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Transformation und Dezentralisierung des Energiemarktes Transformation und Dezentralisierung des Energiemarktes Energiemanagement | Speichertechnik | Wasserstoff | Wärmewende | Intelligente Netze 4 · 2022 URBANE SYSTEME IM WANDEL. DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN Mit Mit neuer neuer Energie Energie All you can read Alles zusammen zum Superpreis: Die Papierausgabe in hochwertigem Druck, das ePaper zum Blättern am Bildschirm und auf dem Smartphone, dazu alle bisher erschienenen Ausgaben im elektronischen Archiv - so haben Sie Ihre Fachzeitschrift für den urbanen Wandel immer und überall griffbereit. AboPlus: Print + ePaper + Archiv www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren Trialog Publishers Verlagsgesellschaft | Baiersbronn | service@trialog.de 1 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, über Art und Weise von Klimaprotesten lässt sich streiten, aber die Gründe für die Aktionen lassen sich nicht länger wegdiskutieren. So ist die Bilanz des Netzwerks internationaler Wissenschaftler, „Global Carbon Project“, gelinde gesagt ernüchternd: Trotz aller Bekenntnisse zu den Klimaschutzzielen - etwa des Pariser Klimaabkommens von 2015 - steigen die CO 2 -Emissionen immer weiter. Nach einer leichten Delle während der Corona-Pandemie liegt der Ausstoß von Kohlendioxid in die Atmosphäre seit dem Pariser Klimavertrag heute sogar um rund fünf Prozent höher als vor acht Jahren. Kaum jemand glaubt inzwischen noch ernsthaft, dass das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, tatsächlich erreichbar ist. Ist es angesichts der jetzt schon spürbaren Auswirkungen des Klimawandels, wie den immer häufiger werdenden Extremwetterlagen mit entweder langen Trockenzeiten und Hitzewellen oder Starkregenereignissen mit nicht beherrschbaren Wassermassen, zu verstehen, dass so wenig gegen den Klimawandel unternommen wird? Worauf warten wir eigentlich noch? Es liegt wohl daran, dass sich Transformationen, sollen sie in der Breite akzeptiert werden, nur langsam durchsetzen können. Disruptive Veränderungen führen meist auch zu ökonomischen und damit sozialen Verwerfungen, was vernunftgesteuerte Entwicklungen eher ausbremst als voranbringt. Klimapolitik geht also nur gemeinsam mit den Menschen, nicht gegen sie. Doch für lange Aushandlungsprozesse fehlt uns mittlerweile schlicht und ergreifend die Zeit. Deshalb ist es umso wichtiger, nicht auf den ganz großen Wurf zu setzen, sondern einfach schon mal anzufangen - mit pragmatischer, lösungsorientierter Politik und fassbaren Projekten vor Ort, mit für Bürger wirtschaftlich interessanten Beteiligungen und dem Engagement von Unternehmen und Forschungseinrichtungen bei der Umsetzung vielversprechender Ansätze zur Nutzung erneuerbarer Energien. In der neuen Ausgabe von Transforming Cities werden spannende Beispiele genau zu diesem Thema vorgestellt. Lesen Sie selbst Christine Ziegler Redaktionsleitung „Transforming Cities“ Mit neuer Energie 2 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES INHALT 4 · 2022 INTERVIEW Infrastruktur 4 Erfolg muss vorbereitet werden Qualifikation bei Ausschreibung und Bauüberwachung FORUM Europa 6 Smart fürs Klima Smart Cities in Europa zeigen Lösungen für eine klimaneutrale Zukunft Schuyler Cowan PRAXIS + PROJEKTE Energie 8 Gemeinsam gut gewappnet Wie das Denken in Gebäudeverbänden unsere Infrastruktur klimafreundlicher und resilienter macht Anna Maria Fulterer, Ingo Leusbrock 11 Grüner Wasserstoff Königsweg für nachhaltige Energiewirtschaft? Eberhard Buhl 14 Grüne Wasserstoffproduktion in Wunsiedel Andreas Schmuderer 16 Ammoniak - der übersehene Energieträger Christian Platzer 18 Energie-Kommune Rostock Mit grünem Wasserstoff und Wärmespeicher zur Energie- und Wärmewende 21 Sonnenenergie auf dem Plan Christoph Becker 24 Solarpark 2.0: Mehr Ertrag bei gleicher Fläche Optimierung großer Photovoltaikanlagen 26 Wolfsburg auf dem Weg zum intelligenten Versorgungsnetz der Zukunft Advertorial 29 Beteiligung und Kollaboration bei Energie- und Klimaschutzstrategien Transformation analog und digital beschleunigen Norbert Rost Energie 30 Digitalisierung der Datenverwaltung öffentlicher Anlagen App erlaubt Direkteingabe verschiedenster Objektdaten vor Ort Iris Gerhard 32 Gründach oder Solar- Dach? - Natürlich beides! Seite 6 Seite 11 Seite 26 © RUGGEDISED project © ZBT - Zentrum für BrennstoffzellenTechnik GmbH © Stadtwerke Wolfsburg AG/ H. Landmann 3 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES INHALT 4 · 2022 THEMA Mit neuer Energie 34 Bürgerschaftliches Engagement und Aktivierungspotenziale für klimaresiliente Städte Solar- und Gründachbörse in Halle (Saale) Olga Izdebska, Jörg Knieling, Sabine Falk, Fatma Cetin 40 Jenseits der Gebäudegrenze Klimaanpassung im Freiraum als Baustein einer suffizienten Stadtgestaltung Sandra Sieber 46 Die ersten Schritte auf dem Weg zum Positive Energy District Regine Wehner 50 Neue Wärme in alten Rohren Photovoltaik- Großwärmepumpen- Kombination als Wärmeversorgungsoption für Saarlouis-Steinrausch Manuel Trapp, Celina Kölsch, Mike Speck, Dorothee Siemer 55 Energie, Wasser und Kosten sparen - ohne Komfortverzicht Grauwasser-Recycling mit Wärmerückgewinnung - speziell für Wohnungsbau, Heime und Hotels Klaus W. König 60 Intelligente Ladeinfrastruktur und intelligente Netze Dennis Dreher, Lutz Gaspers, Rebecca Heckmann 64 Das 9-Euro-Ticket in Städten Wirkungsmechanismus im Stadt- und Regionalverkehr Andreas Krämer 70 Geschäftsreisen der Zukunft Digital oder vor Ort? Rebecca Heckmann, Dennis Dreher, Lutz Gaspers PRODUKTE + LÖSUNGEN Energie 76 Grüner Wasserstoff - Energie aus Abfall MH2Regio: Tractebels Waste-to-Wheels- Studie weist Weg zur Dekarbonisierung des Verkehrs 76 Impressum Seite 46 Seite 55 © Projectvisuals Seite 70 © Headway on Unsplash © Headway on Unsplash © König 4 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Herr Diederich, Sie haben die D.S.L. Ingenieure GmbH 2004 gegründet, welche Marktbereiche bedienen Sie mit Ihren Mitarbeitern? Wir sind ein Team von 13 Fachleuten und in den Bereichen Kanalsanierung, Siedlungswasserwirtschaft sowie dem Verkehrs- und Straßenbau tätig. In der Kanalsanierung sehen wir die ganzheitliche Betrachtung als übergeordnete Aufgabe. Eine optimale Verfahrensauswahl ermöglicht in Verbindung mit einer engagierten Umsetzung eine lange Nutzungsdauer des Kanals. Zu den Schwerpunkten unserer Arbeit gehören Konzepterstellung, Planung und Bauleitung. Darüber hinaus bauen wir für unsere Kunden Kanaldatenbanken auf und pflegen diese, wobei wir möglichst langfristige Inspektionszyklen begleiten und mit dem Auftraggeber strategische Planungsziele erarbeiten. Auf dieser Basis können wirtschaftliche Bauabläufe optimal geplant und Projekte so umgesetzt werden, dass die Ansprüche aller Projektbeteiligten im Hinblick auf Wirtschaftlichkeit und Qualität erfüllt werden. Wann und wie kam es zur Beschäftigung mit dem Thema Gütesicherung Kanalbau und wie haben Sie die Entwicklung der Gütegemeinschaft erlebt? Mit dem Thema Gütesicherung habe ich mich seit der Gründung des Ingenieurbüros auseinandergesetzt, zudem die Entwicklung der Organisation Güteschutz Kanalbau verfolgt. Stetig steigende Mitgliederzahlen belegen die breite Akzeptanz des Systems. Positiv finde ich auch den Aspekt, dass die Gütegemeinschaft nicht nur Gütezeichen verleiht, sondern sich als Partner im Aufbau und bei der Aufrechterhaltung von Qualifikation im Kanalbau versteht - und das für ausführende Unternehmen ebenso wie für Auftraggeber und Ingenieurbüros. Welchen Stellenwert hat für Sie das Thema Qualifikation? Das Thema Qualifikation ist das Thema, dass unseren Alltag entscheidend bestimmt. Nur mit entsprechender Qualifikation lassen sich die geforderten Planungsleistungen erfüllen, gleichzeitig sichert sie die Zukunft des Ingenieurbüros. Deshalb begreifen wir Qualifikation und Weiterbildung als entscheidende Bausteine und ewiges Lernen ist in der DNA des Büros verankert. Insofern war es konsequent, Gütezeichen zu beantragen? Unter den eben genannten Gesichtspunkten war das schlüssig. Seit 2015 führen wir Gütezeichen der Beurteilungsgruppen ABAK und ABS. Damit verfügen wir nicht nur über Bestätigungen und Referenzen, die belegen, was wir können, sondern über wichtige Instrumente für unsere Arbeit. Mit den für die Erlangung des Gütezeichens nötigen Belege über entsprechende Tätigkeiten weisen wir die besonderen Erfahrungen der Organisation bzw. des eingesetzten Personals nach. Die regelmäßige Prüfung, welche Prüfingenieur Achim Böhne im Auftrag des Güteausschusses der Gütegemeinschaft Kanalbau durchführt, bietet zudem die Sicherheit, dass Erfolg muss vorbereitet werden Qualifikation bei Ausschreibung und Bauüberwachung Die Qualitätssicherung von Kanalbaumaßnahmen hat einen besonderen Stellenwert, denn Entwässerungssysteme sind Einrichtungen mit hohen Investitionskosten und langen Nutzungsdauern, die der Daseinsvorsorge und dem Schutz der Umwelt dienen. Neben der Ausführung der Maßnahmen tragen die zugehörigen Ingenieurleistungen wie Planung, Ausschreibung und Bauüberwachung maßgeblich zum Ergebnis bei. Deshalb liegt es im Interesse aller Beteiligten, auch für diese Phasen des Projektes geeignete Rahmenbedingungen an die Qualifikation der Verantwortlichen zu definieren. Ingenieurbüros und Auftraggeber selbst können beispielsweise im Bereich Ausschreibung (A) und Bauüberwachung (B) über ein Gütezeichen Kanalbau die notwendige Erfahrung und Qualifikation getrennt für den offenen Kanalbau (Gruppe ABAK), für den grabenlosen Einbau (Gruppe ABV) und für die grabenlose Sanierung (Gruppe ABS) belegen. Zum Stellenwert von Qualität und Qualifikation sowie zur Bedeutung der Gütesicherung Kanalbau äußert sich Frank Diederich, Geschäftsführer D.S.L. Ingenieure GmbH, Ingenieurbüro für Abwasser- und Umwelttechnik, Lotte, im Interview. Seit 2015 führt das Büro die Gütezeichen ABAK und ABS. „Qualität lohnt sich, aber Qualität muss definiert werden und: Qualität muss man sich leisten dürfen“, so der beratende Ingenieur und Zertifizierte Kanalsanierungsberater. DSL-Geschäftsführer Frank Diederich. © Güteschutz Kanalbau 5 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview wir alle Anforderungen erfüllen - ein wichtiger Aspekt, sowohl in der internen Wahrnehmung als auch in der Beurteilung durch Auftraggeber. Darüber hinaus können wir das umfangreiche Weiterbildungsangebot der Gütegemeinschaft nutzen und gezielt die Qualifikation unserer Mitarbeiter fördern. Welche Erfahrungen haben Sie bei der Erlangung der Gütezeichen gemacht? Ehrlich gesagt, hat uns der mögliche Aufwand und die zusätzliche Arbeit anfänglich etwas abgeschreckt. Aber die Fragen, die da gestellt werden, sind ja berechtigt. Das Prozedere trägt dazu bei, dass man eine gewisse Nachdenklichkeit bei der Bearbeitung entwickelt. Das hat dazu geführt, dass wir uns intensiv mit uns beschäftigt und interne Abläufe analysiert haben. In diesem Sinne war die scheinbar große Anstrengung zur Qualität im ersten Moment aufwändig, aber es hat sich am Ende für uns gelohnt. Wir haben eine Basis geschaffen, die Prozesse verschlankt und bei der Projektabwicklung für schnelles und zielorientiertes Arbeiten sorgt. Welche Vorteile sehen Sie vor dem Hintergrund der Zertifizierung? Vorteile ergeben sich natürlich bei der Nachfrage von Auftraggeberseite nach entsprechenden Qualifikationen. In diesem Fall haben wir mit dem Gütezeichen alle erforderlichen Nachweise in Bezug auf Fachkunde, technische Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit zur Hand. Darüber hinaus profitieren wir von den Angeboten für Mitglieder. Hierzu gehört das umfangreiche Angebot an Schulungen und Erfahrungsaustauschen, ebenso wie der Zugriff auf das spezifische Regelwerk. Auch die Anwendung der Leitfäden und Arbeitshilfen trägt zur Qualitätssicherung im Unternehmen und zur Qualitätssicherung in der Umsetzung auf der Baustelle bei. Zudem liegt alles in einer Hand und ist schnell abrufbar: Hat der Auftraggeber Fragen zum Unternehmen und zur Qualifikation, kann er sich auch an den Güteschutz Kanalbau wenden und die gewünschten Informationen abrufen. Ihr Ingenieurbüro scheint gut gerüstet zu sein - wird das vom Markt honoriert? Qualität ist die Grundlage für den Erfolg einer Baumaßnahme. Das gilt von der Planung über die Ausschreibung und Vergabe bis hin zur Ausführung. Die Projektbeteiligten bilden ein Team, welches für die qualifizierte Lösung gemeinsam an einem Strang zieht. Hier ist entscheidend, dass auch der Auftraggeber das gleiche Ziel verfolgt. Wir geben dem Baupartner die Qualität, die er braucht. Und wenn er das nicht selbst erbringen kann, stellen wir sie ihm zur Verfügung und achten auf der Baustelle darauf, dass die Firmen das entsprechend umsetzen. Das wird zunehmend genutzt und auch honoriert. Qualität wird bezahlt und wenn ein Projektpartner die für die erforderliche Qualität benötigte Vergütung bekommt, kann der diese auch bereitstellen. Aber Qualität fordern muss man sich auch leisten können. Gefragt sind deshalb Entscheidungsträger, die sowohl das Verständnis für eine nachhaltige Bauausführung aufbringen als auch über nötigen Spielraum bei der Ausschreibung verfügen. Immerhin tragen sie die Verantwortung für einen zentralen Bereich der Infrastruktur und tragen dazu bei, diese zukunftssicher zu machen. Wir verstehen uns weiterhin als der verlängerte Arm des Auftraggebers, dessen Anforderungen auf der Baustelle umzusetzen sind. Das wir in der Lage sind, diese Leistung verantwortungsbewusst und auf einem hohen Qualitätsstandard abzuliefern, belegen unter anderem die interessanten Projekte. Wobei ich an dieser Stelle auch einmal die Arbeit der Prüfingenieure auf den Baustellen zur Sicherung der Bauqualität und Arbeitssicherheit hervorheben möchte. Eine Win-win-Situation für alle Beteiligten? Wir wollen die Qualität nach vorne bringen, deshalb gibt es billig bei uns nicht. Zur Firmenphilosophie zählt ebenfalls, dass wir möglichst über den Tellerrand hinausschauen und mehr machen, als nur eine Sanierung durchzuführen. Wir suchen nicht eine schnelle Lösung, sondern setzen uns mit der Frage auseinander, welche Konsequenzen eine Baumaßnahme hat. Während früher punktuell und haltungsweise saniert wurde, rückt heute der ganze Leitungsstrang bzw. das Netz in den Fokus. Zuerst unterhalten wir uns im Rahmen einer Art „Anamnese“ mit dem Auftraggeber über seine Vorstellungen und Pläne, hierfür suchen wir dann das optimale Verfahren aus. Schließt sich der Projektpartner dieser Sichtweise an, ergeben sich - so unsere Erfahrung - durchaus Vorteile für beide Seiten. Herr Diederich, vielen Dank für das Interview. KONTAKT RAL-Gütegemeinschaft Güteschutz Kanalbau Postfach 1369 53583 Bad Honnef Tel: 02224/ 9384-0 Fax: 02224/ 9384-84 E-Mail: info@kanalbau.com www.kanalbau.com 6 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES FORUM Europa Partner des EU-finanzierten Projekts trafen sich im Ahoy-Konferenzzentrum im Herzen von Hart van Zuid, dem smarten Vorzeige-Viertel Rotterdams, um über den Wandel ihrer Städte von Smart City- Wegbereitern hin zu Vorreitern für Klimaneutralität nachzudenken. Vier der sechs Städte wurden im Rahmen der EU-Städtemission für „klimaneutrale und intelligente Städte bis 2030“ ausgewählt, teilweise aufgrund ihrer Smart-City-Lösungen. Hermineke van Bockxmeer, Leiterin der Stadtentwicklung von Rotterdam begrüßte fast 100 Teilnehmer zur Abschlussveranstaltung von RUGGEDISED und verglich den Verlauf ähnlicher europäischer Projekte mit dem vor einiger Zeit organisierten Eurovision Song Contest, der 2021 im Ahoy Centre stattfand: „Der Song Contest wurde mit dem sozialen Ziel ins Leben gerufen, die Menschen nach dem Krieg zusammenzubringen. Heute ist die Frage, wie man ein nachhaltiges Europa aufbauen kann, wichtiger denn je und Ahoy hat die Bildung eines Bewusstseins für Nachhaltigkeit beschleunigt.“ Smart fürs Klima Smart Cities in Europa zeigen Lösungen für eine klimaneutrale Zukunft Schuyler Cowan Die Städte Rotterdam (Niederlande), Glasgow (Schottland) und Umeå (Schweden) haben in den vergangenen sechs Jahren Smart City-Lösungen entwickelt und verfeinert. Nun ist es so weit, das Wissen darüber auch für andere Kommunen zugänglich zu machen. Vertreter der drei Städte und ihrer Projektpartner Brünn (Tschechien), Parma (Italien) und Danzig (Polen) kamen kürzlich in Rotterdam zusammen, um das H2020 Projekt RUGGEDISED abzuschließen und Einblicke zu geben, wie eine klimaneutrale Zukunft mit Smart City-Innovationen erreicht werden kann. Bild 1: RUGGEDISED Kick-off meeting in Rotterdam, November 2016. © RUGGEDISED project 7 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES FORUM Europa Den smarten Wandel beschleunigen Die Städte im RUGGEDISED-Projekt haben den smarten nachhaltigen Wandel eingeleitet und sie passen ihn fortlaufend an, wie Carina Aschan, Koordinatorin aus dem nordschwedischen Umeå, betont: „In einer smarten Stadt kommuniziert alles und jeder zu jeder Zeit miteinander.“ Neben einer konstanten Entwicklung ist Kooperation ein weiteres Schlüsselelement für eine erfolgreiche Smart City. Die Vision der Stadt Parma für ihre Bürger wurde durch die Zusammenarbeit mit den Projektpartnern unterstützt: Mithilfe der Teilnahme an RUGGEDISED konnte Parma einen wesentlichen Schritt vollziehen, nämlich Interessengruppen und die Unternehmen vor Ort dauerhaft einzubeziehen. Mit Aktionen wie Workshops und runden Tischen wurde so eine lokale politische Ebene etabliert, die sämtliche Aktivitäten unterstützt. Eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Interessengruppen liefert einen Fahrplan, dem andere nun folgen können: nicht nur in Bezug auf das technische Design und die Umsetzung von Lösungen, sondern auch bei der Erfüllung relevanter europäischer Umwelt- und Emissionsziele. „Die Partner, die bei RUGGEDISED zusammenarbeiten, haben eine besondere Beziehung zueinander und daraus sind so viele neue Kooperationsprojekte mit neuen gemeinsamen Lösungen entstanden. Dank RUGGEDISED haben wir erkannt, wie wichtig es ist, dies gemeinsam zu tun“, bemerkt Aschan. Weiterentwicklung smarter Lösungen zur Reduzierung von Emissionen In den letzten Jahren sind zahlreiche intelligente Lösungen entstanden, darunter ein smartes Wärmenetz in Rotterdam, eine Smart-Meter-Lösung für Mieter in Wohnanlagen in Glasgow und die intelligente Steuerung der Nachfrage auf dem gesamten Universitätscampus von Umeå, was ebenfalls zur Reduzierung von Emissionen beiträgt. Die Stadt Rotterdam führt mit der Implementierung eines intelligenten Wärmenetzes in der Nachbarschaft von Hart van Zuid die guten Erfahrungen mit innovativen Energiesystemen weiter. Das Wärmenetz nutzt Energie aus Abwasser und aus anderen Wärmequellen, um den lokalen Energiebedarf zu decken. Im Quartier sind dadurch bereits positive Effekte festzustellen: Mit dem geothermischen Wärme-Kälte-Speicher ließ sich der Energieverbrauch um 924 000 kWh pro Jahr reduzieren, was zu einer CO 2 -Emissionsminderung von 70 Tonnen pro Jahr führt. Unterdessen will die Wheatley Group in Glasgow den Bewohnern eines Hochhauses mehr Kontrolle über ihren Energieverbrauch geben, indem sie intelligente Energiezähler in jeder Wohnung installiert: „Mit diesem intelligenten Energiemanagementsystem können die Bewohner wählen, wann und wie warm ihre Räume beheizt werden sollen. Der Erfolg war Anlass, die Lösung in 10 500 Haushalten in Glasgow und den umliegenden ländlichen Gebieten einzuführen“, sagt Gavin Slater, Nachhaltigkeitsbeauftragter beim Glasgower Stadtrat. Ein weiterer wichtiger Bestandteil intelligente, klimaneutrale Städte zu schaffen, ist die Sanierung bestehender Gebäude. Im Universitätsviertel von Umeå reduziert intelligente Gebäudesystemtechnik den Energieverbrauch und senkt den Spitzenbedarf: Sensoren, die Lüftung, Klimatisierung und Beleuchtung in 130 Büros auf dem Universitätscampus steuern, wurden mit einem intelligenten Steuerungssystem verbunden. Das örtliche Krankenhaus testet ähnliche Sensoren, um zu sehen, wie ein intelligentes Steuerungssystem in bestehende Energiesysteme integriert werden könnte - eine Herausforderung, vor der viele Gebäude in ganz Europa stehen. Erste Ergebnisse zeigen, dass das intelligente Energiesystem bis zu 10 % des Energieverbrauchs einsparen kann und den Energieverbrauch während der Spitzenlast um 25 % senkt. Smart bleiben „Eine Stadt wird niemals den Idealzustand erreichen - es ist ein fortdauernder Prozess“, sagt Aschan. Für Städte, die diesen Prozess beginnen und ihre klimaneutralen Ambitionen stärken möchten, sind Smart-City-Lösungen ein guter Ausgangspunkt. Wie die Initiativen von Rotterdam, Glasgow und Umeå zeigen, sollte die Herangehensweise an das Energiemanagement agil sein und im Wesentlichen die Reduzierung von Emissionen umfassen. Die Erfahrungen der Partnerstädte Parma, Brünn und Danzig unterstreichen auch die Bedeutung der Zusammenarbeit beim Aufbau intelligenterer Städte und einer besseren Zukunft für alle. Weitere Informationen: www.ruggedised.eu Schuyler Cowan Kommunikationsbeauftragte ICLEI - Local Governments for Sustainability Kontakt: schuyler.cowan@iclei.org AUTORIN 8 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Die Stromnetze in Österreich und Deutschland gehören mit durchschnittlichen jährlichen Ausfallzeiten zwischen 10 und 15- Minuten zu den zuverlässigsten der Welt. Gebäude mit kritischen Funktionen, wie Rechenzentren, Krankenhäuser oder Labore, sind jedoch auf eine unterbrechungsfreie Stromversorgung (USV) angewiesen. In anderen Ländern, zum Beispiel den USA, sind Stromausfälle durch die veralteten Netze deutlich häufiger. Da an allen Orten der Welt Extremwetterereignisse zunehmen, wird Resilienz jedoch auch in Mitteleuropa immer wichtiger. Die Ganzheitliche Energie- Master-Planung kombiniert die Anforderungen für den Klimaschutz mit der für eine sichere Versorgung nötigen Resilienz. Sie betrachtet zudem nicht einzelne Gebäude, sondern Quartiere oder Campus, was häufig zu Synergien führt. Planungsprozess bringt komplexe Abläufe unter einen Hut Zwei so komplexe Ziele parallel zu verfolgen und dabei alle Voraussetzungen und Stakeholder im Blick zu behalten, ist eine Herausforderung. Wenn dabei noch mehrere Gebäude betroffen sind, wird es noch kniffliger. Im Zuge des Programms „Energy in Buildings“ der Internationalen Gemeinsam gut gewappnet Wie das Denken in Gebäudeverbänden unsere Infrastruktur klimafreundlicher und resilienter macht Anna Maria Fulterer, Ingo Leusbrock Eine zukunftsfeste Infrastruktur muss nicht nur klimafreundlich sein, sondern auch resilient auf Ausfälle der Energieversorgung reagieren können. Das geht leichter, wenn man statt einzelner Gebäude ein ganzes Quartier oder einen Campus betrachtet. Im Zuge des IEA-Programmes „Energy in Buildings and Communities“ hat ein internationales Team einen Ansatz entwickelt, mit dem Gebäudeverbünde im Auslegungsfall („blue sky“) klimafreundlich sind und bei einem Bedrohungszenario wie einem Netzausfall („black sky“) resilient reagieren. AEE INTEC war dabei für die Fall- und Pilotstudien verantwortlich. Bild 1: Der Blick vom Turm der Technisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät über den Campus der JKU zeigt die unterschiedlichen Gebäudetypen. © AEE INTEC 9 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Energieagentur befasst sich eine Forschungsgruppe daher mit genau diesem Prozess. Im Rahmen des „Annex 73: Towards Net Zero Energy Resilient Public Communities” hat ein internationales Team 33 Fallbeispiele aus verschiedenen Ländern untersucht. Herausgekommen sind eine Auswertung von Best-Practice-Beispielen und ein Handbuch, das Planungsteams die Ganzheitliche Energie-Master-Planung erleichtern soll. Die Teams haben die Abläufe in sechs Projekten getestet. Darunter waren zwei Militärkomplexe in den USA, eine Universität in Österreich, zwei Stadtviertel in Kanada und Deutschland und eine Region in Dänemark. Das österreichische Team unter der Leitung von AEE INTEC hat Resilienz-Alternativen für den Campus der Johannes Kepler Universität ( JKU) in Linz untersucht. Die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft FFG hat diese Arbeit unter der Projektnummer 864147 finanziell unterstützt. Beispiel Johannes Kepler Universität Am Anfang des Prozesses steht stets eine Analyse des Status quo, auch Baseline genannt. Für die Johannes Kepler Universität heißt das: Die gut 30 Gebäude auf dem Campus beziehen Strom und Fernwärme aus den jeweiligen Versorgungsnetzen. Einige Gebäude sind zudem an ein lokales Kältenetz angeschlossen. Auf dem Campus gibt es eine kleine Photovoltaik-Anlage, die ihren Strom ins öffentliche Netz einspeist. Nur wenige Verbraucher sind auf eine unterbrechungsfreie Stromversorgung angewiesen - zum Beispiel Kühlanlagen in den Laboren oder die Rechenzentren. Für diese gibt es bereits ein System zur Unterbrechungsfreien Stromversorgung (USV) mit Dieselgeneratoren. Neben dem Status quo definiert der Planungsprozess in der Regel noch den künftigen Planzustand, auch Basecase genannt. Da an der JKU in naher Zukunft keine größeren Sanierungen geplant sind, sind Baseline und Basecase hier jedoch identisch. Neben der Energieversorgung ist es wichtig, in der Bestandsaufnahme auch weitere Besonderheiten des Projektes zu erfassen. So sind zum Beispiel Nutzer und Eigentümer des Campus, wie so oft bei öffentlichen Gebäuden, nicht identisch - das erhöht die Zahl der Stakeholder und damit die Komplexität. Jedes Maßnahmenpaket muss sowohl die politisch gesteckten Ziele für öffentliche Gebäude erfüllen als auch den Anforderungen des Unibetriebs genügen. Szenarien: Blue Sky und Black Sky Als nächstes sind die Szenarien „Blue Sky“ und „Black Sky“ zu prüfen. Im Blue-Sky-Szenario erfasste das Projektteam die Ziele der Stakeholder für den Normalbetrieb. Dazu gehört im Falle der JKU zum Beispiel, dass der Strom 2030 bilanziell komplett aus erneuerbaren Energien kommen soll. Schon heute kommt er großenteils aus Wasserkraft. Die CO 2 -Emissionen sollen insgesamt um 37,5 % sinken. Und schließlich soll die Lösung möglichst wirtschaftlich sein. Im Szenario „Black Sky“ untersuchte das Forschungsteam wahrscheinliche Störungen der Stromversorgung. Da der Campus in einem Talkessel liegt, sind Überschwemmungen und Muren (Schlammlawinen) bei extremem Wetter erwartbare Gefahren. Auch mit Stürmen ist zu rechnen. In diesen Szenarien muss mindestens die USV für die kritischen Lasten wie Server und Laborkühlung sichergestellt sein. Unterbrechungen der sekundären und weiter nachrangigen Lasten sind für kurze bis mittlere Zeiträume hingegen akzeptabel, zum Beispiel bei der Beleuchtung, Gebäudekühlung und Wärmeversorgung. Szenarien Bestandsaufnahme Entscheidung - 100 % EE-Strom - 37,5 % weniger CO 2 - geringe Kosten - Überschwemmung - Mure - Sturm + Blckout + Versorgungsengpässe + Hitzewelle Baseline Basecase fundierte Entscheidung +Umsetzung Versorgung - Fernwärme - Stromnetz - z.T. Kältenetz - PV (Einspeisung) - USV (kritische Lasten): Diesel Besonderheiten: - ca. 30 Gebäude - Stakeholder: Nutzer ist nicht Eigentümer - begrenzter Platz siehe Baseline (keine Änderungen geplant) Alternative Bewertung 1 PV-Maximierung 2 PV + Batterie 3 Dämmung Standard 4 Dämmung ambitioniert NEU: nachhaltig + resilient Strom mit PV klimaneutral CO 2 -Minderung max 36 % Amortisation: PV ja, Dämmung schwierig neu zu bewerten Bild 2: Die systematische Erfassung der Basisdaten und Anforderungen, das Formulieren der Anforderungen und Resilienzszenarien hilft, komplexe Projekte zu strukturieren und die möglichen Alternativen zu bewerten. © AEE INTEC, Icons made by Freepik from www.flaticon.com 10 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Alternativen systematisch bewerten Nach diesen ausführlichen Analysen geht es schließlich an die Prüfung von Alternativen, die den Zielen womöglich besser gerecht werden als der Basecase. Für die JKU hat das Projektteam vier Alternativen untersucht. Alternative 1: Wenn man nahezu alle Dächer und Fassaden für Photovoltaik nutzte, ließe sich der Strombedarf wie angestrebt bilanziell komplett aus erneuerbaren Quellen decken. Für das Ziel der CO 2 -Minderung bringt dies jedoch wenig, da ein Großteil des Stroms bereits aus Wasserkraft stammt. Alternative 2: Ergänzt man die PV-Anlage um einen Stromspeicher, der die kritischen Lasten für 24 Stunden deckt, steigert der Campus im Blue-Sky-Szenario seine Eigenversorgung. Im Black- Sky-Szenario sinken der Dieselverbrauch und die Ausfallzeit für die unkritischen Lasten. Durch gezieltes Lastmanagement könnte man auch wichtige unkritische Verbraucher längere Zeit betreiben, zum Beispiel die Beleuchtung bestimmter Bereiche. Alternative 3: Bei der Wärmeversorgung würde eine Sanierung nach den Richtlinien des Österreichischen Instituts für Bautechnik (OIB) den Wärme- und Kältebedarf um 36 % senken. Die CO2 - Emissionen sinken wärmeseitig im selben Maße, da sich der Energiemix der Fernwärme nicht ändert. Alternative 4: Mit einer ehrgeizigen Sanierung wäre eine 54 %ige Minderung des Wärmebedarfs möglich, die wärmeseitigen CO 2 -Emissionen würden entsprechend sinken. Wie stark die Summe der CO 2 - Emissionen für Wärme, Strom und Kälte sinkt, hängt von der Bewertung der Stromversorgung, den künftigen Emissionen der Wärmequelle (Fernwärme) und der Kälteversorgung ab. Je nach Methodik wird die Minderung um 37,5 % knapp erreicht oder verfehlt. Für die Auswahl der besten Alternative sind auch die Kosten entscheidend. Diese wurden im ersten Quartal 2021 analysiert. Damals lag die Amortisationsdauer der PV-Anlage (Alternative-1) bei 9 Jahren, in Kombination mit dem Speicher (Alternative- 2) bei 20 Jahren. Die Standarddämmung (Alternative- 3) amortisierte sich erst nach fast 40 Jahren, die ambitionierte Dämmung (Alternative- 4) noch später. Kombiniert man die PV-Anlage mit der Dämmung, lassen sich die Mehrkosten teilweise kompensieren. Auf Grundlage dieser Bewertung kann am Ende des Prozesses eine Entscheidung für ein Energiesystem getroffen werden, welche die Belange aller Stakeholder sowohl im Blue- und Black-Sky-Szenario berücksichtigt. Neubetrachtung 2022: Resilienz gewinnt Die Bewertung der Szenarien liegt erst anderthalb Jahre zurück. Schon heute würde sie vermutlich anders aussehen. Die Energiekosten steigen, als Black- Sky-Szenarien werden Energieengpässe und Hitzewellen wahrscheinlicher. Das macht Maßnahmen interessant, die noch im Detail zu bewerten sind: Lokale Netze im Kombination mit Wärmepumpen könnten alle Gebäude mit Kälte und Niedertemperaturwärme versorgen. Ein vorhandenes Wasserbecken auf dem Gelände ließe sich zur Wärmespeicherung nutzen. Grünanlagen und Wasserflächen könnten Hitzestaus verhindern und den Kühlbedarf senken. Das Book of Pilots und die Case Studies bieten Inspirationen für viele mögliche Lösungen. Mit Hilfe des standardisierten Prozessablaufes lassen sich diese Szenarien systematisch prüfen und vergleichen. Diese Aufgabe ist heute wichtiger denn je. AEE - Institut für Nachhaltige Technologien (AEE INTEC) wurde 1988 gegründet und ist heute eines der führenden europäischen Institute der angewandten Forschung auf dem Gebiet erneuerbarer Energie und Ressourceneffizienz. In den drei Zielgruppenbereichen „Gebäude“, „Städte & Netze“ und „Industrielle Systeme“ sowie drei technologischen Arbeitsgruppen „Erneuerbare Energien“, „Thermische Speicher“ sowie „Wasser- und Prozesstechnologien“ reicht die Palette der durchgeführten F&E-Projekte von grundlagennahen Forschungsprojekten bis hin zur Umsetzung von Demonstrationsanlagen. Seit 2015 ist AEE INTEC Mitglied von Austrian Cooperative Research - ACR. ÜBER AEE INTEC DI Dr. Anna Maria Fulterer Projektleiterin Bereich Gebäude AEE INTEC Kontakt: a.m.fulterer@aee.at DI Dr. Ingo Leusbrock Leiter Bereich Städte und Netze“ AEE INTEC Kontakt: i.leusbrock@aee.at AUTOR*INNEN 11 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Grüner Wasserstoff Königsweg für nachhaltige Energiewirtschaft? Eberhard Buhl Mit der aktuellen Unsicherheit auf den Energiemärkten scheint es endgültig festzustehen: Wasserstoff, möglichst aus heimischer Erzeugung, ist der Treibstoff für eine nachhaltige Zukunft. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick zu Erzeugung, Transport und Verwendung des leicht flüchtigen Gases, das die volatile Solar- und Windstromerzeugung stablisieren und einen wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten kann. Warum gerade Wasserstoff? Die knappe Frage lässt sich knapp beantworten: Weil Wasserstoff - chemische Formel H 2 - keinen Kohlenstoff enthält, kann auch kein klimaschädliches Kohlendioxid (CO 2 ) entstehen, wenn er in Brennstoffzellen oder Motoren als Kraftstoff dient oder elektrische Energie zur Stromversor- Bild 1: 100 kW Brennstoffzellen-KWK Anlage des ZBT. © Nadine van der Schoot, ZBT Zentrum für BrennstoffzellenTechnik GmbH gung liefert. Allerdings: Soll das Gesamtsystem wirklich nachhaltig sein, darf auch bei der Produktion des Energieträgers Wasserstoff kein klimaschädliches Kohlendioxid anfallen - nur der sogenannte „grüne“ Wasserstoff ist tatsächlich CO 2 frei hergestellt. Und damit wird die Antwort schon etwas länger. Grau, blau, grün - die H 2 -Farbenlehre Obwohl Wasserstoff ein farbloses Gas ist, wurde es im Rahmen der politischen Klima- und Kohlenstoffdioxid-Debatte allgemein üblich, je nach Herstellungsverfahren bestimmte Farben zur Klassifizierung der Nachhaltigkeit zu verwenden. 