Tribologie und Schmierungstechnik
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expert verlag Tübingen
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JungkAlternative Basisöle für Schmierstoffe
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Joachim Schulz
Die Bedeutung von synthetischen Basisflüssigkeiten nimmt aufgrund der Möglichkeit maßgeschneiderte Schmierstoffe herstellen zu können stetig zu. Dieser Artikel beschreibt synthetische Ester und Polyalphaolefine in ihren Eigenschaften und gibt einen kurzen Überblick über mögliche Einsatzfälle in der Praxis.
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Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 1/ 2016 1 Einführung Mineralölbasierte Schmierstoffe sind bei Betrachtung der gesamten Geschichte der Menschheit erst relativ „kurz“ im Einsatz. Im Altertum wurden native Öle und Fette zur Schmierung eingesetzt. Diese blieben bis ins frühe 19. Jahrhundert die am häufigsten verwendeten Schmierstoffe. Auch die ersten Schmierstoffe für Automobile waren nativen Ursprungs, nämlich Produkte des Wal-Fangs (Spermöl). Und nicht der technische Fortschritt führte in diesem Fall zur Einführung von Mineralölbasierten Produkten, sondern der Treibstoffmangel. Die ersten Kraftfahrzeuge wurden mit Benzol oder Alkohol betrieben. Durch das Anwachsen der Zahl der Fahrzeuge wurden diese Kraftstoffe knapp und es wurde versucht Kraftstoffe aus Erdöl zu destillieren. Bei dieser Methode blieb zur damaligen Zeit en erheblicher Rückstand. Mit diesem wurde dann experimentiert und letztlich gelang es, aus diesen Rückständen praxistaugliche Schmierstoffe zu entwickeln. Damit nahm die Bedeutung der natürlichen Produkte drastisch ab. Die Weiterentwicklung von Motoren und Metallbearbeitungsverfahren führte dann dazu, dass mineralölbasierte Produkte nicht mehr allen Anforderungen gewachsen waren. Es wurden Produkte auf synthetischer Basis benötigt. Als Beispiel sei hier die Luftfahrtindustrie genannt, die Schmierstoffe benötigt, die sowohl bei sehr tiefen als auch bei sehr hohen Temperaturen eine gute Schmierung garantieren. Basis solcher Schmierstoffe sind Produkte, die durch Umwandlung von nativen Ausgangsstoffen aber auch aus Erdgas und Erdöl hergestellt werden. In diesem Aufsatz sollen synthetische Ester und Polyalphaolefine (PAO) näher betrachtet werden. Auch wenn zurzeit noch ca. 65 - 70 % aller Schmierstoffe auf Mineralöl basieren, sind die synthetischen Flüssigkeiten auf dem Vormarsch. Zum einen weisen die synthetischen Produkte (Polyalphaolefine (PAO) und synthetische Ester) im Vergleich zu den Mineralölen in vielen Fällen ein höheres Leistungsverhalten aus, zum anderen ist die Ökotoxizität deutlich geringer. Nachfolgend soll ein kurzer Überblick über die Historie von Schmierstoffen, der keinesfalls Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, gegeben werden. • ca. 1400 v. Chr. - Hammel- und Rindertalg konnte in Achslagern eines ägyptischen Kampfwagens nachgewiesen werden. • ca. 70 n. Chr. - Plinius der Ältere beschäftigte sich in einer seiner Schriften recht ausführlich mit Schmierung und Schmierstoffen, pflanzlichen und tierischen Ölen und Fetten, wie sie uns noch heute bekannt sind. • 1734 - veröffentlichte Dasagulier eine Reihe von Reibungskoeffizienten für verschiedenste Reibpaarungen. Er beschreibt dabei die Verwendung von Schmierstoffen als vorteilhaft. • 1854 - durch Destillation gewonnene Fraktionen von Mineralöl (Erdöl) erbringen befriedigende Schmierleistungen und zwar sowohl die niedrigwie auch die hochviskosen. Wahrscheinlich stammte das Erdöl, das er destillativ trennte, aus Rußland oder Rumänien, wo es Mitte des 19. Jahrhunderts bereits in bescheidenem Maßstab gewonnen wurde • 1863 - entstand die erste Raffinerie-Gesellschaft, gegründet von Rockefeller. Wenn auch in den ersten Jahren das Hauptgeschäft dieser Raffinerie in der Produktion von Lampenpetroleum bestand, war doch die Basis für viele Produkte auf Mineralölbasis geschaffen. 37 Aus Wissenschaft und Forschung * Prof. Dr. Joachim Schulz, Fuchs Wisura GmbH Alternative Basisöle für Schmierstoffe J. Schulz* Eingereicht: 17. 5. 2015 Nach Begutachtung angenommen: 21. 7. 