eJournals

Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
95
2022
73
Achtsamer und sparsamer Umgang mit Ressourcen Achtsamer und sparsamer Umgang mit Ressourcen Naturgefahren | Klimaresilienz | Hitzevorsorge | Regenwasserbewirtschaftung | Urbanes Grün Naturgefahren | Klimaresilienz | Hitzevorsorge | Regenwasserbewirtschaftung | Urbanes Grün 3 · 2022 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Luft Luft Boden Boden Wasser Wasser www.gat-wat.de Jetzt anmelden! gat | wat 2022 Die Leitveranstaltung der Energie- und Wasserwirtschaft 18. - 19. Oktober 2022, Berlin 26. September - 13. November 2022, online GAT-WAT2022_AZ-TransformingCities-210x297_3mmB_01.indd 1 01.08.22 15: 46 1 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, unsere Lebensgrundlagen sind endlich. Nach einem Sommer mit extremer Hitze und Trockenheit, niedrigen Wasserständen und brennenden Wäldern lässt sich das nun wirklich nicht mehr wegdiskutieren. Also, was jetzt tun, wenn die Ressourcen immer knapper werden - wegen Übernutzung oder aus geopolitischem Kalkül - und der Kampf um deren Verteilung weiter entbrennt? Mit ermüdender Regelmäßigkeit kommt darauf die Antwort: „Jetzt ist die Politik gefragt.“ Darauf reagiert „die Politik“ mit dem üblichen Modell: Mit viel Steuergeld wird bei jeder neuen Krise versucht, irgendwie den Deckel drauf zu halten und sogenannte Wutbürger zu kalmieren. Und dann bekommen immer jene Interessensgruppen am meisten ab, die am besten lobbyieren. Man kann es gar nicht oft genug betonen: Der Weg in eine bessere Zukunft sieht anders aus. Eine erste Stufe dahin ist mehr Ehrlichkeit und Klarheit über unser Tun - und zwar von jedem Einzelnen. Dazu gehört, nicht nur im Yoga-Club mehr Achtsamkeit zu üben, sondern auch in Sachen Energie- und Wasserverbrauch, bei Ernährung und Wegwerfverhalten, Mobilität und Online-Konsum genauer hinzusehen. Aus solcher Übung sollte nun gerade kein neuer religiöser Eifer enstehen, sondern vielmehr Erkenntnis darüber, wie sich aus der Reduzierung von Abhängigkeiten neue Freiheiten entwickeln lassen. So gerät Sparsamkeit zur wiederentdeckten Tugend. Beispiel Trinkwasser: Pro Kopf und Jahr werden durchschnittlich 142 Liter Wasser in Flaschen gekauft - oft in Einwegflaschen aus Plastik. Dabei ist das Wasser vom Getränkehändler nicht zwingend besser als das aus der Leitung. Denn die Trinkwasserverordnung sorgt in Deutschland dafür, dass beim Leitungswasser klare Grenzwerte gelten, und dass laufend auf mehr gesundheitsschädliche Substanzen getestet wird, als bei Mineral- und Tafelwasser. Wasser in der Flasche ist zudem deutlich teurer - 1000 Liter Flaschenwasser kosten rund 550 Euro, dieselbe Menge Leitungswasser dagegen im Durchschnitt nur drei Euro. Von den Transportkosten mal ganz abgesehen. Sparsam und achtsam, vor allem aber intelligent mit Ressourcen umzugehen, ist auch Thema in der vorliegenden Ausgabe. Besonders erfreulich dabei ist es, zu sehen, dass bereits viele Städte und Gemeinden, gemeinsam mit ihren Bürgern gute Ideen in die Tat umsetzen, ohne auf „die große Politik“ zu warten. Christine Ziegler Redaktionsleitung „Transforming Cities“ Luft, Boden, Wasser 2 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES INHALT 3 · 2022 FORUM Veranstaltungen 4 Zukünftige Wasserversorgung in Städten Zunehmende Hitzeperioden sorgen für ein Umdenken 6 Zweitägiger Fachkongress zu Solar- Gründächern BuGG-Fachkongress am 20. und 21. Oktober 2022 in Berlin und online 7 Kreativer Nachwuchs baut Grün- und Solardach Rückblick: Solar Decathlon Wettbewerb mit Gründach und PV-Röhren-Neuheit Sandra Schöll PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum 10 Kunstvoller Dachgarten für alle Valletta Design Cluster ist das neue Zentrum von Maltas Hauptstadt Federico Cefalu 13 Alles im grünen Bereich? Mit Brownfield-Arealen gegen den Flächenfraß Mustafa Kösebay Infrastruktur 16 Alternative Wasserressourcen nutzen Für mehr kühlendes Grün in der Stadt Roland Moers 19 Starkregenvorsorge: Wolkenbruchpläne für Städte Jochen Kurrle 22 Regenwasserbewirtschaftung in Frankenberg Sicherheit bei Starkregen 26 Handlungsbedarf besteht in jeder Stadt Mikroplastik aus dem Straßenabfluss filtern Klaus W. König Kommunikation 30 Alarm- und Warnanlagen für Naturgefahren Redundante Absicherung durch steckbare Zeitbausteine Daniel Rodemeier 33 Verbraucher als Partner denken Die vergessene Ressource bei der Flexibilisierung der Versorgungssysteme Laurenz Hermann, Nadine Walikewitz, Axel Dierich, Shahrooz Mohajeri, Jörg Walther 36 Zürich wird mithilfe eines Digital Twin schon heute zur Stadt der Zukunft Thomas Koblet Seite 10 Seite 40 Seite 60 © Doric Studio/ ZinCo © EGLV, Kirsten NeumannCIT Y © Mahtab Baghaiepoor 3 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES INHALT 3 · 2022 THEMA Luft, Boden, Wasser 40 Klimawandelfolgenanpassung in der Zukunftsinitiative Klima.Werk Betrachtungsräume für eine klimaresiliente Region mit internationaler Strahlkraft Tobias Unterbäumer, Nora Schecke, Ulrike Raasch, Fabian Urbanczyk 44 Das HRC-Hitzetool Ein Web-Tool zur Bewertung von Hitzeanpassungsmaßnahmen in Städten Till Fügener, Karsten Grunewald, Astrid Ziemann, Uta Moderow, Valeri Goldberg, Nils Kochan, Patrycia Brzoska 50 Minderung von Hitzefolgen in deutschen Kommunen durch Trinkbrunnen und Trinkwasserspender SMARTilienceGoesLive Fatma Cetin, Rebecca Nell, Marcel Schneider, Olga Izdebska, Alexandra Idler, Sabine Falk 55 Transformation von Straßenräumen zur Hitzevorsorge Flächenpotenziale zur Hitzeanpassung an der Altstadtküste in Hamburg Justus Alexander Quanz, Stefan Kreutz, Christoph Meyer, Katarina Bajc, Wolfgang Dickhaut, Judith Gollata 60 Baumfassaden in Bamberg Grüne Architektur mit großen klimatischen und gestalterischen Potenzialen Lisa Höpfl, Florian Köhl, Christian Burkhard, Julian Lienhard, Divya Pilla, Ferdinand Ludwig 66 KlimaKübelBäume Bäume in Pflanzgefäßen zur stadtklimatisch wirksamen Klimawandelanpassung Christoph Fleckenstein, Vjosa Dervishi, Mohammad A. Rahman, Thomas Rötzer, Stephan Pauleit, Ferdinand Ludwig 72 Qualifiziertes Urbanes Grün Wege aus dem Verwaltungsvakuum Theresa Edelmann 77 Extremwetterfrühwarnung und das Internet der Dinge Pia Eckert, Denise Kindsvater 82 CLEVER Cities in Hamburg Neue Wege in der Starkregenentwässerungsanalyse und -vorsorge Maja Berghausen, Martina Zimpel PRODUKTE + LÖSUNGEN Infrastruktur 88 Regenwasser - wertvolle Ressource für unsere Städte Ratgeber Regenwasser von Mall in 9. Auflage 88 Impressum Seite 72 Seite 77 © Edelmann Seite 82 © Bezirksamt Harburg © Markus Distelrath auf Pixabay 4 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES FORUM Veranstaltungen Bereits im Juni kündigte sich auch in diesem Jahr ein Hitzesommer wie schon in den Jahren 2018 bis 2020 an. Nach der Einschätzung von Bundesumweltministerin Steffi Lemke ist der Trend eindeutig: „Die Klimakrise macht uns in Deutschland zunehmend zu schaffen. Extremwetterereignisse, wie die aktuell anhaltende Trockenheit, sind Vorboten der neuen Realität.“ Die Bürger müssten in Zukunft zunehmend mit extremen Wetterereignissen wie Hitze, Stürmen, Starkregen und Hochwasser rechnen, so die Grünen-Politikern und sie forderte die Bürger und Bürgerinnen dazu auf, Wasser zu sparen. „Es ist höchste Zeit, dass wir nicht mehr gegen die Natur arbeiten, sondern das Zusammenspiel von Natur- und Klimaschutz gezielt nutzen“, so Lemke. Auch beim Deutschen Verein des Gas- und Wasserfachs (DVGW) beobachtet man die Entwicklung genau, auch wenn die Ausgangssituation für die Wasserversorgung 2022 deutlich günstiger ist als 2018, weil die Trinkwassertalsperren gefüllt sind und sich die Grundwasserspiegel teilweise erholt haben. Die wasserwirtschaftlichen Verhältnisse würden sich durch den Klimawandel ziemlich schnell verändern, konstatiert Dr. Wolf Merkel. Laut dem für den Wasserbereich zuständigen DVGW-Vorstand sind selbst Wasserexperten überrascht, dass die bereits vor Jahren gemachten Prognosen so schnell Wirklichkeit werden. Bei den offensichtlichen Folgen des Klimawandels steige der Anpassungsdruck für die Wasserversorgung. Die größte Herausforderung ist dabei die extreme Variabilität: Hitze, Trockenheit gefolgt von Starkregen und Überflutungen. Klimaextreme können in Häufigkeit, Intensität und Dauer zunehmen. Dies wird den Bewirtschaftungsdruck auf die Wasserressourcen gerade in den Sommermonaten erhöhen. Hier arbeitet der DVGW gemeinsam mit den Versorgern an einem Zukunftsprogramm Wasser und an entsprechenden Resilienzstrategien. Während der Bund eine nationale Wasserstrategie aufsetzt, deren Entwurf seit Juni 2021 vorliegt, beschäftigen sich auch die Bundesländer intensiver mit dem Thema. So hat Anfang Juli die hessische Landesregierung mit Blick auf die Klimakrise den Zukunftsplan Wasser beschlossen und veröffentlicht. Er adressiert die Förderung der Grundwasserneubildung durch Retention und Versickerung im Sinne einer Schwammstadt, den Schutz des Grundwassers vor Schadstoffeinträgen, um Knappheit durch Verschmutzung zu verhindern ebenso wie den Ausbau von kommunenübergreifenden Verbundsystemen, die zur Sicherstellung der Wasserversorgung in Trockenperioden beitragen. Verbrauchssteigerung und Bevölkerungswachstum Vor dem Hintergrund einer hohen und weiter wachsenden Bevölkerung im Rhein-Main-Gebiet hat die Stadt Frankfurt gemeinsam mit den Unternehmen Mainova und Hessenwasser aktuell ein Wasserkonzept für die Mainmetropole erarbeitet. Hessen sieht in diesem Prozess unter anderem auch die freiwillige Erstellung kommunaler Wasserkonzepte vor. Das Wasserkonzept adressiert die rechtliche, Zukünftige Wasserversorgung in Städten Zunehmende Hitzeperioden sorgen für ein Umdenken Bund, Länder und Kommunen sind angesichts der sich vor allem in den Sommermonaten ausbreitenden anhaltende Trockenheit alarmiert. Auf allen Ebenen werden Zukunftsstrategien der Wasserversorgung erarbeitet. So haben erst kürzlich das Land Hessen und die Stadt Frankfurt/ Main entsprechende Konzepte präsentiert. Doch damit ist es nicht getan. „Um auch in Zukunft eine sichere Versorgung mit hochwertigem Trinkwasser zu gewährleisten, benötigt die Branche hierzu aus der Politik klare Leitplanken zu geschützten Ressourcen, zu ausreichenden Wasserrechten und zu überregionaler Infrastrukturentwicklung“, fordert der Verein DVGW. Diese Themen werden auf dem Branchenevent wat 2022 im Oktober in Berlin ausführlich thematisiert. Bild 1: Dr. Wolf Merkel, Vorstand Wasser des DVGW: „Die wasserwirtschaftlichen Verhältnisse verändern sich durch den Klimawandel ziemlich schnell.“ © DVGW 5 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES FORUM Veranstaltungen organisatorische und technische Ausgangssituation und die für eine Sicherung der öffentlichen Wasserversorgung erforderlichen Handlungsfelder. Bestandteil ist zudem die Darstellung von Wasserverbrauch und -dargebot sowie eine Prognose für die öffentliche Trinkwasserversorgung und die Nutzung von Betriebswasser (Brauchwasser) inklusive entsprechender Vorausberechnung für das Jahr 2030. Wasserbranche adressiert zehn Maßnahmen Auch beim DVGW ist man sich sicher, dass der Wasserbedarf in Ballungsräumen wächst. „Saisonale Nutzungskonkurrenzen zwischen Trinkwasserversorgung und Landwirtschaft werden mit Sicherheit zunehmen“, prognostiziert Vorstand Merkel. Die Thematik einer sicheren Trinkwasserversorgung in Zeiten des Klimawandels hatte der DVGW gemeinsam mit weiteren Spitzenverbänden der Wasserversorgung bereits vor der Bundestagswahl zum Gegenstand eines gemeinsamen Positionspapiers gemacht. Insgesamt werden dort zehn Maßnahmen beleuchtet. Neben dem Vorrang der öffentlichen Trinkwasserversorgung nennt das Positionspapier die Stärkung des Vorsorge- und Verursacherprinzips zum verbesserten Schutz der Trinkwasserressourcen vor Verunreinigungen. Eine weitere notwendige Maßnahme ist die flexible und ausreichende Vergabe. Hintergrund ist, dass Wasserversorger aufgrund des Klimawandels und längerer sowie heißerer Trockenperioden zusätzliche Wasserressourcen für die Wasserversorgung benötigen. Die Verbände fordern im Positionspapier konkret eine kurzfristige Flexibilisierung im Vollzug der bestehenden Wasserrechte, insbesondere für die maximalen Tagesentnahmen sowie eine zeitnahe Aufstockung der bestehenden Wasserrechte bei den Jahresentnahmemengen um einen Klimawandelzuschlag von 10 bis 20 %. Zudem würden die sichtbaren Folgen des Klimawandels mit Trocken- und Hitzeperioden sowie Starkregenereignissen eine zusätzliche staatliche Unterstützung für Investitionen in die wasserwirtschaftliche Infrastruktur erforderlich machen. Der DVGW wird sich zukünftig verstärkt für die Bereitstellung von handlungsrelevanten Wasserhaushaltsdaten für Versorger, Berater und Behörden einsetzen. Eine breit abgestimmte Vorgehensweise ist im Hinblick auf die Nutzung einer einheitlichen Methodik und Datengrundlage und für eine solide Ausgestaltung bei den Anpassungsmaßnahmen wichtig. In Vorbereitung auf zukünftige Anpassungen muss die bestehende Wasserversorgungsinfrastruktur analysiert und im Hinblick auf Versorgungssicherheit (Wasserverfügbarkeit, Wasserbedarf) und Resilienz (Robustheit, Anpassungsfähigkeit) bewertet werden. Wo bereits heute notwendig, müssen zeitnah zusätzliche Wasserressourcen verfügbar gemacht werden, zum Beispiel durch die verstärkte Rückhaltung und Speicherung des Winterniederschlages zur Nutzung in den Trockenphasen des Sommers. Auf dieser Basis können dann regional bzw. überregional die notwendigen Maßnahmen getroffen werden, auch zur Sicherung der Wasserbedarfe der Landwirtschaft, der Industrie und anderer Nutzer. Branchenevent wat adressiert Zeitenwende Die Zeitenwende der Wasserversorgung in Deutschland ist auch ein Schwerpunktthema der gat|wat 2022 vom 18. bis 19. Oktober in Berlin. Auf dem Branchenevent werden unter anderem erste Ergebnisse aus dem DVGW-Zukunftsprogramm Wasser zum zukünftigen Wasserdargebot und Wasserbedarf vorgestellt. In diesem Themenblock präsentiert auch Alexander Kehl, Abteilungsleiter Umweltüberwachung Wasser, Luft, Boden, Umweltamt Stadt Frankfurt am Main gemeinsam mit Co-Referenten von Mainova und Hessenwasser das künftige Wasserkonzept von Frankfurt/ Main. Weitere Themenschwerpunkte sind die „Wasserstrategie der Bundesregierung“, die „Nationale Umsetzung der EU-Trinkwasser-Richtlinie“ oder die „Beschleunigung wasserrechtlicher Genehmigungsverfahren“. Fünf Online-Fachforen in der Zeit vom 26. September bis 13. November geben darüber hinaus vertiefende Einblicke in Themen der Branche. Zudem laden kostenfreie Online-Partnerevents etwa zur „Wasserforschung“ oder zu „Handlungsempfehlungen für den Fachkräftemangel“ auch Interessierte jenseits der etablierten Branchen zum Austausch ein. Bild 2: Branchenevent gat|wat 2022 vom 18. bis 19. Oktober in Berlin. © DVGW 6 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES FORUM Veranstaltungen „Durch die Verschiebung des Weltkongresses Gebäudegrün auf 2023 entsteht eine ‚Lücke‘, die wir mit einer besonderen Veranstaltung schließen wollten“, so BuGG-Präsident Dr. Gunter Mann. „Und welches Thema beschäftigt die Begrünungs- und Solarbranchen mehr als die viel diskutierte Solar-pflicht? Also liegt es nahe, dass wir über das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln informieren und versuchen wollen, die ‚grüne‘ und die ‚gelbe‘ Branche zusammenzubringen.“ Bei der viel diskutierten bzw. schon eingeführten „Solar-Pflicht“ wird nur der Klimaschutz beachtet, doch wo bleiben die Themen Überflutungs- und Hitzevorsorge und Erhalt der Artenvielfalt? Hier spielen Dachbegrünungen eine wichtige Rolle, die zudem durch Verdunstungskühlung auch noch eine Ertragssteigerung der PV-Anlage bewirken können. Zusätzlich schützt Begrünung die Dachabdichtung vor Extremtemperaturen und Hagelschlag. Diese und weitere Themen (wie Herstell- und Instandhaltungskosten, Produkt- und Systemlösungen) werden beim BuGG-Fachkongress „Solar-Gründach“ am 20. und 21. Oktober 2022 in Berlin von Fachreferent*innen vorgetragen und mit Planer*innen, Städtevertreter*innen, Industrievertreter*innen und sonstigen Interessierten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz diskutiert. Die wichtigsten Ziele des Fachkongresses sind das Zusammenbringen der „gelben“ und „grünen“ Branchen, Ängste und Vorbehalte zu nehmen, Wisssensvermittlung, Bereitstellung von Arbeitshilfen und die Frage zu stellen, wie mehr Solar-Gründächer umgesetzt werden können. Die Fachvorträge werden durch eine begleitende kleine Fachausstellung ergänzt, um einerseits zu informieren und andererseits zum Netzwerken und Austauschen anzuregen. Erfreulicherweise konnten gleich zwei Berliner Senatsverwaltungen als Schirmherrinnen gewonnen werden: die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe und die Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz. Unterstützt wird der BuGG auch durch verschiedene Kooperationspartner, derzeit sind das die beiden Partnerverbände aus Österreich (VfB) und der Schweiz (SFG) sowie dem Bundesverband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau e. V. (BGL), Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks (ZVDH), Bund Deutscher Landschaftsarchitekt*innen e. V. (BDLA) und die 100 -prozent erneuerbar stiftung. Der Kongress findet in Berlin als Präsenzveranstaltung und gleichzeitig online statt. Weitere Informationen zu Programm, Fachausstellung und Anmeldemöglichkeiten sind im Internet zu finden: www.gebaeudegruen.info/ fachkongress Solar-Gründach. Klimaschutz und Klimawandelanpassung vereint. © Bundesverband GebäudeGrün Zweitägiger Fachkongress zu Solar-Gründächern BuGG-Fachkongress am 20. und 21. Oktober 2022 in Berlin und online Der Bundesverband GebäudeGrün e. V. (BuGG) hat die nächste große Veranstaltung im Visier - und mit dem BuGG-Fachkongress „Solar-Gründach“ wieder ein Format und Thema, das es in der Form so noch nicht gab. Mit „Solar-Gründächern“, der Kombination von Photovoltaik und Dachbegrünung, werden Klimaschutz und Klimawandelanpassung in einer Maßnahme vereint und das auf Dächern auch noch platzsparend und mit vielen weiteren Vorteilen. 7 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES FORUM Veranstaltungen Der Solar Decathlon ist ein internationaler studentischer Innovationswettbewerb für Gebäude, der nach seinem Start in den USA 2002 mittlerweile 13- mal rund um den Globus stattfand und an der Bergischen Universität Wuppertal sein erstes Gastspiel in Deutschland feierte. Sein Ziel ist, den Weg zum klimaneutralen Gebäudebestand im urbanen Raum aufzuzeigen. Umbauen, Anbauen, Aufstocken und Baulücken schließen sind architektonische Aufgaben, die unter den zentralen Gesichtspunkten Klimaschutz, Ressourceneffizienz, Suffizienz und recyclinggerechtes Bauen zu lösen sind. Ganz konkret ging es um die Wettbewerbsaufgabe, das bekannte Wuppertaler Café Ada im Mirker Quartier umzugestalten und aufzustocken. Spektakuläre Gebäude-Demonstratoren Wie die Hochschulteams diese Aufgabe gelöst haben, zeigen sie auf dem Solar Campus in Wuppertal anhand von 10 x 10 Meter großen, einbis zweistöckigen und voll funktionsfähigen Gebäude- Demonstratoren. Diese sind ein Ausschnitt ihrer Gesamtplanung, die in insgesamt zehn Kategorien bemessen und prämiert wird, weshalb der Wettstreit auch „Decathlon“, also Zehnkampf heißt. Etwa die Hälfte der Gebäude-Demonstratoren wird über die eigentliche Veranstaltung im Juni 2022 hinaus auf dem Solar Campus verbleiben und bewohnt werden, zum Beispiel dauerhaft oder in Form von Hostel-Vermietungen. Unabhängig davon, ob die Gebäude-Demonstratoren weiterhin in Wuppertal stehen oder wieder an die Hochschule des jeweiligen Teams wandern - all die Innovationen und Technologien, die in den Gebäuden stecken, werden in weiterer Forschung über die nächsten drei Jahre unter die Lupe genommen. Gründach mit PV-Röhren Das Hochschulteam X4S aus Biberach realisierte einen Dachgarten, der die innovative Kombination Kreativer Nachwuchs baut Grün- und Solardach Rückblick: Solar Decathlon Wettbewerb mit Gründach und PV-Röhren-Neuheit Sandra Schöll Der Hochschulwettbewerb Solar Decathlon Europe SDE 21-22 in Wuppertal verdeutlicht, wie nachhaltiges Bauen und Wohnen in der Stadt aussehen kann. Oft genug hört man „was alles nicht geht“, doch die 18 Teams aus 11 Ländern zeigten hier eindrucksvoll „was eben doch alles geht“. Dabei wurden spektakuläre Produktinnovationen eingesetzt. Auch das neuartige Thema „Dachbegrünung in Kombination mit PV-Röhrenmodulen“ hatte hier seinen ersten öffentlichen Auftritt und erzielte beim Wettbewerb enorme Aufmerksamkeit. ZinCo unterstützte die Teams der Hochschulen Biberach und Düsseldorf bei der Planung und Umsetzung ihrer kreativen Ideen für Grün und Solar auf dem Dach. Bild 1: Das Hochschulteam X4S von Biberach baute den innovativen Dachgarten mit Retentions- Gründach und PV-Röhren als Pergola. © Team X4S/ SDE 21»22 8 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES FORUM Veranstaltungen „Dachbegrünung und PV-Röhrenmodule“ der Öffentlichkeit vorstellt. Diese kreative Planung unterstützte ZinCo mit seinem Kooperationspartner TubeSolar AG, dem Hersteller der PV-Röhrenmodule. Die besonderen Vorteile reihen sich bei dieser neuartigen PV-Röhrentechnik im Gegensatz zu herkömmlichen PV-Flächenmodulen wie Perlen an die Kette oder vielmehr wie Röhre an Röhre: gleichmäßige Stromgewinnung über den Tag dank runder Form, kaum Windangriffsfläche und Schneelast dank der Zwischenräume sowie Licht- und Wasserdurchlässigkeit und damit optimale Wachstumsbedingungen für das Gründach. Die lichtdurchflutete Beschattung schafft angenehme Temperaturen und eine stimmungsvolle Atmosphäre auch für die Menschen, die den Dachgarten nutzen. „Unser Kerngedanke bei der Gesamtplanung war, die privaten Grundrissflächen zu minimieren und dafür großzügige Gemeinschaftsorte zu schaffen“ führt Marie-Lise Hofstetter aus, zuständig für Kommunikation und Koordination im Biberacher Team X4S, „Das wollten wir auch auf dem Dach. Daher war es ideal, dort einen intensiv begrünten Garten mit großem Holzdeck zu bauen, der als Pergola gleich die Solarmodule verwendet - ohne Flächenkonkurrenz. Und drunter kann jetzt gemeinsam gechillt, gelacht und gegärtnert werden.“ Die Dachnutzung mit Photovoltaik ist nämlich außerdem verknüpft mit Urban Farming: In mehreren Hochbeeten wachsen Tomaten, Paprika, Zucchini, Salat, Kräuter und Beeren. Und bei der Pflanzenauswahl für die intensiven Grünflächen, die sich ebenbündig zum Holzdeck befinden, achtete man insbesondere auf Biodiversität und Blühpflanzen für Insekten. Hier gedeihen zum Beispiel Rutenhirse, Edeldistel, Pfingstrose, Aster, Polster-Glockenblume und verschiedenfarbiger Ziersalbei. Mit dem Bartstrauch gesellt sich auch ein Vertreter der Halbsträucher unter die Gräser und Stauden. Und wie ist das alles gebaut? So geht nachhaltig bauen Zu Photovoltaik, Dachnutzung, Urban Farming und Biodiversität kam als weiterer Benefit auf dem Dach die Retention dazu. Die Biberacher verwendeten den ZinCo-Systemaufbau „Retentions-Gründach“, um Regenwasser zu speichern und zeitversetzt abfließen zu lassen. Genau das entlastet die Kanalisation bei Starkregen. Dazu wurde auf der Kunststoffabdichtung das Systemfilter PV vollflächig auf 64 m² verlegt und in der Folge die Retentions- Spacer RSX 100 aufgebracht. Diese speziell für die Anwendung unter Gehbelägen (übrigens auch unter Fahrbelägen) geeigneten Spacer können bis zu 95 Liter Regenwasser pro Quadratmeter speichern. Die Retentionsdrossel RD- 28 reguliert zuverlässig den Wasserabfluss vom Dach und fungiert gleichzeitig als „Notüberlauf“. Auf die Retentions-Spacer folgte das Systemfilter PV als Abdeckung und im Bereich des geplanten Holzdecks moosgummibeschichtete Aluminiumprofile, auf welchen die Holzlattung verschraubt wurde. Die Beschichtung gleicht kleinere Unebenheiten aus und dient der Trittschalldämmung. In den intensiv begrünten Bereichen sowie in den Hochbeeten sind passend zur dort gewünschten Bild 2: Pergola mit PV-Röhren, Holzterrasse, Intensivbegrünung und Retention - sämtliche Funktionen sind ohne Flächenkonkurrenz verwirklicht. © ZinCo Bild 3: Beste Bedingungen auch für diese Intensivflächen, da die PV-Röhren Licht und Wasser durchlassen. Gleichzeitig sind die Pflanzen vor zu intensiver Sonneneinstrahlung geschützt. © ZinCo 9 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES FORUM Veranstaltungen Bepflanzung die Drän- und Wasserspeicherelemente Floradrain FD 40 verlegt. Darauf folgte das Systemfilter TG sowie die Systemerde Lavendelheide in einer Schütthöhe von rund 13-cm am Boden und rund 20 cm in den Hochbeeten. Hier wurde noch eine dünne Schicht Zincohum aufgebracht, um den humosen Anteil für die durstigen Tomaten und die anderen Nutzpflanzen zu steigern. Wertvolle Unterstützung mit Rat und Tat erfuhr das Projekt durch Christoph Hokema von der Staudengärtnerei Fehrle, die die wunderschönen Pflanzen lieferte. Das Team X4S aus Biberach schafft tatsächlich ein Paradebespiel an Dachnutzung und demonstriert exzellent, welche Funktionen alle auf einer einzigen Dachfläche kombiniert und ausgeschöpft werden können. Zukunftsweisende Ideen Urban Farming und auch Hydroponic (hocheffizienter Nutzpflanzenanbau in Wasser) machen die Dachgeschoss-Idee des Düsseldorfer Hochschulteams MIMO in ihrer fiktiven Gesamtplanung aus. „Wir wollen damit ein Bewusstsein schaffen für einen autarken Lebensstil und gesunde Ernährung. Das Dachgeschoss ist wie ein Gewächshaus, das zu jeder Jahreszeit genutzt werden kann. An kalten Tagen schließt sich die Klimahülle und die Dachterrasse wird zum Wintergarten“ erklärt Patricia Keck, Verantwortliche für den Projektentwurf. „Im Gebäude- Demonstrator spiegelt sich die Urban Farming-Idee nun in einer außenliegenden Terrasse wider, weil wir den verfügbaren Innenraum für die vorgesehene Bewohnung benötigten. Die besondere Klimahülle ist natürlich im Demonstrator umgesetzt.“ Mit Klimahülle ist die gesamte Gebäudestruktur gemeint, welche aus beweglichen, horizontalen Lamellen besteht, die sowohl der Belüftung als auch der Stromgewinnung dienen, da sie mit Photovoltaikzellen belegt sind. Ähnlich wie die Fassade funktioniert auch das Dach, denn die Dachlichtbänder lassen sich komplett öffnen und sind ebenfalls mit Photovoltaikzellen ausgestattet. Es gibt also großflächig Strom, Licht und Luft vom Dach. Und zwischen den Lichtbändern ist extensiv begrünt - übrigens auf Basis einer Edelstahlabdichtung. „Wir haben uns für Edelstahl entschieden, da es langlebiger und nachhaltiger als jedes andere Abdichtungsmaterial ist“, konstatiert Patricia Keck. Unterstützung vom ZinCo-Dachgärtner In der Ausführung bekam das Düsseldorfer Team MIMO tatkräftige Hilfe durch den Dachgärtner- Fachbetrieb GRÜN+DACH von Jürgen Quindeau. Er verlegte den Systemaufbau „Steinrosenflur“ auf den beiden 1 m x 10 m breiten Streifen. Aufgrund der Edelstahlabdichtung entfiel die sonst übliche Schutzlage und der Systemaufbau startete direkt mit den Drän- und Wasserspeicherelementen Floradrain. Darauf folgte das Systemfilter SF sowie rund 9 cm Systemerde Steinrosenflur und wunderschön vorkultivierten Sedum-Kräuter-Vegetationsmatten. Grundsätzlich wäre natürlich auch eine Aussaat oder Pflanzung von Flachbzw. Kleinballenpflanzen möglich - nur nicht, wenn sich ein Gebäude-Demonstrator für einen Wettbewerb spontan hübsch macht. Jürgen Quindeau jedenfalls ist von den kreativen Ideen der jungen Hochschulteams restlos begeistert und lässt verlauten: „Ich würde sofort in jedes dieser Häuser hier einziehen“. Alle sind Gewinner Unabhängig davon, welcher Gebäude-Demonstrator in welcher Kategorien wie bewertet wurde oder sich nachher als Gesamtsieger herausstellte - alle sind Gewinner, weil Großartiges geleistet wurde in Planung, Umsetzung und als Plattform für die innovativen Gebäudelösungen einer klimaneutralen Zukunft. Und dazu gehören ganz gewiss Grün und Solar. Weitere Informationen: www.zinco.de und www.zinco-greenroof.com Informationen zum Solar Decathlon und den Teams Biberach und Düsseldorf https: / / sde21.eu https: / / team-x4s.de https: / / mimo-hsd.de KONTAKT Dipl.-Wirt.-Ing. (FH) Sandra Schöll ZinCo GmbH Lise-Meitner-Straße 2 72622 Nürtingen Kontakt: info@zinco-greenroof.com Bild 4: Auf dem ganzen Solar Campus arbeiteten die Hochschulteams unter Hochdruck an der Fertigstellung ihrer Gebäude- Demonstratoren. © Team MIMO/ SDE 21»22 10 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Maltas Hauptstadt Valletta gehört dank ihres kulturellen Reichtums seit 1980 zum UNESCO Weltkulturerbe. Die Stadt ist ein lebendiges Denkmal und geprägt vom Johanniterorden, der dort seit 1530 seinen Hauptsitz hat, weshalb er auch Malteserorden genannt wird. 2018 zur Kulturhauptstadt Europas gekürt, gab es im Übrigen nie eine kleinere Kulturhauptstadt als Valletta mit ihren 6 000 Einwohnern auf einem Quadratkilometer. Die Stadt entwickelte in diesem Kontext eine Vielzahl von Architektur- und Infrastrukturprojekten, zu denen auch das Valletta Design Cluster zählt, das im März 2021 feierlich eröffnet wurde. Gefördert vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, belief sich die Gesamtinvestition des Projekts auf 10,4 Mio. Euro. Hinter dem Projekt steht die Valletta Cultural Agency als öffentliche Kulturorganisation sowie die Restoration Directorate von Malta als wichtigste staatliche Stelle, die für die Durchführung von Restaurierungs- und Sanierungsarbeiten an historischen Gebäuden zuständig ist. Das Gebäude des Valletta Design Clusters stammt aus dem 17. Jahrhundert und besteht aus zwei parallelen Gebäudeteilen um einen zentralen, langgestreckten Innenhof. Über die Zeit wurde es ganz unterschiedlich genutzt: ursprünglich als Hauptschlachthof (maltesisch: il-Biċċerija) für den Johanniterorden, dann als Sozial- Kunstvoller Dachgarten für alle Valletta Design Cluster ist das neue Zentrum von Maltas Hauptstadt Federico Cefalu 950 Bäume, Sträucher, Bodendecker, Kletterpflanzen, Blumen und Gräser auf 495 Quadratmetern Dachfläche eines 400 Jahre alten Gebäudes - der Dachgarten des Valletta Design Clusters ist so detailreich und kunstvoll gestaltet wie das gesamte Infrastrukturprojekt in Maltas Kulturhauptstadt Valletta. Das Design Cluster ist das neue Herzstück der Kunst- und Kulturszene Maltas und der phantasievolle Dachgarten als sozialer Treffpunkt auch der Öffentlichkeit zugänglich. Die vielfältige Pflanzenpracht harmoniert mit den Elementen Holz, Naturstein und Wasser - alles auf Basis des ZinCo-Systemaufbaus „Dachgarten“. Ein fast paradiesischer Ort zum Entspannen, Flanieren und für neue Inspirationen. Bilder 1 bis 5: Das Valletta Design Cluster bietet einen paradiesischen Dachgarten in historischer Kulisse, welcher öffentlich zugänglich ist. © Doric Studio/ ZinCo 11 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum wohnungsraum, während des Krieges als Kaserne, Fabrik und später als Bäckerei. Heute ist es multifunktionales Kreativzentrum, das von Künstlern, Studenten und Start-ups gemeinschaftlich über ein erschwingliches Mitgliedschaftssystem genutzt werden kann - ein Ort, an dem sich Menschen und Ideen treffen. Kreative Ideen Auf 3 212 m² bietet das Valletta Design Cluster fünfzehn Ateliers und Studios (Co-Working-Spaces) und zwei Projektlabore (Maker- Spaces), die mit Werkzeugen und Maschinen für die Bearbeitung von Metall, Holz, Kunststoff und Textilien ausgestattet sind. Darüber hinaus gibt es einen Konferenzsaal, mehrere Besprechungsräume und Lounges sowie für kulinarisch Kreative eine erstklassige Küche (Food-Space) mit Original-Ofen aus der Zeit als Bäckerei. Ebenso kann der Innenhof zum Arbeiten und Entspannen, für Treffen oder Ausstellungen genutzt werden. Besonderer Blickfang ist hier eine 28 m² umfassende Vertikalbegrünung mit über 1 200 Pflanztöpfen. Üppiges Grün findet sich auch auf dem 495 m² großen und mannigfaltig gestalteten Dachgarten. Es ist der erste öffentlich zugängliche Dachgarten von ganz Valletta. Eine ganze Welt auf dem Dach Entstanden ist der Dachgarten des Valletta Design Clusters unter der Leitung der Restoration Directorate und des japanischen Architekturbüros Tetsuo Kondo Architects. Hauptauftragnehmer ist das Architektur- und Bauingenieurbüro Doric Studio/ Living Walls auf Malta, welches im Bereich Gründach seit vielen Jahren mit der ZinCo GmbH zusammenarbeitet. Die Planer entwarfen einen Dachgarten mit geschwungenem Wegeverlauf, der die beiden Gebäudeteile elegant über zwei Brücken verbindet. Inmitten der üppigen Intensivbegrünung finden sich mehrere Plätze zum geselligen Beisammensein mit Sitzgelegenheiten, Pavillons für Meetings und Workshops, ein kleiner Theaterbereich und ein Naturteich mit Papyruspflanzen, Seerosen und Süßwasserfischen. Ob Wasserflächen oder Natursteinbänke, ob Belagsflächen aus Holz, Pflasterstein oder sonstigen Materialien - technisch ist all das problemlos möglich auf Basis des vollflächig verlegten ZinCo- Systemaufbaus „Dachgarten“. Die Gesamtfläche teilt sich auf in 270 m² Belagsflächen und 225 m² Grünflächen mit vorwiegend einheimischen Pflanzenarten. Die Technik ist entscheidend Für ein hervorragendes Ergebnis ist die richtige Technik entscheidend - das weiß nicht nur der Künstler, sondern auch der Handwerker. Beim Gründach ist das der objektgerechte Systemaufbau, dessen fachgerechte Ausführung hier die maltesischen Firma Derek Garden Center übernahm. Auf Grundlage einer bituminösen, wurzelfesten Dachabdichtung startete der ZinCo-Systemaufbau „Dachgarten“ mit der zusätzlichen Wurzelschutzbahn WSB 100-PO sowie der Isolierschutzmatte ISM 50. Diese mechanisch hoch belastbare, wasser- und nährstoffspeichernde Synthesefasermatte ist die richtige Wahl für die gewünschte Intensivbegrünung mit Belagsflächen. Darauf schloss sich das Drän- und Wasserspeicherelement Floradrain FD 40 als Kernstück im ZinCo-Systemaufbau an. Das 40 mm hohe Element aus tiefgezogenem Recycling- Polyolefin vermag Wasser in seinen Mulden zu speichern und 12 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Überschusswasser dank unterseitigem Kanalsystem sicher zu den Dachabläufen abzuleiten. Auch beim folgenden Filtervlies wählte man mit dem Systemfilter TG die mechanisch hoch belastbare Variante. Es besteht aus thermisch verfestigtem Polypropylen und dient dazu, das Einschwemmen von Feinteilen aus der darüber liegenden Substratschicht in die Dränschicht zu verhindern. Abgestimmt auf die gewünschte Intensivbepflanzung wurde dann ein Lavagestein in der Körnung 10/ 16 mm als Untersubstrat aufs Dach gebracht, und zwar in einer Schütthöhe von 50 cm. Darauf folgte eine 20 cm starke Deckschicht in der feineren Körnung von 0-10 mm. Diese besteht aus rund 70 % Lava und 30 % Bims nebst organischen Stoffen wie Torf, Kompost und Stickstoffdünger. Blühende Komposition Für die Intensivbegrünung wurden vorwiegend endemische Arten eingesetzt, die an das Mittelmeerklima angepasst sind: Olivenbaum (Olea europaea spp), Johannisbrotbaum (Ceratonia siliqua) und Stein-Eiche (Quercus ilex) sind vertreten, genauso wie Rosmarin (Rosmarinus officinalis) oder der Mittelmeer-Schneeball (Viburnum tinus) bei den Sträuchern. Im Bereich der Stauden sind Zyperngras (Cyperus papyrus), Salbei (Salvia officinalis) und Myrte (Myrtus communis) einige Beispiele. Für die Anordnung der insgesamt 950 Bäume, Sträucher, Bodendecker, Kletterpflanzen, Blumen und Gräser wurde ein exakter Pflanzplan entworfen, der selbst wie ein Kunstwerk aussieht. Das harmonische Bild prägen Gruppenpflanzungen und verschiedene Reihenpflanzungen, welche die geschwungene Form der Gehwege aufnehmen. Reihenpflanzungen gibt es auch entlang sämtlicher Dachkanten. Auch wenn die Pflanzenauswahl klimaangepaßt getroffen wurde, so ist doch zusätzlich eine automatische Bewässerungsanlage über Tropfschläuche installiert. Stark wie der Baum Bäume sind auf Dächern hohen Kräften durch Winddruck und Windsog ausgesetzt, weshalb sie dauerhaft lagesicher zu verankern sind. Die Entscheidung der Planer fiel schnell auf die ZinCo-Baumverankerung Robafix, da diese ohne Dachdurchdringung auskommt und einfach zu handhaben ist. In den vorgesehenen Baumquartieren wurden die 1 x 1 m großen Rasterelemente aus Recycling-Kunststoff verlegt und darin jeweils drei Ankergrundplatten aus Aluminium passgenau zur Größe des Wurzelballens positioniert. An diesen Ankerpunkten befestigten die Arbeiter dann die Spannbänder um den Wurzelballen. Ein Zusammenziehen oder Herausziehen der Ankerpunkte ist so ausgeschlossen und der Wurzelballen ist dauerhaft stabilisiert. Ausgezeichnete Inspiration Das vielseitige Valletta Design Cluster ist eine Plattform für Design, Innovationen und Projekte mit kultureller und sozialer Wirkung. Es ist ein Raum für Dialog und Inspiration, und das nicht nur unter den Kunstschaffenden. Dank Öffnung nach außen findet auch die Öffentlichkeit einfachen Zugang zur Kultur- und Kunstszene Maltas und zum wundervollen Dachgarten, der als grüne Oase für Entspannung und Wohlbefinden aller sorgt. Und das ist ein großer Gewinn - genau wie dieser: Das Architekturbüro Doric Studio wurde mit dem Projekt Valletta Design Cluster als Finalist für den internationalen Wettbewerb „CITY‘SCAPE City_Brand & Tourism Landscape Symposium & Award 2021“ nominiert und in der Kategorie „City Landscape“ ausgezeichnet. KONTAKT Federico Cefalu ZinCo GmbH Lise-Meitner-Straße 2 72622 Nürtingen info@zinco-greenroof.com Bilder 6 und 7: Per Kran aufs Dach, dann werden die Bäume dauerhaft mit Spanngurten verankert. © Doric Studio/ ZinCo 13 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Ein Baustein für das Erreichen dieses Ziels liegt in der Reaktivierung stillgelegter Industrieareale, so genannter Brownfields. Wo vor vielen Jahren Maschinen ratterten, Förderbänder liefen, täglich hunderte oder tausende Arbeiter durch die Tore strömten, wachsen jetzt Blümchen und Sträucher zwischen den Mauern, auf den Zufahrtsstraßen, in den Innenhöfen. Dabei ließe sich aus diesen stillgelegten Industrieflächen viel machen. Sie verfügen meistens über eine bestehende technische Infrastruktur und sind gut an das bewohnte Umland angebunden. Um die Reaktivierung dieser bestehenden Brachflächen voranzutreiben und den Bau auf der grünen Wiese zu minimieren, wurde Anfang 2021 der Deutsche Brownfield Verband (DEBV) gegründet. Bereits innerhalb des ersten Jahres traten dem DEBV 100 Brownfield- Akteure bei, die sich dafür einsetzen, die Brachflächenaktivierung in Deutschland zu stärken. Denn ganz gleich, ob Shopping Mall oder Onlinehandel, Gewerbegebiet oder Logistikunternehmen - der Flächenbedarf ist riesig, die Nachfrage entsprechend hoch. Der Flächenversiegelung entgegenwirken Der Umbau von Brownfields ist mit anderen Hürden verbunden als die Entwicklung von Greenfields. Er scheitert oft an ungeklärten Zuständigkeiten, dazu erschweren fehlende einheitliche Standards und der Mangel an Vernetzungsmöglichkeiten für Entwickler und Eigentümer die Erneuerung der Flächen. Dazu kommen Rechts- und Planungsunsicherheiten. Die Grünfläche ist meist schneller erschlossen, ohne dass aufwendige Gutachten zur Untersuchung auf Schadstoffe und Altlasten durchgeführt werden müssen oder es durch regulatorische Auflagen zu Verzögerungen kommt. Dass dabei große Flächen Natur versiegelt werden, schlägt aktuell noch nicht zu Buche. Dagegen übernehmen Brownfield-Entwickler eine große Verantwortung, versiegelte Flächen neu aufzuwerten und wieder nutzbar zu machen - darin müssen sie unterstützt werden. Damit das Potenzial von Brachflächen erkannt wird und sich mehr Bauherren und Projektentwickler der Herausforderung stellen, hat der Deutsche Brownfield Verband klare Zielsetzungen formuliert. Im ersten Schritt wird aktuell eine Machbarkeitsstudie in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut und dem Dienstleister