12 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Das traditionelle, wegen fossiler Ausgangsprodukte und klimaschädlicher Emisssionen am wenigsten zukunftsfähige Verfahren erzeugt „schwarzen“ oder „braunen“ Wasserstoff: Es basiert auf Steinkohle- oder Braunkohlevergasung und anschließender Reaktion des entstandenen Kohlenmonoxids (CO) mit Wasserdampf, wobei CO 2 ein Nebenprodukt ist. Derzeit wird Wasserstoff meist durch Dampfreformierung aus Erdgas (Methan, CH 4 ) erzeugt. Gelangt das entstehende Kohlendioxid vollständig in die Atmosphäre, spricht man von „grauem“ Wasserstoff. Würde das schädliche Kohlendioxid nicht freigesetzt, sondern gespeichert, wäre der Wasserstoff „blau“ - doch hohe Speicherkosten lassen dieses Verfahren eher unwirtschaftlich erscheinen. Alles auf Grün: Das Prinzip nachhaltiger Herstellung Wirklich klimaneutrale Herstellung von Wasserstoff kann es nur geben, wenn weder fossile Ausgangsmaterialien noch schädliche Emissionen im Spiel sind. Hier hilft ein Rückblick auf das Knallgas-Experiment aus dem Physik- oder Chemieunterricht: Zwei Elektroden in einem Wasserbad werden unter Strom gesetzt und zerlegen das H 2 O elektrochemisch in seine Bestandteile Wasserstoff (H 2 ) und Sauerstoff (O). Das großtechnische Verfahren ist prinzipiell gleich: In einem sogenannten Elektrolyseur wird Wasser durch eine elektrochemische Reaktion in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt, allerdings verwendet man stromleitende Membranen statt der Elektroden. Stammt die zugeführte elektrische Energie ausschließlich aus Wind- oder Sonnenkraftwerken, entsteht „grüner“ Wasserstoff als Energieträger. Der kann in der Prozessindustrie als nachhaltiger Rohstoff weiterverarbeitet oder mittels Brennstoffzellen rückverstromt werden. Denn die Brennstoffzelle als Energiewandler kehrt den Prozess der Elektrolyse um, erzeugt also aus Wasserstoff und Luft-Sauerstoff wieder Wasser, und setzt dabei ursprünglich eingesetzte elektrische Energie wieder frei (Bilder 1 und 2). Sowohl Elektrolyseure als auch Brennstoffzellen, meist zu größeren, leistungsfähigeren Stacks zusammengefasst, sind bisher kaum im großtechnischen Maßstab verfügbar. Für die flächendeckende Versorgung mit grünem Wasserstoff und grüner Energie erscheint daher die dezentrale Herstellung unumgänglich - vor Ort aus lokal verfügbaren, erneuerbaren Energiequellen. Die wären selbstverständlich nicht auf Solar- und Windkraftanlagen beschränkt - denn technologisch ist das Thema Erzeugung noch längst nicht ausgereizt. Das zeigten kürzlich Forschende am Institut für Chemische Verfahrenstechnik und Umwelttechnik der TU Graz. Sie entwickelten ein nachhaltiges Verfahren zur dezentralen Wasserstofferzeugung, die sogenannte „Chemical Looping Hydrogen Methode“, mit der sie ausgehend von Biogas oder Biomasse Wasserstoff erzeugen. Im Rahmen des Projekts „Biogas2H2“ produzierten sie im industriellen Maßstab hochreinen Wasserstoff direkt aus gewöhnlichem Biogas - also Methangas aus Schweinegülle, Glycerinphase, Silomais und Getreideresten. Dieser hochreine Wasserstoff eignet sich ideal für die „grüne“ Stromerzeugung vor Ort mithilfe von Brennstoffzellen-Stacks. Transportieren, umwandeln, nutzen Und wenn der Wasserstoff nicht direkt vor Ort genutzt werden kann? Bis zum Jahr 2040 wollen die europäischen Gasnetz- Unternehmen ein dediziertes Wasserstoffnetz installieren und dafür überwiegende Teile ihrer heutigen Infrastruktur anpassen. Lassen sich aber bestehende Erdgas-Pipelines so einfach für Wasserstoff nutzen? Wie das kostengünstig, umweltverträglich und Bild 2: Prinzip einer PEM- Brennstoffzelle. © Grafik: Nécropotame / Wikipedia, eigene Bearbeitung 13 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie praktikabel umgesetzt werden könnte, testen Leipziger Wissenschaftler und Unternehmen seit einigen Jahren im „Wasserstoffdorf“ Chemiepark Bitterfeld- Wolfen. Auf einer Versuchsfläche von 12 000 Quadratkilometern wird der Wasserstofftransport unter realen Bedingungen erprobt, Herzstück ist ein 1 400 Meter langes Verteilnetz mit speziellen Regel- und Messanlagen. Die vorläufigen Erkenntnisse: Zwar sind punktuelle Anpassungen nötig, doch prinzipiell können die vorhandenen Erdgasleitungen künftig durchaus für Wasserstoff genutzt werden. Ein völlig neuer Typus integrierter Energiesysteme auf See soll im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Leitprojektes „H2Mare“ entwickelt werden. Das Ziel: Autarke Einheiten aus Offshore-Großwindanlage und integriertem Elektrolyseur stellen grünen Wasserstoff im Industriemaßstab her und ersparen zunächst einmal den landseitigen elektrischen Netzanschluss. In einem weiteren Schritt kann der Wasserstoff noch auf See in andere Energieträger umgewandelt werden - etwa in Methan, flüssige Kohlenwasserstoffe, Ammoniak oder Methanol. Dabei dürfte besonders Methanol (CH 4 O) interessant werden: Es lässt sich aus Wasserstoff und Kohlendioxid herstellen, einfach per Pipeline abtransportieren und in Tanks speichern. Denn Methanol ist flüssig bei Raumtemperatur und deshalb leichter zu handhaben als das sehr flüchtige Wasserstoffgas. Es kann herkömmlichem Benzin beigemischt werden und dient auch als Grundstoff zur Synthese nichtfossiler Kraftstoffe wie E-Kerosin, E-Benzin oder E-Diesel. Damit könnten auch weitere Sektoren wie der Schwerlastverkehr oder die Luftfahrt, die auf leistungsstarke Verbrenner-Antriebe angewiesen sind, dekarbonisiert werden. Stabile Versorgung mit Strom aus Wind und Sonne Im Hinblick auf den wachsenden Anteil klimafreundlichen Wind- und Sonnenstroms, der nachts oder bei Flaute logischerweise ausbleibt, ist jedoch die gezielte Speicherung von Energie besonders wichtig. Da eröffnen grüner Wasserstoff und Brennstoffzellen eine durchaus praktikable Möglichkeit, die volatile Stromerzeugung mit Wind- und Photovoltaikanlagen zu stabilisieren. Integrierte Komplettlösungen, wie in Bild 3 gezeigt, umfassen neben Wasserstoffinfrastruktur und Brennstoffzellen auch UPS- Systeme mit Pufferbatterien und Inverter zur unterbrechungsfreien Versorgung der Verbraucher mit Wechselstrom. Die notwendigen Technikmodule sind seit Jahren verfügbar, wenn auch bislang nur für dezentrale Anwendungen im kleineren Maßstab geeignet. Das freilich lässt sich ändern, etwa durch konsequentes Dezentralisieren der Energieversorgung: Stabilisieren mehrere strategisch eingesetzte Speichersysteme das Netz, kann auch der Grundstrombedarf statt durch Gas- oder Kohlekraftwerke durch Solar- und Windkraftanlagen mit nachfolgender Wasserstoffinfrastruktur gedeckt werden - CO 2 neutral und über die gesamte Versorgungskette nachhaltig. Eberhard Buhl, M.A. Technikjournalist Redaktionsleiter Internationales Verkehrswesen, Baiersbronn Kontakt: eberhard.buhl@trialog.de AUTOR Bild 3: Prinzip einer (Not-)Stromversorgung mit Wasserstoff und Brennstoffzelle © Grafik: Rolls- Royce Power Systems 14 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Bis 2050 möchte Deutschland klimaneutral werden. Aus erneuerbaren Energien hergestellter „grüner“ Wasserstoff wird auf dem Weg dorthin eine wichtige Rolle spielen. Das Gas kann und wird in Wunsiedel klimaneutral aus regenerativen Quellen wie Photovoltaik (PV) und Windkraft hergestellt werden. Generell bietet es die Möglichkeit, große Energiemengen langfristig zu speichern und zu transportieren. Das ist besonders dann sinnvoll, wenn - etwa an sonnigen und windreichen Tagen - zeitweise mehr Strom aus Erneuerbaren zur Verfügung steht, als gerade benötigt wird. Die Anwendungsmöglichkeiten von klimaneutral erzeugtem „grünen“ Wasserstoff als Energieträger sind dabei ebenso breit gefächert wie bei konventionell produziertem - nur eben mit einer sehr viel besseren Klimabilanz. Ob Raffinerien, Metallurgie, Stahlproduktion, Chemieindustrie oder Chipherstellung - in der Industrie ist das Gas in vielen Prozessen unentbehrlich. Im Verkehrssektor kann Wasserstoff darüber hinaus als emissionsfreier Treibstoff dienen - und das nicht nur bei Autos mit Brennstoffzelle. Inzwischen sind auch Busse und sogar Züge im Nahverkehr mit Wasserstoff unterwegs. Und auch für den Schwerlast-, Schiffs- und Flugverkehr ist der Einsatz von klimaneutral produziertem Wasserstoff oder auf Basis von Wasserstoff erzeugter synthetischer Treibstoffe in Zukunft eine denkbare Alternative. Besonders klimafreundlich ist eine dezentrale Wasserstofferzeugung vor Ort, denn damit reduzieren sich einhergehend die Transportwege zu den Verbrauchsstellen. Regionale Wasserstoff- Erzeugung in Wunsiedel i. Fichtelgebirge Vor diesem Hintergrund ist im oberfränkischen Wunsiedel im Fichtelgebirge eine wegweisende Anlage zur klimaneutralen Erzeugung von Wasserstoff entstanden. Mit einer elektrischen Anschlussleistung von 8,75 MW kann sie bis zu 1 350 t Wasserstoff pro Jahr erzeugen und damit rund 13 500 t CO 2 Emissionen einsparen. Rechnet man mit einer regionalen Fahrleistung von 150- km pro Tag, so könnten beispielsweise 400 wasserstoffbetriebene 40-t-LKWs mit der Menge von 1 350 t H 2 ein ganzes Jahr CO 2 -frei fahren. Die Wasserstoff-Erzeugungsanlage wandelt die vorhandene erneuerbare Energie in ein speicherbares Medium um und macht diese damit für verschiedene Anwendungen in der Mobilität und Industrie verfügbar. Gleichzeitig ist für die Region Nordbayern eine neue „Wasserstoff-Quelle“ entstanden. Bisher musste das Gas für Endkunden über relativ lange Transportwege angeliefert werden. Nun wird der Wasserstoff in Wunsiedel für die lokale Verteilung in Druckgasbehälter abgefüllt und über LKW-Trailer an lokale und regionale Endkunden geliefert. Darüber hinaus hilft die Anlage dabei, Netzengpässe Grüne Wasserstoffproduktion in Wunsiedel Andreas Schmuderer Im Norden Bayerns entsteht ein neuer Hotspot für die Energiewende: Ein Elektrolyseur stellt im Fichtelgebirge mithilfe erneuerbarer Energie mehr als 1 000 Tonnen grünen Wasserstoff jährlich her. Dieses Gas nutzen ortsnah Unternehmen und von Ende 2023 wohl auch LKWs, die mit Brennstoffzellen fahren. Bild 1: Wunsiedel Energiepark, unten links befindet sich die Wasserstoffproduktionsanlage. © Siemens AG 15 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie zu entschärfen sowie Flexibilität für das Stromnetz bereitzustellen. Mit der für 2023 geplanten Errichtung einer H 2 -Tankstelle am Energiepark Wunsiedel kann zusätzlich die regionale Nutzfahrzeugflotte dekarbonisiert werden. Auftraggeber der Anlage ist die eigens gegründete WUN H2 GmbH. Siemens Financial Services (München) unterstützt mit einem intelligenten Finanzierungskonzept und ist mit einem Anteil von 45 % an der Betreibergesellschaft WUN H2 beteiligt. Weitere Anteilseigner sind die Rießner- Gase aus Lichtenfels (Oberfranken), ebenfalls mit 45 % sowie die Stadtwerke Wunsiedel (SWW) mit 10 %. Generalunternehmer ist Siemens Smart Infrastructure, Deutschland, mit Sitz in Erlangen. Am 14. September 2022 wurde die Anlage feierlich in Betrieb genommen und somit hat die kommerzielle Produktion des Energieträgers H 2 begonnen. Aktuell werden bereits Gespräche über eine Erweiterung der Anlage auf die doppelt so hohe Kapazität von 17,5 MW Leistung geführt. Die Anlage befindet sich im Wunsiedler Energiepark in unmittelbarer Nähe zu einem bereits aktiven Batteriespeicher von Siemens und ergänzt das zukunftsweisende Energiekonzept, das dort umgesetzt wird: Im Rahmen einer so genannten „Grid Edge“-Lösung sollen perspektivisch Konsumenten, Prosumenten und das intelligente Stromnetz in einem neuartigen Energiesystem miteinander interagieren. Die am Energiepark vorhandenen Assets sowie die zu errichtende Wasserstoffanlage werden über das cloudbasierte, offene IoT-Betriebssystem von Siemens aggregiert. In Wunsiedel ist die Energiewende damit heute schon Realität. PEM-Elektrolyseverfahren Konkret wird der Wasserstoff durch die Elektrolyse von Wasser hergestellt. Die für diesen Prozess erforderliche Energie liefert der aus Photovoltaik- und Windkraftanlagen bereitgestellte Strom. Als Elektrolyseur wird in Wunsiedel ein Silyzer 300 von Siemens Energy mit Sitz in München eingesetzt. Dieses Modell zeichnet sich durch einen hohen Wirkungsgrad bei hohen Leistungsdichten sowie durch einen wartungsarmen, zuverlässigen und chemikalienfreien Betrieb aus. Im Vergleich zur traditionellen Alkali-Elektrolyse ist die PEM- Technologie ideal geeignet, um fluktuierenden Wind- und Solarstrom aufzunehmen, da eine hoch dynamische Betriebsweise möglich ist. Die Produktion ist damit der schwankenden Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien optimal angepasst und kann schnell rauf- und runter reguliert werden. Denn wenn die Sonne plötzlich scheint, sollte der Produktion nichts mehr im Wege stehen. In Wunsiedel werden mit dem half array Silyzer 300 bis zu 165 kg H 2 pro Stunde hergestellt, wobei etwa 10 Liter aufbereitetes Frischwasser pro Kilogramm H 2 benötigt werden. Mit der Erweiterung der Anlage wäre eine Produktionskapazität von bis 330-kg H 2 pro Stunde möglich. Rohstoff Sauerstoff Als Besonderheit werden in Wunsiedel auch der bei der Wasserstoff-Erzeugung anfallende Sauerstoff sowie die Niedertemperaturabwärme erstmalig in nahegelegenen Industriebetrieben weiter genutzt. Da somit alle Medienströme einer Verwendung zugeführt werden, zeigt die Anlage eine einzigartige Gesamt- Energieeffizienz. Realisierte CO 2 -Einsparungen Die Anlage in Wunsiedel ist für die CO 2 -freie Erzeugung von grünem Wasserstoff ein Zukunftsmodell für die sektorübergreifende Nutzung erneuerbarer Energien: In Zahlen werden heute im Praxisbetrieb bis zu 1 350 Tonnen Wasserstoff hergestellt und damit um die 13 500 Tonnen CO 2 pro Jahr eingespart. Das größte Einsparpotenzial bietet dabei die Umstellung des Wasserstoffherstellungsprozesses. Der derzeitig benötigte Wasserstoff in der Region wird durch Erdgasdampfreformierung in Raffinerien erzeugt. Dabei werden pro 1 kg H 2 rund 10 kg CO 2 freigesetzt. Zusätzlich fallen durch den Transport aus den bisherigen, bis zu 280 km entfernten Wasserstoffquellen weiteres CO 2 an. Die Umstellung auf grünen Wasserstoff bedeutet somit eine Einsparung von rund 98 % CO 2 pro Jahr. Andreas Schmuderer Leiter der Abteilung Energy Performance Services Siemens Smart Infrastructure, Deutschland, Siemens AG Kontakt: About.si.de@siemens.com AUTOR Bild 2: Wasserstoff- Produktionsanlage Seitenansicht: Elektrolyse mit Blick auf PEM- Module. © Siemens AG 16 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Ohne Stickstoff läuft in der Natur gar nichts. Doch während Pflanzen Stickstoff zum Wachsen brauchen, belastet er in zu großen Mengen das Grundwasser in Form von Nitrat oder führt in Gewässern zu Algenblüten. Ihn zu entfernen, ist deshalb eine wesentliche Aufgabe der Abwasserbehandlung in Kläranlagen. Bisher erledigen das vor allem Mikroorganismen. Doch dabei gehen Ressourcen und Energie verloren - denn die Stickstoffverbindung Ammoniak (NH 3 ) ist ein wertvoller Rohstoff und Energieträger. Dieses Potenzial zu heben, war das Ziel des Projektes „Ammonia to Power”. Darin haben AEE IN- TEC, das Engineeringunternehmen AVL LIST und die Technische Universität Graz ein Verfahren entwickelt, um Ammonium-Ionen (NH 4 +) aus dem Abwasser zu entziehen, in gasförmiges Ammoniak (NH 3 ) umzuwandeln und mit diesem wiederum in einer Festoxid-Brennstoffzelle Strom zu erzeugen. Vakuum-Pumpe saugt Gas durch eine Membran aus der Flüssigkeit Die Projektpartner nutzen für die Abscheidung des Ammoniaks die Vakuum-Membrandestillation (VMD). Diese Technik ist in der Meerwasserentsalzung schon weit verbreitet. Für den neuen Einsatzzweck forscht AEE INTEC daran, das Verfahren und die Membranen so anzupassen, dass sie gasförmiges Ammoniak passieren lassen, aber Wasserdampf so weit wie möglich zurückhalten. Ammoniak ist in Abwässern bei Umgebungsbedingungen vor allem als Ammonium gelöst (NH 4 +), nur etwa ein Prozent ist gasförmiges Ammoniak (NH 3 ). Damit es als Gas aus der Flüssigkeit austritt, muss man das Abwasser auf etwa 30 bis 40 °C erwärmen und einen Unterdruck von etwa 0,3 bar anlegen. Die Vakuumpumpe saugt sozusagen das gasförmige Ammoniak durch die Membran hindurch aus dem warmen Abwasser. Das funktioniert überall dort gut, wo viel Ammonium im Wasser gelöst ist. AEE INTEC hat das Membranverfahren daher mit Zentratwasser aus dem Faulturm der Gleisdorfer Kläranlage getestet. Das Zentratwasser bleibt zurück, wenn der abgefaulte Klärschlamm gepresst und in feste und flüssige Bestandteile getrennt wird. Mit der VMD gelang es im Laborversuch, immerhin 80 % dieser Stickstofffracht abzufangen und als Ressource nutzbar zu machen. Für die Kläranlagen bringt das noch einen weiteren Vorteil. Während der feste Klärschlamm meist in die Verbrennung geht, muss das Zentratwasser nämlich die Kläranlage erneut durchlaufen. Obwohl es sich um ein kleines Volumen handelt, macht es bis zu 30 % der Stickstofffracht in der Kläranlage aus. Das ist so ähnlich, als würde man schmutziges Putzwasser immer wieder über den Boden gießen. Da die VMD die Stickstofffracht reduziert, brauchen die Bakterien weniger Sauerstoff für die Reinigung. Das spart Strom für die Belüftung der Klärbecken. Später im Faulturm steigt durch die geringere Stickstofffracht zudem die Biogaserzeugung. Kläranlagen sind wegen des Mehrfachnutzens und der bereits vorhandenen Ammoniak - der übersehene Energieträger Christian Platzer Ammoniak gilt seit kurzem als mögliche Alternative zu Erdgas - unter anderem deshalb, weil es im Vergleich zu Wasserstoff relativ unkompliziert gelagert werden kann und sich recht einfach per Schiff importieren lässt. Doch auch lokal gibt es viele Möglichkeiten, das stickstoffreiche Gas zu gewinnen. Das österreichische Forschungsinstitut AEE INTEC entwickelt ein Verfahren, um Ammoniak aus Kläranlagen und Industrieabwässern abzutrennen. Bild 1: Im Labor passte das Team von AEE INTEC die aus der Meerwasserentsalzung bekannte Membrandestillation für Ammoniakabscheidung aus Abwässern an. © AEE INTEC 17 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Infrastruktur ein guter Startpunkt für die Ammoniakrückgewinnung mit der VMD. Doch grundsätzlich lässt diese sich für alle Flüssigkeiten mit hoher Ammoniumfracht nutzen. Im Projekt gab es erste Ansätze, das neue Verfahren auch für Gärreste aus Biogasanlagen oder Urin von Autobahnraststätten anzuwenden. Damit sich die neue Technologie leicht an unterschiedliche Anforderungen anpassen lässt, hat das Forschungsteam ein numerisches Modell entwickelt. So lässt sich für jedes Abwasser schnell ermitteln, bei welcher Temperatur und welchem pH-Wert das Optimum zwischen Ammoniak- Abscheidung und Kosten liegt. Vom Ammoniak zum Strom Wie sich das Ammoniak in Strom und Wärme umsetzen lässt, hat das Institut für Wärmetechnik der TU Graz untersucht. Grundlage dafür ist eine Festoxid-Brennstoffzelle (Solid Oxide Fuel Cell, kurz SOFC). Wegen ihrer hohen Betriebstemperatur ist sie relativ robust. Das ist wichtig, denn Ammoniak ist kein einfacher Energieträger. Es ist korrosiv und im Vergleich zu reinem Wasserstoff eher träge, was seine Reaktion mit Sauerstoff betrifft. Dass die VMD kein reines Ammoniak liefert, sondern ein Gemisch mit Wasserdampf, ist eine zusätzliche Herausforderung. In den Labortests fand das Team der TU Graz heraus, dass mit 30 % Wasserdampf und 70 % Ammoniak ein stabiler und effizienter Betrieb der Brennstoffzelle möglich ist. Während der mehrwöchigen Testphase gab es zudem keine Hinweise auf eine höhere Korrosion. Steigern ließe dich die Effizienz noch, indem man Methan beimischt, das zum Beispiel aus dem Faulgas der Kläranlage stammen kann. Ebenfalls wichtig für die Effizienz ist die Integration des Gesamtsystems. So kann die Abwärme der Brennstoffzelle das Abwasser für die VMD-Anlage vorwärmen. Wirtschaftlichkeit am Beispiel der Kläranlage Gleisdorf Wie ein solches System in der Praxis aussehen könnte, haben die Beteiligten am Beispiel der Kläranlage Gleisdorf durchgerechnet. Diese reinigt mittlerweile mehr als doppelt so viel Abwasser, wie die Auslegung des Faulturmes ursprünglich vorsah. Künftig soll sie noch weiter wachsen und dann Abwasser von 49 000 Einwohner-Gleichwerten behandeln. Auf dieser Grundlage lässt sich die Wirtschaftlichkeit der VMD abschätzen. In den Faultürmen werden voraussichtlich 102 m 3 Zentratwasser pro Tag anfallen, in dem 1 500 mg Ammonium (NH 4 +) pro Liter enthalten sind - insgesamt also 152 kg täglich. Gelingt es wie im Labor, 80 % des Stickstoffs zurückzugewinnen, sind das umgerechnet 122 kg Ammoniak (NH 3 ) pro Tag. Das reicht, um drei Festoxid-Brennstoffzellen mit einer Nennleistung von je 5 kW zu betreiben. So erhält man 360 kWh elektrische Energie und 240 kWh Abwärme täglich. Im Zentratwasser bleiben dann noch 250 bis 300 mg Ammonium pro Liter zurück. Mit dieser Konzentration geht es zurück in den Kläranlagen-Zulauf. Für die Kläranlage bringt das mehrere wirtschaftliche Vorteile. Bei Strombezugskosten von 0,11 Ct/ kWh ersetzt die Brennstoffzelle Strom im Wert von 13 200 Euro pro Jahr. Außerdem muss das Hauptklärbecken durch die geringere Stickstofflast weniger stark belüftet werden. Das spart rund 5 400 Euro jährlich. So kommt eine Einsparung von 18 600 Euro zusammen - bei steigendem Strompreis ist es natürlich entsprechend mehr. Durch die geringere Stickstofffracht bleibt zudem mehr Kohlenstoff für die Biogasproduktion erhalten. Diese fällt daher um 6 % höher aus. Der finanzielle Wert des Biogases wurde im Projekt allerdings nicht beziffert. Die Kostenseite ist schwerer zu kalkulieren. Bisher gibt es nur Prototypen für die VMD-Anlage und die Brennstoffzelle. Anhand von Skalierungseffekten und Preisanfragen für die Komponenten hat das Forschungsteam geschätzt, wie hoch die Kosten in einer Serienfertigung sein könnten. Eine Investition würde sich demnach innerhalb von fünf bis acht Jahren amortisieren. Dabei ist bereits eingepreist, dass einzelne Komponenten wie Membranen und die Stacks der Brennstoffzelle nach einigen Jahren erneuert werden müssen. Seit der Kalkulation im Projektbericht sind der Wert des Stroms und des Biogases deutlich gestiegen, eine Trendwende ist nicht in Sicht. So kann man trotz der bei Innovationen unvermeidbaren Ungewissheiten sagen: Die Technologie lohnt sich. Die Projektpartner werden ihre jeweiligen Themen daher weiterverfolgen. Aus der Brennstoffzelle soll ein marktfähiges Produkt werden, das von einem OEM-Hersteller produziert werden soll. In Folgeprojekten sollen außerdem Abwasserströme aus der Lebensmittelindustrie und Gärreste aus Biogasanlagen untersucht werden. DI (FH) Christian Platzer, MSc. Forschungsgruppe „Wasser- und Prozesstechnologien“ AEE INTEC Kontakt: c.platzer@aee.at AUTOR 18 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Mit einer über 800-jährigen Geschichte nimmt die Hanse- und Universitätsstadt Rostock schon seit Jahrhunderten eine wichtige Stellung in Nordostdeutschland ein. Als größte Stadt Mecklenburg-Vorpommerns und Zentrum der Regiopolregion Rostock setzt die Stadt heute noch wichtige Akzente. Die Küstenstadt wird vom Klimawandel und dem damit verbundenen Anstieg des Meeresspiegels unmittelbar getroffen. Das hat die Stadtverwaltung erkannt und sich ambitionierte Ziele gesetzt. Ab 2030 wird der im Moment noch in Bau befindliche HyTechHafen „Grünen Wasserstoff“ mit bis zu einem Gigawatt Energieeinspeisung produzieren. Außerdem ist geplant, die gesamte im Stadtgebiet verbrauchte Fernwärme bis 2035 aus regenerativen Quellen bereitzustellen. Ein neuer Wärmespeicher ist bereits in den Testbetrieb gestartet. Ergänzt wird dieser ab dem Frühling 2023 durch eine Powerto-Heat-Anlage, die den Speicher perspektivisch klimaneutral wieder aufladen kann. Rostock zeigt, dass auch in einer Zeit politischer sowie energetischer Unsicherheit, Investitionen in die Erneuerbaren möglich, notwendig und sinnvoll sind. Die Energie- und Wärmewende in Rostock Für die Rostocker Verwaltung steht fest: Da energetische Planungen sowie deren Umsetzung weitreichende Verzahnungen aufweisen, ist es notwendig, Bebauungsplanung und Wärmepläne bis hin zu standardisierten Energiekonzepten zusammenzudenken. Bebauungsstrukturen beeinflussen die Wärmeplanung und die langfristige Überplanung von Stadtvierteln muss gemeinsam mit Sanierungsinitiativen und Klimaanpassungsmaßnahmen gedacht werden. Um eine ab- Energie-Kommune Hanse- und Universitätsstadt Rostock Mit grünem Wasserstoff und Wärmespeicher treibt Rostock die Energie- und Wärmewende voran Mit der Fertigstellung des Wärmespeichers im April 2022 erreichen die Stadtwerke Rostock einen wichtigen Meilenstein für die städtische Wärmewende. Durch weitere Investitionen in grünen Wasserstoff und Ammoniak sowie die notwendige Infrastruktur will Rostock zum Drehkreuz der nordostdeutschen Wasserstoffindustrie werden. Ziel der geplanten Maßnahmen ist die Klimaneutralität der Stadt bis 2035. Bild 1: Im April 2022 startete der Testbetrieb des Wärmespeichers der Stadtwerke im Industriegebiet Marienehe. © Stadtwerke Rostock AG 19 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie gestimmte Kooperation zwischen den zuständigen Stellen sicherzustellen, wurde so zuletzt im Juni 2022 der Wärmeplan Rostock 2035 von der städtischen Bürgerschaft beschlossen. Durch dieses von Land und Bund geförderte Projekt wird eine koordinierte Umsetzung der Maßnahmen im gesamten Stadtgebiet sowie deren Überprüfung auf ihren Erfolg hin gewährleistet. Die Planung beschränkt sich aber keineswegs auf die Wärmeplanung. So verfügt die Stadt mit dem „Masterplan 100 % Klimaschutz für die Hansestadt Rostock“, über ein Klimawandelanpassungskonzept, ein Mobilitätskonzept sowie ein Umwelt- und Freiraumkonzept. Darüber hinaus engagiert sich Rostock in weiteren Initiativen und will nicht zuletzt selbst eine Vorbildrolle einnehmen, was die energetische Sanierung und den Ausbau von EE-Anlagen auf kommunalen Gebäuden angeht. Insbesondere bei der Finanzierung der notwendigen Investitionen will die Stad durch Fördermittelakquise und dem Anstoßen weiterer Projekte den Ausbau der Erneuerbaren beschleunigen, um das 2020 erklärte Ziel der Klimaneutralität bis 2035 zu erreichen. Breiter Mix aus Erneuerbaren Energien Nachdem vor zwei Jahren das ursprüngliche Ziel der Reduzierung der Treibhausgasemissionen bis 2050 gegenüber dem Bezugsjahr 1990 um 95 % auf 2035 vorgezogen wurde, arbeitet die Verwaltung gemeinsam mit den Stadtwerken daran, möglichst schnell und trotz der multiplen externen Krisen der letzten Jahre den städtischen CO 2 -Fußabdruck zu verkleinern. Rostock kann hier schon einige Erfolge vorweisen: Im Vergleich zu 2010 konnte die Stadt den einwohner*innenbezogenen CO 2 -Ausstoß bis 2017 von 4,17 t CO 2 auf 3,58 t pro Einwohner*in senken. Deutschlandweit war der pro-Kopf-Ausstoß 2018 mit 8,4 t mehr als doppelt so hoch. Möglich wurden diese Erfolge durch konsequente kommunale sowie private Investitionen in die Erneuerbaren sowie in die Energieeffizienz von Gebäuden. Die Stadt hat beispielsweise das begrenzte städtische Potenzial für Windenergie im Stadtgebiet ausgeschöpft. Zwölf Anlagen stellen auf dem Stadtgebiet 6,9- Megawatt (MW) erneuerbaren Strom zur Verfügung. Der Schwerpunkt der Stadt liegt deswegen auf dem Ausbau der Solarenergie. Aktuell sind im Stadtgebiet 864 Solaranlagen mit rund 27,1 MW Peak installiert. Das gesamtstädtische Solarpotenzial wird gerade im Förderprojekt „Solaroffensive“ ermittelt. Insbesondere die Potenziale von kommunalen Gebäuden sollen schnell erfasst und nutzbar gemacht werden. Auch die Stadtwerke sind am Ausbau beteiligt. Zuletzt nahm im September 2017 die mit 8 000 m 2 drittgrößte PV-Freiflächenanlage in Rostock den Betrieb auf. Insgesamt stellen die Stadtwerke durch PV-Anlagen etwa ein Gigawatt (GW) erneuerbaren Strom bereit. Weitere 20 GW werden von den Stadtwerken von Biomethan- Blockheizkraf t werken (Biomethan-BHKW) produziert. Gleichzeitig stellen die BKHWs CO 2 -neutrale erneuerbare Wärme bereit. Holger Matthäus, Senator für Infrastruktur, Umwelt und Bau, bringt das städtische Transformationskonzept auf den Punkt: „Als Stadt am Meer ist der Klimaschutz seit jeher Verpflichtung: Das Ziel 2035. Unsere Rostocker Strategie ist die Nutzung von Windenergie onshore, Solaranlagen, Großwärmepumpen in der Warnow und Biomasse.“ Grüner Wasserstoff und Energiehafen sichern nachhaltige Entwicklung Als Mitglied des 2020 gegründeten Netzwerks der Rostocker Wasserstoffinitiative arbeitet die Stadt gemeinsam mit Projektpartnern aus Wirtschaft und Forschung an der Etablierung einer leistungsfähigen Wasserstoffindustrie entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Im Zusammenspiel mit dem vom Bund geförderten Projekt „Regiopolen und Regiopolregionen für Deutschland“, das in Rostock einen Schwerpunkt auf Energieinfrastruktur legt, konnte eine Geschäftsstelle geschaffen werden, welche die energetische Transformation der Regionpolregion Rostock koordiniert. Ziel der Initiative bleibt das Erreichen der Klimaneutralität bis 2035 sowie die Schaffung einer leistungsfähigen Wasserstoffinfrastruktur. Über die Stadtgrenzen hinaus werden von Unternehmen und Forschungseinrichtungen der Region Nord-Ost Technologien für die saisonale Erzeugung und Nutzung von grünem Ammoniak als kohlenstofffreiem Wasserstoffträger entwickelt und am Standort Poppendorf umgesetzt. Das „CAMPFIRE-Bündnis“ eröffnet somit den regionalen Unternehmen innovative neue Pfade in der Produktentwicklung und einen zukünftigen Technologie- Roll-Out von Energie- und Speichertechnologien für Ammoniak Bild 2: Im Rathaus der Stadt wird die regionale Energie- und Wärmewende konzipiert. © A.Savin 20 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie aus Mecklenburg-Vorpommern. Es wurde im Rahmen des Förderprogramms „WIR! - Wandel durch Innovation in der Region” des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gegründet. Aus Erneuerbaren Energien erzeugter Ammoniak ist ein kohlenstofffreier Kraftstoff, der zukünftig eine vollständige Reduktion der Treibhausgasemissionen und eine Zero-Emission-Mobilität ermöglichen kann. NH 3 bietet einen idealen Kompromiss zwischen Energiedichte und Produktionskosten im Vergleich zu anderen synthetischen Brennstoffen. Die Partner*innen aus Wirtschaft und Forschung wollen die bereits in Rostock-Peez und Rostock Poppendorf zum Großteil vorhandene Chemie-Infrastruktur nutzen, um Technologien und Produkte auf industrierelevanter Skala zu testen und zu produzieren. Entscheidender Baustein der städtischen Transformation ist das Vorhaben Energiehafen Rostock. Dieser wird mittelfristig zum Wasserstoffdrehkreuz an der Ostsee ausgebaut. Als neues Umschlagzentrum für grüne Energieträger ist geplant, Wasserstoff genauso wie Wasserstoffträger (Ammoniak oder Methanol) zu produzieren und über eine im Rahmen des Projektes „doing hydrogen“ in Planung befindliche Pipeline zu transportieren. Bis 2026 werden hier zunächst 475 km Pipeline zur Verfügung stehen, um den Wasserstoff in Deutschland und perspektivisch in ganz Europa zu vermarkten. Damit der Energiehafen der stetig steigenden Nachfrage nach grünem Wasserstoff gerecht werden kann, sollen die Erzeugungskapazitäten des Hafens bis 2030 schrittweise auf 1 GW Energieeinspeisung hochskaliert werden. Damit das gelingt, arbeitet die Stadt mit Partner*innen aus der Wirtschaft entlang der gesamten Wertschöpfungskette zusammen. Zusätzlich dazu wird in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut für Großstrukturen der Produktionstechnik sowie dem Greifswalder Leibnitz-Institut für Plasmaforschung und Technologie eine H 2 -Forschungsfabrik umgesetzt. Entscheidender Standortvorteil der Stadt ist die lange, windreiche Küstenlinie, die sich optimal zur Bereitstellung von erneuerbarem Strom für die Produktion von grünem Wasserstoff nutzen lässt. Um das Potenzial der Offshore-Windenergie und dessen Einbindung in die Wasserstoffwertschöpfungskette weiter zu erforschen, ist der Bau eines Offshore-Testfeldes für Windenergie am Standort Rostock-Warnemünde geplant. Bis 2025 ist die Fertigstellung von Of fshore -Windenergieanlagen mit einer Gesamterzeugungsleistung von 150 MW geplant. Die Anlagen werden im Anschluss helfen, neue Technologien und Innovationen in der Praxis zu erproben. Wärmespeicher und Power-to-heat-Anlage Nach zwei Jahren Bauzeit ging am 4. April am Standort Marienehe der neue Wärmespeicher der Stadtwerke erstmals ans Netz. Geplant lange vor den krisenhaften Entwicklungen des letzten halben Jahres, ist der Speicher nicht nur ein wichtiger Baustein zur Erreichung der Treibhausgasneutralität, sondern trägt genauso zur Unabhängigkeit der Wärmeversorgung der Stadt bei. Die Ausmaße des Speichers, der nach der Testphase im Herbst in den Regelbetrieb starten wird, sind schlicht gigantisch: In einem drucklosen Stahlbehälter können insgesamt 45 Mio. Liter Wasser bei 98 °C gespeichert werden. Das entspricht einer Speicherkapazität von 2 GW und damit genug Wärme, um alle Fernwärmekunden*innen der Stadtwerke ein Wochenende lang mit Wärme zu versorgen. Direkt neben dem Speicher wird derzeit eine Power-to-Heat-Anlage errichtet. Dem Prinzip eines überdimensionierten Tauchsieders folgend, kann ab Anfang 2023 ansonsten abgeregelter Strom aus Wind- oder Solarenergie direkt in Wärme umgewandelt. Die erzeugte CO 2 -neutrale Wärme kann im nächsten Schritt genutzt werden, um den Wärmespeicher wieder aufzuladen. Rostock wäre nicht Rostock, wenn Stadtverwaltung und Stadtwerke nicht auch bei Wärmeversorgung und Energiehafen vernetzt geplant hätten. Der Senator für Infrastruktur, Umwelt und Bau, Matthäus, fasst zusammen: „Vom Projekt des Grünen Energiehafens erwarten wir neben der Wasserstoffproduktion auch die Abwärmenutzung. Unser die Stadt überspannendes Fernwärmenetz ist dabei ideal zum Speichern und Verteilen solidarischer Wärme.