2015 Die Bedeutung von synthetischen Basisflüssigkeiten nimmt aufgrund der Möglichkeit maßgeschneiderte Schmierstoffe herstellen zu können stetig zu. Dieser Artikel beschreibt synthetische Ester und Polyalphaolefine in ihren Eigenschaften und gibt einen kurzen Überblick über mögliche Einsatzfälle in der Praxis. Schlüsselwörter Ester, Polyalphaolefine, Eigenschaften The importance of synthetic base fluids is growing based on the possibility to produce tailor-made lubricants. This article describes synthetic esters and polyalphaolefins in their properties and provides a brief overview of possible applications in in the field. Keywords ester, polyalphaolefins, properties Kurzfassung Abstract T+S_1_16 21.12.15 10: 54 Seite 37 38 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 1/ 2016 • Ende des 19. Jahrhunderts - gelang es durch verfeinerte Methoden (Behandlung mit speziellen Erden) das Erdöl von harzähnlichen Substanzen und von Asphalten zu befreien. • 1909 - fand die erste Behandlung von Mineralöl mit Schwefeldioxid (SO 2 ) statt. Die Fuforol-Extraktion erbrachte später weit bessere Ergebnisse. . • Heute hat sich neben dieser Extraktionsmethode, vor allem die katalytische Wasserstoffbehandlung durchgesetzt, man unterscheidet dabei zwischen Hydrofinishing, Hydrotreating und Hydrocracking. • Während des zweiten Weltkrieges erfuhr die Schmierstoffentwicklung einen weiteren Schub. In Deutschland war man aus technischen vor allem aber aus rohstoffpolitischen Gründen gezwungen, Alternativen zum Mineralöl zu finden. Es wurden die synthetischen Ester entwickelt, die über ein, für die damalige Zeit, erstaunliches Kälteverhalten und außerdem eine hinreichende Schmierwirkung bei hohen Temperaturen aufwiesen. Bild 1 zeigt einen Vergleich einiger Eigenschaften von Mineralölen und synthetischen Basisflüssigkeiten. Es ist deutlich zu erkennen, dass synthetische Flüssigkeiten den Mineralölen in vielen Punkten überlegen sind. Einschränkend soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass es keine Flüssigkeit gibt, die in allen Fällen, auch in hier nicht genannten, die ultimative Basisflüssigkeit darstellt. In jedem Anwendungsfall sollte überlegt werden, wie schmierungstechnische Ziele aus ökonomischer aber auch ökologischer Sicht am besten zu erreichen sind. 2 Synthetische Ester Natürliche Öle und Fette (native Ester) - nachwachsende Rohstoffe - gewinnen als Ersatz von Mineralölen immer mehr an Bedeutung. Auf den ersten Blick erscheinen unter ökologischen Aspekten die ökotoxikologische Unbedenklichkeit und gute bis sehr gute biologische Abbaubarkeit von Estern auf Basis nativer Öle und Fette von Vorteil. Auch unter dem Blickwinkel des Schutzes der Atmosphäre vor immer mehr CO 2 als Treibhausgas, welches durch die Verbrennung von fossilen Rohstoffen entsteht, macht der Einsatz von Estern auf Basis pflanzlicher Rohstoffe Sinn. Schließlich benötigen die Pflanzen, aus dem der Ausgangsstoff für die Ester gewonnen wird, CO 2 für Ihr Wachstum. Somit ist ein gewisser CO 2 - Kreislauf, selbst bei der thermischen Verwertung der gebrauchten Öle, die auf pflanzlicher Basis hergestellt wurden, gegeben. Die Sache hat jedoch einen Haken (Bild 2). In der Land- und Forstwirtschaft bieten sich natürliche Triglyceride als Trägerflüssigkeiten an. Gute Beispiele sind Sägeketten- und Hydrauliköle sowie Schmierfette auf Basis von Rüböl. Leider weisen natürliche Triglyceride einige Nachteile auf, die sie für Flüssigkeiten, wie sie in der Industrie zum Einsatz kommen, als wenig geeignet erscheinen lassen. Um bestimmte anwendungstechnische Kriterien wie gutes Kälteverhalten, hoher Viskositätsindex (VI), Oxidationsstabilität, Viskosität, Verdampfungsverhalten, Temperatur- und Hydrolysestabilität zu erreichen, müssen die Ester mit spezieller chemischen Struktur synthetisiert und ausgewählt werden. Auch der Biodiesel ist ja kein reiner pflanzlicher Ester sondern auch ein chemisches Umwandlungsprodukt. Und eben diese chemische Umwandlung benötigt Energie, die (wenigstens zurzeit), zum überwiegenden Teil aus fossilen Rohstoffen stammt und somit ein Maluspunkt in der Gesamtökobilanz darstellt. Auch ist mit den Ölpflanzen, die hauptsächlich in Europa wachsen (Raps und Sonnenblumen) nicht jeder gewünschter Ester darstellbar, so dass auf Importe aus wärmeren Re- Aus Wissenschaft und Forschung V i s k o s i t ä t s - T e m p e r a t u r - V e r h a l t e n V e r s c h l e i ß s c h u t z R e i b u n g s v e r h a l t e n . T i e f t e m p e r a t u r v e r h a l t e n H o c h t e m p e r a t u r v e r h a l t e n O x i d a t i o n s s t a b i l i t ä t V e r h a l t e n g e g e n D i c h t u n g e n u n d A n s t r i c h e E n t f l a m m b a r k e i t M i n e r a l ö l P o l y a l p h a o l e f i n A l k y l b e n z o l S i l i k o n ö l P o l y o l e s t e r P o l y g l y k o l e P h o s p h o r s ä u r e e s t e r Bild 1: Vergleich von Eigenschaften von Basisflüssigkeiten. Bild 2: Kohlendioxid-Kreislauf T+S_1_16 21.12.15 10: 54 Seite 38 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 1/ 2016 gionen der Erde zurückgegriffen werden muss. Das bedeutet größere Transporte, die in der Ökobilanz auch nicht gerade positiv durchschlagen. Nichts desto trotz ist der Weg vom Mineralöl hin zu den Estern auf Basis nachwachsender Rohstoffe die richtige Richtung und sollte konsequent weiter beschritten werden. Allerdings unter dem Aspekt die Gesamtökobilanz bei aller Euphorie über die biologische Abbaubarkeit nicht zu vergessen. 