Spacedatists GmbH für ein bundesweites Brachflächenkataster erstellt. Weitere Schritte sind ein transparentes Zertifizierung- und Bonussystem für Sanierungen, beschleunigte Genehmigungsverfahren sowie Fördermittel für Flächenrevitalisierung in Städten und Kommunen. Alles im grünen Bereich? Mit Brownfield-Arealen gegen den Flächenfraß Mustafa Kösebay Immer mehr Wohnraum pro Kopf, immer mehr und immer breitere Straßen für besseres Vorankommen und für mehr und schnelleren Warentransport - nicht nur im fernen Regenwald verschwinden Tag für Tag viele Hektar Natur, auch in Deutschland zeigt sich ein enormer Flächenfraß: Eine Fläche so groß wie 80 Fußballfelder verschlingt der Hunger nach neuen Straßen, Häusern und Gewerbegebieten täglich. Damit soll jetzt Schluss sein: Im Zuge des Klimaschutzes und der Ressourceneinsparung will Deutschland die Neuversiegelung von Flächen drastisch zu reduzieren. Bis 2050 wird die Netto-Null angestrebt. © Michael Gaida auf Pixabay 14 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Digitales Kataster soll für Durchblick sorgen Noch sind viele Brachflächen aktuell nicht zentral dokumentiert. Abhilfe schaffen soll ein standardisiertes, bundesweites Brownfieldkataster. Dafür soll in den kommenden Jahren das Kartenmaterial aus den Geoinformationssystemen der Länder und Kommunen synchronisiert und zusammengefügt werden. Software und künstliche Intelligenz untersuchen die Luftbilder und Karten auf entsprechende Flächen. Im September 2021 wurde eine Machbarkeitsstudie für die Erstellung eines solchen Katasters auf den Weg gebracht, die die genauen Rahmenbedingungen und Kriterien festlegen soll, nach denen das Kataster aufgebaut werden kann. Damit ist ein erster Schritt getan. Sobald Investoren und Projektentwickler jedoch eine entsprechende Fläche identifiziert haben, müssen sie sich im nächsten Schritt einen genauen Überblick verschaffen: Wurde der Boden in der Vergangenheit verunreinigt? Wem gehört die Fläche? Gibt es einen oder gar mehrere Besitzer? Sind Wasser- oder Gasleitungen im Boden, die andere Stadtteile versorgen? Der Aufwand für die Erschließung und die Baulandentwicklung ist damit zunächst höher als auf einer unbebauten Fläche. Trotzdem kann sich die Entwicklung lohnen, denn: Die Gelände sind oftmals an das Strom- und Wassernetz angebunden und haben eine gute Anbindung an das öffentliche Nahverkehrsnetz. Um weitere Anreize zur Brownfieldentwicklung zu bieten, wird eine standardisierte Zertifizierung von Flächen angestrebt. Etablierte Systeme wie sie DGNB, LEED, BREEAM und WELL können hier eine wichtige Rolle spielen. Beispielsweise wäre eine noch bedeutendere Rolle von Brownfields in der Zertifizierung denkbar, um Bauherren, die eine Brachfläche entwickeln, schneller zu ihrem Umweltlabel zu verhelfen als jenen, die auf der grünen Wiese bauen. Auch Mischnutzung von Brachflächen ist möglich Aufgrund ihres hohen Versiegelungsgrades und ihrer oftmals großen Fläche bietet sich besonders die gewerbliche und industrielle Nutzung für Brownfields an. Es gibt aber auch im innerstädtischen Bereich genügend Beispiele für eine sehr gelungene gemischte Nutzung. Denkmalwürdiger Bestand, der vielleicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, wird dazu gekonnt städtebaulich in Szene gesetzt und erhält eine neue Nutzung. Vorzeigeprojekte wie das Quartier Neckarspinnerei in Wendlingen zeigen, wie das Potenzial alter Flächen genutzt werden könnte: Das denkmalgeschützte Areal wird im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 2027 für eine Mischnutzung aus Gewerbe und Wohnen aufgefrischt. Mischnutzungen wie diese spielen zukünftig eine größere Rolle. Der Trend geht weg von reinen homogenen Nutzungen wie Bürosilos, Wohnhochhäusern und Einkaufsstraßen hin zu einer Stadt der kurzen Wege, in der Arbeiten, Wohnen und Nahversorgung in direkter Nachbarschaft liegen. Und alte Industriebauten mitten in der Stadt eigenen sich dafür besonders gut. Deutschlandweit warten noch rund 150 000 Hektar solcher Brachflächen darauf, umgenutzt und erschlossen zu werden. Maximale Transparenz und digitales Gedächtnis Um komplexe Themen wie Massenmanagement, Altlasten, Entwässerung oder Neuentwicklung auf bestehenden Fundamenten beherrschbar zu machen, empfehlen sich digitale Alltagshelfer. Andere Branchen machen das schon lange vor: In der Automobilindustrie hat die Digitalisierung in Form von Industrie 4.0 längst die Produktion umgekrempelt. Binnen weniger Tage wird aus tausenden von Teilen ein individuell konfiguriertes Auto gebaut. Was der Kunde bestellt, bekommt er auch - zum vereinbarten Termin und Preis. Was Industrie 4.0 für den Maschinenbau, ist Building Information Modeling für die Immobilienbranche: die digitale Vernetzung aller Prozesse, Produkte und Beteiligten. Building Information Modeling, kurz BIM, bezeichnet eine Methode der vernetzten Zusammenarbeit, die alle relevanten Daten in einem Modell bündelt. Dieses Modell ist ein dreidimensionaler, digitaler Zwilling des späteren Gebäudes oder Areals mit großer Detailtiefe. Der Bauplaner beschreibt im Modell beispielsweise nicht nur eine Fassade, sondern definiert die genauen Maße und Kosten sowie die Lebensdauer des Materials oder dessen Schalldurchlässigkeit. Den digitalen Zwilling mit all diesen Daten anzureichern, erhöht zwar zunächst den Planungsaufwand, erspart später aber sehr viel Rechnerei, da sich die Bauwerke auf Knopfdruck quasi selbst berechnen. Im BIM-Modell lassen sich verschiedenste Entwurfsvarianten in einer sehr frühen Planungsphase durchspielen. Da alle Bauakteure im gleichen Modell arbeiten, sind sämtliche Informationen sofort verfügbar. Und passen die Entwürfe nicht mehr zusammen, werden die Kollisionen nicht erst während des Bauprozesses bemerkt, wo sie zu teuren Zeitverzögerungen führen. Das Modell weist von selbst auf Planungs- 15 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum fehler hin und sorgt damit für eine maximale Planungssicherheit - auch und gerade in der Brownfield-Entwicklung. Rechtsverbindliche Grundlage für den Umgang mit Altlasten Ein weiterer Hebel, um die Revitalisierung von Brachflächen voranzutreiben, besteht in Fördermöglichkeiten. Einen wesentlichen Beitrag hierzu hat der Brownfield-Verband bei der Mantelverordnung für Ersatzbaustoffe und Bodenschutz geleistet, die ab kommendem Jahr greifen wird. Zu den wesentlichen Änderungen gehört, die im Sinne des Kreislaufwirtschaftsgesetzes bestmögliche Verwertung von mineralischen Abfällen zu gewährleisten. Mineralische Abfälle stellen mit ungefähr 240 Mio. Tonnen den mit Abstand größten Abfallstrom Deutschlands dar, für den bisher weder eine bundeseinheitliche noch eine rechtsverbindliche Grundlage für die ordnungsgemäße und schadlose Verwertung existierte. Bislang wird daher nur ein kleiner Teil dieser Abfälle wiederverwertet, und das zumeist in minderwertigerer Form. So landen bei Umbau- oder Abrissarbeiten Materialien wie Beton oder Stahl meist auf der Deponie oder als Füllmaterial im Straßenbau, obwohl sie für neue Bauvorhaben dringend benötigt und teuer bezahlt werden. Auch hier kann ein Kataster Abhilfe schaffen: Der vom Umweltberatungsinstitut EPEA entwickelte Urban Mining Screener ist in der Lage, anhand von Gebäudedaten wie beispielsweise Bauort, Baujahr, Gebäudevolumen oder Gebäudetyp deren materielle Zusammensetzung quasi auf Knopfdruck zu schätzen. Damit könnte das Rohstofflager, das in alten Gebäuden steckt, gehoben werden. Ganz nebenbei entsteht dabei auch eine fundierte Entscheidungsgrundlage für nachhaltiges Bauen. Kreisverkehr statt Einbahnstraße Um den Flächenverbrauch zu reduzieren und die Netto-Null zu erreichen, führt kein Weg an der Brachflächenentwicklung vorbei. Alte Industriestandorte, Kasernen oder Bahnflächen lassen sich mit gezielter Entwicklung aufwerten und wieder nutzbar machen. Um die Entwicklung attraktiv zu gestalten, sind maximale Transparenz, unbürokratische Wege und Förderprogramme wichtige Instrumente. Noch immer scheint das Bauen auf der grünen Wiese, das Bauen im Greenfield-Bereich für viele Planer, Bauherren und Investoren attraktiver zu sein als die Wiederbelebung bereits versiegelter und bebauter Flächen. Dabei wird ein entscheidender Punkt allerdings übersehen. Zusammen stecken wir in einem ökologischen Schneeballsystem fest: Wir benutzen die Ressourcen der Zukunft, um für die Gegenwart zu bezahlen. Hier muss definitiv ein Umdenken stattfinden - weg von der linearen Einbahnstraße der Flächennutzung, hin zu einer kreislauffähigen Nutzung. Nur so lässt sich das große Ziel der Netto-Null halten und ein nachhaltiger Umgang mit Bauland und Ressourcen erreichen. Funke Baumbewässerungswinkel M i t Z u l a s s u n g v o m D e u t s c h e n I n s t i t u t f ü r B a u t e c h n i k • DIBt-Nr. Z-42.1-572 Funke Baumwurzelbelüfter D-Raintank 3000 ® Für Bewässerung und Belüftung Funke Baumversorgung mit System - unterirdisch gut! für Neuanpflanzung und Sanierung Funke Kunststoffe GmbH info@funkegruppe.de • Tel.: 02388 3071-0 www.funkegruppe.de Baumversorgung Weitere Informationen: AUTOR Mustafa Kösebay Associate Partner Drees & Sommer SE mustafa.koesebay@dreso.com 16 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Grund für den Wassermangel sind sowohl die immer länger anhaltenden Trockenperioden in den Sommermonaten, als auch die Tatsache, dass heute häufig auftretende Starkniederschläge vor allem bei der zunehmenden Versiegelung der Flächen unmittelbar abgeleitet werden. Während also das Wasser ungenutzt in die Kanalisation fließt, vertrocknen gleichzeitig die Bäume in den Städten. Was kann man dagegen tun? Wie lässt sich der zunehmende Wasserbedarf des Stadtgrüns stillen? Wie und wo kann das anfallende Regenwasser im urbanen Raum gespeichert werden? Und woher kommt Wassernachschub für kühle Parks, schattenspendende Bepflanzung und Fassadenbegrünung, wenn es längere Zeit nicht regnet - gibt es hier Alternativen zu Trinkwasser? INTERESS-I Das Forschungsprojekt INTER- ESS-I (Integrierte Strategien zur Stärkung urbaner blau-grüner Infrastrukturen), das im Oktober 2018 startete, hat sich auf die Suche nach Antworten zu diesen Fragen gemacht. Die am Projekt beteiligten Partner lassen sich den vier Themenfeldern blaue Infrastruktur, grüne Infrastruktur, Klima-Resilienz und Stadtgesellschaft zuordnen: Neben der Universität Stuttgart, der TU Kaiserslautern, der TU München, dem Institut für sozial-ökologische Forschung ISOE sind das die Städte Stuttgart und Frankfurt am Main sowie das auf Fassadenbegrünung spezialisierte Unternehmen Helix Pflanzen. INTER- ESS-I endete im Januar 2022; der Schlussbericht wird in wenigen Wochen erscheinen. Vier städtebauliche Pilotgebiete in Frankfurt und Stuttgart waren die zentralen Arbeitsfelder für das Forschungsprojekt. Sie wurden wegen ihrer unterschiedlichen Maßstäbe (von Stadtteil bis Blockbau) und Planungsvoraussetzungen (von Neubau bis Bestandsentwicklung) ausgewählt. Eines dieser Gebiete liegt direkt im Herzen der baden-württembergischen Landeshauptstadt: im Rosensteinviertel. Durch den Gleisrückbau im Rahmen von Stuttgart 21 wurde direkt hinter dem Bahnhof eine Fläche von rund 85 Hektar Alternative Wasserressourcen nutzen Für mehr kühlendes Grün in der Stadt Roland Moers Der fortschreitende Klimawandel sowie die Urbanisierung mit der damit einhergehenden Nachverdichtung stellen große Herausforderungen für Städte und Gemeinden dar und bringen teils sehr widersprüchliche Anforderungen mit sich: Steigende Temperaturen und die Zunahme von Hitzetagen führen einerseits zu einem deutlichen Mehrbedarf an kühlendem Grün, diesem steht jedoch andererseits ein extremer Druck auf die verbleibenden Freiflächen gegenüber. Dazu kommt, trotz in Summe gleichbleibenden Jahresniederschlägen, eine stetige Abnahme von pflanzenverfügbarem Wasser. Bild 1: Impulsprojekt Stuttgart mit den Hauptkomponenten Zisterne, multifunktionale Pflanzenkläranlage im Container und Vertikalbegrünung. © Julian Rettig 17 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur frei, auf der in den nächsten Jahren ein komplett neuer Stadtteil entstehen wird. Am Rande dieses Pilotgebietes wurde im Rahmen von INTERESS-I im Juli 2020 auch ein sogenanntes Impulsprojekt in Betrieb genommen: ein temporäres, offenes Labor, das allen Interessierten rund eineinhalb Jahre lang Einblicke in die Forschungsarbeit bot. Regen- und Grauwasser Kernstück des Labors waren zwölf mehrgeschossige Wohncontainer, in denen Arbeiter während ihres Einsatzes auf der Großbaustelle untergebracht waren. Drei Komponenten machten die Container zum Impulsprojekt: eine Retentionszisterne, Vertikalbegrünungselemente sowie ein bepflanzter Bodenfilter. Die Retentionszisterne, in der der Regen vom Dach der Container gesammelt wurde, hatte zwei Funktionen: Zum einen die Speicherung des Wassers für die Pflanzen, zum anderen eine Entlastungsfunktion für die Kanalisation bei Starkregenereignissen. Die Zisterne wurde ganz bewusst nicht unter der Erde versteckt, sondern blieb sichtbar. So konnte sie zudem auch als eine Art Litfaßsäule genutzt werden, an der das gesamte Projekt vor Ort erklärt wurde. Bei der Pflanzenversorgung im urbanen Raum sollte aber nicht ausschließlich auf Regenwasser gesetzt werden, denn das reicht bei längeren Trockenperioden nicht aus. Wesentlich zuverlässiger und kontinuierlicher fällt dagegen Abwasser an. Man geht davon aus, dass es bei Wohngebäuden pro Tag und Einwohner etwa 45 Liter schwach belastetes Grauwasser (aus Duschen, Waschbecken usw.) sind. In der Regel wird dieses nicht getrennt abgeleitet, sondern fließt zusammen mit den Toilettenspülungen über die Kanalisation in die Klärwerke. Beim Impulsprojekt wurde es dagegen separat aufgefangen und von den Wohncontainern in den aufgestellten Bodenfilter geführt. Bereits im Vorfeld gab es an der TU Kaiserslautern weitergehende Untersuchungen mit Bodenfiltersäulen unterschiedlichen Aufbaus. Ziel war es, stets eine für Pflanzenbewässerung geeignete Qualität zu erzielen. Auf dem Versuchsgelände der Universität wurde das aufbereitete Wasser an einer begrünten Wand, die von Helix Pflanzen bereitgestellt wurde, getestet. Für das Verfahren des Bodenfilters hatte sich gezeigt, dass eine in den Speicher integrierte Siebung zur Grobstoffentfernung geeignet ist und demnach auf eine aufwändig ausgeführte Vorklärung des Grauwassers etwa mittels Mehrkammergrube verzichtet werden kann. So konnte die Anlage deutlich kleiner dimensioniert werden, was auch für zukünftige Einsätze im innerstädtischen Raum deutlich vorteilhaft ist. Knapp 400 Liter schwach belastetes Grauwasser konnten pro Tag in dem direkt vor den Wohncontainern aufgebauten, bepflanzten Bodenfilter gereinigt werden. Zwei mit Lava- und Rheinsand befüllte Kammern wurden darin vertikal durchströmt. Dabei kamen unterschiedliche Reinigungsprozesse zum Tragen: Bereits der Schilfbewuchs hat einen klärenden Effekt, daneben bauen auch die Bakterien im Boden Verunreinigungen ab. Zusätzlich zu diesen biologischen Prozessen konnte eine große Anzahl von Stoffen durch die Filterleistung des Bodens und Adsorptions- und Absetzungsprozesse beseitigt werden. Im Anschluss erfolgte eine weitere Hygienisierung des Wassers mit UV-Lampen. Vertikalbegrünung dreimal anders Drei verschiedene Vertikalbegrünungssysteme aus dem Helix Pflanzen Programm wurden beim Impulsprojekt in Stuttgart eingesetzt. Im Erdgeschoss der Container war es „Elementa“, ein Produkt, das sonst zumeist als Lärmschutzwand verbaut wird: In Körben aus verzinktem Stahlgitter, gefüllt mit Spezialsubstrat, wuchsen Lavendel und verschiedene Stauden. Profilschienen sowie Verschraubungen ermöglichen bei diesem System, dass es sich im Baukastenprinzip beliebig erweitern lässt. Bild 2: Bodenfilter von oben. Bild 3: Bodenfilter von der Seite. Bild 4: Betriebswassertanks. © Julian Rettig 18 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Auf der mittleren Containerebene fand das System „Elata“ seinen Platz. Kletterpflanzen wie Efeu wuchsen hier in mit Granulat gefüllten, speziellen Kästen und berankten ein stabiles Metallgitter. So bildeten sie schon nach kürzester Zeit eine üppig grüne Pflanzenwand. Bei den Wohncontainern standen die Pflanzkästen auf einem Gerüst vor der Fassade, bei stabileren Bauten lassen sie sich sonst aber auch direkt an der Wand verankern. Das System „Biomura“ wurde ganz oben installiert. Die aus recyceltem Kunststoff hergestellten Pflanzkassetten sind 60 x 45 cm groß und verfügen über je 16 Pflanzlöcher. Die eingesetzten Stauden und Kräuter wachsen in anorganischer Mineralwolle mit sehr niedrigem Trockengewicht. Da für die Unterkonstruktion Trägerschienen aus verzinktem Stahl vertikal an die Wand angebracht werden, ist „Biomura“ vergleichbar mit einer vorgehängten, belüfteten Fassade. „Insgesamt 14 verschiedene Pflanzenarten wurden für die Vertikalbegrünung des Forschungsprojekts INTERESS-I ausgesucht“, erklärt Hans Müller, Geschäftsführer von Helix. „Durch die Auswahl und Kombination konnten wir gewährleisten, dass sich alle drei Systeme auch in den Wintermonaten attraktiv und grün zeigen. Leistungsfähige Pumpen und eine hochwertige Steuerungsanlage, die sowohl Daten von Sensoren erfasste wie auch Ventile steuerte, sorgten dafür, dass gereinigtes Grauwasser oder gesammeltes Regenwasser aus der Zisterne ständig bedarfsgerecht zur Verfügung standen. Auf eine zusätzliche Trinkwasserzufuhr konnte vollständig verzichtet werden.“ Impulse setzen Im Rahmen des Forschungsprojekts INTERESS-I wurden mikroklimatische Parameter im Umfeld der Wohncontainer und der Fassadenbegrünungssysteme erfasst. Gemessen wurde, welche Reinigungsleistung verschiedene Sandstrukturen bei leicht verschmutztem Grauwasser haben. Die Bewohner der Container wurden befragt, was sich für sie subjektiv durch mehr Grün im Wohnumfeld geändert hat. All das sind für die Projektpartner wichtige, aufschlussreiche Daten und Informationen. Wie der Name „Impulsprojekt“ aber schon vermuten lässt, sollten nicht nur Messwerte gesammelt, sondern vor allem Impulse gesetzt werden. Von Stuttgart ausgehend möchte man mit dem Projekt einer möglichst breiten Öffentlichkeit - von Stadtplanern, über Kommunen bis zur Wohnungsbauwirtschaft - demonstrieren, wie zukünftig Bewässerungsbedarf und Abwasserentsorgung zusammen gedacht werden sollten, wie alternative Wasserressourcen zu erschließen sind und wie eine nachhaltige und innovative Versorgung des Stadtgrüns gewährleistet werden kann. Was hier im Kleinen funktioniert hat, lässt sich sowohl auf Einzelgebäude als auch in der Stadtentwicklung systematisch auf ganze Neubaugebiete übertragen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist vor allem, dass verschiedene Disziplinen gut zusammenarbeiten. Wird blaugrüne Infrastruktur gemeinsam gedacht, geplant und umgesetzt, kann etwas entstehen, das langfristig dem einzelnen Bauwerk, dem urbanen Raum und den Menschen in Städten und Gemeinden zugutekommt. Weitere Informationen: www.interess-i.net und www.helixpflanzen.de AUTOR Roland Moers NED.WORK Agentur + Verlag GmbH roland.moers@nedwork.de Bild 5: Übersicht Interess-I Impulsprojekt Stuttgart. © Well & Ludwig, 2020 19 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Die Bilder versetzten Deutschland in Schrecken: Im Juli 2021 gingen enorme Regenmengen auf Teile des Landes nieder. Besonders betroffen von den Wassermassen waren die Region Aachen in Nordrhein-Westfalen und der Landkreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz. Die Ahr, ein Nebenfluss des Rheins, tritt innerhalb kürzester Zeit vielerorts über ihre Ufer. Straßen, Keller, ganze Ortschaften werden von den Sturzfluten überschwemmt - Autos, Bäume und Häuser mitgerissen. Neben immensen materiellen Schäden kommen Menschen zu Tode. Die Rede ist von einem Jahrhunderthochwasser, die Aufbauarbeiten dauern an. In den kommenden Jahren und Jahrzehnten rechnen Meteorologen aufgrund des Klimawandels mit immer stärkeren Wetterextremen. Deutschland muss sich auf heftigere und häufigere Stürme, Hitzewellen, Hochwasser und Starkregen einstellen. Das macht geeignete Klimaanpassungsstrategien für Städte und Kommunen immer wichtiger. Das international tätige Beratungsunternehmen Drees & Sommer entwickelt ganzheitliche Lösungskonzepte für die Stadtentwicklung und berät Städte, wie sie sich und ihre Bewohner vor den Folgen extremer Regenfälle schützen können. Starkregen schwer kalkulierbar Wenn sich enorme Wassermassen in kürzester Zeit entladen, sprechen Klima-Experten von Starkregen. Ein Wetterphänomen, das vergleichsweise neu ist; den Begriff verwenden Meteorologen erst seit 2010. Das Problem liegt dabei nicht an der Regenmenge an sich, sondern dass sie in kurzer Zeit anfällt. Der Deutsche Wetterdienst warnt vor Starkregen, wenn in einer Stunde an einem Ort mehr als 20 bis 25 Millimeter oder binnen sechs Stunden 20 bis 35 Millimeter zu erwarten sind. Liegen die Regenmengen darüber, erfolgt eine Unwetterwarnung. Solche Wolkenbrüche verfügen über ein enormes Verwüstungspotenzial. Auch abseits von Flüssen, Bächen und Seen bergen sie schwer kalkulierbare Überschwemmungsrisiken für Städte und Kommunen - im schlimmsten Fall können die Regenmengen nicht nur Häuser zum Einsturz bringen, sondern, wie bei der Flutkatastrophe 2021, auch Menschenleben kosten. Die in dem Jahr vom Starkregen verursachten Versicherungsschäden werden auf 30 Milliarden Euro geschätzt. Lebensraum Stadt aufwerten In ihrem Auftreten lassen sich Starkregen nicht beeinflussen. Doch Kommunen können sich gegen die verheerenden Auswirkungen wappnen. Das von Drees & Sommer konzipierte Starkregenmanagement sieht vor, mit einer integrierten Infrastrukturplanung nicht nur Überflutungsschutz zu erreichen, sondern gleichzeitig den Lebensraum Stadt vielfältig aufzuwerten. Zusätzlich prüfen die Experten von Drees & Sommer die Projekt-, Risiko- und Kostenstruktur solcher Vorhaben. Starkregenvorsorge: Wolkenbruchpläne für Städte Jochen Kurrle Vor allem Stürme, Starkregen, Hochwasser, Schnee und Hagel sowie Hitzewellen führen auch in Deutschland verstärkt zu immensen Schäden. Das macht Klimaanpassungsstrategien und geeignete Präventivmaßnahmen für Städte und Gemeinden in ganz Europa immer wichtiger. Drees & Sommer setzt mit seinem innovativen Starkregenmanagement auf nachhaltige Lösungen für die Stadtentwicklung. Bild 1: Vor allem Stürme, Starkregen und Hochwasser führen auch in Deutschland verstärkt zu immensen Schäden. © Thomas Linßner 20 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Am Anfang steht dabei eine Analyse der Gefahren und Risiken bei großen Wassermengen im urbanen Raum. Als Basis können sogenannte Starkregenkarten dienen - computergestützte Modelle, die sich auf topografische Gegebenheiten sowie die Leistungsfähigkeit des Kanalnetzes stützen und somit Hochwasserrisiken berechnen können. Zudem müssen die örtlichen Verhältnisse untersucht werden: Wie ist der Zustand der Gewässer? Welche mobilen oder festen Hochwasserschutzmaßnahmen gibt es? Stehen ausreichend Retentionsbecken und Retentionsflächen zur Verfügung, die Wassermassen auffangen können? Sind Rettungswege im Starkregenfall nutzbar, ist die Erreichbarkeit von Feuerwehr und Krankenhäusern gewährleistet? Zentral sind auch die Dichte der Bebauung und die daraus resultierende Anzahl versiegelter Flächen. Bestehende Hochwasserschutzmaßnahmen, so eine Erkenntnis der Klima- und Infrastruktur-Experten von Drees- & Sommer, können kontraproduktiv sein. Dämme beispielsweise halten zwar das Wasser fern, gleichzeitig drängen sie Wassermassen so stark zusammen, dass sich die Fließgeschwindigkeit erhöht und eine Flutwelle umso verheerender ausfallen kann. Anstatt Wasser abzudrängen, ist es ratsamer, die Städte an die Gegebenheiten anzupassen. Blau-grüne Infrastruktur verknüpft Grünflächen, Wassermanagement und Technik Kernstück der Anpassung an die Naturgewalt Regenwasser ist die sogenannte blau-grüne Infrastruktur - sie verknüpft Grünflächen, Wassermanagement und den strategischen Einsatz moderner Technik. Betroffen sind zentrale Leistungen der öffentlichen Hand: Mobilität, öffentlicher Raum, Sicherheit und Biodiversität. Ein Beispiel blau-grüner Infrastruktur stellen Parks dar, die als Freizeitfläche dienen und sich bei Wolkenbrüchen in einen See oder Kanal verwandeln und so auf natürlichem Weg große Wassermengen aufnehmen. Durch eine einzige Maßnahme lassen sich somit Hochwasserschutz, Hitzeschutz, Luftreinhaltung sowie Biodiversität erzielen - gleichzeitig entstehen attraktive Aufenthaltsräume für die Stadtbewohner. Als Vorreiter einer ganzheitlichen Klimaanpassung gilt die Stadt Kopenhagen, der Drees- & Sommer beratend zur Seite stand. Nachdem die Metropole 2011 von Überflutungen in Folge eines Starkregens heimgesucht wurde, reagierte die dänische Hauptstadt 2012 mit einem Cloudburst-Management- Plan, einem Wolkenbruch-Plan. Rund 1,5 Milliarden Euro fließen in den kommenden Jahren in 300 Einzelprojekte. Das Besondere: Überflutungsschutz und Infrastrukturmaßnahmen werden so kombiniert, dass nicht nur die drohenden Überflutungen begrenzt, sondern gleichzeitig positive Effekte auf das Mikroklima, den Wasserverbrauch und die Energiebilanz von Quartieren erzielt werden. Um die Kosten möglichst gering zu halten, verbindet die Stadt einen Teil der Maßnahmen mit ohnehin anstehenden Um- und Ausbauvorhaben im öffentlichen Raum. Die Einwohner profitieren in doppelter Hinsicht: Denn der Starkregen-Schutz geht einher mit einer Aufwertung des Stadtbilds und einer höheren Lebensqualität. Ein weiteres Projekt, das Drees- & Sommer maßgeblich begleitet hat, ist der PHOENIX See in Dortmund. Der künstliche See auf einem ehemaligen Bild 2: Blau-grüne Infrastruktur in Kopenhagen: Bei gutem Wetter eine Liegewiese, bei starkem Regen ein Kanal. © Ramboll Studio Dreiseitl 21 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Stahlwerksareal ist bei gutem Wetter ein beliebtes Ausflugsziel. Bei Regen wirkt er als Auffangfläche für den Niederschlag der umgebenden Bebauung wie auch als Retentionsraum für die nahe gelegene Emscher. Das Areal rund um den See wurde zudem starkregensicher gebaut; so sind etwa die Straßenränder mit vertieften Grünflächen versehen, damit der Niederschlag an Ort und Stelle versickern kann. Städte als Schwämme Retentionsflächen, wie man sie bislang vor allem in hochwassergefährdeten Gebieten kennt, werden in Zukunft für alle Städte wichtiger und können vielfältige Formen annehmen. Große Plätze oder auch Skaterparks lassen sich in Muldenform anlegen, so dass sich dort Wasser sammeln und dieses später dosiert an das Kanalnetz abgeführt werden kann. Wie ein Schwamm können auch begrünte Flachdächer in innerstädtischen Gebieten wirken, allerdings muss die Statik der Gebäude auf diese Zusatzbelastung ausgelegt sein. Weitere Bausteine eines Wolkenbruch-Plans können beispielsweise die Lenkung des Wasserflusses durch Wälle oder Einfassungen oder die Vermeidung versiegelnder, wasserundurchlässiger Materialien sein. An die Stelle von Teer oder Pflastersteinen können etwa wasserdurchlässige Rasengittersteine treten, wobei zu bedenken ist, dass diese die Barrierefreiheit einschränken. In Berlin hat Drees & Sommer ein Regenwassermanagement für die Nachnutzung des Flughafens Tegel entwickelt. Damit Regenwasser an Ort und Stelle versickern kann, wurden größere Wasserflächen eingeplant. In heißen Sommern tragen diese zudem zur Kühlung bei und bieten überdies eine hohe Aufenthaltsqualität. Ebenso kann das Regenwasser teilweise als Brauchwasser für Toilettenspülungen verwendet werden. Der Klimawandel drängt zur Anpassung Um das Know-How im Starkregenmanagement zu erweitern, begleitet Drees & Sommer in Gelsenkirchen das Institut für Unterirdische Infrastruktur beim Bau einer Starkregenversuchsanlage: In einer Halle werden auf einer 200 Quadratmeter großen Plattform unterschiedliche Oberflächenmaterialien eingebaut, um zu untersuchen, wie sie sich auf das Fließverhalten von Wasser auswirken und die Folgen von Starkregen vermindern. Angesichts des Klimawandels sind Städte und Gemeinde gefordert, aktiven Klimaschutz durch eine ganzheitlich Klimaanpassungsstrategie zu ergänzen. Mit einem Wolkenbruch-Plan und einer integrierten Infrastrukturplanung können sie sich erfolgreich für künftige Wetterextreme rüsten und gleichzeitig die Lebensqualität ihrer Bewohnerschaft entscheidend verbessern. AUTOR Dipl.-Ing. Jochen Kurrle Infrastrukturberater, Starkregenmanager Drees & Sommer SE jochen.kurrle@dreso.com Optigrün international AG | optigruen.de Stadtklima-Retter planen Gründächer Dachbegrünungen kompensieren die Flächen- Dachbegrünungen kompensieren die Flächenversiegelung, speichern und verdunsten versiegelung, speichern und verdunsten Niederschlagswasser und entlasten dadurch Niederschlagswasser und entlasten dadurch die Kanalisation. die Kanalisation. Gleichzeitig sorgen sie für ein angenehmeres Gleichzeitig sorgen sie für ein angenehmeres Stadtklima und mildern den Hitzeinseleffekt. Stadtklima und mildern den Hitzeinseleffekt. 22 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Noch ist von dem künftigen Wohngebiet „An der Marburger Straße“ im hessischen Frankenberg nicht viel zu sehen. Bagger, LKW und umfangreiche Tiefbauarbeiten zeugen jedoch davon, dass in dem Bereich am südlichen Stadtrand oberhalb von Bockental einiges bewegt wird. Es handelt sich um ein Großprojekt, das die Stadt Frankenberg angeschoben hat. Insgesamt sollen hier rund 160 Bauplätze für Einfamilien-, Reihen- und Mehrfamilienhäuser sowie ein Familienzentrum mit Kita- und Krippenplätzen entstehen. Derzeit läuft die Erschließung des ersten Bauabschnitts für rund 35 Wohneinheiten und das Zentrum. Im Auftrag des Abwasserwerks Frankenberg stellt die Heinrich Rohde Tief- und Straßenbau GmbH, Korbach, die komplette unterirdische Infrastruktur über Telefon, Gas, Wasser, Strom, Glasfaser bis hin zu einer Entwässerung im Trennsystem sowie eine Regenrückhaltung her. „Zur Anbindung des neuen Wohngebietes werden die frühere Kreisstraße 117 zu einer Stadtstraße umgebaut sowie zwei Kreisverkehre neu errichtet, darunter auch der erste fünfarmige Kreisverkehr Frankenbergs“, beschreibt Dipl.-Ing. Michael Schulze, Bauleiter, Heinrich Rohde Tief- und Straßenbau GmbH die umfangreichen Baumaßnahmen. „Um auch Fußgängern und Radfahrern genügend Raum zu geben, beträgt die geplante Straßenbreite sechs Meter plus beidseitiger, kombinierter Geh- und Radwege. Insgesamt summiert sich die zu schaffende Straßenfläche somit auf rund 18 500 m 2 .“ Überzeugende Lösung Allerdings ist gerade in Baugebieten, die vorher unversiegelt waren, ein durchdachtes Regenwassermanagement von essentieller Bedeutung. Auf die Fläche „An der Marburger Straße“ trifft dies umso mehr zu. Sie wurde bislang landwirtschaftlich genutzt und liegt zudem oberhalb von Bockental. Damit das Regenwasser, das nun nicht mehr im Boden versickern kann, künftig nicht talabwärts fließt oder - was in Zeiten von immer häufiger eintretenden Starkregenereignissen auch mitbedacht werden muss - nicht unkontrolliert in die Kanalisation bzw. in die Gewässer gelangt, entwickelte das Regenwasserbewirtschaftung in Frankenberg Funke KS-Bluebox ® sorgt für Sicherheit bei Starkregen Das Abwasserwerk Frankenberg, Eigenbetrieb der Stadt Frankenberg (Eder), vertraut bei Starkregen auf Regenwasserbewirtschaftung made by Funke. Für das neue Baugebiet „An der Marburger Straße“, auf dem in den nächsten Jahren rund 160 Wohneinheiten sowie ein Familienzentrum entstehen sollen, stellen KS-Bluebox ® - Elemente der Funke Kunststoffe GmbH wichtige Bausteine des Entwässerungskonzeptes dar. Damit das Regenwasser aus dem neuen Ortsteil nicht ungedrosselt in die vorhandenen Gewässer oder in die Kanalisation gelangt, wird es kontrolliert dem natürlichen Wasserkreislauf zugeführt. Dabei durchläuft das Niederschlagswasser ein Schachtbauwerk, wo Schmutzstoffe zurückgehalten werden, um dann - gepuffert durch die KS-Bluebox ® -Elemente - gedrosselt abgegeben zu werden. Darüber hinaus werden auf der Großbaustelle HS ® -Kanalrohre in verschiedenen Nennweiten in den Farben blau und braun verlegt. Außerdem sorgen Produkte wie der CONNEX- Anschluss oder das FABEKUN ® -Sattelstück für die einwandfreie Einbindung der Hausanschlussleitungen in die Sammler. Bild 1: Großbaustelle „An der Marburger Straße“: Damit das Regenwasser aus dem neuen Ortsteil nicht ungedrosselt in die vorhandenen Gewässer oder in die Kanalisation gelangt, wird es in 15 KS-Bluebox ® - Elementen zwischengespeichert und kontrolliert dem natürlichen Wasserkreislauf zugeführt. © Funke Kunststoffe GmbH 23 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Abwasserwerk Frankenberg ein Konzept für eine kontrollierte Regenwasserrückhaltung. „Vor allem vor dem Hintergrund, dass der Bau eines Stauraumkanals aus Beton oder eines offenen Beckens neben einem enormen Platzbedarf auch eine lange Bauzeit bedeutet hätten, haben wir uns für eine kontrollierte Regenrückhaltung entscheiden, die aus 15 KS-Bluebox ® -Elementen mit einem Fassungsvermögen von jeweils rund 50 m 3 besteht“, erklärt Dipl.-Ing. Hermann Greis, Technischer Leiter des Abwasserwerks. Ideal für die Regenwasserrückhaltung Die KS-Bluebox ® besteht aus werkseitig kunststoffummantelten D-Raintank 3000 ® -Elementen. Diese Variante des D-Raintank 3000 ® -Systems eignet sich nicht nur für die Rückhaltung von Regenwasser, sondern auch für eine dauerhafte oder - wie im Neubaugebiet „An der Marburger Straße“ - vorübergehende Speicherung. „Grundsätzlich ist eine Ausführung in unterschiedlichen Breiten und bis zu drei Lagen übereinander möglich“, erklärt Dipl.-Ing. Martin Ritting, Fachberater Außendienst, Funke Kunststoffe GmbH. „Die realisierbare Größe der Elemente richtet sich letztendlich nach den Kapazitäten der Transportfahrzeuge.“ Allerdings können verschiedene KS-Bluebox ® -Elemente vor Ort an der Einbaustelle miteinander verbunden werden. Die Stabilität der KS-Bluebox ® entspricht der des D-Raintank 3000 ® : Bei einer Überdeckung von 40 cm Höhe ist eine PKW-Befahrung möglich und ab einer Erdüberdeckung von 80 cm dürfen auch LKW über die Fläche rollen. Die KS-Bluebox ® ist vom DIBt als Anlage zur Rückhaltung von Niederschlagswasser zugelassen (Z-42.1-572). Fix und fertig angeliefert Mit dem Einsatz der KS-Bluebox ® hat man in Frankenberg somit bestens für eine zuverlässige Rückhaltung großer Niederschlagsmengen gesorgt. Die eingesetzten Elemente sind jeweils 12 m lang, 2,40 m breit und 1,80 m hoch. Sie werden in einer 5 m tiefen Baugrube eingebaut, die vorab mit einem Planum aus Splitt mit einer Körnung von 0/ 11 vorbereitet wurde. Das Feinplanum eignet sich gut für einen einfachen und sauberen Einbau und sorgt für stabile und vollständige Auflageflächen. Nach dem Einheben und der genauen Positionierung werden die KS-Bluebox ® - Elemente direkt über der Sohle mit zwei Leitungen aus blauen HS ® -Kanalrohren miteinander verbunden. Für jede KS-Bluebox ® wird eine Entlüftungsmöglichkeit vorgesehen. Diese wird werkseitig vormontiert, an der Einbaustelle mit HS ® -Rohren DN/ OD 160 verlängert und über die Schächte an die Oberfläche geführt. Auch für eine spätere, einfache Inspektionsmöglichkeit hat man mittels integrierter Inspektionsblöcke Vorsorge getroffen. Die Inspektionsblöcke dienen außerdem als zusätzliche Entlüftungselemente und ermöglichen einen Zugang für Saugfahrzeuge. „Zweimal im Jahr sollen die Ablaufbereiche der KS-Bluebox ® -Elemente mit einem Saugfahrzeug gereinigt werden“, erläutert Michael Schmidt, Leiter Kanalbetrieb der EnergieGesellschaft Frankenberg mbH, EGF. „Damit erst gar nicht so viele im Wasser mitgeführte Teilchen, wie beispielsweise Blätter, hineingelangen, ist der Anlage ein Schacht Bild 2: Mit blauen HS ® - Kanalrohren werden die KS-Bluebox ® - Elemente miteinander verbunden. © Funke Kunststoffe GmbH Bild 3: Schneller Einbau der fertig gelieferten KS-Bluebox ® - Elemente. © Funke Kunststoffe GmbH 24 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur vorgeschaltet, der groben Dreck zurückhält.“ Nach der Pufferung in den KS-Bluebox ® -Elementen wird das Regenwasser in einen Drosselschacht geführt, von wo aus es mit 10 l/ sec kontrolliert abgegeben wird. Einfach zu handhaben Das leichte Handling der jeweils rund 2,4 t schweren KS-Bluebox ® - Elemente, die nach Absprache mit Funke termingenau geliefert wurden, hat die Tiefbauer überzeugt: „Die Boxen werden fix und fertig eingebaut. Dass sie über integrierte Halterungen für die mitgelieferten Hebegurte verfügen, erleichtert das Abladen vor Ort und die Montage ungemein“, so Bauleiter Schulze. „Auch dass die Boxen nicht mit Folie und die dickwandigen Betonrohre verwendeten die Tiefbauer das FABEKUN ® -Sattelstück; die Einbindung der braunen HS ® - Kanalrohre DN/ OD 160 in die dünnwandigen Kunststoffrohre des Schmutzwassersammlers erfolgte mit dem CONNEX-Anschluss. Beide Produkte sind mit einem integrierten Kugelgelenk ausgestattet. Es sorgt dafür, dass angeschlossene Rohre in einem Bereich von 0 ° bis 13 ° (FABEKUN ® -Sattelstück) bzw. 0 ° bis 11 ° (CONNEX-Anschluss) schwenkbar sind. „Mit den Produkten von Funke haben wir leistungsstarke, qualitativ hochwertige Lösungen gefunden, sowohl, was die zuverlässige Regenwasserbewirtschaftung anbelangt, als auch die sichere Abwasserentsorgung“, so ein Zwischenfazit von Hermann Greis und Michael Schmidt. „Die eingesetzten Systeme stellen eine hohe technische Lebenserwartung in Aussicht, was nicht nur aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus von Vorteil, sondern auch im Sinne der Nachhaltigkeit ein klarer Pluspunkt ist.“ Schon jetzt ist die Nachfrage nach den Grundstücken im neuen Baugebiet groß: Auch wenn mit der Vermarktung erst nach der fertigen Erschließung im Frühjahr/ Sommer 2022 begonnen wird, liegen der Stadt bereits zahlreiche Bewerbungen vor. Alles in allem ist das eine gute Grundlage, auf der sich gut aufbauen lässt. Funke Kunststoffe GmbH Siegenbeckstr. 15 Industriegebiet Uentrop Ost 59071 Hamm-Uentrop info@funkegruppe.de www.funkegruppe.de KONTAKT Vlies eingebaut werden müssen, ist ein enormer Zeitvorteil. Insgesamt ließ sich der Bauablauf der fertig konfektionierten Elemente sehr gut und vor allem unabhängig von der Witterung steuern.