“ Investitionen in die Zukunft der Stadt entlasten so mittelfristig deren Bürger*innen. Kurzfristig arbeiten die Stadtwerke daran, gestiegene Kosten für Privathaushalte abzufedern. Das soll durch die schnelle Umsetzung von im Wärmeplan formulierten „No-regret-Maßnahmen“ erreicht werden. Bis jetzt ungenutzte Abwärme aus dem Abwasser des Klärwerks und der Klärschlammverwertungsanlage sowie die Nutzung von Saisonalwärmespeichern schützen das Klima und verringern gleichzeitig die Abhängigkeit der Bürger*innen vom Import fossiler Energieträger. I n f o : h t t p s : / / w w w . u n e n d l i c h vielenergie.de/ projekte/ energieko mmu n e n / e n e r g i e ko mm u n e de s mona t s hanse - und uni versitaetsstadt-rostock 21 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Für Solarenergie sehen die Zeiten weiterhin blendend aus: In Deutschland sind inzwischen 2,2-Mio. Photovoltaik-Anlagen installiert, die im Jahr 2021 48,4 Terrawattstunden (TWh) Strom erzeugten - immerhin bereits knapp 10 % des Brutto-Stromverbrauchs. Geht es nach der deutschen Politik soll das in Zukunft noch deutlich mehr werden. Gerade angesichts der Energiekrise und den damit einhergehenden immens steigenden Kosten für die Energieerzeugung aus fossilen Energieträgern ist der Zuspruch für Photovoltaik deutlich gestiegen. Im Rahmen der neuen Klimaziele wurden nicht nur deshalb Gesetze verabschiedet, die den Ausbau von Solarenergie verpflichtend machen: Auf Neubauten im Gewerbebereich - zum Beispiel auf Büros, Einkaufszentren oder Supermärkten, aber auch etwa auf Lagerhallen und Parkplätzen - müssen bundesweit Photovoltaik-Anlagen installiert werden. Einige Bundesländer gehen sogar noch weiter: Berlin und Baden-Württemberg haben die Solarpflicht bei Neubauten aller Art und bei jeder grundlegenden Dachsanierung beschlossen. In Berlin sollen so im Jahr 2050 25 % des Gesamtstrombedarfs durch die Sonne erzeugt werden. Nicht nur aus rein ökologischen Gründen lohnt sich der Einsatz von Solarenergie - Photovoltaik ist auch effizient. Solaranlagen werden zum Teil aus Silizium hergestellt, wobei zwischen monokristallinem Silizium und polykristallinem Silizium unterschieden wird. Bislang lag deren Wirkungsgrad - also der Anteil der Sonneneinstrahlung, der tatsächlich in nutzbare Energie umgewandelt werden kann - zwischen 15 und 22 %. Was zunächst nach nicht viel klingt, wird dadurch relativiert, dass der Input für die Energieerzeugung kostenlos ist. Durch intensive Forschung und Weiterentwicklung ist die Tendenz bezüglich der Effizienz zudem klar steigend: 2021 wurde am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme dank des Einsatzes einer mehrschichtigen Solarzelle, deren Schichten aus unterschiedlichen Bereichen des Licht-Spektrums zusammengesetzt sind, bereits ein Wirkungsgrad von 47 % erzielt. Die Solarzellen der Zukunft könnten demnach mehr als die doppelte Sonnenenergie auf dem Plan Christoph Becker Die neuen gesetzlichen Bestimmungen für Photovoltaik sind ein wichtiger Schritt für die Energiewende, stellen die Bau- und Planungsbranche aber vor neue Herausforderungen. Digitale Technologien wie generatives Design machen es fundamental leichter, Solarenergie von Beginn der Planungsphase an mitzudenken. Bild 1: In risikofreier Umgebung können Architekten und Planer verschiedene Szenarien austesten, ohne hohe Kosten zu verursachen. © Autodesk Spacemaker 22 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Bild 2: Fiktives Szenario zur Schätzung des Solarstrompotenzials im urbanen Raum mit der Solarmodulanalyse von Spacemaker. © Autodesk Spacemaker Menge Energie erzeugen. Weitere Vorteile sind ihre Langlebigkeit und ihre Pflegeleichtigkeit. Weil sie nach der Installation so geringen Aufwand verursachen, sind sie gerade für den Privatgebrauch so attraktiv. Somit fallen kaum mehr als Produktion und Installation als Kosten- und Aufwandsfaktoren an. Hier stehen Planungs- und Bauindustrie in der Pflicht, die entsprechenden Prozesse effizienter zu gestalten und den Nutzen der Solaranlagen weiter zu maximieren. Leider wurden Photovoltaik-Anlagen bislang selten von Beginn der Gebäudeplanung an mitgedacht, weshalb die neuen gesetzlichen Bestimmungen viele Akteure in der Planungs- und Baubranche vor Herausforderungen stellen - zusätzlich zu den zahlreichen Hürden, mit denen die Industrie ohnehin bereits zu kämpfen hat. Denn die rasante Urbanisierung in Kombination mit dem Bevölkerungswachstum und dem Klimawandel stellt die Stadtplanung und die Bauindustrie vor die Aufgabe, ökologisch nachhaltige, möglichst kompakte und dennoch lebenswerte Quartiere mit geringstmöglichem Aufwand zu errichten. Ein weiterer Faktor, der mit in die Planung einfließen muss - beispielsweise die Integration von Solaranlagen - macht diese Herausforderung nicht leichter. Generatives Design für nachhaltige Gebäude Innovative digitale Technologien helfen Planern bereits dabei, diese Fülle von Aufgaben zu bewältigen. 3D-Modellierung, BIM- Software (Building Information Modeling) sowie Digital Twins machen etwa den gesamten Lebenszyklus von Bauprojekten digital darstell- und planbar: vom ersten Entwurf bis zur späteren Bewirtschaftung, inklusive Übersicht und Volumen, Flächen, Baumaterialien, Termine, Heiz- und Energienutzung und vieles mehr. In einer noch früheren Phase der Bauplanung setzen inzwischen generatives Design und Echtzeitanalysen an, die Planer mit künstlicher Intelligenz dabei unterstützen, verschiedene Entwurfsvarianten digital auszutesten und zu bewerten. Mit einer Software wie der cloud-basierten Plattform Spacemaker von Autodesk werden hierzu meist nur wenige Klicks benötigt. Das ist etwa im Rahmen der Grundstücksakquise oder bei Machbarkeitsstudien eine enorme Unterstützung, denn besonders in diesen Phasen sollten eigentlich sorgfältige Analysen durchgeführt werden, die sich oft kosten- und zeitintensiv gestalten. Wenn nicht, ist dies ein großer Fehler: Der Grundstein für 50 % der Gebäudewertschöpfung wird in dieser frühen Planungsphase gelegt. Spacemaker unterstützt nicht nur dabei, die frühen Planungsphasen zu beschleunigen und effizienter zu gestalten, die Software befähigt Planer auch dazu, kreativere Lösungsansätze zu finden und von Anfang an die bestmöglichen Entscheidungen zu treffen. In der risikolosen Testumgebung der Anwendung können Nutzer die optimalen Bauoptionen im Rahmen ihrer Parameter entdecken und testen, wobei die KI-Algorithmen auf Wunsch auch Bauvarianten vorschlagen, auf welche die Planenden allein eventuell gar nicht gekommen wären. Entscheidungen können auf Basis der Analysen fundiert und zuverlässig begründet werden, das Risiko von ressourcenintensiven Planungsänderungen wird von Anfang an verringert und es entstehen Quartiere, die trotz hoher Baudichte grün, ansprechend und lebenswert gestaltet sind. Dabei fließen auch zahlreiche Umweltfaktoren in die Analyse mit ein: Mit Autodesk Spacemaker lassen sich beispielsweise Lärm-, Licht- oder Klimaverhältnisse aller Entwurfsvarianten in Echtzeit berechnen. Schätzung des Energieproduktionspotenzials von Solaranlagen Auch die Analyse des Solarpotenzials gehört seit neustem zu den Funktionen der Software. Die sogenannte Solarmodulanalyse bietet die Möglichkeit herauszufinden, an welcher Stelle des Bauprojekts Solarzellen potenziell 23 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie den größtmöglichen Energieertrag erzielen können. So kann das Energieproduktionspotenzial von Grundstücken, Gebäuden und Quartieren von „Tag eins“ an optimal genutzt werden. Für die Solarmodulanalyse wurde die bereits bestehende Sonnenanalyse der Software erweitert. Dabei werden alle potenziell geeigneten Flächen auf den Dächern zukünftiger Gebäude mit Sonnenkarten von jeder Stunde des Jahres abgeglichen. Die entsprechenden Daten werden aus der Copernicus-Datenbank bezogen und die erwartete Sonneneinstrahlung anhand des jeweiligen Einfallswinkels ermittelt. Die Analyse bezieht zudem zahlreiche weitere komplexe Faktoren wie die diffuse Sonneneinstrahlung sowie potenzielle Störelemente wie Wolken, Nebel oder Dunst mit in die Berechnungen ein. Auch Leistung und Wirkungsgrad der Module werden auf Wunsch mitberechnet, sodass eine möglichst genaue Angabe bezüglich der zu erwartenden Energieproduktion über das Jahr gemacht werden kann. Planende können so fundierte Entscheidungen über die Dachnutzung treffen und sich vielleicht für ein Gründach oder einen Außenwohnbereich entscheiden, wenn andere Bereiche des Grundstücks besser geeignet sind, um das Potenzial von Solarzellen voll auszuschöpfen. Nutzende, die Nachhaltigkeitszertifikate oder gar ein Netto- Null-Gebäude anstreben, haben dank der Solarmodulanalyse eine wesentlich bessere Ausgangsbasis für ihre Planung. Die Solarmodulanalyse gibt Planenden somit nicht nur ein Werkzeug an die Hand, das sie dabei unterstützt, kommende Herausforderungen deutlich einfacher zu bewältigen, sondern auch eines, das andere Tools von Spacemaker zur Unterstützung von Nachhaltigkeit optimal ergänzt. Denn auch Spacemakers Mikroklimaanalyse sowie die Betriebsenergieanalyse tragen maßgeblich dazu bei, den CO 2 - Abdruck von Planungsprojekten zu verringern. Vor allem führen aber auch die signifikant effizienter gestalteten Planungs- und Bauprozesse sowie der damit einhergehende schonende Umgang mit Ressourcen zu einem bedeutenden Beitrag für den Klimaschutz. So wird dank der intelligenten Software mehr Nachhaltigkeit auf allen Ebenen erzielt. Christoph Becker Strategy Manager Autodesk Spacemaker Kontakt: info@autodesk.de AUTOR Transport und Mobilität im Wandel: Das neue Unterwegs. Lesen Sie in der aktuellen Ausgabe 4|2022 von Internationales Verkehrswesen:  Klimafinanzierung für die Verkehrswende  Infrastrukturveränderung im Zuge des wachsenden OnlineHandels  Ridepooling unter Einfluss des 9-Euro-Tickets  Wie sich Planungsmethoden im intermodalen Transport verändern  Räumliche Effekte reaktivierter Bahnstrecken  Was die Bahn vom Bauwesen lernen kann  … und vieles mehr … Erscheinungsdatum 16. November 2022. Jetzt kaufen und lesen: www.internationales-verkehrswesen.de/ einzelheft-bestellen 24 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Auf dem Weg zur Klimaneutralität müssen die erneuerbaren Energien massiv ausgebaut werden. „Große Solarparks sind dabei ein wichtiges Instrument“, sagt Nina Munzke, Forscherin am Elektrotechnischen Institut (ETI) des KIT und Initiatorin von Solarpark 2.0 am Batterietechnikum des KIT. „Neue und immer größere Flächen für solche Anlagen zu finden, ist aber insbesondere in stark besiedelten Regionen der Welt ein Problem. Damit wir unsere Klimaziele trotzdem erreichen, müssen wir die vorhandenen Flächen viel effizienter nutzen.“ Im Verbundprojekt Solarpark 2.0 entwickeln die Forschenden dafür elektronische Komponenten und Methoden für große Freiflächenanlagen. „Wir wollen die Leistungsabgabe von Photovoltaikanlagen unter ungünstigen Bedingungen wie Verschattung, Verschmutzung oder Alterung verbessern und dadurch die Wirtschaftlichkeit und den Ertrag der Stromerzeugung durch Photovoltaik optimieren“, so Munzke. Ertragssteigerung durch neue Leistungselektronik Um ein Photovoltaikmodul maximal effizient einzusetzen, muss es nahe an seinem individuellen Maximum Power Point (MPP) arbeiten. „Die Ausgangsleistung Bild 1: Das Solarfeld des Energy Lab 2.0 auf dem Campus Nord des KIT. © Markus Breig, KIT Solarpark 2.0: Mehr Ertrag bei gleicher Fläche Das KIT und Partner entwickeln elektronische Komponenten und Methoden zur Optimierung großer Photovoltaikanlagen - Testanlage am Campus Nord geplant Ob Schatten, Schmutz oder Alterung - ungünstige Bedingungen für Solarmodule können den Ertrag von großen Photovoltaik-Freiflächenanlagen erheblich mindern. Im Forschungsprojekt Solarpark 2.0 arbeitet das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) gemeinsam mit Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft daran, diese Verluste zu reduzieren. Innovative Schaltungen, neuartige Leistungselektronik und KI-gestützte Optimierung sollen Ausbeute und Lebensdauer von Anlagen steigern und die Betriebskosten senken. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) fördert das kürzlich gestartete Projekt mit rund 2,5 Millionen Euro. 25 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie des Moduls ergibt sich aus dem Produkt von Stromstärke und Spannungshöhe. Beim MPP ist diese Leistung am höchsten, es wird also die größte mögliche Ausbeute erreicht“, sagt Lukas Stefanski vom ETI. Da sich der MPP aber je nach Temperatur, Sonnenstand und weiteren Faktoren ändert, muss für einen optimalen Betrieb die Spannung kontinuierlich nachgeregelt werden. Dafür gibt es zwar bereits spezialisierte Leistungsoptimierer, das Maximum Power Point Tracking (MPPT) wird in konventionellen Schaltungen allerdings vor allem im zentralen Wechselrichter angewendet. „Wenn dann mehrere Photovoltaikmodule in Reihe zu Strings geschaltet sind und zusätzlich mehrere dieser Strings parallelgeschaltet werden, dann können Verschattung und Defekte einzelner Module die erzeugte Leistung ganzer Anlagen einschränken“, sagt Stefanski. „Vorteilhafter ist es, einzelne Module zu regeln sowie, je nach spezifischer Verschaltung der Anlage, die Spannung an den Strings zu optimieren.“ Um das zu realisieren, wird bei Solarpark 2.0 die am KIT patentierte HiLEM-Schaltung (steht für: High Efficiency Low Effort MPPT) eingesetzt. Diese Schaltung ersetzt Combiner-Boxen, die herkömmlicherweise zur Parallelschaltung von Strings genutzt werden und ermöglicht ein effizientes MPPT auf Ebene der Strings. Die Kombination aus HiLEM-Schaltung mit neuartigen Leistungsoptimierern, die von der Hochschule Karlsruhe sowie den Unternehmen BRC und PREMA gemeinsam entwickelt werden, ermöglicht dann ein gleichzeitiges MPPT sowohl auf Stringals auch auf Modulebene. „Wir erreichen damit nicht nur einen höheren Ertrag der Photovoltaikanlage, sondern verlängern auch ihre Lebensdauer und senken die Betriebskosten“, so Stefanski. Testanlage am Campus Nord geplant Evaluiert werden sollen die neuen Optimierungskomponenten in zwei Photovoltaik-Testanlagen mit jeweils 30 Kilowatt-Peak (kWp). Eine Anlage wird dabei unterschiedliche Testszenarien für die neuen Leistungsoptimierer abbilden, die zweite Anlage dient als Referenz ohne diese. Beide Anlagen sollen nebeneinander auf einer Freifläche innerhalb des bestehenden Solarfeldes des Energy Lab 2.0 am KIT realisiert werden. Ein weiteres Ziel der Arbeiten am KIT besteht darin, eine durch Künstliche Intelligenz (KI) gestützte Leistungsprognose für Photovoltaikanlagen zu entwickeln, mit der sich anhand von Betriebsdaten möglicherweise verschattete, defekte oder verschmutzte Module identifizieren lassen. „Damit können wir ermitteln, an welcher Stelle in Solarparks sich eine Nachrüstung mit Leistungsoptimierern lohnen würde“, sagt Marcus Becker vom ETI. Trainiert wird die KI dabei mit langfristig gesammelten Daten des Solarfeldes des Energy Lab 2.0, und Daten, welche mittels des selbstentwickelten drahtlosen Monitoring System (WSN) des Instituts für Photovoltaik (ipv) der Universität Stuttgart erhoben werden. Weitere Informationen: -https: / / w w w.batterietechnikum. kit.edu/ 170_1227.php Details zum KIT-Zentrum Energie: https: / / www.energie.kit.edu Bild 2: Ebenen des MPP- Tracking in großen PV-Freiflächenanlagen. © Batterietechnikum Das durch das KIT koordinierte Verbundprojekt Solarpark 2.0 ist im Juli 2022 gestartet und hat eine geplante Laufzeit von drei Jahren. Beteiligt sind die Hochschule Karlsruhe sowie die Unternehmen BRC- Solar und PREMA Semiconductor, die gemeinsam Leistungselektronik für das MPPT mittels anwendungsspezifischer integrierter Schaltungen (application-specific integrated circuit, ASIC) entwickeln. Außerdem das ipv der Universität Stuttgart, das sein WSN einsetzt und weiterentwickelt sowie das Unternehmen Solarwatt, das bei der Integration von Leistungsoptimierern direkt in Photovoltaikmodule unterstützt. Solarpark 2.0 hat ein Projektvolumen von etwa 3,4 Mio. Euro, das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz fördert mit rund 2,5 Mio. Euro. ÜBER SOLARPARK 2.0 26 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Es klingt wie Science-Fiction: Waschmaschinen, die sich nachts selbstständig einschalten, Elektrospeicher, die vor dem Aufstehen bereits das Brauchwasser vorheizen oder Heizungsanlagen, die eigenständig Thermostate herunterregeln, wenn ein Fenster geöffnet ist. Künftig sollen intelligente Steuereinheiten dies alles mitbekommen und bestenfalls eigenständig managen. So genannte Smart-Grid-Lösungen ermöglichen die intelligente Kombination von Erzeugung, Speicherung und Verbrauch von Energie. Das „Herzstück“ bilden Smart Meter, intelligente Messsysteme, die ein gesichertes Übertragungsnetz bilden. Mit der digitalen Erfassung werden Verbräuche sichtbar gemacht und unterstützen Netzbetreiber wie die LSW dabei, genauer die Bedarfe zu planen, um der Energiewende gewachsen zu sein. Dezentrale Energiewelt erfordert zukunftsfähige Lösungen Die Energiewelt befindet sich in einem Umbruch: Der Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtmix steigt kontinuierlich, zusätzlich werden künftig Millionen von Haushalten und Unternehmen über eigene Photovoltaik- oder sogar Windkraftanlagen Energie in die öffentlichen Verteilnetze einspeisen. Im Vergleich zur herkömmlichen Energieversorgung mit überwiegend beständiger Stromproduktion garantieren erneuerbare Energien allerdings Wolfsburg auf dem Weg zum intelligenten Versorgungsnetz der Zukunft Um auch in einer Energiewelt von Morgen eine stabile Stromversorgung zu gewährleisten, ist eine intelligente Netzsteuerung unabdingbar. Neue, flexible Verbraucher, wie zum Beispiel Elektroladesäulen oder Wärmepumpen, und klassische sowie flexible Erzeuger müssen effizient in das bestehende Mittel- und Niederspannungsnetz integriert werden. Als einer der Vorreiter beim Aufbau und Betrieb digitaler, kommunaler Infrastrukturen in Norddeutschland treiben die Stadtwerke Wolfsburg AG und LSW Netz GmbH & Co. KG. die Digitalisierung auch im Bereich der Energiewirtschaft voran. An verschiedenen Standorten im Wolfsburger Stadtgebiet erproben beide Unternehmen bereits heute das Zusammenspiel der einzelnen Komponenten Zähler, Gateway sowie Datenübertragung und entwickeln die Infrastruktur kontinuierlich weiter. Bild 1: Wolfsburger Wärme wird smart: Mit dem bereits begonnenen Rollout der fernauslesbaren Fernwärmezähler stellt die LSW Netz die Weichen für eine zukunftsorientierte und intelligente Netzsteuerung - von der Erzeugung bis zum Endverbraucher © Stadtwerke Wolfsburg AG/ H. Landmann 27 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Störungsmanagement 1.354 46 % 0 100 Part 1 Part 2 Part 3 Part4 1.354.422.432 1.032 1.002 OFFENE DIGITALE PLATTFORM (ODP) IoT Zählerstände Netzmonitoring GATEWAY heißes Wasser gekühltes Wasser Zähler LoRaWAN wireless M-Bus Verschlüsselte Datenpakete Mobilfunk WÄRMEERZEUGER (z.B. BHKW) Zähler Zähler Zähler Verbrauchsabrechnung Kundenportal KUNDEN: INNEN keine gleichmäßige Energieeinspeisung. Smart-Grid-Lösungen sollen dabei unterstützen, Angebot und Nachfrage bei der Stromversorgung in Einklang zu bringen. Aber nicht nur deswegen ist ein intelligenter Umgang mit der Ressource Energie notwendig. Bisher separate Sektoren, wie Strom, Wärme und Verkehr werden zunehmend miteinander gekoppelt. Beispielsweise bei der Wärmepumpe oder beim Elektrofahrzeug, wo sich Wärme- und Verkehrssektor mit der Stromversorgung verbinden. Mit dem schrittweisen Rollout für den Einbau intelligenter Messsysteme schafft die LSW Netz den Grundstein für den Aufbau einer modernen Infrastruktur, die erneuerbare Energien bereits heute besser in die Strom- und Wärmenetze integrieren und diese künftig optimal auslasten sollen. Erster großer Rollout für fernauslesbare Fernwärmezähler bereits gestartet In Wolfsburg ist die LSW Holding mit Ihren Töchtern LSW Netz und LSW Energie für eine verlässliche, zukunftsorientierte Strom-, Gas-, Wasser- und Fernwärmeversorgung verantwortlich. Mit den Investitionen in digitale Zähler und den Aufbau einer umfassenden LoRaWAN-Gateway-Infrastruktur für Wolfsburg, leisten die Unternehmen einen wichtigen Beitrag für eine effiziente Energiewende. Um die Funktionsfähigkeit der technischen Lösung sicherzustellen und die einzelnen Komponenten von Wärmezähler über LoRaWAN-Gateway bis hin zur Datenübertragung im Zusammenspiel zu erproben und weiterzuentwickeln, haben die LSW gemeinsam mit den Stadtwerken und der WOBCOM GmbH begonnen, eine stadtweite Testlandschaft in Wolfsburg aufzubauen. Seit Beginn 2022 wurden bereits 2 500 Hausanschlüsse für die Ermittlung von Fernwärmeverbräuchen in Mehrfamilienhäusern oder Bürogebäuden mit fernauslesbaren Wärmezählern ausgestattet. Bis zum Jahr 2027 will die LSW rund 16 000 intelligente Wärmemengenzähler installieren. Im Rahmen der neuen Energieeffizienzrichtlinie sieht die EU zusätzlich bis zum Jahr 2027 auch die Digitalisierung der Heizkostenverteiler, Kältemengen- und Wärmezähler vor, um Verbrauchende dabei zu unterstützen, CO 2 -Emissionen und Energiekosten zu senken. Intelligentes Energiemanagement dank Komplettlösung Zur Umsetzung der Verordnung über die Verbrauchserfassung und Abrechnung bei der Versorgung mit Fernwärme oder Fernkälte (FFVAV) haben die LSW gemeinsam mit Stadtwerken und WOBCOM eine kosteneffiziente Komplettlösung entwickelt. Beim Aufbau der LoRaWAN-Lösung für den Sektor Wärme profitieren die Kundinnen und Kunden von der eigenen, bereits vorhandenen digitalen Infrastruktur und vor allem von der unternehmensinternen Kompetenz. Um eine zuverlässige Fernauslesbarkeit zu gewährleisten, wird ein flächendeckendes IoT-Funknetz und eine Datenplattform benötigt. Das Herzstück der Wolfsburger Komplettlösung bildet dabei die Offene Digitale Plattform (ODP). Die eigens entwickelte urbane Datenplattformlösung von Stadtwerken und WOBCOM ermöglicht bereits heute das Erfassen, die Speicherung und Analyse von verschiedenen Datenströmen im gesamten Stadtgebiet. Damit die Daten auch tatsächlich fließen, haben beide kommunalen Unternehmen ein flächendeckendes IoT-Funknetz mit entsprechender Sensorik und Gateways auf LoRaWAN- Basis aufgebaut, welches unter anderem die Fernauslesbarkeit von Zählern sicherstellt. Alle relevanten Informationen, wie zum Beispiel zur Temperatur und Durchflussmenge oder Druck im Bereich Fernwärme, werden über Sensoren automatisiert erfasst und nach den sicherheitsrelevanten Vorgaben des Bundesamtes Bild 2: Big Data, Digitalisierung und intelligentes Datenmanagement: Die Offene Digitale Plattform (ODP) ermöglicht es in Wolfsburg bereits heute, Daten handlungsfeldübergreifend zu analysieren - zunehmend auch im Bereich des Energiemanagements. © Stadtwerke Wolfsburg AG 28 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) an die Datenplattform zur Weiterverarbeitung zuverlässig, geschützt und verschlüsselt übertragen. Mit der Datenplattform ist es möglich, die ermittelten Verbrauchswerte in das Abrechnungssystem zu integrieren und damit eine elektronische Rechnung zu erzeugen. Dafür werden die Daten über eine MQTT-Schnittstelle an eine IoT- ERP-Bridge weitergegeben. Hier werden die Messwerte weiterverarbeitet und validiert, bevor sie abschließend mit der Verbrauchsstelle verknüpft und letztendlich abrechenbar werden. „Smart Meter“ wichtiger Baustein einer schlauen Stadt von morgen Durch die voranschreitende dezentrale Entwicklung neuer digitaler Infrastrukturen und Anwendungen in der Region Wolfsburg, unterstützen LSW, Stadtwerke und WOBCOM die Stadtverwaltung den soziologischen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen der Gesellschaft zu begegnen. Die eigene Offenen Digitalen Plattform (ODP) und weiteren Cloud-Lösungen befähigen die Partner mehrere digitale Systeme aus verschiedenen Handlungsfeldern, wie zum Beispiel Mobilität, Energie, Gesundheit und Verwaltung miteinander zu verknüpfen. So entstehen immer mehr digitale Dienste bzw. Dienstangebote, die Bürgerinnen und Bürger einen Mehrwert im Sinne der Steigerung der Lebensqualität bieten können. Mit der Einführung der intelligenten Messysteme können Verbraucherinnen und Verbraucher künftig ihren Stromverbrauch zu Hause zuverlässig im Blick behalten. Durch die Aufbereitung der gelieferten Daten haben die Kundinnen und Kunden der LSW über das eigene Kundenportal die Möglichkeit, über die monatlich aufgeschlüsselten Energieverbrauchsrechnungen Änderungen am Verbrauchsverhalten erkennen zu können. Gleichzeitig erhalten Energieversorger wie die LSW alle relevanten Informationen zu Stromverbräuchen und zur Auslastung des Stromnetzes. Diese intelligente Netzsteuerung ermöglicht es der LSW flexible Verbrauchseinrichtungen und die Einspeisung zu steuern sowie kritische Netzzustände zu erkennen, um frühzeitig reagieren zu können. ht tps : / / w w w. s tadt w erke wolf s burg.de/ projekte/ smart-city Mit Ihrer Spende rettet ÄRZTE OHNE GRENZEN Leben: Mit 50 Euro ermöglichen Sie z. B. das sterile Material für fünf Geburten. Ohne dieses erleiden Frauen häufig lebensbedrohliche Infektionen. Private Spender*innen ermöglichen unsere unabhängige Hilfe - jede Spende macht uns stark! IRAK: Unsere jordanische Kinderärztin Tanya Haj-Hassan untersucht ein Neugeborenes in Mossul. © Peter Bräunig SPENDEN SIE GEBORGENHEIT FÜR SCHUTZLOSE MENSCHEN www.aerzte-ohne-grenzen.de/ spenden Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE 72 3702 0500 0009 7097 00 BIC: BFSWDE33XXX Bild 3 (links): Stefan Könnecke, LSW Netz GmbH & Co.KG, Bereichsleiter Allgemeine Technik. © Stadtwerke Wolfsburg AG/ H. Landmann Bild 4 (rechts): Sebastian Ackermann, WOBCOM GmbH, IT-Analyst und Projektverantwortlicher „WOB.smart“. © Stadtwerke Wolfsburg AG/ H. Landmann 29 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Car- und Bikesharing Schatteninseln zur CO₂- Reduzierung PV-Anlage auf Bibliotheksdach Neue Energiegenossenschaft Dach- und Fassadenbegrünung der Schule Norbert Rost Geschäftsführer futureprojects GmbH, ehem. Projektleiter Zukunftsstadt Dresden Kontakt: norbert.rost@futureprojects.de www.projektfabrik.info AUTOR Immer mehr Kommunen erstellen Energie- und Klimaschutzstrategien und beschreiben darin ihre Transformation zu postfossilen Städten und Regionen. Verwaltungsstrategien enden jedoch an den kommunalen Grundstücksgrenzen, wenn sie ohne Einbeziehung örtlicher Unternehmen, Vereine und der Bewohnerschaft gedacht werden - denn Städte sind viel größer als der direkte Verwaltungseinfluss reicht. Ohne Kooperation mit örtlichen Unternehmen und der Stadtgesellschaft ist eine ganzheitliche Transformation nicht umsetzbar. Kooperation mit Nichtverwaltungsakteuren In jede Klimaschutzstrategie muss daher die Kooperation mit Nichtverwaltungsakteuren eingedacht werden. Je breiter die Zahl und Vielfalt der Beteiligten, umso stärker das Wirkungspotenzial. Ein erfolgversprechender Ansatz ist, Energie- und Klimaschutzprojekte aus der Stadtgesellschaft in den Maßnahmenkatalog der Klimaschutzstrategie aufzunehmen. Wichtig ist dabei, dass nicht zahllose diffuse Ideen, sondern bestenfalls ausgearbeitete Projektvorhaben mit umsetzungswilligen Partnern auf den Tisch kommen. Aber wie organisiert man umsetzungs- und projektorientierte Beteiligung möglichst vieler Mitwirkungswilliger? Wie stimuliert man Selbstorganisation, damit die Verwaltung nicht (ungewollt) zum Flaschenhals der Transformation wird, sondern zum Ermöglicher? DIGITALE PROJEK T FABRIK : Beteiligung und Kollaboration bei Energie- und Klimaschutzstrategien Transformation analog und digital beschleunigen Zur beschleunigten Umsetzung städtischer Energie- und Klimaschutzstrategien braucht es die Kooperation zwischen Verwaltung, örtlichen Unternehmen und der Stadtgesellschaft. Wie organisiert man so etwas wirkungsvoll? Digitale Projektfabrik: Werkzeug zur Beteiligungsorganisation Die Digitale Projektfabrik erleichtert die Organisation solcher Prozesse: 1. Die Stadtverwaltung oder ein kommunaler Partner stellt mit der Digitalen Projektfabrik einen digitalen Kooperationsraum zur Verfügung, an dem 24/ 7 ortsunabhängig von vielen Akteuren gleichzeitig Projekte geplant und sichtbar gemacht werden können. 2. Beteiligung wird konsequent auf Projektebene gedacht: Strategieumsetzung als Bündel von Einzelprojekten. Es geht weniger darum, nur Ideen zu sammeln oder endlos zu diskutieren, sondern aus Ideen Projekte werden zu lassen, deren Umsetzung auf die Strategie einzahlt. 3. Unternehmen und Stadtgesellschaft werden eingeladen, eigene Projektvorhaben einzubringen, die sie selbst umsetzen - vielleicht mit der Stadtverwaltung als Partner. Statt Projekte „bei der Verwaltung abzuladen“ eröffnet die Verwaltung mit der Projektfabrik einen Raum, in welchem Beteiligte eigene Projektpläne entwickeln und diese dann umsetzen. Die Projektfabrik befähigt durch passgenaue Fragen und bürgerleichte Workflows. Entstehende Projektpläne sind als PDF exportierbar und können, zu Maßnahmenkatalogen gebündelt, bei Finanzierungspartnern eingereicht oder dem Stadtrat zur Abstimmung vorgelegt werden. 4. Der digitale Projektmarktplatz sorgt online für Transparenz über Projekte und die Bildung von Projektteams. Akteure mit ähnlichen Vorhaben erfinden das Rad nicht ständig neu, sondern schließen sich online zu Teams zusammen, um am gleichen Projekt zu arbeiten. 5. Die SDGs (17 Nachhaltigkeitsziele) und eine thematische Rahmung („Klimaschutz-Projekte für Musterstadt“) fungieren als Klammer über alle Projekte. Projektpläne lassen sich miteinander vergleichen, um jene mit bestem Aufwand-Wirkung-Verhältnis prioritär zu behandeln. Die Möglichkeit, Fördertöpfe zu integrieren, kann Anreize zu einer Teilnahme und Projektumsetzung geben. Die wirksame Organisation großer Kooperationsprozesse ist bislang eine Fehlstelle in der Umsetzung kommunaler Strategien. Ganzheitliche Transformation komplexer Systeme, wie Städte und Regionen sie darstellen, gelingt nur, wenn Wissen und Fähigkeiten vieler Akteure gezielt eingebunden werden. Dann allerdings sollte es möglich sein, die Transformation zu beschleunigen. Beschleunigung ist dringend nötig angesichts des spürbaren Klimawandels und der Fragilität des Energiesystems und der an ihm hängenden Systeme der Daseinsvorsorge (Mobilität, Ernährung, und anderes). Die Digitale Projektfabrik ist das aus den Dresdner Zukunftsstadt-Erfahrungen abgeleitete digitale Tool, mit dem solche Beteiligungsprozesse organisierbar werden. Digitale Vorstellung der Digitalen Projektfabrik: 5. Jan. 2023, 13 - 14 Uhr. Anmeldung, Informationen und Erklär-Videos: www.projektfabrik.info Advertorial 30 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Für die Digitalisierung öffentlicher Beleuchtungsanlagen sowie für die Datenerhebung nutzte das Fachplanungsbüro CL Design GmbH bis September 2021 Excel- Tabellen mit Geodaten und eine Kartensoftware. Da diese Lösung „Als Fachplanungsbüro für öffentliche Beleuchtung mit dem Kerngebiet Straßenbeleuchtung und Flutlichtanlagen sind wir unter anderem für die Digitalisierung dieser Anlagen sowie für die Datenerhebung und -pflege zuständig“, erläutert Lars Wulff, Geschäftsführer der CL Design GmbH. „Bis vor einigen Monaten haben wir dafür Excel-Tabellen mit Geodaten verwendet.“ Wegen des hohen Zeitaufwands und vieler Fehlerquellen entschied sich das Unternehmen stattdessen für die Software lux- Data.easy. Dabei handelt es sich um eine individuell anpassbare Webanwendung für die einfache, aber professionelle Verwaltung von Daten. „Wir haben die Software 2020 für Objekte in kleineren Kommunen entwickelt, da dort bei der Datenverwaltung in vielen Fällen nicht digital oder nur mit Excel gearbeitet wird“, so Armin Mühlberger, Geschäftsführer der sixData GmbH. Das Unternehmen hat bereits verschiedene Softwareprodukte für die Datenverwaltung im öffentlichen Bereich konzipiert. „Unser Hauptprodukt luxData.licht ist hinsichtlich Handhabung und Funktionsumfang eher für größere Städte und Energieversorgungsunternehmen geeignet. Deren Nutzer haben vielfältigere Anforderungen und sind mit der entsprechenden Personaldecke ausgestattet, um die Optionen des Programms voll zu nutzen.