendung von Primärrohstoffen je nach Produktion zwischen 1,45 und 3,2 Tonnen CO 2 -Äquivalente eingespart. Gleichzeitig wird bei der Produktion nur etwa ein Drittel bis die Hälfte Energie benötigt, die im Falle der Herstellung von Neuware verbraucht würde [21]. Auch die Verwendung von recycelten Metallen bildet einen aktiven Beitrag zum Klimaschutz. Bei der Herstellung einer Tonne Recycling-Kupfer entstehen 62 % weniger CO 2 -Emissionen, was einem Rückgang von 3,4 Tonnen entspricht, und es werden etwa 85 % weniger Energie benötigt. Bei Aluminium können pro Tonne in der Produktion zehn Tonnen CO 2 eingespart werden, gegenüber der Produktion von Neuware entspricht dies einer Reduktion von 85 % [22]. Die Energieeinsparungen bei der Aluminiumproduktion betragen 95 % [23]. In Deutschland wurden im Jahr 2014 etwa 50 % der NE-Metalle aus Bild 4: Anteil deponierter Siedlungsabfälle in Deutschland und der EU © Goldammer, Rottmann; Daten: Eurostat Bild 5: Anteil der in der Kreislaufwirtschaft verwendeten Materialien © Goldammer, Rottmann; Daten: Eurostat 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 Deutschland EU27 52% 19% 47% 31% 19% 18% 18% 47% 48% 46% 45% 45% 48% 21% 20% 18% 12,5% 12,0% 11,5% 11,0% 10,5% 10,0% 9,5% 9,0% 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Deutschland EU27 11,0% 11,2% 11,1% 10,4% 11,0% 11,7% 11,6% 11,5% 12,0% 12,2% 10,7% 10,2% 10,7% 10,9% 10,8% 11,2% 11,4% 11,6% 11,9% 82 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Recyclingmaterialien gewonnen, gleichzeitig machte die Sekundärproduktion lediglich 14 % der insgesamt etwa 11 Mio. Tonnen Treibhausgasemissionen aus [24]. Die Nutzung von Recyclingpapier spart mindestens 2,85 Tonnen CO 2 -Äquivalente in der Herstellung je Tonne Papier, wenn die für das Holzwachstum genutzte Fläche alternativ zum Anbau von Energiepflanzen genutzt und somit beispielsweise Bioethanol produziert wird [25]. Die Verwendung von Glasscherben in der Glasindustrie verringert die CO 2 -Emissionen je 10 % Scherbeneinsatz um 3,6 % und den notwendigen Energieeinsatz um 3 % im Vergleich zur Produktion aus Neuware [26]. Seit Jahren leistet die Kreislaufwirtschaft durch konsequentes Recycling einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz - nicht nur im Abfallsektor, sondern auch sektorenübergreifend. Im Vergleich zu 1990 sind die Treibhausgasemissionen des Abfallsektors bis zum Jahr 2018 um 74,6 % gesunken [27] und betragen im Jahr 2019 noch neun Mio. Tonnen CO 2 -Äquivalente. Zum Vergleich: Die Energiewirtschaft stößt jährlich 254 Mio. Tonnen CO 2 -Äquivalente aus und der Verkehrssektor 163 Mio. Tonnen. Bezogen auf die Gesamtemissionen von 805 Mio. Tonnen beträgt der Beitrag der Abfallwirtschaft somit nur noch 1 % [28]. Die Rolle der öffentlichen Hand Grundsätzlich bedarf es für mehr Nachhaltigkeit in der öffentlichen Kreislauf- und Abfallwirtschaft mehrerer Dinge. Einerseits braucht es auf Seiten der Bevölkerung eine höhere Sensibilisierung und Aufklärung in Bezug auf die richtige Trennung von Abfällen. Auf der anderen Seite muss die Abfallentsorgung für die Bevölkerung bequem sein. Die Bürger müssen die notwendigen Leistungen bürgernah und „vor der Haustür“ erhalten. Über die Festlegung der Abfallgebühren, die Leerungszeiten sowie die Bereitstellung der zur Umsetzung der gesetzlichen Getrenntsammlung von Abfällen notwendigen Entsorgungsbehälter können Städte und Gemeinden das Verhalten der Verbraucher in die gewünschte, nachhaltige Richtung beeinflussen [29]. Der Markt für Abfallentsorgung ist breit gefächert, neben den kommunalen Eigenbetrieben gibt es rund 10 700 privatwirtschaftliche Entsorgungsunternehmen. Mit einem Marktanteil von knapp 50% sind kommunale