3 Chemie von Estern [Seilnacht] Die Bezeichnung Ester wurde von dem Chemiker Gmelin im Jahre 1850 aus dem (heute veralteten) Begriff „Essigäther“ gebildet. In Anlehnung an die anorganischen Salze erhalten die Ester in der Nomenklatur die Endung -at. Eine andere Möglichkeit ist die Nennung des Namens der ursprünglichen Säure und danach des beteiligten Alkohols mit der Endung -ester, z. B. Essigsäureethylester. Ester entstehen, wenn eine Säure mit einem primären oder sekundären Alkohol (meist mit Hilfe eines Katalysators) reagiert. Die Esterreaktion ist eine Gleichgewichtsreaktion mit geringer Reaktionsgeschwindigkeit, so dass der entsprechende Ester oft erst nach Tagen entsteht. Starke Säuren wie konzentrierte Schwefelsäure wirken als Katalysator und beschleunigen die Reaktion (Bild 3). Diese hier summarisch dargestellte Esterreaktion ist in Wirklichkeit ein komplizierter Reaktionsmechanismus, der durch ein Proton aus der Schwefelsäure eingeleitet wird und in einzelnen Schritten abläuft. Der Angriff des Protons erfolgt am Sauerstoffatom der Doppelbindung (in der Essigsäure). Durch verschiedene Umbauten innerhalb der Moleküle wird am Ende Wasser abgespalten und der Katalysator wieder zurückgebildet. Die Rückreaktion, bzw. die Spaltung von Estern mit Hilfe von Wasser, Laugen oder von Enzymen nennt man Verseifung. Bei den Fetten ist der dreiwertige Alkohol Glycerin mit drei Fettsäuremolekülen verestert, so dass ein Triglycerid entsteht. Erhitzt man ein Triglycerid, das z. B. aus drei Molekülen Stearinsäure gebildet wurde, mit Natronlauge, erhält man in einer Verseifung Glycerin und das Salz der ursprünglichen Fettsäure, eine Seife: Triglycerid + 3 NaOH ► Glycerin + Natriumstearat (Seife) Ester aus langkettigen Carbonsäuren und langkettigen Alkoholen, bezeichnet man als Wachse, z. B. Bienenwachs. Neben den Estern, die aus Carbonsäuren gebildet werden, existieren auch Ester, die aus anorganischen Säuren entstehen, z. B. Trisalpetersäureglycerinester: Beim Verestern von Glycerin mit rauchender Salpetersäure und Schwefelsäure erhält man den Explosivstoff Nitroglycerin. Bei der Schießbaumwolle, die ebenfalls als Sprengstoff verwendet wird, ist Cellulose mit Salpetersäure verestert. Die Ester der kurzkettigen Säuren und Alkohole sind farblose Flüssigkeiten und zeichnen sich durch intensive, fruchtartige Gerüche aus. Sie sind Bestandteile von vielen natürlichen und künstlichen Aromastoffen. Die Tabelle 1 gibt einen Ausschnitt aus der Vielfalt der Ester- Aromen wieder: 39 Aus Wissenschaft und Forschung Bild 3: Ester Synthese und Verseifung Tabelle 1: Ester - Aromen Name des Esters Aroma Ameisensäureethylester Rum Essigsäurepropylester Birne Essigsäurebutylester Birne, Banane Propionsäureethylester Rum Propionsäurepentylester Apfel Buttersäuremethylester Ananas Ester sind nur schlecht wasserlöslich und besitzen eine geringere Dichte als Wasser. Sie reizen in hoher Konzentration die Atemwege und wirken narkotisch. Neben ihrer Verwendung als Aromastoffe werden sie hauptsächlich als Lösungsmittel eingesetzt. 4 Anforderung an synthetische Ester Wie schon in der Einleitung erwähnt haben native Ester einige Nachteile. Da ist zum einen der nicht ganz einheitliche chemische Aufbau, d. h. es können verschiedene Fettsäuren in einem Molekül vorkommen. Zum anderen ist der „ungesättigte“ Anteil (Doppel- und Dreifach-Bindungen) der nativen Fettsäuren zu nennen, der die nativen Ester gegen Oxidation empfindlich macht. (Oxidation von nativen Estern führt zu deren Verharzung). Zum dritten kommt die Anfälligkeit gegen Wasser (hydrolysieren) zum Tragen. Alle drei Punkte können durch chemische Umwandlung abgestellt werden. Es gelingt sogar „maßgeschneiderte“ Produkte herzustellen. T+S_1_16 21.12.15 10: 54 Seite 39 40 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 1/ 2016 Synthetische Ester sollten folgende Eigenschaften aufweisen: - niedriger Stockpunkt, gutes Kältefließverhalten - gutes Viskositäts-Temperaturverhalten - unbeschränkte Mischbarkeit mit Mineralölen und anderen synthetischen Schmierölen - gutes Antiwear- und Reibungsverhalten - niedrige Verdampfungsverluste - gute thermische Beständigkeit - gute biologische Abbaubarkeit - gutes Filtrierverhalten 5 Herstellung von synthetischen Estern Synthetische Ester können auf verschiedenen Wegen erhalten werden. Zum einen kann von Erdöl- oder Kohle-Produkten ausgegangen werden, zum anderen ist es aber auch möglich, auf native pflanzliche Ester zurückzugreifen und diese durch gezielte Umwandlungen zu verändern. Letztere Methode geht also von nachwachsenden Rohstoffen aus und ist somit der ökologisch richtige Weg. In der Praxis werden dazu die nativen Triglyceride verseift und die Spaltprodukte (Glycerin und Fettsäuren) isoliert. Die Fettsäuren können chemisch verändert, sprich hydriert werden. Dadurch gelingt es die Mehrfachbindungen in Einfachbindungen umzuwandeln bzw. ihre Anzahl deutlich zu reduzieren. Anschließend wird das Fettsäuregemisch einer Trennung unterworfen, so dass letztlich chemisch mehr oder weniger einheitliche