“ Auf Nachfrage mehrerer kleinerer Gemeinden und Betriebe entschied sich das Unternehmen, ein neues dafür passendes Programm zu entwickeln. Flexible Software „Diese Anwender benötigen eine flexible, intuitiv zu bedienende Lösung, mit der alle Anlagen dokumentiert, Störungen abgearbeitet und Wartungsmaßnahmen Digitalisierung der Datenverwaltung öffentlicher Anlagen App erlaubt Direkteingabe verschiedenster Objektdaten vor Ort Iris Gerhard 6 000 Leuchtstellen in 15 Werktagen: Intuitive Software beschleunigt die Erfassung von Straßenbeleuchtung und hilft das Leuchtverhalten energieschonender zu gestalten. wegen des Abgleichs von Daten aus verschiedenen Quellen relativ unübersichtlich und zeitaufwändig war, entschied sich das Unternehmen, auf das neue Programm luxData.easy der sixData GmbH umzustellen. Dabei handelt es sich um ein webbasiertes Portal, das eigens für die Datenverwaltung kleinerer Betriebe und Kommunen entwickelt wurde. Es kann unterschiedlichste Objekttypen darstellen; neben Punkt-Objekten wie Straßenbeleuchtungen und Lichtsignalanlagen auch Linien- und Flächen- Objekte wie Leitungen oder die WLAN-Abdeckung. Zudem kombiniert das Programm tabellarische und grafische Darstellungen so dass ein schneller Gesamtüberblick über alle Daten möglich ist. Die Software zeichnet sich durch eine einfache Implementierung und flexible Handhabung aus, die durch die luxData.easy- App für die Dateneingabe vor Ort unterstützt wird. Auf diese Weise ist es beispielsweise gelungen, in der Stadt Grevenbroich innerhalb von 15 Werktagen insgesamt 6 000 Leuchtstellen vollständig aufzunehmen. Dadurch lassen sich deutlich mehr Objekte pro Tag erfassen. Dank der Software zur effizienten Erfassung lässt sich das Beleuchtungsverhalten besser überwachen und so langfristig Energie sparen, indem die Leuchtstellen bedarfsgerechter arbeiten und gepflegt werden können. Bilder 1 und 2: Innerhalb von 15 Werktagen wurdn 6 000 Leuchtstellen auf dem Stadtgebiet von Grevenbroich komplett erfasst. © sixData GmbH 31 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie archiviert werden können“, so Mühlberger weiter. „luxData.easy wurde eigens dafür ausgelegt.“ Das webbasierte Portal ermöglicht eine besonders einfache Implementierung. Es erlaubt einen direkten Datenimport aus Excel und ist ähnlich wie das Microsoft- Programm strukturiert, nutzt jedoch zusätzlich eine visuelle Kartendarstellung, so dass tabellarische Ansichten und eine geografische Lokalisierung in der Karte parallel möglich sind. Praktisch ist zudem, dass die Anwendung zwischen drei verschiedenen Objekttypen unterscheidet. Sie erfasst bei Bedarf nicht nur unterschiedliche Punkt-Objekte von der Straßenbeleuchtung über Hydranten und Parkscheinautomaten bis zu Bushaltestellen, sondern auch Linien-Objekte wie Kabel, Leitungen und Fahrradwege sowie Flächen-Objekte. Zu letzteren gehört die WLAN- Abdeckung ebenso wie öffentliche Grünanlagen. Für den Anwender stehen diverse Filter und Selektionsmöglichkeiten bereit, so dass Anlagen nach einem Detail - etwa dem Standort oder dem Montagedatum - sortiert werden können. Hinzu kommen Statistikfunktionen für die Auswertung. Damit ist der Funktionsumfang deutlich höher als bei einer reinen Excel-Nutzung. Für die erleichterte Datenaufnahme bzw. -korrektur direkt vor Ort steht den Mitarbeitern zudem die luxData.easyApp zur Verfügung, für die lediglich ein mobiles Endgerät und eine App-Lizenz benötigt werden. Da luxData.easy cloudbasiert ist, kann ortsunabhängig auf das Programm zugegriffen werden. Durch die einfache Handhabung und die übersichtliche Darstellung der Anlagen beläuft sich der Einarbeitungsaufwand für die Mitarbeiter in der Regel auf weniger als eine Stunde. Verschiedene Benutzer können angelegt und mit unterschiedlichen Berechtigungen versehen werden. Darüber hinaus besteht seit Anfang 2022 die Option, das Portal stoerung24.de sowie die gleichnamige App anzubinden: „Über diese zwei Möglichkeiten kann der Bürger eine Störung, beispielsweise der Straßenbeleuchtung, melden. Die Meldung wird anschließend automatisch in luxData.easy angezeigt“, so Mühlberger. „Daraufhin kann der Innendienst diese Information über die luxData.easyApp an einen Monteur im Feld schicken, der die Leuchte repariert und den Vorgang in der App dokumentiert, was wiederum sofort in luxData.easy ersichtlich ist.“ Optimierung der Datenerfassung um 100 % pro Tag Das Fachplanungsbüro CL Design nutzt die Software seit Oktober 2021 für die Datenerhebung der öffentlichen Beleuchtung, zur Darstellung von Potenzialanalysen sowie von Sanierungs- und Masterplänen. Darüber hinaus assistiert das Programm bei der Systempflege, Wartung sowie der Bauüberwachung. Das Unternehmen schätzt die besondere Flexibilität der Software: „Die Filter und Klassifizierungsmöglichkeiten für die Darstellung verschiedener Systemeigenschaften sind sehr hilfreich“, so Wulff. „Wir profitieren insgesamt sehr stark von der Usability des Programms, denn die Datenverarbeitung ist für jeden verständlich sowie deutlich transparenter und schneller als unser vorheriges Verfahren.“ Auf diese Weise kann der Betrieb nun mit einem Techniker bis zu 290 Leuchtstellen am Tag mit vollständigen Datensätzen erfassen. Das entspricht einer Steigerung von 100 % im Vergleich zu früher. So war CL- Design mit Hilfe von lux- Data.easy beispielsweise in der Lage, innerhalb von 15 Werktagen 6 000 Leuchtstellen im Stadtgebiet von Grevenbroich vollständig zu erfassen. Durch die Möglichkeit, Datenfelder in der Software flexibel anzulegen, ließen sich bei der Datenerhebung auch grundlegende Informationen zur Lichtberechnung mit aufnehmen, darunter zum Beispiel die Straßengeometrie und der Lichtpunktüberhang. „Damit konnten wir die Beleuchtung der gesamten Stadt innerhalb weniger Wochen neu planen und bei 54 errechneten Leuchtkonfigurationen eine Energieeinsparung von über 75 % gegenüber dem aktuellen Bestand erzielen“, resümiert Wulff. „Mit luxData.easy sind wir daher durchweg sehr zufrieden.“ Weitere Informationen unter: www. sixdata.de/ produkte/ luxdata-easy Iris Gehard Freie Redakteurin für den ABOPR Pressedienst B.V. Kontakt: info@abopr.de AUTORIN Bilder 3 und 4: Für die erleichterte Datenaufnahme bzw. -korrektur mit der lux- Data.easy-App direkt vor Ort brauchen die Mitarbeiter lediglich ein mobiles Endgerät und eine App-Lizenz. © sixData GmbH 32 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Aufgrund der vielen positiven Eigenschaften von Dachbegrünungen setzen viele Städte auf Vorschriften, die den Anteil der begrünten Dächer maßgeblich erweitern sollen. Ebenso werden aber auch derzeit Photovoltaik- Anlagen vorgeschrieben. Also ein Zielkonflikt? In keinster Weise. So ist vielfach unbekannt, dass Gründächer in Kombination mit Solar-Anlagen eine deutliche Klimaverbesserung schaffen könnte. Denn: Gründächer erhöhen die energetische, wirtschaftliche und ökologische Funktionalität des Gebäudes und tragen zur Aufenthaltsqualität am und im Gebäude bei. Besonders in Bezug auf ihr Regenwassermanagement sind begrünte Gebäude ein wichtiger Bestandteil der Bauwelt geworden, da sie die Umweltauswirkungen des Gebäudes auf die Umgebung minimieren. Durch die zunehmende Flächenversiegelung wird der natürliche Kreislauf von Niederschlag, Gründach oder Solar-Dach? - Natürlich beides! Dachbegrünungen lassen sich hervorragend mit Photovoltaikanlagen kombinieren. Die Verknüpfung der beiden Systeme, wie beispielsweise beim Optigrün-Solargründach, birgt zahlreiche Vorteile, die wissenschaftlich untersucht und belegt wurden. Bild 1 und 2: Solargründach mit aufgebrachtem Substrat und anschließender Vegetation. © Optigrün international AG Abfluss und Verdunstung massiv gestört. Die negativen Folgen liegen auf der Hand: Urbane Hitzeinseln und urbane Sturzfluten. Verdichtetes Bauen und versiegelte Flächen verwandeln Städte in Wärmespeicher, da der kühlende Effekt durch die Verdunstung entfällt. So sind auch in unseren Breitengraden im Sommer immer mehr Hitzetote zu beklagen. Zusätzlich verursachen urbane Hitzeinseln Starkregenereignisse, deren Wassermassen die Kanalisation nicht mehr aufnehmen kann, was wiederum zu Überflutungen führt. Gleichzeitig bieten Dachflächen aber auch Raum für den Ausbau der erneuerbaren Energien. PV-Anlagen für die Stromerzeugung sind für viele Investoren durch die Einspeisung in das öffentliche Netz wirtschaftlich interessant. Der Wirkungsgrad bei der Energiegewinnung kann durch eine Dachbegrünung noch erhöht werden. Denn der Wirkungsgrad von Solarmodulen nimmt mit zunehmender Temperatur ab. Durch die Verdunstungskälte der Dachbegrünung steigt die Temperatur der Module langsamer und der Wirkungsgrad fällt höher aus. Multifunktionalität ist das neue Ziel der Stadtplanung Im Rahmen der Weiterentwicklung von Maßnahmen zum Klimaschutz sind derzeit aber nicht nur auf der Seite der Hersteller zahlreiche Entwicklungen zu beobachten. Auch Kommunen und Länder entwickeln neue Konzepte, um die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern. So entstehen derzeit zahlreiche Vorschriften, die den Anteil der begrünten Dächer maßgeblich erweitern sollen. In Kombination mit Solar-Anlagen könnte eine deutliche Klimaverbesserung geschaffen werden. So hat beispielsweise die grün-schwarze Regierung Baden-Württembergs am 14. Oktober vergangenen Jahres eine Erweiterung des Gesetzes zum Klimaschutz beschlossen. Diese Novellierung besagt, dass ab 2022 beim Neubau von Nichtwohngebäuden auf der für eine Solarnutzung geeigneten Dachflächen eine Photovoltaikanlage 33 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie zur Stromerzeugung zu installieren ist, wenn der Antrag auf Baugenehmigung ab dem 1. Januar 2022 bei der zuständigen unteren Baurechtsbehörde eingeht. Baden-Württemberg ist hierbei Vorreiter in Deutschland, andere Bundesländer wollen nachziehen. Auch die Kommunen setzen sich mit dem Thema Klimaschutz verstärkt auseinander. Die Stadt Heidelberg beispielsweise, hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden. Die Installation von PV-Anlagen ist hierbei ein wesentlicher Bestandteil der Überlegungen. Deshalb werden künftig alle städtischen Neubauten in Heidelberg mit PV-Anlagen ausgestattet werden. In Hamburg wird ebenfalls eine Solarpflicht kommen. Bereits 2019 legten Grüne und SPD im Senat eine Änderung des Klimaschutzgesetzes vor, die eine Solarpflicht ab 2023 vorsieht. Der Berliner Senat strebt künftig eine Verpflichtung zur Installation von Solaranlagen an. Denn obwohl es in Berlin bereits Förderprogramme für PV-Anlagen gibt, werden derzeit nur 2,4 % des Potenzials genutzt. In vielen anderen Kommunen gibt es ähnliche Überlegungen. Innovative Lösungen für Solargründächer Mit zwei neuen Systemlösungen für Solaraufständerungen setzt Optigrün im Bereich Dachbegrünung abermals neue Maßstäbe. Die Systemlösung Optigrün- Solar ist eine auflastgehaltene Solaraufständerung, die durch den Gründachaufbau lage- und windsogsicher fixiert wird. Somit ist keine Durchdringung des Daches notwendig, was wiederum Schäden an der Dachhaut vermeidet. Angeboten wird das System in zwei verschiedenen Ausführungen: Optigrün-Solar FKD und Optigrün-Solar WRB. Beide Systeme bestehen aus einer Aluminium-Bodengrundplatte, auf die das Drän- und Wasserspeicherelement bzw. die Wasser-Retentionsbox gelegt wird. Als Modulträger verwendete Bügel werden in die Stützen der Bodenplatte eingeschoben und verschraubt. Mithilfe von Modulschnellmontageschienen werden die einzelnen Elemente verbunden. Die Ballastierung der Solaraufständerung erfolgt danach mit Substrat. Für jede Anforderung die passende Lösung Optigrün-Solar FKD wird in Kombination mit dem bereits praxiserprobten Systemaufbau SPAR- DACH eingesetzt. Das seit Jahren bewährte Drän- und Wasserspeicherelement FKD 25 wird hierzu mit der Solar FKD-Aufständerung kombiniert. Das Ergebnis: ein großzügiger Wasserspeicher mit zuverlässiger Ableitung von Überschusswasser. In Verbindung mit dem Filtervlies FIL 150 wird eine gleichmäßige Wasserverteilung erreicht, die eine optimale Bewässerung der Vegetation unter den PV-Modulen gewährleistet. Im System Optigrün-Solar WRB wird die bereits vielfach bewährte Wasser-Retentionsbox WRB- 80F mit der Solar WRB-Aufständerung kombiniert. Somit können auch Retentionsdächer, die einen besonderen Wasserrückhalt ermöglichen, einfach und sicher mit einer Photovoltaikanalage kombiniert werden. Dadurch kommen nicht nur die Vorteile einer PV-Anlage zum Tragen, sondern der Erhalt des natürlichen Wasserhaushaltes wird durch die Steigerung der Verdunstung gewährleistet. Ein weiteres Plus: Solargründächer als Eingriffsminderungsmaßnahme im Rahmen der Eingrif f s- Ausgleichs- Regelung erfüllen die Anforderungen der FLL-Dachbegrünungsrichtlinien. Infos: https: / / www.optigruen.de Bilder 3 und 4: Solargründächer auf Wohnbebauung und auf Gewerbebauten. © Optigrün international AG 34 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie Bürgerschaftliches Engagement und Aktivierungspotenziale für klimaresiliente Städte Das Beispiel der Solar- und Gründachbörse in Halle (Saale) Klimaschutz, Klimafolgenanpassung, Bürgerbeteiligung, Solar- und Gründachbörse, Energiewende Olga Izdebska, Jörg Knieling, Sabine Falk, Fatma Cetin Die Städte sind besonders stark von den Folgen des Klimawandels, wie Starkregen, Trockenheit oder Hitzewellen, betroffen, die zugleich immer häufiger und intensiver auftreten. Die meisten Kommunen haben die Notwendigkeit zur Erhöhung ihrer Klimaresilienz erkannt und wollen diese aktiv durch Klimaschutz und Klimaanpassung steigern. Zum Klimaschutz trägt maßgeblich die Energiewende und dabei die Erhöhung des Anteils an erneuerbaren Energien (EE) bei. Für die Klimaanpassung ist das Stadtgrün für Wasseraufnahme und Kühlung besonders wertvoll. Auf dem Weg zur Klimaresilienz kommt den Bürger*innen eine Schlüsselrolle zu. In diesem Beitrag wird als innovativer Ansatz die Solar- und Gründachbörse aus der Stadt Halle (Saale) vorgestellt, die im Rahmen des Projektes SMARTilience 1 mit und für Bürger*innen entwickelt wird, um den Solarsowie Gründachanteil der Stadt zu erhöhen, Bürger*innen selbst zum Handeln zu bringen, Wissenslücken zu schließen sowie Angebot und Nachfrage zusammenzuführen. 1 Im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekts SMARTilience (2019 - 2022) wurde ein integriertes sozio-technisches Steuerungsmodell für eine klimaresiliente Stadtentwicklung konzipiert und in den Reallaboren Halle (Saale) und Mannheim angewendet. 2022 startete das ebenfalls vom BMBF geförderte Folgeprojekt SMARTilienceGoesLive, das sich auf die Umsetzung von Maßnahmen in den Städten Halle (Saale) und Mannheim bezieht sowie auf die Weiterentwicklung der SMARTilience-Urban Governance-Toolbox - einem Online-Wissensangebot für klimaresiliente Stadtentwicklung. © lapping auf Pixabay 35 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie Der Klimawandel ist weltweit messbar und seine Folgen sind zunehmend spürbar [1]. Auch Deutschland ist von den globalen Veränderungen betroffen. Die Anzahl heißer Tage 2 hat sich in Deutschland seit den 1950er-Jahren von etwa drei Tagen auf derzeit durchschnittlich neun Tage pro Jahr verdreifacht [2]. Auch die Wahrscheinlichkeit, dass es zu extremen Regenfällen kommt, hat durch den Klimawandel um das 1,2bis 9-fache zugenommen und die Intensität dieser extremen Niederschläge ist zwischen 3 % und 19 % gestiegen [2]. Diverse politische Strategien, wie die „Deutsche Anpassungsstrategie“ auf Bundesebene oder verschiedene Strategien und Konzepte auf kommunaler Ebene umfassen Maßnahmen, mit denen die verschiedenen Herausforderungen anzugehen sind. Dabei stellt die Kombination von Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen eine besondere Anforderung dar, da sie Vorteile für beide Ziele verspricht. Photovoltaikanlagen (PV-Anlagen) und die Dachbegrünung gehören zu wichtigen Technologien des Klimaschutzes und der Klimafolgenanpassung und lassen sich zudem miteinander koppeln [3]. Die Begrünung von Gebäudedächern dient dem Regenwasserrückhalt, einem verbesserten Mikroklima und der Energiebilanz von Gebäuden [4, 5]. Die energetische Bilanz eines begrünten Gebäudes fällt besser aus, da die Begrünung vor sommerlicher Überhitzung schützt und durch die Verdunstungskühlung Energie eingespart werden kann [3]. So werden zum einen Abwasserkosten vermindert und zum anderen wird Überschwemmungen vorgebeugt [6]. Als weiterer Beitrag zum Klimaschutz werden in Gründächern Treibhausgase und Staub gespeichert [6]. Außerdem bieten sie Lebensraum für Flora und Fauna. Während Gebäudebegrünung folglich primär der Klimafolgenanpassung zuzuordnen ist, liefern PV-Anlagen einen direkten Beitrag zur Energiewende. Sie ermöglichen Energieproduktion auf Grundlage der Sonneneinstrahlung, ohne dass Treibhausgase ausgestoßen werden. Da die Bundesregierung plant, den Energiebedarf bis 2035 vollständig aus erneuerbaren Energien zu decken, sind PV-Anlagen ein maßgebliches Element der Energiewende [7]. Solar- und Gründächer in deutschen Städten Seit 2018 lässt sich ein Aufwärtstrend bei der Neuinstallation von PV-Anlagen durch private Haushalte beobachten. Im Jahr 2020 befanden sich schätzungsweise 1,3 Mio. PV-Anlagen auf Ein- und Zweifamilienhäusern, was einem Anteil von 3,6 % aller Haushalte deutschlandweit entspricht [8]. Die Installation von 2 Tagesmaximum der Lufttemperatur mindestens 30 °C. PV-Anlagen wird unter anderem durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG 2021) auf Bundesebene gefördert, das die Vergütung der Einspeisung des produzierten Stroms in das öffentliche Netz regelt [9]. Trotz dieses positiven Trends besteht noch viel ungenutztes Potenzial, da 89 % der Ein- und Zweifamilienhäuser, die für eine PV-Anlage geeignet wären, also etwa 11,7 Mio. Häuser, noch über keine PV- Anlage verfügen [8]. In Bezug auf den Status Quo der Gründächer in Deutschland zeigt sich, dass bisher eher öffentliche Gebäude im Mittelpunkt stehen. Beispielweise schreibt eine Strategie der Bundesregierung vor, dass Bundesgebäude bei Sanierung oder Neuerrichtung begrünt werden sollen [5]. Als erste deutsche Großstadt initiierte Hamburg eine Gründachstrategie, sodass Grundeigentümer*innen für Neubauten und Bestandsgebäude Zuschüsse für Gründächer beantragen können [10]. Viele Kommunen fördern private Eigentümer*innen, den eigenen Carport, die Garage oder das Dach zu begrünen, was außerdem in manchen Bebauungsplänen verankert ist [4]. Dank der verschiedenen Förderungsmöglichkeiten sind im Jahr 2019 etwa 7 200 000 m 2 Gründachflächen dazu gekommen und es ist ein Wachstum von über 7 % begrünter Dächer jährlich zu beobachten [6]. Im Verhältnis zu schätzungsweise 80 000 000 m 2 neu entstandener Flachdachfläche sind dies allerdings nur 9 %, so dass weiterhin 91 % der Flachdachflächen unbegrünt sind [6]. Bei den Dächern deutscher Städte und Gemeinden, vor allem auf denen von Privathäusern, befindet sich demgemäß viel ungenutztes Potenzial, um den Herausforderungen des Klimawandels, der Energiewende und der städtischen Flächenkonkurrenz gerecht zu werden [8]. Bürgerschaftliches Engagement und Aktivierungspotenziale in der Energiewende Die Bürger*innen haben in verschiedenen Bereichen die Möglichkeit, Teilprozesse der Energiewende zu beeinflussen [11, 12]. Erstens weil sie Energieverbraucher*innen sind: Privathaushalte tragen zu einem großen Anteil zum gesamtgesellschaftlichen Energieverbrauch und den damit verbundenen klimarelevanten Emissionen bei [13]. Im Vergleich mit den Sektoren Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen sowie Verkehr sind die Privathaushalte der größte Energieverbraucher [13]. Zweitens können Bürger*innen als Energieproduzent*innen und Investor*innen sowohl durch Investitionen in erneuerbare Energien als auch durch strategische Maßnahmen zur 36 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie Bild 1: Mockups Solar- und Gründachbörse. © Geoplex, Mai 2022 Erhöhung der Energieeffizienz (Gebäudesanierung) agieren. Fast ein Drittel der in 2019 installierter Leistung zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien in Deutschland befindet sich im Eigentum von Privatpersonen [13]. Schließlich können Bürger*innen durch Einbindung in formelle und informelle Beteiligungsverfahren (zum Beispiel: öffentliche Planungsprozesse) sowie durch eigenes proaktives Engagement (zum Beispiel: bei der Entwicklung lokaler oder regionaler Energiekonzepte) als politische Akteure agieren [14]. Durch eine frühzeitige Einbindung von relevanten Akteuren - inklusive der Bürgerschaft - können potenzielle Konfliktpunkte und Bedenken gegenüber geplanten Projekten oder Energiekonzepten rechtzeitig erkannt und berücksichtigt werden. Somit können nicht nur verbesserte und an die Bedingungen vor Ort angepasste Planungsergebnisse erzielt, sondern auch die Transparenz und Akzeptanz für die durchgeführten Projekte erhöht werden [14]. Solar- und Gründachbörse der Stadt Halle (Saale) Im Rahmen des BMBF-Forschungsprojektes SMAR- Tilience wird in der Stadt Halle (Saale) eine Solar- und Gründachbörse entwickelt, die ein innovatives Instrument bietet, um Bürger*innen bei der Umsetzung der Energiewende auf kommunaler Ebene aktiv einzubinden. Der Umsetzungsprozess wird von der HafenCity Universität Hamburg und der Universität Stuttgart begleitet. Ziel von SMAR- Tilience ist es, kommunale Entscheidungs- und Handlungsträger*innen bei der Umsetzung einer klimaresilienten Stadtentwicklung zu unterstützen. In der ersten Projektphase von SMARTilience lag der Schwerpunkt des Reallabors Halle (Saale) auf der Nutzung von Geodaten, um prioritäre Handlungsbedarfe in Klimaschutz und Klimafolgenanpassung zu identifizieren. Dazu wurde unter anderem ein Solarpotenzialkataster für die Stadt entwickelt. In Veranstaltungen und Realexperimenten mit Bürger*innen und lokalen Akteur*innen kristallisierte sich zudem ein zunehmend hohes Interesse an einer grünen und perspektivisch klimaneutralen Stadtentwicklung heraus. In der Praxis fehlt es allerdings oft an den verfügbaren Flächen: Viele Dacheigentümer*innen haben die Themen Klimaschutz und Klimafolgenanpassung noch nicht umgesetzt, oft aus finanziellen Gründen oder aufgrund mangelnder Information. Somit wurde klar, dass ein Austausch zwischen den an der Energiewende Interessierten mit den Eigentümer*innen von geeigneten Gebäuden notwendig wäre. Daraus entstand die Überlegung, in Halle (Saale) eine Solar- und Gründachbörse aufzubauen. Dabei ergibt besonders die Mehrfachnutzung der Dächer durch die Verbindung von Solarenergie und Gründach Sinn, da sich die beiden Technologien gegenseitig unterstützen. Die Betriebstemperatur der PV-Anlage wird durch die Verdunstungskühlung der Begrünung - und aufgrund erhöhter Albedo im Vergleich zum Schwarzdach - gesenkt, was den Wirkungsgrad der Anlage steigert (höhere Energieeffizienz) [3]. Andererseits profitieren Flora und Fauna des Gründachs von der Verschattung durch die PV- Module [15]. Im Zuge der Anschlussfinanzierung von SMAR- Tilience (ab Februar 2022) ergab sich für die Stadt 37 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie Bild 2: Mockups Solar- und Gründachbörse. © Geoplex, Mai 2022 Halle (Saale) die Gelegenheit, eine Solar- und Gründachbörse zu entwickeln und in das bestehende Solarkataster zu integrieren. Diese zielt darauf ab, die Anzahl der Solar- und Gründachflächen für den Klimaschutz und die Klimafolgenanpassung zu erhöhen, das Lokalklima zu verbessern und die Klimaschutzziele der Stadt schneller zu erreichen. Dies gelingt, indem Dacheigentümer*innen mit privaten oder institutionellen Investoren in der „Solar- und Gründachbörse“ zusammengebracht werden. Um ein Gebäude zur Pacht anzubieten, können interessierte Verpächter per Klick auf „Dach verpachten“ direkt über das Abfragefenster des Solar- und Gründachkatasters das eigene Hausdach zur Pacht anbieten. Gleichzeitig können an der Pacht eines Daches interessierte Anwender*innen auf der Solar- und Gründachbörse Gesuche einstellen. Zudem bietet die Börse eine Plattform, auf der die Bürger*innen alle nötigen Informationen finden können, um sich für ein Solarund/ oder Gründach zu entscheiden, und die Möglichkeit, eigene Flächen zur Pacht zur Verfügung zu stellen (als Eigentümer*in) oder auch Projekte zu unterstützen sowie geeignete Dachflächen zu suchen (als Investor*in). Für die technische Entwicklung vom einem reinen Solardachkataster hin zu einem Solar- und Gründachkataster mit Solar- und Gründachbörse wurde von der Stadt ein in der Entwicklung von Geoinfrastrukturen spezialisiertes Büro beauftragt. Zusätzlich wird die Erarbeitung der Börse durch zahlreiche Workshops und Informationsveranstaltungen im Zeitraum Herbst 2022 bis Winter 2023 begleitet, um die Stadtgesellschaft partizipativ in den Prozess mit einzubinden, und im Jahr 2023 ein anwenderfreundliches Produkt zu erhalten. In diesem Entwicklungsprozess arbeitet die Stadt mit verschiedenen Akteursgruppen zusammen, unter anderem wurde im September 2022 im Rahmen eines Innovations-Camps gezielt nach Lösungen gesucht, wie insbesondere der Gründachanteil in der Altstadt beispielsweise durch Anreize oder Kooperationen erhöht werden kann. Die Solar- und Gründachbörse soll helfen, das bisher ungenutzte Potenzial an solargeeigneten Dachflächen in Halle (Saale) zu nutzen. Laut Klimaschutzkonzept der Stadt eignen sich noch rund 9 % der Gebäudeflächen und Freiflächen für eine solare Nutzung [16]. Für die Stadt ergäbe sich daraus ein Potenzial von 512 Hektar solar-geeigneter Dachflächen, was etwa einem Viertel des gesamten Endenergieverbrauchs aus 2020 entspricht. Zur weiteren Förderung von PV-Anlagen wird derzeit von der Staatskanzlei und dem Ministerium für Kultur von Sachsen-Anhalt ein Erlass an die Denkmalschutzbehörden vorbereitet, wonach Kulturdenkmale für Solaranlagen grundsätzlich geöffnet werden sollen. Darüber hinaus möchte die Stadt auch ihren Gründachanteil erhöhen und bietet zu diesem Zweck seit 2021 eine Förderung zur Begrünung von Bauwerken für private Eigentümer an. Der Erfolg der Solar- und Gründachbörse der Stadt Halle (Saale) wird im besonderen Maß von dem Engagement und der Nachfrage der Bürger*innen abhängen. Im Rahmen des SMARTilience-Projekts hat die HafenCity Universität Hamburg Interviews mit Akteur*innen durchgeführt, die bei der Umsetzung der Solar- und Gründachbörse einbezogen sind. Laut der Befragten ist bei der Umsetzung darauf 38 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie zu achten, dass alle relevanten Akteure (inklusive Bürger*innen) von Anfang an beteiligt werden, um die Benutzerfreudlichkeit der Webseite zu garantieren und Akzeptanz für die Plattform zu schaffen. Die Akteursgewinnung wird dabei positiv von sehr gutem Netzwerkwissen und einer engagierten Netzwerkarbeit im Vorfeld beeinflusst. Fördernd ist auch die direkte Ansprache der Akteur*innen sowie eine klare Formulierung des Mehrwertes durch die Mitwirkung für die Teilnehmenden. Darüber hinaus ist für die erfolgreiche Umsetzung entscheidend, dass es eine*n Kümmerer*in gibt, die Aufgaben der an der Umsetzung beteiligten Akteuren klar definiert sind und ein Kommunikationsmodus erarbeitet wird, der für alle Beteiligten passend ist. In den Interviews wurden auch mögliche Herausforderungen für die Umsetzung der Solar- und Gründachbörse genannt. Dazu gehört vor allem, dass die Plattform so aufgebaut ist, dass sie von den Akteur*innen (inklusive Bürger*innen) aktiv und langfristig genutzt werden kann. Zudem wird es wichtig sein, gezielt Anreize für die Investition in Gründächer zu schaffen. Ausblick In Betracht der Herausforderungen des Klimawandels, die Versorgung von Städten auf erneuerbare Energie umzustellen und sie an den Klimawandel anzupassen, sowie der steigenden Flächenkonkurrenz in den Städten bietet die Mehrfachnutzung von Dächern für PV und für Dachbegrünung einen geeigneten Lösungsansatz. Diese Verbindung von Gründach und PV-Anlage hat zuletzt unter den Bezeichnungen „Solargündach“ oder „PV-Gründach“ zunehmend mehr Aufmerksamkeit erfahren. Mehrere Städte und Gemeinden in Deutschland haben bereits Solarund/ oder Gründachkataster eingeführt, um die Potenzialflächen für Grün- oder Solardächer zu identifieren [17]. Einige Städte bieten eigene Förderungsprogramme für das Solar-Gründach, etwa die Förderung „SolarGrünDach“ in Hannover. Baden-Württemberg, Berlin und Hamburg verfügen als Bundesländer über Förderprogramme zur Installation von Solar-Gründächern. Diverse Städte informieren mit speziellen Broschüren, die explizit auf die Vorteile der Solar-Gründach-Kombination hinweisen. Der Trend zu Solar-Gründächern scheint sich also weiter zu verstärken und die Thematik erlangt stetig mehr Beachtung. Das Instrument der Börse gibt es im deutschen Kontext bisher allerdings nur für Solardächer (zum Beispiel: Solardachbörse Berlin, Solar- und Freiflächenbörse Stuttgart, Solardachbörse-BaWü), so dass die Solar- und Gründachbörse in Halle (Saale) eine Weiterentwicklung darstellt. Im Rahmen der Begleitforschung des Projektes SMARTilience wird der Umsetzungsprozess der Solar- und Gründachbörse ausgewertet und die Erkenntnisse werden in die Urban Governance- Toolbox 3 für Klimaschutz und Klimaanpassung einfließen. Durch die Toolbox stehen die Handlungsansätze und Instrumente einer breiten Öffentlichkeit in Städten und Gemeinden zur Verfügung, um so zur Klimaresilienz auf der kommunalen Ebene beizutragen. LITERATUR [1] IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change): Climate Change 2022: Impacts, Adaptation and Vulnerability. Contribution of Working Group II to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Cambridge University Press. 3 Verfügbar unter: https: / / klimawerkzeugkasten.smartilience.de/ Bild 3 (oben) und Bild 4 (unten): Erarbeitung von Lösungsansätzen für die Solar- und Gründachbörse im Rahmen eines Innovations- Camps der Stadt Halle (Saale) vom 20.09.22. © Univations 39 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie [2] Deutscher Wetterdienst und ExtremWetterKongress: ExtremWetterKongress 2020 in Hamburg Faktenpapier, Hamburg, 2020. [3] Brune, M., Bender, S., Groth, M.: Gebäudebegrünung und Klimawandel Anpassung an die Folgen des Klimawandels durch klimawandeltaugliche Begrünung (Report 30). Climate Service Center Germany, Hamburg, 2017 [4] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUV): Weißbuch Stadtgrün Grün in der Stadt - Für eine lebenswerte Zukunft, Berlin, 2017. [5] Umweltbundesamt (UBA): BAU-R-2: Dachbegrünung von Bundesgebäuden, Berlin, 2019. [6] Mann, G., Wolff, F., Gohlke, R.: BuGG-Marktreport Gebäudegrün 2020 Dach-, Fassaden- und Innenraumbegrünung Deutschland. Bundesverband Gebäude- Grün e. V., Berlin, 2020. [7] Wirth, H.: Aktuelle Fakten zur Photovoltaik in Deutschland. Freiburg. Fraunhofer ISE, Freiburg, 2022. [8] Ammon, M., Bruns, T.: Paragraph 49 EEG als Barriere der dezentralen Energiewende, Strategiepapier, EUPD Research Sustainable Management GmbH, 2021. [9] Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWi): Das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Berlin, 2022. [10] Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft Hamburg (BUKEA): Gründachstrategie Hamburg. Es wird grün auf Hamburgs Dächern, Hamburg. [11] Kress-Ludwig, M.: Über bürgerschaftliches Engagement in der Energiewende - Rollen, Handlungsmöglichkeiten, Einstellungen und Motive von Bürger*innen im regionalen Ausbau erneuerbarer Energien. Freiburg, 2019. [12] Erler, G.: Baden-Württemberg auf dem Weg zu einer dynamischen Mitmachdemokratie. In: Sommer, J. (Hrsg.): Kursbuch Bürgerbeteiligung 2, Verlag der Deutschen Umweltstiftung | bipar, Berlin, 2017. [13] Umweltbundesamt (UBA): Energieverbrauch nach Energieträgern und Sektoren, Berlin, 2022. [14] Keppler, D.: Bürger gestalten die Energiewende, 2017. https: / / www.bipar.de/ buerger-gestalten-die-energiewende [15] Schindler, B. Y., Blaustein, L., Lotan, R., Shalom, H., Kadas, G. J., Seifan, M.: Green roof and photovoltaic panel integration: Effects on plant and arthropod diversity and electricity production. Journal of Environmental Management, 225, (2018) S. 288 - 299. [16] Stadt Halle (Saale) : Integriertes Kommunales Klimaschutzkonzept der Stadt Halle (Saale) Fortschreibung 2018, Halle, 2019. [17] Reimann, K.: Solarkataster - Atlas zur Ermittlung des Solarpotentials, 2021. https: / / solarenergie.de/ hintergrundwissen/ solarenergie-nutzen/ solarkataster All you can read Alles zusammen zum Superpreis: Die Papierausgabe in hochwertigem Druck, das ePaper zum Blättern am Bildschirm und auf dem Smartphone, dazu alle bisher erschienenen Ausgaben im elektronischen Archiv - so haben Sie Ihre Fachzeitschrift für den urbanen Wandel immer und überall griffbereit. AboPlus: Print + ePaper + Archiv www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren w Olga Izdebska, M.Sc. Fachgebiet Stadtplanung und Regionalentwicklung HafenCity Universität Hamburg Kontakt: olga.izdebska@hcu-hamburg.de Prof. Dr.