“ Entwässerung mit System Während die Regenwasserleitungen im Erschließungsgebiet mit Kanalrohren aus Beton verlegt wurden, wurden für die Erstellung der Schmutzwasserkanäle sowie für die Hausanschlussleitungen Rohre und Formteile des HS ® -Kanalrohrsystems von Funke eingesetzt. Gleiches gilt für die fachgerechte und spannungsfreie Einbindung der Hausanschlussleitungen in den Sammler. Für den Anschluss der blauen HS ® -Kanalrohre DN/ OD- 160 in Bild 4: Neben der KS-Bluebox ® werden auf der Großbaustelle HS ® -Kanalrohre in verschiedenen Nennweiten und den Farben blau und braun verlegt. © Funke Kunststoffe GmbH Bild 5: Leiter Kanalbetrieb Michael Schmidt, Bauleiter Michael Schulze, Technischer Leiter Hermann Greis und Funke-Fachberater Martin Ritting (v.r.n.l.) bei der Baubesprechung. © Funke Kunststoffe GmbH 26 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Das Thema ist längst allgegenwärtig, jeder von uns ist Teil des Problems, nicht nur Autofahrer. Auch Fußgänger oder diejenigen, die Wäsche waschen und selbst die, die nur Zähne putzen, verschlimmern die Situation. Denn Mikroplastik ist als Reibkörper in vielen Kosmetika und Zahnpasten enthalten. Es steckt in den meisten Waschmitteln, Textilien und in Schuhsohlen. Über Abwasserkanäle gelangen die Emissionen schließlich in Kläranlagen, kommen mit dem Klärschlamm teilweise auf Ackerböden. Die künstlichen Kleinstpartikel werden auch von Verkehrsflächen durch Regenwasserkanäle in Seen und Flüsse eingetragen. Manche Oberflächenentwässerungen münden allerdings über Versickerung direkt im Boden, und damit der Abrieb von Auto- und Fahrradreifen oder einfach nur der mit Mikroplastik versetzte, aus der Luft eingetragene Staub. In Städten passiert das alles gleichzeitig - weltweit. Der Furtwanger Chemie-Professor Andreas Vath ist am 22. April 2022 in Ulm in die Donau gestiegen, um die 2 700 km bis ins Schwarze Meer zu schwimmen. Auf seinen Tagesetappen entnahm er acht Wochen lang Wasserproben, veröffentlichte die Ergebnisse und hat unterwegs mit seinen Projekteilnehmern auf den unzureichenden Gewässerschutz aufmerksam gemacht. Nach deren Angaben schwemmt die Donau täglich bis zu vier Tonnen Plastik ins Schwarze Meer [1]. Fast zeitgleich Ende März 2022 wurde die Studie „Immunoplast“ von einem Forscherteam der Freien Universität Amsterdam veröffentlicht. Das Ergebnis zeigt erstmalig, dass der Mensch im Alltag Mikroplastik aus seiner Umwelt aufnimmt und dass die Mengen im Blut nachweisbar sind [2]. Mediziner befürchten, die künstlichen Substanzen könnten bis ins Gehirn vordringen. Da Mikroplastik persistent ist, kann es über verschiedene Kreisläufe mehrfach in die Umwelt gelangen und sich dort immer weiter zersetzen, anreichern, mit organischen Stoffen verbinden und in die Nahrungsketten von Flora und Fauna gelangen. Doch wo können wir wirkungsvoll eingreifen, Quellen schließen, Kreisläufe unterbrechen? Herkunft: Viel von Fahrbahnen Eine Untersuchung des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen (UMSICHT) vom Juni 2018 hat den Abrieb von Autoreifen als den größten Verursacher von freigesetztem primärem Mikroplastik identifiziert. Allein der Abrieb von LKW-, PKW-, Motorrad- und Fahrradreifen macht demnach mehr als 42 % der gesamten Mikroplastik-Emissionen in Deutschland aus [3]. Den Abrieb von Schuhsohlen, Fahrbahnmarkierungen und Asphalt hinzugerechnet, ergeben sich rund 57 %, die überwiegend auf Verkehrsflächen entstehen. Die Autoren der Studie gehen davon aus, dass sie mit den von Handlungsbedarf besteht in jeder Stadt Mikroplastik aus dem Straßenabfluss filtern Klaus W. König Aus unserer unmittelbaren Umgebung gelangen winzige Plastikpartikel ins Meer - und über die Nahrungskette zu uns zurück. Weltweit verteilt belastet Mikroplastik Luft, Boden und Wasser. Bei der Suche nach dessen Herkunft gerät Reifenabrieb in den Fokus. Und der Regenabfluss von Straßen bietet die Möglichkeit, einiges davon zurückzuhalten. Bilder 1 und 2: Reifen verlieren mit der Zeit an Substanz und setzen neben Feinstaub auch Kleinstpartikel frei. Die gelangen von der Straße in Luft, Boden und Gewässer. © Fraunhofer UMSICHT 27 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur ihnen ausgewerteten 51 Emissionsquellen nur drei Viertel der freigesetzten Menge erfasst haben. Hochgerechnet bedeutet das, dass bisher in Deutschland pro Einwohner jedes Jahr vier Kilogramm (0,004 t/ a) Mikroplastik dazukommen. Das entspricht insgesamt 330 000 t/ a, Tendenz steigend - Anlass für das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), das Verbundprojekt TyreWearMapping zu fördern, bei dem so genannte „Hotspot-Karten“ als Grundlage für künftige Maßnahmen entwickelt werden. Dr.-Ing. Ilka Gehrke, Abteilungsleiterin Photonik und Umwelt bei Fraunhofer UMSICHT in Oberhausen, möchte mit ihren Forschungspartnern ein digitales Planungs- und Entscheidungsinstrument entwickeln, das Aussagen zu Verteilung, Ausbreitung und Quantifizierung von Reifenabrieb ermöglicht. Dadurch könnten auf einer sachlichen Grundlage regulatorische Maßnahmen wie Tempolimit oder bauliche Maßnahmen, zum Beispiel Filteranlagen an Straßenabläufen, gezielt und schnell ergriffen werden. Rückhalt: Je nach Partikelgröße M. Eng. Thorsten Schmitz und Kollegen haben im Rahmen des vom Land Nordrhein-Westfalen geförderten Forschungsprojekts ReWaFil am Institut für Infrastruktur, Wasser, Ressourcen, Umwelt (IWARU) der FH Münster die Sedimentierbarkeit von Straßenkehricht untersucht [4]. Das ist von besonderem Interesse, da in Siedlungsgebieten das Mikroplastik aus dem Straßenverkehr überwiegend mit Regenabflüssen abgespült wird. Bei kombiniertem Reifen- und Straßenabrieb (engl.: tyre and road wear particle TRWP) gilt eine Dichte von 2- g/ cm³ als wahrscheinlich. Um diese zu eliminieren, ist die Sedimentation gut geeignet. In ihren weiteren Überlegungen gehen die Verfasser der IWARU-Studie allerdings von reinem Reifenabrieb (engl.: tyre wear particle TWP) aus. Während bei Mischkanalisation 95 % oder mehr Rückhalt der Partikel in der Kläranlage wissenschaftlich belegt sind, halten sie bei Trennkanalisation die vorgeschriebene Behandlung durch Sedimentation in Regenklärbecken für unzureichend. Das liege vor allem an der geringen Dichte, die Standardreifengummi mit 1,1 g/ cm³ besitze, falls er ohne Verbindung zu mineralischen Partikeln vorkommt. Entgegen den Empfehlungen in den aktuellen Regeln der Technik Als Mikroplastik und Makroplastik werden feste Objekte aus thermoplastischen, elastomeren oder duroplastischen Kunststoffen unter Standard-Bedingungen bezeichnet, die direkt oder indirekt durch menschliches Handeln in die Umwelt gelangen. In manchen Studien wird Mikroplastik der Größe nach als „kleiner-5-mm“ definiert.  Primäres Mikroplastik Typ A: Partikel und Fasern, die gezielt hergestellt werden, zum Beispiel: Reibkörper für Kosmetikprodukte  Primäres Mikroplastik Typ B: Partikel und Fasern, die erst während der Nutzungsphase eines Produktes freigesetzt werden, zum Beispiel: der Abrieb von Reifen, beim Waschen freigesetzte synthetische Fasern oder die Verwitterung von Farben  Sekundäres Mikroplastik: Partikel, die aus größeren Kunststoffteilen durch langsame Verwitterung und Fragmentierung in der Umwelt entstehen, zum Beispiel: aus Plastiktüten im Müll  Makroplastik: größere feste Objekte in der Umwelt, bestehend aus thermoplastischen, elastomeren oder duroplastischen Kunststoffen Quelle: Korrespondenz Abwasser, Gehrke et al [7] BEGRIFFSDEFINITIONEN müsse die Oberflächenbeschickung auf 2 m/ h reduziert werden, was immens große unterirdische Anlagen erfordern würde. Damit könne aber gerade einmal die Fraktion der Partikel größer 80 μm (0,08 mm), das entspricht Bild 3: Mikroplastik- Emissionen, nach einer Studie des Fraunhofer UMSICHT, Oberhausen, 2018. Mittlerweile sind die feinen Partikel weltweit im Meer, im Schnee der Antarktis, in der sonstigen Natur und in unserer Nahrungskette nachweisbar. Grafik: © Mall Bild 4: Vom Straßenrand bis ins Meer ist kein weiter Weg für die winzigen Plastikpartikel - und über die Nahrungskette zu uns zurück ebenfalls nicht. © König 28 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur nur etwa 10 % des mitgeführten Reifenabriebs, eliminiert werden. Der Aufwand stünde in keinem vertretbaren Verhältnis zum Nutzen. Für den Anteil kleiner 80 μm, also 90 % der Menge reinen Reifenabriebs, sei ein Rückhalt durch Sedimentation in Regenklärbecken nicht zu erwarten. Und für eine wirkungsvolle Flotation, das Aufschwimmen innerhalb der unterirdischen Becken, müssten die TWP-Abriebteilchen statt 1,1-g/ cm³ weniger als 1 g/ cm³ haben, also eine geringere Dichte als Wasser. Hinzu kommt, dass die TWP im Durchschnitt nur eine Größe von rund 20 μm (0,02 mm) haben. Und die kleinsten unter ihnen sind nochmals um den Faktor 10 - 20 kleiner. Bei ihrer Entstehung spielt auch die Fahrzeuggeschwindigkeit eine Rolle [5]. Schon 1974 wurde in den USA festgestellt: Je höher das gefahrene Tempo, desto kleiner die Partikel. Für die Fraktion 0 - 20- μm haben die Forscher am IWARU allerdings durch Filter Erfolge erzielt: So gelang es, mit einer durchströmten Granulat-Schüttung von 15 cm immerhin 42 % des sehr feinen Mikroplastik-Materials zurückzuhalten. Wirkungsvoll: Vermehrte Straßenreinigung Ungeachtet der erhofften Weiterentwicklung von Kunststoffen hin zu naturverträglichem Material werden in den kommenden Jahrzehnten große Anstrengungen notwendig sein, um die Hauptemissionspfade von Mikroplastik besser wahrzunehmen und die Schadstoffe möglichst nahe an ihrer Entstehung zu fassen. Das Ziel muss sein, die weitere Verbreitung in Richtung Luft, Boden und aquatische Ökosysteme zu reduzieren. Vorsorgliche Straßenreinigung in verkehrsarmen Zeiten an den Hotspot-Stellen würde einen Teil der Partikel entfernen, bevor sie verwirbelt und abgeschwemmt werden. Aus Gründen der Verkehrssicherheit geschieht das auf den Start- und Landebahnen der großen Flughäfen jede Nacht. Regulatorisch vorsorgend wären unter anderem Geschwindigkeitsbeschränkungen für Fahrzeuge, um weniger der ganz kleinen, schwer zu fassenden, Partikel entstehen zu lassen. Zur Reinigung von Straßenabflüssen wird zu prüfen sein, ob bestehende und neu zu bauende Sedimentationsanlagen um geeignete Filter [6] ergänzt werden sollten, bevor deren Abläufe in Oberflächengewässern münden. Das gilt entsprechend für Versickerungsanlagen, zum Schutz des Bodens und des Grundwassers. Und selbst wenn Kläranlagen, wie oben beschrieben, 95 % des Reifenabriebs im Klärschlamm zurückhalten, ist ihr gesamter Wirkungsgrad zum Schutz nachfolgender Gewässer nicht optimal. Außerdem, sofern der Klärschlamm auf Böden, insbesondere der Landwirtschaft, ausgebracht wird, gelangt das Mikroplastik auf ganz kurzem Weg in unsere Nahrungskette. Bleibt zu überlegen, ob zusätzlich zur Straßenentwässerung im Trennsystem die Abflüsse Richtung Mischkanal (im Zulauf solcher Kläranlagen, die noch Klärschlamm an Landwirte abgeben dürfen) mit geeigneten Filtern ausgestattet werden müssen. Filtertyp: Je nach Gewässer „Schwimmende Partikel mit geringerem Durchmesser als 100- μm (0,1 mm) oder mit einer Dichte nahe an 1 g/ cm³ kann man nicht mehr mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand durch mechanische Verfahren aus dem Regenwasser entfernen“, sagt Stephan Klemens, Entwicklungsleiter beim Hersteller Mall GmbH. „Hier ist die Filtration das wirtschaftlichere und sicherere Mittel“. Er empfiehlt das Verfahren ViaPlus für die Behandlung vor Versickerung und vor Ableitung in Oberflächengewässer. ViaPlus-Anlagen werden horizontal durchflossen und haben einen eigenen Sedimentationsraum vor dem Filter- und Adsorptionselement. Sie sind speziell auf den Rückhalt von Schwermetallen, abfiltrierbaren Stoffen und Mineralölkohlenwasserstoffen ausgelegt, sind vom Deutschen Institut für Bautechnik auf Leistung und Umweltverträglichkeit geprüft und haben eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung für die Behandlung von Regenwasserablauf von stark verschmutzten Verkehrsflächen zur unterirdischen Versickerung. Bild 5: Lamellenklärer ViaTub aus Betonfertigteilen. Mit Sammelraum für schwimmende Partikel und speziellen Einbauten, die Sedimentation und Flotation ermöglichen. Grafik: © Mall Bild 6: Substratfilter ViaPlus 800 aus Betonfertigteilen mit Funktionselementen, die vom zu reinigenden Wasser horizontal durchflossen werden. Das ermöglicht Sedimentation, Filtration und Adsorption. Grafik: © Mall 29 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Wartungsintervall: Gemäß Flächenbelastung Vorgaben durch Gesetze oder Verwaltungsvorschriften der Bundesländer für Reinigungsleistung und Wartungsintervall in Bezug auf Reifenabrieb gibt es noch nicht. Je nach spezifischer Flächenbelastung muss das richtige Intervall im Einzelfall gefunden werden. Auf Service spezialisierte Hersteller bieten neben den Behandlungsanlagen auch Inspektion und Wartung als Dienstleistung an. Die Bereiche, in denen besonders viel Reifenabrieb entsteht, sind leicht zu identifizieren: Kreisverkehre, Ampelbereiche und Beschleunigungsstreifen: Wo gebremst, angefahren und beschleunigt wird oder wo enge Radien gefahren werden, ist der Abrieb von Reifen besonders intensiv. Bei der hier zu erwartenden hohen Mikroplastik-Belastung im Abwasser empfiehlt sich eine Kombination aus den Verfahren Sedimentation, Flotation und Filtration mit den Komponenten ViaTub und ViaPlus. Parkplätze von Einkaufszentren, Speditionen, Industriearealen: Wo nicht schnell gefahren, aber rangiert wird, entstehen weniger ganz feine Partikel. Doch fallen auf diesen Flächen in verstärktem Maß Kupfer und Zink durch abtropfendes Wasser von Karosserien an. Die aktuellen technischen Regeln empfehlen in solchen Situationen eine Filtrationsstufe mit speziell dafür geeignetem Adsorptionsmaterial, zum Beispiel die Anlage ViaPlus. Zusammenfassung Mikroplastik auf Verkehrsflächen entsteht in der Hauptsache durch Abrieb von Fahrbahnen sowie von Reifen und gelangt fein verteilt in Luft, Boden und Oberflächengewässer. Das Behandeln von Straßenabflüssen, bevor das Wasser diese Schadstoffe diffus verteilt, verringert den Eintrag in die Natur. Die nötigen Verfahren sind bekannt, gesetzliche Vorgaben speziell zur wirksamen Elimination von Mikroplastik fehlen noch. Sedimentationsanlagen sind für die kanalisierte Straßenentwässerung Standard, je nach Bundesland in unterschiedlicher Ausführung. Sie können jedoch wenig des reinen Reifenabriebs TWP, falls dieser unabhängig vom Straßenabrieb in der Umwelt vorkommt, aus dem Wasser entfernen und sind deshalb als alleinige Maßnahme aus heutiger Sicht nicht zielführend. Für Partikel kleiner als 100-μm (fast der gesamte Reifenabrieb TWP), sind technische Filter erforderlich. Solche Filter mit adsorbierendem Material sind besonders wirkungsvoll, sofern zuvor eine Sedimentation mineralischer und gemischter Partikel (TRWP) stattgefunden hat. Hilfreich ist, wenn die Wartungsintervalle so rechtzeitig erfolgen, dass die Filter funktionstüchtig bleiben. Welcher Typ von Sedimentationsanlage mit welchem Typ von Filter kombiniert wird, hängt sowohl von der spezifischen Flächenbelastung am Entstehungsort der Schadstoffe, als auch von der Zumutbarkeit für Boden bzw. Gewässer, in die nach Behandlung eingeleitet wird, ab. LITERATUR [1] Andreas Fath schwimmt. Kampagne und Bildungsprogramm (2022): https: / / www.cleandanube.org/ [2] ScienceDirect: Discovery and quantification of plastic particle pollution in human blood. Vrije Universiteit Amsterdam, 2022. [3] Bertling, J., Bertling, R., Hamann, L.: Kunststoffe in der Umwelt: Mikro- und Makroplastik. Kurzfassung der Konsortialstudie. Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT (Hrsg.), Oberhausen, 2018. [4] Schmitz, T., Olbertz, N., Grüning, H.: Mikroplastik in Oberflächenabflüssen - Grenzen der Sedimentierbarkeit. In: gwf Wasser-Abwasser 2 (2020), Vulkan-Verlag, Essen. [5] Dannis, M. L.: Rubber Dust from the Normal Wear of Tires. Rubber Chemistry and Technology 47 (4) (1974), p. 1011 - 1037. DOI: 10.5254/ 1.3540458. [6] Mall-Umwelt-Info, Ausgabe 5: Aktuelle Informationen zum Umgang mit Reifenabrieb und Mikroplastik. Mall GmbH, Donaueschingen, 2019. [7] Gehrke, I., Bertling, R.: Kunststoffemissionen im Wasserkreislauf. In: Korrespondenz Abwasser, Abfall 67 Nr. 2 (2020) GFA, Hennef. Dipl.-Ing. Klaus W. König Fachjournalist und Buchautor Schwerpunkt: Veröffentlichungen über kostensparende und umweltschonende Bautechnik Kontakt: kwkoenig@koenig-regenwasser.de AUTOR Bild 7: Substratfilter ViaPlus nach „erfolgreichem Einsatz“ , allerdings ohne Wartung. Die sichtbaren zurückgehaltenen Partikel und Schwimmstoffe stammen überwiegend aus Reifenabrieb von einer stark belasteten Verkehrsfläche (Kreisverkehr). © Mall 30 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation Relais gelten als universelle und robuste Geräte, die millionenfach in der Industrie genutzt werden. Im Zuge der Digitalisierung wird diesen wichtigen Schnittstellen zwischen Steuerung und Anlage allerdings häufig kein hoher Stellenwert beigemessen. Darüber hinaus scheinen sie wenig innovativ zu sein. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass die Relais unverzichtbare Aufgaben erfüllen, beispielsweise das Anpassen sowie das galvanische Trennen und Vervielfachen von Signalen. Oft verwendet werden ebenfalls unterschiedliche Zeitsignale, die sich mit Relais realisieren lassen. Neben eigenständigen multifunktionalen Zeitrelais bietet Phoenix Contact in der Produktfamilie Rifline Complete auch einen steckbaren Zeitbaustein an, mit dem sich ein herkömmliches RIF-1-Koppelrelaismodul ganz ohne Werkzeug in wenigen Sekunden zu einem Zeitrelais umwandeln lässt. Durch den Einsatz des Zeitbausteins werden wesentliche Funktionen in den Schaltschränken der Mess- Alarm- und Warnanlagen für Naturgefahren Redundante Absicherung durch steckbare Zeitbausteine Daniel Rodemeier Die Überwachung von Messsensoren zur Erkennung und Frühwarnung vor Naturgefahren erfordert besondere Eigenschaften hinsichtlich der Ausfallsicherheit und Zuverlässigkeit. Entsprechende Schaltschränke befinden sich meist in unzugänglichen Gebieten mit extremen Witterungsbedingungen. Zudem erfolgt die Energieversorgung oftmals autark. Die Geopraevent AG setzt daher steckbare Zeitbausteine der Produktfamilie Rifline Complete von Phoenix Contact ein. Bild 1: Überwachungsanlage der Geopraevent AG am Col du Pourtalet in den Pyrenäen. © Geopraevent Bild 2: Eine frühzeitige Erkennung von Naturkatastrophen kann Menschenleben schützen © Geopraevent 31 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation systeme redundant abgesichert, um für einen einwandfreien Betrieb der Sensoren und der Messtechnologie zu sorgen. Aus diesem Grund haben sich die Verantwortlichen der in Zürich ansässigen Geopraevent AG für die steckbaren Zeitbausteine entschieden. Betrieb von mehr als 150 aktiven Messanlagen Die Geopraevent AG, die 2013 gemeinsam von Lorenz Meier und der Geotest AG gegründet wurde, gehört seit dem 1. Januar 2020 zu Hexagon AB. Bei dem schwedischen Messtechnik- und Softwarekonzern handelt es sich um einen globalen Marktführer im Bereich Sensoren, Software und autonome Lösungen. In diesem Kontext entwickelt, installiert und betreibt Geopraevent hochwertige Alarm- und Warnanlagen für Naturgefahren. Darunter sind Felsstürze, Murgänge, Flutwellen, Hochwasser, Eis- und Schneelawinen sowie Gletscherseen zu verstehen, welche die Verkehrsachsen sowie besiedelte oder touristisch genutzte Gebiete bedrohen. In diesem Umfeld werden meist elektronische Überwachungsanlagen ergänzend zu oder anstelle von baulichen Maßnahmen verwendet - bei häufig niedrigeren Kosten und geringeren Eingriffen in die Natur. Außerdem lassen sich elektronische Lösungen schnell montieren, flexibel einsetzen und jederzeit an neue Anforderungen anpassen. Geopraevent fokussiert sich hier auf kundenspezifische Lösungen. Entsprechende Hard- und Softwareentwicklungen sowie Adaptionen werden im eigenen Unternehmen durchgeführt, sodass sich Projekte standortspezifisch und kurzfristig umsetzen lassen (Bild 2). Seit 2013 sind 250 Projekte realisiert worden. Derzeit betreibt der Überwachungsspezialist mehr als 150 aktive Messanlagen, viele davon im hochalpinen Gelände. Die Anlagen sind kontinuierlich mit den eigenen Servern verbunden, welche die korrekte Funktion kontrollieren und stets aktuelle Messdaten auf einem Online-Datenportal zur Verfügung stellen. Die Sensoren können die verschiedenen Naturgefahren erkennen, Algorithmen werten ihre Daten aus und visualisieren sie dann auf dem Portal. Bei einem Ereignis findet die Alarmierung automatisch statt. Die betroffenen Personen werden informiert sowie die jeweiligen Straßen und Eisenbahnlinien innerhalb von Sekunden gesperrt. Parallele Abschaltung der Spannung Damit eine einwandfreie Funktion der Überwachungssysteme sichergestellt ist, sind einige Herausforderungen zu meistern. Eine Schwierigkeit ergibt sich aus der Kommunikation zwischen der Überwachungsanlage und den Servern. Aufgrund der extremen und unzugänglichen Einsatzgebiete sind die Systeme in einigen Fällen nur per Mobilfunk-Router erreichbar. Die Alarmierung erfolgt immer vor Ort und über eigens dafür vorgesehene Kommunikationskanäle. Kommt es beim Betrieb des Routers zu Störungen oder einem Verbindungsausfall, Die Produktfamilie Rifline Complete ist Bestandteil von Complete line. Dabei handelt es sich um ein System aus technologisch führenden, aufeinander abgestimmten Hard- und Softwareprodukten, Dienstleistungen und Systemlösungen für die Optimierung der Prozesse im Schaltschrankbau. Zum Complete line-Portfolio gehören unter anderem Steuerungen und I/ O-Systeme, Stromversorgungen und Geräteschutzschalter, Reihenklemmen und Verteilerblöcke, Relaismodule und Motorstarter, Trennverstärker, funktionale Sicherheitstechnik, Überspannungsschutz sowie schwere Steckverbinder. Complete line zeichnet sich durch folgende Eigenschaften aus:  intuitive Handhabung durch einheitliches Design, Haptik und Funktion  weniger Zeitbedarf während des gesamten Engineering-Prozesses aufgrund einer durchgängigen Software-Unterstützung  reduzierte Lagerkosten durch standardisiertes Zubehör und geringe Teilevielfalt  verbesserte Prozesse im Schaltschrankbau aufgrund individueller Serviceleistungen und innovativer Fertigungslösungen. UMFASSENDES PORTFOLIO FÜR DEN SCHALTSCHRANKBAU Bild 3: Schaltschrank mit drei Rifline-Koppelrelaismodulen auf der mittleren Hutschiene, davon zwei mit Zeitbausteinen. © Geopraevent 32 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation ist es oftmals unmöglich, die korrekte Funktion des Geräts durch ein Zurücksetzen wiederherzustellen. Muss der Router nun in seine Ausgangslage überführt werden, wird dies durch eine Kleinsteuerung detektiert, die die Versorgungsspannung des Routers deaktiviert. Gelingt es der Kleinsteuerung nicht, den Router zurückzusetzen, schaltet ein auf ein RIF-1- Koppelrelaismodul gesteckter Zeitbaustein die Spannung parallel ab. Auf diese Weise wird eine Redundanz umgesetzt, die den Router auf zwei unterschiedliche Arten zurücksetzen kann. Wie bereits erwähnt, erweitert das multifunktionale, steckbare Zeitmodul das Relaismodul zu einem Zeitrelais. Das Zeitmodul lässt sich auf die Relaissockel in den Ausprägungen RIF-1 bis RIF-4 aufstecken. Über einen DIP-Schalter wählt der Nutzer aus drei Zeitfunktionen (einschaltverzögert, einschaltwischend, Taktgeber) sowie vier Zeitbereichen aus. Die zeitliche Feineinstellung erfolgt über ein Potentiometer. Betrieben werden können die Relais mit einer Eingangsspannung von 12 respektive 24 V AC/ DC. Konstante Beheizung des Schaltschranks Eine weitere wichtige Aufgabe, bei welcher der Zeitbaustein genutzt wird, besteht in der durch die extremen Temperaturen erforderlichen Schaltschrankbeheizung. Auch hier regelt eine Steuerung den Heizbetrieb. Wegen des Schaltens der Intervalle Ein/ Aus hält sich die Temperatur im Schrank auf einem konstanten Niveau. Lässt sich die Heizung im Fehlerfall nicht durch die Steuerung deaktivieren, übernimmt das parallel geschaltete RIF-1- Koppelrelais mit integriertem Zeitbaustein diese Funktion und schützt die Anlage folglich vor einer Überhitzung und der damit einhergehenden Fehlfunktion. Das spart eine aufwendige und zeitintensive Instandhaltungsmaßnahme und sorgt für einen reibungslosen Betrieb des Überwachungssystems (Bild 3). Die genannten Relaismodule bieten selbstverständlich die typischen Merkmale der Produktfamilie Rifline. Sie sind beispielsweise sowohl mit dem bewährten Schraubanschluss als auch mit der Push-in-Schnellanschlusstechnik erhältlich. Die Push-in-Technologie erlaubt das werkzeuglose Stecken massiver und flexibler Leiter mit Aderendhülse - und das schon ab einem Anschlussquerschnitt von 0,14- Quadratmillimeter. Ferner trägt das steckbare Brückensystem zur Reduzierung von Kosten bei. Im Vergleich zu konventionellen Drahtbrücken sinkt der Verdrahtungsaufwand deutlich und ermöglicht somit eine einfache und effiziente Potentialverteilung. Durch die steckbaren Module lässt sich das jeweilige System problemlos und schnell erweitern, etwa um eine Zeitfunktion. Die Realisierung einer Schutzbeschaltung ist ebenfalls denkbar. Vielfältige Anwendungsbereiche Die aufgeführten Aspekte haben die Verantwortlichen der Geopraevent AG davon überzeugt, die Produktfamilie Rifline Complete in ihren Überwachungssystemen zu verwenden. Rifline Complete findet zudem in vielen weiteren industriellen Bereichen Anwendung (Bild 4). Mehr Informationen: https: / / www.phoenixcontact.com/ de-de/ produkte/ relais-und-optokoppler AUTOR Daniel Rodemeier Produktmanager im Produktmarketing Interface Components Phoenix Contact Electronics GmbH Kontakt: info@phoenixcontact.de Bild 4: Die Diagnose und Auswertung von Daten zeigen den Wandel des Klimas und die Veränderung der Umwelt. © Geopraevent 33 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation In netzgebundenen Versorgungssystemen muss gewährleistet sein, dass der Kundennachfrage jederzeit ein ausreichend großes Angebot zum Beispiel an Strom oder Wasser gegenübersteht. Die technische Infrastruktur muss auf die Zeit der größten Nachfrage, die Spitzenlast, ausgelegt sein, auch wenn diese nur selten benötigt wird. Lastspitzen sind deshalb teuer für die Versorgung. Doch Investitionen auf der Angebotsseite, beispielsweise der Ausbau von Netzkapazitäten, sind nicht der einzige Weg, um Spitzenlasten bewältigen zu können. Auch mit Maßnahmen der Flexibilisierung können Angebot und Nachfrage von Strom oder Wasser besser in Einklang gebracht werden. Dies kann durch Maßnahmen des Lastmanagements erfolgen, das zum Ziel hat, Teile der Nachfrage zeitlich von den Spitzenlastzeiten auf andere Tageszeiten zu verschieben. Oder durch viele kleine, nachfragenahe Speicher, die in Zeiten geringer Last gefüllt und während der Spitzenlastzeiten geleert werden. Erschwerte Rahmenbedingungen Die Rahmenbedingungen und damit die Ansprüche an Versorgungsunternehmen ändern sich derzeit rasant: Immer häufigere und intensivere Extremwetterereignisse aufgrund des fortschreitenden Klimawandels verstärken die Spitzenbedarfe bei Energie und Wasser. Zur Senkung des klimaschädlichen CO 2 -Ausstoßes will Deutschland im Rahmen der Energiewende bis 2030 mindestens 80 % des Bruttostroms aus erneuerbaren Energien gewinnen; bis 2035 soll die Stromerzeugung nahezu treibhausgasneutral sein. Hierzu müssen Kohle- und Gaskraftwerke durch Stromerzeuger auf Basis von Erneuerbaren, insbesondere Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen ersetzt werden. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die Möglichkeit eines Energieembargos machen den raschen Ausstieg aus den fossilen Energieträgern noch dringlicher. Das fluktuierende Dargebot von Wind und Sonneneinstrahlung, welches nur mit wenigen Tagen Vorlauf grob prognostiziert werden kann, macht Maßnahmen der Flexibilisierung im Strombereich unvermeidlich: Den Ausbau der Stromnetze, zusätzliche Speicherkapazitäten sowie Maßnahmen des Lastmanagements auf der Nachfrageseite. Bei der Trinkwasserversorgung liegt die Herausforderung des Klimawandels in den sich häufenden Extremwetterereignissen: Lange Perioden von Trockenheit oder Hitze können punktuell zu extremen Lastspitzen im Wasserverbrauch führen, welche über die technischen Kapazitäten hinausgehen können. Forschungsvorhaben FLEXITILITY Das Vorhaben FLEXITILITY 1 widmet sich seit 2019 der Frage, mit welchen Maßnahmen der Flexibilisierung Versorger auf die 1 Das Konsortium von Flexitility vereint unter der Leitung der inter 3 GmbH fünf Forschungseinrichtungen sowie mehrere Praxispartner aus der Region Anhalt und Elbe-Elster. Weitere Details siehe www.flexitility.de Verbraucher als Partner denken Die vergessene Ressource bei der Flexibilisierung der Versorgungssysteme Flexibilisierung, Energieversorgung, Wasserversorgung, Klimawandel, Klimaanpassung, Tarife Laurenz Hermann, Nadine Walikewitz, Axel Dierich, Shahrooz Mohajeri, Jörg Walther Klimawandel, Wetterextreme und die Ukrainekrise stellen Energie- und Wasserversorger vor große Herausforderungen: Die sicher geglaubte Versorgungssicherheit steht plötzlich in Frage. Über den Zubau erneuerbarer Energien sowie neue Lieferketten für Öl und Gas findet auf der Angebotsseite eine kostenintensive Transformation statt. Dabei werden Potenziale nachfrageseitiger Flexibilisierung für die Stabilisierung der Versorgung übersehen. Und dass die Verbraucher und Kunden hierbei Partner der Versorger sein können. Das Forschungsprojekt FLEXITILITY liefert hierzu neue Erkenntnisse. © Gerd Altmann auf Pixabay 34 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation Herausforderungen des Klimawandels und der Extremwetterereignisse reagieren können. Ein interdisziplinäres Projektkonsortium untersucht hierbei technische Lösungen, Geschäftsmodelle, sowie die Rolle der Nachfrageseite. Eine der Forschungsfragen von FLEXITI- LITY war, inwieweit Privathaushalte bei Extremwetterereignissen durch Verschiebung ihrer Nutzungszeiten von Trinkwasser und Strom zu einer Flexibilisierung und damit Stabilisierung der Versorgung beitragen können. Im Rahmen eines Reallabors mit rund 1 000 Teilnehmenden 2 wurden 2020 und 2021 mehrere Befragungen auch im Rahmen 2 Die Teilnehmenden wurden über einen Aufruf im Newsletter der co2online gGmbH gewonnen. Aufgrund des thematischen Fokus des Newsletters auf Klimaschutz und Gebäudesanierung ist ein Bias bei den Einstellungen der Lesenden für die Themen Umwelt- und Klimaschutz möglich. von Szenarien umgesetzt. Untersucht wurden unter anderem die Akzeptanz von Informationsmaßnahmen, von zeitvariablen Tarifen oder von externer Steuerung wichtiger Verbraucher durch die Versorger. Die Befragungsergebnisse belegen eine grundsätzlich hohe Bereitschaft der Haushalte, in Extremwettersituationen ihr Verhalten anzupassen, wenn sie vom Versorger darum gebeten oder dabei unterstützt werden: Bei der Teilgruppe der Haus- und Wohnungseigentümer waren 97 % der Befragten zu einer Verhaltensanpassung bereit (Bild 1). Um den Haushalten einen stärkeren Anreiz zu geben, ihr Verbrauchsverhalten anzupassen, sind zeitvariable Tarife eine interessante Option: Der Preis von Wasser oder Strom ist im Tagesverlauf gestaffelt, teurer wird er zu Spitzenlastzeiten, günstiger in den Nebenzeiten 3 . In einem Szenario mit zeitvariablem Wassertarif bejahten 88 % der Haushalte die Frage, ob sie Teile ihres Trinkwasserverbrauchs in die Zeit zwischen 21 und 6 Uhr verschieben würden, wenn der Wasserpreis zu diesen Zeiten dauerhaft 20 % (also etwa 20 bis 40 ct/ m 3 ) günstiger wäre. Doch nicht alle Wassernutzungen lassen sich gleich gut verschieben. Beim Geschirrspülen ist die Bereitschaft für Verschiebungen 4 mit 52 % am geringsten, beim Duschen (62 %), Wäschewaschen (65 %), Baden (67 %) und bei der Gartenbewässerung (76 %) ist sie höher. Damit Wasch- und Spülmaschine nicht während der Spitzenverbrauchszeiten eingeschaltet werden, könnte der Wasserversorger künftig geeignete, also smarte Geräte innerhalb eines vorab definierten Zeitraums ferngesteuert einschalten, nachdem der Haushalt zuvor den Startknopf betätigt hat. Doch diese Art des externen Zugriffs begegnet noch erheblicher Skepsis: Nur etwa 20 % der Befragten wären hierzu bereit, die meisten davon nur dann, wenn auch Kosten gespart werden können. Weitaus mehr Akzeptanz finden Ansätze, die auf Information setzen und die Autonomie der Haushalte nicht einschränken. So würden Aufkleber an wichtigen Trink wasser-Verbrauchsstellen über 50 % der Befragten dazu motivieren, ihre Entnahmezeiten freiwillig zu verschieben - unabhängig von der Wettersituation oder finanziellen Anreizen (Bild-2). 3 Die Flexibilisierung der Stromnutzung privater Haushalte wird mit dem Rollout intelligenter Zähler (SmartMeter) technisch ermöglicht. In einem Pilotprojekt der Stadtwerke Norderstedt wurden mit etwa 1 000 Testhaushalten zeitvariable Stromtarife über mehrere Jahre entwickelt und getestet (https: / / www. stadtwerke-norderstedt.de/ privatkundinnen/ strom/ windkraft-foerdern). 4 Bereitschaft, die Nutzungen entweder zu 100 % oder zu 75 % zu verschieben. 0% 53% 4% 24% 12% 4% 6% 10% 30% 22% 34% 32% 19% 32% 11% 6% 6% 6% 37% 26% 26% 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% Nutzen Sie so oft und viel Regenwasser aus Ihrer Regentonne wie möglich. Das spart Kosten und ist besser für die Pflanzen. Um Ihr Gerät oder die Bewässerungsautomatik während des günstigen Nachttarifs zu starten, nutzen Sie einfach die Programmierfunktion. Zwischen 16 Uhr und 21 Uhr ist der Wasser-/ Strombedarf besonders hoch. Versuchen Sie, verschiebbare Nutzungen auf andere Zeiträume zu verlagern. Wäsche waschen / Garten bewässern / … möglichst nicht zwischen 16 und 21 Uhr Große Wirkung Kleine Wirkung Kleine Wirkung Ich weiß nicht Würde mich stören Welche Wirkung hätten Aufkleber mit Hinweisen, die auf Ihren Geräten bzw. an Ihren Verbrauchsstellen angebracht sind oder die Sie selbst anbringen können? Nutzen Sie so oft und viel Regenwasser aus Ihrer Regentonne wie möglich. Das spart Kosten und ist besser für die Pflanzen. Um Ihr Gerät oder die Bewässerungsautomatik während des günstigen Nachttarifs zu starten, nutzen Sie einfach die Programmierfunktion. Zwischen 16 Uhr und 21 Uhr ist der Wasser-/ Strombedarf besonders hoch. Versuchen Sie, verschiebbare Nutzungen auf andere Zeiträume zu verlagern. Wäsche waschen / Garten bewässern / … möglichst nicht zwischen 16 und 21 Uhr Bild 2: Wirkung von Aufklebern mit Hinweisen zur Verschiebung von Trinkwasser- Nutzungszeiten. © Flexitility 69.9% 18.7% 8.7% 2.7% Wären Sie grundsätzlich dazu bereit, Ihr Verbrauchsverhalten über einen begrenzten Zeitraum hinweg (zum Beispiel über mehrere Stunden oder Tage) zu ändern, wenn Sie dazu aufgefordert würden? Ja, ich wäre bereit meine Nutzungszeiten zu ändern und meinen Verbrauch zu reduzieren. Ja, ich wäre bereit meine Nutzungszeiten zu ändern. Ja, ich wäre bereit meinen Verbrauch zu reduzieren. Nein. Bild 1: Bereitschaft zur temporären Anpassung des Nutzungsverhaltens von Haus- und Wohnungseigentümern bei Strom und Wasser. © Flexitility 35 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation Shahrooz Mohajeri Geschäftsführer inter 3 GmbH Institut für Ressourcenmanagement mohajeri@inter3.de Jörg Walther Wissenschaftlicher Mitarbeiter Brandenburgische Technische Universität (BTU) walther@b-tu.de Laurenz Hermann Senior Berater Research co2online gGmbH laurenz.hermann@co2online.de Nadine Walikewitz Projektmanagerin Research co2online gGmbH nadine.walikewitz@co2online.de Axel Dierich Wissenschaftlicher Mitarbeiter inter 3 GmbH Institut für Ressourcenmanagement dierich@inter3.de AUTOR*INNEN Als wirkungsvolle Maßnahme gegen die Folgen von Starkregenereignissen haben Sie das Wasser mit diesem funktionalen Systemaufbau als kontrolliertem Zwischenspeicher komfortabel im Griff. www.zinco.de/ systeme/ retentions-gruendach Regenwasserbremse für die Kanalisationsnetze in unseren Städten! Wasserrückhalt via Retentions-Gründach! Tel: 07022 9060-600 Halle 3A Stand 131 Bewertung und Ausblick Der Klimawandel ist in Deutschland nicht nur in Daten nachweisbar, sondern inzwischen auch spürbar. Die Schaffung und Vorhaltung der Bewältigungskapazität für Zeiten höchster Infrastrukturanforderungen während extremer Wetterlagen ist eine Notwendigkeit, die auf alle Versorger zukommt und hohe Kosten verursacht. Verstärktes Lastmanagement kann hierbei im Vergleich zum teuren Ausbau der technischen Infrastruktur die wirtschaftlichere Alternative sein. Die Bereitschaft der Kundenseite, hierbei durch Verhaltensanpassungen mitzuwirken, ist vorhanden und sollte bei der Erarbeitung von Anpassungsstrategien als Option mit betrachtet werden. Schon mit kostengünstigen Informations- und Kommunik ationsmaßnahmen kann ein relevanter Beitrag zur Senkung von Lastspitzen erwartet werden. Auch die Einführung zeitvariabler Wassertarife würde seitens der Kunden überwiegend positiv aufgenommen. Lediglich die teilautomatisierte Laststeuerung mittels fernschaltbarer Haushaltsgeräte müsste zuvor mit umfangreicher Aufklärungsarbeit vorbereitet werden, da hierzu aktuell die Vorbehalte der Haushalte noch groß sind. Die Ergebnisse der Haushaltsbefragungen werden 2022 im Rahmen des Projektabschlusses weiter analysiert, mit Praxispartnern diskutiert und anschließend im Schlussbericht von FLEXITI- LITY veröffentlicht. Die Erkenntnisse und Empfehlungen, welche auch weitere Aspekte der Flexibilisierung wie technische Lösungen oder Geschäftsmodelle umfassen werden, gilt es anschließend im Rahmen von Pilotprojekten in der Praxis zu testen. 