Fettsäuren für die Veresterung mit einem Alkohol der Wahl vorliegen. Alkohol und Säure werden in Gegenwart von Katalysatoren zur Reaktion gebracht. Um das chemische Gleichgewicht in Richtung der Reaktionsprodukte zu verschieben, wird einer der beiden Ausgangsstoffe im Überschuss eingesetzt. Das Wasser, das bei der Veresterung entsteht (Bild 3) wird im leichten Vakuum abgezogen. Dadurch wird das Gleichgewicht noch einmal in Richtung Ester verschoben. Der so entstandene Rohester wird dann durch verschiedene Schritte gereinigt um überschüssige Ausgangsstoffe und Katalysatorreste zu entfernen. Waschen, Trocknen und oftmals Bleichen schließen sich an. Bei all diesen Schritten sollte mit größter Sorgfalt vorgegangen werden, da sich Verunreinigungen stark auf die Eigenschaften in der Anwendung bemerkbar machen können. 6 Eigenschaften von synthetischen Estern 6.1 Verdampfungsverhalten Metallbearbeitungsöle und andere Schmierstoffe (industrieller oder automotiver Einsatz) sind bei ihrer Anwendung meist hohen mechanischen und thermischen Beanspruchungen ausgesetzt. Dadurch kommt es zu Öldampf- und Ölnebelbildung. Beide Erscheinungen sind nicht nur aus toxikologischer Sicht für den Anwender relevant, sondern auch aus dem Blickwinkel des Brand- und Explosionsschutzes sowie der Gesamtkohlenstoffkonzentration in der Luft (MAK-Wert). In der Metallbearbeitung ist der größte Teil der Ölemission durch hohe Zerspanungstemperaturen (thermisch) bedingt. Bekanntlich wird ein großer Teil der bei Zerspanungsvorgängen verbrauchten Energie in Wärme umgewandelt. Heiße Späne oder Werkstücke führen unter Umständen dazu, dass die Ölverdampfung über den eigentlichen Bearbeitungsprozess hinaus weiter stattfinden kann, so dass eine Maschinenkapselung nur begrenzt (während der Bearbeitung) wirksam ist. Effektive Absaugungen können Abhilfe schaffen, doch sind diese in vielen Fällen nur im direkten Bearbeitungsraum im Einsatz. Absaugungen, zumal solche, welche die abgesaugten Stoffe ausfiltern und nicht einfach an die Umwelt abgeben, sind natürlich entsprechend kostenaufwendig, was gerade für kleine und mittlere Betriebe ein fast unüberwindliches Hindernis ist. Synthetische Ester, auf Basis nativer pflanzlicher Produkte, haben aufgrund ihrer einheitlichen chemischen Struktur eine sehr geringe Verdampfungsneigung. In Bild 4 ist der Verdampfungsverlust nach Noack (DIN 51 581) von synthetischen Estern im Vergleich mit anderen Trägerflüssigkeiten dargestellt. Für den Anwender ergeben sich aus dem günstigen Emissionsverhalten, verglichen mit Schneidölen gleicher Viskosität auf Basis von Mineralöl folgende Vorteile: Aus Wissenschaft und Forschung Bild 4: Verdampfungsverhalten im Vergleich T+S_1_16 21.12.15 10: 54 Seite 40 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 1/ 2016 - Öldampf und/ oder -nebel werden stark reduziert - Kostenreduzierung durch längere Wartungsintervalle an Filter - und Absauganlagen - deutlich geringerer Verbrauch aufgrund geringerer Verdampfungsverluste - niedrige Viskositäten bei hohen Flammpunkten möglich (gute Kühlwirkung, geringere Ausschleppverluste) 6.2 Viskositäten und deren Temperaturabhängigkeit Mit steigender Molekülgröße, sowohl auf der Säure-, wie auch auf der Alkohol-Seite des Estermoleküls nimmt die Viskosität zu. Verzweigungen in den Molekülen steigern die Viskosität ebenfalls. Generell gilt die Aussage, dass die Viskosität mit der Komplexität des Estermoleküls ansteigt. Das trifft insbesondere auf Produkte mit mehr als einer Esterfunktion im Molekül zu. Bei diesen Produkten, die aus sogenannten „mehrwertigen Alkoholen“, also Molekülen mit mehr als einer OH-Gruppe, und Säuren mit mehr als einer Säuregruppe im Molekül synthetisiert werden, kommt es durch Vernetzung zu mehr oder weniger großen Strukturen. Zum Teil laufen solche Synthesen aus sterischen Gründen an den Ausgangsmolekülen auch nicht ganz vollständig ab, so dass im Reaktionsprodukt noch freie Alkoholund/ oder Säure-Gruppen, neben den Estergruppen, vorliegen können, die die Eigenschaften generell und auch das Viskositätsverhalten stark beeinflussen. Steigende Molekülgröße in Estern hat eine Verbesserung des V/ T-Verhaltens zur Folge, also eine Erhöhung des VI. Werden Ringförmige Strukturen oder Verzeigungen in das Molekül eingeführt kommt es im Vergleich zu linear aufgebauten Molekülen zu einer Verringerung des VI. 6.3 Pourpoint Die Pourpoints von synthetischen Estern liegen deutlich unterhalb von isoviskosen Mineralölen. Der Pourpoint hängt aber stark von der Molekülstruktur ab. Synthetische Ester mit kurzen Molekülketten an Säureund/ oder Alkoholteil haben tiefere Pourpoints als längerkettige Spezies. Verzweigte Ketten führen im Vergleich zu linearen Ketten zu einer Erniedrigung des Pourpoints, wobei die Lage der Verzweigung bezogen auf die Estergruppe von Bedeutung ist. Je mehr sich eine Verzweigung dem Ende eines Moleküls nähert, desto höher ist der Pourpoint. Ester, die sowohl verzweigte als auch lineare Molekülgruppen besitzen, haben tiefere Pourpoints als Ester, die rein verzweigt oder rein linear sind. Tabelle 2 zeigt einige Daten von verschiedenen synthetischen Estern. 