-Ing. Jörg Knieling Leiter des Fachgebiets Stadtplanung und Regionalentwicklung HafenCity Universität Hamburg Kontakt: joerg.knieling@hcu-hamburg.de Sabine Falk, M.Sc. Dienstleistungszentrum Klimaschutz Stadt Halle (Saale) Kontakt: sabine.falk@halle.de Fatma Cetin, M.A. Institut für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement IAT Universität Stuttgart Kontakt: fatma.cetin@iat.uni-stuttgart.de AUTOR*INNEN 40 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie Mit Kühlung das Klima aufheizen In den heißen Sommern der letzten Jahre ist der Absatz von Klimaanlagen deutlich gestiegen. Wachsende Komfortwünsche und eine zunehmende Anzahl von Sommertagen (Lufttemperatur über 25 °C), heißen Tagen (über 30 °C) und tropischen Nächten (über 20 °C) führen schon jetzt zu einem steigenden Interesse an Kühltechniken. Bei Büro- und Verwaltungsgebäuden geht das Umweltbundesamt davon aus, dass fast die Hälfte der Gebäude über Techniken zur Klimatisierung verfügt [1]. Trotz aller Bemühungen um Energieffizienz wird hier für das Jahr 2030 mit einer Verdoppelung der CO 2 -Emissionen gerechnet. Im Wohnsektor spielen Kühlbedarfe bislang nur eine marginale Rolle, in sehr energieeffizienten Neubauten liegen diese aber bereits über den Heizbedarfen. Insgesamt wird auch bei Nichtwohngebäuden von einer Zunahme der CO 2 -Emissionen durch Kühlung um 25 % ausgegangen [1]. Jenseits der Gebäudegrenze Klimaanpassung im Freiraum als Baustein einer suffizienten Stadtgestaltung Klimaanpassung, naturbasierte Lösungen/ nature based solutions, Suffizienz, Gebäudekühlung Sandra Sieber Gebäude stehen nicht im luftleeren Raum, sie beeinflussen ihr Umfeld durch Verschattung, Versiegelung oder Abwärme, aber auch das Umfeld wirkt auf sie ein. Insbesondere bei Bestandsgebäuden mit schlechten energetischen Standards können die Heizaber insbesondere die Kühlbedarfe durch das Umfeld mitbestimmt werden. Die Gestaltung von urbanen Freiräumen kann in Form von „naturbasierten Lösungen“ (nature based solutions) ein Baustein in suffizienten Energiekonzepten sein. Sie verbindet im Idealfall Energieeinsparung, Klimaanpassung und Aufenthaltsqualität. Bild 1: Alnatura Campus. © Alnatura, Lars Gruber 41 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie Konventionelle Kühltechniken verschärfen dabei eher die sich abzeichnenden klimatischen Probleme: Sie stellen Kälte bereit, produzieren aber Abwärme und heizen damit die Umgebung weiter auf. Dazu kommen die Strombedarfe mit ihren jeweiligen CO 2 - Emissionen sowie die Emissionen von bestimmten Kältemitteln (HFKW), die ebenfalls zum Klimawandel beitragen. Das Umweltbundesamt geht hier für das Jahr 2016 von einem CO 2 -Äquivalent von etwa 10-Mio. Tonnen aus [1]. Technische Ansätze, wie die Verwendung anderer Kältemittel, die Nutzung von Abwärme zur Kälteerzeugung oder der Einsatz adiabater Kühlsysteme (auf der Basis von Verdunstungskälte), versuchen daher weniger klimaschädliche Optionen der Gebäudeklimatisierung bereitzustellen. Bei Bestandsgebäuden im Wohnsektor bietet auch das angepasste Verhalten der Bewohnenden ein großes Potenzial zur Reduktion der sommerlichen Hitzebelastung, ganz ohne technische Aufrüstung [2]. Gebäude stehen nicht im luftleeren Raum Als Ursache für die Kühlbedarfe der Büro- und Verwaltungsgebäude nennt das Umweltbundesamt dezidiert bauliche Aspekte: Ein (zu) hoher Anteil verglaster Flächen und fehlende bzw. unzureichende Verschattung [1]. Auch hier gibt es architektonische „Lowtech“-Ansätze (wie zum Beispiel das „Bürohaus 2226“ oder der „Alnatura Campus“ (Bild 1)), deren Ziel es ist, durch Ausnutzung der thermischen Masse sowie einer geschickten Verschattung und Besonnung ganzjährig ein angenehmes Raumklima bereitstellen. Der „Alnatura Campus“ nutzt zusätzlich Zuluft, die mit Hilfe eines Erdkanals vorkonditioniert wird. Solche Ansätze verdeutlichen eine letztlich banale Tatsache: Gebäude stehen nicht im luftleeren Raum, sie interagieren mit ihrer Umgebung, werden durch diese beeinflusst und beeinflussen diese. Egal wie energieeffizient eine Kühltechnik ist, Umgebungs- und Innenraumtemperatur bleiben zwei entscheidende Einflussfaktoren, die sich immer auf Kühl- und damit Energiebedarfe auswirken. Im Zuge des Klimawandels wird sich das immer deutlicher zeigen: Für Städte, wie das bereits jetzt schon „warme“ Mainz ( Jahresdurchschnittstemperatur 10 °C, rund 44 Sommertage und 9,5 heiße Tage pro Jahr), wird beispielsweise bei fehlenden oder mäßigen Klimaschutzmaßnahmen mit einer Erhöhung der Jahrestemperatur um bis zu drei Grad für den Zeitraum 2035 bis 2065 gerechnet, verbunden mit bis zu 45 zusätzlichen Sommertagen und 30 zusätzlichen heißen Tagen, plus Zunahme der tropischen Nächte. Auch mit ambitionierten Klimaschutzmaßnahmen gehen die Prognosen für den Zeitraum 2035 bis 2065 von bis zu 27 bzw. 12 zusätzlichen Sommer- und heißen Tagen aus [3]. Damit erhöht sich der Zeitraum im Jahr mit Kühlbedarfen im ungünstigsten Fall dramatisch, bestehende und heute errichtete Gebäude werden „dagegen ankühlen“ müssen, wenn Arbeitsstätten, egal ob Büro- oder Gewerbenutzung, nutzbar bleiben sollen. Naturbasierte Lösungen nutzen Vor diesem Hintergrund gewinnt das „Stadtgrün“, also private und öffentliche Vegetationsflächen in einer Stadt, als Baustein zur Klimaanpassung an Bedeutung. Die stadtklimatische Wirkung von Stadtgrün ist gut erforscht (ein Klassiker ist zum Beispiel die städtebauliche Klimafibel [4]) und zeigt sich klar in der urbanen Hitzeinselverteilung: Die städtische Überwärmung ist da am höchsten, wo die geringste Verdunstungskälte und Verschattungskühle bereitgestellt werden und gleichzeitig die größten baulichen Speichermassen gegeben sind. In durchgrünten Wohnbebauungen mit niedriger Versiegelung ist der Wärmeinseleffekt immer am geringsten max. 90°C max. 90°C Überhitzung des ganzen Stadtgebietes + 2 K bzw. °C Stadtrand / geringe Versiegelung Stadtzentrum / hohe Versiegelung (+ 10 bis über 12 K bzw. °C ) (+3 bis 9 K bzw. °C ) max. 90°C max. 50°C Verdunstung - 30 bis - 60 % Innenstadt bis zu 100 % Gewerbe ca. 80-90 % Park fast 0 % ca. 35 % ca. 25-30 % Bild 2: Grün wirkt: In durchgrünten Stadtraumtypen mit niedriger Versiegelung ist die urbane Überhitzung deutlich geringer ausgeprägt, entsprechend geringer ist auch der Bedarf an Gebäudekühlung im Sommer. © Grafik: Sandra Sieber, 2022 42 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie ausgeprägt (Bild 2). Diese Effekte des Stadtgrüns sollen als Baustein zur Klimaanpassung verstärkt genutzt werden, damit unsere Städte auch bei zunehmender Überwärmung nicht zur (tödlichen) Gesundheitsgefahr werden. Die Anpassungen an Starkregenereignisse und Dürreperioden machen diese Zielstellung noch einmal komplexer (Bild 3). „Effizienz“ lässt sich als bestmögliche Nutzung übersetzen, die Idee der „Suffizienz“ geht einen Schritt weiter und fragt, ob eine Nutzung oder ein Mitteleinsatz überhaupt nötig ist. Aus dieser Perspektive betrachtet, sind Freiraumgestaltung und Gebäudebegrünung nicht nur Bausteine der urbanen Klimaanpassung, sondern auch Teil intelligenter Kühlkonzepte (Bild 4). Beim „Alnatura Campus“ ist es der angrenzende Kiefernbestand und das Erdreich, die in das „Kühlsystem“ miteinbezogen wurden, bei anderen Projekten wird die Kühlwirkung von Rasen- oder Wasserflächen (ebenfalls eine Form der adiabaten Kühlung) ausgenutzt. Der Architekt Klaus Daniels hat sich beispielsweise schon in den 1990er- Jahren mit den Möglichkeiten suffizienter Architektur und naturbasierter Lösungen auseinandergesetzt [5]. Im Kontext des Projekts „Grün statt Grau - Gewerbegebiete im Wandel“ haben Unternehmen der beteiligten Modellkommunen Parkplätze entsiegelt, Bäume gepflanzt und Dächer begrünt, um besser gegen zunehmende Wetterextreme gewappnet zu sein [6] Die „naturbasierten Lösungen“ des Stadtgrüns basieren hauptsächlich auf zwei Effekten: der Kühlung durch Verschattung und der Kühlung durch Verdunstung. Die Kühlfunktion von Grün resultiert vor allem aus der Verdunstung. Bei einem Hektar Laubwald wird von einer Verdunstungsleistung (Transpiration) von etwa 40 000 bis 60 000 Liter pro Tag ausgegangen, ausreichend Wasser vorausgesetzt. Auch der Boden verdunstet Bodenwasser (Evaporation) und trägt so zur Kühlleistung bei. Wo Plätze und Straßen nicht durch Gebäude verschattet werden, wie in den meist schmalen Gassen historischer Altstädte, können Bäume mit ihrem Blattwerk den Wärmeeintrag reduzieren. Je nach Art und Sorte variiert die „Verschattungsleistung“ von Bäumen und bietet so Gestaltungsspielräume. Laubwälder sind tagsüber immer kühler als bebaute Bereiche, 20° C -20° C 39° C 50° C 30° C Geothermie in PV auf Kühlung Verdunstung Regenwasser- Regenwasser- Solarthermie PV Temperatur Temperatur Verdunstung Bild 3: Eine kommende Herausforderung: das Jahr im Klimawandel. © Grafik: Sandra Sieber, 2022 Bild 4: Stadtgrün und naturbasierte Lösungen als Bausteine intelligenter oder suffizienter Gebäude- Konditionierungskonzepte. © Grafik: Sandra Sieber, 2022 43 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie welche im Idealfall von der kühleren Luft profitieren können, nachts sorgen Wiesenflächen für eine gute Nachtauskühlung [4]. Wo der Platz für Bäume fehlt, kann die Fassadenbegrünung eine Alternative sein. In Kombination mit einem Rankgerüst kann sie auch größere Glasfronten im Sommer verschatten, nach dem Laubfall im Herbst können erwünschte winterliche Wärmeeinträge wieder genutzt werden. Gerade für Bestandsgebäude, die sich im Sommer stark aufheizen kann die Fassadenbegrünung eine Alternative zu technischen Kühlsystemen sein. Pflanzen für Fassadenbegrünungen können aber auch als „grünes Dach“ jede gewünschte Fläche verschatten. Solche Pergolen sind klassische Elemente der Gartenkultur und wurden beispielsweise in Gärtenstädten als verbindendes Element zwischen Freiraum und Gebäude eingesetzt. Im Zuge der Klimaanpassung hätten begrünte Pergolen definitiv eine Renaissance verdient. Bei Dachbegrünungen hängt die Verdunstungskühle von Schichtaufbau/ Schichtstärke und Niederschlag ab. Ein extensives Gründach wird im Verlauf einer Dürreperiode kaum noch Verdunstungskälte bereitstellen, dafür überstehen die robusten Pflanzen dieses Gründachtyps Trockenperioden sehr gut. Wenn seitens der Statik von Anfang an eingeplant, können spezielle Retentionsdächer Niederschläge aber auch zurückhalten und allmählich verdunsten. Sie fungieren dann gleichzeitig als Baustein zur Starkregenvorsorge. Lage der Stadt (Klimazone) Größe der Stadt (Ausprägung des Stadtklimaeffekts) Art / Materialität der Bebauung (z.B. Verwundbarkeit gegenüber Hochwasser ... Umgebende Bebauung (Höhe, Dichte, Grad der Versiegelung, Ausdehnung ...) Grundwasserstand (Gefahr bei Hochwasser, Potenzial für Stadtgrün ...) Gewässer (Gefahr bei Hochwasser, Potenzial für Durchlüftung / Kühlung ...) Retentionsraum (Potenzial zur Aufnahme von Hochwasser und Starkregen ...) Landnutzung im Umland (z.B. Kaltluftentstehung, aber auch Potenzial von Schlammlawinen ...) Niederschlag (Summe pro Jahr, Verteilung pro Jahr, Starkregengefahr ...) Besonnung (Sonnenstunden pro Jahr ...) Topographie der Stadt / im Umland (z.B. Luftleitbahnen, aber auch Gefaher von Schlammlawinen oder Sturzfluten..) Grünsysteme (Anteil Stadtgrün, Verteilung, Gewässer ...) Boden-Art (Versickerungsfähigkeit, Wasserhaltefähigkeit ...) Barrieren im Stadtgebiet (Barriere für Luftaustausch / Luftleitbahnen, aber auch Regenwasser/ Hochwasser ...) Herausforderungen Wichtigste Grundlage (und zukünftige Herausforderung) für den Einsatz von Stadtgrün als naturbasierter Lösung ist die Verfügbarkeit von Wasser: Ohne Wasser kein Pflanzenwachstum, ohne Pflanzenwachstum kein dichtes Blattwerk, ohne dichtes Blattwerk keine Verschattung und Verdunstung. Die Beachtung der Standortansprüche von Pflanzen, eine ausreichende Bewässerung in den ersten Jahren und die Möglichkeit einer Notbewässerung in Dürreperioden werden essenziell. Insbesondere im Straßenraum mit seiner hohen Versiegelung und Aufheizung, der andauernden Gefahr der Beschädigung und dem oft geringen/ ungünstigen Wurzelraum, wird der Baum zukünftig entweder zum „Premiumkunden“ oder zum Ausfall. Wenn Pflanzen als Baustein eines innovativen „Kühlsystems“ fungieren sollen, braucht es zukünftig auch eine Auseinandersetzung mit dem Thema des dezentralen Regen- oder Brauchwassermanagements. Was aus der Perspektive einer nachhaltigen, an Wetterextreme angepassten Stadtentwicklung natürlich kein Nachteil wäre. Die Herausforderung wird darin bestehen, Wasser für Pflanzen so verfügbar zu machen, dass sie im Sommer profitieren, bei Dauer- und Starkregen aber auch keinen Schaden nehmen. Hier sind wieder die Pflanzenauswahl und das passende Pflanzsubstrat entscheidend. Weitere Rahmenbedingungen können vorhandene Gewässer, der Grundwasserstand oder die Bodenart sein (Bild 5). Technische und planerische Lösungen, um die Wasserversorgung des Stadtgrüns zu verbessern gibt es einige, zum Beispiel Baumrigolen (unter anderem in Bochum realisiert). Sie sollen Wasser, das im Straßenraum anfällt, vor Ort halten und so für die Straßenbäume verfügbar machen. Ein Beispiel für ein bestehendes dezentrales Regenwassermanagement ist der „Technologiepark Adlershof“ in Berlin, hier lässt sich die Kombination von Bild 5: Rahmenbedingungen mit Auswirkungen auf das Stadtgrün (graue Schrift) und mögliche Potenziale/ Risiken in Bezug auf Starkregenereignisse (baue Schrift). © Grafik: Sandra Sieber, 2022 44 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie Versickerung und Bepflanzung in unterschiedlichen Varianten begutachten. Für private Gebäude wäre der Einbau einer Zisterne ein einfacher Baustein bei der Starkregen- und Dürrevorsorge sowie bei der Einsparung von Trinkwasser. Die technisch ebenfalls mögliche Nutzung von Regenwasser in Wohn-, Büro- oder Verwaltungsgebäuden (zum Beispiel für Toilette oder Waschmaschine) scheitert in der Praxis bislang meist an den Kosten des separaten Leitungsnetzes. Gleiches gilt für die Wieder-Nutzung von Grauwasser (das beispielsweise beim Duschen anfällt), welches ebenfalls als Wasser-Reserve diskutiert wird. Die genannten Beispiele zeigen auch: Die komplexen Herausforderungen des Klimawandels können nur im Zusammenspiel unterschiedlicher Disziplinen (bzw. unterschiedlicher Verwaltungen auf kommunaler Ebene) angegangen werden. Die größte Herausforderung beim Einsatz naturbasierter Lösungen des Stadtgrüns ist aber weiterhin die Forderung nach finanzieller und energetischer Bilanzierung. Noch sind Bäume und Fassadenbegrünung keine Standardwerte, die in üblichen Programmen zur energetischen Bilanzierung von Gebäuden einfach miteingerechnet werden, wie Wandaufbau und Dämmmaterial. In Bezug auf Gebäudeumgebung oder Stadtquartiere sind stadtklimatische Simulationen durchaus möglich, mit ihnen können freiraumplanerische Entwürfe stadtklimatisch optimiert werden [7]. Bei Anlagen zur dezentralen Versickerung sind Berechnung und Nachweis Standard, auch Konditionierungssysteme wie der „Erdkanal“ werden dimensioniert und bilanziert. Ob solche Verfahren und Systeme sich dann allerdings „rechnen“, hängt im Wesentlichen von den Kosten der Alternativen (Entwässerung in Kanal bzw. konventionelle, fossile Gebäudekonditionierung) ab. Wo auf gesamtstädtischer Ebene mehr Stadtgrün gefordert wird, muss gewährleistet sein, dass die kommunalen Grünflächenämter und Abteilungen, diesen Mehraufwand auch stemmen können, denn er ist ja ein „Benefit“ für die gesamte Kommune. Chancen Wo naturbasierte Lösungen klar im Vorteil sind: Sie sind meist robust, wenig störanfällig und im Idealfall multifunktional - wie das Stadtgrün, das (fast) immer eine Verbindung von Klimaanpassung, Biodiversität und Aufenthaltsqualität bietet. Die multiplen Herausforderungen des Klimawandels bergen die Chance zur weiteren Entwicklung von „smarten“ Lösungen, wie sie aktuell mit den Baumrigolen erprobt oder in Form von dezentralen Regenwassersystemen schon längst etabliert sind. Die Themen Stadtklima, Klimawandel und Klimaextreme werden auch in Studium und Ausbildung immer wichtiger, Pflanzenwissen gewinnt wieder an Bedeutung, der Einsatz von Grün aus Gründen der Klimaanpassung wird sich zunehmend etablieren. Denn: Eine Außenanlage kostet nicht automatisch mehr, wenn sie mit der Zielstellung der Klimaanpassung geplant wird, sie sieht vielleicht nur etwas anders aus. Stadtgrün kann sehr viel bieten, es ist an uns, diese Angebote gezielt einzusetzen. LITERATUR [1] Umweltbundesamt: Gebäudeklimatisierung, 2020. https: / / www.umweltbundesamt.de/ themen/ klimaener gie / f luorier te treibhausga s e -fck w/ anwen dungsbereiche-emissionsminderung/ gebaeudeklimatisierung [2] Vgl. Ergebnisse des Projekts „HeatResilientCity“, http: / / heatresilientcity.de/ [3] Pfeifer, S., Bathiany, S., Rechid, D.: Klimaausblick Mainz und angrenzende Landkreise, Climate Service Center Germany (GERICS), eine Einrichtung der Helmholtz- Zentrum hereon GmbH, 2021. https: / / www.gerics. de/ klimaausblick-landkreise [4] Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg: Städtebauliche Klimafibel, Hinweise für die Bauleitplanung, 2012. https: / / www. staedtebauliche-klimafibel.de [5] Daniels, K.: Low-Tech Light-Tech High-Tech: Bauen in der Informationsgesellschaft, Birkhäuder Verlag, Basel-Boston-Berlin, 1998. [6] Vgl.: Verbundprojekt und Netzwerk „Grün statt Grau - Gewerbegebiete im Wandel“, http: / / gewerbegebiete-im-wandel.de/ , Rubrik „Tipps“. [7] Laue, H.: Klimagerechte Landschaftsarchitektur - Handbuch zum Umgang mit Elementen und Faktoren des Klimas im Freiraum, Patzer Verlag, 2021. Dr.-Ing. Sandra Sieber Wissenschaftliche Mitarbeiterin Technische Universität Darmstadt FG Entwerfen+ Freiraumplanung Kontakt: sieber@freiraum.tu-darmstadt.de AUTORIN Gegründet im Jahr 1990, liefert Trialog seit mehr als drei Jahrzehnten zielgruppenspezifische Informationen für Entscheider in technischen Branchen. Die Trialog Publishers Verlagsgesellschaft ist ein spezialisiertes Medienunternehmen mit klassischen und digitalen Publikationen für Ingenieure, technische Fach- und Führungskräfte und Experten aus Wissenschaft und Forschung. Die crossmedialen Fachmedien des Verlags sind darauf ausgerichtet, diese Zielgruppen in Beruf und Karriere professionell zu unterstützen. Bei Trialog Publishers erscheinen die technischwissenschaftlichen Fachmagazine »Internationales Verkehrswesen« (mit den englischsprachigen Specials »International Transportation«) sowie »Transforming Cities | Das Fachmagazin zum urbanen Wandel«. ... sind verlässliche Informationen Trialog Publishers Verlagsgesellschaft | 72270 Baiersbronn | Schliffkopfstraße 22 | www.trialog.de © Gerd Altmann auf Pixabay Was zählt ... 46 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie Die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu sein. Eine Mammutaufgabe insbesondere für Städte, die für einen Großteil der globalen Treibhausemissionen verantwortlich sind und deren Energiehunger stetig wächst. Bereits seit vielen Jahren stellt die EU daher Fördergelder für Forschung und Innovation zum Thema Smart City bereit. Vor kurzem wurden zusätzlich die sogenannten „Missionen“ vorgestellt. Ein Förderprogramm im Rahmen von Horizont Europa, das speziell für die größten Herausforderungen unserer Zeit entwickelt wurde, für die konkrete Lösungen gefunden werden sollen. Eine der fünf Missionen trägt den Namen „Klimaneutrale und intelligente Städte“ und hat zwei Ziele: 100 europäische Vorreiterstädte auf dem Weg zu klimaneutralen und intelligenten Städten bis 2030 zu begleiten und Klimaneutralität für alle europäischen Städte bis 2050 zu realisieren. Um dies zu erreichen, muss eine ganze Bandbreite an Prozessen und Lösungen umgesetzt werden. Eine der innovativen Lösungen, deren Entwicklung seit einiger Zeit von der EU aktiv gefördert wird und welche auch in den Missionen eine große Rolle spielt, sind die sogenannten Positive Energy Districts - kurz PEDs. Bis 2025 soll es in Europa mindestens 100 PEDs geben. Dieser Artikel zeigt auf, wie PEDs aktuell in Vorreiterstädten des EU-Projekts ATELIER umgesetzt werden und welche Informations- und Beteiligungsmöglichkeiten für Städte vorhanden sind, die sich für das Thema PEDs interessieren. Was sind Positive Energy Districts? Zusammengefasst handelt es sich bei den Positive Energy Districts um kleine, energieeffiziente und energieflexible Stadtteile oder untereinander vernetzte Gebäude, die Netto-Null-Treibhausgasemissionen produzieren (net zero) und mehr Energie erzeugen, als sie verbrauchen. 1 Im Vergleich zu einzelnen energieeffizienten und energieproduzierenden Gebäuden (nearly zero energy buildings - NZEB) haben PEDs den Vorteil, mit dem Energienetz ihrer Umgebung stärker verbunden zu sein. Mit intelligenten Tools können so zum Beispiel Bedarfe aus dem Energienetz der Umgebung durch den Überschuss aus den PEDs bedient werden. PEDs sind daher die logische Weiterentwicklung von NZEBs. Des Weiteren ermöglichen PEDs eine dezentrale sowie diversifizierte Energieerzeugung und können somit die Abhängigkeit von einzelnen Energielieferanten verringern, die - wie in den letzten Monaten besonders deutlich wurde - allerlei Risiken birgt. Das Energiesystem eines PEDs besteht aus einer Vielzahl an Komponenten. Die wichtigsten vier sind:  Erzeugung erneuerbarer Energie (zum Beispiel aus Photovoltaikanlagen oder mit Wärmepumpen) und Speicherung der Energie (zum Beispiel in Batterien oder Wärmespeichern)  Energieeffizienz (zum Beispiel durch den Bau neuer besonders energieeffizienter Gebäude oder die Sanierung bestehender Gebäude) 1 Definition durch JPI Urban Europe: www.jpi-urbaneurope.eu/ ped Die ersten Schritte auf dem Weg zum Positive Energy District Smart Cities, Positive Energy District, Klimaneutralität, Massive Open Online Course Regine Wehner Positive Energy Districts (PEDs) sind eine innovative Lösung, um eine positive Energiebilanz in Stadtteilen zu erreichen und damit den Zielen der Klimaneutralität, der dezentralen Energieerzeugung sowie dem intelligenten Energiemanagement näher zu kommen. Doch was genau umfasst die Lösung und wo können Städte ansetzen, um diese vielversprechende Lösung zu verwirklichen? Scannen, um zum Video „What is a Positive Energy District? “ zu gelangen. Bild 1: Aus „Positive Energy Districts Factsheet“ (Smart Cities Marketplace). © basierend auf Grafik der Amsterdam University of Applied Sciences mit Input von Han Vandevyvere ( VITO) 47 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie  Flexibles Management (zum Beispiel durch die automatisiert gesteuerte Abgabe von überschüssiger Energie und Zuführung benötigter Energie mit dem umliegenden Netz)  Integration von E-Mobilität (durch die Integration einer Ladeinfrastruktur in das PED-Energiesystem, die aktuell und vor allem künftig einen großen Energiebedarf darstellt) Ein Positive Energy District stellt nach außen nicht zwangsläufig eine deutlich abgrenzbare Einheit dar. Viel häufiger kommt es vor, dass in einer Umgebung nur einzelne miteinander vernetzte Gebäude oder Gebäudekomplexe einen PED bilden. Insbesondere die Energieerzeugung ist häufig nicht direkt am Gebäude, sondern beispielsweise mit einer Turbine an einem nahegelegenen Fluss angesiedelt. In welcher Konfiguration (wie etwa die Auswahl der Energiequellen) sich ein PED zusammensetzt, ist je nach Stadt höchst individuell und richtet sich nach den lokalen Gegebenheiten. Dies zeigt sich auch im EU-Projekt ATELIER, bei dem PEDs in Bilbao und Amsterdam umgesetzt werden. Aus ehemals industriellen Vierteln in Bilbao und Amsterdam werden moderne Innovation Hubs Im Herzen der baskischen Stadt Bilbao befindet sich die längliche Insel Zorrotzaurre. Das 60 Hektar große Areal beherbergte in den 1950er und 60er Jahren noch florierende Industrieunternehmen, bevor diese in den 70er und80er Jahren verschwanden. Nur eine Handvoll ist noch übrig - zusammen mit rund 500 Bewohnern. Mittlerweile erlebt die Insel wieder einen großen Umbruch und soll im Rahmen eines großen Stadtentwicklungsprogramms zu einem nachhaltigen, attraktiven Stadtteil mit gemischter Nutzung werden. Eine ähnliche Geschichte spielte sich im Stadtteil Buiksloterham im Norden der Stadt Amsterdam ab. Nachdem die Schwerindustrie ihre Standorte in Länder mit niedrigeren Löhnen verlagerte, blieb der verschmutzte Stadtteil zunächst ungenutzt. Seit einigen Jahren befindet sich Buiksloterham jedoch im Wandel und entwickelt sich immer mehr zu einem modernen Viertel mit innovativen Energie- und Bürgerbeteiligungskonzepten. Bilbao und Amsterdam sind sogenannte Leuchtturmstädte innerhalb des Projekts ATELIER - ein EUgefördertes Smart Cities and Communities Projekt im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizont 2020, in dem in beiden Städten Positive Energy Districts umgesetzt werden sollen. Das Projekt, das seit November 2019 läuft, fügt sich sowohl in Bilbao als auch in Amsterdam in größere Entwicklungsvorhaben für die jeweiligen Stadtteile ein und treibt diese voran. In Bilbao wird der PED aus drei miteinander vernetzten Gebäudekomplexen entwickelt, die sich an unterschiedlichen Orten der Insel Zorrotzaurre befinden. Die drei Areale werden unter anderem mit Bild 2: Die Insel Zorrotzaurre im Herzen der baskischen Stadt Bilbao. © Ayuntamiento de Bilbao 48 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie einem Erdwärmesystem miteinander verbunden, das Energie zuliefert. Gleichzeitig soll die Insel in Zukunft ausschließlich mit emissionsfreien Elektrofahrzeugen befahrbar sein, für die eine Ladeinfrastruktur geschaffen wird, die in den PED integriert wird. In Amsterdam werden für die Umsetzung des PED zwei neue energieeffiziente Gebäudekomplexe errichtet, in denen erneuerbare Energie erzeugt wird. Auch hier soll ein smartes Energiesystem für die optimale Balance zwischen Erzeugung und Nutzung sorgen. Teil des Konzepts ist zudem die Schaffung einer Energy Community, in der die Bürger*innen des Viertels im Zentrum stehen. Ähnlich wie im Paradigmenwechsel von zentraler zu dezentraler und diversifizierter Energieerzeugung findet auch hier ein Wandel der Rolle von Bürger*innen von passiven Konsumenten hin zu aktiven Prosumenten statt. Klar ist, dass große Innovationsvorhaben dieser Art im Rahmen der Energiewende ohne die Beteiligung von Bürger*innen nicht gelingen können. Trotz aller top-down getriebenen Planungen der Baumaßnahmen finden daher zahlreiche Beteiligungsformate wie zum Beispiel Co-Creation Workshops zur Einbindung von Bürger*innen und weiteren Stakeholdern statt - sogenannte PED Innovation Ateliers. Durch den Austausch können individuelle Bedarfe in die Planung der PEDs integriert werden. Diese können auch Anregungen für ein besseres Wohlbefinden im Quartier enthalten und damit nicht direkt mit der Energiethematik verknüpft sein. Denn letztendlich geht es bei der Transformation unserer Städte auch darum, diese lebenswerter zu gestalten. Durch die Austauschformate kann ein größerer Rückhalt für die Vorhaben entstehen und rechtliche, finanzielle oder soziale Hindernisse vor der Umsetzung der PEDs schneller identifiziert werden. Bild 3: Zielbild für eines der energieeffizienten Gebäude (aktuell im Bau) als Teil des Positive Energy Districts im Stadtteil Buiksloterham im Norden Amsterdams. © Projectvisuals ATELIER ist ein durch die Europäische Union im Rahmen von Horizont 2020 gefördertes Forschungs- und Innovationsprojekt mit dem Ziel der Planung und Umsetzung von Positive Energy Districts (PEDs). Dies wird durch innovative Lösungen erreicht, die Gebäude mit intelligenten Lösungen für Energieerzeugung und -nutzung ausstatten. Neben den zwei Leuchtturmstädten Bilbao und Amsterdam wirken die sechs Partnerstädte Bratislava (Slowakei), Budapest (Ungarn), Kopenhagen (Dänemark), Krakau (Polen), Matosinhos (Portugal) und Riga (Lettland) mit. Diese Städte werden die erfolgreich implementierten Lösungen replizieren und anpassen und so als Testfelder für zukünftige Smart Cities dienen. Pro Stadt wird ein PED-Innovationsatelier gegründet mit dem Ziel, das lokale Innovationsökosystem zu stärken und rechtliche, finanzielle oder soziale Hindernisse für die Umsetzung intelligenter Lösungen - immer in Zusammenarbeit mit den Bürgern - zu beseitigen. Die EU fördert das Projekt mit 19,6 Mio EUR in einem Zeitraum von fünf Jahren seit November 2019. Es wird von einem Konsortium bestehend aus 30 Partnern unterschiedlicher Disziplinen aus 11 europäischen Ländern umgesetzt. Mehr erfahren: Website: www.smartcity-atelier.eu | Twitter: www.twitter.com/ atelierh2020 | LinkedIn: https: / / www.linkedin.com/ company/ atelierh2020/ ATELIER 49 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie Von den Erfahrungen anderer Städte lernen ATELIER ist ein Forschungs- und Innovationsprojekt. Das bedeutet, dass die technischen und sozialen Ansätze auf innovative Art und Weise in Bilbao und Amsterdam als Pilotvorhaben erprobt werden. Wissenschaftliche Partner unterstützen das Projekt mit Analysen rund um die Umsetzung und Zukunftsperspektiven, nutzen es aber auch, um mit Monitoring- und Evaluationsmaßnahmen wertvolle Erkenntnisse über die Umsetzung von Positive Energy Districts zu erlangen. Gegen Ende des Projekts (voraussichtlich Herbst/ Winter 2024) wird es demnach einen großen Schatz an Lernerfahrungen geben, der auch für andere Städte zur Verfügung steht, die ebenfalls PEDs umsetzen wollen. Da es nach drei Jahren jedoch bereits eine Menge Wissen und Lernerfahrungen gibt, wurde vor kurzem die projekteigene Lern- und Austauschplattform pedlearning.eu gelauncht. Die Plattform richtet sich sowohl an Interessierte, die das Ziel der Klimaneutralität in ihrer Stadt mit Hilfe von PEDs vorantreiben wollen, jedoch noch über wenig Kenntnisse verfügen, als auch an Professionals, die sich bereits mitten im Prozess der PED-Umsetzung befinden. Das Lernen auf der Plattform wird durch einen interaktiven Massive Open Online Course (MOOC) unterstützt - eine kostenfreie und ansprechende Möglichkeit, in kurzweiligen aufeinanderfolgenden Einheiten Wissen zu erlangen. Mit dem PED Start Guide ist das erste Einstiegsmodul bereits online. Neun Experten aus dem Projekt ATELIER erklären in kleinen englischsprachigen Videoeinheiten in zwischen sieben bis 19 Minuten das PED-Konzept aus unterschiedlichen Perspektiven. Sie geben darüber hinaus erste Tipps an die Hand, welche Voraussetzungen gegeben sein sollten, um das Projekt Positive Energy Districts in der eigenen Stadt erfolgreich umzusetzen. Link: www.pedlearning.eu Mit EU-Projekten in die Umsetzung kommen Die Planung und Umsetzung eines PEDs ist ein komplexes Innovationsvorhaben, das sich ohne professionelle Begleitung und finanzielle Förderung nicht einfach verwirklichen lässt. Eine Möglichkeit, Zugang zu Begleitung und Förderung zu bekommen, ist die Beteiligung an einem EU-Projekt. Neben den Leuchtturmstädten Bilbao und Amsterdam gibt es im Projekt ATELIER sechs weitere Partnerstädte: Budapest, Bratislava, Kopenhagen, Krakau, Matosinhos und Riga. Sie nutzen das Projekt, um wichtige Voraussetzungen für die Planung und Umsetzung von PEDs zu schaffen. Dazu gehört beispielsweise die Verabschiedung eines Aktionsplans für Klima, der konkrete Maßnahmen für die Erreichung von städtischen Klimazielen bietet. Die Schaffung von PEDs kann dabei eine der Maßnahmen sein, die im Aktionsplan empfohlen wird. Gleichzeitig begleiten die Partnerstädte die Leuchtturmstädte Bilbao und Amsterdam, um erfolgreich getestete Maßnahmen später selbst zu übernehmen oder auch weniger erfolgreiche Maßnahmen zu meiden. Eine Stadt, die Interesse an Positive Energy Districts hat, kann also durch die Beteiligung an einem EU-Projekt als Partnerstadt die ersten Schritte gehen. Viele Ressourcen stehen für den Wissenstransfer bereit Wir, im Steinbeis Europa Zentrum, sind seit fast 20- Jahren in EU-geförderten Smart City-Projekten tätig und unterstützen Städte und Kommunen bei der Antragstellung. Häufig übernehmen wir in den Projekten auch die Aufgabe, Vertreter*innen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltung oder Politik außerhalb des Projekts, die sich mit Smart Cities beschäftigen, auf die Aktivitäten der Projekte aufmerksam zu machen. Dazu gehören unter anderem die Erstellung von Kommunikationsmaterialien wie Websites oder die Organisation internationaler Veranstaltungen. Dadurch ermöglichen wir den Austausch unter Gleichgesinnten. Darüber hinaus unterstützen wir Partner im Projekt beim Innovationsmanagement. Wir helfen ihnen, ihre erarbeiteten Lösungen so weiterzuentwickeln, dass sie von der Zielgruppe außerhalb des Projekts direkt genutzt werden können. Aus dieser langjährigen Erfahrung wissen wir, dass es eine große Sammlung an Materialien (das heißt: Toolboxes, Best Practices Booklets, Publikationen) gibt, die für interessierte Städte hilfreiche Ressourcen sein können. Die Lernplattform pedlearning.eu des Smart City Projekts ATELIER bildet eine der neuesten Ergänzungen zu diesem großen Wissenspool. Wir können hier unter anderem die Angebote des Smart Cities Marketplace der EU-Kommission empfehlen: https: / / smart-cities-marketplace.ec.europa.eu/ Regine Wehner Project Manager Climate and Energy Transition for Communities & Cities Steinbeis Europa Zentrum Kontakt: Regine.Wehner@steinbeis-europa.de AUTORIN 50 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie Mit der Novelle des Klimaschutzgesetzes verschärft die Bundesregierung die Klimaschutzvorgaben und stellt somit die Weichen für einen ambitionierten Klimaschutz, um die bereits heute spürbaren Auswirkungen des Klimawandels zukünftig abzumindern. Bis zum Ende des Jahrzehnts sollen die Treibhausgasemissionen um 65 % gegenüber 1990 gesenkt werden. Im Jahr 2045 soll die Klimaneutralität erreicht werden. Das Ziel bis ins Jahr 2050 sind negative Treibhausgasemissionen, das heißt, es sollen mehr Emissionen in natürlichen Senken gebunden sein, als ausgestoßen werden. Das Forschungsprojekt KoWa Das Forschungsprojekt „KoWa - Wärmewende in der kommunalen