36 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation Die absehbaren Folgen des Klimawandels Schon heute lebt etwa die Hälfte der Weltbevölkerung in Regionen, die zukünftig stark von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sein werden. Das geht aus dem aktuellen IPCC-Bericht hervor. Selbst dann, wenn sich die Erderwärmung auf 1,5 °C beschränken ließe, wovon wir nach aktuellem Stand weit entfernt sind, wird die Anzahl und die Intensität der Wetterextreme deutlich zunehmen. Leidtragende sind vor allem ältere Menschen und Kinder, da sie im Vergleich zu gesunden Erwachsenen physiologisch schwächer und damit anfälliger für die Folgen des Klimawandels sind. Diese zeigen sich beispielsweise in vermehrten Starkregenereignissen, wie sie im Sommer 2021 nicht nur in Teilen Deutschlands, sondern auch in Belgien, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz zu heftigen Überschwemmungen führte. Wie groß die wachsende Gefahr tatsächlich ist, belegt eine Karte des Umweltbundesamtes: Für die Region um die Städte Remscheid, Solingen und Wuppertal wird darin prognostiziert, dass sich die Anzahl der Starkregentage um 54 % steigern wird. Im Erzgebirge sollen solche Tage in naher Zukunft sogar um knapp 64 % zunehmen. Doch auch steigende Temperaturen können die Lebensqualität der Menschen mehr und mehr gefährden. Laut Umweltbundesamt wird sich die Jahresmitteltemperatur in großen Teilen Deutschlands um etwa 2 °C erhöhen. Hitzetage, an denen die Lufttemperatur mehr als 30 °C beträgt, häufen sich - in Regionen, wie rund um Berlin, steigert sich die Anzahl solcher Tage sogar Zürich wird mithilfe eines Digital Twin schon heute zur Stadt der Zukunft Thomas Koblet Überall auf der Welt stehen Städte vor zahlreichen Herausforderungen: Bezahlbarer Wohnraum ist knapp und die Folgen des Klimawandels, die sich in Überschwemmungen oder Hitzestaus zeigen können, kommen erschwerend hinzu. Städteplaner*innen, Architekt*innen und Gemeinden stehen deshalb vor der gemeinsamen Aufgabe, Lösungen zu finden, die den sich wandelnden Anforderungen gerecht werden, um so die Lebensqualität vor Ort auch in Zukunft aufrechterhalten zu können. Moderne Technologien sind aus dieser Gleichung nicht mehr wegzudenken - und der sogenannte Digital Twin ist eine davon. Für Zürich wurde bereits ein solches Abbild der Stadt erstellt, das dabei hilft, lebenswerte Nachbarschaften zu bewahren und neuzugestalten. Bild 1: Zürich. © Toshiharu Watanabe auf Pixabay 37 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation um mehr als 70 %. Solche Hitze verbunden mit lang anhaltenden Dürreperioden lässt landwirtschaftliche Betriebe vielerorts um ihre Ernten bangen und - im schlimmsten Fall - könnten sogar Supermarktregale leer bleiben. Hitzestaus, die entstehen, wenn sich warme Luftmassen kaum bewegen, bergen auch gesundheitliche Risiken, die je nach Intensität zu erhöhten Mortalitätsraten führen können. Ein internationales Team aus Mediziner*innen und Umweltforscher*innen hat erstmals untersucht, wie groß der Anteil des Klimawandels hierbei wirklich ist. Das Ergebnis ihrer Studie: Im Schnitt 37 % der Hitzetoten in den jeweils vier wärmsten Monaten des Jahres waren auf die Folgen des sich ändernden Klimas zurückzuführen. Städte stehen vor vielen Herausforderungen Städte und Gemeinden spielen eine zentrale Rolle, was das Leben mit den Auswirkungen des Klimawandels betrifft - und sie tragen eine große Verantwortung. Denn sie verursachen nicht nur einen Großteil der Emissionen, durch die der Treibhauseffekt überhaupt erst zustande gekommen ist. Nun besteht die Aufgabe darin, die urbanen Infrastrukturen so anzupassen, dass Städte auch in Zukunft lebenswert bleiben. Damit das gelingen kann, sind mehrere Faktoren einzukalkulieren: Einerseits ziehen immer mehr Menschen vom Land in die Stadt. Dort wünschen sie sich begrünte Wohnanlagen, Bildungseinrichtungen und Gastronomie sowie Arbeits- und Freizeitmöglichkeiten, die dank einer durchdachten Infrastruktur für alle gut erreichbar sind. Die Realität sieht allerdings oft weniger rosig aus: Der verfügbare Wohnraum ist schon heute knapp und deshalb teuer. Wie groß die Diskrepanz ist, zeigt sich am Beispiel Münchens: Hier gibt es zwar viele Neubauprojekte, der aufgerufene Quadratmeterpreis kann allerdings schnell mehr als 20 oder sogar 30 Euro betragen - Kosten, die für Normalverdiener*innen kaum zu bewältigen sind. Bis 2040 erwartet die Stadt einen Zuzug um weitere 16 %, wodurch die Einwohner*innenzahl auf 1,8- Mio. ansteigen wird. Aber: Experten gehen davon aus, dass die Entwicklung in den einzelnen Bezirken sehr unterschiedlich ausfallen wird. Während in Freiham ein völlig neuer Stadtteil entsteht, der einen Zuzug um bis zu 90 % erleben wird, könnte es in der Innenstadt sogar zu einem Rückgang kommen. Diese ungleiche Verteilung, die auch in anderen Städten der Fall ist, muss unbedingt berücksichtigt werden, wenn es um die Planung neuer und vor allem bezahlbarer Wohnprojekte geht. Nur so lässt sich sicherstellen, dass Gelder dort investiert werden, wo sie auch wirklich auf die entsprechende Nachfrage stoßen. Andererseits müssen auch die bereits genannten Risiken, die aus dem Klimawandel resultieren und sich mit der Zeit ändern oder verschlimmern können, unbedingt bedacht werden. Geodaten bilden hierbei die Dimension, auf die es letztendlich ankommt. Ihre Bandbreite reicht von Adressinformationen bis hin zu Satelliten- und Wetterdaten, wobei sich auch Ebenen mit Daten zu Bodenbeschaffenheit oder Sonneneinstrahlung miteinbeziehen lassen. Für Städteplaner*innen und Architekt*innen führt kein Weg daran vorbei, diese Fülle an Bild 2: In der interaktiven Webkarte Zürich 4D lassen sich Hochbauprojekte, Gestaltungspläne oder abgeschlossene Architekturwettbewerbe visualisieren. Alle Daten werden regelmässig aktualisiert. © Stadt Zürich (Screenshot, Zürich 4D) 38 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation Informationen in einen größeren Kontext zu setzen. Denn nur dann, wenn alle wichtigen Daten in Beziehung gebracht werden, besteht die Chance, sowohl Risiken als auch bisher ungenutzte Potenziale erkennen zu können, die ansonsten im Verborgenen bleiben würden - Location Intelligence ist das, was für die Städte der Zukunft zählt. Die gute Nachricht ist: Weltweit geben Städte und Gemeinden bereits etwa 700-Billionen US-Dollar für Smart- City-Projekte aus - Schätzungen zufolge sollen die Investitionen bis 2025 auf stolze 1,2- Trillionen US-Dollar ansteigen. Dadurch ließe sich im Ernstfall schneller reagieren und möglicherweise auch der CO 2 -Ausstoß deutlich senken. Mit einem Digital Twin zur Stadt der Zukunft Auch die Stadt Zürich kämpft mit den Herausforderungen, mit denen sich Planer*innen überall auf der Welt konfrontiert sehen. Bis 2040 wird hier sogar mit einem Bevölkerungszuwachs von 25 % gerechnet, was die aktuelle Einwohner*innenzahl auf bis zu 520 000 ansteigen lassen könnte. Um dieser enormen Entwicklung gerecht zu werden, hat man sich in Zürich dazu entschieden, eine qualitativ hochwertige Verdichtung nach innen voranzutreiben - allerdings unter der Voraussetzung, Fauna und Flora ausreichend zu berücksichtigen, um so die Lebensqualität aller Lebewesen zu erhalten. Zur Umsetzung von der Theorie in die Praxis wurde mit „Zürich 4D“ ein digitales Abbild der Stadt geschaffen - ein sogenannter Digital Twin. Er dient als zentrales Planungs- und Kommunikationsinstrument, das dabei hilft, alle wichtigen Informationsebenen zu berücksichtigen und so den verfügbaren Raum bestmöglich auszunutzen. Doch was ist ein Digital Twin überhaupt? Ein Digital Twin ist eine virtuelle Repräsentation der realen Welt. Er kann physische Objekte wie Häuser, Bäume oder Stromtrassen abbilden, ebenso aber auch Prozesse, Beziehungen und Verhaltensweisen. Bei „Zürich 4D“ handelt es sich um ein virtuelles Modell der Stadt, das dazu genutzt werden kann, Momentaufnahmen bestimmter Zustände zu analysieren - zum Beispiel um die Frage zu beantworten, wie viel Fläche ein unbebautes Gebiet umfasst - oder aber, um Prozesse zu überwachen und zu modellieren. Ein Digital Twin kann also den aktuellen Stand innerhalb einer Stadt abbilden, hilft aber genauso dabei, einen Blick in die Vergangenheit oder in die Zukunft zu werfen. Dadurch lässt sich nicht nur der Verkehrsfluss prognostizieren, wenn zum Beispiel eine Brücke zur Sanierung gesperrt werden muss. Auch der Verlauf der Wassermassen, sollte es zu einem Starkregenereignis kommen, oder die Temperaturentwicklung auf einem großen Platz, können auf diese Weise prognostiziert werden. Ein Digital Twin bietet für Städteplaner*innen und Architekt*innen somit ungemein wertvolle Einblicke. Diese können sie direkt in ihre Projekte einbeziehen, um passende Gegenmaßnahmen einzuleiten. Digital Twin in der Praxis Bei der Entwicklung der Stadt Zürich werden mehrere Ziele zur selben Zeit verfolgt: Es soll zwar Neues geschaffen, aber auch bestehende Nachbarschaften sollen bewahrt werden. Anstatt die Fläche immer weiter auszudehnen und hier neue Areale zu bauen, setzen die Planer*innen auf eine polyzentrische Verdichtung nach innen - und das bei bestenfalls sogar zunehmender Lebensqualität. Um diese zu gewährleisten, sollen auf einer Gesamtfläche von etwa 40 Hektar neue Grünflächen entstehen. Geplant sind weitere 26 Hektar für Sport- und 17 Hektar für neue Schulanlagen. Doch wie lässt sich das mit den Bedürfnissen weiterer Interessengruppen in Einklang bringen? Wie kann beispielsweise die Umwelt geschont, Lärm und Luftverschmutzung reduziert und gleichzeitig für eine bessere Mobilität gesorgt werden? Um all das zu gewährleisten, braucht es einen mehrdimensionalen Blick - und genau hier kommt „Zürich 4D“, also der digitale Zwilling der Stadt, ins Spiel. Er kombiniert Daten über den physischen und den sozialen Raum und fasst beides in einem virtuellen Modell zusammen. Ein wichtiger Punkt hinsichtlich des Digital Twin ist die Zugänglichkeit. Hierfür hat die Stadt Zürich das bereits bestehende Geoportal völlig neu strukturiert, sodass alle Planer*innen und Archtiekt*innen, aber auch Bürger*innen die Chance haben, auf einen Großteil der Daten zuzugreifen. Frei verfügbar ist unter anderem ein Modell, das etwa 50 000 Gebäude in 3D- Ansicht umfasst und einen Rückblick bis ins Jahr 2011 gewährt. Ist ein neues Wohnprojekt geplant, lassen sich mithilfe dieses Modells beispielsweise die Höhe der benachbarten Häuser oder die Sonneneinstrahlung messen, um Parkanlagen oder Flächen für Restaurants entsprechend auszuweisen - und zwar, ganz ohne selbst den Maßstab anlegen zu müssen. Auch Dinge, die auf den ersten Blick nicht sichtbar sind, wie zum Beispiel unterirdische Garagen, die Kanalisation oder andere Versorgungsleitungen, können auf diese Weise sichtbar gemacht werden. Das funktioniert sowohl bequem aus dem 39 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation Büro als auch vor Ort mithilfe einer VR-Brille, wobei mit jedem Endgerät weitere Layer flexibel hinzugefügt oder entfernt werden können. Gerade dann, wenn es ums Anlegen neuer Parks oder Gehwege geht, spielt das Wissen darüber, was sich unter der Oberfläche befindet, eine entscheidende Rolle. Eine gewisse Menge an Bäumen, Hecken und Pflanzen ist essenziell - nicht nur, weil sie das ansonsten graue Stadtbild aufwerten, sondern auch, weil sie die Stadt nachweislich herunterkühlen. Einerseits spenden sie Schatten. Andererseits zieht das Wasser, das sie verdunsten, einen Kühlungseffekt nach sich. Wissenschaftler*innen unter anderem der Universität ETH Zürich haben herausgefunden, dass die Oberflächentemperatur von mit Bäumen bewachsenen Flächen in Mitteleuropa 8 °C bis 12 °C kühler ist. Doch auch Wiesen sind wichtig: Zwar ist ihr Kühlungseffekt geringer, allerdings sind sie notwendig, damit die Luft besser zirkulieren kann - und, kommt es zu starken Regenfällen, wirken sie wie ein Schwamm und nehmen Wasser auf, während dies auf kargem Betonboden zu Überschwemmungen führen würde. Geodaten für eine bessere Zukunft Fest steht, dass zukünftig nahezu jedes Kind auf der Welt den Folgen mindestens einer größeren Umwelt- oder Klimakatastrophe ausgesetzt sein wird. Das geht aus dem Children‘s Climate Risk Index hervor, der von UNICEF herausgegeben wird. Damit dies in Städten nicht zu lebensbedrohlichen Gefahren wird, gilt es nun, sich der neuen Realität anzupassen und sich sowohl für den vermehrten Zuzug als auch für drohende Starkregenereignisse und Hitzeperioden zu wappnen. Auf manuelle Weise alle wichtigen Dimensionen im Überblick zu behalten, ist nahezu unmöglich, deshalb bildet ein Digital Twin für Planer*innen und Architekt*innen das ideale Steigende Meeresspiegel versalzen in Bangladesch die Böden. Landwirtschaft wird nahezu unmöglich. brot-fuer-die-welt.de/ klima Ein Haus am Meer. Der Albtraum bengalischer Bauern. Werkzeug. Da sich mithilfe eines solchen digitalen Abbildes auch mögliche Szenarien durchplanen lassen, um bereits im Vorfeld zu überprüfen, welche Auswirkungen beispielsweise eine neue Parkanlage auf das Klima einer Nachbarschaft hätte, können etwaige Schwachstellen frühzeitig erkannt werden. So lassen sich die verfügbaren Flächen und finanziellen Ressourcen bestmöglich einsetzen, um eine lebenswerte und vor allem zukunftsfähige Stadt zu planen und umzusetzen. Zürich ist dafür das beste Beispiel. Thomas Koblet Head of Smart Solutions Esri Kontakt: info@esri.de AUTOR 40 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Bild 1: Schwammstadt- Maßnahmen im Rahmen der Zukunftsinitiative Klima.Werk. © Emschergenossenchaft) Klimawandelfolgenanpassung in der Zukunftsinitiative Klima.Werk Betrachtungsräume für eine klimaresiliente Region mit internationaler Strahlkraft Klimawandelfolgenanpassung, Klimaresilienz, Schwammstadt, Blau-grüne Infrastrukturen Tobias Unterbäumer, Nora Schecke, Ulrike Raasch, Fabian Urbanczyk Die Auswirkungen des Klimawandels sind in stark verdichteten Städten und Ballungszentren besonders spürbar: Zunehmende Hitze- und Trockenperioden gehen mit vielfältigen Beeinträchtigungen für Mensch und Umwelt einher, darunter gesundheitliche Belastungen durch lokale Hitzeinseln und eine verminderte Aufenthaltsqualität durch fehlende Grün-, Frei- und Erholungsflächen. Flächenversiegelungen beeinträchtigen die Leistungen ortsnaher Versickerung und Verdunstung und erhöhen die (Überflutungs-) Gefahren durch Starkregen. Das Schwammstadtprinzip vereint hierbei verschiedene Lösungsansätze einer blau-grünen Stadtgestaltung. Durch Maßnahmen dezentraler Regenwasserbewirtschaftung wird das Niederschlagswasser von der Mischwasserkanalisation abgekoppelt und kann dem natürlichen Wasserhaushalt ortsnah zugeführt werden, was wiederum eine Entlastung der Kläranlagen und Infrastrukturen zur Folge hat (Bild 1). 41 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Um diese Ziele gebündelt verfolgen zu können, engagieren sich seit 2014 die Emscherkommunen gemeinsam mit der Emschergenossenschaft im Netzwerk der Zukunftsinitiative Klima.Werk (vormals Zukunftsinitiative „Wasser in der Stadt von morgen“) für eine wassersensible, nachhaltige Stadtentwicklung. Die Aktivitäten führten 2019 im Rahmen der Ruhr-Konferenz zur Förderung des Projekts „Klimaresiliente Region mit internationaler Strahlkraft“ durch das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen. Ziel des Vorhabens ist, eine Verbesserung der Klimaresilienz in den Kommunen des Regionalverbands Ruhr zu erreichen, indem 25 % der befestigten Flächen von der Mischwasserkanalisation abgekoppelt werden und die Verdunstungsrate um zehn Prozentpunkte gesteigert wird-[1]. Um die Städte und Akteure bei der Entwicklung und Umsetzung von Klimaanpassungsmaßnahmen sowie in der vernetzten Zusammenarbeit bestmöglich unterstützen und begleiten zu können, richtete die Emschergenossenschaft dafür 2020 die Serviceorganisation (SO) ein. Neben der Entwicklung und Umsetzung von Klimaanpassungsmaßnahmen wird innerhalb der Zukunftsinitiative Klima.Werk insbesondere die integrale, kooperative und vertrauensvolle Kultur der Zusammenarbeit in und mit den Kommunen und Stakeholdern als transformativer Hebel weiterentwickelt und etabliert. Auf politischer Ebene bekräftigt der Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung (Zukunftsvertrag für Nordrhein-Westfalen, Koalitionsvereinbarung von CDU und GRÜNEN 2022 - 2027) die Dringlichkeit der Anpassungen an den Klimawandel und das modellartige Vorgehen im Ruhrgebiet ([2], Zeilen 1507 - 1512). Für den nachhaltigen Transformationsprozess bietet dies die Chance, die Aktivitäten in der Region zu intensivieren und die Ziele der Klimaresilienz - insbesondere in flächendeckender und gemeinschaftlicher Umsetzung der Fördermöglichkeiten - zu verstetigen. Förderung für 53 Kommunen - Betrachtungsräume Ebenjene gemeinschaftliche und flächendeckende Umsetzung von Maßnahmen zur Steigerung der Klimaresilienz wird seit Inkrafttreten der Förderrichtlinie „Klimaresiliente Region mit internationaler Strahlkraft“ in den 53 Städten und Gemeinden im Verbandsgebiet des Regionalverbands Ruhr gefördert (Bild 2). Zu den Förderbausteinen gehören Maßnahmen zur Versickerung von Regenwasser, zur Entsiegelung von Flächen und zur Schaffung blaugrüner Strukturen (Bilder 1 und 3) sowie zugehörige Maßnahmen zur Öffentlichkeitsarbeit und Umweltbildung in sogenannten Betrachtungsräumen. Ab Januar 2024 sind Betrachtungsräume in den teilnehmenden Kommunen Voraussetzung, um weitere Projekte fördern zu können. Zahlreiche Kommunen beschäftigen sich deshalb schon jetzt mit der Definition von Betrachtungsräumen. Ähnlich wie bei Programmen zur städtebaulichen Entwicklung sind dies räumlich abgegrenzte, zusammenhängende Bereiche, in denen bestimmte Defizite, hier im wasserwirtschaftlichen Zusammenhang mit Folgen des Klimawandels, behoben werden sollen. Durch eine Bündelung von Maßnahmen in den Betrachtungsräumen wird eine spürbare Verbesserung des Mikroklimas sowie eine Verbesserung des natürlichen Wasserhaushalts sowie der Gewässergüte angestrebt. Die Betrachtungsräume sollen „ ... im Rahmen eines integralen Planungsprozesses unter Beteiligung der zuständigen Bezirksregierungen … “ [3] entwickelt werden. Bei der Definition von Betrachtungsräumen müssen die Kommunen demnach darlegen, dass sie integral denken und handeln können, denn Klimafolgenanpassung ist ein Querschnittsthema, das nur dann erfolgreich und ressourcenschonend bearbeitet werden kann, wenn die verschiedenen Bild 2: Kommunen im Netzwerk der Zukunftsinitiative und Fördergebiet der KRIS- Förderung. © Emschergenossenschaft 42 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Fachbereiche einer Verwaltung an einem Strang ziehen. Zudem fehlt es den im kommunalen Zuständigkeitsdenken verankerten Klimaanpassungsabteilungen in der Regel an Flächenzugriff. Ein integraler, fachbereichsübergreifender Planungsansatz wird so zur Voraussetzung, um ganzheitliche Projekte in Betrachtungsräumen umzusetzen. Ein interkommunales Netzwerk hat hierzu eine Arbeitshilfe entwickelt, die anderen Kommunen auf dem Weg zu Betrachtungsräumen unterstützen soll [4]. Beispielhaft werden hier die Ansätze aus Gelsenkirchen und Mülheim an der Ruhr genannt. Praxisbeispiele Betrachtungsräume Gelsenkirchen Seit Anfang des Jahres 2020 gibt es in Gelsenkirchen das sogenannte ZI-Kernteam, welches sich mit allen Anliegen rund um die Zukunftsinitiative Klima. Werk beschäftigt. In diesem interdisziplinären Team sind alle relevanten Akteur*innen der Stadtverwaltung, ergänzt um Vertreter*innen der ZI-Serviceorganisation, vertreten. Die sich aus der Förderrichtlinie ergebende Anforderung der Definition von Betrachtungsräumen im Stadtgebiet erfolgt in ebenjenem ZI-Kernteam. Hierzu wurde ein Sprintteam gegründet, welches sich mit der konkreten, gesamtstädtischen Ausarbeitung der Betrachtungsräume beschäftigt. Um eine möglichst sinnvolle und integrale Grundlage für die Ermittlung der Betrachtungsräume zu erhalten, wurde zunächst das grundsätzliche Vorgehen und eine Leitfrage ausgearbeitet. Unter Berücksichtigung der Leitfrage: „In welchen Teilen der Stadt lassen sich wasserwirtschaftliche Verbesserungen erreichen und gleichzeitig die Lebensbedingungen (beispielsweise Hitzebetroffenheit) für die Menschen verbessern? “ und der Anforderung, Räume zu definieren, herrschte relativ schnell Einigkeit darüber, dass dieses Thema in einem geografischen Informationssystem ausgearbeitet werden sollte. Dies bietet die Möglichkeit, Räume im Stadtgebiet zu definieren, in welchen sich viele Defizite (zum Beispiel: Hitzebelastung, Starkregengefahren, Sozialraumindikatoren) überschneiden und somit durch die umgesetzten Maßnahmen eine gezielte Verbesserung erreicht werden kann. Um auch soziale Aspekte zu berücksichtigen, wurde ein Index für ausgewählte Sozialraumindikatoren (beispielsweise besonders alte/ junge Bevölkerung, Armutsindikator in Form der SGB-II-Quote, Anteil der von Verkehrslärm betroffenen Bewohner) errechnet, der mit in die Auswahl der Betrachtungsräume einfließt. Aus den ermittelten Defiziträumen werden potenzielle Betrachtungsräume definiert, welche im weiteren Verlauf auf ihr Potenzial zur Zielerreichung überprüft werden. Durch einen von Beginn an integralen und transparenten Planungsprozess soll die Ermittlung und Festlegung der Betrachtungsräume mit einer breiten Trägerschaft der beteiligten Dienststellen erfolgen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die weitere Bearbeitung/ Umsetzung von wasserwirtschaftlichen Klimaanpassungsmaßnahmen in den gewählten Betrachtungsräumen durch die Interdisziplinarität der Maßnahmen ein Prozess sein wird, in welchem weiterhin fachübergreifend zusammengearbeitet werden muss, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Mülheim an der Ruhr Vorab zum eigentlichen KRIS-Förderprogramm hat sich Mülheim eine GIS-basierte Konzepterstellung für einen Betrachtungsraum fördern lassen. Mit der Durchführung wurde ein Büro beauftragt, das ausreichende Erfahrung mit wasserwirtschaftlichen Planungen auch nach den „Schwammstadt“-Prinzipien besitzt. Aus den Ergebnissen ergeben sich durch diesen „Pionierstatus“ besonders viele Erfahrungen, welche Vorgehensweisen sinnvoll sind und was sich als weniger erfolgversprechend herausgestellt hat. Bild 3: Beispiel für eine Fassadenbegrünung - hier am Parkhaus am HBF Bottrop. © EGLV, Kirsten Neumann 43 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Ausgehend von einem rund 800 Hektar großen Kläranlagen-Einzugsgebiet südlich der Ruhr wurde das gesamte Gebiet zunächst großmaßstäblich (makroskopisch) untersucht. Hierzu wurde auf allgemein zugängliche Daten zurückgegriffen, eine aufwendige Datenerhebung oder -bearbeitung war nicht erforderlich. Durch die Bewertung aller untersuchten Parameter als Indiz für möglichen Handlungsbedarf bzw. für Handlungsoptionen wurden in einem ersten Schritt Räume mit besonders hohen Bedarfen und Potenzialen ermittelt. Mit der Gebietskenntnis der involvierten kommunalen Begleiter*innen wurden nach der Überlagerung von Bedarfen und Potenzialen drei geeignet erscheinende Bereiche ausgewählt, für die in einem kleineren Maßstab (mikroskopisch) geeignete Maßnahmen identifiziert und mit einer Kostenschätzung versehen wurden. Die Bearbeitung wurde von der Stabsstelle Klimaschutz und Klimaanpassung angestoßen, die sich von der Umsetzung geeigneter KRIS-Förderbausteine eine positive Auswirkung für klimatisch stark belastete Bereiche innerhalb des untersuchten Gebietes verspricht. Die in Gelsenkirchen erfolgte stadtweite Abstimmung ist hier nicht in der Bearbeitung des Konzeptes erfolgt, sondern zu weiten Teilen in der vorlaufenden Erarbeitung des städtischen Klimaanpassungskonzeptes. In einem nächsten Schritt gilt es zu klären, inwieweit sich die erarbeiteten Vorschläge mit den Vorstellungen diverser Fachabteilungen decken und ob das einmal entwickelte Verfahren für andere Bereiche - möglicherweise unter Einbeziehung weiterer Sozialdaten - erneut angewendet werden sollte. Ausblick und Fazit Die Transformation zur klimaangepassten Region erfordert Aktivitäten und Veränderungsprozesse auf verschiedensten Ebenen. Der Zugang zu Fördermitteln und Ressourcen bildet dabei eine wichtige Unterstützung zur Handlungsfähigkeit der Kommunen. Mit dem Förderprojekt „Klimaresiliente Region mit internationaler Strahlkraft“ und dessen Veröffentlichung im April 2022 konnten dafür die Weichen gestellt werden. Das Angebot solcher Förderprogramme ist notwendig für eine langfristige Verstetigung der Maßnahmen. Daneben ermöglicht die Zusammenarbeit in einem organisierten Netzwerk die Bündelung von Ressourcen und Wissen sowie die Etablierung einer transformativ wirkenden Kultur der Zusammenarbeit, und die skizzierten Wege zur Entwicklung integraler Konzepte sind ein guter Weg auch außerhalb dieser Förderkulisse. LITERATUR: [1] Werner, M., Raasch, U., Falk, C., Geretshauser, G.: Für Grün - für Blau: für die Region. Auf dem Weg in die „Klimaresiliente Region mit internationaler Strahlkraft. Transforming Cities 3 (2019), S. 46 - 50. [2] Landesregierung Nordrhein-Westfalen: Zukunftsvertrag für Nordrhein-Westfalen. Koalitionsvereinbarung von CDU und GRÜNEN 2022-2027. 2022. Online unter (abgerufen am: 15.07.2022): https: / / gruene nr w.de / dateien / Zukunf t s ver trag _ C D U - GRUeNE_Vorder-und-Rueckseite.pdf [3] Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Richtlinie zur Förderung des Vorhabens „Klimaresiliente Region mit internationaler Strahlkraft“ (Förderrichtlinie Klimaresiliente Region mit internationaler Strahlkraft - FöRL KRiS), 2022. Online unter (abgerufen am: 15.07.2022): https: / / recht.nrw.de/ lmi/ owa/ br_vbl_detail_text? anw_ nr=7&vd_id=20389&ver=8&val=20389&sg=0&menu =0&vd_back=N [4] Expertennetzwerk Betrachtungsräume: Arbeitshilfe Betrachtungsräume. 2022. Online unter (abgerufen am: 14.07.2022): www.klimawerk.de/ downloads AUTOR*INNEN Tobias Unterbäumer AGG Gelsenkanal Kontakt: Tobias.Unterbaeumer@agg-ge.de Nora Schecke Zukunftsinitiative Klima.Werk Emschergenossenschaft | Lippeverband (EGLV) Kontakt: schecke.nora@eglv.de Ulrike Raasch Zukunftsinitiative Klima.Werk Emschergenossenschaft | Lippeverband (EGLV) Kontakt: raasch.ulrike@eglv.de Fabian Urbanczyk Zukunftsinitiative Klima.Werk Emschergenossenschaft | Lippeverband (EGLV) Kontakt: urbanczyk.fabian@eglv.de 44 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Im Zuge des Klimawandels und der damit verbundenen steigenden Hitzebelastung in vielen städtischen Räumen kommt grüner Infrastruktur eine mehr und mehr tragende Rolle zu. Aufgrund des hohen Anteils an bebauter Fläche in Städten und der daraus resultierenden erhöhten Wärmespeicherfähigkeit kommt es insbesondere nachts zu einer höheren Lufttemperatur innerhalb einer Stadt im Vergleich zu ihrem Umland - zum städtischen Wärmeinseleffekt [1]. Versiegelte Plätze, Wege und Straßen ohne schattenspendendes Grün führen auch tagsüber zu einem hohen thermischen Stress. Diese zunehmende Hitzebelastung hat direkten Einfluss auf das Wohlbefinden und die Gesundheit betroffener Menschen [2, 3]. Folglich ist ein Anstieg hitzebedingter Erkrankungen sowie eine erhöhte Sterblichkeit bei Extremhitzeereignissen in städtischen Räumen zu verzeichnen [4, 5, 6]. Um weiterhin eine hohe Lebensqualität der Stadtbevölkerung zu gewährleisten und zugleich urbane Ökosysteme zu schützen, Das HRC-Hitzetool Ein Web-Tool zur Bewertung von Hitzeanpassungsmaßnahmen in Städten Klimaanpassung, Stadtgrün, Ökosystemleistungen, Hitzebelastung, Mikroklima, Innenraumklima Till Fügener, Karsten Grunewald, Astrid Ziemann, Uta Moderow, Valeri Goldberg, Nils Kochan, Patrycia Brzoska Hitzebelastung in urbanen Räumen wird im Zuge des Klimawandels zunehmend zur Herausforderung. Das Verbundprojekt HeatResilientCity verfolgt das Ziel, innovative, sozial gerechte und nutzerakzeptierte Anpassungsmaßnahmen, welche die Reduzierung der sommerlichen Wärmebelastung von Menschen in Gebäuden und Freiräumen wirksam unterstützen, zu realisieren. Hierfür wird ein Web-Tool zur Bewertung von Hitzeanpassungsmaßnahmen im Frei- und Innenraum entwickelt. Dieses soll Entscheidungsträgern als Unterstützung für die Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen an Hitze im städtischen Raum dienen. © tee_zett auf Pixabay THEMA Luft, Wasser, Boden 45 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser muss ein Fokus zukünftiger Stadtplanung auf einer Klimaanpassung der Städte liegen. Obwohl es bereits ein breites Fachwissen über Klimaanpassungsmaßnahmen sowie deren positive Effekte auf das lokale Klima gibt, findet dieses Wissen nur bedingt eine Anwendung in der Praxis [7, 8]. Eine Studie von Araos et al. stellt heraus, dass nur 15-% von weltweit 401 untersuchten Städten über Klimaanpassungsinitiativen berichteten [9]. In weiteren 18- % der Städte seien zudem Klimaanpassungsmaßnahmen geplant. Innerhalb Deutschlands fehlt Kommunen ein gesetzlicher Rahmen, welcher Anpassungsmaßnahmen als eine kommunale Pflichtaufgabe kennzeichnet. Zudem mangelt es oftmals auch an Ressourcen, Personal und Fachwissen, was den Anpassungsprozess zusätzlich ausbremst [10]. Häufig fehlt es auch an Beratung darüber, an welchen Orten Maßnahmen am sinnvollsten eingesetzt werden sollten und wie effektiv diese Maßnahmen letztendlich wirken. Eine Möglichkeit der effektiven Entscheidungsunterstützung bilden dabei digitale Planungstools [11]. Im Rahmen des BMBF-geförderten Verbundforschungsprojektes HeatResilientCity 1 wird derzeit ein Online-Tool zur Bewertung von Hitzeanpassungsmaßnahmen in Städten entwickelt, das „HRC-Hitzetool“. Dieses soll Entscheidungsträger in der Umsetzung und Planung von Anpassungsmaßnahmen unterstützen, als auch eine Informationsmöglichkeit für die breite Öffentlichkeit bieten. Vorarbeiten Die Konzepterstellung des Tools basiert auf einer umfangreichen Recherche zu bereits existierenden Tools, welche Hitzebelastung und Anpassungsmaßnahmen in Städten fokussieren. Bei dieser Bestandsaufnahme wurden diverse derzeit verfügbare Tools nach einem Kriterienkatalog verglichen und bewertet [12]. Die Ergebnisse dienten einerseits dazu, einen allgemeinen Rahmen für ein solches Bewertungstool abzustecken, als auch Forschungslücken aufzuzeigen, um mögliche Anforderungen an ein neues Tool dieser Art zu definieren. Zusätzlich zur vorbereitenden Tool-Recherche wurde eine Ämterbefragung in den Stadtverwaltungen der Städte Dresden und Erfurt durchgeführt. Beschäftigte aus den Fachbereichen Umwelt, Hochbau, Stadtplanung sowie dem Gesundheitsamt konnten dabei ihre Wünsche und Ansprüche an ein solches Bewertungstool äußern. Alle Ergebnisse der Vorrecherchen und der Umfrage flossen direkt in die Konzeptionierung des HRC-Hitzetools ein. Die Bewertung bisheriger Tools zeigte Verbesserungsbedarf insbesondere bei den 1 http: / / heatresilientcity.de/ Aspekten: (1) Bewertung der Hitzebelastung unter Verwendung eines Human-Bioklima-Index, (2) Bewertung der Hitzebelastung auf lokaler Ebene und mit hoher räumlicher Auflösung, (3) Berücksichtigung verschiedener Tageszeiten, da die Hitzebelastung je nach Tageszeit variiert, (4) Berücksichtigung verschiedener Szenarien für Versiegelung, Gebäude und Bepflanzung [12]. Alle diese Kriterien wurden bei der Konzeption des neuen Tools mit Hilfe verschiedener Indikatoren berücksichtigt. Tool-Konzept Das HRC-Hitzetool ermöglicht eine semi-quantitative Bewertung von Hitzeanpassungsmaßnahmen in Städten. Es können sowohl Anpassungsmaßnahmen in und an Wohngebäuden als auch Maßnahmen im Freiraum bewertet werden. Anpassungsmaßnahmen im Freiraum werden zwischen kleinräumigen Einzelmaßnahmen und straßenbegleitenden Maßnahmen unterschieden. Nach einer mehrmonatigen Entwicklungsphase begann im Sommer 2022 mit Unterstützung der Projektpartner*innen der Landeshauptstädte Dresden und Erfurt eine erste Testphase des Tools. In einem letzten Entwicklungsschritt werden dann Rückmeldungen aus der Testphase ausgewertet und, soweit möglich, eingearbeitet. Die Veröffentlichung des HRC-Hitzetools soll im Frühjahr 2023 erfolgen. Einzelmaßnahmen/ straßenbegleitende Maßnahmen im Freiraum Um die Wirksamkeit verschiedener Anpassungsmaßnahmen zur Verringerung der Hitzebelastung im Freiraum von Stadtquartieren zu bewerten, wurde ein praxisnahes Indikatorset für die Anwendung im Tool entwickelt. Im Fokus des Indikatorsets steht der Hitzestress des Menschen, der maßgeblich durch kurz- und langwellige Strahlung, Lufttemperatur und -feuchtigkeit sowie durch Windgeschwindigkeit beeinflusst wird. Dabei wird der Universal Thermal Climate Index (UTCI) verwendet, einer der derzeit am häufigsten genutzten Indizes zur quantitativen Erfassung und Bewertung von Hitzestress [13, 14, 15]. Die Tool-Komponente „Anpassungsmaßnahmen im Freiraum“ basiert auf städtischen Mikroklimasimulationen, die mit dem Modell ENVI-met [16, 17] erstellt wurden. Dabei wurden 12 m x 12 m große Flächen, die bestimmte Ausgangsbedingungen bzw. Anpassungsmaßnahmen (zum Beispiel: Erhöhung des Baumbestandes) repräsentieren können, aus Modellsimulationen in einem realen städtischen Umfeld extrahiert [18]. Die Simulationsergebnisse dieser Modellflächen wurden bezüglich der entsprechenden UTCI-Werte analysiert [19]. 46 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Aus einer so gewonnenen Vorauswahl von Flächen können Nutzer zunächst diejenige mit den urbanen Strukturen auswählen, die dem Zielgebiet, dessen thermische Behaglichkeit verbessert werden soll, am besten entspricht (Ausgangszustand). In einem nächsten Schritt können Benutzer diejenige Fläche auswählen, welche am besten die Hitze-Anpassungsmaßnahme repräsentiert, die sie anwenden möchten (Endzustand). Die beiden ausgewählten Flächen werden visualisiert und verbal beschrieben. Die Bewertung der Wirksamkeit der Maßnahme basiert auf der Differenz des UTCI zwischen den beiden ausgewählten Flächen (das heißt: Differenz zwischen der Fläche, die den Ausgangszustand repräsentiert und der Fläche, die die Anpassungsmaßnahme repräsentiert). Die Flächen werden mittels einer 3D-Grafik dargestellt (Bild 1) Als Ergebnis wird die Differenz im UTCI zwischen beiden Flächen mitgeteilt sowie für jede der beiden gewählten Flächen die thermische Belastungsstufe angegeben (Bild 2). Ergänzt wird dies durch eine kurze Erklärung und Hintergrunddetails, wenn eine Anpassungsmaßnahme beispielsweise nur geringe thermische Auswirkungen hat, aber dennoch aus anderen Gründen nützlich sein kann. Abschließend wird die Bewertung der gewählten Maßnahme mit einem einfachen fünfstufigen Ampelsystem dargestellt. Diese Informationen werden für drei heiße Sommertage (Mitte Juni, Mitte Juli und Mitte August) und drei verschiedene Tageszeiten (Abend, früher Morgen und durchschnittliche Bedingungen tagsüber) bereitgestellt. Zudem gibt es eine kurze Einschätzung weiterer Ökosystemleistungen, welche die Modellflächen erbringen können. Dieses Konzept wird umgesetzt, um die Wirkung von Einzelmaßnahmen mit begrenzter räumlicher Ausdehnung und die Wirkung von Hitze-Anpassungsmaßnahmen im Umfeld von Straßen (zum Beispiel: das Pflanzen von Straßenbäumen) zu beurteilen. Generell wird es auch möglich sein, die Wirkung von Maßnahmen zu bewerten, welche den Hitzestress für die Bewohner potenziell erhöhen könnten (zum Beispiel, wenn Bäume gefällt werden). Hervorzuheben ist, dass die Tool-Komponente „Anpassungsmaßnahmen im Freiraum“ quantitative Ergebnisse liefern wird, die deutlich über die qualitative Aussage „Städtisches Grün ist gut“ hinausgeht. Es können orientierende, quantitative Angaben in Bezug auf die Änderung des Hitzestresses durch Anpassungsmaßnahmen gewonnen werden, die in planerischen Entscheidungsprozessen zunehmend nachgefragt werden. Im Tool wird ebenfalls ein Handbuch in einer Kurz- und Langversion bereitgestellt. Die Kurzversion gewährleistet einen schnellen Einstieg, während die Langversion interessierten Personen wertvolle Hintergrundinformationen für die fachliche Bewertung der Ergebnisse liefert. Es sei darauf hingewiesen, dass die Tool-Komponente „Anpassungsmaßnahmen im Freiraum“ nicht eine detaillierte Simulation des Stadtklimas für eine spezielle Situation eines realen oder geplanten Stadtteils ersetzen kann. Gebäudemaßnahmen Neben der Bewertung von Anpassungsmaßnahmen im Freiraum können auch Hitzeanpassungsmaßnahmen im Innenraum durch das HRC-Hitzetool bewertet werden. Hierfür können Nutzer und Nutzerinnen in einem ersten Schritt die Ausgangssituation eines Raums beschreiben, in welchem die Hitzebelastung untersucht werden soll (Häuserbauweise, Fenstergröße, Ausrichtung, etc.). Nachdem die Ausgangssituation entsprechend angepasst wurde, gibt es die Möglichkeit, zwischen acht Maßnahmen zu wählen, welche die Hitzebelastung im Raum senken sollen. Somit kann die Hitzebelastung vor und nach Umsetzung einer Maßnahme analysiert werden. Die Wohnung mit entsprechender Maßnahme wird visuell als 3D-Grundriss dargestellt und die Bewertung erfolgt mit Hilfe eines fünfstufigen Ampelsystems. Die Bewertung des anfänglichen Überhitzungsrisikos und des veränderten Risikos nach Umsetzung einer Maßnahme basiert jeweils auf Gebäudesimulationen und der Messung des Innenraumklimas für unterschiedliche Wohngebäudetypen, die im Rahmen der Projekte HeatResilientCity I und II sowie anderer Projekte durchgeführt worden sind. Hierbei wurden die Ausrichtung des Gebäudes, die Fenstergröße, die Gebäudebauart, die Geschossart sowie das Lüftungsverhalten berücksichtigt [20, 21, 22, 23]. Hier sei darauf hingewiesen, dass die Innenraumklimakomponente des Tools eine qualitative Bewertung des gewählten Raums mit Hilfe des Ampelsystems bietet, ohne quantitative Schätzungen der Wirkung von Wärmeanpassungsmaßnahmen zu liefern. Diese Einschränkung ist auf die große Bild 1: Beispielhafte 3D-Darstellung einer Modellfläche mit angrenzender Gebäudereihe. © Fügener et al. 47 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Anzahl von Parametern zurückzuführen, welche das Überhitzungsrisiko in Innenräumen beeinflussen. Für eine detailliertere und quantitative Bewertung der Auswirkungen von Hitzeanpassungsmaßnahmen für einen bestimmten Raum oder ein bestimmtes Gebäude empfehlen wir die Verwendung von Gebäudeklimasimulationen, wenn möglich für das gesamte Gebäude, um den internen Luftaustausch und die Wärmeübertragung zu berücksichtigen. Schlussbetrachtung Um die ansteigende Häufigkeit und Intensität extremer Hitzeereignisse in Städten bewältigen zu können und die Bevölkerung vor zunehmendem Hitzestress zu schützen, sind Anpassungsmaßnahmen auf lokaler Ebene dringend erforderlich. Digitale Tools können hier eine wertvolle Entscheidungsunterstützung bei Planungsprozessen sein. Die vorangegangene Bewertung der bestehenden Tools hat grundlegend zur Konzeptionierung des HRC-Hitzetools beigetragen. Mit dessen Entwicklung wird der Versuch unternommen, vorhandene Defizite bereits entwickelter Tools zu kompensieren und gleichzeitig ein einfaches und übertragbares Werkzeug für die Bewertung kleinräumiger Hitzeanpassungsmaßnahmen bereitzustellen. Die Besonderheiten des HRC-Hitzetools im Vergleich zu ähnlichen Werkzeugen sind die Bewertung des Hitzestresses mit Hilfe eines human-bioklimatischen Indexes (dem UTCI), die Bewertung des Hitzestresses auf städtischer Ebene und mit hoher räumlicher Auflösung, die Berücksichtigung verschiedener Tageszeiten, die Berücksichtigung verschiedener Szenarien von Versiegelung, Bebauung, Bepflanzung sowie die allgemeine Übertragbarkeit des Tools. Das HRC-Hitzetool schließt in mancher Hinsicht die Lücke zwischen detaillierten Klimasimulationen und einer nur qualitativen Bewertung von Hitzeanpassungsmaßnahmen. Dennoch ist zu beachten, dass auch hier ein Kompromiss zwischen Ergebnisgenauigkeit und einer allgemeinen Übertragbarkeit gefunden werden musste. Das Tool wird eine detaillierte Stadtklimasimulation für ein spezifisches Planungsgebiet und eine Simulation für spezifische Gebäude und Innenräume nicht ersetzen können. Vielmehr ergibt sich aus der Verwendung des Tools ein Mehrwert hinsichtlich einer erleichterten Ableitung geeigneter Maßnahmen mit dem Ziel der Verbesserung des Stadtklimas, dem Schutz und der Förderung von Stadtgrün sowie einer nachhaltigeren, sozial-ökologischen Stadtentwicklung. Das HRC-Hitzetool wird voraussichtlich im Frühjahr 2023 kostenfrei für alle Anwender*innen zur Verfügung stehen. Gerne halten wir Sie über die Entwicklung, den genauen Starttermin sowie der Zugangsadresse über unseren HRC-Newsletter auf dem Laufenden. (Anmeldung unter: http: / / heatresilientcity.de) Bild 2: Schema zur Verdeutlichung des Konzepts des Freiraumindikators für die Ebene der Einzelmaßnahmen begrenzter Ausdehnung für einen sehr warmen Tag im Juni und durchschnittliche Bedingungen am Tage. © Fügener et al. 48 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser LITERATUR [1] Oke, T. R.: City size and the urban heat island. Atmospheric Environment, 1967, Volume 7, Issue 8, (1973), p: 769 - 779. https: / / doi.org/ 10.1016/ 0004- 6981(73)90140-6. [2] Kovats, R. S., Hajat, S.: Heat Stress and Public Health: A Critical Review. Annu. Rev. Public Health, 29 (2008) p. 41 - 55. https: / / doi.org/ 10.1146/ annurev. publhealth.29.020907.090843. [3] Umweltbundesamt (UBA): Themenblatt: Anpassung an den Klimawandel. Hitze in der Stadt. Eine Kommunale Gemeinschaftsaufgabe. 2012. Onlineversion: https: / / w w w.umweltbundesamt.de/ sites/ default/ files/ medien/ 364/ publikationen/ kompass_themenblatt_hitze_stadt_2015_net.pdf, (22.09.20). [4] Jendritzky, G.: Folgen des Klimawandels für die Gesundheit. In: Endlicher, W., Gerstengarbe, F.-W. (Hrsg): Der Klimawandel - Einblicke, Rückblicke und Ausblicke: (2007) S. 108 - 118. Herausgegeben im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Geografie, des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und der Humboldt-Universität zu Berlin. Potsdam. https: / / doi.org/ 10.18452/ 1981. [5] Umweltbundesamt (UBA): Einfluss des Klimawandels auf die Biotropie des Wetters und Gesundheit bzw. die Leistungsfähigkeit der Bevölkerung in Deutschland. 2015.Onlineversion: https: / / www. umweltbundes amt.de / sites / default / f iles / medi en/ 378/ publikationen/ ug_06_2015_einfluss_des_klimawandels _ auf_die_biotropie_des _wetters _0.pdf, (30.10.21). [6] Umweltbundesamt (UBA): Bewertung klimawandelgebundener Risiken: Schadenspotentiale und ökonomische Wirkung von Klimawandel und Anpassungsmaßnahmen. Abschlussbericht zum Vorhaben „Behördenkooperation Klimawandel und -anpassung”, Teil 1, 2020. Onlineversion: https: / / www.umweltbundesamt.de/ sites/ default/ files/ medien/ 479/ publikationen/ cc, (01.07.2022). [7] Gemeinde Wien: Urban Heat Island, Strategieplan Wien. Magistrat der Stadt Wien, Wiener Umweltschutzabteilung - Magistratsabteilung 22, 2015. ht t p s : / / w w w.di g i t a l .w i e n bibli ot h e k . a t / w br u p/ download/ pdf/ 3559579 ? originalF ilename = true. (01.07.2022). [8] Müller, N., Kuttler, W., Barlag, A. B.: Counteracting urban climate change: adaptation measures and their effect on thermal comfort. Theoretical and applied climatology, 115 (1), (2014) p. 243 - 257. [9] Araos, M., Berrang-Ford, L., Ford, J. D., Austin, S. E., Biesbroek, R., Lesnikowski, A.: Climate change adaptation planning in large cities: A systematic global assessment. Environmental Science & Policy, Volume 66 (2016) p. 375 - 382. https: / / doi.org/ 10.1016/ j.envsci. 