6.4 Oxydative und thermische Stabilität Die oxidative Stabilität gegenüber Luft hängt stark von der Struktur des Estermoleküls ab. Auch die Herstellbedingungen, d. h. wie sauber Synthese und anschließende Reinigung durchgeführt werden, sind mit für die Stabilität entscheidend. Nachfolgende Parameter haben den größten Einfluss: • Kettenlänge, Verzweigung und Position der Verzweigung (Säure- / Alkohol-Komponente) • Mehrfachbindungen • Neutralisationszahl • Hydroxylzahl • Rückstände aus der Herstellung (Katalysator, Ausgangsprodukte, Wasser) • Verunreinigungen Die oxidative Stabilität kann aber durch Antioxidantien sehr gut beeinflusst werden, da synthetische Ester sehr gut auf diese Additive ansprechen. Neben der oxidativen Stabilität ist für den praktischen Einsatz von synthetischen Estern natürlich die thermische Stabilität von Bedeutung, da letztere über die Lebensdauer einer Schmierstoffs mit bestimmt. Generell sind die Kohlenstoff-Sauerstoff-Bindungen der Estergruppe etwas stabiler, als reine Kohlenstoff-Kohlenstoff- Bindung. Letztlich ist aber auch hier die Struktur des Gesamtmoleküls von größter Bedeutung. Die Zersetzung läuft bei hoher Temperatur in Abwesenheit von Sauerstoff (in Gegenwart von Sauerstoff wäre es Oxidation) unter Bildung eines Olefins und einer Carbonsäure ab. Sterisch gehinderte Ester benötigen eine deutlich höhere Zersetzungsenergie als ungehinderte Produkte. Zu den sterisch gehinderten Estern zählen TMP-Ester Neopentylglykolester, Pentaerithritolester und Dipentaerithrito- 41 Aus Wissenschaft und Forschung Tabelle 2: Kenndaten von verschiedenen Ester-Typen Dicarbonsäure- Polyolester Trimellithsäure- Phthalsäureester ester ester Viskosität bei 40 °C mm 2 / s 6 - 45 15 - 160 45 - 370 40 - 80 Viskosität bei 100 °C mm 2 / s 2 - 8 3 - 22 7 - 22 4 - 9 VI 120 - 170 120 - 150 60 - 120 40 - 90 Pourpoint °C -80 bis -40 -60 bis -10 -55 bis -25 -50 bis -30 Flamm-punkt, COC °C 200 - 260 230 - 300 270 - 300 220 - 260 T+S_1_16 21.12.15 10: 54 Seite 41 42 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 1/ 2016 leaster. Diese Ester, die mit zu den thermisch stabilsten gehören, werden daher gerne in Hochtemperaturbereichen, z. B. Flugturbinen, eingesetzt. Auch die Rückstandsbildung kann im Vergleich mit Mineralölen oder selbst Polyalphaolefinen noch deutlich minimiert werden. Zudem zeichnen sich Ester dadurch aus, dass sie aufgrund ihres polaren Charakters gebildete Rückstände besser lösen als unpolare Stoffe. 6.5 Hydrolysebeständigkeit Hydrolyse von Estern ist die Umkehrreaktion zu deren Synthese, d. h. mit Wasser können Ester wieder in Alkohol und Säure zurück verwandelt werden. Metalle bzw. deren Salze wirken dabei katalytisch. Native Ester, also Ester mit ungesättigten Anteilen sind am anfälligsten gegen Hydrolyse (Bild 5). Polyolester sind die stabilste Gruppe. Um die Hydrolyse gänzlich zu unterbinden sollte bei der Anwendung von Estern daher auf den Ausschluss von Wasser geachtet werden. 6.7 Hautverträglichkeit Aus der Praxis ist bekannt, das bei nichtwassermischbaren mineralölbasischen Produkten mit niedriger Viskosität (< 8 mm 2 / s bei 40 °C) mehr Hautunverträglichkeiten zu beobachten sind als bei höherviskosen Typen gleicher Bauart. Niedrigviskose Öle sind aber wegen ihrer guten Kühl- und Spülwirkung für die spanende Metallbearbeitung von großer Bedeutung. Esterbasische Produkte sind verglichen mit paraffinbasischen Ölen ähnlicher Viskosität hautverträglicher, wie Messungen des TEWL und Chromametrie-Messwerte (Tabelle 4/ 5) bestätigen. Das mag unter anderem damit zu tun haben, dass Ester auf pflanzlicher Basis eine ähnliche Struktur aufweisen wie die Triglyceride der Haut. Untersuchungen an geschädigter Haut zeigen, dass Rapsöl in der Lage ist, eine defekte Haut-Barriere mit vergleichbaren Lipiden zu versorgen (zu reparieren). Nun sind synthetische Ester auf Basis nachwachsender Rohstoffe natürlich in den meisten Fällen keine Triglyceride wie Raps, doch die Fettsäuren, aus denen sie aufgebaut sind, sind identisch. Ein anderer Grund für die bessere Hautverträglichkeit gegenüber isoviskosen Mineralölen könnte auch darin bestehen, dass durch die schon beschriebene einheitliche Molekülstruktur die kleinen (lösemittelähnlichen) Moleküle fehlen und daher eine Entfettung der Haut deutlich langsamer vonstatten geht. Auf jeden Fall stellt die bessere Hautverträglichkeit einen Pluspunkt für die Ester dar. 6.8 Ester und Dichtungs- / Kabelmaterialien an Werkzeugmaschinen Die Akzeptanz von ester-basischen Produkten gegenüber konventionellen Mineralölhaltigen ist als eher gering einzuschätzen. Das mag zum einen am bislang hohen Preis der Ester-Produkte liegen, zum anderen