Energieversorgung“ [1] konzentriert sich darauf, Kommunen und kommunale Versorgungsunternehmen bei der Entwicklung von nachhaltigen, auf Defossilisierung und Steigerung der Energieeffizienz ausgerichtete Wärmeversorgungssysteme und -kooperationen wissenschaftlich zu begleiten und mit Fachexpertise zu unterstützen. Die Forschungsarbeiten konzentrieren sich dabei auf vier bundesweit verteilte Versorgungsgebiete, die im Projekt als regionale Cluster bezeichnet werden: Berlin, Osnabrück, Sömmerda und Saarlouis. Allen Clustern liegt die Betrachtung bestehender oder neuer Wärmenetze zugrunde. Konkret hat sich das KoWa-Konsortium zum Ziel gesetzt, Zugangshürden und Hemmnisse bei der Implementierung, Erweiterung oder Ertüchtigung kommunaler Wärmenetze zu identifizieren. Die kommunalen Akteure erhalten technisch, ökonomisch und juristisch abgestimmte Konzepte für eine nachhaltigere, weitestgehend defossilisierte Wärmeversorgung an die Hand. Das Projektkonsortium besteht aus der IZES gGmbH, der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, der Hochschule Osnabrück, der enable energy solutions GmbH, der Solites - Steinbeis-Forschungsinstitut für solare und zukunftsfähige thermische Energiesysteme sowie der Universität Rostock. Für die Betrachtung und die Entwicklung von zukunftsfähigen Versorgungskonzepten im Cluster Saarlouis ist das Arbeitsfeld Infrastruktur und Kommunalentwicklung der IZES gGmbH verantwortlich. Cluster Saarlouis Die Kreis- und Europastadt Saarlouis liegt im westlichen Teil des Saarlandes etwa 20 km nordwestlich der Landeshauptstadt Saarbrücken. Mit rund 34 500 Einwohner*innen ist Saarlouis die sechstgrößte Stadt im Saarland [2]. Schon frühzeitig hat sich Saarlouis mit den anstehenden Veränderungen (demo- Neue Wärme in alten Rohren Photovoltaik-Großwärmepumpen- Kombination als Wärmeversorgungsoption für Saarlouis-Steinrausch Dachflächen-Photovoltaik, Groß-Wärmepumpe, kommunale Wärmewende, Quartier Manuel Trapp, Celina Kölsch, Mike Speck, Dorothee Siemer Im BMWK-Projekt KoWa entwickelt die IZES gGmbH Konzepte zu technischen Möglichkeiten, ein bestehendes Wärmenetz in Saarlouis- Steinrausch weitestgehend zu dekarbonisieren. Einerseits ermittelt das Projekt den aktuellen und zukünftigen Wärmebedarf inklusive verschiedener energetischer Sanierungsvarianten, andererseits werden verschiedene Versorgungsoptionen betrachtet und miteinander verglichen. Hierbei steht unter anderem die Versorgung des bestehenden Fernwärmenetzes mittels zentraler Groß-Wärmepumpen, die durch Dachflächen-PV-Anlagen im Quartier mit Strom versorgt werden, im Fokus der Untersuchung. Bild 1: Gebäudetypologie im Stadtteil Saarlouis Steinrausch. © IZES 2021; Kartengrundlage: LVGL GDZ 2020, GeoPortal Saarland 2020 51 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie grafischer, Struktur- und Klimawandel, technischer Fortschritt etc.) auseinandergesetzt. Im Bereich Klimaschutz ist Saarlouis im Saarland ein Vorreiter. Bereits 2010 hat der Stadtrat Saarlouis einstimmig beschlossen, sich bis 2050 zur Null-Emissionsstadt zu entwickeln. In der Folge wurde das Leitbild des Klimaschutzes weitgehend in das kommunale Handeln integriert und wird konsequent verfolgt. Die Kreisstadt Saarlouis und die Stadtwerke Saarlouis stellen die wesentlichen Akteure im Cluster Saarlouis dar und wurden als assoziierte Praxispartner bereits in die Projektentwicklung eingebunden. Gemeinsam wurde der Stadtteil Saarlouis-Steinrausch als Untersuchungsgebiet für das Projekt KoWa definiert. Untersuchungsgebiet Saarlouis-Steinrausch Saarlouis-Steinrausch ist der jüngste Stadtteil Saarlouis‘ und wurde 1962 als „Wohnlandschaft im Grünen“ geplant und in der Folge gebaut [3]. Der Stadtteil ist in seiner Struktur sehr homogen und hauptsächlich durch Wohngebäude unterschiedlicher Größe geprägt. Im Zentrum des Stadtteils gibt es Möglichkeiten zur Nahversorgung und angrenzend befinden sich ein Freibad, eine Grundschule, zwei Kindertageseinrichtungen, die Steinrauschhalle und die Feuerwache Saarlouis-Ost. Heute bietet der Stadtteil etwa 3 560 Menschen Raum zum Wohnen [4]. Für das Projekt KoWa stellt Saarlouis-Steinrausch ein ideales Untersuchungsgebiet für den Bereich Wohnen dar, da die homogene durch Wohnen geprägte Siedlungsstruktur mit rückläufigem Wärmeabsatz infolge rückläufiger Einwohnerzahlen und energetischer Sanierungsmaßnahmen einer recht unflexiblen Wärmeversorgung gegenübersteht. Ferner vollzieht sich im Stadtteil in den nächsten Jahren der Generationswechsel, was mit entsprechenden Umbauten und Sanierungen im Gebäudebestand einhergehen wird. Analyse des Gebäudebestandes Im ersten Schritt wurde eine Analyse der Bestandsgebäude durchgeführt (Bild 1). Die Kombination aus Informationen aus dem Wärmekataster Saarland [5], Fernerkundungsdaten und einer detaillierten Stadtteilbegehung inklusive ausführlicher Dokumentation des Gebäudezustandes und Thermografieaufnahmen führten zu einer sehr belastbaren Datengrundlage für die weitere Untersuchung. Der Gebäudebestand ist sehr homogen und umfasst insgesamt 1 114 Wohngebäude, hauptsächlich Einbzw. Zweifamilienhäuser als freistehende, Doppel- und Reihenhäuser. Eine Achse kleiner und großer Mehrfamilienhäuser bildet das Zentrum des Stadtteils. Hier befinden sich zusätzlich zum Wohnen auch teilweise in den ersten beiden Etagen Gewerbeflächen, die unter anderem auch zur Nahversorgung dienen. Angrenzend an die Wohnbebauung befinden sich Sonderbauten wie Schwimmbad, Sporthalle, Kindergärten, Grundschule und Feuerwehr. Des Weiteren sind Kirchen sowie Gemeindehäuser bzw. Begegnungsstätten in den Stadtteil integriert. Der überwiegende Teil der Gebäude ist in den ersten zehn Jahren nach Erschließung des Stadtteils ab 1967 erbaut worden. Analyse der Wärmeversorgung Ursprünglich wurden die meisten Häuser im Steinrausch mit Nachtspeicherheizungen ausgestattet. In den 1990er Jahren wurde im Rahmen der dritten Ausbauphase der Fernwärmeschiene Saar im Stadtteil Saarlouis-Steinrauch flächendeckend ein Fernwärmenetz verlegt (Bild 2). Die Anschlussquote an das Wärmenetz im Steinrausch liegt heute bei 72,5 %. Das Wärmenetz im Steinrausch wird über den Stadtteil Fraulautern durch die Fernwärmeschiene Saar mit Wärme versorgt. Der Wärmebezug des Fernwärmenetzes im Steinrausch belief sich im Jahr 2020 auf rund 22 330 MWh. Die Wärmeabgabe belief sich auf rund 16 100 MWh. Hieraus ergeben sich Netzverluste von etwa 28 %. Die Versorgung der Fernwärmeschiene Saar erfolgt unter anderem durch die Dillinger Hütte, die Zentralkokerei Saar und das Steinkohlekraftwerk Fenne in Völklingen. Bild 2: Art der Wärmeversorgung im Stadtteil Saarlouis Steinrausch und Wärmelastgang des Wärmenetzes. © IZES 2021; Datengrundlage: Stadtwerke Saarlouis; Kartengrundlage: LVGL GDZ 2020, GeoPortal Saarland 2020 52 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie Erneuerbare Energien werden im Netz bisher nicht eingesetzt. Die zukünftige Versorgungssicherheit ist aufgrund des hohen Anteils an industrieller Abwärme unter anderem von Unternehmensinteressen und übergeordneten Entwicklungen abhängig. Rund 18 % der Haushalte erzeugen ihre Wärme weiterhin über die alten Nachtspeicheröfen aus den Entstehungsjahren, teilweise wurden diese durch andere Heizsysteme wie beispielsweise Infrarotheizungen oder Wärmepumpen ersetzt bzw. mit ihnen kombiniert. [6] Analyse des Wärmebedarfs Auf Basis der Bestandsgebäudeanalyse und der entwickelten Gebäudetypologie wurden mit der Software Evebi (Software für Gebäudeenergiebilanzierungen zur Erstellung von Energieausweisen [7]) stellvertretend für die einzelnen Gebäudetypen Modellhäuser erstellt und für diese Energiebedarfsausweise erzeugt. Anhand der Thermografieaufnahmen in Verbindung mit der TABULA-Datenbank [8] konnte die Gebäudekonstruktion ermittelt und der energetische Zustand bzw. der Sanierungszustand der Gebäude eingeschätzt werden. Somit konnte der jährliche Gesamt-Energiebedarf basierend auf dem jeweiligen Gebäudetyp und dessen Anzahl für den gesamten Stadtteil bilanziert werden. Der Wärmebedarf für den gesamten Stadtteil wurde mit rund 34 000 MWh bilanziert. Für die Gebäude, die mit Fernwärme versorgt werden, wurde eine Bild 3: Wärmeeinsparpotenziale im Stadtteil Saarlouis Steinrausch. © IZES 2022; Kartengrundlage: LVGL GDZ 2020, GeoPortal Saarland 2020 Wärmemenge von rund 24 000 MWh errechnet. Diese Wärmemenge beruht auf der Annahme, dass die Gebäude im Stadtteil unsaniert sind. Auf Basis der Gebäudeanalyse kann im Steinrausch allerdings mit einer Sanierungsquote von rund 10 % gerechnet werden. In Abgleich mit dem gemessenen Wärmeverbrauch der fernwärme-versorgten Gebäude liegt der bilanzierte Gesamt-Wärmebedarf etwa 27 % über den realen Werten. Die gemessene Wärmemenge liegt bei rund 16 000 MWh (Bild 3). Die Daten wurden mit den lokalen Akteuren diskutiert und verifiziert. Die Abweichung zwischen Wärmebedarf und Wärmeverbrauch lässt sich mit nicht erkennbaren und daher nicht bilanzierten energetischen Sanierungsmaßnahmen, dem unterschiedlichen Nutzer*innenverhalten, der elektrischen Warmwasserbereitstellung sowie durch Leckagen und Netzverluste erklären. Für die Zukunft wurden zwei Sanierungsvarianten gerechnet. Der Sanierungsvariante 1 (SP 1) liegt eine Sanierungsquote von 1 % pro Jahr für die nächsten 30 Jahre zugrunde, wodurch rund 20 % des Wärmebedarfs eingespart werden können. In Sanierungsvariante 2 (SP 2) soll in 30 Jahren eine 100 %-ige Sanierung erzielt werden, wodurch rund 80 % des Wärmebedarfs eingespart werden können. Für die Bilanzierung der Sanierungsvarianten wurden die Sanierungsstandards KfW-Effizienzhaus-Stufe 85, 70 und 55 zugrunde gelegt [9]. Die Konzepte für zukunftsfähige Wärmeversorgungsmöglichkeiten In Zusammenarbeit mit Vertretern der Stadt und den Stadtwerken Saarlouis wurden auf der Basis der beiden Sanierungsvarianten und unter der Bedingung, dass das vorhandene Wärmenetz weiterhin bestehen bleibt, insgesamt drei unterschiedliche Konzepte für zukunftsfähige Wärmeversorgungsmöglichkeiten entwickelt.  In Versorgungsvariante 1 wird das Wärmenetz Saarlouis-Steinrausch weiterhin über die Fernwärmeschiene Saar mit Wärme versorgt. Hier wird lediglich ein Wärmetauscher an der Übergabestation vorgesehen. Durch den Wärmetauscher ist eine bedarfsgerechtere Betriebsführung und Versorgung der Gebäude in Saarlouis-Steinrausch möglich.  In Versorgungsvariante 2 soll der Wärmebedarf durch die Kombination von Flächen-Solarthermie und einer Biomassefeuerung (Holzhackschnitzel) gedeckt werden. Die Spitzenlast wird durch die Fernwärmeschiene Saar gedeckt.  In Versorgungsvariante 3 wird das Wärmenetz durch eine zentrale Groß-Wärmepumpe ver- 53 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie sorgt. Die Spitzenlast wird auch hier weiterhin durch die Fernwärmeschiene Saar gedeckt. Die zum Betrieb der Wärmepumpe benötigte elektrische Energie wird bilanziell von Aufdach-Photovoltaik-Anlagen auf den Bestandsdächern im Steinrausch bereitgestellt. Auf die Versorgungsvariante 3 wird in der Folge näher eingegangen. Beschreibung der Versorgungsvariante 3 Für die Konzeptionierung der dritten Versorgungsvariante wurde zunächst der solare Ertrag aller geeigneten Dachflächen im Steinrausch ermittelt. Je nach Fläche (mindestens drei Module à 1,6 m 2 ), Neigung und Ausrichtung der Dächer sowie deren Verschattung ergibt sich ein maximaler solarer Ertrag für den gesamten Stadtteil von insgesamt rund 9 600 MWh im Jahr (Bild 4). Für die Untersuchung wurden verschiedene Ausbaustufen der PV-Anlagen in Betracht gezogen. Zusätzlich zum Ertrag bei Nutzung von 100 % der Dachflächen wurden auch die Ausbaustufen 25 %, 50 %, 75 % der Dachflächen angesetzt. Die ermittelten PV-Erträge stellten die Grundlage für die Berechnung des Wärmepumpen- Potenzials dar. Für die zentrale Groß-Wärmepumpe stehen im Steinrausch prinzipiell die Wärmequellen Umgebungsluft, Erdreich (Sole) und Umweltwärme (Abwasser) aus kommunalem Abwasser zur Verfügung. Der überschüssige elektrische Ertrag wurde durch den Einsatz verschiedener Speichertechnologien (Wärmespeicher, Strom-Cloud etc.) bilanziell auf einstrahlungsschwächere Tages- und Jahreszei- Bild 4: Solarpotenzial im Stadtteil Saarlouis Steinrausch. © IZES 2022; Kartengrundlage: LVGL GDZ 2020, GeoPortal Saarland 2020 3.000 2.500 2.000 1.500 1.000 500 0 [MWh] Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember Wärmebedarf IST Wärmebedarf SP1 Wärmebedarf SP2 Wärmeertrag IST Wärmeertrag SP1 Wärmeertrag SP2 Bild 5: Vergleich von Wärmebedarf und Wärmeertrag. © IZES ten übertragen. Die Nennleistung der Groß-Wärmepumpe orientiert sich am geringsten stündlichen Wärmebedarf eines Jahres (20 %). Hierdurch kann ein Großteil des Wärmebedarfs über das Jahr gedeckt werden. Der Wärmebedarf, der über den daraus resultierenden höchstmöglichen Wärmeertrag der Wärmepumpe hinausgeht, wird als Spitzenlast durch die bestehende Anbindung an die Fernwärmeschiene Saar bereitgestellt. Für die Auslegung der Groß-Wärmepumpe wird sowohl der aktuelle etwa für die Elektromobilität, genutzt werden könnte. 54 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie Wärmebedarf als auch der zukünftige Wärmebedarf basierend auf den beiden Sanierungsvarianten zugrunde gelegt. Da in Sanierungsvariante 2 von einer 100 %-Sanierung ausgegangen wird, ist hier neben dem niedrigeren Wärmebedarf zusätzlich eine Senkung der Vorlauftemperatur von im Mittel rund 85 °C auf 60 °C berücksichtigt. Auswertung der Versorgungsvariante 3 Bei Belegung der gesamten geeigneten Dachflächen des Stadtteils mit Photovoltaik (100 %) zum Betrieb der Wärmepumpe könnten bei allen untersuchten Wärmequellen (Luft, Sole, Abwasser) bei einer Wärmenennleistung von 3 MW etwa 87 % des aktuellen Wärmebedarfs von rund 16 400 MWh gedeckt werden. Die Wärmepumpe würde dabei mit theoretischen Jahresarbeitszahlen ( JAZ) von 1,91 (Luft), 2,00 (Sole) und 2,16 (Abwasser) arbeiten. Der Wärmebedarf in Sanierungsvariante 1 kann durch die Groß-Wärmepumpe bei 50 %-iger Dachflächennutzung mit allen Wärmequellen zu 88 % des Wärmebedarfs von rund 9 600 MWh gedeckt werden. Die JAZ liegt auch hier bei 1,91 (Luft), 2,00 (Sole) und 2,16 (Abwasser). Bei 25 %-iger Dachflächennutzung liegt der Deckungsanteil lediglich noch zwischen 40 % (Luft) und 44 % (Abwasser). Sind alle Gebäude saniert, kann der Wärmebedarf von rund 4 100 MWh theoretisch bis zu 89 % mittels einer zentralen Groß-Wärmepumpe mit Nennleistung von 800 kW gedeckt werden. Um eine Wärmepumpe dieser Größenordnung bilanziell betreiben zu können, würde unabhängig von der eingesetzten Wärmequelle bereits eine 25 %-ige Nutzung der geeigneten Dachflächen ausreichen. Die Luft-Wasser-Wärmepumpe würde mit einer theoretischen JAZ von 2,64 arbeiten. Bei Nutzung des Erdreichs (Sole) könnte eine theoretische JAZ von 2,85, bei Abwassernutzung von 3,2 erreicht werden (Bild 5). Fazit/ Ausblick KoWa hat gezeigt, dass die Dekarbonisierung des bestehenden Wärmenetzes in Saarlouis-Steinrausch im Zusammenspiel mit umfangreichen Sanierungsmaßnahmen der Bestandsgebäude möglich ist. Durch die Versorgung der zentralen Groß-Wärmepumpe mittels der Dachflächen-Photovoltaik- Anlagen im Stadtteil wäre bilanziell sogar eine lokale, erneuerbare Wärmeversorgung möglich. Zusätzlich stünde zukünftig, bei einer 100 %-igen Nutzung der Dachflächen mit PV-Anlagen, erneuerbarer Überschussstrom zur Verfügung, der zum Beispiel zur Deckung des lokalen/ privaten Strombedarfs, etwa für die Elektromobilität, genutzt werden könnte. Manuel Trapp Wissenschaftlicher Mitarbeiter IZES gGmbH Kontakt: mtrapp@izes.de Celina Kölsch Ehem. Wissenschaftliche Mitarbeiterin IZES gGmbH Kontakt: info@izes.de Mike Speck Arbeitsfeldleiter Infrastruktur und Kommunalentwicklung IZES gGmbH Kontakt: speck@izes.de Dorothee Siemer Wissenschaftliche Mitarbeiterin IZES gGmbH Kontakt: siemer@izes.de AUTOR*INNEN LITERATUR [1] KoWa - Wärmewende in der kommunalen Energieversorgung (Fördernummer 03EN3007E - BMWK), gefördert durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, Laufzeit: 01/ 2020 - 12/ 2022. www.kowa-projekt.de [2] Statistisches Amt Saarland: Fläche, Bevölkerung in den Gemeinden am 30.09.2019. Saarbrücken. [3] Kreisstadt Saarlouis: Stadtportrait Saarlouis. XIV Vierzehn. 2017. [4] Kreisstadt Saarlouis: Zahlen in Saarlouis 2019. Bourgeois, Bernd, Amt 32 Bürgerbüro. Saarlouis, 31.12.2019. [5] Trapp, M. et al.: Wärmekataster Saarland. Im Auftrag des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit, Energie und Verkehr Saarland. IZES gGmbH. Saarbrücken, 2018. geoportal.saarland.de. [6] FWS: Interview und Datensatz zum Fernwärmenetz Saarlouis Steinrausch. Fernwärmeversorgung Saarlouis-Steinrausch, 2020. fws-saarlouis.de [7] ENVISYS: EVEBI Pro Software für Energieberater zur Erstellung von Energieausweisen. www.envisys.de [8] IWU: Tabula-/ Episcope-Datenbank. Institut Wohnen und Umwelt GmbH, 2016. episcope.eu [9] KfW: Die Effizienzhaus-Stufen für bestehende Immobilien und Baudenkmale. KfW Frankfurt am Main, 2020. 55 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie Großes Wärmeleck in der Gebäudetechnik nachgewiesen Die Entwicklung des Grauwasser-Recycling wurde als Maßnahme des Wassersparens durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) mehrfach gefördert. Zum Tag des Energiesparens am 5. März 2022 forderte sie in einer Pressemitteilung [1] dazu auf, Wärmelecks in der Gebäudetechnik zu schließen und insbesondere die Potenziale des häuslichen Abwassers besser zu nutzen. Denn über das nur 150- mm enge Abwasserrohr entweiche mehr Energie als über die gesamte Außenhülle eines gut gedämmten Mehrfamilienhauses. „Eine dezentrale Wärmerückgewinnung aus häuslichem Abwasser kann also enorm viel Energie und Geld sparen“, sagte DBU-Generalsekretär Alexander Bonde. „Außerdem erwärmen sich Städte weniger, der Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid (CO 2 ) wird vermindert. Beides dient dem Klimaschutz.“ Hinzu kommt: Wenn das Abwasser aus Badewanne, Dusche, Handwaschbecken sowie Wasch- und Geschirrspülmaschinen noch gereinigt und für die Toilettenspülung genutzt wird, kann erheblich Trinkwasser eingespart werden. Bonde: „Angesichts des Klimawandels und der dadurch verursachten Trockenperioden müssen diese Potenziale verstärkt genutzt werden.“ Doch daraus wird wohl nichts, ohne ein starkes Signal aus der Politik. Alleine durch private Initiative ist in dem durch Kostensteigerungen gebeutelten Wohnungsbau ein schnell wirksamer und flächendeckender Erfolg nicht zu erwarten. Immerhin wurde das sehr effektive und technisch wenig komplizierte Grauwasser-Recycling inklusive Wärmerückgewinnung bereits 2012 von der DBU gefördert und dokumentiert: In einem Mehrfamilienhaus am Arnimplatz in Berlin wird seither Abwasser aus Badewannen und Duschen über einen Wärmetauscher geführt, um das mit 10 °C kalte Trinkwasser auf 25 °C vorzuwärmen. Anschließend wird es mit einem Blockheizkraftwerk auf mehr als 60 °C Endtemperatur erhitzt. Die gesparte Energie entspricht etwa einem Fünftel des Wärmebedarfs für Warmwasser. Energie, Wasser und Kosten sparen - ohne Komfortverzicht Grauwasser-Recycling mit Wärmerückgewinnung - speziell für Wohnungsbau, Heime und Hotels Abwasser, Grauwasser-Recycling, Wasser sparen, Energie sparen, Wärmerückgewinnung, Gebäudetechnik Klaus W. König Wasser- und Wärmerecycling in derselben Anlage, ohne Komforteinbuße - was wie Wunschdenken aussieht, wird im Wohnungsbau bei einzelnen Objekten seit zehn Jahren mit Erfolg praktiziert: die Mietnebenkosten sinken deutlich. Doch warum sollen Hausbesitzer investieren, wenn nur die Bewohner profitieren? Ein im Jahr 2021 in Berlin fertiggestellter Wohnungsbau mit 399 Apartments für Studenten liefert eine Antwort. Bild 1: Die Berlinovo baute im Jahr 2021 mit Hilfe der Lechner Immobilien Development GmbH als Generalunternehmerin eine 7-geschossige Apartmentanlage für 442 Studenten. Das Objekt entstand in Modulbauweise mit 90 % Vorfertigung. © berlinovo 56 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie CO 2 -neutrale Warmwasserbereitung scheint machbar In einem ergänzenden DBU-geförderten Projekt des Ingenieurbüros „Nolde - innovative Wasserkonzepte GmbH“ [2] wurden verschiedene Mehrfamilienhäuser in Berlin und Frankfurt am Main mit Wärmerückgewinnungs-Systemen im Praxisbetrieb untersucht und bewertet - mit aufschlussreichen Erkenntnissen: Ein seit 2016 fertiggestelltes Mietshaus mit 27 Wohneinheiten in Frankfurt hat eine geringere Rate an Grauwasser-Recycling im Vergleich zum oben genannten größeren Objekt in Berlin, doch die Ausbeute an Wärme ist durch Einsatz einer Wärmepumpe größer. Insgesamt holt das System pro Kubikmeter Grauwasser etwa doppelt so viel Wärme heraus. Das Trinkwasser kann damit in Frankfurt bis auf 40 °C vorerhitzt werden. Das entspricht 60 % des Wärmebedarfs für das Warmwasser. Wird zusätzlich das Abwasser aus Waschmaschinen genutzt und werden die Rohre der Warmwasserleitungen entsprechend gedämmt, kann man sich dem Ziel der CO 2 -neutralen Warmwasserbereitung schrittweise nähern und einen noch deutlicheren Beitrag zur Wärmewende leisten, insbesondere wenn der Strom für die Wärmepumpe zur weiteren Erhöhung der Warmwassertemperatur auf 60 °C aus der eigenen Photovoltaik-Anlage stammt [3]. Weitere Ergebnisse der Projektstudie: In öffentlichen und privaten Gebäuden in Deutschland werden etwa 40 % des Gesamtenergieverbrauchs für Heizung, Warmwasser und Beleuchtung verwendet. „Dies sind fast 20 % des gesamten Kohlendioxid- Ausstoßes in Deutschland“, sagt Projektleiter Erwin Nolde. Von den 40 % entfällt nach seinen Worten mehr als die Hälfte auf Wohngebäude - und damit ein beachtlicher Teil auf die Trinkwassererwärmung. Nachfolgend beschriebenes Objekt ist nach Fertigstellung der vergleichenden Studie entstanden und deshalb darin nicht enthalten. Eindrucksvolle 399 Apartments in Berlin- Pankow Das ist Haustechnik im Weltklasseformat. Im internationalen Vergleich liegen Deutschland und England bei Wasserrecycling im Wohnungsbau vorne. Wird dabei noch Wärme in einer Dimension wie hier zurückgeholt, nimmt das Projekt weltweit einen Spitzenplatz in der Kategorie „völlig ohne Komfortverlust für die Bewohner“ ein. Mit der 7-geschossigen Apartmentanlage für Studenten ist der landeseigenen Berlinovo Immobilien Gesellschaft mbH ein großer Wurf gelungen. Generalunternehmerin war die Lechner Immobilien Development GmbH, Teil der Lechner Group. Das Frankfurter Unternehmen wurde bereits 2018 mit dem 1. Rang im Bundeswettbewerb „Serielles und Modulares Bauen“ ausgezeichnet. Die Module für das Objekt in Berlin- Pankow wurden nach 90-prozentiger Vorfertigung in der Deutschen Modulhausfabrik GmbH [4], einem weiteren Teil der Lechner Group, teilmöbliert auf die Baustelle gebracht und montiert. So konnte zum Beispiel das zweite Leitungsnetz für die Sammlung von Grauwasser und die Verteilung von Betriebswasser bei der Entwicklung im Herstellerwerk in die Leitungsschächte der Modultypen optimal integriert werden. Überwiegend sind es 1-Zimmer-Wohnungen mit 16 m² Fläche, einige der 399 Apartments haben doppelte Größe und werden an 2-Personen- Wohngemeinschaften vermietet, insgesamt sind es 442 Bewohner. Nutzungsart und Bewohnerdichte sind mit der eines Hotels vergleichbar. Damit ist, bezogen auf die Gesamtfläche des Gebäudes, der Trinkwasserbedarf sehr hoch. Das heißt, Wassersparmaßnahmen machen nicht nur Sinn, sie zahlen sich auch aus - vor allem wenn gleichzeitig Wärme EEWärmeG: Die Nutzung der Abwärme kann zur Erfüllung des EEWärmeG als Ersatzmaßnahme angesetzt werden. Finanzierung: Für Wasserrecycling mit integrierter Wärmerückgewinnung werden Contracting-Modelle angeboten und bereits praktiziert. Gebäudezertifizierung: Wasserrecycling und Wärmerückgewinnung bringen Credit Points für die Gebäudezertifizierung nach DGNB, BREEAM, LEED, etc. Klimaschutz: Das Verfahren des dezentralen Wasserrecyclings in Kombination mit Wärmerückgewinnung holt aus dem häuslichen Abwasser deutlich mehr Energie als zum Betrieb der Anlage benötigt wird. Es wirkt durch diesen Energie-Überschuss und die damit verbundene CO 2 -Einsparung positiv auf das Klima. Quelle: Nolde - innovative Wasserkonzepte GmbH GUT ZU WISSEN Bild 2: In die Behälter der Wirbelbettreaktoren wird von unten Luft zugeführt, um die biologische Wasserreinigung zu beleben. Dabei sich absetzende partikuläre Substanzen werden mechanisch ausgeschleust. Oben an den Behältern erfolgt der Druckausgleich mit Abluftrohren. © König 57 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie zurückgewonnen wird - und die Bewohner keinerlei Einschränkungen spüren. Die täglich anfallende Abwassermenge aus den Duschen und Handwaschbecken (Grauwasser) ist hier höher als der tägliche Bedarf für die Toilettenspülungen. Und das ist unabhängig vom Grad der Belegung des Hauses. Vorteil: Es reichen relativ kleine Vorratsspeicher aus, da schnell und ausreichend mit „Nachschub“ zu rechnen ist. Auch muss die zurückgewonnene Wärme nicht lange zwischengespeichert werden. Insgesamt also ideale Verhältnisse für ein rentables Recycling [5]. Der Überschuss an aufbereitetem Grauwasser, Betriebswasser genannt, wird als Abwasser abgeleitet, da kein weiterer Bedarf besteht. Es könnte zur Bewässerung von Außenanlagen oder Gründächern oder für Waschmaschinen genutzt werden. Bewohner sparen viel, ohne es zu merken Da Studenten nur für kurze Zeiträume eine Unterkunft benötigen, rechnet Berlinovo eine monatliche Brutto-Warmmiete ab, welche Nebenkosten wie Warm- und Kaltwasser sowie Abwasser pauschaliert enthält. Durch die finanziellen Einsparungen bei Wasser (für Toilettenspülung) und Energie (für die Warmwasserbereitung mit Fernwärme) hat die Bauherrschaft als Vermieterin den Vorteil, gegenüber Wettbewerbern ihre Apartments günstiger anbieten zu können. Dazu kommt die attraktive Möglichkeit, die Grauwasseraufbereitung in der Planungsphase zum Erreichen eines höheren Energiestandards, hier zum Beispiel BEG-Effizienzhaus 55, anzusetzen. Ist damit ein Zuschuss verbunden, darf der zum Teil in die Amortisation der Grauwasseranlage eingerechnet werden. Außerdem bleibt, selbst wenn das Gebäude nicht auf Nachhaltigkeit zertifiziert ist, eine deutliche Verkehrswerterhöhung für mehrere Jahrzehnte, denn kontinuierlich, ohne dass die Bewohner etwas davon merken, bleiben die Betriebskosten niedrig. Schon zu Beginn der Belegung mit 40 % Bewohnern erwirtschaftete die Anlage fünf Mal mehr Energie, als zum gesamten Betrieb des Recyclings erforderlich. Das spart bei der Trinkwassererwärmung stetig 20 % Energie. Und pro Person ist der Frischwasserbedarf um 30 % gesunken und damit die Trink- und Abwassergebühren. Eine detaillierte Auswertung der tatsächlichen Einsparungen erfolgt nach einem Jahr Regelbetrieb bei voller Belegung des Hauses, voraussichtlich in der 2. Jahreshälfte 2023. Erwin Nolde, geschäftsführender Gesellschafter bei „Nolde - innovative Wasserkonzepte GmbH“, ist spezialisiert auf die Planung objektbezogener Anlagen. Er realisiert diese in Zusammenarbeit mit Rudi Büttner, Inhaber der Lokus GmbH, der die Technik installiert. Beide bevorzugen für die Grauwasseraufbereitung das Wirbelbettverfahren, welches sowohl wenig Energie als auch wenig Wartung benötigt und sich seit mehr als 20 Jahren bei unterschiedlichen Objekten als sehr robust erwiesen hat. Die Reinigung des Grauwassers geschieht dabei in einem vollautomatischen, mehrstufigen und geschlossenen Recycling-Prozess, ohne chemische oder biologische Zusätze. Das so entstandene Betriebswasser darf in Deutschland zur Gartenbewässerung, Toilettenspülung oder für die Waschmaschine verwendet werden.  DIN EN 16941-2 „Vor-Ort-Anlagen für Nicht-Trinkwasser - Teil 2: Anlagen für die Verwendung von behandeltem Grauwasser“ erschien in der deutschen Fassung im Beuth Verlag, Berlin, im November 2021.  Merkblatt DWA-M 277, Hinweise zur Auslegung von Anlagen zur Behandlung und Nutzung von Grauwasser und Grauwasserteilströmen, Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA), Hennef Oktober 2017.  fbr-Hinweisblatt H 202, Grauwasser-Recycling, Planungsgrundlagen und Betriebshinweise, Fachvereinigung Betriebs- und Regenwassernutzung e. V. (fbr), Darmstadt Oktober 2017. TECHNISCHES REGELWERK Bild 3: Schaumstoffwürfel als Trägermaterial für die Biologie der Aufbereitungsanlage. Links fabrikneu, mittig und rechts mit Bewuchs in getrocknetem Zustand nach 16 Jahren ununterbrochenem Betrieb. © Nolde Bild 4: Probenahme im Technikraum. Das Betriebswasser aus dem aufbereiteten Grauwasser ist weder durch Geruch noch Optik vom Trinkwasser zu unterscheiden. © König 58 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie Seit 2011 wenden Nolde und Büttner in der Abwasseraufbereitung zusätzlich das Prinzip „Internet of Things“ (IoT) an. Das heißt, dass sich die Anlagensteuerung selbst kontrolliert und Unregelmäßigkeiten per E-Mail oder SMS an den Betreiber meldet. Die vernetzten Geräte stellen über das Internet eine Schnittstelle zur Verfügung, über die sie sich von einem beliebigen Ort aus bedienen und steuern lassen. Dadurch, so Nolde, konnten die Recycling- Erträge deutlich erhöht und der Wartungsaufwand gesenkt werden. An die Haustechnikplaner gerichtet appelliert er, die gewonnene Wärme in der Wärmemengenberechnung bereits zu berücksichtigen und stellt fest: „Falls, wie für das Studentenwohnheim von uns errechnet, bei Vollbelegung täglich 120 kWh zurückgewonnen werden, würde das eine solarthermische Anlage mit 120 m² ersetzen, deren Fläche dann zum Beispiel für Photovoltaik zur Verfügung stünde“. Spezielle Anlagendetails in Berlin-Pankow Das warme Grauwasser aus den Duschen wird mit Hilfe eines Siebes zunächst von störenden Stoffen befreit, bevor ihm nach dem 3-stufigen Grauwasserpuffer zum ersten Mal Wärme entzogen wird. Sieb, Wärmeübertrager und Behälter reinigen sich bei Bedarf automatisch. Die gewonnene, in die Trinkwasser-Vorerwärmung übertragene Wärme wird an das Kaltwasser abgegeben, kurz bevor dieses zur Warmwasserbereitung gelangt. Das abgekühlte Grauwasser wird weiter durch die 4-stufige biologische Aufbereitung gepumpt. Sie besteht aus den mit Schaumstoffwürfeln bestückten Wirbelbettreaktoren, wo Bakterien, die sich in der Anfangsphase selbst auf den Würfeln ansiedeln, die organische Schmutzfracht oxidativ und rein biologisch abbauen, während von unten lediglich Luft zugeführt wird. Dabei sich absetzende partikuläre Substanzen werden mechanisch ausgeschleust. Der letzte der „Reaktoren“ klärt das Grauwasser auf einen Rest-BSB-Wert von unter 5 mg/ l. Der nachgeschaltete Sandfilter erzielt Trübungswerte unter 0,5- NTU (Bei Trinkwasser beträgt der Grenzwert lediglich 1 NTU). Nach dieser Endreinigung gelangt das ehemalige Grauwasser über einen zweiten Wärmetauscher und die UV-Desinfektion als so genanntes Betriebswasser in den 6-teiligen Vorratsspeicher und wird von dort nach Bedarf über eine Druckerhöhungsanlage mit 5 bar zur Toilettenspülung an die 399 Apartments abgegeben. Faktencheck für Investoren und Planer Grauwasserertrag, enthaltene Wärmeenergie sowie Betriebswasserbedarf unterliegen nutzerbedingt und jahreszeitlich Schwankungen. Die Anlagenplanung muss deshalb objektspezifisch von einem erfahrenen Büro durchgeführt werden. Doch welche sind die geeigneten Objekte, wer die typischen Auftraggeber? Grauwasser-Recycling ist insbesondere dort lukrativ, wo viele Bewohner in mehrgeschossigen Gebäuden untergebracht sind; zum Beispiel in Hotels, im mehrgeschossigen Wohnungsbau oder in Wohnheimen. Weitere Voraussetzungen für Wasserrecycling mit Wärmerückgewinnung:  frühe Einbeziehung der Idee in die Gebäudeplanung  getrennte Erfassung von Grauwasser (aus Duschen und Badewannen, eventuell auch aus Waschmaschinen) und sonstigem Abwasser Beides gelingt am besten bei Neubau und Kernsanierung. 0% 100% 200% 300% 400% 500% 600% 700% 0,0 10,0 20,0 30,0 40,0 50,0 60,0 70,0 15.05.2022 16.05.2022 17.05.2022 18.05.2022 19.05.2022 20.05.2022 21.05.2022 22.05.2022 23.05.2022 24.05.2022 25.05.2022 Wärmeoutput/ Strominput [%] kWh/ d Vergleich der Wärmerträge zum Strombedarf für Wasserrecycling und Wärmerückgewinnung Gesamt-Strombedarf für Wasseraufbereitung, Verteilung und Wärmerückgewinnung [kWh/ d] in die Warmwasserbereitung eingespeiste Wärme [kWh/ d] Wärmeoutput/ Strominput [%] Bild 5: Strombedarf und Wärmeausbeute an 10 Tagen im Mai 2022, während erst 40 % der 399 Apartments belegt sind. Die Werte der gelben Kurven links in kWh/ d belegen einen 5-fach höheren Wärmeoutput gegenüber der eingesetzten Elektro-Energie. Die schwarze Kurve zeigt dieses Verhältnis mit etwa 500 % rechts an. © Nolde 59 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie Nolde bietet, weil er die technische Zuverlässigkeit der Anlagen und deren Sparpozential seit Jahren kontinuierlich optimiert hat, mit seinem Team seit 2018 diese ökologischen Wassersysteme in Berlin optional im Contracting an. Das heißt konkret, Nolde baut die Technik auf eigene Kosten in fremde Häuser ein und verkauft das zurückgewonnene Wasser und ggfls. die eingespeiste Wärme den Nutzern. Ebenso wie bei Wasser- und der Energieversorgern wird direkt an die Bewohner geliefert und nach gemessenen Mengen, meist über die Hausverwaltung, abgerechnet. Ähnlich funktioniert das seit Jahrzehnten bundesweit bei Wärmeliefer-Contracting in der Heiztechnik. Zusammenfassung Die Auswertung realisierter Projekte mit den rein biologisch arbeitenden Wirbelbettanlagen ergibt:  Grauwasserrecycling mit Wärmerückgewinnung holt aus dem häuslichen Abwasser deutlich mehr Energie als zum Betrieb der Anlage benötigt wird.  