2016.06.009. [10] Landesanstalt Für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW): Wie kommt der Klimawandel bei Kommunen an? Ergebnisse einer Umfrage, 2020. Onlineversion: https: / / pudi.lubw.de/ detailseite/ -/ publication/ 10025, (30.10.2021). [11] Van Oijstaeijen, W., Van Passel, S., Cools, J. (2020): Urban green infrastructure: A review on valuation toolkits from an urban planning perspective. In: Journal of Environmental Management 267 (2020) p. 1 - 10. https: / / doi.org/ 10.1016/ j.jenvman.2020.110603. [12] Brzoska P., Fügener T., Moderow U., Ziemann A., Schünemann C., Westermann J., Grunewald K., Maul L.: Towards a web tool for assessing the impact of climate change adaptation measures on heat stress at urban site level. 2022. One Ecosystem 7: e85559. https: / / doi.org/ 10.3897/ oneeco.7.e85559 [13] Błażejczyk, K., Broede, P., Fiala, D., Havenith, G., Holmér, I., Jendritzky, G., Kampmann, B., Kunert, A.: Principles of the New Universal Thermal Climate Index (UTCI) and its Application to Bioclimatic Research in European Scale, 14, (2010) p. 91 - 102, https: / / doi.org/ 10.2478/ mgrsd-2010-0009. [14] Bröde, P., Fiala, D., Błażejczyk, K., Holmér, I., Jendritzky, G., Kampmann, B., Tinz, B., Havenith, G.: Deriving the operational procedure for the Universal Thermal Climate Index (UTCI), Int J Biometeorol, 56, (2012) p. 481 - 494, https: / / doi.org/ 10.1007/ s00484-011- 0454-1. [15] Jendritzky, G., de Dear, R., Havenith, G.: UTCI—Why another thermal index? . Int J Biometeorol, 56, (2012) p. 421 - 428, https: / / doi.org/ 10.1007/ s00484-011- 0513-7. [16] Bruse, M., Fleer, H.: Simulating surface-plant-air interactions inside urban environments with a threedimensional numerical model, Environmental Modelling & Software, 13, (1998) P. 373 - 384, https: / / doi. org/ 10.1016/ S1364-8152(98)00042-5. [17] Bruse, M.: Die Auswirkungen kleinskaliger Umweltgestaltung auf das Mikroklima. Entwicklung des prognostischen numerischen Models ENVI-Met zur Simulation der Wind-, Temperatur- und Feuchteverteilung in städtischen Strukturen. Universität Bochum, Bochum, 1999. https: / / doi.org/ 10.23689/ fidgeo-440. [18] Ziemann, A., Goldberg, V., Richter, B., Bernhofer, C.: Thermische Exposition von Fußgängern im Dresdner Stadtteil Gorbitz im Sommer 2018: Auswertung von Fußgänger-Messungen und Modellsimulationen, in: Flächennutzungsmonitoring XI Flächenmanagment - Bodenversieglung - Stadtgrün, 11. Dresdner Flächennutzungssymposium, Dresden, (2019) S. 265 - 273, https: / / nbn-resolving.org/ urn: nbn: de: bsz: 14-qucosa2-722941. [19] Westermann, J. R., Bolsius, J., Kunze, S., Schünemann, C., Sinning, H., Ziemann, A., Baldin, M.-L., Brüggemann, K., Brzoska, P., Ehnert, F., Goldberg, V., Großmann, L., Grunewald, K., Naumann, T., Reinfried, F., Richter, B., Spohr, G., Ortlepp, R.: Hitzeanpassung von Stadtquartieren: Akteursperspektiven und Umsetzungsansätze, GAIA - Ecological Perspectives for Science and Society, 30, (2021) S. 257 - 267, https: / / doi.org/ 10.14512/ gaia.30.4.9. [20] Ortlepp, R., Schünemann, C., Brzoska, P., Schiela, D., Westermann, J., Richter, B., Kunze, S., Sinning, H.: Building heat-resilient neighborhoods - testing the implementation on buildings and in open spaces in two sample quarters Dresden and Erfurt. In: Hutter, G., Neubert, M., Ortlepp, R. (Eds.): Building resilience to natural hazards in the context of climate change - knowledge integration, implementation, and learning. Springer. https: / / doi.org/ 10.1007/ 978-3-658- 33702-5, (2021) pp. 113 - 156. [21] Schünemann, C., Olfert, A., Schiela, D., Gruhler, K., Ortlepp, R.: Mitigation and adaptation in multifamily housing: overheating and climate justice. In: Buildings and Cities 1 (2020) 1, S. 36 - 55 http: / / doi. org/ 10.5334/ bc.12. [22] Schünemann, C., Schiela, D., Ortlepp, R.: Upgrading potentials of founding epoch houses for heat waves intensified by climate change. In: Proceedings of IABSE Symposium Wroclaw 2020. [23] Schünemann, C., Schiela, D., Ortlepp, R.: How window ventilation behavior affects the heat resilience in multi-residential buildings, in: Building and Environment, 202 (2021) https: / / doi.org/ 10.1016/ j.buildenv.2021.107987. 49 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Till Fügener Wissenschaftlicher Mitarbeiter Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) Kontakt: t.fuegener@ioer.de Dr. Karsten Grunewald Projektleiter, Senior Wissenschaftler Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) Kontakt: k.grunewald@ioer.de Dr. Astrid Ziemann Wissenschaftliche Mitarbeiterin Technische Universität Dresden, Fakultät Umweltwissenschaften, Institut für Hydrologie und Meteorologie, Professur für Meteorologie Kontakt: astrid.ziemann@tu-dresden.de Dr. Uta Moderow Wissenschaftliche Mitarbeiterin Technische Universität Dresden, Fakultät Umweltwissenschaften, Institut für Hydrologie und Meteorologie, Professur für Meteorologie Kontakt: uta.moderow@tu-dresden.de Dr. Valeri Goldberg Wissenschaftlicher Mitarbeiter Technische Universität Dresden, Fakultät Umweltwissenschaften, Institut für Hydrologie und Meteorologie, Professur für Meteorologie Kontakt: valeri.goldberg@tu-dresden.de Nils Kochan Softwareentwickler Software im grünen Bereich Kontakt: post@kochan.net Patrycia Brzoska Wissenschaftliche Mitarbeiterin Bundesamt für Naturschutz, Leipzig Kontakt: Patrycia.Gerhard@BfN.de AUTOR*INNEN Gegründet im Jahr 1990, liefert Trialog seit mehr als drei Jahrzehnten zielgruppenspezifische Informationen für Entscheider in technischen Branchen. Die Trialog Publishers Verlagsgesellschaft ist ein spezialisiertes Medienunternehmen mit klassischen und digitalen Publikationen für Ingenieure, technische Fach- und Führungskräfte und Experten aus Wissenschaft und Forschung. Die crossmedialen Fachmedien des Verlags sind darauf ausgerichtet, diese Zielgruppen in Beruf und Karriere professionell zu unterstützen. Bei Trialog Publishers erscheinen die technischwissenschaftlichen Fachmagazine »Internationales Verkehrswesen« (mit den englischsprachigen Specials »International Transportation«) sowie »Transforming Cities | Das Fachmagazin zum urbanen Wandel«. ... sind verlässliche Informationen Trialog Publishers Verlagsgesellschaft 72270 Baiersbronn | Schliffkopfstraße 22 www.trialog.de © Gerd Altmann auf Pixabay Was zählt... 50 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Gerade in größeren Städten führen hohe Temperaturen und Hitzewellen mehrfach zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen in der Bevölkerung - hierbei besonders betroffen: Hitzevulnerable und hilflose Gruppen. Seit 1961 gibt es in Deutschland im Schnitt immer mehr Sommertage, und immer weniger Tage mit Temperaturen unter 0 Grad [3]. Dieser Trend ist auch in Zukunft zu erwarten: Es muss von einer Häufung von Hitzeereignissen ausgegangen werden, bei denen die Temperaturen auch nachts nicht unter 20 Grad fallen - sogenannte Tropennächte - ([4], Bild 1), was eine besondere Gefahr für die Gesundheit von Menschen und Tieren darstellt. Wenn es darum geht, die Bevölkerung vor den Auswirkungen dieser veränderten Bedingungen zu schützen, sind die Städte selbst zentraler Akteur: Sie stehen vor der Aufgabe, den Auswirkungen des Klimawandels mit vielfältigen Maßnahmen konkret entgegenzuwirken. Im Rahmen des Verbundprojektes SMARTilienceGoesLive begleiten Wissenschaftler*innen der Universität Stuttgart und der HafenCity Universität Hamburg die Städte Mannheim und Halle (Saale) bei der Umsetzung solcher Maßnahmen. Ziel des Vorhabens ist es, kommunale Entscheidungs- und Handlungsträger bei der Umsetzung einer klimaresilienten Stadtentwicklung zu unterstützen. Wissenschaftliche Einrichtungen bringen dabei ihr technisches Know-How, aber auch Perspektivenwechsel im Austausch mit Akteur*innen in städtische Projekte ein. Die Verwaltung andererseits bildet eine Brücke zwischen Bürger*innen und der Wissenschaft. Das Aufstellen von öffentlich zugänglichen Trinkbrunnen sowie Trinkwasserspendern oder auch Verschattungselementen sind beispielhafte Klimaanpassungsmaßnahmen, die dazu beitragen, die negativen Folgen urbaner Hitzeinseln zu verringern. Denn wird die Bevölkerung dazu angeregt mehr Wasser zu trinken, kann dies teilweise den negativen Gesundheitsfolgen von starker Hitzeeinwirkung vorbeugen. In einigen Ländern gehören Trinkbrunnen und Trinkwasserspender in Stadtzentren oder Gebäuden deshalb bereits zum Standard - nicht so in Minderung von Hitzefolgen in deutschen Kommunen durch Trinkbrunnen und Trinkwasserspender SMARTilienceGoesLive © Pixabay Urbane Transformation, Urbane Hitzeinseln, Klimaanpassungsmaßnahmen Fatma Cetin, Rebecca Nell, Marcel Schneider, Olga Izdebska, Alexandra Idler, Sabine Falk Weltweit kommt es immer häufiger zu extremen Wetterereignissen - wie etwa Starkregenfluten oder Hitzewellen [1]. Mit dem fortschreitenden Klimawandel stehen auch deutsche Kommunen zunehmend vor immer neuen Herausforderungen: „Jahr für Jahr bricht eine Katastrophe über Deutschland herein, die tödlicher ist als Starkregen, Überschwemmungen und Waldbrände“ [2]. 51 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Deutschland. Nach einer Schätzung der Bundesregierung aus dem Jahr 2019, sind in Deutschland mindestens 1 300 Trinkwasserbrunnen aufgestellt [5]. Dies variiert stark nach Bundesland und Stadt: So besitzt Stuttgart etwa 90, Berlin sogar 200 Trinkwasserbrunnen - in Hamburg gibt es dagegen weniger als ein Dutzend [6, 7, 8]. Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern zeigt sich eine weitere große Diskrepanz: Städte wie Paris, Rom oder Wien besitzen selbst bereits über 1 000 öffentliche Trinkwasserbrunnen. Es besteht klarer Aufholbedarf, denn auch in Deutschland werden Hitzeperioden und ihre Folgen zunehmen [9]. Urbane Hitzeinseln und Gesundheitsfolgen Urbane Hitzeinseln entstehen zum Beispiel in stark bebauten Gebieten, also Flächen mit einem hohen Versieglungsgrad sowie aufgrund des Albedo- Effekts 1 . Fehlt es zudem an Verschattungselementen wie Bäumen oder Sonnensegeln und ist die Frischluftzufuhr bzw. -entstehung gering, dann nehmen die Temperaturen in den betroffenen Gebieten noch weiter zu. Mit steigenden Durchschnittstemperaturen werden diese Hitzeinseln eine immer größere Herausforderung, da die bioklimatische Belastung durch Hitze auch schwerwiegende negative gesundheitliche Folgen haben kann. Zu den direkten negativen Gesundheitsfolgen von Hitze gehören unter anderem: Sonnenstiche und Hitzschläge, 1 Albedo ist ein Maß, das den Anteil der Sonnenstrahlung bemisst, der von einer Oberfläche reflektiert wird. Dehydration oder Hautkrebs [10]. Insgesamt sorgen Hitzewellen deutschlandweit für einen Anstieg der Mortalität. In den Hitzesommern 2003, 2005 und 2015 sind etwa 20 000 Menschen zusätzlich an den Folgen von Hitzebelastung verstorben [11]. „Die Erfahrungen vergangener Hitzeperioden lehren, dass hitzeassoziierte Gesundheitsprobleme manche Menschen stärker treffen als andere. Bei hitzevulnerablen, hilflosen 2 Gruppen kristallisiert sich eine gruppenspezifische Ursachenkonstellation heraus. Je höher die Vulnerabilität und Hilfslosigkeit einer Person gegenüber Hitze ist, desto höher ist auch das Risiko, an gesundheitlichen Konsequenzen von extremer Hitze zu leiden.” [12] Die Stadt Mannheim identifiziert in diesem Zusammenhang in ihrem Hitzeaktionsplan folgende Bevölkerungsgruppen als besonders vulnerabel und hilflos im Umgang mit Hitze: Senior*innen und Pflegebedürftige, Säuglinge und Kleinkinder, chronisch Kranke, psychisch Kranke, Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung, wohnungslose Menschen sowie suchtkranke Menschen. Außerdem zählen dazu weitere Bevölkerungsgruppen wie etwa im Freien Arbeitende oder Sportler*innen, die jedoch nach Definition per se nicht hilflos sind und sich 2 Unter Verwendung der Definition „Hilflosigkeit “ nach der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) (s. ausführliche Definition im [HAP der Stadt Mannheim]). Hitzevulnerable Gruppen sind nach der Definition der Versorgungsmedizin-Verordnung insbesondere Menschen, die hilflos sind. Hilflose Menschen haben von allen Gruppen das höchste Risiko, sich nicht gegen Hitzefolgen wehren zu können. Heiße Tage und Tropennächte 2001 bis 2020 T max / T min (°C) Frankfurt/ Main - Westend Bild 1: Heiße Tage und Tropennächte 2001 bis 2020 Frankfurt/ Main - Westend. © Umweltbundesamt 2020, eigene Zusammenstellung, Daten vom Deutschen Wetterdienst (DWD) 52 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser selbständig vor den negativen Folgen schützen können [12]. Eine Aufgabe deutscher Kommunen ist der Schutz der (hitzevulnerablen, hilflosen) Bevölkerung, um negative Gesundheitsfolgen zu vermeiden und dadurch zur Entlastung des Gesundheitssystems beizutragen. Trinkbrunnen und Trinkwasserspender Umgangssprachlich Trinkbrunnen, genauer Trinkwasserbrunnen, sind öffentlich zugängliche Entnahmestellen für Trinkwasser [14]. Diese werden direkt an die Wasserversorgung angeschlossen und versorgen die Stadtbevölkerung hauptsächlich in den Sommermonaten mit frischem, sauberem Trinkwasser. Eine weitere Möglichkeit, den öffentlichen Zugang zu Trinkwasser zu verbessern, sind Trinkwasserspender in öffentlichen Gebäuden. Trinkwasserspender werden überwiegend im Gebäudeinnern aufgestellt und sind Geräte, an denen Trinkwasser meist in bereits zur Verfügung gestellten Trinkgefäßen bezogen werden kann [15]. Spender werden im Vergleich zu Brunnen durch die Lebensmittelverordnung geregelt und nicht durch die Trinkwasserverordnung. Abgesehen von diesen beiden Unterschieden haben sie jedoch ähnliche Eigenschaften wie Trinkwasserbrunnen. Öffentlich aufgestellte Trinkbrunnen besitzen außerdem einige Vorteile in Bezug auf urbane Hitzeinseln, nachfolgend sind exemplarisch einige aufgeführt: 1. Die Bevölkerung wird motiviert durch den öffentlichen Zugang zu Trinkwasser mehr Wasser zu trinken [16, 17]. 2. Zweitens sparen Trinkwasserbrunnen CO 2 und Abfall ein und sind damit umweltfreundlicher, als Trinkwasser aus Plastikflaschen [16, 17]. 3. Trinkwasserbrunnen können je nach Bauart auch als kleine „Klimainseln“ dienen und kühlen die Umgebung. Brunnen mit Wasserbecken oder solche die Wasser verstäuben, verringern beispielsweise die Umgebungstemperatur merklich [18]. 4. Trinkwasser spart Geld und entlastet die Bevölkerung. Ein Liter Trinkwasser ist deutlich günstiger als Flaschenwasser [19]. Wie bereits erwähnt, werden Trinkbrunnen in Deutschland trotz dieser Vorteile noch nicht flächendeckend eingesetzt. Doch auch hier ändern sich die Umstände zunehmend: Die Bund-Länder- Arbeitsgruppe „Kleinanlagen“ hat beispielsweise einen Leitfaden für Gesundheitsämter zum Betrieb von Trinkbrunnen verfasst [13]. Auch der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches hat im Frühjahr 2022 ein einheitliches Technisches Regelwerk für den Bau und Betrieb von Trinkwasserbrunnen veröffentlicht [14]. Hier knüpft auch die Umsetzung von Trinkbrunnen im Rahmen des SMARTilienceGoes- Live Projektes an. 3 Praxisbeispiele Mannheim und Halle (Saale) In Mannheim werden aktuell Trinkwasserbrunnen im öffentlichen Raum geplant und sollen zeitnah implementiert werden. Dies geschieht in Abstimmung mit mehreren Fachbereichen sowie im Auftrag des Gemeinderats der Stadt Mannheim. Der Fokus der Stadtorte liegt im Mannheimer Innenstadtbereich. Darüber hinaus sollen weitere Trinkwasserspender mit Unterstützung von SMARTilienceGoesLive in Mannheim implementiert werden. Hier ist neben öffentlichen Standorten im Freien auch die Implementierung im Innenraum angedacht. Besonders in Verbindung zum Mannheimer Hitzeaktionsplan sollen hitzevulnerable, hilflose Gruppen fokussiert und mit Trinkwasserspendern in öffentlichen Ein- 3 Weitere Infos zum Bau und Betrieb von Trinkwasserbrunnen: EU-Richtlinie 2184/ 2020. Über die Qualität von Wasser für den menschlichen Verbrauch. Trinkwasserverordnung TrinkwV (insb. § 3-25), Infektionsschutzgesetz IfSG (insb. § 37-39), DVGW Technisches Regelwerk W274: Planung, Bau und Betrieb sowie Eigenkontrolle von öffentlichen Trinkwasserbrunnen, DIN- Normen EN 1717 / 2001-2, Leitfaden: Empfehlung zur Überwachung von Trinkwasserbrunnen - Bund-Länder Arbeitsgruppe „Kleinanlagen“. Bild 2: Die Bevölkerung soll motiviert werden, mehr Wasser zu trinken. © Manuel Darío Fuentes Hernández auf Pixabay Die Arbeitsgruppe „Kleinanlagen“ [13] versteht unter Trinkwasserbrunnen Wasserversorgungsanlagen, die:  einen öffentlich erreichbaren Standort haben (im öffentlichen Raum oder im Falle von Trinkwasserspendern auch innerhalb von Gebäuden) und somit frei zugänglich sind  ganzjährig oder saisonal betrieben werden  aus denen Trinkwasser zur Verfügung gestellt wird und die von einer breiten Öffentlichkeit zur Entnahme von Trinkwasser genutzt werden können. DEFINITION: TRINKBRUNNEN ODER TRINKWASSERSPENDER 53 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser richtungen zur Hitzeprävention und -anpassung unterstützt werden. Ein verbessertes Trinkregime gehört zu wirkungsvollen Maßnahmen gegen Hitze. Daher wurde dieser Aspekt im Mannheimer Hitzeaktionsplan als Maßnahme „Kampagne Trinkmotivation” aufgenommen. Wichtig sind eine diesbezügliche Sensibilisierung und Aktivierung der Bevölkerung und verantwortlichen Akteur*innen. Ziel ist die stärkere Wertschätzung („Wasserbewusstsein“) von Wasser und die Wichtigkeit einer ausreichenden Flüssigkeitszufuhr bei Hitze. Neben Informationen und der Implementierung von Trinkwasserspendern, wird die Maßnahme durch die „Refill-Initiative” von Gastronomie und Einzelhandel zum kostenlosen Auffüllen von eigenen Flaschen mit Trinkwasser unterstützt. Die Errichtung von öffentlichen Trinkwasserspendern ist auch in Halle (Saale) seit einigen Jahren regelmäßig Thema und Wunsch in der Bevölkerung. Aufgrund der Haushaltssituation fiel es der knapp 230 000 Einwohner*innen starken Stadt in Sachsen-Anhalt bisher schwer, neben den beiden vorhandenen öffentlichen Trinkwasserspendern Standort-Entscheidungen für die Installation und den Betrieb weiterer zu fällen. Mit Umsetzung des SMARTilienceGoesLive-Projektes kann im Sinne der Klimaanpassung nun gezielt in weitere öffentliche Trinkwasserspender investiert werden. Möglich macht dies die exakte Verknüpfung unterschiedlicher Geodaten zu einer Hitzevulnerabilitätskarte, mit deren Hilfe visualisiert wird, an welchen Stellen in der Stadt die Errichtung eines Trinkwasserspenders einen besonders hohen Bedarf und Nutzen hat. Hierzu wurden neben Informationen zu städtischen Hitzeinseln unter anderem auch Informationen zu Standorten, wo sich besonders häufig vulnerable Bevölkerungsgruppen aufhalten, verknüpft. In Kombination mit der Hitzevulnerabilitätskarte und technisch notwendigen sowie nachhaltigen Gesichtspunkten werden im Rahmen des Projektes weitere Standorte für öffentliche Trinkwasserspender identifiziert und schrittweise umgesetzt. Ausblick - SMARTilienceGoesLive Die Maßnahmenumsetzung der beiden Städte Mannheim und Halle (Saale), und damit auch die Installation und der Betrieb der neuen Trinkwasserbrunnen, wird im Rahmen des SMARTilienceGoes- Live Projekts von Wissenschaftspartner*innen der Universität Stuttgart und der HCU Hamburg begleitet. Bau und Betrieb von Trinkwasserbrunnen in den beiden Städten werden dabei durch eine kontinuierliche Begleitforschung abgerundet. Die Ergebnisse der Begleitforschung werden in verschiedenen Formen aufbereitet. Neben Vorträgen im Rahmen von Peer-to-Peer-Veranstaltungen werden die Erkenntnisse in die Urban Governance Toolbox 4 überführt. Zentrales Ziel ist hierbei die Übertragbarkeit von Lösungen in andere Städte. Nur wenn die Forschungserkenntnisse entsprechend aufbereitet und geteilt werden, können auch andere Kommunen davon profitieren. Städte und Wissenschaft nehmen daher zunehmend zentralere Rollen in der Anpassung an den Klimawandel ein - es braucht weitaus mehr Kooperationen und Pilotprojekte zwischen Kommunalverwaltungen und Forschungseinrichtungen. Die EU-Kommission empfindet die öffentliche Wasserversorgung ebenfalls als wichtig und fordert in der EU-Trinkwasserrichtlinie von 2020 ihre Mitgliedstaaten auf, den Zugang zu Wasser, für den menschlichen Gebrauch zu verbessern beziehungsweise aufrechtzuerhalten. Außerdem soll die Verwendung von Leitungswasser gefördert werden: Einerseits durch eine breitere Information der Öffentlichkeit aber auch konkret durch das Anbringen von Innen- und Außenanlagen zur öffentlichen Trinkwasserversorgung, wo dies technisch möglich ist [20]. Die Mitgliedstaaten müssen diese Forderung bis Januar 2023 in eigene Gesetze überführen. Es kann davon ausgegangen werden, dass im Laufe der nächsten Jahre auch in Deutschland die Zahl an Trinkbrunnen weiter kontinuierlich steigen wird. Sowohl Städte als auch die Wissenschaft werden ihren Teil dazu beitragen. Ein einfacher öffentlicher Zugang zu Trinkwasser verbessert die Stadtkultur nachhaltig und trägt zur Klimaanpassung bei. 4 Bei der „Urban Governance Toolbox“ handelt es sich um eine (frei zugängliche) Online-Datenbank, die im Rahmen des Projektes SMARTilience („Umsetzung der Leitinitiative Zukunftsstadt “ gefördert vom BMBF; 2019-2022) gesammelten Möglichkeiten (zum Beispiel: Hitzeaktionsplan, Gefahrenkarten) strukturiert aufbereitet und widerspiegelt. Mit einzelnen Filtern wie beispielsweise „Hitze“ , oder „Wasser“ kann die Toolbox durchsucht werden, sodass auf spezielle Probleme passfähige Lösungen gefunden werden können. Bild 3: Trinkwasserspender in Hamburg. © Hamburg Wasser 2022 54 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser [19] Trinkwasserwissen: Was kostet ein Liter Leistungswasser? 2022. https: / / www.trinkwasser-wissen.net/ service/ faq/ kosten-leistungswasser. Zugegriffen am 23.06.2022. [20] Europäische Union EU 2184/ 2020: Richtlinie über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch (Neufassung). LITERATUR [1] Umweltbundesamt 2021: Weltweite Temperaturen und Extremwetterereignisse seit 2010. https: / / www. umweltbundesamt.de/ themen/ klima-energie/ klimawandel/ weltweite-temperaturen-extremwetterereignisse-seit#Chronik. Zugegriffen am 23.06.2022. [2] Biermann, K., Geisler, A., Polke-Majewskwi, K., Venohr, S.: Hitzetote in Deutschland. Der Tod kommt bei Sonnenschein.2022 In: https: / / www.zeit.de/ politik/ deutschland/ 2022-06/ hitze-gefahr-tote-hitzeperioden-klimawandel, zugegriffen am 27.06.2022. [3] Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg 2021: Monitoring-Bericht zum Klimaschutzgesetz Baden- Württemberg: Teil I Klimafolgen und Anpassung. [4] Brienen, S., Walter, A., Brendel, C., Fleischer, C., Ganske, A., Haller, M., Helms, M., Höpp, S., Jensen, C., Jochumsen, K., Möller, J., Krähenmann, S., Nilson, E., Rauthe, M., Razafimaharo, C., Rudolph, E., Rybka, H., Schade, N., Stanley, K.: Klimawandelbedingte Änderungen in Atmosphäre und Hydrosphäre. In: Schlussbericht des Schwerpunktthemas Szenarienbildung (SP 101) im Themenfeld 1 des BMVI Expertennetzwerks, 2020. [5] Deutscher Bundestag 2020: Drucksache 19/ 20306 - Antwort der Bundesregierung. Berlin. [6] Stadt Stuttgart 2022: Brunnen in Stuttgart. https: / / www.stuttgart.de/ brunnen. Zugegriffen am 23.06.2022. [7] Berliner Wasserbetriebe: Öffentliche Trinkbrunnen 2022. https: / / www.bwb.de/ de/ trinkbrunnen.php, zugegriffen am 23.06.2022. [8] Hamburg Wasser: Trinkwasserspender - Unterwegs kostenlos erfrischen. 2022. https: / / www.hamburgwasser.de/ privatkunden/ themen/ trinkwassersaeulen/ , zugegriffen am 23.06.2022. [9] DWD und EWK: Was wir heute über das Extremwetter in Deutschland wissen, 2020. https: / / www.dwd.de/ DE/ klimaumwelt/ aktuelle_meldungen/ 210922/ Faktenpapier-Extremwetterkongress _download.pdf ? _ _ blob=publicationFile&v=1. [10] Bunz, M., Mücke, H.-G.: Klimawandel-physische und psychische Folgen Einleitung. In: Springer 60 (2017) S. 632 - 639. [11] Umweltbundesamt: Gesundheitsrisiken durch Hitze, 2022. https: / / www.umweltbundesamt.de/ d a t e n / u m w e l tg e s u n d h e i t / g e s u n d h e i t s r i s i ke n durch-hitze#indikatoren-der-lufttemperatur-heissetage-und-tropennachte. Zugegriffen am 23.06.2022. [12] Stadt Mannheim: Anpassung an den Klimawandel in Mannheim: Mannheimer Hitzeaktionsplan, 2021. In: https: / / www.mannheim-gemeinsam-gestalten.de/ sites/ default/ files/ unit/ files/ mannheimer_hitzaktionsplan.pdf, zugegriffen am 27.06.2022. [13] Arbeitsgruppe „Kleinanlagen“: Empfehlung zur Überwachung von Trinkwasserbrunnen - Leitfaden für Gesundheitsämter. Druckerei Bundesumweltamt: Berlin, 2022. [14] DVGW: Technischer Hinweis - Merkblatt. DVGW W 274 (M): Planung, Bau und Betrieb sowie Eigenkontrolle von öffentlichen Trinkwasserbrunnen, 2022. [15] Freistaat Sachsen, Landesuntersuchungsanstalt für das Gesundheits- und Veterinärwesen: Hinweise zum hygienischen Umgang mit Wasserspendern in medizinischen und Pflegeeinrichtungen. [16] GUT Certifizierungsesellschaft für Managementsysteme mbH (GUTcert) 2020: Vergleich des CO 2 -Fußabdrucksvon Mineral- und Trinkwasser. [17] a tip: tap: Tonne zu - Hahn auf! Leitungswasser spart Verpackungsmüll, 2020. https: / / atiptap.org/ f iles/ 20201113 pres semit teilung-tonne -zu hahn auf-1.pdf, zugegriffen am 23.06.2022. [18] Kleerekoper, L., van Esch, M., Salcedo, T.B.: How to make a city climate-proof, addressing the urban heat island effect. In: Resources, Conservation, Recycling 64, (2011 ) p. 30 - 38. Fatma Cetin, M.A. Institut für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement IAT Universität Stuttgart Kontakt: fatma.cetin@iat.uni-stuttgart.de Rebecca Nell, M.A. Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO Kontakt: rebecca.nell@iao.fraunhofer.de Marcel Schneider Institut für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement IAT Universität Stuttgart Kontakt: marcel.schneider@iat.uni-stuttgart.de Olga Izdebska, M.Sc. HafenCity Universität Hamburg Kontakt: olga.izdebska@hcu-hamburg.de Alexandra Idler, M.A. Abteilung Klimaschutz | Klimaschutzleitstelle Stadt Mannheim Kontakt: Alexandra.Idler@mannheim.de Sabine Falk, M.Sc. Stadt Halle (Saale) Dienstleistungszentrum Klimaschutz Kontakt: sabine.falk@halle.de AUTOR*INNEN 55 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Grundlagen zum Hitzeinseleffekt Stadtlandschaften zeichnen sich unter anderem durch eine hohe Dichte an versiegelten Oberflächen und die Verwendung anthropogener Materialien aus, bei denen im Vergleich zu natürlichen Oberflächen ein anderer Energieaustausch stattfindet. Energie kann an der Erdoberfläche durch Strahlungs-, Konduktions- oder Konvektionsprozesse ausgetauscht werden [1]. Je nach Materialität der Flächen, an denen der Energieaustausch stattfindet, werden unterschiedliche Anteile der einfallenden Sonnenenergie über verschiedene Prozesse umgewandelt. Beim Energieaustausch im städtischen Gebiet wird viel Energie durch die künstlichen Materialien absorbiert (Konduktionsprozess) und über den sensiblen Wärmestrom (Erwärmung der Luft) mit der bodennahen Luft ausgetauscht. In ländlichen Gebieten mit deutlich mehr natürlichen Materialien wird ein Großteil der Energie über den latenten Wärmestrom (Verdunstung) umgewandelt. Zudem speichern künstliche Materialien, wie zum Beispiel Asphalt und dunkle Fassaden, die tagsüber Hamburg, Nikolaifleet. © Karsten Bergmann auf Pixabay Transformation von Straßenräumen zur Hitzevorsorge Analyse der Flächenpotenziale zur Hitzeanpassung an der Altstadtküste in Hamburg Klimaanpassung, Mobilitätswende, Hitzeinsel, Flächenverteilung Justus Alexander Quanz, Stefan Kreutz, Christoph Meyer, Katarina Bajc, Wolfgang Dickhaut, Judith Gollata Die Altstadtküste ist eine städtische Hitzeinsel in einem stark durch Verkehrsflächen geprägten Stadtteil im Zentrum Hamburgs. Um den Stadtteil vor den Auswirkungen von Hitzewellen zu bewahren, sind schon jetzt Maßnahmen zu ergreifen, um sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen. Zusammen mit der stattfindenden Mobilitätswende müssen die öffentlichen Flächen neu verteilt werden und eine Integration von blau-grünen Infrastrukturen muss stattfinden. Der Beitrag beantwortet die Fragen: Für welche Funktionen werden die Flächen aktuell genutzt? Welche Maßnahmen zur Anpassung eignen sich in von Hitze belasteten Gebieten? Und wie lassen sich Flächen zur Umsetzung identifizieren? 56 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser einfallende Sonnenenergie länger und geben diese als Wärmestrahlung in den Nachtstunden langsamer an die lokale Umgebung ab, als dies bei natürlichen Oberflächen der Fall ist. Unter anderem dadurch bildet sich über bebauten Gebieten eine nächtliche Hitzeinsel aus, die deutlich wärmer ist als das durch natürliche Oberflächen stärker geprägte Umland. Die Hitzeinsel führt zu Differenzen der Temperatur, angegeben in Kelvin (1 K = 1 °C), und macht sich zum Beispiel durch eine höhere Lufttemperatur bemerkbar, deren Differenz zwischen einer dicht bebauten Innenstadt und dem Umland bis zu 12 K betragen kann [2]. Die Stärke des Temperaturunterschiedes, auch Hitzeinselintensität genannt, hängt unter anderem von der dominierenden Landnutzung, der Wärmspeicherkapazität der Gebäude und Oberflächen sowie der Stadtgröße (Ausdehnung und Bevölkerungsdichte) ab. Besonders ausgeprägte Hitzeinseln treten in urbanen Bereichen auf, die aufgrund ihrer Bebauungsstruktur ein Durchlüftungsdefizit haben und über keine oder nur eingeschränkte Frischluftzufuhr aus dem Umland verfügen [3]. Beim Auftreten von Hitzewellen führt die Hitzebelastung bei vulnerablen Gruppen, etwa älteren Menschen, zu einer signifikanten Übersterblichkeit [4]. Der Bund hat deshalb in der Fortschreibung der Anpassungsstrategie an die Folgen des Klimawandels Hitze als stärkstes Klimasignal mit „erheblichen Auswirkungen auf Gesundheit und Infrastrukturen, besonders in Ballungsräumen“ hervorgehoben [5]. Um gegen zukünftig zu erwartende häufigere und intensivere Hitzeereignisse (höhere Temperaturen und längere Dauer) gewappnet zu sein, sind im Rahmen der Klimaanpassung auf der Mesoskala (25 - 100 km) Kaltluftschneisen zur Durchlüftung ebenso zu berücksichtigen, wie die Materialzusammensetzungen baulicher Oberflächen in einzelnen Quartieren auf der Mikroskala (10 - 200 m). Besonders in einem lokalen Kontext gilt es nach Möglichkeit, den Energieaustausch durch die Schaffung von blau-grünen Infrastrukturen an die natürlichen Energieaustauschprozesse anzunähern. Solche blau-grünen Infrastrukturen umfassen strategisch geplante Netze und Strukturen, die durch eine naturnahe Gestaltung und entsprechende Verdunstung und Verschattung zu übergeordneten Zielen der Hitzevorsorge beitragen [6]. Lösungsansatz blau-grüne Infrastrukturen - das Forschungsprojekt LILAS im Wandel Wie eine Integration von blau-grünen Infrastrukturen im Rahmen städtischer Transformationsprozesse gelingen kann, wird im interdisziplinären Forschungsprojekt Lineare Infrastrukturlandschaften (LILAS) im Wandel an der HafenCity Universität Hamburg und der Technischen Universität Hamburg in verschiedenen Hamburger Fokusräumen Bild 1: a) Fokusraum der Altstadtküste mit Darstellung der unterschiedlichen Oberflächenbedeckungen b) Übersichtskarte von Hamburg mit Verortung des Fokusraums und den Messstationen Neustadt (Nst) und des Deutschen Wetterdiensts (DWD) c) Flächenanteile der unterschiedlichen Nutzungen (grüner Bereich bei Verkehrsflächen = extensiv oder intensiv begrünte Fläche). © Quanz et al. 57 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser näher untersucht (weitere Informationen unter: http: / / www.hcu-hamburg.de/ lilas). Die raumerschließenden linearen Infrastrukturkorridore (hier insbesondere Stadtstraßen und kanalisierte Gewässer), die meist öffentliches Eigentum sind, dienen im Forschungsprojekt als Ausgangspunkt, da sie ein gemeinsames Grundgerüst zusammenhängender Infrastrukturlandschaften bilden [7]. Im vorliegenden Beitrag werden die (landgebundenen) Verkehrsräume näher betrachtet, die in Hamburg etwa 10-% der Stadtfläche bedecken (entspricht ungefähr 75- km²) und sich aus Flächen für den Straßenverkehr, für Wege und Plätze zusammensetzen [8]. Problemstellungen im Fokusraum Altstadtküste Einer der im LILAS Projekt betrachteten Fokusräume ist die Hamburger Altstadtküste (Bild 1a) - ein Gebiet zwischen der Innenstadt und der HafenCity. Den Raum charakterisiert eine bauliche Mischung verschiedener Gebäudeensemble aus unterschiedlichen Epochen der Stadtgeschichte. Dies führt unter anderem zu einer heterogenen Gebäudehöhe von durchschnittlich 21 m sowie einer breiten Mischung der verwendeten Baumaterialien. Die öffentlichen Räume sind durch Straßen und deren verkehrliche Nutzung sowie durch Kanäle und Fleete dominiert - Grünflächen gibt es kaum. Die Materialzusammensetzung aus überwiegend künstlich hergestellten Baustoffen (Energieaustausch) und die zentrale Lage in der Innenstadt (Durchlüftung) machen die Altstadtküste zu einer Hitzeinsel mit deutlicher nächtlicher (4 Uhr) Überwärmung, mit einer Hitzeinselintensität von 1,7 K gegenüber dem stadtweiten Mittel nach der Stadtklimaanalyse von 2017 (Simulation einer austauscharmen Wettersituation) [9]. Neben den Simulationsergebnissen des Hamburger Stadtklimas belegen auch Messdaten des Meteorologischen Instituts der Universität Hamburg aus dem näheren Umfeld der Altstadtküste (blauer Punkt - Nst (Neustadt), Bild 1b) während der Sommermonate 2021 eine Hitzeinselintensität von im Mittel etwa 2,0 K in den Nachtstunden (22 - 05-Uhr) gegenüber der Lufttemperatur der DWD-Station (Deutscher Wetterdienst) in Fuhlsbüttel (roter Punkt - DWD, Bild 1b). Die Ausprägung der Hitzeinsel kann nur geringfügig durch den Luftaustausch entlang der Gewässer abgemildert werden. Dieser Effekt kann vernachlässigt werden, da die Kaltluftentstehungsgebiete deutlich außerhalb der Innenstadt liegen und sich an der Altstadtküste keine Elemente des grünen Netzes in Hamburg befinden, die einen positiven Effekt auf das lokale Stadtklima haben [10]. Die Kühlleistung der Wasserflächen selber ist besonders in den Nachtstunden zu vernachlässigen, da bei unterschiedlichen Gewässerkonfigurationen (unter anderem Ausrichtung, Uferbegrünung) sogar ein leicht wärmender Effekt nachgewiesen wurde [11]. Erweiterte Flächenanalyse im Fokusraum Altstadtküste Mit dem Wissen über die deutlich ausgeprägte und bereits spürbare Hitzeinsel an der Altstadtküste und den bevorstehenden Auswirkungen des Klimawandels, müssen Möglichkeiten für die Umsetzung von Klimaanpassungsmaßnahmen gesucht werden, um hier resiliente baulich-räumliche Strukturen und gute Lebensbedingungen, auch während Hitzewellen, zu ermöglichen. Abgesehen von den gut 22 % Wasserflächen im Gebiet, verfügt die Altstadtküste nur über einen kleinen Anteil an unversiegelten Flächen, auf denen ein nicht von anthropogenen Oberflächen dominierter Energieaustausch stattfinden kann. 31-% des Gebietes sind mit Gebäuden überbaut, die durch ihre Oberflächen aus (meist) künstlich hergestellten Materialien ebenfalls zur Entstehung der nächtlichen Hitzeinsel beitragen. Potenzialflächen für die Umsetzung von ebenerdigen Klimaanpassungsmaßnahmen müssen daher auf den verbliebenen versiegelten Flächen identifiziert werden. Dafür eignen sich besonders Teilflächen linearer Infrastrukturkorridore, die eine monofunktionale Nutzung mit bereits heute oder zukünftig geringer Nutzungsintensität aufweisen und bei denen auf kleiner Fläche die notwendigen Nutzungsanforderungen bedient werden können. Dort und auf potenziell untergenutzten Flächen, wie Sperrflächen oder Flächen der Verkehrsberuhigung, liegen große Chancen für eine Neuordnung und Umwidmung [12]. Im Folgenden wird der Fokus auf die Verkehrsflächen (39 % des Gebietes) gelegt, um in diesem Bereich entsprechende (zukünftig) wenig genutzte Flächen zu identifizieren. Die Daten der Straßenquerschnittsflächen aus dem Jahr 2016 [13] verzeichnen für das Gebiet der Altstadtküste 26 unterschiedliche Teilräume des Straßenquerschnitts. Nur 2 % der Straßenflächen werden als extensiv oder intensiv gepflegte Grasflächen angegeben (Bild 1c), wobei darin auch andere Vegetationsflächen enthalten sind. Zudem befinden sich im Straßenraum 241 Straßenbäume, von denen je ein Viertel älter als 40 Jahre und jünger als 10 Jahre ist. Der Kronendurchmesser, und damit der verschattete Raum, schwankt ebenfalls beträchtlich mit im Mittel 5 Metern [14]. Über den Anteil der unversiegelten Fläche 58 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser der Baumscheiben gibt das Straßenbaumkataster keinen Aufschluss. Nach intensiver Begehung des Gebietes kann aber festgestellt werden, dass der Anteil der unversiegelten Flächen im Straßenquerschnitt in den verwendeten Daten unterschätzt wird. Die als Fahrbahnen gekennzeichneten Bereiche machen einen Anteil von 58 % der Straßenquerschnittsflächen aus hinzu kommen die Parkstreifen mit 5 %. Die Nutzung dieser Flächen durch den motorisierten Individualverkehr führt aufgrund der vergleichsweise höheren Geschwindigkeiten gegenüber dem Fuß- und Radverkehr sowie der geringen Auslastung der Fahrzeuge im Vergleich zum ÖPNV zu einer geringen Flächennutzungseffizienz [15, 16]. Durch die Stärkung der Verkehrsmittel des Umweltverbunds im Kontext der Mobilitätswende können sich zukünftig allerdings neue Möglichkeiten für die Gestaltung von bisher versiegelten Straßenräumen ergeben, da sich der Flächenverbrauch, bei gleichzeitigem Ausbau der Mobilitätsoptionen, reduzieren lässt [17]. Die Mobilitätswende schafft also Platz für die Entsiegelung von bisherigen Fahrbahnflächen. Strategien und Maßnahmen zur Hitzevorsorge an der Altstadtküste Bei den Maßnahmen zur Vorsorge gegen extreme Hitzebelastung können zwei Typen unterschieden werden: Maßnahmen, die im von Hitze betroffenen Gebiet (Belastungsraum) umgesetzt werden und Maßnahmen, die im Umland (Ausgleichsraum) realisiert werden. Dieser Beitrag befasst sich mit dem konkreten von Hitze belasteten Raum an der Altstadtküste und daher wird nur auf Maßnahmen für den Belastungsraum eingegangen. Für St. Georg, ein ähnlich hitzebelastetes Gebiet in Hamburg, wurden bereits Maßnahmen zur Hitzevorsorge auf unterschiedlichen Flächen zusammengestellt (Dachflächen, Fassadenflächen, versiegelte Bodenflächen, Straßenraum) [18]. Ebenso kommt eine Veröffentlichung des Umweltbundesamts zur Klimaanpassung in der räumlichen Planung zu drei Handlungsstrategien, die auf diese Flächen abzielen [19]:  Anpassung der baulichen Struktur,  Erhöhung der Albedowerte von Fassaden, Dächern und anderen befestigten Oberflächen  Verbesserung der Grün- und Freiraumausstattung durch Begrünung und Entsiegelung. Bei der ersten Strategie wird vor allem der Luftaustausch im belasteten Gebiet durch die Schaffung neuer Luftaustauschbahnen beeinflusst. Dabei sind jedoch zum Teil umfangreiche Eingriffe in den baulichen Bestand notwendig (zum Beispiel: Abriss), sodass für bestehende Siedlungskörper wie die Altstadtküste besonders die Handlungsstrategien zwei und drei geeignet sind. Für die Veränderung der Albedowerte gibt es neben der Verwendung von hellen Materialien auch die Möglichkeit, mit dem Einsatz von entsprechenden Farben die Rückstrahlung zu optimieren. Dafür können im Verkehrsraum beispielsweise Anstriche von Fahrbahn, Geh- oder Radweg genutzt werden. Deutlich wirksamer, aber auch etwas komplizierter in der Umsetzung sind die Maßnahmen der Begrünung und Entsiegelung [12]. Gill et al. konnten für Manchester nachweisen, dass eine Vergrößerung der Flächen, die von grünen Infrastrukturen bedeckt sind, um zehn Prozent in dichten Stadtgebieten die maximale Oberflächentemperatur unter die Referenzwerte von 1961 - 1990 senken könnte [20]. Eine Erhöhung des von Vegetation bedeckten Flächenanteils, also die Schaffung von weiteren Grünflächen, wird in vielen Studien als effektive Maßnahme zur Hitzevorsorge identifiziert und führt dazu, dass der Energieaustausch den natürlichen Prozessen wieder angenähert wird und weniger Energie als sensibler Wärmestrom (Konvektion) umgesetzt oder gespeichert (Konduktion) wird [21]. Mit Blick auf die geschilderten Maßnahmen zur Hitzevorsorge und die aktuellen Flächennutzungen an der Altstadtküste stellt sich die Frage, welche der Maßnahmen auf welchen Flächen den Energieaustausch an ein natürliches Niveau annähern können. Neben den privaten Flächen, auf denen sich überwiegend Gebäude befinden und auf denen es mit der Gebäudebegrünung (Fassaden- und Dachbegrünung) ebenfalls Anpassungsmöglichkeiten gibt, den Wasserflächen, die bereits eine natürliche Energiebilanz aufweisen, die sich mit Begrünung als Urban Wetlands noch optimieren lässt [22], muss vor allem der größte Teil der versiegelten Fläche im Gebiet, also der Verkehrsraum, entsiegelt und naturnäher gestaltet werden. Dies kann nicht allein durch eine Umnutzung von Restflächen oder ungenutzten Bereichen im Straßenraum gelingen, sondern bedarf dort der Integration eines BlueGreenStreets- Korridors, in dem sich die Anforderungen einer wassersensiblen, hitzeangepassten und einladenden Straßenraumgestaltung räumlich bündeln. Als Planungshilfe für die Integration von blau-grünen Elementen wurde im BlueGreenStreets-Projekt eine Toolbox erarbeitet, die am Beispiel realisierter Pilot- Maßnahmen in verschiedenen Städten die Möglichkeiten der konkreten Umsetzung im Straßenraum zeigt [12]. Diese Modellprojekte und ihre Erkenntnisse müssen nun den Weg in die Planungspraxis finden. 