spielt aber sicher die Angst der Anwender eine große Rolle, dass die Ester Dichtungs- und Kabelmaterialien angreifen könnten. Letzteres mag bei älteren Anlagen durchaus berechtigt sein. Bei neuen Werkzeugmaschinen ist die Aus Wissenschaft und Forschung Bild 5: Angriffspunkte bei Pflanzenölen Tabelle 3: Biologische Abbaubarkeit von Estern nach 21 Tagen im CEC-L-33-A-94 Test Abbau nach 21 Tagen Trimelithsäureester 0 - 70 % Phthalsäureester 45 - 90 % Polyolester 70 - 100 % Dicarbonsäureester 75 - 100 % Komplexester 70 - 100 % 6.6 Ökologische Betrachtungen Auch dem „biologischen Abbauverhalten“ von Schmierstoffen kommt, wie schon erwähnt, eine entscheidende Rolle bei der Umweltverträglichkeitsbewertung zu. Synthetische Ester auf Basis nativer pflanzlicher Produkte sind zu über 90 % biologisch abbaubar (Tabelle 3). Damit eng verbunden ist die Bewertung der Wassergefährdung. Die Wassergefährdungsklasse vieler Ester ist wegen der guten biologischen Abbaubarkeit und der geringen Toxizität (auch gegen Wasserorganismen) nach Test: „nichtwassergefährdend“. Dadurch sind sie den Mineralölen (WGK 1) deutlich überlegen. Allerdings soll hier in kritischer und auch ehrlicher Weise angemerkt werden, dass in Schmierstoffen selbstverständlich auch Additive enthalten sein können, die nicht so positiv in der ökologischen Bewertung abschneiden wie die Ester selbst. Ökonomie und Ökologie sind also in diesem Punkt sinnvoll miteinander verbunden. T+S_1_16 21.12.15 10: 54 Seite 42 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 1/ 2016 Zerstörung von Dichtungen und Kabeln durch Ester eher selten der Fall. Bis auf wenige Ausnahmen rüsten die meisten namhaften Hersteller von Werkzeugmaschinen ihre Produkte mit Materialien aus, die durchaus gegenüber Estern resistent sind. Sie kommen damit den Anforderungen der VDI - Richtlinie 3035 in vollem Umfang nach, in der gefordert wird: „Da nicht immer bekannt ist, mit welchem KSS die Werkzeugmaschine betrieben wird und auch häufig Veränderungen während der Lebensdauer stattfinden, ist der Konstrukteur der Werkzeugmaschine nun gefordert, Werkstoffe so auszuwählen, dass sie eine größtmögliche chemische Beständigkeit gegen die oben erwähnten Kühlschmierstofftypen aufweisen. Es empfiehlt sich in jedem Fall Rücksprache mit dem Hersteller der Werkstoffe zu halten. Häufig liegen Untersuchungen über die chemische Verträglichkeit bereits vor.“[VDI 3035] Das heißt, bei Anschaffung einer neuen Werkzeugmaschine sollte der Kunde seinen Hersteller einfach darauf aufmerksam machen, dass er (der Kunde) wünscht, dass die Maschine mit allen Arten von üblichen Metallbearbeitungsflüssigkeiten einwandfrei funktionieren muss. 7 Wirkungsweise von Estern auf Metalloberflächen Ester wechselwirken mit Metalloberflächen ausschließlich durch Adsorption, also rein physikalisch. Wie stark oder schwach diese adsorptiven Kräfte sind, hängt von der Anzahl der möglichen Bindungen im Ester und deren sterischer Hinderung ab. Auf die möglichen Mechanismen soll später noch eingegangen werden. Klar ist auf jeden Fall, dass die Adsorption temperaturabhängig ist, d. h. mit steigender Temperatur wird die Adsoprtion schwächer, solange bis sich kein Molekül mehr an der Metalloberfläche halten kann. Diese Vorgänge sind von der Metalloberfläche (solange diese nicht kontaminiert ist), also von der Art des Metalls nahezu unabhängig. Die Natur des Metalls bestimmt allerdings die Stärke der adsorptiven Bindung. Etwas komplexer wird die Angelegenheit, wenn wir annehmen, dass Ester noch freie Säuregruppen enthalten (Komplexester). Fettsäuren sollen mit Metallen so genannte Metallseifen (organische Salze von Metallen) bilden, die dann die Schmierung positiv beeinflussen (niedrige Reibkoeffizienten). Im chemisch strengen Sinne betrachtet, handelt es sich um eine Säure / Metall-Reaktion, d. h. die Säure spaltet ein Wasserstoffatom ab und bindet sich an ein Metallatom. Wenn die Säurestärke nicht ausreicht, wird diese Reaktion sicher nicht oder nur sehr unvollständig ablaufen. 8 Zusammenfassung - Vorteile von synthetischen Estern Bei aller Kritik hinsichtlich der Ökologie beim Einsatz von synthetischen Estern, die auf Basis nachwachsender Rohstoffe hergestellt werden, sind doch die technischen Vorteile solcher Produkte gegenüber mineralölbasierten Formulierungen unübersehbar. Hierüber ist schon reichlich geschrieben worden. 