Entsorgungsunternehmen vertreten. [30]. In der Realität wird die Pflicht zur Getrenntsammlung allerdings häufig nicht in letzter Konsequenz durchgesetzt. So wurden 2020 in etwa jedem siebten Landkreis nicht flächendeckend Biotonnen angeboten. Vergleichende Beobachtungen ergaben, dass durch diese Einführung die Restmüllmenge um bis zu 50 % reduziert werden kann. Ein großes Potenzial, das leider viel zu häufig ungenutzt bleibt. Neben der verbindlichen Quotierung von Rezyklaten liegt der Fokus sowohl in der europäischen als auch in der deutschen Politik auf der Produktion und der Beschaffung der öffentlichen Hand. Die momentan geltenden EU-Kriterien für umweltorientierte öffentliche Beschaffung zeigen dabei auf Grund ihrer Freiwilligkeit nur eine geringe Wirkung. Von der Europäischen Kommission werden daher verbindliche Zielvorgaben für die öffentliche Beschaffung vorgeschlagen. Europaweit macht die Kaufkraft der Behörden und öffentlichen Stellen 14 % des BIP aus. Diese Kaufkraft birgt, wird sie konsequent an nachhaltigem Konsum ausgerichtet, enormes Potenzial und hat Strahlkraft auf andere Branchen und die Privatwirtschaft [31]. Die Vorgaben für eine nachhaltige Beschaffung der öffentlichen Hand sind in Deutschland in § 45 des KrWG verankert. Mit einem Beschaffungsvolumen der öffentlichen Hand in Höhe von rund 35 % der gesamten Staatsausgaben besitzt diese hier einen mächtigen Hebel [32]. In der Realität geht die nachhaltige Beschaffung allerdings oft kaum über den Kauf von Recyclingpapier hinaus. Denkbar wäre beispielsweise eine Erweiterung der Ökodesign- Richtlinie über explizite Energieeffizienzkriterien. Eine Kennzeichnung besonders recyclingfähiger und somit ressourcenschonender und klimafreundlicher Produkte kann einen ersten Hebel setzen, das Konsumverhalten ökologischer zu gestalten. Marktwirtschaftliche Anreize können einen Nährboden für ökologisches Verhalten in der Wirtschaft schaffen. Als Vorbild auf dem Weg zu einer klima- und ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft spielt die öffentliche Hand in Deutschland daher sowohl auf der Beschaffungsseite als auch bei der Abfallentsorgung eine entscheidende Rolle. Schluss Um die europäischen Klimaziele zu erreichen, ist langfristig eine gewisse Entkopplung des Wachstums vom Ressourcenverbrauch notwendig. Mit dem „Neuen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft“ hat die Europäische Kommission hier verbindliche Vorgaben zur Abfallvermeidung und zum Recycling gemacht. In Deutschland sind diese Vorgaben mit der Novellierung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes in geltendes Recht überführt worden. Während europaweit eine zunehmende Bedeutung des Recyclings und der Verwendung von Sekundärrohstoffen erkennbar ist, nimmt Deutschland hier weiterhin eine 83 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Führungsposition ein. Diese Position macht sich auch im Hinblick auf den Klimaschutz bemerkbar. Seit 1990 konnten die Treibhausgasemissionen der Abfallwirtschaft um etwa 75 % gesenkt werden, die Abfallwirtschaft ist momentan nur noch für 1 % der Gesamtemissionen in Deutschland verantwortlich. Häufig wird dabei aus den Augen verloren, dass Recycling ein Querschnittsthema ist, das auch über die originären Einsparungen im Abfallsektor große positive Klimaschutzeffekte hat. Um diese Potenziale vollständig zu nutzen, ist in besonderem Maße auch die öffentliche Hand mit ihrer Vorbildfunktion gefragt. LITERATURVERZEICHNIS [1] Bundesregierung (Hrsg.): Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung zur Umsetzung des Klimaschutzplans 2050, Berlin, 2019. [2] Europäische Kommission (Hrsg.): Ein neuer Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft. Für