59 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser LITERATUR [1] Oke, T.: Boundary layer climates, 2. edition. London a. a.: Routledge, 1987. [2] Oke, T., Mills, G., Christen, A., Voogt, J.: Urban Heat Island. In Urban Climates (2017) pp. 197 - 237. Cambridge: Cambridge University Press. [3] Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt: Stadtklimatische Bestandsaufnahme und Bewertung für das Landschaftsprogramm Hamburg Klimaanalyse und Klimawandelszenario 2050, 2012. [4] World Health Organization: Public Health Advice on Preventing Health Effects of Heat—New and Updated Information for Different Audiences; WHO Regional Office for Europe: Copenhagen, Denmark, 2011. [5] Bundesregierung: Fortschrittsbericht zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel Deutscher Städtetag: Anpassung an den Klimawandel in den Städten. Forderungen, Hinweise und Anregungen. Deutscher Städtetag, Berlin und Köln, 2019. [6] BlueGreenStreets: BlueGreen-Streets als multicodierte Strategie zur Klimafolgenanpassung - Wissensstand 2020, April 2020, Hamburg. [7] Bajc, K., Gollata, J., Kreutz, S., Matullat, J., Meyer, C., Quanz, J., Stokman, A., Dickhaut, W., Gertz, C., Knieling, J.: Lineare Infrastrukturlandschaften im Wandel - Perspektiven für eine blau-grüne Transformation von Stadtstraßen und kanalisierten Gewässern. Herausgegeben von Stokman, A., Dickhaut, W., Gertz, C., Knieling, J. Diskussionspapier / Working. Mai 2022, HafenCity Universität Hamburg, Hamburg. [8] Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein: Statistische Berichte - Bodenflächen in Hamburg am 31.12.2020 nach Art der tatsächlichen Nutzung. Herausgegeben am 8. September 2021. [9] Quanz, J.: Hitzevulnerabilität in Hamburg - Vulnerabilitätsbetrachtung im sozio-ökologische-teschnischen System. PLANERIN 3 (2022) S. 45 - 46. [10] Peters, C.: Gesundheit und Stadtgrün in Hamburg: Ein Trend mit Zukunft? In: Rainer Fehr und Jobst Augustin (Hg.): Nachhaltige StadtGesundheit Hamburg II. Neue Ziele, Wege, Initiativen, (2022) S. 100 - 110. [11] Jacobs, C., Klok, L., Bruse, M., Cortes-o, J., Lenzholzer, S., Kluck, J.: Are urban water bodies really cooling? . Urban Climate, 32, (2020) 100607. [12] BlueGreenStreets (2022): BlueGreen-Streets Toolbox - Teil A. Multifunktionale Straßenraumgestaltung urbaner Quartiere, März 2022, Hamburg. [13] Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Verkehr und Mobilitätswende: Straßenquerschnittsflächen SIB Hamburg, 2016. Online abgerufen unter https: / / metaver.de/ trefferanzeige? cmd=doShowDocument&do cuuid=BF946DDC-551F-463C-8367-7B76D0203F18 am 09.12.2020. [14] Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft: Straßenbaumkataster Hamburg, 2019. Online abgerufen unter https: / / metaver.de/ trefferanzeige? cmd=doShowDocument&d ocuuid=C1C61928-C602-4E37-AF31-2D23901E2540 am 13.07.2020. [15] Nello-Deakin, S.: Is there such a thing as a ‚fair ‘ distribution of road space? Journal of urban Design, 24: 5, (2019) p. 698 - 714. [16] Umweltbundesamt: Treibhausgas-Emissionen und Auslastung des Personenverkehrs 2019 nach Verkehrsmitteln, 2021. Online abgerufen unter https: / / www. umweltbundesamt.de/ bild/ tab-treibhausgas-emissionen-auslastung-des am 12.07.2022. [17] Agora Verkehrswende: Mit der Verkehrswende die Mobilität von morgen sichern. 12 Thesen zur Verkehrswende, 2017. [18] Kruse, E., Rodríguez Castillejos, Z., Dickhaut, W., Dietrich, U. (Hrsg.): Überflutungs- und Hitzevorsorge in Hamburger Stadtquartieren. Wissensdokument. Unter Mitarbeit von Werner Steinke. HafenCity Universität Hamburg; Hamburg. 1. Auflage, 2017. [19] Umweltbundesamt: Klimaanpassung in der räumlichen Planung: Starkregen, Hochwasser, Massenbewegungen, Hitze, Dürre: Gestaltungsmöglichkeiten der Raumordnung und Bauleitplanung : Praxishilfe, 2016. [20] Gill, S., Handley, J., Ennos, A., Pauleit, S.: Adapting Cities for Climate Change: The Role of the Green Infrastructure. Built Environment, 33 (1), (2007) p. 115 - 133. [21] Davern, M., Farrar, A., Kendal, D., Giles-Corti, B.: Quality Green Public Open Space Supporting Health, Wellbeing and Biodiversity: A Literature Review. Report prepared for the Heart Foundation, SA Health, Department of Environment, Water and Natural Resources, Office for Recreation and Sport, and Local Government Association (SA). University of Melbourne: Victoria, 2016. [22] Umweltbundesamt: Untersuchung der Potentiale für die Nutzung von Regenwasser zur Verdunstungskühlung in Städten. Abschlussbericht, 2019. Justus A. Quanz, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Fachgebiet Umweltgerechte Stadt- und Infrastrukturplanung HafenCity Universität Hamburg Kontakt: justus.quanz@hcu-hamburg.de Dipl.-Ing. Stefan Kreutz Wissenschaftlicher Mitarbeiter Fachgebiet Landschaftsarchitektur und Landschaftsplanung HafenCity Universität Hamburg Kontakt: stefan.kreutz@hcu-hamburg.de Christoph Meyer, M.A. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Inst. für Verkehrsplanung und Logistik W8 Technische Universität Hamburg Kontakt: christoph.meyer.vpl@tuhh.de Dipl.-Ing. Katarina Bajc Wissenschaftliche Mitarbeiterin Fachgebiet Landschaftsarchitektur und Landschaftsplanung HafenCity Universität Hamburg Kontakt: katarina.bajc@hcu-hamburg.de Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Dickhaut Fachgebietsleitung Umweltgerechte Stadt- und Infrastrukturplanung HafenCity Universität Hamburg Kontakt: wolfgang.dickhaut@hcu-hamburg.de Judith Gollata, M.A. Wissenschaftliche Mitarbeiterin Fachgebiet Stadtplanung und Regionalentwicklung HafenCity Universität Hamburg Kontakt: judith.gollata@hcu-hamburg.de AUTOR*INNEN 60 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser In allen bekannten Klimawandel-Anpassungsstrategien, die in den vergangenen Jahren von und für Städte erarbeitet wurden, wird eine vermehrte Verwendung von Vegetation, insbesondere von Bäumen gefordert [1] Begründet ist diese Forderung durch die bekannten positiven Klimaeffekte, die sowohl durch die hohe Verschattungsleistung als auch durch die hohe Transpirationsleistung entstehen. Ein interdisziplinäres Team hat sich im Rahmen eines von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt geförderten, praxisbasierten Forschungsvorhabens mit der Frage beschäftigt, ob Bäume so nah an eine Fassade gepflanzt werden können, dass sie als eine neue Kategorie der Bauwerksbegrünung als „Baumfassaden“ etabliert werden können. In der aktuellen Stadtplanung werden Bäume derzeit nur mit einem gewissen Abstand zum Gebäude gepflanzt, damit sich Krone und Wurzeln adäquat entwickeln können, aber auch um möglichen Sturmschäden an der Fassade vorzubeugen. Bedenken hinsichtlich Beschädigungen des Gebäudefundaments oder der unterirdischen Infrastruktur durch Wurzeln sind weit verbreitet [2], weshalb es ungewöhnlich erscheint, Bäume und Gebäude bewusst zusammen zu planen. Dokumentationen im urbanen Kontext verschiedener Städte zeigen jedoch, dass es bereits zahlreiche Beispiele für fassadennahe Bäume gibt (Bild 1). Wenn ein Baum derart nah an einer Fassade wächst, ist seine normale Reaktion, die Ast- und Kronenentwicklung zur Fassade hin zu minimieren und sich zu mehr Raum und Licht hin zu entwickeln. Durch das bewusste Pflanzen von Bäumen direkt am Gebäude und das gleichzeitige Beschleunigen des natürlichen Wachstumsverhaltens durch ein Beschneiden der zu Fassade gerichteten Äste führt dies zu folgender Definition: Baumfassaden in Bamberg Entwicklung einer neuen Form grüner Architektur mit großen klimatischen und gestalterischen Potenzialen Baumfassade, Gebäudebegrünung, grüne Architektur Lisa Höpfl, Florian Köhl, Christian Burkhard, Julian Lienhard, Divya Pilla, Ferdinand Ludwig Die Etablierung von Baumfassaden in Städten verspricht neue Wege des Klimaschutzes und der Klimaanpassung am Gebäude und auf Quartiersebene. Für ein soziales Wohnungsbauprojekt in Bamberg werden große Bäume so nah an die Fassade gepflanzt, dass sie zur Verschattung und Kühlung des Gebäudes beitragen, den Prozess des stetigen Wandels in die Architektur verankern und neue architektonische und räumliche Qualitäten erzeugen. Ein interdisziplinäres Team hat sich mit möglichen Herangehensweisen, Schnittstellen und der Umsetzung auseinandergesetzt. Bild 1: Fassadennahe Bäume an verschiedenen Standorten in München. © Fotos 1 - 4: Ferdinand Ludwig, Foto 5: Mahtab Baghaiepoor 61 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Eine Baumfassade besteht aus ausladenden, großkronigen Bäumen, die so nah an ein Gebäude gepflanzt werden, dass die Baumkrone von außen visuell Teil des Hauses wird. Die Pflanzung des Baumes nah an der Fassade führt, begleitet durch pflegerische Schnittmaßnahmen, zur Ausbildung einer „halben Krone“ (Bild 2). Die Bewohner der Gebäude können den Baum unmittelbar vor dem Fenster oder vom Balkon aus erleben und es entsteht der Eindruck, sich direkt in der Baumkrone zu befinden, im Baum zu leben. Ausgangspunkt des Projekts In einem europaweiten Wettbewerb wurde für eine Konversionsfläche (etwa 3 ha) der US-Streitkräfte in Bamberg ein Konzept für ein nachhaltiges und gemeinwohlorientiertes Stadtquartier, die zukünftigen „Lagarde-Höfe“ gesucht. Den Zuschlag erhielt der Vorschlag der Volksbau Bamberg: neben Wohnungen und Gewerbe wird ein nach der DGNB zertifizierter Stadtteil entstehen. Unterschiedliche Architekturbüros, darunter fatkoehl architekten, planen die einzelnen Gebäude, so auch das Kopfgebäude Haus N° 11, das sich im Inneren des neuen Viertels befindet und dessen Fassaden nach Süden, Westen und Osten orientiert sind. Bereits in der Entwurfsphase entstand der Wunsch, das Gebäude auf eine innovative Art zu begrünen, um eine vielfältige und lebendige Wohnumgebung mit angenehmem Mikroklima zu schaffen. Inspiriert von den Arbeiten des Forschungsgebiets Baubotanik (TU München) und baubotanischen Entwürfen des Office for Living Architecture (OLA) war der Wunsch der Architekten, in Bamberg ein grünes Pilotprojekt mit Baumfassaden zu initiieren, das innerhalb der ökonomischen Rahmenbedingungen des sozialen Wohnungsbaus realisierbar ist. Für dieses Vorhaben fand sich ein interdisziplinäres Forschungsteam aus Architekten, Landschaftsarchitekten und Tragwerksplanern zusammen, um konzeptionelle Ansätze zu entwickeln, die kritischen Punkte zu identifizieren und konstruktiv-technische und gestalterische Grundlagen für eine Umsetzung zu entwickeln. Erste Überlegungen Ausgewählt wurden die ostseitige Hoffassade und die stark besonnte Südseite für eine potenzielle Baumfassade. Bereits in ersten Planungsgesprächen stellte sich heraus, dass das Verständnis von Baumwachstum und Baumstatik, insbesondere bei Wind, ein Schlüsselfaktor bei der Gestaltung von Baumfassaden ist. Untersucht wurde dafür der Baum in seiner Entwicklung vom Jungbaum zum ausgewachsenen Baum und sein jeweiliges Verhalten im Wind. Je nach Stadium liegen im Stamm und den Ästen unterschiedliche Flexibilitätsbzw. Steifigkeitsgradienten vor, die je nach Windstärke zu unterschiedlich starken Bewegungen führen [3]. Das macht den Baum und das Gebäude zu unterschiedlichen Zeitpunkten und an unterschiedlichen Punkten anfällig für Schäden: 1. Der Baum kann sich aufgrund zu geringer Wurzelverankerung (bei der Pflanzung oder bei schlechter Entwicklung) vom Haus weg- oder zum Haus hinneigen oder gar entwurzelt werden und kippen. 2. Zweige und Äste können an die Fassade schlagen, diese beschädigen oder selbst abbrechen Von diesem Risiko ausgehend wurden für das Projekt zwei Prinzipien im Umgang mit dem sich ändernden Verhalten des Baumes entwickelt: die zusätzliche Sicherung oder Abstützung des Baumes (dauerhaft oder temporär) oder die Integration der Bewegung des Baumes in die Planung. Architektonische Voraussetzungen und Entwicklung konstruktiver Varianten Die Kubatur und die Gestaltung der Fassade waren zum Planungszeitpunkt der Baumfassade bereits weitestgehend festgelegt. Das dreibzw. in manchen Bereichen viergeschossige Gebäude ist mit regelmäßig angeordneten Fensteröffnungen ausgestattet und verfügt über Balkone am zurückspringenden Teil der Südfassade. Basierend auf den zwei identifizierten Prinzipien wurden drei Konstruktionsvarianten entwickelt. Bei Variante (1) werden die Bäume sehr nah vor das Gebäude gepflanzt. Der Abstand zwischen Fassade und Stammmitte beträgt lediglich etwa 70 cm und stellt genau die Hälfte des Wurzelballens bei der Pflanzung dar. Um den jungen Baum bei seinem Verankerungs- und Wachstumsprozess zu unterstützen und den älteren, stabileren Baum mit flexibler Triebspitze vor dem Abknicken bei starkem Wind zu schützen, wird vorgeschlagen, Bild 2: Schematischer Schnitt und Ansicht einer Baumfassade. © Zeichnung: Lisa Höpfl 62 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser die Bewegungsdynamik über eine an der Fassade dauerhaft verbleibende, aber elastisch angebundene Wachstumsstütze zu reduzieren (Bild 3 - 1). Der flexible Spross des Baumes wird ab dem Zeitpunkt der Pflanzung regelmäßig um die Wachstumsstütze nach oben geführt, so dass mit zunehmender Dicke beide Elemente zu einer Einheit verwachsen (vgl. Forschungen zu baubotanischen Strukturen [4, 5]. Hierzu wurde ein Feder-Dämpfer-System konzipiert, das die auftretenden Kräfte thermisch entkoppelt an der Rohbaukonstruktion verankert, sodass dabei keine Wärmebrücken entstehen. Die Kopplung des starren Systems Gebäude mit dem flexiblen System Wachstumsstütze - Baum stellt eine Herausforderung dar, die bereits früh im Planungsprozess und in der Kostenkalkulation angedacht werden sollte. Der Ansatz wurde aufgrund des vergleichsweise hohen technischen Aufwands und der damit verbundenen, im sozialen Wohnungsbau nicht darstellbaren Kosten für das Projekt verworfen. Eine weitere Variante (2) entwickelte sich aus den an der Südfassade befindlichen Balkonen. Auskragende Elemente (wie zum Beispiel auch Laubengänge) können genutzt werden, um den Baum temporär und elastisch beispielsweise mit Baumanbindern oder Kokosstricken an speziellen, in das Bauteil integrierte, eingelassene oder auskragende Geländer anzubinden (Bild 3 - 2). Ist der Baum etabliert, werden die temporären Anbindungen entfernt. Der Ansatz technisch deutlich einfacher, unter anderem auch deshalb, weil keine (zusätzliche) Durchdringung der thermischen Gebäudehülle nötig ist. Da bei dem Projekt Balkone nur partiell vorhanden sind und der ökonomische Druck im Kontext des sozialen Wohnungsbaus eine noch kostengünstigere Lösung erforderte, wird bei der Variante (3) statt der Wachstumsstütze oder der Anbindung am Balkon die eigene Tragfähigkeit des Baumes genutzt und der Abstand zum Gebäude auf ca. 120 cm erhöht (Bild 3 - 3). Das Schadensrisiko zwischen dem dynamischen System (Baum) und dem statischen System (Gebäude) wird dabei minimalisiert. Basierend auf Beobachtungen und ersten Simulationen des dynamischen Verhaltens des Baumes im Wind kann davon ausgegangen werden, dass in diesem Fall die biegsamen Äste die Fassade in einem Sturmszenario zwar berühren können, ihr aber keinen Schaden zufügen und lediglich kleine Zweige abbrechen. Diese Variante wurde zur Umsetzung ausgewählt. Klimatische Aspekte Durch ihr wesentlich größeres Kronenvolumen weisen Baumfassaden im Vergleich zu flächigen Fassadenbegrünungen potenziell eine noch deutlich höhere mikroklimatische Wirkung auf. So können bei Bäumen durch die hohe Transpirationsleistung lokale Temperaturreduktionen der Außenluft von bis zu 3,5° C nachgewiesen werden, während bei Fassadenbegrünungen nur bis zu 1,3° C gemessen werden [6]. Durch die reine Verschattung des Baumes reduziert sich die Wandoberflächentemperaturen um bis zu 9° C [7]. Räumliche-zeitliche Aspekte Die Frage nach der räumlichen Wirkung der Baumfassade eröffnet der Architektur neu Gestaltungsmöglichkeiten und ist deshalb ein essentieller Bestandteil des Entwurfsprozesses. Während die Entwicklung des Gebäudes mit dem Einzug der ersten Nutzer*innen abgeschlossen ist, befindet sich die Baumfassade zu diesem Zeitpunkt noch im Anfangsstadium des Wachstums. Bis zum Erreichen der angestrebten Höhe und eines maximalen Kronenvolumens dauert es je nach Art 20 - 30 Jahre (Bilder 4 - 6). Die räumlichen Erfahrungen sind also einem ständigen Wandel unterworfen. Das Denken in solchen Zeitdimensionen beeinflusst auch die Lebenszyklen und Bedürfnisse der Bewohner sowie die sozialen Komponenten der Architektur. Neben der zeitlichen Komponente werden räumliche Qualitäten insbesondere durch die Anordnung der Bäume und den Abstand der Baumfassade vor dem Gebäude beeinflusst. Entscheidend für die räumliche Wirkung des „Lebens in der Baumkrone“ ist in erster Linie die konkret gewählte Baumart. Ihre Kronenarchitektur, die Belaubungsdichte und jahreszeitlich bedingte Eigenschaften (zum Beispiel der Zeitpunkt des Laubaustriebs) ermöglichen eine adäquate Belichtung der Innenräume bei gleichzeitiger Gebäudekühlung durch Verschattung sowie einen natürlichen Sichtschutz oder mögliche Blickbeziehungen in die Umgebung. Qualitativ-ästhetische Aspekte Baumstämme, Aststrukturen und Blattwerk bilden je nach Jahreszeit ein komplexes Licht- und Schattenspiel, das sich von den Balkonen, über die Bild 3: Für Bamberg entwickelte strukturelle Varianten: (1) Baum mit eingewachsener Wachstumsstütze, (2) Integration und temporäre Anbindung des Baumes am Balkon, (3) Baum frei vor der Fassade stehend. © Zeichnung: Lisa Höpfl 63 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Fassade bis in die Wohnräume hinein erstreckt. Die Ausblicke ändern sich mit der Jahreszeit, dem Alter des Baumes und der erlebbaren Höhe der Baumkrone: Im Winter dringt Licht in die Wohnräume und der Blick öffnet sich, gelenkt von den Ästen, in die Umgebung. Im Sommer ermöglicht das Laub nur partielle Ausblicke und eine introvertiertere Erfahrung der Baumkrone. Durch die Unmittelbarkeit des Baumes werden dessen Eigenschaften für die Nutzer nicht nur visuell, sondern auf vielfältige Arten sinnlich erfahrbar: die Textur von Stamm, Rinde und Ästen, das Ansiedeln von Moosen, das Überwintern der Knospen in der kalten Jahreszeit, das Austreiben der Blätter im Frühjahr genauso wie der Laubfall im Herbst. Regen und Wind spielen beim Erleben sinnlicher Qualitäten eine zentrale Rolle. Durch die sanfte oder starke Bewegung von Ästen und Blättern im Wind, das verzögerte Abtropfen von Wasser nach einem Sommerregen oder durch Schnee auf den Ästen im Winter werden Wetter und Jahreszeit intensiv erfahrbar. Das Erlebnis wird durch neue, nicht alltägliche Beobachtungen, wie Geräusche von schlagenden Ästen und raschelndem Laub und Gerüche nach frischem Blattgrün, Rinde oder Regen bereichert. Dies und die Möglichkeit, Vögel und Insekten auf dem Balkon oder vom Wohnzimmer aus zu beobachten, bringen eine neue Art von Naturerlebnis in das unmittelbare Wohnumfeld der Nutzer (Bild 7). Prozess der Baumartenwahl Die Artenwahl für Bamberg erfolgte zunächst nach Standortkriterien. Berücksichtigt wurden das örtliche Klima, die vorhandenen Bodeneigenschaften, die Ausrichtung und die damit verbundene Besonnungsdauer an der Fassade. Da es sich bei Fassaden durch ihre Wärmespeicherkapazität und den eingeschränkten Wurzelraum um „Extremstandorte“ handelt, mussten die Arten besonders hitze- und trockenheitstolerant sein, gleichzeitig aber auch wenig anfällig für Windbruch. Mit der daraus abgeleiteten Liste potenziell in Frage kommender Arten erfolgte eine Prüfung im Zusammenspiel mit dem architektonischen Konzept. Die Bedürfnisse der zukünftigen Bewohner nach Licht- und Blickdurchlässigkeit sowie einer möglichst hohen gesundheitlichen Verträglichkeit wurden dabei ebenfalls berücksichtigt. Als Grundlage für die Vorauswahl wurden Listen der GALK [8], die Baumartenmatrix von A. Roloff [9] sowie die Beschreibungen der Arten in Baumschulkatalogen herangezogen. Ergebnisarten der Vorauswahl waren die Roteiche (Quercus rubra) und die Robinie (Robinia pseudoacacia). Bild 4: Baumfassade Bamberg nach Pflanzung. © Zeichnung: Divya Pilla, Florian Köhl Bild 5: Baumfassade Bamberg nach drei Jahren. © Zeichnung: Divya Pilla, Florian Köhl Bild 6: Baumfassade Bamberg nach 10-15 Jahren. © Zeichnung: Divya Pilla, Florian Köhl Bild 7: Blick in die Baumkrone eines zufällig in unmittelbarer Nähe vor dem Gebäude wachsenden Baumes. Vergleichbare ästhetische Eindrücke sind bei einer gezielt angelegten Baumfassade zu erwarten. © Ferdinand Ludwig 64 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Nach umfassenden Beratungen mit der Baumschule zu den gewählten Arten stellte sich heraus, dass die Roteiche in der gewünschten Qualität nicht verfügbar war. Als Alternative wurde zunächst die Zerreiche (Quercus cerris) diskutiert, die für den Standort ebenfalls geeignet ist. Wie alle Eichenarten kann die Zerreiche jedoch vom Eichenprozessionsspinner befallen werden, der starke allergische Reaktionen auslösen kann, was im unmittelbaren Wohnumfeld zu riskant wäre und im Falle eines Befalls einen spürbaren Akzeptanzverlust der Nutzer*innen zur Folge hätte. Die finale Auswahl fiel schließlich auf die amerikanische Esche (Fraxinus americana „Autumn Applause“), die den Anforderungen des Bamberger Standortes entspricht, sich durch ihren regelmäßigen Aufbau gut in die halbe Kronenform schneiden lässt, sich in das architektonische Konzept integriert und durch die Sorte den roten Laubaspekt im Herbst an die Fassade bringt. Vom Eschentriebsterben ist diese Sorte nicht betroffen. Für die Robinie (Robinia pseudoacacia), die als sehr robuster, dem Klimawandel angepasste Baumart mit schönem Blühaspekt und lichtdurchlässiger Blattstruktur gilt, ergab sich im Austausch mit den Baumschulen folgende Erkenntnis: Robinien wachsen besonders dann sehr robust und an den Standort angepasst, wenn sie vor Ort aus dem Sämling keimen. In der baumschulischen Anzucht und beim Verpflanzen reagiert die Robinie jedoch vergleichsweise empfindlich, ebenso ist es relativ schwer, einen geraden durchgehenden Leittrieb zu erziehen. Um ein Scheitern des Anwachsens und intensive, schwer vorhersehbare Pflegemaßnahmen zu vermeiden, wurde auch von der Robinie abgesehen und zunächst der Schnurbaum (Sophora japonica) angedacht. Dieser wird jedoch im Laufe der Zeit sehr breitkronig, passt deshalb nicht in das architektonische Gefüge der Gebäude und blüht zudem im Hochsommer, was aus Nutzerperspektive zu Konflikten führen könnte (Belästigung durch Insekten). Nach weiteren Überlegungen stellte sich die Gleditschie (Gleditsia triacanthos ‚Skyline‘ ) als geeigneter Baum mit lockerer Blatttextur und klarem Habitus heraus. Die ausgewählten Bäume wurden in der Baumschule in Größen von etwa 7,5 m bei einem Stammumfang von ungefähr 35 cm einzeln ausgewählt und auf die zukünftige Wuchsform vorbereitet, indem die zu einer Seite wachsenden Äste entfernt wurden. Die fünf Bäume wachsen noch eine weitere Saison in der Baumschule (Bild 8), bis sie direkt in Bamberg gepflanzt werden. Schlussbetrachtung Bei dem Forschungsprojekt zu Baumfassaden in Bamberg handelt es sich um ein Pilotprojekt, dass außerhalb geltender Normen umgesetzt wird. Um weiterführende Erkenntnisse aus der baulichen Umsetzung und Entwicklung gewinnen zu können, ist eine Begleitforschung vorgesehen. Ein ausführlicher Bericht über den bisherigen Forschungsstand erscheint im Herbst 2022 unter dem Titel „Strategien für das Entwerfen von Baumfassaden“ und auf der Internetseite: www.baumfassaden.de. Bild 8: Halbe Kronen- Bäume in der Baumschule. Links Seitansicht ( Januar), Mitte Frontalansicht ( Juli), rechts Seitenansicht des gleichen Baumes. © Florian Köhl, Britta Herold 65 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Dipl.-Ing. Lisa Höpfl Green Technologies in Landscape Architecture Technische Universität München Kontakt: lisa.hoepfl@mytum.de Prof. Dipl.-Ing. Arch. Florian Köhl Bauwirtschaft und Projektentwicklung FB Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung Universität Kassel Kontakt: koehl@asl.uni-kassel.de Christian Burkhard Quest GbR, Berlin Kontakt: cb@qst.eco Prof. Dr.-Ing. Julian Lienhard Professor für Tragwerksentwurf FB Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung Universität Kassel Kontakt: lienhard@uni-kassel.de Divya Pilla Architektin und Landschaftsarchitektin (Indien), M.A.-Studentin Landschaftsarchitektur Technische Universität München Kontakt: divya.pilla91@gmail.com Prof. Dr.-Ing. Ferdinand Ludwig Green Technologies in Landscape Architecture Technische Universität München Kontakt: ferdinand.ludwig@tum.de Danksagung Die Autor*innen danken der Deutschen Bundesstiftung Umwelt für die Förderung des Projekts (Förder-Nummer: 36056/ 01-25), vertreten durch Sabine Djahanschah. Weitere Danksagungen an: Beratung: Andreas Detter, Marco Schmidt, Baumschule Bruns Projekt Bamberg: Bauherr: pro.b, vertreten durch Andreas Stahl Landschaftsplanung: Georg Wasmer LITERATUR [1] Kögl, L.: Bundesumweltamt fordert mehr Bäume und Schatten in den Städten, in ZEIT ONLINE, veröffentlicht am 03.07.2022. Verfügbar unter https: / / www. zeit.de/ wissen/ umwelt/ 2022-07/ umweltbundesamthitze-staedte-schatten-baeume; abgerufen am: 13.07.2022 [2] ARD-Bericht: Millionen-Schäden durch Baumwurzeln, in: Plusminus, das ARD-Wirtschaftsmagazin, 2015, veröffentlicht am 24.06.15, 21: 45 - 22: 15 [3] Wessolly, L., Erb, M.: Handbuch der Baumstatik und Baumkontrolle. Patzer-Verlag Berlin, 2014. [4] Ludwig, F., Storz O.: Baubotanik - Mit lebenden Pflanzen konstruieren. Baumeister, In: Zeitschrift für Architektur 11 (2005) S. 72 - 75. [5] Ludwig, F.: Joining Living Wood - Lebendes Holz verbinden. Conceptual Joining, Wood Structures from Detail to Utopia - Holzstrukturen im Experiment, Birkhäuser: (2021) S. 228 - 235. [6] Pfoser, N., Henrich, J., Jenner, N., Schreiner, J., Unten Kanashiro, C., Weber, S., Heusinger, J.: Gebäude Begrünung Energie. Potenziale und Wechselwirkungen. B. u. S. B. f. B. u. R. F. Z. B. Bundesministeriums für Verkehr, Technische Universität Darmstadt Technische Universität Braunschweig, 2013. [7] Berry R., Livesley S.J., Aye L.: Tree canopy shade impacts on solar irradiance received by building walls and their surface temperature. Building and Environment 69 (2013) p. 91 - 100. [8] Gartenamtsleiterkonferenz des Deutschen Städtetages - GALK: Straßenbaumliste 2006 - Beurteilung von Baumarten für die Verwendung im städtischen Straßenraum, 2006. [9] Roloff, A. et al.: Klimawandel und Baumartenwahl in der Stadt - Entscheidungsfindung mit der Klima-Arten-Matrix (KLAM), 2008. Online unter: http: / / www. frankfurt. de/ sixcms/ media. php/ 738/ klam_stadt. pdf AUTOR*INNEN All you can read Alles zusammen zum Superpreis: Die Papierausgabe in hochwertigem Druck, das ePaper zum Blättern am Bildschirm und auf dem Smartphone, dazu alle bisher erschienenen Ausgaben im elektronischen Archiv - so haben Sie Ihre Fachzeitschrift für den urbanen Wandel immer und überall griffbereit. AboPlus: Print + ePaper + Archiv www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren w 66 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Urbane Klimawandel-Anpassungsstrategien erfordern eine vermehrte Verwendung von Vegetation in Städten. Begründet ist diese Forderung durch die bekannten positiven Klimaeffekte, wie sie beispielsweise von großen Parks und Straßenbäumen ausgehen. Diese Forderung steht im Konflikt mit einem hohen Bevölkerungswachstum in Ballungsräumen und der daraus resultierenden starken Nachverdichtung bzw. hochverdichteten Bauweise [1] . Der Urbane-Wärmensel- Effekt (UHI) wird durch die anhaltende Nachverdichtung verstärkt [2]. Monotone, von harten und versiegelten Oberflächen dominierte Freiräume sind oft die Folge [3]. Der durch den Klimawandel verstärkte Hitzestress und der unzureichende Kontakt zur Natur führen zu einer Abnahme der Lebensqualität in den Innenstädten mit negativen Auswirkungen auf die Gesundheit und das menschliche Wohlbefinden [4, 5, 6]. Die Erweiterung von Vegetationsflächen und die Neupflanzung von Bäumen als grüne Infrastruktur sind von größter Bedeutung, um den Hitzestress durch Verschattung und Verdunstungskühlung zu reduzieren [7, 8, 9, 10] und die Lebensqualität von Innenstädten zu verbessern [6, 11, 12]. Der Neupflanzung von Bäumen steht oft nicht nur die Nachverdichtung entgegen, sondern auch die Tatsache, dass in vielen städtischen Situationen adäquater Wurzelraum aufgrund von unterirdischer technischer Infrastruktur wie Leitungen, U- Bahntrassen, Tiefgaragen, etc. nicht zur Verfügung steht [13, 14]. Als mögliche Lösung des Konflikts können Bäume in Pflanzgefäßen im Boden wachsende Bäume ergänzen und als eine alternative Begrünungslösung für stark verdichtete Freiräume dienen sowie als eine Begrünungsoption für Gebäude eingesetzt werden [15] . Die strategische Erweiterung der grünen Infrastruktur kann somit auch bisher nicht berücksichtigte Räume mit einbeziehen. Die Verwendung von Bäumen in Pflanzgefäßen birgt jedoch mehrere Schwierigkeiten: Aufgrund der beschränkten Größe des Pflanzgefäßes können Umweltfaktoren wie Hitze, Trockenheit, Nährstoffverfügbarkeit, Luftverschmutzung oder Vandalismus KlimaKübelBäume Bäume in Pflanzgefäßen als stadtklimatisch wirksame Maßnahme zur Anpassung an den Klimawandel Baum, Pflanzgefäß, Ökosystemleistung, Wachstum, Zeit, Konzept Christoph Fleckenstein, Vjosa Dervishi, Mohammad A. Rahman, Thomas Rötzer, Stephan Pauleit, Ferdinand Ludwig Urbane Räume sind oft durch versiegelte Flächen und fortschreitende Verdichtungsprozesse geprägt, was den städtischen Wärmeinseleffekt verstärkt. Um die Lebensqualität zu verbessern, ist ein angemessener Anteil an Grünflächen, insbesondere Bäumen, erforderlich. Allerdings stellt der Mangel an Wurzelraum unter anderem aufgrund der unterirdischen Infrastruktur oft ein Problem dar. Bäume in Pflanzgefäßen können hier eine alternative Begrünungslösung sein. Da sich die Wachstumsbedingungen in Pflanzgefäßen stark auf die Entwicklung des Baumes und somit auch auf die Ökosystemleistung auswirkt, muss diese für Bäume in Pflanzgefäßen neu bewertet werden. Darüber hinaus werden bei Projekten, bei denen Bäume in Pflanzgefäßen verwendet werden, häufig zeitliche Aspekte wie das Wachstum, das Absterben von Bäumen und die Reaktion des Wachstums auf Umweltfaktoren außer Acht gelassen. Das hier vorgestellte Forschungsprojekt hat zum Ziel, diese Wissenslücken zu schließen. © Tzingtao Chow on Unsplash 67 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser eine starke Auswirkung auf das Wachstum und die Vitalität des Baumes haben [2, 14, 16, 17, 18]. Ein hoher Pflegeaufwand mit einer kontinuierlichen und verlässlichen Bewässerung und reguläre Inspektionen in kurzen Abständen sind folglich notwendig. Auch wenn die benötigte Pflege durchgeführt wird, ist davon auszugehen, dass Bäume in Pflanzgefäßen eine deutlich geringere Lebenserwartung haben als vergleichbare in den Boden gepflanzte Bäume [18, 19]. Trotz der zunehmenden Verbreitung ist bislang wenig über die Wachstumsreaktionen und die Ökosystemleistungen von Bäumen in Pflanzgefäßen bekannt. Zudem werden die zeitlichen Aspekte von Bäumen in Pflanzgefäßen wie Wachstum, Absterben von Pflanzenteilen oder ganzen Pflanzen, Wachstumsreaktionen auf Umweltfaktoren wie Wind, Konkurrenz um Licht und Ressourcen, mechanische Verletzungen etc., nur selten in Entwurfskonzepten berücksichtigt. Auch wird das Zusammenspiel dieser Faktoren mit weiteren Aspekten wie der Bauart und der Alterung des Pflanzgefäßes sowie Standortfaktoren oft vernachlässigt. Das Forschungsprojekt „Bäume in Pflanzgefäßen als stadtklimatisch wirksame Maßnahme zur Anpassung an den Klimawandel“ untersucht die genannten Wissenslücken, um einen Leitfaden für Planer*innen und Gemeinden zur Verwendung von Bäumen in Pflanzgefäßen zu erstellen. Im Folgenden werden die aktuellen Erkenntnisse des Forschungsprojektes vorgestellt. Versuchsdesign In empirischen Versuchen untersuchen wir anhand von zwei weit verbreiteten Stadtbaumarten, Platanen (Platanus x hispanica) und Winter-Linden (Tilia cordata), wie sich die Faktoren Wasser und Bodentemperatur (Temperatur im Wurzelraum des Baumes) sowie die Begrenzung des Wurzelraums auf das Wachstum der Bäume auswirken. Hierfür wurden für die 128 Bäume (64 je Art) vier verschiedene Pflanzsituationen (Baum im Boden, Baum im Pflanzgefäß im Boden, Baum im nicht gedämmten Pflanzgefäß und Baum im gedämmten Pflanzgefäß) so gewählt, dass die Begrenzung des Wurzelraums und thermische Bedingungen getrennt voneinander untersucht werden können (Bild 1). Im weiteren Verlauf der Versuche wurde die Hälfte der Bäume aller Varianten in Trockenstress versetzt und die andere Hälfte optimal bewässert. Die Bäume werden in der Vegetationsperiode kontinuierlich hinsichtlich ihres Wachstums vermessen. Ebenso wurden seit Beginn des Experimentes Sensoren an 32 Bäume installiert, um hochauflösende Daten über Bodentemperatur und Bodenwassergehalt zu erfassen. Bild 1: Vier verschiedene Pflanzsituationen im Wachstumsversuch. © Fleckenstein et al. Bild 2: Platanen und Winterlinden gepflanzt im Boden und in Töpfen im Rahmen des Projektes Klima- Kübel-Bäume in Dürnast bei Freising. Die Fotos zeigen das Projekt jeweils im Juni von links nach rechts: erstes Versuchsjahr (2020), zweites Versuchsjahr (2021) und drittes Versuchsjahr (2022). © Fleckenstein et al. 68 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Wachstumsreaktionen In der Vegetationsperiode 2020 wurden alle Bäume optimal bewässert, da den Bäumen Zeit gegeben werden sollte, den Verpflanzungsschock zu kompensieren. Die beiden Baumarten zeigten unterschiedliche Reaktionen auf die vier verwendeten Pflanzvarianten - Bodenpflanzung (als Kontrolle), Pflanzgefäß im Boden, nicht isoliertes Pflanzgefäß sowie isoliertes Pflanzgefäß. Die Ergebnisse (Bild-3) zeigten, dass Platanen im Boden (G) im Vergleich zur Topfpflanzung (11,9 mm) mit Abstand den größten Zuwachs aufwiesen. Im Gegensatz dazu zeigten die Winterlinden eine gute Wachstumsreaktion in Pflanzgefäßen, die vergleichbar zur Bodenpflanzung war. Unter den Pflanzgefäß-Varianten zeigten Platanen im Durchschnitt den besten Zuwachs in Pflanzgefäßen im Boden (PG) und in isolierten Pflanzgefäßen. Winterlinde wies im Durchschnitt im isolierten Pflanzgefäß (PI) den größten Zuwachs auf. Im zweiten Versuchsjahr, ab Juni 2021, wurde die Hälfte der Bäume durch eine reduzierte Bewässerung in Trockenstress versetzt. Dies spiegelt sich eindeutig in der Wachstumsreaktion der Bäume wider. Bis auf Platanen im Boden zeigten die Bäume beider Arten in allen Pflanzvarianten unter Trockenstress im Vergleich zur optimalen Bewässerung einen geringeren Durchmesserzuwachs (Bild 4). Ökosystemleistungen Die Erhebung der Ökosystemleistung der untersuchten Baumarten Winterlinde und Platane konzentriert sich im hier vorgestellten Forschungsprojekt auf die Kühlleistung der Bäume durch Verdunstung. Zur Ermittlung der Verdunstungsleistung wurde der Saftfluss im Stamm, die stomatäre Leitfähigkeit der Blätter sowie die Blatttranspiration gemessen. Die Messung des Saftflusses wurde durch den Ausfall von Sensoren bei einigen Bäumen aufgrund von starkem Wachstum beeinträchtigt, sodass diese Daten nicht für alle Varianten erhoben werden konnten. Durch den Einsatz mobiler Messinstrumente konnte die Transpirationsleistung von beiden Baumarten dennoch erfolgen. Die Trockenstressbehandlung führte zu signifikanten Unterschieden in der Transpirationsleistung im Vergleich zu optimal bewässerten Bäumen. Die Blatttranspiration von Platanen weist im Vergleich zu Winterlinden einen höheren latenten Wärmeaustausch auf. Platanen im Boden zeigten die höchste Blatttranspiration und die niedrigsten Werte in isolierten Pflanzgefäßen. Im Gegensatz dazu zeigten Winterlinden in nicht isolierten Pflanzgefäßen die größte Blatttranspiration und die niedrigsten Werte bei Pflanzungen im Boden sowie im Pflanzgefäß im Boden. Der Saftfluss von Winterlinden im Boden, die optimal bewässert wurden, war signifikant höher als bei Winterlinden, die in Pflanzgefäße gepflanzt wurden. Bei Winterlinden in nicht isolierten Pflanzgefäßen unterschied sich der Saftfluss nicht signifikant zwischen trockenem und optimalem Bewässerungsregime. Insgesamt war die stomatäre Leitfähigkeit der Blätter von Platanen im Vergleich zu Winterlinden unter verschiedenen Behandlungen signifikant höher. Im Durchschnitt verringerte Trockenstress die Leitfähigkeit bei beiden Arten erheblich. Bei Platanen gab es signifikante Unterschiede zwischen den einzelnen Pflanzvarianten, bei der Winterlinden hingegen variierte die Leitfähigkeit bei den einzelnen Pflanzvarianten nur geringfügig. Wachstumsdynamik von Bäumen in Pflanzgefäßen Das Wachstum eines Baumes in einem Pflanzgefäß ist der zentrale zeitliche Aspekt, der bei der Planung mit Bäumen in Pflanzgefäßen berücksichtigt werden muss. Da das Pflanzgefäß nur einen stark begrenzten Wurzelraum zur Verfügung stellt, wird der Baum dadurch nach einer gewissen Zeit in seinem Wachstum eingeschränkt. Daher sollte bei der Planung berücksichtigt werden, dass spätestens nach 20 bis 40 Jahren Wachstum im Pflanzgefäß die Vitalität stark beeinträchtigt wird und der Baum möglicherweise abstirbt [19] . Die tatsächliche Zeitspanne hängt stark von der Größe, Form und Beschaffenheit des Pflanzgefäßes sowie der Größe des Baumes zum Pflanzzeitpunkt ab [7, 20, 21]. Zudem ist es wichtig, die Lebensdauer des Pflanzgefäßes als weiteren zeitlichen Aspekt mit in die Planung einzubeziehen, denn ein stark beschädigtes Pflanzgefäß kann unter Umständen nicht mehr den Anforderungen eines adäquaten Wurzelraums für Bild 3: Die Reaktion des Baumwachstums: Durchmesserzuwachs der untersuchten Baumarten Platane (a) und Winterlinde (b) auf die Pflanzvarianten (Bodenpflanzung (G) in grün, Pflanzgefäß im Boden (PG) in rot, nicht isoliertes Pflanzgefäß (P) in blau und isoliertes Pflanzgefäß (PI) in gelb) während der Vegetationsperiode 2020. © Fleckenstein et al. 69 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser den Baum gerecht werden. Die Lebensdauer und Nutzung des Freiraums oder des Gebäudes wirken sich ebenfalls auf die zeitlichen Prozesse eines Projektes aus. So kann ein Freiraum von verschiedenen Events (Wochenmarkt, Konzert, etc.) bespielt werden, die unterschiedliche Anforderungen an den Platz stellen. Die Flexibilität von Bäumen in Pflanzgefäßen erlaubt in gewissem Maß auf diese Anforderungen durch das Umstellen der Bäume einzugehen. Diese Flexibilität ist jedoch nur mit einer guten Koordination der involvierten Akteure (Planer, Gärtner, Baumschule, GaLa-Bau, Pflanzgefäßhersteller) möglich. Die notwendige Koordination der involvierten Akteure ist außerdem für die Pflege, die mögliche Verpflanzung der Bäume an einen neuen Standort und bei einem Austausch der Bäume schon in der Planung zu berücksichtigen. In einem schlüssigen Entwurfskonzept müssen daher diese zeitlichen Aspekte grafisch dargestellt und auch mit allen involvierten Akteuren kommuniziert werden (Bild 5). Dies ist von besonderer Bedeutung, wenn Bäume in Pflanzgefäßen nicht nur aus ästhetischen, sondern auch aus ökologischen und wirtschaftlichen Gründen als alternative Begrünungslösung in einem Projekt verwendet werden. Bild 4: Reaktion des Baumwachstums (Durchmesserzuwachses) der untersuchten Baumarten Platane (a) und Winterlinde (b) auf die Pflanzvarianten (Bodenpflanzung (G), Pflanzgefäß im Boden (PG), nicht isoliertes Pflanzgefäß (P) und isoliertes Pflanzgefäß (PI)) unter optimalen (O, in blau) und Trockenstressbewässerung (D, in rot) während der Vegetationsperiode 2021. © Fleckenstein et al. Bild 5: Beispielhaftes Zeitdiagramm, dass die Interaktionen der einzelnen zeitlichen Prozesse sowie die darin involvierten Akteure eines Projektes mit Bäumen in Pflanzgefäßen veranschaulicht. © Fleckenstein et al. Fazit Von den bisherigen Erkenntnissen des laufenden Forschungsprojektes „Bäume in Pflanzgefäßen als stadtklimatisch wirksame Maßnahme zur Anpassung an den Klimawandel“ kann folgendes Fazit gezogen werden: Sowohl die Bewässerung als auch die Bodentemperatur haben eine Auswirkung auf das Baumwachstum und auf die Ökosystemleistung des Baumes. Den signifikantesten Einfluss hat jedoch die Begrenzung des Wurzelraumes wie an den Ergebnissen der Platane zu erkennen ist. Erste Beobachtungen aus der Vegetationsperiode 2022 weisen darauf hin, dass dies auch bei der 70 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Winterlinde der Fall ist. Das langsamere Wachstum der Winterlinde hat eine signifikante Auswirkung darauf, dass sich die Unterschiede erst ein Jahr später im Vergleich zur Platane zeigen. Insgesamt kann vorläufig festgehalten werden, dass Bäume in Pflanzgefäßen in stark verdichteten urbanen Räumen ohne adäquaten Bodenanschluss sowie an Gebäuden grundsätzlich eine sinnvolle und mikroklimatisch wirksam Begrünungsalternative darstellen können. Allerdings gilt dies nur dann, wenn die zeitlichen Prozesse schon bei dem Konzept des Projektes berücksichtigt werden und sowohl bei der gestalterischen wie technischen Lösung als auch bei der langfristigen Pflege und Wartung berücksichtigt werden. Danksagung Wir bedanken uns beim Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz für die Finanzierung des Forschungsprojektes „Bäume in Pflanzgefäßen als stadtklimatisch wirksame Maßnahme zur Anpassung an den Klimawandel“ (TEW01C02P-75383). Wir möchten uns beim Gewächshauslaborzentrum Dürnast für die Bereitstellung der Versuchsfläche und die Unterstützung in der Pflege bedanken. LITERATUR [1] Anlauf, T.: Grünfläche oder Neubau: Was ist den Münchnern wichtiger? Süddeutsche Zeitung, 28. November 2016. Online abrufbar: https: / / www. sueddeutsche.de/ muenchen/ wachstumsproblemegruenflaeche-oder-neubau-was-braucht-die-stadtdringender-1.3268449? print=true. Abgerufen am 03.12.2020. [2] Allen, K. S., Harper, R. W., Bayer, A., Brazee, N.J.: A review of nursery production systems and their influence on urban tree survival. Urban Forestry & Urban Greening 21 (2017) S. 183 - 191, doi: 10.1016/ j. ufug.2016.12.002. [3] Giacomello, E., Valagussa, M.: Vertical Greenery: Evaluating the High-Rise Vegetation of Bosco Verticale, Milan. Council on Tall Buuldings and Urban Habitat, Chicago, 2015. [4] Jackson, L. E.: The relationship of urban design to human health and condition. Landscape and Urban Planning. 