43 Aus Wissenschaft und Forschung Tabelle 4: TEWL - Messungen Substanz Vis. (40 °C) TEWL TEWL Differenz der [mm 2 / s] vorher nach Einwirkung TEWL Mittelwerte Mittelwerte Mittelwerte paraffinbas. Öl 5 3,7 4,5 0,8 Esterbas. Schmierstoff 6 8 10,9 2,9 Wasser 6,6 6,7 0,1 SDS * ) 8 28,7 20,7 Tabelle 5: Chromametrie - Messungen [*) Natriumlaurylsulfat (0.2%ig) als Substanz mit stark schädigender Wirkung zum Vergleich] Substanz Vis. (40 °C) Chromametrie Chromametrie Differenz der [mm 2 / s] vorher nach Einwirkung Chromametrie Mittelwerte Mittelwerte Mittelwerte paraffinbas. Öl 5 6,1 12,2 6,1 Esterbas. Schmierstoff 6 8,9 7,9 -1 Wasser 7,5 7,5 0 SDS * ) 8,7 11,5 2,8 T+S_1_16 21.12.15 10: 54 Seite 43 44 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 1/ 2016 Bei vergleichbarer Additivierung und Viskosität weisen esterbasische Produkte eindeutig eine höhere Leistungsdichte, verbunden mit längeren Standzeiten von Maschinenelementen bzw. Werkzeugen aus. Die Belastung des Arbeitsumfeldes durch Dämpfe und Nebel ist bei Estern um Größenordnungen geringer. Auch wenn die Gesamtököbilanz noch nicht ganz aufgeht, so sind Ester der Schritt in die richtige Richtung und zumindest was die CO 2 -Bilanz für das eigentliche Produkt (ohne Transport und Herstellung) angeht, nicht zu übertreffen. Bei Einsatz von synthetischen Estern, am besten in kompletten Produktfamilien, ergeben sich folgende Vorteile: - Kompatibilität der einzelnen Produkte - Vermeidung von Störungen des Produktionsprozesses durch Vermischung - Basis: nachwachsende Rohstoffe - Schonung der Ressourcen - gute biologische Abbaubarkeit (nur für Frischprodukte gültig) - aromatenfrei - verdampfungs- und nebelarm - hoher Flammpunkt - gute Hautverträglichkeit - sehr hohe Leistungsdichte 9 Polyalphaolefine Schon 1926 arbeitete Dr. Hermann Zorn von IG Farben (heute BASF) an synthetisch hergestellten Kohlenwasserstoffen. Ihm gelang durch Polymerisation von Olefinen die Herstellung (1938) eines synthetischen Öls für Flugzeugmotoren. Der heute noch angewandte Syntheseweg zu Polyalphalefinen wurde in den USA entwickelt (Standard Oil, Gulf Oil, Mobil, Ethyl). 10 Chemie der Polyalphaolefine Polyalphaolefine werden durch Polymerisation aus Olefinen, also Kohlenwasserstoffen mit einer Doppelbindung in alpha-Position hergestellt. Diese alpha-Olefine (auch 1-Alkene genannt) selbst werden aus Ethylen (Bild 6) hergestellt. Das Ethylen fällt bei der Erdöl-Destillation an, kommt aber auch im Erdgas vor. Auch durch die Fischer-Tropsch Synthese bzw. verwandten Verfahren kann Ethylen unabhängig von Erdlöl/ Erdgas erzeugt werden. Je nach Grad der Polymerisation und des eingesetzten Verfahrens entstehen Dimere, Trimere usw., also Moleküle mit unterschiedlicher Größe (Molmasse) und damit unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften. Da bei der Synthese ungesättigte Doppelbindungen im Molekül verbleiben, werden diese zum Schluss mit Wasserstoff in gesättigte Einfachbindungen überführt (Hydrierung). In der realen Synthese fällt immer eine Mischung aus verschieden großen Molekülen an, die dann durch Destillation getrennt werden können. Meist wird für die Polyalphaolefin-Synthese 1-Decen (10 C-Atome in der Kette) eingesetzt, wobei auch Kohlenstoffketten mit 8, 12 oder 14 C-Atomen zum Einsatz kommen. Am Markt werden somit verschiedene Zusammensetzungen angeboten. Die Synthese selbst läuft nur an Katalysatoren ökonomisch vertretbar ab. Zum Einsatz kommen Bortriflurid bzw. Ziegler-Nata-Katalysatoren. Letztere sind auch für die Synthese von PE oder PP geeignet. Im Vergleich mit Mineralölen sind Polyalphaolefine aus chemisch sehr einheitlichen Molekülen aufgebaut (Mineralöle bestehen bekanntermaßen, auch bei relativ engen Destillationsschnitten, aus einer Vielzahl von Molekülen), was sich natürlich auf ihre Eigenschaften auswirkt. Aromatische und naphthenische Kohlenwasserstoffe fehlen in den Polyalphaolefinen komplett. Die Struktur der PAO ist mit der von verzweigten Paraffinen zu vergleichen. Heteroelemente, z. B. Schwefel und Stickstoff kommen in PAO nicht vor. Trotz der genannten Unterschiede sind PAO mit Mineralöl-Kohlenwasserstoffen vergleichbar, d. h. sie haben ein ähnliches Verhalten gegenüber Werkstoffen und Dichtungsmaterialen. Auch die Löslichkeit von Additiven ist ähnlich, wobei PAO, aufgrund der fehlenden Aromaten und Naphthene, ein geringeres Lösungspotenzial aufweisen. (Kenndaten, Tabelle 6) 11 Physikalische Eigenschaften von PAO Der grundlegende Unterschied zwischen PAO und Mineralöl in vergleichbarer Viskostät besteht in der Mole- Aus Wissenschaft und Forschung Mineralöl Ethylen 1-Decen Oligomisierung Destillation Hydrierung Poly-alpha-olefin Vorteile - Frei von Aromaten - Niedrige Verdampfung - Guter VI Vorteile - Frei von Aromaten - Niedrige Verdampfung - Guter VI CH 3 -(CH 2 ) 7 -CH-[CH 2 -CH] n -H (CH 2 ) 7 -CH 3 CH 3 CH 3 -(CH 2 ) 7 -CH-[CH 2 -CH] n -H (CH 2 ) 7 -CH 3 CH 3 Bild 6: Synthese von Polyalphaolefinen T+S_1_16 21.12.15 10: 54 Seite 44 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 1/ 2016 kulargewichtsverteilung, die bei PAO deutlich enger ausfällt. D. h. bei gleicher Viskositätslage sind PAO relativ uniform aufgebaut, es fehlen auf der einen Seite niedermolekulare, leicht flüchtige und auf der anderen Seite hochmolekulare Bestandteile. Wie schon oben angesprochen kommt im Siedeschnitt eines Mineralöls eine ganze Reihe von unterschiedlich großen Molekülen vor (Datenvergleich, Tabelle 7). 