ein sauberes und wettbewerbsfähiges Europa, Brüssel, (2020) S. 2. [3] Wilms, H., Rottmann, O.: Mehr recyceln, Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau, 17.2.2021. [4] Internationales Ressource Panel (Hrsg.): Global Resources Outlook 2019. Natural resources for the future we want. United Nations Environment Programme, Kenia, 2019. [5] Prognos AG (Bearb.): Statusbericht der deutschen Kreislaufwirtschaft 2020, Düsseldorf, S. 181. [6] Europäische Kommission (Hrsg.): Ein neuer Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft. Für ein sauberes und wettbewerbsfähiges Europa, Brüssel, S. 7. [7] Prognos AG (Bearb.): Statusbericht der deutschen Kreislaufwirtschaft 2020, Düsseldorf, (2020) S. 181. [8] European Environment Agency (Hrsg.): Circular Economy in Europe. Developing the knowledge base, Luxemburg, (2016) S. 26f. [9] Prognos AG (Bearb.): Statusbericht der deutschen Kreislaufwirtschaft 2020, Düsseldorf, (2020) S. 181. [10] Europäische Kommission (Hrsg.): Ein neuer Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft. Für ein sauberes und wettbewerbsfähiges Europa, Brüssel, (2020) S. 3. [11] Prognos AG (Bearb.): Statusbericht der deutschen Kreislaufwirtschaft 2020, Düsseldorf, (2020) S. 212. [12] Amanatidis, G.: Ressource efficiency and the Circular Economy in: Resource efficiency and the circular economy | Fact Sheets on the European Union | European Parliament (europa.eu), (01.05.2021). [13] Europäische Kommission (Hrsg.): Ein neuer Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft. Für ein sauberes und wettbewerbsfähiges Europa, Brüssel, (2020) S. 14. [14] Kreislaufwirtschaftsgesetz, § 6 und §14. [15] Prognos AG (Bearb.): Statusbericht der deutschen Kreislaufwirtschaft 2020, Düsseldorf, (2020) S. 28. [16] Europäisches Parlament und Rat (Hrsg.): Richtlinie (EU) 2018/ 851 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 zur Änderung der Richtlinie 2008/ 98/ EG über Abfälle, (2018) S. 129. [17] BMU, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (Hrsg.): Abfallwirtschaft in Deutschland 2020, Berlin, (2020) S. 42. [18] Europäische Kommission (Hrsg.): Ein neuer Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft. Für ein sauberes und wettbewerbsfähiges Europa, Brüssel, (2020) S. 2. [19] BMU, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (Hrsg.): Abfallwirtschaft in Deutschland 2020, Berlin, (2020) S. 42. [20] Prognos AG (Bearb.): Statusbericht der deutschen Kreislaufwirtschaft 2020, Düsseldorf, (2020) S. 190. [21] Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e. V. (Hrsg.): CO 2 -Gutschriften für mehr Klimaschutz und Recycling, Pressemitteilung vom 17. Dezember 2019, in: https: / / www.bvse.de/ gutinformiert-kunststoffrecycling/ pressemitteilungenkunststof frec ycling / 5252co2-gutschrif ten-fuermehr-recycling-und-klimaschutz.html, 30.03.2021. [22] Verband Deutscher Metallhändler e. V. (Hrsg.): Metallrecycling ist aktiver Klimaschutz, in: http: / / www. vdm.berlin/ themen.php? i=20, 25.2.2021. [23] Prognos AG (Bearb.): Statusbericht der deutschen Kreislaufwirtschaft 2020, Düsseldorf, (2020) S. 190. [24] Buchert, M., Bulach, W., Stahl, H. / Öko-Institut e. V. (Hrsg.): „Klimaschutzpotenziale des Metallrecyclings und des anthropogenen Metalllagers“, Darmstadt, (2016) S. 7f. [25] Umweltbundesamt (Hrsg.): Papier und Druckerzeugnisse, 2015, in: https: / / www.umweltbundesamt.de/ papier-druckerzeugnisse#vorteile-von-recyclingpapieren, 10.01.2021. [26] Arbeitsgemeinschaft Verpackung + Umwelt e. V. (Hrsg.): Aktuelles zu Verpackung und Nachhaltigkeit, in: https: / / www.agvu.de/ de/ 125-125/ , 25.03.2021. [27] Umweltbundesamt (Hrsg.): Berichterstattung unter der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen und dem Kyoto-Protokoll 2020 - Nationaler Inventarbericht zum Deutschen Treibhausgasinventar 1990 - 2018, Dessau-Roßlau, (2020) S. 145. [28] BMU, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (Hrsg.): Klimaschutz in Zahlen, Berlin, (2020) S. 26. [29] Wilms, H., Rottmann, O.: Mehr recyceln, Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau, 17.2.2021. [30] Prognos AG (Bearb.): Statusbericht der deutschen Kreislaufwirtschaft 2020, Düsseldorf, (2020) S. 74. [31] Europäische Kommission (Hrsg.): Ein neuer Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft. Für ein sauberes und wettbewerbsfähiges Europa, Brüssel, (2020) S. 6. [32] OECD (Hrsg.): Öffentliche Vergabe in Deutschland. Strategische Ansatzpunkte zum Wohl der Menschen und für wirtschaftliches Wachstum, Paris, (2019) S. 15. Max Goldammer, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Kompetenzzentrum für kommunale Infrastruktur Sachsen (KOMKIS) Kontakt: mgoldammer@wifa.uni-leipzig.de Dr. Oliver Rottmann Geschäftsführer Kompetenzzentrums Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e. V. (KOWID) und Kompetenzzentrum für kommunale Infrastruktur Sachsen (KOMKIS) Kontakt: rottmann@wifa.uni-leipzig.de AUTOREN 84 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Infrastruktur Impressum Transforming Cities erscheint im 6. Jahrgang Herausgeber Eberhard Buhl, M.A. Verlag Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl | Christine Ziegler Schliffkopfstr. 22, D-72270 Baiersbronn-Buhlbach Tel. +49 7449 91386.36 · Fax +49 7449 91386.37 office@trialog.de · www.trialog.de Redaktionsleitung Dipl.-Ing. arch. Christine Ziegler VDI (verantwortlich) Tel: +49 7449 91386.43 Fax: +49 7449 91386.37 christine.ziegler@transforming-cities.de Anzeigen Tel. +49 7449 91386.46 Fax +49 7449 91386.37 anzeigen@trialog.de Gültige Anzeigenpreisliste Nr. 6 vom 01.01.2021 Vertrieb und Abonnentenservice Tel. +49 7449 91386.39 Fax +49 7449 91386.37 vertrieb@trialog.de Erscheinungsweise Viermal im Jahr Bezugsbedingungen Die Bestellung des Abonnements gilt zunächst für die Dauer des vereinbarten Zeitraumes (Vertragsdauer). Eine Kündigung des Abonnementvertrages ist zum Ende des Berechnungszeitraumes schriftlich möglich. Erfolgt die Kündigung nicht rechtzeitig, verlängert sich der Vertrag und kann dann zum Ende des neuen Berechnungszeitraumes schriftlich gekündigt werden. Bei Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages, bei Arbeitskampf oder in Fällen höherer Gewalt besteht kein Entschädigungsanspruch. Zustellmängel sind dem Verlag unverzüglich zu melden. Es ist untersagt, die Inhalte digital zu vervielfältigen oder an Dritte weiterzugeben, sofern nicht ausdrücklich vereinbart. Bezugsgebühren JahresAbo Print: gedruckte Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 120,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 11,90, Ausland EUR 25,-) JahresAbo ePaper: elektronische Web-Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 115,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), ohne Versandkosten JahresAbo Plus (Print + ePaper): als gedruckte Ausgabe + elektronische Web-Ausgabe + Archiv zum Jahresbezugspreis von EUR 157,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 11,90 , Ausland EUR 25,-) StudiAbo ePaper: elektronische Web-Ausgabe. Reduzierter Jahresbezugspreis von EUR 76,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.). Eine aktuelle Studienbescheinigung ist Voraussetzung. Einzelheft Print: gedruckte Ausgabe zum Einzelbezugspreis von EUR 35,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. 