64 (2003) S. 191 - 200, doi: 10.1016/ S0169- 2046(02)00230-X. [5] Barton, H.: Land use planning and health and wellbeing. Land Use Policy. 26 (2009) S. 115 - 123, doi: 10.1016/ j.landusepol.2009.09.008. [6] Kowarik, I., Bartz, R., Brenck, M., Hansjürgens, B.: Ökosystemleistungen in der Stadt: Gesundheit schützen und Lebensqualität erhöhen: Kurzbericht für Entscheidungsträger. Naturkapital Deutschland - TEEB DE: Leipzig, 2017. [7] Gilman, E.: Container types, 2015. Online abrufbar: http: / / hort.ifas.ufl.edu/ woody/ containers-more.shtml. Abgerufen am: 03.12.2020. [8] Pretzsch, H., Biber, P., Uhl, E., Dahlhausen, J., Rötzer, T., Caldentey, J., Koike, T., van Con, T., Chavanne, A., Seifert, T., du Toit, B., Farnden, C., Pauleit, S.: Crown size and growing space requirement of common tree species in urban centres, parks, and forests. Urban Forestry 6 Urban Greening. 14, (2015) S. 466 - 479, doi: 10.1016/ j.ufug.2015.04.006. [9] Edmondson, J. L., Stott, I., Davies, Z.G., Gaston, K. J., Leake, J. R.: Soil surface temperatures reveal moderation of the urban heat island effect by trees and shrubs. Sci. Rep. 6 (2016) S. 1 - 8, doi: 10.1038/ srep33708. [10] Rahman, M. A., Moser, A., Rötzer, T., Pauleit, S.: Microclimatic differences and their influence on transpirational cooling of Tilia cordata in two contrasting street canyons in Munich. Agricultural and Forest Meteorology. 232 (2017) S. 443 - 456, doi: 10.1016/ j. agrformet.2016.10.006. [11] Pfoser, N., Jenner, N., Heinrich, J., Heusinger, J., Weber, S.: Gebäude Begrünung Energie - Potenziale und Wechselwirkungen - Abschlussbericht. Technische Universität Darmstadt, Darmstadt, 2013. [12] Duthweiler, S., Pauleit, S., Rötzer, T., Moser, A., Rahman, M., Straopoulos, L., Zölch, T.: Untersuchungen zur Trockenheitsverträglichkeit von Stadtbäumen. In Jahrbuch der Baumpflege 2017: Yearbook of Arboriculture, 1. Auflage; Dujesiefken, D. (Editor); Haymarket Media: Braunschweig, (2017) S. 137 - 154, ISBN 978- 3-87815-253-8. [13] Lange, F.-M., Mohr, H., Lehmann, A., Haaff, J., Stahr, K.: Bodenmanagement in der Praxis. Vorsorgender und nachsorgender Bodenschutz - Baubegleitung - Bodenschutzrecht. Springer Vieweg, 2017. [14] Vogt, J., Gillner, S., Hofmann, M., Tharang, A., Dettmann, S., Gerstenberg, T., Schmidt, C., Gebauer, H., van de Riet, K., Berger, U., Roloff, A.: Citree: A database supporting tree selection for urban areas in temperate climate. Landscape and Urban Planning, 157 (2017) S. 14 - 25, doi: 10.1016/ j.landurbplan.2016.06.005. [15] Giacomello, E., Valagussa, M.: Vertical Greenery. Evaluating the High-Rise Vegetation of the Bosco Verticale, Milan, 2015. [16] Chappelka, A. H., Freer-Smith, P. H.: Predisposition of trees by air pollutants to low temperatures and moisture stress. Environmental pollution. 87, (1995) S. 105 - 117. [17] Gilbertson, P., Bradshaw, A. D.: Tree survival in Cities: the extent and nature of the problem. Arboricultural Journal. 9 (1985) S. 131 - 172, doi: 10.1080/ 03071375.1985.9746706. [18] Moll, G.: The state of our urban forest. American Forests, 95 (1989) S. 61 - 64. [19] Rakow, D. A.: Containerized trees in urban environments. Journal of Arboriculture. 13 (1987) S. 294 - 298. [20] Amoroso, G., Frangi, P., Piatti, R., Ferrini, F., Fini Alessio, Faoro, M.: Effect of Container Design on Plant Growth and Root Deformation of Littleleaf Linden and Field Elm. HortScience 45 (2010) S. 1824 - 1829. [21] Poorter, H., Bühler, J., van Dusschoten, D., Climents J., Postma J. A.: Pot size matters: a meta-analysis of the effects of rooting volume on plant growth. Functional Plant Biology, 39 (2012) S. 839 - 850. 71 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Prof. Dr. Thomas Rötzer Lehrstuhl für Waldwachstumskunde, Department Life Science Systems, School of Life Sciences Technische Universität München Kontakt: thomas.roetzer@tum.de Prof. Dr.-Ing. Stephan Pauleit Lehrstuhl für Strategie und Management der Landschaftsentwicklung, Department Life Science Systems, School of Life Sciences, Technische Universität München Kontakt: pauleit@tum.de Prof. Dr. Ferdinand Ludwig Professur für Green Technologies in Landscape Architecture, Department of Architecture, School of Engineering and Design Technische Universität München, Kontakt: ferdinand.ludwig@tum.de Christoph Fleckenstein, M.A. Professur für Green Technologies in Landscape Architecture, Department of Architecture, School of Engineering and Design Technische Universität München Kontakt: christoph.fleckenstein@tum.de Vjosa Dervishi, M.Sc. Lehrstuhl für Waldwachstumskunde, Department Life Science Systems, School of Life Sciences Technische Universität München Kontakt: vjosa.dervishi@tum.de Dr. Mohammad A. Rahman Lehrstuhl für Strategie und Management der Landschaftsentwicklung, Department Life Science Systems, School of Life Sciences, Technische Universität München, Kontakt: ma.rahman@tum.de AUTOR*INNEN 13 / 14 Sept 22 BERLIN Handelsblatt Jahrestagung Lebenswerte Innenstadt Neue Kollaborationen für zukunftsfähige Stadt- und Immobilienentwicklung Wir bringen die wesentlichen Player aus Kommunen, der Immobilienbrache, Immobiliennutzer und Dienstleister zusammen. Jetzt anmelden: lebenswerte-innenstadt.de Alexander von Erdély CEO Germany, CBRE Deutschland Gudrun Sack Geschäftsführerin, Tegel Projekt GmbH Hilmar von Lojewski Leiter des Dezernats V - Stadtentwicklung, Bauen, Wohnen und Verkehr, Deutscher Städtetag 72 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Vier Jahre sind vergangen seit der letzten „GaLaBau“ in Nürnberg. Damals, 2018, lag der Jahresumsatz der Verbandsbetriebe im Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau bei 8,41 Milliarden Euro und damit rund doppelt so hoch wie noch 2005. Für das laufende Geschäftsjahr ist die 10-Milliarden-Umsatz-Marke greifbar. Erhebungen, welche bau- und vegetationstechnischen Leistungen hinter dieser Steigerung stehen, gibt es nicht. Es gilt jedoch weiterhin der Grundsatz, dass an „weichen“ Leistungen wie Pflanzungen und Ansaaten eher weniger verdient wird als an „harten“ Belägen, Mauern und Einfriedungen. Selten kann ein öffentlicher Auftragnehmer auf Grundlage seiner Angebotspreise für den vegetationstechnischen Teil eine Ausschreibung für sich entscheiden; das Auftragsvolumen dieser Leistungen ist in der Regel zu gering. Auch im Privatgartenbereich ist dieser Mechanismus wirksam; auch dort wird zuerst an der Begrünung gespart, weil diese ja vermeintlich jederzeit nachgebessert werden kann. Diese Gewichtung wird im Gespräch mit rund 90- jungen Landschaftsgärtnern ebenfalls deutlich, Qualifiziertes Urbanes Grün Wege aus dem Verwaltungsvakuum Stadtgrün, Stadtökologie, blaugrüne Infrastruktur, Grünverwaltung, Public Management, Projektmanagement Theresa Edelmann Wassermangel, extreme Trockenheit wie auch Starkregen und Überflutung erfordern neue Ansätze in der Planung- und Ausführungspraxis von Freianlagen. Während Wissenschaft und Forschung Lösungskonzepte anbieten und Informationen leicht wie nie ausgetauscht werden können, stellen sich zwei Kernfragen: Wie schaffen wir es, inmitten der Informationsflut auch die einfachen Lösungen zu sehen und welche Verwaltungsstrukturen können hierzu beitragen? Bild 1: Farbenfroher Sommerflor ziert noch häufig historische Park- und Platzanlagen, auch in Städten mit chronischem Trockenstress. Treffen wir noch rechtzeitig die Entscheidung, den Wasserstrahl umzuschwenken? © Edelmann 73 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser die sich jährlich an der Staatlichen Meister- und Technikerschule in Veitshöchheim weiterqualifizieren: Themen wie Baumartenauswahl und -pflanzung, Wiesenansaaten oder auch Gebäudegrün werden von vielen Studierenden als interessanter, allerdings nicht „kriegsentscheidender“ Teil des Leistungsspektrums wahrgenommen. Auch haben Wenige Erfahrungen mit der förmlichen Abnahme der erbrachten Bauleistungen. Insbesondere die Bedeutung einer Teilabnahme der offenen fertig vorbereiteten (Straßen-)Baumgrube ist auch auftraggeberseitig längst nicht Routine: Es fehlt in vielen Kommunen dafür an eingewiesenem Personal. Nichtsichtbares visualisieren Dringliche Maßnahmen zur Klimaanpassung erfordern verstärkt Investitionen in nichtsichtbare Bauleistungen, insbesondere Bodenarbeiten und Infrastrukturmaßnahmen für Bäume und auch Pflanzflächen. Eine Schlüsselstellung nimmt dabei eine verlässliche Wasserversorgung während Trockenperioden ein, um die benötigten Ökosystemleistungen sicherzustellen. Unser visuell veranlagtes Wettbewerbswesen in den Planungsdisziplinen Städtebau, Hochbau und Landschaftsarchitektur steht damit vor einem kaum lösbaren Problem: Wie können die nichtsichtbaren Erfolgsfaktoren, wie zum Beispiel auskömmliche Baumgrubengrößen und bedarfsorientierte Bewässerungstechnik, bereits im Entwurf beurteilbar gemacht werden? Welche Medien und Darstellungsformen benötigt ein Preisgericht, um die funktionale Qualität der Wettbewerbsbeiträge beurteilen zu können? Genügen hierfür die in Mode gekommenen Schnittansichten und -perspektiven, um überbaute und überplante Funktionselemente wie Baumrigolen und Versickerungsmulden ins Auge und damit ins Bewusstsein der Betrachter zu bekommen? In öffentlichen Gemeinde- und Stadtratssitzungen bildet der landschaftsarchitektonische Entwurf die Grundlage für eine Beschlussfassung. Diskutierte Varianten unterscheiden sich häufig nur in der Oberflächengestaltung, wie beispielsweise der Wahl von Belagsart und -muster, Ausstattungselementen und Baumarten. Entscheidungshilfen zu Fragen wie: 1. In welchem Kostenverhältnis stehen nichtsichtbare und sichtbare Funktionselemente? 2. Welche Massen und Mengen der Bestandssituation müssen bewegt werden? 3. Wieviele Bäume in überbauten Flächen wollen bzw. müssen wir uns als Kommune leisten? werden oft nicht beantwortet, auftraggeberseitig häufig aber auch nicht abgefragt. Ein Beispiel zu Frage 1: Dicke und Zusammensetzung der Vegetationstragschichten werden kaum sichtbar, obwohl sie den Begrünungserfolg beeinflussen und damit das Klimaresilienzpotenzial der Grünfläche modulieren. Zu Frage 2: Platz- und Straßenraum-Sanierungsprojekte fokussieren in Abhängigkeit von der Verkehrslast auf standardisierte Regelbauweisen mit definiertem Schichtenaufbau. Bestandsbäume oder Grünflächen auf gewachsenem bzw. gereiftem Boden sind aber oft unvereinbar mit dieser neuen Höhenplanung. Baumneupflanzungen, die dann auf die neue „richtige“ Höhe gebracht werden, müssen mindestens die ersten sieben Standjahre lang gegossen werden. Da die Höhenplanung die Basis für Bodenschutz und blaugrüne Infrastrukturen darstellt, sollte sie von interdisziplinären Planerteams gemeinsam entwickelt werden. Zu Frage 3: Neue Baumstandorte außerhalb von Parks und Gärten werden auf beengtem Raum in überbaubarem Substrat angelegt. Die Plandarstellung zeigt aber meist einen Kronendurchmesser nach über 20 Jahren unter Bedingungen am naturnahen Standort. Der vom öffentlichen Bauherrn eingekaufte Schatten bleibt Illusion. Die Diskrepanz zwischen geplantem/ visualisiertem Raumeindruck und gebauter Realsituation der Bäume ist offenkundig.  Luft kommt vor Wasser kommt vor Nährstoffen. Die (Einbau) qualität urbaner Böden und Substrate ist ein Erfolgsfaktor, der auftraggeberseitig noch stärker wahrzunehmen ist. Überverdichtung („Abrütteln“) und Verschlämmung durch langes „Offen Liegenlassen“ sind auszuschließen.  Bestandsbaum kommt vor Höhenplanung kommt vor Neupflanzung. Jeder vitale/ revitalisierbare Bestandsbaum ist eine Fixhöhe wert, nicht nur am Stammfuß, sondern normgerecht im gesamten Kronentraufbereich zuzüglich 1,50 Meter umlaufend.  Wie im Hochbau - Abbruch gelb, Neubau rot. Zu fällende und neu zu pflanzende Bäume werden simultan im Entwurf dargestellt. Ein Fällungs-/ Rodungsplan ist unangenehm und genau deswegen obligatorisch für Projekte mit öffentlicher Beschlussfassung bzw. Städtebauförderung.  Kronendurchmesser ist Schattenwurf ist Pflegebudget. Eine langfristig orientierte Entwurfsplanung/ Visualisierung differenziert worst-case/ best-case zwischen minimalem und optimalem Pflegeaufwand und den resultierenden Zuwachsraten in überbauten Flächen.  Baumstandort kommt vor Ausstattung kommt vor Befahrbarkeit. Werden Baumstandorte ausreichend möbliert, entstehen nicht befahrbare geschützte Bereiche. Dort braucht es durchwurzelbares Bodenvolumen, um den thermischen Komfort durch Schattenwurf zu erzielen - ja, auf Kosten der Schleppkurven. GEMEINSAME LEITSÄTZE ALLER BAUBETEILIGTEN ZUR FOKUSSIERUNG AUF KLIMAANPASSUNG IM GRÜNFLÄCHENBAU 74 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Wasser verfügbar machen Qualifiziertes Grün ist kein Selbstläufer. Wie eine Umfrage unter Bayerns Städten und Gemeinden ergab, ist eine Schädigung der Gehölzbestände durch Trockenheit und Hitze selbst in vermeintlich niederschlagsreichen Regionen ab 700 mm Niederschlag durchaus ein Problem [1]. Fehlende Standrohranschlüsse ans öffentliche Trinkwassernetz sind häufig limitierender Faktor bei der Ausschreibung von Gießdienstleistungen im (Straßenbegleit-)Grün. Für qualifiziertes urbanes Grün sollten die Spartenauskünfte daher auch Lage und Leistungsfähigkeit der Unterflurhydranten auf öffentlichem Grund umfassen. Zunehmend steht die Herkunft des Gießwassers im Fokus: Die Sammlung und Verwertung von Regenwasser ist heute obligatorisch. Auch Brunnenwasser, Gebäudedrainagewasser, recyceltes Grauwasser oder sauberes Prozesswasser (zum Beispiel Kühlwasser) oder sogenanntes Nutzwasser sind gefragt. All diesen Quellen ist gemeinsam, dass eine Trinkwassernachspeisung dennoch erforderlich ist, um qualifiziertes urbanes Grün zu entwickeln. Zulässig ist der Anschluss einer Bewässerungsanlage an vorhandene Trinkwasserarmaturen der Hausinstallation nach DIN EN 1717 nur dann, wenn eine Systemtrennung zwischen Trinkwassernetz und dem Betriebswasser der Bewässerungsanlage eingebaut ist. Als unstrittig sollte daher für Architekten und Ingenieure, die zukünftig Öffentlichen Hochbau auf Auftraggeber- oder Auftragnehmerseite planen oder fördern, gelten:  Klimaangepasste technische Gebäudeausrüstung (TGA) umfasst nicht nur alle Einrichtungen, die der funktionsgerechten Nutzung des Gebäudes dienen, sondern auch die zur Funktionssicherung der Außenanlagen.  Höchste (Förder-)Priorität hat die (nachträgliche) Installation von Außenwasseranschlüssen, sobald in eine Außenanlage investiert wird.  Hohe (Förder-)Priorität hat die Planung und Ausführung von technischen Einrichtungen zur Trinkwassernachspeisung von Bewässerungsanlagen. Die nachträgliche Installation von Außenwasser und -strom verursacht aufgrund der aktuell beliebten komplexen Fassadenbauweisen hohe Kosten. Deshalb sind Lösungen zu bevorzugen, die eine rechtzeitige Vergabe von Landschaftsarchitektenleistungen für die Verortung der Außenwasserversorgung sicherstellen und damit auch die erforderlichen Schnittstellen zur Gebäudeinfrastruktur des Hochbaus definieren. Bild 5: Öffentliche Neubauten müssen gemäß Bayerischer Bauordnung seit 2019 „angemessen begrünt“ werden. Nachträglich gesetzte Kletterpflanzen in Containern - bodengebundene Fassadenbegrünung war konstruktiv hier nicht mehr möglich. © Edelmann Bild 2: Bei der Bauwerksbegrünung wie bei dieser Stützwand ist viel Luft nach oben: Die Reichweite der Kletterpflanzen an Stahlseilen liegt bei über 12 Metern - warum hat man sich an die Mauergeometrie gehalten? © Edelmann Bild 3: Asphaltbetonte Straßen-/ Platzgestaltung 2022 in Unterfranken, einer der heißesten Regionen Deutschlands. Die normativen Anforderungen an den Wurzelschutz des Bestandsbaums werden um mehr als 50 % unterschritten. © Edelmann Bild 4: Das Konzept „Gebäudegrün“ en miniature: Hauswurz und Sedum auf Mauerpfeilern beweisen: Es gibt für jeden Begrünungszweck geeignete Pflanzen. Der aktuelle Grundsatz „Hauptsache heimisch“ greift zu kurz. © Edelmann 75 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Verwaltungswege bahnen Der breite, kaum vermittelbare Anspruch an die sogenannte Landespflege, der Nachfolgerbegriff der Landesverschönerung zu Zeiten der ersten Landschaftsarchitekten, führte ab den späten 1980er Jahren zur Umbenennung und Diversifizierung der Studiengänge in Naturschutz und Landschaftspflege, Landschaftsplanung, Umweltplanung sowie Garten- und Landschaftsarchitektur - letztere mit starkem Bezug zu Hochbau und Objektplanung [2]. Landespflege als Fachrichtung der öffentlichen Verwaltung blieb jedoch bis heute erhalten. Seit 1948 betreut das Kuratorium des Oberprüfungsamtes die insgesamt 13 Fachrichtungen des Technischen Referendariats in Deutschland, unterstützt vom Deutschen Städtetag, dem Deutschen Städte- und Gemeindebund und dem Deutschen Landkreistag. Bayern und Baden-Württemberg gehören allerdings nicht dem Kuratorium an. Die Ausbildung in der Fachrichtung Landespflege umfasst zwei Jahre an folgenden Einsatzorten:  untere Verwaltungsbehörde für Naturschutz und Landschaftspflege (mindestens 16 Wochen)  Fachverwaltungen der Nachbargebiete der Landespflege (Zitat: „Landesfachdienststelle für Naturschutz / Landschaftspflege / Umwelt, Wasserwirtschaft, Landwirtschaft / Flurbereinigung, Forstwirtschaft, Straßenbau“) und bei wissenschaftlichen Einrichtungen des Landes und des Bundes (16 Wochen)  Kommunalverwaltung, insbesondere Grünflächenämter (mindestens 8 Wochen)  Planungs-, Kommunal- oder Regionalverband  Landesmittelbehörde und/ oder Landesoberbehörde für Naturschutz und Landschaftspflege Der nach umfangreichen Abschlussprüfungen erworbene Titel Assessor*in der Landespflege bietet „innerhalb der staatlichen Verwaltung für Naturschutz und Landschaftspflege vielfältige berufliche Möglichkeiten“ [3]. Die Webseite der Landepflege- Referendare [4] illustriert aktuell gängige Verwaltungslaufbahnen. Das Referendariat Fachrichtung Landespflege ebnet jedoch nicht den Weg in eine fachübergreifende Zusammenarbeit in der Objektplanung, wie sie jetzt notwendig wäre für qualifiziertes biodiversitätsförderndes urbanes Grün [5]. Dazu müsste ein baubezogenes Referendariat Landschaftsarchitektur eingeführt werden. Die notwendige Verknüpfung mit den Planungsdisziplinen Hochbau, Straßenbau und Wasserwirtschaft zur Realisierung blaugrüner Infrastruktur und insbesondere von Gebäudegrün in den Landes- und Kreisverwaltungen könnte somit nachhaltig bewältigt werden. In den letzten beiden Jahren 2020 / 2021 legten 510- Referendar*innen die Große Staatsprüfung ab, 60- weitere bestanden die Prüfung (endgültig) nicht. Die Fachrichtung Landespflege ist dabei mit 19- Assessor*innen vertreten, Architektur und Straßenbau mit je rund 40, Umwelttechnik mit 45, Städtebau und Stadtbauwesen mit 95; 14 Referendare absolvierten die Fachrichtung Wasserwesen. Eine 14. Fachrichtung Landschaftsarchitektur würde entsprechend geschulte Landschaftsarchitekten mit Objektplanungs- und Quartiersbezug für den höheren Dienst qualifizieren und den Dreischritt Planung, Bau und Unterhalt einer Grünen Stadt sicherstellen. Urbanes Grün ansprechen Wo werden außerdem grundsätzliche umweltschutzrelevante Fachinformationen für die gärtnerischen Bauauftragnehmer generiert und vermittelt? Anwendungsorientierte Forschungsergebnisse liefern neben den Hochschulen die Lehr- und Versuchsanstalten für Gartenbau. Durch den fehlenden Kontakt zum (staatlichen) Bauwesen werden Empfehlungen aus der anwendungsorientierten Forschung jedoch kaum ins Projektmanagement implementiert [6]. Die Zugehörigkeit dieser Landesanstalten für Gartenbau zur Landwirtschaftsverwaltung erschwert den gegenseitigen Bezug zum Planungs-, Ausschreibungs- und Bauprozess: Das entsprechende Forschungsinformationssystem Agrar und Ernährung (FISA), ein Informationsportal des Bundes und der Länder, kennt kein Urbanes Grün, der „Gartenbau“ ist lediglich Teil des „Fachgebiets Pflanzenproduktion“. So gelangen dringend benötigte Informationen, beispielsweise zur Standortvorbereitung, Pflanzenauswahl und Bewässerung urbanen Grüns, nur über Umwege in die Praxis. Bedarfsorientierte Einsatzorte während eines baubezogenen Referendariats Fachrichtung Landschaftsarchitektur:  Landesmittel- und / oder Landesoberbehörden: Organisationseinheiten (OE) für Städtebau wie auch Ländlicher Raum, Bauwesen, Wasserwirtschaft, Geoinformation und Digitalisierung, inklusive Förderprogramme  Lehr- und Versuchsanstalten für Gartenbau (länderübergreifend)  Deutscher Städtetag, Landes-Gemeindetag  Untere Verwaltungsbehörde: OE für Umwelt, Bauen (kreiseigener Bau, Baugenehmigungsbehörde), Mobilität und Energie, inklusive Fördervollzug, Kreisbauhof  Kommunalverwaltung: entsprechende OE einschließlich Kommunalunternehmen für Abfall, Versorgung etc., Bauhof  Interkommunale und regionale Zusammenschlüsse REFERENDARIAT FACHRICHTUNG LANDSCHAFTSARCHITEKTUR 76 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Eine wichtige Rolle bei der Informationsvermittlung in die Praxis spielt die Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau (FLL), die als Regelwerksgeber die Koordination landschaftsbaulich relevanter Versuche und Testläufe vieler staatlicher Einrichtungen im deutschsprachigen Raum übernimmt, derzeit noch unter dem Titel „Versuche in der Landespflege“. Ein klares Signal 2018 aus Bayern war die Umbenennung der Abteilung Landespflege in Institut für Stadtgrün und Landschaftsbau an der dortigen Landesanstalt für Gartenbau. Qualifiziertes Urbanes Grün ist Teil des gesamtgesellschaftlichen Auftrags „Lebenswerte Stadt“. Klare professionsübergreifende Leitsätze und bedarfsangepasste Verwaltungsstrukturen effektivieren die Umsetzung der Maßnahmenpakete und Handlungsfelder wie bereits 2017 im Weißbuch „Stadtgrün“ beschrieben. LITERATUR [1] Kendzia, N.: Bewässerung im öffentlichen Grün. In: Neue Landschaft, Heft 5 (2021). https: / / neuelandschaft.de/ artikel/ bewaesserung-im-oeffentlichengruen-15975.html [2] Konold, W.: Landespflege. In: Kühne, O., Weber, F., Berr, K., Jenal, C. (Hrsg.) Handbuch Landschaft. RaumFragen: Stadt - Region - Landschaft. Springer VS, Wiesbaden, 2019. https: / / doi.org/ 10.1007/ 978-3-658- 25746-0_16 [3] BMVI (2013): Ausbildungs- und Prüfungsordnung für das technische Referendariat - APO - Empfehlung des Kuratoriums des Oberprüfungsamtes. https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Anlage/ Z/ OPA/ Blaues_Heft_okt_2013.pdf ? _ _blob=publicationFile [4] www.landespflege-referendariat.de/ die-referendare-innen [5] Edelmann, T. (2022): Biodiversität im GaLaBau: Vom Tun und Lassen für mehr Artenvielfalt. In: Neue Landschaft 2022, Heft 5. https: / / neuelandschaft.de/ artikel/ biodiversitaet-im-galabau-18118.html [6] Eppel, J. (2021): Forschung für Gebäudebegrünung: „Alles im grünen Bereich“ - nur (fast) keiner weiß etwas davon… Impulsreferat beim BuGG-Bundeskongress Gebäudebegrünung Berlin 2021. www.lwg. bayern.de/ landespflege/ gartendokumente/ fachartikel/ 298407 Dipl.-Ing. Theresa Edelmann Landschaftsarchitektin Institut für Stadtgrün und Landschaftsbau Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) Kontakt: theresa.edelmann@lwg.bayern.de AUTORIN Wie Verkehrsmittel und Infrastrukturen besser genutzt werden können Multimodal und nachhaltig Heft 3 | September 2022 74. Jahrgang POLITIK ÖV-Preispolitik in Deutschland, Österreich und der Schweiz LOGISTIK Neue Wege gehen beim Modal Split MOBILITÄT 9-Euro-Ticket - Mobilitätswende jetzt-für alle? TECHNOLOGIE Mikroplastik im Straßenverkehr: Die-unsichtbare Gefahr INTERNATIONAL TRANSPORTATION Focus on rail freight transport and technology worldwide www.internationalesverkehrswesen.de Transport und Mobilität im Wandel: Das neue Unterwegs. Lesen Sie in der aktuellen Ausgabe 3|2022 von Internationales Verkehrswesen:  Das 9-Euro-Ticket - Ziele, Wirkung, Perspektiven  ÖPNV-Preisgestaltung in Deutschland, Österreich und der Schweiz  Gütertransporte per Straßenbahn: Mehr als ein Hype?  Umbau des Bahnhofs Stuttgart-Vaihingen zur intermodalen Mobilitätsstation  Neues Wohnen - neue Mobilität? Maßnahmen im Wohnbau  Mikroplastik-Emissionen im öffentlichen urbanen Raum reduzieren  … und vieles mehr … Erscheinungsdatum 1. September 2022. Jetzt kaufen und lesen: www.internationales-verkehrswesen.de/ einzelheft-bestellen 77 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser In Folge des Klimawandels häufen sich die Extremwetterereignisse weltweit, auch in Deutschland. Seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1881 wurde in Deutschland ein durchschnittlicher Temperaturanstieg von 1,6 Grad Celsius aufgezeichnet, wodurch die Anzahl der Hitzewellen und Sturmereignisse gestiegen ist; diese werden auch in den kommenden Jahren vermehrt auftreten. Für die Bewertung von Naturgefahren ist insbesondere das Schadensausmaß relevant [1]. Besonders die Hochwasserereignisse in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz zeigen, welches Ausmaß derartige Naturkatastrophen annehmen können. Darauf folgte deutliche Kritik an der Frühwarnung, da die Extremwetterfrühwarnung und das Internet der Dinge Frühwarnung, Extremwetterereignisse, Naturkatastrophen, Internet der Dinge Pia Eckert, Denise Kindsvater Frühwarnsysteme in Form von Sirenen wurden bereits im zweiten Weltkrieg eingesetzt. Aktuell sind Frühwarnsysteme bei Extremwetterereignissen von Bedeutung, um rechtzeitig Schutzmaßnahmen einzuleiten. Basierend auf einer Literaturrecherche soll die unterstützende Wirkung des Internets der Dinge aufgezeigt werden. Der Beitrag zeigt die Entwicklung der Frühwarnung im Verlauf der Jahre sowie verschiedene Anwendungsmöglichkeiten des Internets der Dinge. Daraus geht hervor, dass das Internet der Dinge zur Optimierung von Frühwarnsystemen beitragen kann, jedoch nicht als alleiniges Mittel. © Markus Distelrath auf Pixabay 78 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser entscheidenden Evakuierungsaufrufe die Anwohnenden zu spät erreichten. Aktuell wird die Frühwarnung in Deutschland über verschiedene Medien durchgeführt. Zusätzliche Forderungen nach einer Modernisierung des Sirenennetzes und die Einführung des Cell-Broadcastings werden stärker. Ein Lösungsansatz für eine präzisere und sicherere Vorhersage von Extremwetterereignissen ist das Internet der Dinge, indem Umweltsensoren und Kommunikationssysteme verbunden werden [2]. Der folgende Artikel hat das Ziel, basierend auf einer Literaturrecherche herauszustellen, inwiefern das Internet der Dinge bei einer präziseren und schnelleren Frühwarnung für Extremwetterereignisse unterstützen kann. Dafür wird zunächst aufgezeigt, wie sich die Frühwarn- und Zivilschutzsignale im Verlauf der Jahre weiterentwickelt haben. Anschließend werden Frühwarnsysteme im Detail betrachtet und der Aufbau eines solchen Systems verdeutlicht. Zudem wird dargestellt, welche Möglichkeiten die zusätzliche Verwendung des Internets der Dinge bietet und welche Anwendungen sich dadurch eröffnen. Zuletzt sollen aktuelle Praxisbeispiele die Integration des Internets der Dinge veranschaulichen. Frühwarnsysteme im Verlauf der Zeit Die Geschichte der Frühwarnsysteme in Deutschland reicht bis zu den Anfängen des zweiten Weltkriegs zurück. Während des Krieges wurden sogenannte Zivilschutzsignale in Form von Sirenen genutzt, um die Bevölkerung bei drohenden Gefahren zu warnen. Es existierte ein flächendeckendes Sirenensystem, das nach der Wiedervereinigung aus Kostengründen immer weiter abgebaut wurde. Dadurch gibt es inzwischen nur noch in wenigen Städten und Gemeinden Sirenen, die größtenteils bei Feueralarm genutzt werden [3]. Die heutigen Warnsysteme unterscheiden sich regional, da der Katastrophenschutz den jeweiligen Bundesländern obliegt. Zudem gibt es Behörden, wie den Deutschen Wetterdienst (DWD), die bei spezifischen Gefahren warnen. Im Verteidigungsfall übernimmt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) die Warnung der Bevölkerung und das Modulare Warnsystem des Bundes (MoWaS) greift. Dieses überträgt die Warnmeldung via Satellit und löst verschiedene Warnmittel aus. Hierzu zählen Radio, Fernsehen, Internet, digitale Stadtinformationstafeln sowie Fahrgastinformationssysteme. Seit einigen Jahren werden zusätzlich Warn-Apps wie NINA, BIWAPP und KATWARN verwendet. Die NINA Warn-App bündelt verschiedene Warnmeldungen und versendet Push-Benachrichtigungen für zuvor ausgewählte Orte oder den aktuellen Standort [4]. Durch die Push-Benachrichtigungen können jedoch nur Personen, die ein Smartphone besitzen, auf dem die App installiert ist, erreicht werden [5]. Ein weiterer Warnkanal, den das BBK derzeit erforscht, ist der sogenannte „Cell Broadcast“. Mithilfe dessen können Warnmeldungen in Form von Textnachrichten an alle Mobilfunkendgeräte versendet werden, die sich in einem bestimmten Bereich des Mobilfunknetzes befinden. Im Gegensatz zu einer SMS, handelt es sich hierbei um ein anonymes, von der Mobilfunknummer unabhängiges Verfahren [6]. Auf diese Weise können mehr Personen gewarnt werden als durch Warn-Apps, jedoch ist der Informationsgehalt reduziert. Ein zusätzlicher Hyperlink in der Warnmeldung würde bei der großen Anzahl von Empfängern schnell zu einem Netzzusammenbruch führen [5]. Die meisten der genannten Warnmittel versagen im Fall eines Stromausfalls oder einer Netzüberlastung. Sirenen hingegen verfügen oftmals über eigene Strom-Aggregate, sodass diese auch bei einem Stromausfall funktionieren. Aus diesem Grund läuft aktuell ein Förderprogramm für den Ausbau eines flächendeckenden Sirenennetzes in Deutschland. Gleichzeitig sollen bestehende Sirenen modernisiert werden, damit diese mit dem Modularen Warnsystem (MoWaS) verbunden werden können. Weitere Ansätze finden sich in „Smart City“-Systemen, die zukünftig unter anderem für die Katastrophenvorsorge eingesetzt werden sollen. Hierbei erkennt ein Netz von Wettersensoren beispielsweise starken Wind oder Regen und löst daraufhin automatisch Schutzmaßnahmen, wie das Schließen von Schranken an Unterführungen, aus. Der Zusammenhang von automatisierten Frühwarnsystemen zu einem Internet der Dinge mit Sensoren, Kommunikationssystemen und Aktoren wird hierdurch deutlich [7]. Aufbau und Funktionsweise von Frühwarnsystemen Je nach Naturereignis unterscheiden sich die Frühwarnsysteme voneinander. Bei Flusshochwasser werden mithilfe von ELWIS, dem „Elektronischen Wasserstraßen-Informationssystem“, steigende Pegel frühzeitig erkannt und Schutzmaßnahmen können meistens rechtzeitig eingeleitet werden. Im Allgemeinen nutzt der Deutsche Wetterdienst (DWD) ein dreistufiges Warnsystem, um die Warnungen mit fortschreitender Zeit zu präzisieren. Zunächst greift das Frühwarnsystem einige Tage vor dem bevorstehenden Wetterereignis, 12 bis 48 Stunden vorher werden konkrete Vorwarnungen ausge- 79 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser sprochen und spätestens zwölf Stunden vor dem Ereignis erscheinen die detaillierten, ortsbezogenen Warnungen. Ein gutes Frühwarnsystem muss bestimmte Komponenten enthalten. Hierzu zählen unter anderem ein Messsystem, das die entsprechenden Daten ermittelt, Kommunikationssysteme zur Übermittlung der Daten und der Warnungen, ein Vorhersagemodell für das jeweilige Ereignis und die sogenannte „letzte Meile“ worunter die Schulung der Bevölkerung zum korrekten Verhalten im Ernstfall zu verstehen ist. Damit ein Frühwarnsystem effektiv funktioniert, müssen die einzelnen Komponenten verbunden sein und miteinander interagieren [8]. Frühwarnung im Ausland Für die Überwachung und Vorhersage von grenzüberschreitenden Flüssen, wie dem Rhein oder der Donau, ist das European Flood Awareness System (EFAS) zuständig. Das europaweite Warnsystem arbeitet unter anderem mit dem DWD zusammen und unterstützt die nationalen und regionalen Behörden bei bevorstehenden Hochwasserereignissen [9]. Im Gegensatz zu Deutschland nutzen viele Länder seit einigen Jahren die bereits erwähnten „Cell Broadcast“ basierten Warnsysteme, die beispielsweise über den Evolved Multimedia Broadcast Multicast Service (eMBMS) laufen [5]. Frühwarnsysteme sind auch außerhalb von Europa verbreitet und werden für verschiedene Naturereignisse, wie Vulkanausbrüche oder Tsunamis, eingesetzt. Nach dem verheerenden Tsunami im indischen Ozean im Jahr 2004, entwickelten deutsche Forscher ein hochmodernes Frühwarnsystem, das heute bekannt ist als German Indonesian Tsunami Early Warning System (GITEWS). Da es maximal 20 Minuten dauert, bis die Welle das Festland erreicht, werden Tsunami-Simulationen durchgeführt, sodass im Ernstfall auf Basis eines vorberechneten Szenarios Entscheidungen getroffen werden können. Für die Warnung der betroffenen Regionen werden neben SMS verschiedene Warnmittel wie Fernsehen, Radio, Sirenen und Lautsprecher an öffentlichen Plätzen eingesetzt, da Internet und Handys nicht selbstverständlich sind [8]. Das Internet der Dinge als Basis Die Idee des Internets der Dinge gibt es bereits seit 1999 und wurde von Kevin Ashton geprägt, der diese, basierend auf der von Mark Weiser stammenden Vorstellung eines allgegenwärtigen Computing, entwickelte. Das Internet der Dinge verknüpft dabei physische Objekte untereinander und diese zusätzlich mit Nutzenden mittels einer internetähnlichen Struktur. Die Strukturen gliedern sich in mehrere Schichten bzw. Ebenen, entlang derer der Datenfluss von der Datenerfassung bis hin zur Anwendung verläuft [10]. Durch Eigenschaften wie Interoperabilität, Heterogenität und Flexibilität findet das Internet der Dinge bei den unterschiedlichsten Themenbereichen Anwendung. Die Alliance for Internet of Things Innovation (AIOTI) sieht bei zehn Anwendungsgebieten eine besondere Relevanz und zählt auch das Themenfeld Umwelt dazu. Hierbei dient das Internet der Dinge mithilfe von Sensoren zur Umweltüberwachung für beispielsweise Luft-, Wasser- oder Bodenqualität [11]. Themen wie Benachrichtigung, Datenanalysen, Fernüberwachung, Echtzeitanalysen und Opferlokalisierung können durch das Internet der Dinge im Bereich Katastrophenmanagement erweitert werden [12]. Das Internet der Dinge und Extremwetterfrühwarnsysteme Die Weiterentwicklung von Frühwarnsystemen ist insbesondere für eine wirksamere und schnellere Reaktion bei Naturkatastrophen von Bedeutung. Internet-of-Things (IoT) basierte Technologien können für Naturereignisse jeder Art eingesetzt werden. Im Folgenden werden Anwendungen für Hochwasserereignisse und Erdbeben genauer betrachtet. Flutkatastrophen verursachen weltweit große Schäden. Aktuelle Frühwarnsysteme und Apps sind häufig fehleranfällig und bieten nicht die gewünschte Sicherheit. Das Internet der Dinge kann hierbei mit dem bereits bestehenden Frühwarnvorgehen kooperativ zur Überwachung und Früherkennung eingesetzt werden. Wasserstandsensoren, die an den Flussufern angebracht sind, messen den aktuellen Wasserstand und geben diese Informationen über lokale Netzwerke an Wetterdienste oder Endgeräte weiter. Auch Closed-Circuit Television (CCTV) Kameras sind unterstützende IoT-Anwendungen. Sie können Echtzeitbilder aufnehmen und diese an dezentrale Rechner senden, wodurch der Wasserstand der Flüsse laufend bewertet wird. Überschreitet der Wasserstand den Schwellenwert, wird ein Alarm ausgelöst und Benachrichtigungen an Endgeräte versendet [12]. Erdbeben können weltweit auftreten und nehmen in einigen Teilen der Welt schwerwiegende Ausmaße an [13]. Ein Netzwerk, das durch die Verwendung von Internet, Satelliten, Ethernet und unbemannten Flugobjekten ein Gebiet von mehreren Kilometern überwacht, ermöglicht die Steuerung der Lokal- und Fernkommunikation. Auch die Verwendung von Microcontrollern und Beschleunigungssensoren unterstützt bei der Erdbebenfrühwarnung. Die 80 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Sensoren nehmen Vibrationsdaten auf und werden auf einem Server zusammengeführt. Bei Schwellenwertüberschreitung wird die Bevölkerung in der Umgebung über die mögliche Erdbebengefahr direkt benachrichtigt [12]. Anwendungen aus der Praxis IoT-basierte Frühwarnsysteme finden in der Praxis bereits Anwendung. Projekte hierfür sind jedoch noch nicht weit verbreitet und oftmals noch in der Erforschung. Eine der neuesten Entwicklungen in Deutschland ist das Projekt „EarlyDike“. Dabei handelt es sich um ein sensor- und risikobasiertes Frühwarnsystem, das zusätzliche Risikofaktoren, wie Wind und Wellen einbezieht. Bild 1 zeigt die Struktur der Funktionsweise des EarlyDike-Projekts. Der Ablauf untergliedert sich dabei in fünf Teile, die jeweils parallel zueinander verlaufen. Sturmflutmonitoring (AP1), Wellenmonitoring (AP2) und Deichmonitoring (AP3) ermöglichen genaueste Prognosen von Sturmflutwasserständen, die Ermittlung von Echtzeitdaten für aktuelle Seegangsbedingungen sowie die Überwachung des Zustands eines Deichs. Mittels der gesammelten Daten und der zusätzlichen Nutzung der marinen Dateninfrastruktur können Überschwemmungssimulationen (AP4) durchgeführt und Vorhersagen frühzeitig getätigt werden. Über ein GeoPortal (AP5) können die Echtzeitdaten von Endgerätnutzenden jederzeit abgerufen werden [14]. Neben großen Projekten wie diesen gibt es auch einige Projekte für den Eigengebrauch. Ein Beispiel hierfür ist das Produkt von „Brinco“, eine IoT-fähige Signalanlage, die ihrem Nutzenden eine persönliche Warnung für Erdbeben und Tsunamis zukommen lässt. Wenn der enthaltene Beschleunigungsmesser eine Erschütterung des Bodens wahrnimmt, werden diese Informationen an einen Datenserver gesendet. Dieser vergleicht die Informationen mit denen anderer seismischer Netze, um die Korrektheit der Werte zu beurteilen. Bei Übereinstimmung der Informationen, gibt das System einen Signalton aus und sendet sofort Push-Benachrichtigungen an das Smartphone des Nutzenden. Außerdem können diese Informationen über soziale Netzwerke mit der lokalen und globalen Gemeinschaft geteilt werden [12]. Die dargestellten Projekte belegen die Nutzbarkeit von IoT-Technologien. Es wird deutlich, dass keine einheitliche Frühwarnlösung vorhanden ist. Stattdessen existieren unterschiedlichste, nicht durchgängig vernetzte Lösungsansätze. Kann das Internet der Dinge die Extremwetterfrühwarnung vorantreiben? Das Internet der Dinge ist keine Technologie der Zukunft - es finden sich schon heute viele Anwendungen. Dies ist auch daran zu erkennen, dass in immer mehr Bereichen Forschungen zur Integration der Technologie getätigt werden. Besonders für den Umweltschutz kann das Internet der Dinge in den nächsten Jahren eine große Rolle spielen. Schon jetzt werden Projekte für IoT-basierte Frühwarnsysteme entwickelt und eingesetzt, um so auf die zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels vorbereitet zu sein. Entwicklungen, wie beispielsweise das EarlyDike-Frühwarnsystem, basierend auf Sensordaten, können als Referenzprojekt gesehen werden, damit diese auch bei Binnengewässern Anwendung finden können. Dennoch sollte das Internet der Dinge nicht als alleiniges Mittel zur Frühwarnung verwendet werden. Besonders in Katastrophensituationen kann es zu unvorhersehbaren Komplikationen und zu Internet-, Netzwerk- und Mobilfunkausfällen kommen. Schlussendlich zeigt sich, dass die Frühwarnung für Extremwetterereignisse durch das Internet der Dinge stark modernisiert und weiterentwickelt werden kann, jedoch können auch etablierte Technologien, wie Sirenen, einen wesentlichen Beitrag zu einer zuverlässigen Frühwarnung leisten. Die Autoren bedanken sich an dieser Stelle bei Herrn Prof. Dr.