Wohnheime und Hotels, die ihren Bewohnern Wasser- und Energiekosten pauschaliert in Rechnung stellen, profitieren unmittelbar vom Grauwasserrecycling, ohne dass Verhaltensänderungen der Bewohner erforderlich sind.  Die Betriebskosten bleiben dauerhaft niedrig, denn Fernüberwachung mit einer speziellen App erspart Anfahrten zur Inspektion. Außerdem kann damit ein verändertes Nutzerverhalten jederzeit festgestellt und der Anlagenbetrieb, falls erforderlich, sofort angepasst werden.  Die höchsten Wärmeerträge fallen erfreulicherweise in den Wintermonaten an, in denen das Trinkwasser besonders kalt ist und die Sonne weniger Erträge über Solarthermie und Photovoltaik bringt.  Der Platzbedarf für die Aufbereitungsanlage, meist im Untergeschoss eines mehrgeschossigen Gebäudes, beträgt nur etwa 0,1 m 2 pro Bewohner, also kaum mehr als die Fläche eines DIN-A4- Blattes.  Die Investitionskosten liegen je nach Apartmentgröße bei 10 bis 20 € pro m 2 Wohnfläche. Sie amortisieren sich in wenigen Jahren, denn die Technik ist besonders wartungsarm. Der rasante Anstieg aktueller Energiepreise verkürzt die Amortisationszeit zusätzlich.  Die Investitionskosten (mit Ausnahme des doppelten Leitungsnetzes im Gebäude) entfallen, wenn die Wasser- und Wärmerückgewinnung im Contracting-Verfahren vergeben wird.  Im Wohnungsbau besteht großes Einsparpotenzial, bundesweit. QUELLEN [1] Jongebloed, K.: Wärmelecks in der Gebäudetechnik schließen (idw-online.de). Pressestelle DBU, 2022. [2] www.dbu.de/ @34056Abschlussbericht. [3] Nolde, E.: Grauwasser. Eine Ressource mit sehr viel Potential. In: fbr-wasserspiegel 4/ 21. Hrsg.: Fachvereinigung Betriebs- und Regenwassernutzung e. V. (fbr). Darmstadt, 2021. [4] www.lechner-cube.de [5] https: / / www.youtube.com/ watch? v=XmOWOSikr_s (450 Betten studentisches Wohnen mit Wasser- und Wärmerecycling) Video zum Grauwasser-Recycling bei den 399 Apartments der Berlinovo in Berlin-Pankow, 9.05.2022. Dipl.-Ing. Klaus W. König Fachjournalist und Buchautor Schwerpunkt: Veröffentlichungen über kostensparende und umweltschonende Bautechnik Kontakt: kwkoenig@koenig-regenwasser.de AUTOR 0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% 35% 40% 45% 0,0 2,0 4,0 6,0 8,0 10,0 12,0 14,0 16,0 18,0 15.05.2022 16.05.2022 17.05.2022 18.05.2022 19.05.2022 20.05.2022 21.05.2022 22.05.2022 23.05.2022 24.05.2022 25.05.2022 Trinkwasser-Einsparpotenzial [%] Wassermengen [m³/ d] Wasserbedarf und Betriebswasserdargebot Trinkwasserbezug [m³/ d] Anteil Warmwasser [m³/ d] aufbereitetes Betriebswasser [m³/ d] Trinkwasser-Einsparpotenzial [%] Bild 6: Wassereinsparung an 10 Tagen im Mai 2022, während erst 40 % der 399 Apartments belegt sind. Statt 23 m³ pro Tag werden nur 15-m³ Trinkwasser gebraucht, da 8-m³ Betriebswasser aus Grauwasser gewonnen und für die Toilettenspülung verwendet werden. Das ist eine Einsparung von 35 %. © Nolde 60 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie Intelligente Ladeinfrastruktur und intelligente Netze Energiemanagement für urbane und ländliche Räume Intelligente Netze, Ladeinfrastruktur, Lastmanagement, Elektromobilität Dennis Dreher, Lutz Gaspers, Rebecca Heckmann Das Forschungsprojekt Smart2Charge in der Gemeinde Wüstenrot untersucht die systemische Gesamtkonzeption von Energieverteilnetzen, Lastmanagement und Ladeinfrastruktur unter Zuhilfenahme von bidirektionaler Ladetechnik und intelligenten Softwarelösungen. Das Ziel ist die Entwicklung und der Aufbau eines holistischen Energiesystems, um die Kommunen nachhaltig mit regenerativer Energie zu versorgen und gleichzeitig Elektromobilität zu betreiben und E-Fahrzeuge als sinnvollen Zwischenspeicher zu nutzen. Es wurden verschiedene Softwarelösungen für das Lademanagement- und das dynamische Lastmanagementsystem für Ladelösungen getestet. Dadurch können regenerative Energieerzeugungsanlagen optimal genutzt und Lastspitzen vermieden werden. Ergänzend wurden verschiedene Geschäfts- und Betriebsmodelle erprobt und bewertet, die eine ökonomisch nachhaltige Umsetzung bieten. Im April 2022 waren in Deutschland 687 241 Elektroautos mit ausschließlich elektrischer Energiequelle (BEV) zugelassen. Zum Vergleich: 2021 waren es gerade einmal 309 083 Elektroautos. 1 Es ist zu erwarten, dass sich dieser Anstieg in den kommenden Jahren fortsetzen wird und dementsprechend wachsende Anforderungen an die Ladeinfrastruktur bestehen. Die Bewältigung dieser Aufgabe kann jedoch nicht im alleinigen Ausbau der Ladeinfrastruktur liegen, vielmehr müssen intelligente Systeme und Netze die Versorgung sichern. Um Lösungen für diese zukünftigen Herausforderungen zu finden, wird an der Hochschule für Technik in Stuttgart an der Mobilität von morgen geforscht. Im Kompetenzzentrum für Mobilität und Verkehr (MoVe) arbeitet ein Team von zehn Forschenden an derzeit fünf umfangreichen Forschungsvorhaben. Diese umfassen eine große thematische Bandbreite. So werden sowohl Lösungen für den urbanen, den suburbanen, als auch den ländlichen Raum untersucht, um die spezifischen Bedürfnisse der unterschiedlichen Raumtypen zu ermitteln und ganzheitliche Ansätze umsetzen zu können. An dieser Stelle wird ein Forschungsprojekt aus dem ländlichen Raum in der Gemeinde Wüstenrot vorgestellt: Mit etwa 6 600 Einwohnenden liegt die Gemeinde auf halber Strecke zwischen Stuttgart 1 Kraftfahrtbundesamt 2022 und Heilbronn. Mehr als die Hälfte der Einwohnenden lebt nicht im Hauptort Wüstenrot, sondern in eingemeindeten Dörfern und Weilern. Dementsprechend herausfordernd sind die Mobilitätsbedürfnisse vor Ort. Es sollte zudem bedacht werden: Viele Wege der Bürger*innen aus den ländlichen Räumen führen in die Städte und Ballungszentren. Dementsprechend haben auch diese einen Einfluss auf die Mobilität und damit die Lebensqualität im urbanen Raum. Die Plus-Energie-Gemeinde Wüstenrot Die Gemeinde Wüstenrot hat sich das Ziel gesetzt, zur Plus-Energie-Gemeinde zu werden. Dies wird dann erreicht, wenn die Erzeugung erneuerbarer Energien zur Wärme- und Stromversorgung den Primärenergieverbrauch der Gemeinde übersteigen. Bereits heute gibt es in Wüstenrot einen großen Anteil an erneuerbaren Energien. Die Gemeinde arbeitet derzeit unter Hochdruck an der Optimierung ihres Strom- und Wärmenetzes mit dem Einsatz intelligenter Monitoring-Systeme. Als nächster Schritt soll nun die Elektromobilität in dieses holistische Gesamtkonzept integriert werden. Der zu erwartende und konsequent voranschreitende Ausbau der Elektromobilität stellt Kommunen in ländlichen Räumen wie Wüstenrot vor große Herausforderungen: Es stellt sich die Frage, wie die erforderliche 61 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie Energiemengen durch volatile Energiequellen reagiert werden. Für die Umsetzung des bidirektionalen Ladens bedarf es einer ganzheitlichen Hardwarelösung, die im Projekt Smart2Charge errichtet wird. So müssen sowohl die Fahrzeuge, als auch die Ladeinfrastruktur auf das bidirektionale Laden ausgelegt sein. Darüber hinaus erfordert diese Technologie auch ein fundiertes Wissen über das Nutzerverhalten, da sich folgende Fragen stellen: Wie flexibel kann das Fahrzeug als Energiespeicher herangezogen werden? Welchen Ladezustand muss die Batterie morgens aufweisen, um die Mobilitätsbedürfnisse der Nutzer*innen zu erfüllen? Eine grundlegende Voraussetzung für das bidirektionale Laden ist daher ein tiefergehendes Verständnis der Mobilitätsbedürfnisse der Bürger*innen von Wüstenrot durch eine Verkehrsstromanalyse. Diese gibt Rückschlüsse darüber, wie weit die zurückgelegten Wege sind oder welche Quell- und Zielorte für die Menschen von Bedeutung sind. Verkehrsmodellierung und Analyse des Nutzerverhaltens In diesem Zusammenhang wurde eine umfangreiche Verkehrs- und Mobilitätsuntersuchung in der Gemeinde Wüstenrot durchgeführt. Hierfür wurden Befragungen und Zählungen vor Ort unternommen sowie Sekundärdaten und Statistiken analysiert. All diese Erkenntnisse flossen in ein Verkehrsmodell in der Verkehrsplanungssoftware PTV VISUM, welches die wichtigsten Verkehrsbeziehungen der Gemeinde abbildet. Je breiter der Balken einer Verbindung ist, desto höher ist das potenzielle Verkehrsaufkommen. In der Karte werden ausschließlich die Verkehrsströme der Gemeinde Wüstenrot und ihrer Teilorte dargestellt - das bedeutet, alle Verkehrsbeziehungen, die von diesen Orten ausgehen beziehungsweise dort enden. Sektorkopplung Sektorkopplung Lastmanagement Lastmanagement Verkehr Wärmebedarf Energiewirtschaft (Stromproduktion) Power-to-Heat Power-to-Hydrogen Power-to-X E-Mobilität Vehicle-to-Grid Power-to-X Power-to-Hydrogen Energie Energie Ladeinfrastruktur intelligent und zukunftsweisend aufgebaut und zugleich in das bestehende Stromnetz, das häufig über viele Jahrzehnte entstanden ist, integriert werden kann. Welche Lösungsansätze für diese Fragestellungen bestehen, um das Netz gleichermaßen wirtschaftlich sinnvoll und mit langfristig hoher Akzeptanz betreiben zu können, wird im Forschungsprojekt Smart2Charge untersucht und praktisch umgesetzt. Das Forschungsprojekt Smart2Charge knüpft dabei an die langjährige Zusammenarbeit der Gemeinde Wüstenrot mit der Hochschule für Technik Stuttgart an. In vorangegangen Projekten wurde bereits an der praktischen Umsetzung einer nachhaltigen Energieversorgung geforscht, bei denen sich das eingangs definierte Ziel der Gemeinde Wüstenrot manifestierte, zur Plus-Energie-Gemeinde werden zu wollen. Dementsprechend ist es auch unerlässlich, den Verkehrs- und Mobilitätssektor mit in die Betrachtung einzubeziehen. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) im Rahmen des 7. Energieforschungsprogramms „Innovationen für die Energiewende“ gefördert. Assoziierte Partner sind neben verschiedenen Teams der Hochschule für Technik Stuttgart (Energietechnik, Mobilität, Wirtschaftspsychologie) die Gemeinde Wüstenrot, OXYGEN Technologies, enisyst, Mitsubishi Motors Deutschland und die Castellan AG. Bidirektionales Laden in der Gemeinde Wüstenrot Beim Ausbau der Elektromobilität eröffnen sich durch die Kopplung von Sektoren interessante Chancen. So kann das Energiesystem durch eine intelligente digitale Vernetzung der Fahrzeugbatterien mit lokalen Stromspeichern und Systemen zum Energiemanagement für Gebäude noch effizienter gestaltet werden. Die damit einhergehende Flexibilität verbessert durch die intelligente Nutzung die Unabhängigkeit von volatilen Energiequellen. In Wüstenrot soll dies durch den Einsatz von bidirektionalem Laden ermöglicht werden. Stark vereinfacht bedeutet dieser Begriff das „Laden in beide Richtungen“. So kann ein Elektroauto, das an einem Ladepunkt bzw. einer Wallbox angesteckt ist, Strom aus dem Netz entnehmen. Andersherum kann der Strom aus dem Fahrzeug bei Bedarf aber auch in das Stromnetz oder an weitere Verbraucher im Haushalt zurückgespeist werden. Durch dieses Prinzip besteht das Potenzial, eine Vielzahl lokaler Energiespeicher in Form von Elektroautos in das Energienetz zu integrieren. Damit kann besser auf Spitzenlasten sowie schwankende Bild 1: Prinzipdarstellung der Sektorenkopplung zwischen Energie und Verkehr. © HFT Stuttgart, Elangovan. 62 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie In der Verkehrsplanung gilt die Modellierung als anerkannte Methode: Komplexe Sachverhalte können visualisiert werden und Aussagen zu Szenarien getroffen werden, die sich in der Realität nur mit großem Aufwand testen lassen bzw. aus Kosten- oder Sicherheitsaspekten nicht für Experimente geeignet sind. Aus diesem Verkehrsmodell konnte eine Vielzahl von Kennwerten berechnet werden, die zur Generierung von Mobilitätsprofilen herangezogen werden können. So zeigte sich, dass pro Tag und Person durchschnittlich 2,92 Wege zurückgelegt werden, die im Mittel etwa 34 km lang sind. Der Vergleich zur MiD-Studie zeigt: Wüstenrot weicht damit nur marginal in der vergleichbaren Kategorie des ländlichen Raums ab, der durchschnittlich 3,1 Wege pro Person und Tag mit einer mittleren Länge von 39 km ausweist. 2 Durch Befragungen vor Ort konnte zudem eine wichtige These bestärkt werden: So spielen nicht nur überregionale Verkehrsbeziehungen mit großen Entfernungen eine Rolle. Vielmehr sind auch die Verknüpfungen zwischen den Teilorten und Weilern der 2 Vgl. MiD2017 Gemeinde Wüstenrot von großer Bedeutung und weisen einen dementsprechend hohen Anteil des induzierten Verkehrs auf. Das bedeutet, dass das grundsätzliche Potenzial zur bidirektionalen Nutzung der Fahrzeugbatterien durchaus gegeben ist. Begründen lässt sich dies damit, dass die meisten zurückgelegten Wege im Alltag oft weit davon entfernt sind, die volle Kapazität der Batterie zu benötigen. Fahrten über weite Strecken sind aktuell eher die Ausnahme als die Regel, müssen aber zukünftig beim Lastmanagementsystem Berücksichtigung finden. Generierung von Mobilitätsprofilen Auf Basis der Verkehrsuntersuchung wurde vom Zentrum für Nachhaltige Energietechnik (zafh.net) der Hochschule für Technik Stuttgart ein Tool entwickelt, mit dem Mobilitätsprofile generiert werden können. Dieses nutzt als Grundlage anonymisierte Daten der MiD-Studie, die sich über das Verkehrsmodell kalibrieren lassen. Damit können für die Fahrzeuge in Wüstenrot typische Mobilitätsprofile generiert werden. Diese geben Aufschluss darüber, welche Strecken zurückgelegt werden oder zu welchem Zeitpunkt und welchem Wegezweck ein Fahrzeug genutzt wird. Über diese Profile können wichtige Attribute und Daten simuliert werden, wie der Ladezustand des Fahrzeugs oder die erforderliche Zeit zur Aufladung. Diese Informationen sind für den Betrieb von bidirektionalem Laden essenziell, um einerseits die erforderliche Reichweite zu garantieren sowie andererseits einen großen Nutzen für das Energienetz zu erhalten. Abfrage Routine Relationale Datenbank Rohdaten Fahrtprofile Bild 2: Visualisierung der Verkehrsströme der Gemeinde Wüstenrot in PT V VISUM. © HFT Stuttgart, Dreher Bild 3: Funktionsweise der Generierung von Mobilitätsprofilen. © HFT Stuttgart, Dreher, Elangovan 63 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie Privates und öffentliches Car-Sharing Angestoßen durch Smart2Charge soll in Wüstenrot ein Car-Sharing-Angebot geschaffen werden. Grundsätzlich bietet ein solches Angebot die Chance, die Mobilität vor Ort nachhaltiger zu gestalten. So kann Car-Sharing beispielsweise Zweit- oder Drittwagen ersetzen und damit den Fahrzeugbestand in der Gemeinde senken. Zudem werden durch eine ganzheitliche Betrachtung auch weitere Verkehrsmittel des Umweltverbunds, wie der ÖPNV oder der Rad- und Fußgängerverkehr, gestärkt. Im ersten Schritt wird ein geschlossenes Car- Sharing-System innerhalb eines Quartiers in der Gemeinde implementiert. Damit soll zunächst herausgefunden werden, wie groß das tatsächliche Nutzerpotenzial ist und welche Entlastung für das Stromnetz grundsätzlich damit verbunden sein kann, wenn ein halböffentliches E-Fahrzeug als Zwischenspeicher genutzt wird. Zudem sollen Erfahrungen gesammelt werden, um im späteren Verlauf des Projekts ein öffentliches Car-Sharing-Angebot zielgerichtet und zuverlässig einrichten zu können. Auf Basis dieses Pilotprojekts soll letztendlich ein Angebot für alle Bürger*innen der Gemeinde geschaffen werden. Am geplanten Standort an der Georg-Kropp-Schule, welcher zentral in der Hauptgemeinde liegt, werden bereits jetzt Vorbereitungen für die bidirektional nutzbare Ladeinfrastruktur geschaffen. Das Ziel ist es, dass an dieser Stelle in Zukunft ein öffentlich nutzbares Car-Sharing verfügbar ist. Perspektivisch kann dieses Angebot auch auf die Teilorte ausgedehnt werden, um dort ein vergleichbares Angebot zu schaffen und deren Erreichbarkeit zu stärken. Blick in die Zukunft Die kommenden Jahre werden die Kommunen in urbanen und suburbanen Räumen gleichermaßen vor Herausforderungen stellen. Bei der Lösung dieser Herausforderungen geht die Gemeinde Wüstenrot voran. Das bidirektionale Laden bietet die Chance, den Weg zur Plus-Energie-Gemeinde zu ebnen. Perspektivisch gesehen besteht durch den zunehmenden Anteil an Elektrofahrzeugen die Möglichkeit, eine Vielzahl von Energiespeichern im Energienetz zu integrieren, die dessen Stabilität bei einem gleichzeitig hohen Anteil erneuerbarer Energiequellen langfristig sichern können. Ohne den Einsatz intelligenter Lastmanagementsysteme sind die bestehenden Netze diesem Anstieg nicht gewachsen - ein Ausbau der Netze ist in der verbleibenden Zeit zudem kaum denkbar und unter Umständen weder erforderlich noch sinnvoll. Insofern müssen intelligente Systembausteine, wie das bidirektionale Laden, ein Teil der zu fokussierenden Lösung sein. Durch das vorgestellte Projekt wird bereits heute erforscht, wie diese Technologien zukünftig eingesetzt werden können. Aus Sicht der Verkehrsplanung gilt es nun, die Elektromobilität sowie das Car-Sharing-Angebot in Wüstenrot in ein ganzheitliches Mobilitätskonzept zu integrieren. Der größte Nutzen für die Gemeinde wird sich dann ergeben, wenn alle Verkehrsmittel in dieser Konzeption gleichermaßen bedacht werden. Es bleibt festzuhalten: Die Sektoren Mobilität, Energie und Digitalisierung werden in den nächsten Jahren immer stärker zusammenrücken. Deren gemeinsame Betrachtung ist unerlässlich, um die Herausforderungen von morgen zu bewältigen. Zudem zeigen die Hochschule für Technik Stuttgart und die Gemeinde Wüstenrot: Innovative Lösungsansätze für die Mobilität der Zukunft entstehen nicht nur in den Städten, sondern auch im ländlichen Raum. Dennis Dreher, M.Eng. Akademischer Mitarbeiter Teamleitung MoVe Hochschule für Technik Hf T Stuttgart Kontakt: dennis.dreher@hft-stuttgart.de Prof. Dr.-Ing. Lutz Gaspers Professor und Prorektor Gründer, Leiter und Sprecher des MoVe Hochschule für Technik Hf T Stuttgart Kontakt: lutz.gaspers@hft-stuttgart.de Dipl.-Ing. Rebecca Heckmann Akademische Mitarbeiterin Hochschule für Technik Hf T Stuttgart Kontakt: rebecca.heckmann@hft-stuttgart.de AUTOR*INNEN Bild 4: Der bidirektional ladbare Mitsubishi Outlander in der Plusenergiesiedlung. © HFT Stuttgart, Pietzsch 64 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie Das 9-Euro-Ticket: Ein heiß diskutiertes Thema! Das Treffen des Koalitionsausschusses am 23. März 2022 zum Energie-Entlastungspaket, bei dem die Idee eines bundesweit einheitlichen, sehr günstigen Tickets geboren wurde [1], wird nachhaltige Wirkungen für die gesamte Mobilitätsbranche mit sich bringen. Erste Bewertungen ließen nicht lange auf sich warten und erfolgten bereits deutlich vor Ablauf der 3-monatigen Angebots-Periode [2], wobei das Ticket in der Berichterstattung sehr unterschiedlich bewertet wurde. Zu Beginn der Gültigkeit standen Das 9-Euro-Ticket in Städten Wirkungsmechanismus im Stadt- und Regionalverkehr 9-Euro-Ticket, Verkehrswende, Verkehrsmittelverlagerung, Nachfolgeangebote Andreas Krämer Das 9-Euro-Ticket wurde im dreimonatigen Gültigkeitszeitraum ( Juni bis August 2022) von etwa 38 Mio. Menschen genutzt. Auf Basis einer repräsentativen Studie wird die Nutzung des Tickets in Abhängigkeit von der Größe des Wohnortes analysiert. Der Anteil der Personen, die das 9-Euro-Ticket zumindest in einem Monat besessen haben, liegt in Städten mit mehr als 500 000 Einwohnern bei mehr als 70 %. Die Nutzung durch Großstädter betraf schwerpunktmäßig Fahrten im Wohnort (Zielort) und in geringerem Maße längere Strecken (> 100 km). Das Ticket führt zu positiven Klimawirkungen, und zwar nicht nur auf längeren Strecken im Bahnregionalverkehr, sondern auch im Nahbereich. Bei Strecken am Wohnort (Zielort) ergeben sich die stärksten Verlagerungseffekte vom PKW. Selbst bei kurzen Strecken (bis 5 km) wird etwa jede zehnte Fahrt vom PKW auf den ÖPNV verlagert. © Cornelia Schneider-Frank auf Pixabay 65 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie vor allem negative Kundenerfahrungen medial im Vordergrund, obwohl sich die überwiegende Anzahl der Ticketnutzer zufrieden mit dem 9-Euro-Ticket zeigte [3]. Noch kritischer wurde die Stimmung in den Medien als Mitte Juli bis Anfang August von einigen Mobilitäts-Experten das Urteil abgegeben wurde, das Ticket könne unmöglich zu einer Fahrtenverlagerung vom PKW führen, was in letzter Konsequenz klimaschädlich sei [4, 5] und brächte unter dem Strich mehr Schaden als Nutzen [6]. Nur wenig später kommt es dann zur 180-Grad-Kehrtwende. Bewertet wird das Ticket als Erfolgsmodell, nachdem zunächst das Bundesland Hamburg ein positives Zwischenfazit zog [7], spätestens aber dann, als die Studienergebnisse des VDV (Verband Deutscher Verkehrsunternehmen) eine Verlagerung der Nachfrage vom PKW auf Busse und Bahnen in Höhe von 10 % auswiesen, verbunden mit erheblichen CO 2 - Einsparungen [8]. In der Fachwelt wurde dies erstaunt zur Kenntnis genommen, hatte der Verband bis dato weniger positive Ergebnisse bereitgestellt [9]. So hatte der VDV im Juli feststellt: „Gut jede vierte aller Fahrten mit dem 9-Euro-Ticket, einschließlich der Fahrten der Abo-Kundinnen und -Kunden, wäre ohne das Ticket von vornherein gar nicht unternommen worden“ [10]. Greenpeace hatte das Ticket bereits relativ früh als wesentliches Instrument zur Erreichung der Klimaziele eingeordnet [11]. Allerdings werden bei der Bewertung des Tickets immer wieder starke Unterschiede je nach Raumstruktur diskutiert. Dabei entsteht teilweise der Eindruck, das Ticket sei primär ein Angebot für Großstädter und Menschen in Ballungsräumen. Auf Basis einer eigenen empirischen Untersuchung soll der Frage nachgegangen werden,  wie unterschiedlich die Nutzung des 9-Euro- Tickets nach Wohnortgröße ist,  welche Charakteristika die 9-Euro-Ticket-Nutzer besitzen,  wie stark eine Verlagerung der Mobilitäts-Nachfrage in Abhängigkeit von der Nutzungsart stattgefunden hat und  wie ein Nachfolgemodell in diesem Kontext einzuordnen ist. 9-Euro-Ticket: Charakteristika der Nutzer Methodischer Ansatz Im Folgenden werden Ergebnisse der Studie OpinionTRAIN, einer Kooperationsstudie der exeo Strategic Consulting AG und der Rogator AG, vorgestellt. Es handelt sich dabei um eine repräsentativ angelegte Onlineerhebung im Zeitraum 26. August bis zum 1. September 2022, also zum Ende der Gültigkeit des 9-Euro-Tickets. Befragt wurden 2 484 Personen ab 18 Jahren in Deutschland, Kernzielgruppe sind n = 1 041 Studienteilnehmende, die das 9-Euro-Ticket besessen haben (Nutzung eines Online-Access-Panels zur Rekrutierung der Probanden, Dauer der Kernbefragung etwa 10 Minuten). Ein Ticket primär für Großstädter? In der Bewertung des 9-Euro-Tickets, aber auch von möglichen Nachfolgeangeboten, wird teilweise behauptet, das Ticket würde vor allem von Großstädtern genutzt, zum Beispiel um Ausflüge zu unternehmen, während sich der Nutzungsgrad bei Bild 1: Kenntnis und Besitz des 9-Euro-Tickets nach Wohnortgröße (Sep. 2022). © Krämer 66 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie Landbewohnern in Grenzen halte [12]. Etwas differenzierter führt das DLR in seiner Analyse aus: „Die Kundschaft des 9-Euro-Tickets, vor allem aber von klassischen ÖPNV-Abos, lebt häufiger in großen Städten“ [13]. Wie Bild 1 verdeutlicht, geben 52 % der Befragten an, das 9-Euro-Ticket zumindest in einem Monat genutzt zu haben (38 Mio. Menschen). Auch die eigenen Studienergebnisse weisen eine Abhängigkeit der Nutzerquote von der Größe des Wohnortes (gemessen an der Zahl der Einwohner) aus, und zwar ansteigend von 35 % bei Wohnorten bis 1 000 Einwohner auf 72 % in Städten ab 500 000 Einwohner. Werden allerdings die Ticket-Besitzer insgesamt und deren Verteilung auf die Wohnortklassen betrachtet, ergibt sich folgendes Bild: 56 % der Ticket-Besitzer entfallen auf Wohnortklassen unterhalb der Schwelle von 100 000 Einwohnern (Grenze für Großstädte). Es kann vor diesem Hintergrund nicht festgestellt werden, das 9-Euro-Ticket sei primär oder schwerpunktmäßig von Großstädtern genutzt worden. Klar ist, dass der grundsätzliche Attraktionsgrad des Tickets in größeren Städten entsprechend höher ist (besseres Angebot, höherer Anteil an ÖPNV-Nutzern und -Stammkunden). Daher ist unter den Ticket-Nutzern der Anteil der Menschen, die den ÖPNV vor dem Juni 2022 gar nicht oder selten genutzt haben, in Großstädten relativ gering und in kleineren Kommunen höher. Der Hamburger Verkehrsverbund weist für die Stadt Hamburg eine 9-Euro-Ticket-Nutzerquote von 72 % aus, während diese im Umland bei etwa 49 % liegt. Für das Umland wird eine besonders starke absolute Aktivierung bisheriger ÖPNV-Nicht- oder Selten-Nutzer ausgewiesen [7]. Wenn etwa 20 % der Ticket-Nutzer angeben, den ÖPNV bisher nicht genutzt zu haben (26 % in der Gruppe der Ticket-Käufer), dann betrifft das hochgerechnet etwa 8 Mio. Menschen, die für den ÖPNV als Kunde jetzt erreichbar wurden [14]. Angesichts der teilweise erheblichen Fahrten- und Kundenverluste, die die Branche während der Corona-Pandemie verzeichnete, verdeutlicht dies: (1) Es lässt sich in der aktuellen Marktlage wieder verstärkt Kundschaft für den ÖPNV gewinnen. (2) Der Hebel Preis wirkt [15]. Nicht nur Personen in Orten mit gutem ÖPNV- Angebot können angesprochen werden: Wie Bild- 2 erkennen lässt, deckt das 9-Euro-Ticket relativ gut den Bevölkerungsdurchschnitt ab, insbesondere bei Betrachtung der Ticket-Käufer. Kunden mit ÖPNV- Abo, die das 9-Euro-Ticket automatisch erhalten haben, sind demgegenüber eher jünger, ÖPNV-affiner und eher großstädtisch lokalisiert. Erfahrungen der Nutzer Bereits Anfang Juni standen medial die Erfahrungen der Kundschaft im Vordergrund, die das 9-Euro- Ticket für längere Fahrten am Pfingstwochenende genutzt haben. Die Befragungsergebnisse zeigten allerdings einen eindeutigen Schwerpunkt der Fahrten am Wohnort (bzw. Zielort). Daran hat sich grundsätzlich auch in der rückwirkenden Betrachtung auf den gesamten Angebotszeitraum nichts geändert. Im Mittel wird das Ticket an 11,2 Tagen pro Monat genutzt (ø 9,7 Tage bei Ticket-Käufern, ø 15,3 Tage bei Nutzung im Abo). Die Aspekte „Alltägliche Fahrten“ (42 %) und „Besuchsfahrten“ (35 %) sind die am häufigsten genannten Fahrtzwecke, gefolgt von „Wegen zur Arbeit/ Ausbildungsstätte oder Schule“ Bild 2: 9-Euro-Ticket: Beschreibung der Nutzer (Sep. 2022). © Krämer Kennziffer Ausprägung Kein Besitz 9-Euro-Ticket Besitzer 9-Euro-Ticket 9-Euro-Ticket Ticket-Käufer 9-Euro-Ticket Abo-Kunden Bevölkerung Gesamt Geschlecht weiblich 49% 51% 50% 53% 50% männlich 51% 49% 50% 48% 50% divers 0% 0% 0% 0% 0% Altersklassen Bis 29 Jahre 9% 25% 21% 35% 17% 30 bis 59 Jahre 47% 50% 52% 47% 49% 60+ Jahre 44% 25% 28% 18% 34% ÖPNV- Nutzung Stammkunde 3+ Tage/ Wo. 8% 25% 15% 55% 17% Medium-Nutzer 12% 37% 39% 32% 25% Nicht- oder Selten-Nutzer 80% 38% 47% 14% 58% Haushaltsnettoeinkommen < 2.000 EUR 38% 34% 35% 33% 36% 2.000 - < 3.000 EUR 28% 24% 24% 25% 26% 3.000+ EUR 35% 42% 42% 42% 38% Wohnort < 10.000 Einw. 38% 21% 23% 15% 29% 10.000 - < 500.000 Einw. 51% 55% 56% 51% 53% 500.000+ Einw. 11% 24% 21% 34% 18% 67 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie (25 %) oder „Städtereisen“ (25 %) [14]. Die Befragungsergebnisse unterstreichen, dass die Erfahrungen von Kundinnen und Kunden mit dem 9-Euro- Ticket, insbesondere beim Aspekt Verfügbarkeit von Sitzplätzen, vergleichsweise kritisch sind. Das hat sich bereits Anfang Juni gezeigt und dies bestätigt sich im Rückblick. Nichtsdestotrotz bewertet die Kundschaft die Fahrten mit dem Ticket insgesamt positiv (28 % sind vollkommen zufrieden, 31 % sehr zufrieden, 29 % zufrieden, 9 % weniger zufrieden und 3 % unzufrieden). Auch die zum Angebotsstart gemessenen positiven Einstellungen haben sich somit als sehr robust erwiesen. Für welche Strecken wird das 9-Euro-Ticket genutzt? Für ein repräsentatives Bild zur Nutzung des 9-Euro- Tickets wurden die Studienteilnehmer gebeten, ihre letzte Nutzung detaillierter zu berichten. In diesem Kontext erfolgte auch eine Einordnung der Fahrten dahingehend, ob es sich um eine ÖPNV-Nutzung im Nahbereich oder um eine Bus- oder Bahnfahrt mit einer längeren Strecke gehandelt hat (Bild 3). Fast drei Viertel der Fahrten wurden der Kategorie „Fahrt am Wohn- oder Zielort“ zugeordnet. Bei weniger als jeder zehnten Nutzung handelt es sich um Strecken von mehr als 100 km einfache Strecke. Abhängig von der Wohnortgröße ergeben sich erhebliche Unterschiede: Bis zu Wohnortgrößen von 50 000 Einwohnern liegt der Anteil der Fahrten im Nahbereich bei etwa 50 %, bei Großstädten mit mehr als 500 000 Einwohnern werden fast 90 % erreicht. Wie stark werden Fahrten vom PKW auf Busse und Bahnen verlagert? Während wenige Menschen anzweifeln, dass das 9-Euro-Ticket zu mehr Fahrgästen für den ÖPNV geführt hat, gab es bereits während der Gültigkeitsperiode sehr polarisierende und teilweise widersprüchliche Aussagen zur Verkehrsmittelverlagerung. Ein besonders verbreitetes Narrativ besagt, das Ticket hätte nicht dazu beigetragen, dass Menschen in größerem Maße auf die Autonutzung verzichteten [16, 17]. Die eigenen Studienergebnisse belegen nicht nur einen Nachfragezuwachs bei Bussen und Bahnen, sondern auch, dass weniger Fahrten durch das Ticket induziert als von anderen Verkehrsmitteln verlagert wurden [18]. Auf längeren Strecken (> 100 km), also im Bahnregionalverkehr, war die zusätzlich gewonnene Nachfrage relativ am stärksten [19]. Hauptsächlich erfolgte die Verkehrsmittel-Verlagerung vom PKW, ein Effekt, der in allen Entfernungsbereichen zu beobachten war. Die bundesweiten Ergebnisse lassen sich wiederum mit regionalen Erkenntnissen vergleichen. Beispielsweise wird für den Hamburger Verkehrsverbund eine Mehrverkehrsquote von 23 % ausgewiesen, wobei für Strecken im Nahbereich ein geringerer und für längere Strecken ein höherer Mehrverkehr zu beobachten war [20]. Substituiert werden im Nahbereich auch Fußwege und Fahrten mit dem Fahrrad, auf längeren Strecken kommt es zu Verlagerungseffekten vom Bahnfernverkehr und von Fernbussen zum Bahnregionalverkehr. Der Bus-Branchenverband bdo Bild 3: Einordnung der berichteten letzten Fahrt mit dem 9-Euro-Ticket (% der Fahrten). © Krämer 68 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie beklagte, Fernbusunternehmen hätten im Aktionszeitraum Fahrgastrückgänge von über 80 % verkraften müssen [21]. Diese Zusammenhänge sind in Bild- 4 illustriert. Wichtig ist die Erkenntnis, dass auch bei Strecken am Wohnort (Zielort) die stärksten Verlagerungseffekte den PKW betreffen und weniger Fahrrad- und Fußwege. Selbst bei kurzen Strecken (bis 5 km) wird etwa jede zehnte Fahrt vom PKW auf den ÖPNV verlagert. Korrespondierend dazu weisen Daten des Navigationsunternehmens TomTom auf eine Verringerung der Stauprobleme in vielen deutschen Großstädten im Juni 2022 hin - und zwar einerseits im Vergleich zum Vormonat Mai, aber auch im Verhältnis zum Juni 2019, also der Zeit vor der Pandemie [22]. Einigkeit herrscht unter den Experten dahingehend, dass aufgrund der beschränkten zeitlichen Gültigkeit des 9-Euro-Tickets nur ein Teil der potenziellen Verlagerungseffekte vom PKW zu Bussen und Bahnen ausgeschöpft werden konnte [23, 11]. Ausblick: Das Nachfolgeangebot zum 9-Euro-Ticket In der eigenen Studie wurden unterschiedliche Nachfolger des 9-Euro-Tickets diskutiert und beurteilt. Im Ergebnis zeigt sich ein heterogenes Bild. Besonders kritisch schneidet ein 69-Euro-Monatsticket mit freier Nutzung im Nahverkehr bundesweit (mit automatischem Ablauf zum Ende des Monats) ab, welches 28 % der Befragten positiv und 38 % negativ bewerten [23]. Dagegen halten 63 % der Befragten es für eine gute Idee, das 9-Euro-Tickets in der bisherigen Form weiter anzubieten (77 % in der Gruppe der bisherigen Ticket-Besitzer*innen, 48 % bei Personen, die das Ticket nicht besessen haben). Den zweiten Platz im Ranking erreicht ein Monatsticket mit freier Nutzung des Nahverkehrs bundesweit, welches nur digital (über App) angeboten wird, wobei die Nutzungsdaten anonym gespeichert werden. In einem experimentellen Design wurden dabei die Preispunkte 9 EUR, 19 EUR und 29 EUR abgeprüft. Die Beurteilungen dieses Angebotes gehen trotz der Preisunterschiede nicht weit auseinander. Das am 13. Oktober 2022 vorgelegte Nachfolgeangebot (Klimaticket Deutschland) sieht einen Preis von monatlich 49 EUR (als Abo mit monatlicher Kündigungsmöglichkeit angeboten) vor. Dieses Ticket wird weit hinter den Absatzzahlen des 9-Euro- Tickets zurückbleiben (nach eigener Abschätzung etwa ein Viertel der bisherigen Nachfrage), aber trotzdem den ÖPNV auch im Stadtverkehr nachhaltig prägen. Wahrscheinlich werden 55 bis 60 % der Nutzer des Klimatickets in Deutschland aus Städten ab 100 000 Einwohnern stammen. Für viele Städte wird das gegenwärtige Preisniveau der bestehenden Abos unterschritten, so dass sich letztendlich neben einer Vergünstigung der Mobilitätskosten für Stammkunden von Bussen und Bahnen auch Auswirkungen bis hin zu den Preisen für Einzelfahrten ergeben. Bei aller Diskussion zum Thema Preis ist klar, dass eine Verkehrswende in Städten ein Paket aus unterschiedlichen Maßnahmen erfordert. Der Preis ist ein Baustein. Bild 4: Die Verkehrsmittelverlagerung beim 9-Euro- Ticket (% der Fahrten). © Krämer 69 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie LITERATUR [1] Bundesregierung: Fragen und Antworten: 9-Euro-Ticket seit Juni 2022, www.bundesregierung. de/ bregde/ ak tuelles/ faq-9 euro -ticket-2028756 (Abruf 20.7.2022). [2] Grotemeier, C.: Das ÖPNV-Tarifsystem gehört dauerhaft auf den Bierdeckel. Bus & Bahn, v. 4.7.2022, https: / / w w w.busundbahn.de/ nachrichten/ personen-positionen/ detail/ news/ dasoepnv-tarifs ystem-gehoertdauerhaf t-aufden-bierdeckel.html (Abruf 20.7.2022). [3] Krämer, A.: Erste Erfahrungen mit dem 9-Euro-Ticket. Der Nahverkehr, 40 Jg., Heft 7/ 8, (2022) S. 24 - 26. [4] N.N.: Mehr Verkehr - Kein Klimaschutz durch 9-Euro-Ticket? Tagesschau.de v. 8.8.2022; https: / / www. tagesschau.de/ wirtschaft/ verbraucher/ 9 -euro-ticket-klimaschutz-verkehrsverlagerung-auto-oepnvverkehr-stau-verkehrswende-101.html (Abruf 3.10.2022). [5] Herrmann, U.: Debatte um das 9-Euro-Ticket: Bloß nicht verlängern, Taz.de v. 12.7.2022; https: / / taz.de/ Debatte-um-das-9-Euro-Ticket/ ! 