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Eine Publikation der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Baiersbronn-Buhlbach ISSN 2366-7281 (print) www.trialog.de/ agb „Das Programm ist leicht zu handhaben und unterstützt Planer und Architekten bei der Bemessung von D-Raintank 3000 ® -Rigolen“, erklärt Alexander Häring, Teamleiter Regenwasserbewirtschaftung, Funke Kunststoffe GmbH. „Nach der Eingabe nur weniger Parameter - hierzu zählen unter anderem Angaben zur angeschlossenen Fläche, zur Wasserdurchlässigkeit des anstehenden Bodens bzw. zur Größe des Drosselabflusses sowie der Postleitzahl des Bauvorhabens - erhält der Nutzer auf Tastendruck das erforderliche Volumen der Rigole und/ oder Retentionsanlage. Die Bemessungsgrundlage erfolgt nach den geltenden Regelwerken zur Dimensionierung von Anlagen aus Rigolenblöcken zur Versickerung und Retention von Regenwasser nach DWA-A 138 oder DWA-A 117 unter Berücksichtigung der ortsspezifischen Regendaten des DWD (Deutscher Wetter Dienst) (www.funkegruppe.de/ regenwasserberechnung). Für Fragen stehen die Fachleute von Funke mit Ihrem Know-how gerne zur Verfügung. Außerdem ist ein Funke Livestream in Vorbereitung, in dem die Nutzung des Tools beispielhaft für unterschiedlichste Anwendungsfälle vorgestellt werden soll. Für den Ernstfall gewappnet Klimawandel, mehr Starkregenereignisse und zunehmende Flächenversiegelung tragen dazu bei, dass die Anforderungen an die Entsorgungsleitungen stetig steigen. Insbesondere die vermehrt auftretenden Starkregenereignisse sorgen immer öfter für Sturzfluten in urbanen Bereichen. „Ein resilienter Umgang mit Niederschlagswasser durch Versickerung oder gedrosselte Einleitung ist hier erforderlich, um die Kanalisation zu entlasten und eine Verringerung des hydraulischen Stresses im Gewässer zu erreichen“, so Häring. Oberflächenwasser soll möglichst kontrolliert abgeleitet und sinnvoll und nachhaltig wiederverwendet werden. Bei der Regenwasserbewirtschaftung werden die Entsiegelung von Flächen und die ortsnahe Versickerung von Oberflächenwasser künftig eine noch wichtigere Rolle spielen als aktuell. Dementsprechend werden technische Lösungen für Rückhalt und Versickerung wichtiger. Vor diesem Hintergrund entwickelt die Funke Kunststoffe GmbH seit Jahren innovative Lösungen, zu denen auch D-Raintank 3000 ® , D-Raintank 3000 smallbox ® und KS-Bluebox ® gehören. Die Leistungsparameter und technischen Eigenschaften dieser Produkte, die über eine Zulassung des Deutschen Institutes für Bautechnik (DIBt) verfügen, schaffen eine Grundlage für den bestmöglichen Umgang mit den Unwägbarkeiten der Natur und damit eine Eindämmung und Minimierung möglicher Schadensszenarien. Top-Arbeitshilfe für Planer und Anwender Funke Kunststoffe entwickeln Regenwasserberechnungs-Tool Die Funke Kunststoffe GmbH gehörte Ende der 1990er Jahre zu den ersten Unternehmen, die als raumsparende Alternative zu Kiesrigolen Rigolenblöcke aus Kunststoff auf den Markt gebracht haben. Von Anfang an war es eine Selbstverständlichkeit, dass die Anwender bei der Auslegung und Dimensionierung der Anlagen durch die Techniker und Ingenieure von Funke unterstützt wurden. Nun hat Funke den Service noch weiter ausgebaut und ein Online-Regenwasserberechnungs-Tool entwickelt. Funke Kunststoffe GmbH Siegenbeckstr. 15 Industriegebiet Uentrop Ost 59071 Hamm-Uentrop www.funkegruppe.de info@funkegruppe.de KONTAKT © Funke Kunststoffe Zu viel oder zu wenig Wasser? Am 3. September 2021 erscheint die nächste Ausgabe von Transforming Cities mit dem Themenschwerpunkt Klimawandel Starkregen und Überflutungsschutz Regenwasserbewirtschaftung Intelligente Versorgungsnetze Extreme Trockenheit und Wassermangel Stadtklima + Urbane Hitzeinseln Stadtbäume im Klimawandel Dach- und Fassadenbegrünung Stadtökologie, urbane Ökosysteme