-Ing. Dieter Uckelmann von der Hochschule für Technik Stuttgart, der die Erstellung dieses Artikels unterstützend begleitet hat. AP1: Sturmflutmonitoring und Simulator AP5: Sensor- und Geodateninfrastruktur AP2: Wellenmonitoring und Simulator AP3: Deichmonitoring und Simulator AP4: Überflutungssimulator GeoPortal Bild 1: Entwicklung eines sensor- und risikobasierten Frühwarnsystems für Seedeiche. © Eigendarstellung in Anlehnung an [14] 81 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser LITERATUR + QUELLEN [1] Deutscher Wetterdienst: Extremwetterkongress - Was wir heute über das Extremwetter in Deutschland wissen. Offenbach am Main, Deutschland, 2021. [2] Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Jahrhunderthochwasser 2021 in Deutschland, 2021. Elektronisch veröffentlicht unter der URL: https: / / www. bpb.de/ kurz-knapp/ hintergrund-aktuell/ 337277/ jahrhunder thochwa s s er-2021in deut s chland/ , 07.05.2022. [3] Redaktion Mitteldeutscher Rundfunk: Die Geschichte der Sirene, 2021. Elektronisch veröffentlicht unter der URL: https: / / www.mdr.de/ geschichte/ zivilschutzsirenen-ddr-bundesrepublik-100.html, 28.04.2022. [4] BBK: An MoWaS angeschlossene Warnmittel, 2022. Elektronisch veröffentlicht unter der URL: https: / / w w w.bbk .bund.de / D E / Warnung- Vor sorge / Warnung-in- Deutschland/ Warnmittel/ MoWaS/ Ange schlossene-Warnmittel/ angeschlossene-warnmittel_node.html; jsessionid=B8073F9FA95BE1828CCB3 5047C7B819E.live132, 04.05.2022. [5] Freitag, U., Fuchs-Kittowski, F., Abecker, A., Hosenfeld, F. (Hrsg.): Umweltinformationssysteme - wie verändert die Digitalisierung unsere Gesellschaft? , Wiesbaden, 2021. [6] BBK: Cell Broadcast, 2022. Elektronisch veröffentlicht unter der URL: https: / / www.bbk.bund.de/ DE/ Warnung-Vorsorge/ Warnung-in-Deutschland/ Warnmittel/ Cell-Broadcast/ cell-broadcast _ node.html, 26.04.2022. [7] Deutschlandfunk: Zivil- und Katastrophenschutz - Wie die Menschen bei einer Katastrophe gewarnt werden, 2022. Elektronisch veröffentlicht unter der URL: https: / / www.deutschlandfunk.de/ zivil-und-katastrophenschutz-wie-die-menschen-bei-einer-100. html, 27.04.2022. [8] Schwanke, K., Podbregar, N., Lohmann, D., Frater, H. (Hrsg.): Naturkatastrophen. Wirbelstürme, Beben, Vulkanausbrüche - Entfesselte Gewalten und ihre Folgen, 2009. [9] EFAS (2022): European Flood Awareness System, 2022. Elektronisch veröffentlicht unter der URL: https: / / www.efas.eu/ en, 17.05.2022. [10] Kaufmann, T., Servatius, H.-G. (Hrsg.): Das Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz als Game Changer - Wege zu einem Management 4.0 und einer digitalen Architektur, Wiesbaden, 2020. [11] Alliance for Internet of Things Innovations (AIOTI) (Hrsg.): Internet of Things Applications, 2015. [12] Ray, P. P., Mukherjee, M., Shu, L.: Internet of Things for Disaster Management - State-of-the-Art and Prospects, IEEE Access, 2017. [13] AON (Hrsg.): Weather, Climate & Catastrophe Insight, 2020. [14] Becker, R., Blankenbach, J., Dreier, N., Fröhle, P., Gries, T., Herle, S., Jensen, J., Krebs, V., Lehfeldt, R., Mulckau, A., Niehüser, Sebastian., Quadflieg, T., Schüttrumpf, H., Schwab, M.: EarlyDike - Entwicklung eines sensor- und risikobasierten Frühwarnsystems für Seedeiche, 2021. All you can read Alles zusammen zum Superpreis: Die Papierausgabe in hochwertigem Druck, das ePaper zum Blättern am Bildschirm und auf dem Smartphone, dazu alle bisher erschienenen Ausgaben im elektronischen Archiv - so haben Sie Ihre Fachzeitschrift für den urbanen Wandel immer und überall griffbereit. AboPlus: Print + ePaper + Archiv www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren Neue Mobilitätskonzepte für lebenswerte Städte Neue Mobilitätskonzepte für lebenswerte Städte Elektromobilität | Luftmobilität | Seilbahnen | Radfahren | Parkraum | Urbane Logistik | Geodaten Elektromobilität | Luftmobilität | Seilbahnen | Radfahren | Parkraum | Urbane Logistik | Geodaten 1 · 2022 SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Urbane Mobilität URBA URBBA Städtische Räume und Flächen: Gemeingut oder Wirtschaftsgut? Dritte Orte | Alltagsräume | Stadtbäume | Klimaanpassung | Mobilitätswandel | Transformation Dritte Orte | Alltagsräume | Stadtbäume | Klimaanpassung | Mobilitätswandel | Transformation 4 · 2021 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Lebensraum Stadt URBA Strategien für ein nachhaltiges Wasserressourcenmanagement Starkregen | Hitzestress | Regenwasserbewirtschaftung | Stadtbäume | Dach- und Fassadenbegrünung Starkregen | Hitzestress | Regenwasserbewirtschaftung | Stadtbäume | Dach- und Fassadenbegrünung 3 · 2021 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Zu viel oder zu wenig Wasser ? URBA Nachhaltige, klimafreundliche Gestaltung von Stadtquartieren Nachhaltige, klimafreundliche Gestaltung von Stadtquartieren Energiewende|Innenstädte|NeueMobilität|Reallabore|Transformation|Freiräume|Kreislaufwirtschaft Energiewende|Innenstädte|NeueMobilität|Reallabore|Transformation|Freiräume|Kreislaufwirtschaft 2 · 2021 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Umbau zur Stadt Umbau zur Stadt der Zukunft der Zukunft URBA Resilienz: Wie Städte künftig Krisen besser bewältigen können Corona | Verhäuslichung | Grüne Infrastruktur | Freiraum | Neue Arbeitswelten | Smart Cities | Mobilität | 1 · 2021 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Lehren aus der Pandemie Mit der Größe der Städte wachsen auch Risiken und Belastungen Vulnerabilität | Risikowahrnehmung | Prävention | Bürgerbeteiligung | Freiwilliges Engagement | Resilienz 2 · 2019 2 · 2019 YSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Städte im Krisenmodus? Beispiele zukunftsorientierter nachhaltiger Stadtentwicklung Urbane Wasserwirtschaft | Nicht-fossile Mobilität | Stadtnatur | Blau-grüne Infrastrukturen | Stadtklima 1 · 2020 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Zwischen Klimawandel und Kimaanpassung Innovative Konzepte für den Wandel städtischer Quartiere Stadtentwicklung | Resilienz | Bürgerbeteiligung | Energiewende | Mobilität | Luftqualität | Smart City 2 · 2020 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Urbane Transformation Ambivalenz zwischen urbanem Lifestyle und ländlicher Idylle Digitalisierung | Smart Cities | Mobilität | Ländliche Regionen | Urbane Peripherie | Stadtökologie | Stadtgrün 3 · 2020 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Urbanes Land - durchgrünte Stadt URBA Urbaner Metabolismus: Material- und Energieflüsse in der Stadt Flächennutzung | Stadtgrün | Rohsto e | Energie | Wasser + Abwasser | Wiederverwendung | Bioökonomie 4 · 2020 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Städtische Ressourcen URBA URBBA Innovativer und nachhaltiger Umgang mit knappem Stadtraum Stadtgrün | Gewerbegebiete | Nachkriegsmoderne | Stadt auf Probe | Reverse Innovation | Stadtverkehr 1 · 2019 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Leben und arbeiten in der Stadt Anpassungsstrategien an die Auswirkungen des Klimawandels Stadtklima | Grüne und blaue Infrastruktur | Schwammstadt | Stadtgrün | Urbane Wälder | Klimaresilienz 3 · 2019 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Städtisches Grün - städtisches Blau e S ele für AAbb www RReesilienz: siillienz Resilienz: W WWWWie iee S St S e St il z lienz: WWie St il z: tt esil z: t Co Corona | Verhä or ron rona na a | Ver rhhä äuus häus slic chung chung hung ung ng uslichung | GG ona a errh hu un G G Co a rhäu | G Innovative Konzepte für den Wandel städtischer Quartiere Stadtentwicklung | Resilienz | Bürgerbeteiligung | Energiewende | Mobilität | Luftqualität | Smart City Urbane Transformation Ambivalenz zwischen urban zz z em Lifestyle und ländlicher Idylle Digitalisierung | Sm Sm ma mart Cities | Mobili Sm Sm Sm Sm tät | Ländliche Regionen | Urbane Peripherie | Stadtökologie | Stadtgrün Urbanes es ssssssssss es es ss es ss ees eeeeee Land - durccccccccccccccccccchhhgrü hhh nte Stad ddddddddddddddddddddt Urbaner Metabolismus: Material- und Energieflüsse in der Stadt Flächennutzung | Stadtgrün | Rohsto e | Energie | Wasser + Abwasser | Wiederverwendung | Bioökonomie SSSSSStä SSSS dti d isch hhhhhhhhhhhh sch hee Res Res Re Re Res Res Res Res RRe Re Res RRes Res RRes Re Res ee sourcenn Pia Eckert Master-Studentin Umweltorientierte Logistik Hochschule für Technik Stuttgart Kontakt: pia.2907@web.de Denise Kindsvater Master-Studentin Umweltorientierte Logistik Hochschule für Technik Stuttgart Kontakt: denise.kindsvater@gmx.de AUTORINNEN 82 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser CLEVER Cities in Hamburg Neue Wege in der Starkregenentwässerungsanalyse und -vorsorge Starkregen, Starkregenentwässerungsanalyse, Naturbasierte Lösungen, CLEVER, CLEVER Cities, Beteiligung Maja Berghausen, Martina Zimpel Das EU-Projekt CLEVER Cities hat ein neuartiges Modell initiiert, das unterschiedliche Starkregenereignisse simuliert, um lokale Schwachpunkte im Entwässerungssystem zu identifizieren. Naturbasierte Entwässerungslösungen mit Fokus lokale Versickerung, Wiederherstellung des natürlichen Wasserkreislaufs und Regeneration von Grundwasser zeigen Lösungsansätze in der naturbasierten Starkregenvorsorge, welche mit dem Modell geprüft wurden. Die auf der Analyse basierenden NBS-Projekte werden zur Erforschung neuer Beteiligungsformate bei der Gestaltung von naturbasierten Lösungen mit Bürgern genutzt. Die Starkregenvorsorge spielt in Hamburg eine wichtige Rolle. In den letzten Jahren wurden bereits wichtige Kartengrundlagen und Strategien entwickelt, die das vorhandene Sielnetz entlasten sollen, aber auch ortsnahe natürliche Wasserkreisläufe wiederherstellen können. [1] Dieses ist nicht nur in Hinblick auf die im Juni 2021 eingeläutete UN- Dekade zur Wiederherstellung von Ökosystemen relevant. Es spiegelt auch das städtische Leitbild Hamburgs als eine „Grüne, gerechte, und wachsende Stadt am Wasser“ [2] wider. Bislang zeigen die bestehenden Karten jedoch nicht, wie die unterschiedlichen Entwässerungsstrukturen Hamburgs, welche u.a. aus dem unterirdischen Sielnetz und diversen oberirdischen System wie offenen Gräben, Regenrückhaltebecken und Ähnlichem bestehen, Bild 1: Oberirdische Straßenansicht eines Versickerungsbeets. © Bezirksamt Harburg 83 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser dass hier ein besonderer Handlungsschwerpunkt vorliegt. Im Projekt CLEVER Cities wurde nun für diesen Stadtteil erstmals eine gekoppelte hydrodynamische Abflussmodellierung erstellt, mit der für das 42 km² große Wassereinzugsgebiet kleinteilige, straßenzugsgenaue und damit sehr realitätsnahe Auswirkungen für unterschiedliche Starkregenereignisse simuliert werden können (Bild-2). In einem zweiten Schritt wurden für das Gebiet naturbasierte Maßnahmen entwickelt, die eine Reduktion der Überflutungsgefährdung zum Ziel haben und deren Wirksamkeit für unterschiedliche Regenereignisse durchgerechnet werden kann. Bei den Maßnahmen handelt es sich um gezielte Wasserführung auf strategisch geeigneten, temporär nutzbaren Rückhalte-/ Versickerungs-/ Verdunstungsflächen, beispielsweise über Versickerungsbeete. Die Wirksamkeit der Maßnahmen wurde anschließend mit erneuten Simulationsberechnungen überprüft. Die hier erstmals genutzte bi-direktionale Kopplung des unterirdischen 1D-Kanalnetzabflussmodells mit dem 2D-Oberflächenabflussmodell ist eine sehr aufwendige Methode, die in dieser Art erstmalig in Hamburg durchgeführt wurde. Sie ist sowohl aufgrund der Größe des Betrachtungsgebiets und aufgrund der Detailtiefe sehr komplex, da sie einerseits auf statischen Datensätzen wie dem digitalen Geländemodell (DGM) basiert, das dann unter anderem mit dem geologischen Schichtenaufbau, der Versickerungspotenzialkarte, einer Grundwasserflurkarte und der Fließwege- und Senkenkarte überlagert wurde. Diese Informationen wurden anschließend um Regenrückhaltebecken und Regenkanäle sowie um die leitungsgebundene Entwässerung, bei Starkregen als von einander abhängige Systemkomponenten interagieren. Die öffentlich einsehbare Starkregenhinweiskarte [3] bildet beispielsweise nur die Folgen von Starkregen auf der Oberfläche ab und berücksichtigt nicht das unterirdische Kanalnetz. Ein gekoppeltes sogenanntes 1D-2D-Modell ist jedoch eine wichtige Grundlage, um wirksame Maßnahmen zur Starkregenvorsorge planen zu können. Besonders im Kontext der Stadterneuerung und Klimaanpassung im Bestand sind die Möglichkeiten zur Erweiterung der sogenannten unterirdischen „grauen“ Infrastruktur oft sehr beschränkt. Gezielte dezentrale, auch sehr kleinteilige oberirdische naturbasierte Maßnahmen sind daher zunehmend ein wichtiger Bestandteil in der Starkregenvorsorge, damit der Objektschutz auf dem Grundstück, aber auch der Schutz der Bürger, im ausreichenden Maße umsetzt werden kann. Erstellung eines neuartigen gekoppelten Starkregenentwässerungsmodells durch CLEVER Cities Hamburg Das EU-Horizont 2020-Forschungsprojekt CLEVER Cities (GA 776604) erforscht seit 2018 naturbasierte Lösungen, kurz NBS (nature-based solutions), im Hamburger Stadtteil Neugraben-Fischbek. Das Projektgebiet befindet sich in städtischer Randlage und wird von zwei Naturschutzgebieten flankiert, der Fischbeker Heide im Süden und dem Moorgürtel im Norden. [4] Das Gelände ist gekennzeichnet durch starke Höhendifferenzen südlich und der flachen Marsch nördlich der Cuxhavener Straße. In dem Gebiet ist es wiederholt zu Überflutungen mit Sachschäden im Siedlungsbereich gekommen, so Bild 2: Auszug aus der Starkregenentwässerungsanalyse: Starkregengefahrenkarte für den Hamburger Starkregenindex (SRI) 8 (Extremer Starkregen). © HAMBURG- WASSER 84 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser bestehend aus Schmutzwasser- und Regenwasserkanälen, ergänzt. Hinzu kamen außerdem Straßenentwässerungskanäle wie Rinnen, Grabenverrohrungen und Sickerschächte, Rauhheitsbeiwerte für die Oberflächenbeschaffenheit, Regeneinläufe („Trummen“) und deren parametrisiertes Schluckvermögen, und die Gebäudeanschlüsse, wobei die Gebäude selber als Abflusshindernis definiert wurden. Schließlich wurde das Pflege- und Entwicklungskonzept der Fischbeker Heide hinzugezogen, um die der Siedlung vorgelagerten potenziellen Retentionsräume für Regenwasser zu lokalisieren. Vieles musste auch vor Ort überprüft werden, weil beispielsweise Brückenquerungen im Geländemodell für die Modellierung nicht passend dargestellt waren. Für die eigentlichen Simulationen von unterschiedlich hohen Starkregenszenarien wurden einbzw. zweistündige Niederschläge in Intensitäten von 10-jährigen, 30-jährigen, aber auch 100-jährigen und über 100-jährigen Starkregen verwendet. Außerdem konnte das SRI-8 Starkregenereignis im Juni 2020 (extremer Starkregen, der nur alle über 100 Jahre vorkommt) [5] für die Kalibrierung des Modells genutzt werden. Zum Vergleich: Das vorhandene Siel-/ Kanalnetz ist vielerorts für durchschnittlich 5-jährliche Regenereignisse konzipiert, und daher langfristig nicht geeignet, die Wassermengen der zunehmenden teils sehr hohen Starkregenereignisse wie das SRI-8-Ereignis von 2020 aufzunehmen. CLEVER Cities initiiert Dialog zwischen den unterschiedlichen Akteuren Oft braucht es einen Impuls von außen, wie durch das CLEVER Cities-EU-Projekt, um den Dialog zwischen den unterschiedlichen Akteuren zu initiieren. Im Jahr 2019 wurde daher der sogenannte CLEVER CiBiX-Workshop [6] organisiert, bei dem Fachleute aus Verwaltung und Fachbüros sowie Vertreter der Wirtschaft, die Technische Universität Hamburg (TUHH), HamburgWasser als kommunales Versorgungsunternehmen und die IBA Hamburg GmbH zum Thema Regenwassermanagement zusammenkamen. Der Workshop formulierte deutlich den Bedarf für ein gekoppeltes Regenwassermodell und gab damit den Startschuss für die Erstellung des nun vorliegenden Starkregenentwässerungsmodells. In acht folgenden Sitzungen konnten dann gemeinsam die Parameter und genauen Anforderungen an die Modellierung erarbeitet sowie Fokusgebiete und Lösungen für naturbasierte Entwässerung identifiziert werden. Die Ergebnisse der im Juli 2021 fertiggestellten Modellierung werden nun von den unterschiedlichen Akteuren für ihre Zwecke genutzt. So wird unter anderem die Studie im Bezirk Harburg vor allem in der Bebauungsplanung verwendet. Zwei der naturbasierten Entwässerungslösungen konnten zudem von der Tiefbau- und Forstabteilung baulich umgesetzt werden. Auf ministerieller Ebene wendet beispielsweise die Behörde für Umwelt, Energie, Klima und Agrarwirtschaft (BUKEA) das Modell inzwischen auf alle Wassereinzugsgebiete Hamburgs an, so dass zukünftig Hamburg flächendeckend in dieser gekoppelten Weise gerechnet sein wird. Damit hat die Starkregenentwässerungsstudie über den Stadtteil Neugraben-Fischbek hinaus einen wichtigen Beitrag zur Standardisierung und Vereinheitlichung von gekoppelten Regenwassermodellen sowie einen Erkenntnisgewinn für die Anpassung an den Klimawandel in Hamburg geleistet. Was sind naturbasierte Entwässerungslösungen? Die Europäische Kommission definiert naturbasierte Lösungen als „Lösungen, die von der Natur inspiriert und unterstützt werden, die kosteneffizient sind, gleichzeitig ökologische, soziale und wirtschaftliche Vorteile bieten und zum Aufbau von Resilienz beitragen.“ [7] Die Starkregen-Modellierung wurde auch dazu verwendet, geeignete Maßnahmen einer naturbasierten Entwässerung im Stadtraum und im höher gelegenen Naturschutzgebiet aufzuzeigen. Hierzu wurden sowohl die Art als auch die Dimensionierung dieser Lösungen konzeptionell in die Modellierung eingebaut und deren Wirkung geprüft. Naturbasierte Entwässerungslösungen zielen darauf ab, Regenwasser ortsnah versickern und verdunsten zu lassen, indem geeignete Versickerungsmöglichkeiten und Zwischenspeicher zur Drosselung von Regenwasserspitzen geschaffen werden. Die Bild 3: CLEVER CiBiX Workshop 2019 beim CLEVER Partner Hamburgisches Welt- WirtschaftsInstitut (HWWI). © Bezirksamt Harburg 85 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Lösungen können unter anderem aus Tiefbzw. Versickerungsbeeten, Notwasserwegen, multifunktionalen Flächen, Gründächern, Entsiegelung und Mulden-Rigolen-Systemen bestehen. Leider sind sie häufig aufwendiger zu planen und zudem sehr flächenintensiv, was vor allem im dichter bebauten, städtischen Raum nicht einfach umzusetzen ist. Das mit CLEVER gebaute Beispiel der Versickerungsbeete, die Teil des Maßnahmenkatalogs waren, zeigt, dass diese zwar in eine bestehende Anwohnerstraße integriert werden können. Allerdings mussten hierfür vorhandene Parkplätze weichen. Zudem mussten bei der Dimensionierung der Beete die zulässige Fahrbahnbreite, vorhandene Einfahrten und Schächte im Untergrund sowie geeignete Filtersysteme für das Regenwasser berücksichtigt werden, was eine merkliche Beschränkung der Länge und Breite der Beete zur Folge hatte. Das resultierende „technische“ Bauwerk ist dadurch nicht nur sehr schmal und lang geworden, sondern lässt sich auch nur schwer mit Straßenbäumen bepflanzen. Hier zeigt sich eine weitere Komplexität bei der Planung derartiger naturbasierter Lösungen: Idealerweise erzeugen Versickerungsbeete neben ihrer technischen Funktion auch einen gestalterischen Mehrwert für das Straßenbild und Wohnumfeld. Bei der Bepflanzung der Beete mit Straßenbäumen ist jedoch darauf zu achten, dass die Baumarten für wechselfeuchte Baumgruben geeignet sind, dass es sogenannte „Klimabäume“ sind, das heißt, besonders angepasst an die zu erwartende Erderwärmung, und dass sie vor allem zur Familie der Flachwurzler gehören, damit ihre Wurzeln nicht das nur etwa 80 cm tief liegende Rigolenbauwerk für den Überflutungsschutz zerstören. Damit kommen herkömmliche Straßenbaumarten oft nicht in Frage. Erfahrungswerte für geeignete Bäume sind häufig jedoch noch nicht ausreichend vorhanden. Meist wird daher statt der schattenspendenden Bäume lediglich eine bienenfreundliche Wiesenmischung als Bebzw. Unterpflanzung der Beete gesät, die gut auf der obersten Schicht der Beete aus versickerungsfähigem magerem Schotterrasen wächst, und ebenso, wenn auch in geringerem Maße, zu einer Erhöhung der biologischen Vielfalt beitragen und damit einen ökologischen Mehrwert sowie zusätzlich eine Verschönerung des Straßenbilds hervorrufen kann. Dennoch zeigt das Beispiel der Versickerungsbeete, dass die Hemmschwelle, die oftmals bei neuartigen Planungsansätzen vorhanden ist, durch die modellgestützte ortsgenaue und Maßnahmen formulierende Starkregenentwässerungsanalyse für die kommunale Arbeitsebene maßgeblich gesenkt werden konnte. Die ausführenden Fachplaner im Bezirk konnten die Lösungen schnell ausschreiben, umsetzen und in der Realität testen. Diese bauliche Umsetzung ist eine wichtige Voraussetzung, um eine fundierte Wirkungsanalyse und Validierung von NBS erstellen zu können. So wurde die technische Wirksamkeit der naturbasierten Lösung „Tiefbeet für Versickerung und temporärem Einstau von Regenwasser mit Wirkung Regenwasserrückhalt und -verdunstung“ aus der nun tatsächlich gebauten Dimension und Ausformung auch wieder in das für die Analyse erstellte gekoppelte Modell übernommen und erneut gerechnet. Erste empirische Erhebungen vor Ort als auch die gerechneten Ergebnisse belegen eine deutliche Verbesserung in der Entwässerung der Straße bei Starkregen. Wie naturbasierte Lösungen einen sozialen und wirtschaftlichen Mehrwert generieren Bezugnehmend auf die Definition von naturbasierten Lösungen geht es bei NBS aber nicht nur um die technische und ökologische Lösung. CLEVER Cities erforscht auch, wie derartige Projekte durch „Ko-Kreation“ einen wirtschaftlichen und sozialen Mehrwert generieren können, auch wenn üblicherweise die ko-kreativen Möglichkeiten bei derartigen Infrastrukturprojekten, die ein hohes Maß an Fachwissen und die Einbindung von Fachgewerken erfordern, beschränkt sind. Schließlich umfasst Ko-Kreation in der Regel eine Beteiligung nicht nur in der Ideenphase (Co-Ideation), sondern auch beim Entwurf (Co-Design), in der Umsetzung (Co-Implementation) sowie in der Pflege- und Instandhaltung (Co-Management) bzw. im Co-Monitoring der NBS. [8] Bild 4: Funktionsschnitt Versickerungsbeet. © Bezirksamt Harburg 86 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Um trotzdem durch ko-kreative Elemente einen sozialen Mehrwert zu generieren und vor allem den sozialen Zusammenhalt zu fördern und die Identifikation mit dem Stadtteil zu stärken, sind die Versickerungsbeete daher um „ko-kreative“ Komponenten erweitert worden: Zunächst wurde für jedes der sechs Testbeete eine andere Baumart gewählt, die auch nicht den üblichen Straßenbaumarten des Bezirks entsprechen. Durch die Verwendung von Bäumen, die sich mit den Jahreszeiten, vor allem hinsichtlich ihrer Blüten, Früchte und Herbstfärbung, verändern, soll der Blick verstärkt auf das „System“ Straßenbäume gelenkt werden. Während der Rotahorn beispielsweise im Herbst mit seiner Rotfärbung einen starken Kontrast zu den gelben Blättern der Eberesche bildet, riecht der Lebkuchenbaum dann nach Weihnachten. Gleichzeitig kann so erforscht werden, welcher Baum sich für derartige Beete zukünftig am besten eignet. Zu erwähnen ist, dass sich die Versickerungsbeete in einem Einfamilienhausgebiet mit großen Privatgärten und in unmittelbarer Nähe zum bewaldeten Naturschutzgebiet befinden. Bäume und Naturraum sind im „Überfluss“ vorhanden, so dass es besonders schwierig ist, bei den Anwohnenden Betroffenheit und Interesse für ökologische Belange im Siedlungsraum zu wecken. Außerdem sehen die Beete oberirdisch wie gewöhnliche Straßenbeete aus. Auch wenn die Anwohnenden in der Co-Design- Phase die Auswahl der Bäume selber nicht mitbestimmen konnten, wurden sie vor Baubeginn mittels Fragebögen über die Funktionsweise der Beete und die Ziele der Maßnahme informiert. Diese Form der Ko-Kreation in der Co-Implementationsphase entspricht nach Arnstein bereits einer niedrigen bis mittleren Beteiligungsstufe. [9] Mit der Möglichkeit zur Übernahme einer Beetpatenschaft, bei der sich die Anwohnenden für einen bestimmten Zeitraum verpflichten, sich um das Beet und den Baum kümmern, soll dann die Beteiligung der Anwohnenden in der anschließenden Co-Monitoringphase auf eine eher partnerschaftliche Ebene angehoben werden, um eine Form des Co-Management von öffentlichen Räumen zu initiieren, bei dem sich die Bürger*innen gemeinsam mit der Stadt um ihr Wohnumfeld kümmern und dadurch ermächtigt werden, ihren Lebensraum aktiv mitzugestalten. Zusätzlich wurde gemeinsam mit der HafenCity Universität ein digitales Beobachtungsprojekt eingerichtet, bei dem die Anwohnenden ihre Beobachtungen zu den Beeten und Bäumen auf einer öffentlichen Online-Plattform [10] hochladen können. Gleichzeitig können sie hier sehen, was andere Anwohnende zu den Beeten geschrieben haben. Die Beete sind hierfür vor Ort mit QR-Codes markiert, um einen niedrigschwelligen Informationsaustausch zu ermöglichen. Die sich wiederholende Beobachtung und Dokumentation der Beete, eine Form des Co-Monitoring, kann zu einer erhöhten Verbundenheit mit seinem Wohnumfeld und den Nachbarn führen. Außerdem kann dadurch das Wissen über die Bäume und das lokale Ökosystem verbessert werden, so dass künftig eine stärkere Teilhabe an ko-kreativen NBS-Projekten ermöglicht werden kann. Die frei zugängliche Bereitstellung von ökologischen Beobachtungen unterstützt zudem das Ziel, Daten- und Wissenssilos, die traditionell der Verwaltung und der Wissenschaft vorbehalten sind, aufzubrechen, und der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Der kollektive, ko-kreative Charakter der Versickerungsbeete wird ferner durch den sogenannten „CLEVER Parcours“ unterstützt, welcher alle NBS- Projekte von CLEVER Cities [11] im Stadtteil, so auch die Versickerungsbeete aus der Starkregenentwässerungsmodellierung, verbindet und kennzeichnet. Die Schilder des Parcours wurden gemeinsam mit den Anwohnenden des Projektgebiets entwickelt und teilweise auch von diesen mit einer NBS wie etwa einem kleinen Insektenhotel, einer Vogeltränke oder einem Fledermaushaus befüllt. So kann der rund 4 km lange Parcours als Wander- oder Fahrradstrecke genutzt werden, während gleichzeitig ein Überblick über die vielfältigen Ausgestaltungen von naturbasierten Lösungen im Kontext der Stadterneuerung gewährt wird. Eine dazugehörige Wanderkarte, die unter anderem in der örtlichen Bücherei ausliegt, gibt zusätzlich Auskunft über die Strecke und die Projekte. Zudem ist der Weg in mehreren Sport-Apps zu finden. Da CLEVER Cities zeitgleich auch in anderen EU-Städten, wie London, Mailand, Madrid, Belgrad, Malmö, Sfantu Georghe und Larissa stattfindet und sogar einen Ableger in Quito, Ecuador, hat sowie durch den UrbanbyNature Hub in China verbreitet wird, kann sich über die unmittelbare Nachbarschaft hinaus ein Gemeinschaftsgedanke entfalten, der sich nicht nur auf das Projektgebiet in Hamburg bezieht, sondern sich auf ganz Europa sowie andere Teile der Welt ausweiten lässt. So kann NBS im Kontext der Starkregenvorsorge und Klimaanpassung als Gemeinschaftsaufgabe wahrgenommen und verdeutlicht werden. Das Projekt der Versickerungsbeete als ein Resultat der Starkregenentwässerungsanalyse zeigt, dass die Transformation sozio-technischer Systeme einem ganzheitlichen Ansatz folgen muss. Was als theoretische und virtuelle Simulation in Form einer 87 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser gekoppelten Entwässerungsmodellierung beginnt, kann in der Anwendung durch eine ganzheitliche Planung nicht nur funktionellen und ökologischen Nutzen haben, sondern auch einen sozialen und wirtschaftlichen Mehrwert erzeugen. Nur wenn NBS ganzheitlich betrachtet werden, wenn sowohl technische, soziale, wirtschaftliche und ökologische Aspekte als auch ein gemeinschaftlicher Planungsprozess ganzheitlich mitgedacht werden, können naturbasierte Lösungen als ein vielversprechender Ansatz in der Stadterneuerung gesehen werden, der nicht nur auf (Starkregen-)Vorsorge ausgerichtet ist, sondern die erweiterten Bedürfnisse der Bürger*innen mitdenkt. LITERATUR [1] HamburgWasser: Regeninfrastrukturanpassung, 2022. https: / / www.risa-hamburg.de/ downloads abgerufen am 05.08.2022 [2] hamburg.de GmbH & Co. KG: Räumliches Leitbild - Perspektiven der Stadtentwicklung: Grüne, gerechte, wachsende Stadt am Wasser. https: / / www.hamburg.de/ perspektiven-stadtentwicklung/ abgerufen am 05.08.2022 [3] hamburg.de GmbH & Co. KG: Planungshilfe Starkregenhinweiskarte. https: / / www.hamburg.de/ starkregenhinweiskarte/ abgerufen am 05.08.2022 [4] hamburg.de GmbH & Co. KG: Neugraben-Fischbek: Wissens- und Sehenswertes - Grüner Wohnvorort. https: / / w w w.hamburg.de/ sehenswertes-neugraben-fischbek/ aufgerufen am 05.08.2022 [5] HamburgWasser: Was ist ein Starkregenereignis? , 2022. https: / / www.hamburgwasser.de/ privatkunden/ themen/ starkregen aufgerufen am 05.08.2022 [6] hamburg.de GmbH & Co. KG: Intensivere Zusammenarbeit-CiBiX Workshop in Hamburg. https: / / www.hamburg.de/ harburg/ horizon-2020-clever-cities/ 13702348/ cibix-workshop-inhamburg/ aufgerufen am 05.08.2022 [7] Umweltbundesamt: „Naturbasierte Lösungen für klimaresiliente europäische Städte, 2021. https: / / www. umweltbundesamt.de/ naturbasierte-loesungen-fuer-klimaresiliente#undefined aufgerufen am 09.08.2022 [8] Brandsen, T., Steen, T., Verschuere, B. (Eds.): Coproduction and co-creation. Engaging citizens in public services. New York NY: Routledge (Routledge critical studies in public management), 2018. ht tps : / / w w w.t ay lor francis .com / book s / oa edit / 10.4324/ 9781315204956/ co-production-co-creationtaco-brandsen-trui-steen-bram-verschuere [9] Arnstein, S. R.: A Ladder Of Citizen Participation, Journal of the American Institute of Planners, 35: 4, (1969) p. 216 - 224, DOI: 10.1080/ 01944366908977225 [10] Centre for Genomic Pathogen Surveillance: CLEVER- CITIES_VERSICKERUNGSBEETE_NEUGRABEN, 2022. https: / / five.epicollect.net/ project/ clevercities-versickerungsbeete-neugraben aufgerufen am 05.08.2022 [11] hamburg.de GmbH & Co. KG: Der Clevere Weg in Neugraben-Fischbek: Entdecken Sie die CLEVER Projekte! . https: / / www.hamburg.de/ harburg/ clevercities-projekte/ 15441106/ clever-parcours/ aufgerufen am 05.08.2022 Dr. Maja Berghausen Sachbearbeiterin Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft Freie und Hansestadt Hamburg Kontakt: maja.berghausen@bukea.hamburg.de Martina Zimpel Projektleitung Horizon 2020 - CLEVER Cities Freie und Hansestadt Hamburg - Bezirksamt Harburg Kontakt: martina.zimpel@harburg.hamburg.de AUTORINNEN Wir sind für Sie da: Opfer-Telefon: 116 006 bundesweit kostenfrei Onlineberatung: www.weisser-ring.de Bundesweit für Sie vor Ort Rückhalt und Hilfe für Betroffene von Hass und Hetze 88 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Infrastruktur Impressum Transforming Cities erscheint im 7. Jahrgang Herausgeber Eberhard Buhl, M.A. Verlag Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl | Christine Ziegler Schliffkopfstr. 22, D-72270 Baiersbronn-Buhlbach Tel. +49 7449 91386.36 · Fax +49 7449 91386.37 office@trialog.de · www.trialog.de Redaktionsleitung Dipl.-Ing. arch. Christine Ziegler VDI (verantwortlich) Tel: +49 7449 91386.43 Fax: +49 7449 91386.37 christine.ziegler@transforming-cities.de Anzeigen Tel. +49 7449 91386.46 Fax +49 7449 91386.37 anzeigen@trialog.de Gültige Anzeigenpreisliste Nr. 7 vom 01.01.2022 Vertrieb und Abonnentenservice Tel. +49 7449 91386.39 Fax +49 7449 91386.37 vertrieb@trialog.de Erscheinungsweise Viermal im Jahr Bezugsbedingungen Die Bestellung des Abonnements gilt zunächst für die Dauer des vereinbarten Zeitraumes (Vertragsdauer). Eine Kündigung des Abonnementvertrages ist zum Ende des Berechnungszeitraumes schriftlich möglich. Erfolgt die Kündigung nicht rechtzeitig, verlängert sich der Vertrag und kann dann zum Ende des neuen Berechnungszeitraumes schriftlich gekündigt werden. Bei Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages, bei Arbeitskampf oder in Fällen höherer Gewalt besteht kein Entschädigungsanspruch. Zustellmängel sind dem Verlag unverzüglich zu melden. Es ist untersagt, die Inhalte digital zu vervielfältigen oder an Dritte weiterzugeben, sofern nicht ausdrücklich vereinbart. Bezugsgebühren JahresAbo Print: gedruckte Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 125,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 11,90, Ausland EUR 25,-) JahresAbo ePaper: elektronische Web-Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 120,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), ohne Versandkosten JahresAbo Plus gedruckte Ausgabe + elektronische Web-Ausgabe + Archiv zum Jahresbezugspreis von EUR 165,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 11,90 , Ausland EUR 25,-) StudiAbo Print: gedruckte Ausgabe zum reduzierten Jahresbezugspreis von EUR 82,50 (inkl. MwSt., zzgl. Versandkosten. Inland EUR 11,90 , Ausland EUR 25,-) Eine aktuelle Studienbescheinigung ist Voraussetzung. StudiAbo ePaper: elektronische Web-Ausgabe zum reduzierten Jahresbezugspreis von EUR 79,20 (inkl. MwSt., ohne Versandkosten). Eine aktuelle Studienbescheinigung ist Voraussetzung. Einzelheft Print: gedruckte Ausgabe zum Einzelbezugspreis von EUR 35,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 3,-, Ausland EUR 6,50) Einzelausgabe ePaper: elektronische Web- Ausgabe zum Einzelbezugspreis von EUR 35,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), ohne Versandkosten Campus- und Firmenlizenzen auf Anfrage Organ | Medienpartnerschaft VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld Druck QUBUS media GmbH, Hannover Herstellung Trialog, Baiersbronn-Buhlbach, www.trialog.de Titelbild North Point Park and Charles River in Cambridge, Massachusetts, America. © ClipDealer Copyright Vervielfältigungen durch Druck und Schrift sowie auf elektronischem Wege, auch auszugsweise, sind verboten und bedürfen der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Abbildungen übernimmt der Verlag keine Haftung. Eine Publikation der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Baiersbronn-Buhlbach ISSN 2366-7281 (print) www.trialog.de/ agb Markus Böll Mall GmbH Hüfinger Straße 39-45 78166 Donaueschingen markus.boell@mall.info KONTAKT Regenwasser - wertvolle Ressource für unsere Städte Ratgeber Regenwasser von Mall in 9. Auflage erschienen Zwei Jahre nach der letzten Veröffentlichung ist die 9. aktualisierte Auflage des „Ratgebers Regenwasser“ von Mall erschienen, für die der Fachbuchautor und Regenwasser-Experte Klaus W. König erneut zwölf der in der Siedlungswasserwirtschaft aktuell diskutierten Fachthemen für einen zukunftsweisenden Umgang mit Regenwasser zusammengetragen hat. Die 9. Auflage des Ratgebers Regenwasser von Mall ist erschienen. © Mall GmbH Die 36-seitige Broschüre richtet sich in erster Linie an Kommunen und Planungsbüros und versteht sich als Planungshilfe und Impulsgeber für die Praxis der Stadthydrologie. In zwölf Expertenbeiträgen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz werden die jeweiligen Fragestellungen kurz und prägnant mit unterstützenden Bildern und Grafiken vorgestellt sowie mit weiterführenden Literaturhinweisen und den Kontaktdaten der Autorinnen und Autoren ergänzt. Neu hinzugekommen sind in dieser Ausgabe drei Beiträge, die sich mit dem Spannungsfeld zwischen Gewässerschutz und Wirtschaftlichkeit, der Regenwassernutzung als Baustein einer Siedlungsentwässerung und dem Thema ausgeglichene Wasserhaushaltsbilanz beschäftigen. Alle anderen Beiträge wurden aktualisiert. Die in der Fachbuchreihe „Ökologie aktuell“ erscheinende Broschüre im A4-Format kann zum Preis von 15 Euro inkl. MwSt. und zuzüglich Versandkosten unter www.mall. info/ infomaterial bestellt werden (ISBN 978-3-9803502-2-8). © Adam auf Pixabay Mit neuer Energie Am 5. Dezember 2022 erscheint die nächste Ausgabe von Transforming Cities mit dem Themenschwerpunkt  Urbane Energiesysteme  Energiemanagement im Quartier  Wind, Wasser, Sonne in der Stadt  Speichertechnik  Kommunale Wärmewende  Intelligente Netze