5864045/ (Abruf 20.7.2022). [6] Stahl, T.: Forscher warnen vor dem 9-Euro-Ticket: Es bringe mehr Schaden als Nutzen, Efahrer.com v. 08.08.2022, https: / / efahrer.chip.de/ news/ forscherwarnen -vordem -9 euro -ticketes bringe -mehrschaden-als-nutzen_108974. [7] hvv: 9-Euro-Ticket: Wie geht es weiter? Pressemitteilung v. 2.8.2022, https: / / www.hvv.de/ de/ ueber-uns/ neuigkeiten/ neuigkeiten-detail/ 9-euro-ticket-wiegeht-es-weiter--84558 (Abruf 3.8.2022). [8] VDV: Bilanz eines Erfolgsmodells: Rund 52 Millionen verkaufte 9-Euro-Tickets, Presseinformation v. 29.08.2022, https: / / www.vdv.de/ 220829-pm-bilanz- 9-euro-ticket.pdfx (Abruf 3.10.2022). [9] Schlesiger, C., Biederbeck-Ketterer, M.: Das Statistik- Rätsel um das 9-Euro-Ticket, Handelsblatt v. 31. 8.2022. [10] VDV: 9-Euro-Ticket-Marktforschung: Jeder Fünfte hat den ÖPNV vorher normalerweise nicht genutzt, https: / / www.vdv.de/ 220711-pm-9-euro-ticket-marktforschung-zu-nutzungseffekten.pdfx (Abruf 20.7.2022). [11] Greenpeace: Klimaticket: Wie ein Anschluss an das 9-Euro-Ticket für mehr Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit sorgen kann. https: / / www.greenpeace. de/ publikationen/ 220718 _ Klimaticket _ Kostenvergleich_0.pdf. [12] Neumann, P.: Kommentar - Vom Nachfolger des 9-Euro-Tickets werden die Falschen profitieren Berliner Zeitung v. 5.9.2022, https: / / www.berliner-zeitung.de/ mensch-metropole/ nach-dem-9-euro-ticket-kommtjetzt-ein-foerderprogramm-fuer-fernpendler-69-euro-koalition-li.263867 (Abruf 3.10.2022). [13] DLR: Hintergrundpapier - 6. DLR-Erhebung zu Mobilität & Corona, 9-Euro-Ticket und Senkungen der Kraftstoffpreise, DLR-Institut für Verkehrsforschung (2022), https: / / www.dlr.de/ content/ de/ downloads/ 2022/ dlr-studie-mobilitaet-in-krisenzeiten-9-euro-ticket.pdf ? _ _blob=publicationFile&v=2 (Abruf 3.10.2022). [14] Krämer, A., Hercher, J.: 9-Euro-Ticket: Blick zurück und nach vorne - Nutzerprofil, Nutzung und Bewertungen, Abruf am 9.10.2022 unter https: / / www. pressebox.de/ pressemitteilung/ rogator-ag/ 9-euroticket-blick-zurueck-und-nach-vorne-nutzerprofilnutzung-und-bewertungen/ boxid/ 1126822. Prof. Dr. Andreas Krämer Vorstandsvorsitzender exeo Strategic Consulting AG, Bonn Kontakt: andreas.kraemer@exeo-consulting.com AUTOR [15] Krämer, A.: Zeitkarten im ÖPNV - Nachfragepotenziale in Abhängigkeit vom Preisniveau, Der Nahverkehr, 40 Jg., Heft 6, (2022) S. 24 - 27. [16] MDR Thüringen: Erfurter Verkehrsforscher: „Große Sehnsucht nach einfachem ÖPNV“, Abruf am 9.10.2022 unter https: / / www.mdr.de/ nachrichten/ thueringen/ neuneuro-ticket-verkehr-oepnv-100. html. [17] N.N.: Deutsche nutzen trotz 9-Euro-Ticket oft das Auto, ZEIT ONLINE v. 8.8.2022, Abruf am 9.10.2022 unter https: / / www.zeit.de/ mobilitaet/ 2022-08/ oepnv-9-euro-ticket-auto-bahn-studie. [18] Krämer, A., Hercher, J.: 9-Euro-Ticket: Blick zurück und nach vorne - Aktivierung von bisher wenig ÖPNVaffinen Menschen und signifikante Fahrtenverlagerung vom PKW; Abruf am 9.10.2022 unter https: / / www.pressebox.de/ pressemitteilung/ rogator-ag/ 9- Euro-Ticket-Blick-zurueck-und-nach-vorne-Aktivierung-von-bisher-wenig-OePNV-affinen-Menschenund-signifikante - Fahr tenverlagerung-vom- PK W/ boxid/ 1127796. [19] DESTATIS: 9-Euro-Ticket: Mobilität steigt deutlich auf kurzen Distanzen im Schienenverkehr (2022). Abruf am 25.10.2022 unter: https: / / www.destatis .de / D E / Pre s s e / Pre s s emit teilungen/ 202 2 / 07/ PD22_284_12.html; sowie eine Aktualisierung unter https: / / www.destatis.de/ SiteGlobals/ Forms/ Suche/ Servicesuche_Formular.html? nn=206104&resource- Id=2414&input_=617004&pageLocale=de&template QueryString=9-euro-ticket&submit.x=0&submit.y=0 [20] Krämer, A., Korbutt, A.: Das 9-Euro-Ticket - Ziele, Wirkungsmechanismen und Perspektiven, Internationales Verkehrswesen, Jg. 74, Heft 3 (Sep. 2022), S. 10 - 13. [21] N.N.: 9-Euro-Ticket: bdo sieht viele ungelöste Probleme im ÖPNV; Abruf am 9.10.2022 unter https: / / www. busplaner.de/ de/ news/ bdo-bundesverband-deutscher-omnibusunternehmer-linienverkehr-oeffentlicher-personennahverkehr-oepnv_9-euro-ticket-bdosieht-viele-ungeloeste-probleme-im-oepnv-80250. html. [22] Meyer-Wellmann, J.: Verkehr: TomTom misst weniger Verkehr in Hamburg - wegen des 9-Euro-Tickets? Hamburger Abendblatt v. 4.7.2022, https: / / www. abendblatt.de/ hamburg/ article235798723/ verkehrhamburg-weniger-stau-laut-tomtom-wegen-9-euroticket-bus-bahn-verkehrsdaten.html (Abruf 20.7.2022). [23] Krämer, A., Hercher, J.: 9-Euro-Ticket: Blick zurück und nach vorne - Der Wunsch nach einem Nachfolgeangebot und mögliche Absatz- und CO2-Einspareffekte; Abruf am 9.10.2022 unter https: / / www.pressebox. de/ pressemitteilung/ rogator-ag/ 9-euro-ticket-blickzurueck-und-nach-vorne-der-wunsch-nach-einemnachfolgeangebot-und-moegliche-absatz-und-co2einspareffekte/ boxid/ 1128944. 70 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie Geschäftsreisen der Zukunft Digital oder vor Ort? Geschäftsreisen, Pandemie, Mobilitätsverhalten, Umweltauswirkungen Rebecca Heckmann, Dennis Dreher, Lutz Gaspers Bis 2020 stieg die Anzahl der Geschäftsreisen kontinuierlich an und der Reiseverkehr führte in Städten zu einer zusätzlichen Belastung durch Luftverschmutzung und Erwärmung in Folge von Treibhausgasemissionen. Durch die Corona-Pandemie reduzierte sich die Anzahl der Geschäftsreisen um rund 90 %. Von den niedrigen Emissionen und den ausbleibenden Verkehrsstaus profitierten besonders die urbanen Räume. Nachdem 2022 eine Vielzahl der coronabedingten Restriktionen entfielen, erholten sich die Reisezahlen zügig, sodass sie bereits im März wieder bei 50 % des Niveaus von vor Corona lagen. Das Paper beschäftigt sich mit drei Szenarien, wie sich Reisen in Zukunft entwickeln können und wie sich demnach die Verkehrslast auf Städte, Luft und Klima auswirken wird. Dafür werden Studien zum Einfluss der Corona-Pandemie auf das Mobilitätsverhalten und die Verkehrsbelastung verglichen und eine Prognose zu den Umwelteinflüssen in Zukunft vorgestellt. © Headway on Unsplash 71 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie Geschäftsreisen führen zu Verkehrsstaus, zu Emissionen und Luftverschmutzungen Durch die COVID-Pandemie kam das Reiseaufkommen fast vollständig zum Erliegen; doch nachdem 2022 fast alle Restriktionen entfielen, stieg die Anzahl der Reisen auf das Niveau von 50 % von vor Corona. Der Artikel beleuchtet drei Reiseszenarien der Zukunft und zeigt, welche Werkzeuge Unternehmen helfen können, Geschäftsreisen sinnvoll, rentabel und vor allem umweltfreundlich zu gestalten, sodass Verkehrsstaus, Emissionen und Luftverschmutzung durch Geschäftsreisen in Zukunft nicht weiter steigen. Die Anfang 2020 sich weltweit ausbreitende COVID-Pandemie brachte enorme Veränderungen in allen Lebensbereichen mit sich. Die Reisemöglichkeiten und das Reiseverhalten wurden wie kaum ein anderer Bereich durch die Lockdowns und Restriktionen beschnitten. Eine Studie von PwC rund drei Monate nach dem ersten großen Lockdown untersuchte das Mobilitätsverhalten von Personen in der Pandemie und deren Vorstellungen zur Mobilität nach der Pandemie. Von den 2 000 Befragten gaben 44 % an, in Zukunft weniger Urlaubsreisen tätigen zu wollen und 66 % erklärten, weniger dienstlich reisen zu wollen. Die Reduktion der Geschäftsreisen ist vor allem auf die gute Funktionalität von Online-Meetings zurückzuführen, so die Studie. Weiterhin geht die Studie davon aus, dass die Erfahrungen aus der Pandemie, nämlich eine mögliche gesteigerte Arbeitseffizienz und Kostenreduktionen durch verminderte Dienstreisen, Unternehmen dazu bringen werden, ihre Dienstreiseregelungen dauerhaft anpassen zu wollen. [1] Corona hatte vor allem in den ersten beiden Jahren der Pandemie bemerkenswerte Einflüsse auf die Reisetätigkeit. Dies ergab nicht nur die PwC-Studie, sondern wird auch beim Blick auf die Fahrgastzahlen deutlich. Im März gingen die Fluggastzahlen an deutschen Flughäfen im Vergleich zum Bezugszeitraum März 2019 um 89,8 % zurück. Diese Tendenz ist jedoch wieder rückläufig. Im März 2022 waren es noch 51,1 % weniger Fluggäste als 2019. Seit März 2022 wurden viele Lockerungen beschlossen, die diese Entwicklung weiter begünstigten dürften, so haben viele Länder Einreisebeschränkungen aufgehoben, die Maskenpflicht in Flugzeugen und an Flughäfen wurde aufgehoben, die allgemeine Homeoffice-Verpflichtung lief aus, immer mehr Regierungen weltweit stufen die Bedrohlichkeit von Corona zurück oder erklären, COVID-19 sei keine Bedrohung mehr [2, 3] Diese Zahlen aus 2022, also nach rund 2,5 Jahren Pandemie, widersprechen den Erwartungen der PwC-Studie aus den Anfangszeiten der Pandemie in einigen wesentlichen Punkten. Der Flugverkehr nimmt wieder stark zu, entgegen der Aussagen, dass Urlaubs- und Geschäftsreiseverkehr zu 44 % bzw. 61 % auf Dauer rückläufig sein dürften. Die Studie von PwC ermittelte außerdem die Attraktivität von Verkehrsmitteln in der Wahrnehmung der Probanden. Die Studienteilnehmer wurden befragt, welche Verkehrsmittel sie bei Aufhebung der Reisebeschränkungen für Geschäftsreisen künftig nutzen würden. Dabei wird deutlich, dass mehr Menschen individuelle statt öffentlicher oder geteilter Verkehrsmittel nutzen wollen. Der eigene PKW soll zu 28 % häufiger für Geschäftsreisen genutzt werden, wenn möglich wollen 22 % ausschließlich zu Fuß gehen, 21 % würden das Fahrrad nutzen. Öffentliche Verkehrsmittel und Sharing-Angebote wollen zwischen 4 und 10 % der Befragten nutzen. Dies bedeutet eine starke Verlagerung der Verkehrsmittelwahl in Richtung Individualverkehr. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch eine Studie zur Untersuchung der Nutzung und Attraktivität von Verkehrsmitteln für Reisen ab 50 km [4, 5]. Die Ergebnisse zeigen, dass die Pandemie die Nutzung und Attraktivität öffentlicher Verkehrsmittel negativ beeinflusst hat. Gleichzeitig hat die Nutzung des privaten PKW zugenommen. Diese Entwicklung bedeutet eine zunehmende Emissionslast durch Reisen. Wo zu Beginn der Pandemie noch eine starke Überzeugung herrschte, dass Geschäftsreisen nachhaltig deutlich reduziert werden, ist nach 2,5-Jahren Pandemie die Lage weniger eindeutig. Zwar mögen Online-Meetings Zeit und Kosten sparen und vermeintlich eine Effizienzsteigerung mit sich bringen, so werden gleichzeitig immer mehr Bedenken Verkehrsmittel Nutzungsveränderung im Oktober 2020 gegenüber Oktober 2019 Bewertung der Attraktivität 0 = sehr unattraktiv, 10 = sehr attraktiv PKW + 9 % 7,4 Bahn -39 % 4,6 Flugzeug -42 % 3,5 Bus -38 % 2,8 Tabelle 1: Veränderte Verkehrsmittelung und Attraktivität der Verkehrsmittel in Folge der Corona-Pandemie [4] 72 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie geäußert, ob virtuelle Treffen reale wirklich ersetzen können. Zu diesem Schluss kam auch die Studie „Chefsache Business Travel 2020“. [6] Darin wurde im Juni 2020 untersucht, ob virtuelle Meetings Geschäftsreisen ersetzen können. Im Zeitraum März bis Juni 2020 wurden 69 % der Geschäftsreisen durch virtuelle Meetings ersetzt, dies bedeutete ein Anstieg von 39 Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr. Laut der Studie wollten 42 % der Befragten auch künftig vermehrt virtuelle Meetings durchführen. 43 % hingegen sagten bereits damals aus, dass sie künftig wieder mehr reisen wollten, denn eine Videokonferenz bringe weniger Umsatz und eine schlechtere Beziehung zu Kunden mit sich, im Vergleich zu realen Zusammenkünften. Ein weiterer positiver Aspekt der Geschäftsreisen sei zudem, wie 19 % der Befragten angaben, dass sie unterwegs zu Geschäftsmeetings produktiver arbeiten könnten, als an ihrem Arbeitsplatz. Die andere Umgebung wirke kreativitätsfördernd. [6] Wenn gleich die Anzahl geschäftlicher Reisevorgänge durch die Pandemie rückläufig war, ist dies eine volatile Entwicklung, die durch Lockerungen der Restriktionen und Beendigungen der Lockdowns mitunter zügig umgekehrt werden kann, so wie es aktuelle Zahlen Mitte 2022 bereits belegen. Ob die Einstellungen zu den Verkehrsmitteln in ähnlich zügiger Weise verändert werden können und die Nutzung und Attraktivität von öffentlichen Verkehrsmitteln wieder zunimmt, ist schwerer absehbar. Der Drang, Geschäftsreisen nachhaltiger zu gestalten, könnte durch die Pandemie und ihre Auswirkungen gebremst worden sein. An Stelle von Umweltmerkmalen könnten Sicherheitsbedürfnisse, Flexibilität, Unabhängigkeit und das Reisen mit geringer Ansteckungsgefahr bedeutender werden. Dies könnte zur Folge haben, dass Geschäftsreisen selbst bei einer verringerten Anzahl von Reisen in Summe umweltbelastender werden, als es ohne Pandemie der Fall geworden wäre. Reiseverhalten in drei Szenarien Um mögliches Reiseverhalten bewerten zu können, wurden drei unterschiedliche Szenarien entwickelt, die Geschäftsreisen in Abhängigkeit zu den Pandemie-Entwicklungen setzen. Es wurde untersucht, ob Geschäftsreisen stattfinden würden, ob Umweltfaktoren bei Reisen in Zukunft eine Rolle spielen würden und wie sich die Umweltauswirkungen durch Reisen entwickeln könnten. Den Szenarien zugrunde liegt eine Studie von PwC aus dem Jahre 2022. [7] Die Befragung von Travel Managern ergab, dass durchschnittlich 36 % weniger Geschäftsreisen im Vergleich zum Vor- Corona-Niveau stattfinden werden. Ein Blick auf den Anlass einer Geschäftsreise kann Aufschluss darüber geben, welche Reisen in Zukunft wegfallen oder stark vermindert sein könnten. In 86 % der befragten Unternehmen sind die häufigsten Reiseanlässe Veranstaltungen, Konferenzen oder Fortbildung. Dies sind alles Anlässe, die vermeintlich auch virtuell abgehandelt werden könnten. In 70 % der Unternehmen ist der Hauptreiseanlass eine Montage oder eine Inbetriebnahme, Anlässe die nicht digital ersetzbar sind. 71% der Unternehmen mit mehr als 2 000 Beschäftigten haben ihre Reiserichtlinie in Folge der Pandemie verändert. Dies umfasst nicht nur das Verhalten bei Reisen in Risikogebiete, sondern auch Gebote und Empfehlungen, bestimmte Dienstreisen durch digitale Formate zu ersetzen. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass lediglich 35 % der Unternehmen den ökologischen Fußabdruck von Geschäftsreisen ermitteln. 13 % planen, ein Tool für die Messbarkeit zu implementieren. 45 % schließen die Nutzung eines solchen Tools aus. [6] Ein Tool, welches Geschäftsreisenden einen Rahmen vorgibt, wie umweltbelastend ihre Reise sein darf und vor allem Möglichkeiten bietet, umweltfreundlich zu reisen, wäre eine Möglichkeit, den Hang zum individuellen motorisierten Reisen zu begrenzen. Obwohl kaum Unternehmen planen, ihren Angestellten eine Softwarelösung für emissionsarmes Reisen zur Verfügung zu stellen oder gar die Nutzung verpflichtend zu machen und dies mittels einer angepassten Reiserichtlinie durchzusetzen, so hat sich dennoch die Mehrheit dieser Unternehmen strategische ökologische Ziele gesetzt. Jedes zweite Unternehmen geht davon aus, dass Anreize geschaffen werden müssen, Geschäftsreisen ökologischer zu gestalten. Dies spricht deutlich dafür, dass es nicht nur ein Planungstool für ökologische Geschäftsreisen braucht, sondern vor allen Dingen ein Incentivierungssystem. Geschäftsreisen sollten daher nicht länger mit Google Maps oder der üblichen Flügebuchungsplattform geplant werden, sondern mit einem holistischen Tool, welches Reisezeiten, Kosten und Ökologie in Einklang bringt und Reisende animiert, auf den eigenen ökologischen Fußabdruck zu achten. Bild 1 zeigt die Vision der Autoren zu einem multimodalen Reiseangebot, zu welchem der Geschäftsreisende via digitaler Schnittstelle (EmiLa) Zugang erhält und in einem Tool planen, buchen, bilanzieren, abrechnen und berichten kann - stets fokussiert auf ökonomisch und ökologisch effiziente Reisen. Das EmiLa-Tool ist speziell als solches Tool entwickelt worden. In Abhängigkeit der Pandemie-Entwicklungen zeigt sich, wie essentiell das 73 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie Eingreifen in die Planung und Durchführung von Geschäftsreisen sein kann. Szenario 1: Die COVID-bedingten Reduzierungen von Geschäftsreisen bleiben bestehen Dem ersten Szenario zugrunde liegt die Annahme, dass auch in den kommenden Jahren Restriktionen in Folge der Pandemie das Reisegeschehen beherrschen werden. Sehr wahrscheinlich ist eine starke Varianz zwischen den Sommer- und Wintermonaten. So wird in diesem Szenario davon ausgegangen, dass in den Sommermonaten Reisen mit geringfügigen Einschränkungen möglich sind, in den Wintermonaten jedoch weitestgehend Reiseverbote, Homeoffice-Regelungen und Lockdowns Geschäftsreisen stark einschränken. Szenario 1 geht außerdem von einer schlechten Planbarkeit der Pandemielagen aus, da Mutationen auch unvorhersehbare neue Einschränkungen mit sich bringen können. Dieses Szenario suggeriert zunächst einen nur marginalen Einfluss durch ökologische Werte auf die Reiseplanung von Geschäftsreisen. Bei langfristig geringen Reisezahlen, dem Einsatz von Videokonferenzen und Reiserichtlinien der Unternehmen, die Reisetätigkeiten auf ein Minimum reduzieren, sind die reisebedingten Emissionslasten gering. Unternehmen würden keinen oder nur einen sehr geringen Bedarf an einem System haben, welches Reiseverhalten ökologisch optimiert bzw. Angestellte auffordert und animiert, umweltfreundlich zu reisen. Da in diesem Szenario wenige Reisen stattfinden und im Bereich von Montagen, welche auch weiterhin Anlass für Reisen bieten, die Verkehrsmittelwahlfreiheit aufgrund von beispielsweise benötigtem Werkzeug, eingeschränkter ausfällt, werden Nachhaltigkeitsfaktoren keinen Einfluss auf den geschäftsreiseinduzierten Emissionsausstoß von Unternehmen haben. Jedoch ist der ideelle Wert um einiges größer. Unternehmen wollen nachhaltiger sein und sie wollen ihre Mitarbeiter anhalten, nachhaltig zu agieren. Zwar ist die nachhaltigste Reise die, die nicht stattfindet. Doch gerade in Zeiten, in denen scheinbar jede Reise digital ersetzt werden kann, ist es besonders wichtig, die dann noch stattfindenden Reisen mit einem grünen Image zu versehen, da sich Unternehmen sonst schnell in einer Debatte über die eigene Verantwortung gegenüber Umwelt und Gesellschaft wiederfinden könnten. Bild 1: Vision der Autoren zu einem multimodalen Reiseangebot, zu welchem der Geschäftsreisende via digitaler Schnittstelle (EmiLa) Zugang erhält und in einem Tool planen, buchen, bilanzieren, abrechnen und berichten kann. © Heckmann et al. 74 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie Szenario 2: Die COVID-bedingten Reduzierungen von Geschäftsreisen gehen zurück Das zweite Szenario geht davon aus, dass sich die Tendenzen des zweiten Quartals 2022 weiter fortsetzen und sich die allgemeine pandemische Lage entspannen wird. Basierend auf dieser Annahme werden Geschäftsreisen weiter zunehmen. Denn nach 2,5 Jahren Pandemie sind einige Annahmen aus den Anfangszeiten von COVID revidiert worden. Virtuelle Meetings können einige realen Treffen ersetzen, aber eben nicht alle. Insbesondere Kundenkontakte und wichtige Geschäftsabschlüsse sollen wieder face-to-face stattfinden. Montagen, Besichtigungen, Inbetriebnahmen und vieles weitere kann nicht virtuell stattfinden. Vieles davon wurde in Zeiten von Lockdowns abgesagt oder aufgeschoben, ohne geht es aber nicht. Daher prognostiziert das zweite Szenario einen steigenden Bedarf und eine vehemente Nachfrage nach Geschäftsreisen, die zeit- und regionsweise durch pandemische Lagen eingeschränkt werden. So wird insbesondere für die Wintermonate mit Einschränkungen und einem niedrigeren Reisevolumen als in den Sommermonaten gerechnet, jedoch wird es nicht zu einem Erliegen der Reisetätigkeiten wie in Szenario 1 kommen. Szenario 2 geht in Summe davon aus, dass im Jahresschnitt zwar weniger Reisen stattfinden als zu Vor-Corona-Zeiten, aber eine Zunahme im Vergleich zur aktuellen Situation im Mai 2022 zu erwarten ist. In diesem Szenario ist eine unternehmensgesteuerte nachhaltige Ausrichtung von Geschäftsreisen relevant. Unternehmen sollten ihre Reiserichtlinien frühzeitig anpassen und ihren Angestellten geeignete Werkzeuge und Benefits bieten, um Geschäftsreisen umweltfreundlich abwickeln zu können. Unternehmen haben ein Eigeninteresse daran, den eigenen ökologischen Fußabdruck zu optimieren. Durch ein mittleres bis hohes Geschäftsreiseaufkommen sind monetäre Einsparmöglichkeiten durch Steuerersparnisse gegeben, wenn emissionsarm gereist wird, zum Beispiel durch Steuerbegünstigungen der öffentlichen Verkehrsmittel, Einsparungen bei teuren Flugreisen und Fahrten in Folge steigender Energiepreise, aber auch durch die Nutzung weiterer Steuersparmöglichkeiten bei steigenden CO 2 -Steuerabgaben. Auch das Image eines Unternehmens, welches nachhaltig reisen lässt, wird profitieren. Zumal die Diskussionen um den Nutzen von ortsverändernden Reisen statt virtueller Meetings lauter sein werden - adäquat zum ersten Szenario - als vor Corona, als Online-Meetings kaum gangbar waren. In dieser Diskussion wird es für Unternehmen umso wichtiger sein, kommunizieren zu können, dass Reisen stattfinden, wenn sie nötig sind, aber eben ökologisch optimiert. Szenario 3: COVID hat keinen Einfluss mehr auf das Geschäftsreisevolumen Vor Corona haben Geschäftsreisen immer weiter zugenommen und damit auch der Emissionsausstoß. Dadurch wurde der Handlungsbedarf, Reisen umweltverträglicher abzuwickeln, stetig größer. Szenario 3 geht davon aus, dass die Pandemie keine Einflüsse mehr auf das Geschäftsreisevolumen mehr haben wird. Dennoch bleiben Einflüsse auf das Reiseverhalten aus den Pandemiezeiten, wie die geringere Nutzung des öffentlichen Verkehrs und die dafür häufigere Verwendung der eigenen PKWs, bestehen. Dieses Szenario verdeutlicht den immensen möglichen Nutzen eines Tools, welches Geschäftsreisen ökologisch optimiert. Denn es wird nicht nur mehr Reisen geben als je zuvor, sie werden, zumindest in den kommenden Nach-Corona-Jahren, vermutlich häufiger mit dem motorisierten Individualverkehr getätigt. In diesem Szenario wird der Emissionsausstoß der Geschäftsreisen im Jahre 2023 über dem aus dem Jahre 2019 liegen. Ein weiterer Faktor, der noch mehr Reisen fördern könnte, ist die Tatsache, dass viele Menschen nach 2,5 Jahren Einschränkungen auch vermeintlich unnötige Reisen tätigen werden, da sie längere Zeit auf Reisen verzichten mussten. Kunden, die womöglich lange nicht besucht werden konnten, werden nun häufiger besucht, Treffen mit wichtigen Partnern werden intensiviert, all das sind mögliche Faktoren, die es zu berücksichtigen gilt. Eine solche Überkompensation erscheint, wenn ein Ausgleich geschaffen werden muss, der eine höhere Differenz zum Normalzustand aufweist. Dieser übersteigerte Ausgleich entsteht durch vorangegangene Minderungsverhältnisse, wie sie die Corona- Restriktionen waren. Diese potenziellen Entwicklungen hätten einen kaum vorhersehbaren Anstieg der Geschäftsreisetätigkeit und des Emissionsausstoßes zur Folge. Bei einer Überkompensation ist in jedem Fall mit einem höheren Emissionsausstoß zu rechnen, sofern nicht mit geeigneten Methoden entgegengewirkt werden kann. Das Entgegenwirken durch ein nachhaltigkeitsgeprägtes Planungs- und Belohnungssystem kann einen explosionsartigen Anstieg des Emissionsausstoßes zunächst vermeiden, wenn Unternehmen in der Phase der Wiederaufnahme der Reisetätigkeiten gezielt Anreizprogramme etablieren, die 75 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie das Verhalten nachhaltig lenken, bevor wieder eine Reiseroutine eingetreten ist. Die Pandemie und das Verlorengegangensein von Routinen bei Geschäftsreisen bietet nun die Möglichkeit, das Verhalten zu verändern, bevor das Reisevolumen stark ansteigt und sich nicht-nachhaltige Verhaltensweisen wieder etabliert haben. In Szenario 3 ist der Nutzen eines nachhaltigen Reisetools bemerkenswert hoch. Entscheidend ist der richtige Zeitpunkt für den Einsatz des Systems - nämlich zeitnah und bevor Geschäftsreisen, wie vor der Pandemie oder noch vermehrter, mit Flugzeug und PKW zum Alltag wurden. In dieser Umbruchphase, in der Ready-Steady-Go-Phase vor der Freiheit, wieder uneingeschränkt reisen zu können, kann der gezielte Einsatz des Systems helfen, frühzeitig neue Geschäftsreiseverhaltensweisen zu etablieren, die langfristig ein höheres Geschäftsreisevolumen und dennoch einen geringeren Emissionsausstoß bedeuten. Unternehmen wird empfohlen, nicht nur die Anschaffung eines Anreizprogrammes zu tätigen, sondern auch die Beschäftigten für dessen Nutzung zu sensibilisieren und letztlich die ökologische Abbildung von Geschäftsreisen, das Vermeiden unnötiger Reisen bzw. den Ersatz durch virtuelle Meetings und die Nutzung von geeigneten Systemen für eine nachhaltig orientierte Planung und Durchführung von Reisen in der Unternehmensreiserichtlinie zu verankern. LITERATUR [1] Kauschke, P., Teichmann, G., Braun, M.: Wie COVID-19 die Mobilität in Deutschland bewegt. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung. #2 Abschied von Urlaubds- und Dienstreisen? PricewaterhouseCoopers GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, 2020. Online verfügbar unter https: / / www. pwc.de/ de/ im-fokus/ mobility-transformation/ pwcmobilitaet-2-abschied-von-urlaubs-und-dienstreisen.pdf, zuletzt geprüft am 27.05.2022. [2] Stuttgarter Nachrichten: Corona-Fälle in Kliniken im Südwesten rückläufig. In: Stuttgarter Nachrichten, 12.05.2022. Online verfügbar unter https: / / www. stuttgarter-nachrichten.de/ inhalt.coronavirus-in-baden-wuerttemberg-corona-faelle-in-kliniken-im-suedwesten-ruecklaeufig.b9d64a51-3995-487b-b80dccdec23f7cc2.html, zuletzt geprüft am 27.05.2022. Dipl.-Ing. Rebecca Heckmann Akademische Mitarbeiterin Hochschule für Technik Hf T Stuttgart Kontakt: rebecca.heckmann@hft-stuttgart.de Dennis Dreher, M.Eng. Akademischer Mitarbeiter Teamleitung MoVe Hochschule für Technik Hf T Stuttgart Kontakt: dennis.dreher@hft-stuttgart.de Prof. Dr.-Ing. Lutz Gaspers Professor und Prorektor Gründer, Leiter und Sprecher des MoVe Hochschule für Technik Hf T Stuttgart Kontakt: lutz.gaspers@hft-stuttgart.de AUTOR*INNEN [3] Süddeutsche Zeitung: Meldungen zum Coronavirus. Erster Corona-Todesfall in Nordkorea. In: Süddeutsche Zeitung, 13.05.2022. Online verfügbar unter https: / / www.sueddeutsche.de/ politik/ corona-aktuellnordkorea-1.5577840, zuletzt geprüft am 27.05.2022. [4] Krämer, A.: Mobilität nach der Corona-Krise. Internationales Verkehrswesen (72) 3 (2020), S. 89 - 93. [5] Krämer, A.: Perspektiven für Bahn-Geschäftsreisen nach der Corona-Pandemie. Empirische Ergebnisse einer Verbraucher-Befragung in vier europäischen Ländern, 2021. Hrsg. v. Exeo Consulting (3). Online verfügbar unter https: / / exeo-consulting.com/ pdf/ exeo _ Per spek ti ven% 20 B ahn% 20 G e s chaef t srei sen%20nach%20Corona_2021.pdf, zuletzt geprüft am 27.05.2022. [6] Deutscher Reiseverband (DRV) (Hrsg.): Chefsache Business Travel. Studie 2020. Online verfügbar unter https: / / www.chefsache-businesstravel.de/ wpcontent/ uploads/ 2020/ 12 / 20 0221- DRV- Berichtsband-Business-Travel-2020.pdf, zuletzt geprüft am 27.05.2022. [7] Bauer, I., Ryser, C., Kauschke, P., Bransch, O.: Geschäftsreisen im Umbruch. Eine Befragung deutscher Unternehmen: Status Quo und Ausblick, 2022. Hrsg. v. PricewaterhouseCoopers GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Online verfügbar unter https: / / w w w.pwc.de/ de/ transpor tundlogis tik / gescha eftsreisen-im-umbruch.pdf, zuletzt geprüft am 27.05.2022. Call for Papers 2023 Themen und Termine auf: www.transforming-cities.de Ihre neuen Ergebnisse aus Forschung, Wissenschaft und Praxis in 76 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRODUKTE + LÖSUNGEN Energie Impressum Transforming Cities erscheint im 7. Jahrgang Herausgeber Eberhard Buhl, M.A. Verlag Trialog Publishers Verlagsgesellschaft Eberhard Buhl | Christine Ziegler Schliffkopfstr. 22, D-72270 Baiersbronn-Buhlbach Tel. +49 7449 91386.36 · Fax +49 7449 91386.37 office@trialog.de · www.trialog.de Redaktionsleitung Dipl.-Ing. arch. Christine Ziegler VDI (verantwortlich) Tel: +49 7449 91386.43 Fax: +49 7449 91386.37 christine.ziegler@transforming-cities.de Anzeigen Tel. +49 7449 91386.46 Fax +49 7449 91386.37 anzeigen@trialog.de Gültige Anzeigenpreisliste Nr. 7 vom 01.01.2022 Vertrieb und Abonnentenservice Tel. +49 7449 91386.39 Fax +49 7449 91386.37 vertrieb@trialog.de Erscheinungsweise Viermal im Jahr Bezugsbedingungen Die Bestellung des Abonnements gilt zunächst für die Dauer des vereinbarten Zeitraumes (Vertragsdauer). Eine Kündigung des Abonnementvertrages ist zum Ende des Berechnungszeitraumes schriftlich möglich. Erfolgt die Kündigung nicht rechtzeitig, verlängert sich der Vertrag und kann dann zum Ende des neuen Berechnungszeitraumes schriftlich gekündigt werden. Bei Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages, bei Arbeitskampf oder in Fällen höherer Gewalt besteht kein Entschädigungsanspruch. Zustellmängel sind dem Verlag unverzüglich zu melden. Es ist untersagt, die Inhalte digital zu vervielfältigen oder an Dritte weiterzugeben, sofern nicht ausdrücklich vereinbart. Bezugsgebühren JahresAbo Print: gedruckte Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 125,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. Versandkosten (Inland EUR 11,90, Ausland EUR 25,-) JahresAbo ePaper: elektronische Web-Ausgabe zum Jahresbezugspreis von EUR 120,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), ohne Versandkosten JahresAbo Plus gedruckte Ausgabe + elektronische Web-Ausgabe + Archiv zum Jahresbezugspreis von EUR 165,- (Inland inkl. MwSt., Ausland exkl. MwSt.), zzgl. 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Im Mittelpunkt stand das Müllheizkraftwerk Nordweststadt. In ihrer Studie ermittelten die Expertinnen und Experten ein technisch und wirtschaftlich optimales Gesamtkonzept für eine komplette Wasserstoff- Infrastruktur - von der Elektrolyse über den Transport bis zur Tankstelle. Der dabei erzeugte Wasserstoff soll als grüner Kraftstoff für den öffentlichen Personennah- und Fernverkehr, den Schwerlast- und Güterverkehr sowie die Binnenschifffahrt bereitgestellt werden. Ziel des Projekts war auch, für diese Anwendergruppen standardisierte technische Anlagenkonzepte zu entwickeln, die sich auf andere Standorte und Anforderungen übertragen lassen. Die Tractebel-Studie zeigt, dass eine regionale Wasserstoff-Infrastruktur auch aus Betreibersicht wirtschaftlich attraktiv unterhalten werden kann. Fördermittel tragen zum Erfolg ebenso bei wie betreibereigene Konzepte. „Müllheizkraftwerke besitzen durch ihre besonderen Voraussetzungen das Potenzial, zu Keimzellen für den Aufbau regionaler Wasserstoff-Infrastrukturen zu werden: Ein hoher Anteil biogener Abfallstoffe ist die Basis für grünen Strom. Hinzu kommt die meist verkehrsgünstige Lage. Und nicht zuletzt sind die eigenen Müllfahrzeuge der kommunalen Entsorgungsbetriebe die ersten Abnehmer des sauberen ‚Sprits‘. Nach unseren Erkenntnissen kann grüner Wasserstoff an Müllheizkraftwerken kostengünstig hergestellt werden und als erneuerbarer Kraftstoff zu einer raschen Dekarbonisierung der Mobilität in den Städten beitragen”, resümiert Felix Knicker, Projektingenieur von Tractebel. Eine Übersicht der Projektergebnisse von MH2Regio sowie ein Onlinerechner für Wasserstoffanwender sind auf der offiziellen Projekt-Website der Mainova AG zu finden: h t t p s : / / w w w . m a i n o v a . d e / d e / ihre-mainova/ ueber-uns/ waermestromversorgung/ mh2regio Grüner Wasserstoff - Energie aus Abfall MH2Regio: Tractebels Waste-to-Wheels- Studie weist Weg zur Dekarbonisierung des Verkehrs Das Rhein-Main Gebiet in der Mitte Deutschlands sucht nach Lösungen für die Energiewende. Eine Waste-to-Wheels-Studie von Tractebel zeigt, dass Müllheizkraftwerke kostengünstig grünen Wasserstoff zur Dekarbonisierung des Verkehrs herstellen können. Felix Knicker, M.Sc. Projektingenieur Tractebel Engineering GmbH Tractebelinfo-de@tractebel.engie.com KONTAKT Im Mittelpunkt der Tractebel- Studie stand das Müllheizkraftwerk Nordweststadt. © Mainova AG Krisen managen Am 6. März 2023 erscheint die nächste Ausgabe von Transforming Cities mit dem Themenschwerpunkt  Frühwarnsysteme  Task Forces  Schutzmechanismen  Koordination und Kommunikation  Kritische Infrastrukturen  Resiliente Versorgungssysteme  Redundanzen  Sicherheit im öffentlichen Raum  Kommunale Prävention