11.1 Verdampfungsverhalten Das Verdampfungsverhalten einer Flüssigkeit ist sehr stark von der molekularen Struktur ihrer Inhaltsstoffe abhängig. Je kleiner (niedermolekularer) eine Verbindung ist, desto größer ist im Allgemeinen ihre Verdampfungsneigung. Bei gleicher Viskosität weisen Produkte mit relativ einheitlicher Molekülstuktur eine geringere Verdampfungsneigung auf als Produkte, die aus einer Vielzahl unterschiedlichster Molekültypen bestehen (Bild 7). Als Maß für die Beurteilung des Verdampfungsverhaltens dient der Verdampfungsverlust. Der Verdampfungsverlust kann mit dem Noack-Test (DIN 51581) quantifiziert werden. Dabei wird ein mit der zu prüfenden Substanz befüllter Tiegel genau eine Stunde lang bei 250 °C temperiert. Während dieser Zeit werden die flüchtigen Bestandteile bei einem Unterdruck von 2 mbar (2 hPa) abgesaugt. Der Verdampfungstiegel wird vor und nach dem Erhitzen gewogen. Die prozentuale Gewichtsdifferenz ist gleich dem Verdampfungsverlust (Noack-Wert). Je kleiner der Noack-Wert desto kleiner der Verdampfungsverlust eines Öls. Bei Flüssigkeiten mit niedriger Viskosität, also Produkten mit höherer Verdampfungsneigung als höherviskose Produkte, ist bei Anwendung einer Prüftemperatur von 250 °C kaum eine Differenzierung zu erwarten. Deshalb wird in diesen Fällen die Prüftemperatur auf 200 °C bzw. 150 °C abgesenkt. 45 Aus Wissenschaft und Forschung Tabelle 6: Vergleich von Kenndaten, verschiedene PAO [Einheit] PAO 2 PAO 4 PAO 6 PAO 8 PAO 10 PAO 40 PAO 100 Dichte bei 15 °C [kg/ m 3 ] 797 818 827 832 836 849 856 Viskosität bei -40 °C [mm 2 / s] 310 2500 7900 18200 32700 - - Viskosität bei +40 °C [mm 2 / s] 5,54 17,2 31,0 45,8 62,9 395 1400 Viskosität bei 100 °C [mm 2 / s] 1,8 3,9 5,9 7,8 9,6 40,0 100 Viskositätsindex VI 125 135 136 137 151 168 Pourpoint °C -65 -70 -68 -63 -53 -34 -20 Flammpunkt, COC °C >155 215 235 250 265 270 290 Tabelle 7: Vergleich von Kenndaten, Mineralöl - PAO [Einheit] PAO 4 Solvent Solvent PAO 6 Solvent Solvent Raff. Raff. Raff. Raff. P 17/ 40 NH 15/ 40 P 32/ 40 NH 32/ 40 Viskosität bei -40 °C [mm 2 / s] 2500 - - 7900 - 7900 Viskosität bei +40 °C [mm 2 / s] 17,2 17,0 15 31,0 32 31 Viskosität bei 100 °C [mm 2 / s] 3,9 3,66 2,95 5,9 5,4 4,4 Viskositätsindex VI 135 95 2 136 97 -7 Pourpoint °C -70 -18 -48 -68 -24 -45 Flammpunkt, COC °C 215 195 165 235 225 185 Bild 7: Verdampfungsverhalten und Molekülstruktur T+S_1_16 21.12.15 10: 54 Seite 45 46 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 1/ 2016 Der größte Teil von Ölemission ist durch hohe thermisch Beanspruchung bedingt (z. B. Reibungswärme, Zerspanungswärme). Bekanntlich wird ein großer Teil der bei Zerspanungsvorgängen verbrauchten Energie in Wärme umgewandelt. Heiße Späne oder Werkstücke führen unter Umständen dazu, dass die Ölverdampfung über den eigentlichen Bearbeitungsprozess hinaus weiter stattfinden kann, so dass eine Maschinenkapselung nur begrenzt (während der Bearbeitung) wirksam ist. Effektive Absaugungen können Abhilfe schaffen, doch sind diese in vielen Fällen nur im direkten Bearbeitungsraum im Einsatz. Absaugungen, zumal solche, welche die abgesaugten Stoffe ausfiltern und nicht einfach an die Umwelt abgeben, sind natürlich entsprechend kostenaufwendig, was gerade für kleine und mittlere Betriebe ein fast unüberwindliches Hindernis ist. PAO, haben, ähnlich wie synthetische Ester (Abschnitt 6.1) aufgrund ihrer einheitlichen chemischen Struktur eine sehr geringe Verdampfungsneigung (Bei gleicher Temperatur und gleicher Viskosität verdampfen PAO also deutlich langsamer). Damit findet eine geringere Anreicherung von verdampftem Produkt statt, was mit einer deutlichen Verringerung von Brand- und Explosionsgefahr einhergeht. Ebenso sind die zu ersetzenden Verluste durch Verdampfung deutlich geringer. Vergleichende Tests an Werkzeugmaschinen ergaben eine Einsparung von mehr als 30 %. 11.2 Thermisches Verhalten Aufgrund des Fehlens von hochmolekularen Bestandteilen ist die Neigung zur Rückstandsbildung (Verkokung, Vercrackung, Bildung von Ölkohle) bei höheren Temperaturen bei PAO deutlich geringer als bei Mineralölen. Diese Aussage gilt auch gegenüber Hydrocrackölen. Bemerkenswerter Weise überträgt sich diese positive Eigenschaft auch auf Mischungen von PAO mit Mineralölen. Zur Prüfung der Neigung von Mineralölen oder Mineralölprodukten bei thermischer Belastung koksartige Rückstände zu bilden, dient der Conradsen-Test (CCT) nach DIN 51551. Ölkoks oder Ölkohle bildet sich bei sehr hoher thermischer Belastung. Speziell in Verbrennungsmotoren oder Kompressoren kann sich der Ölkoks auf gleitenden Teilen absetzen und dadurch hohen Verschleiß hervorrufen. Um dem entgegen zu wirken, sind für bestimmte Einsatzgebiete und damit bestimmte Klassen von Ölen Höchstwerte für den sich unter bestimmten Bedingungen bildenden Koks festgelegt. Bei Dieselkraftstoffen lässt der Conradsen-Test Rückschlüsse auf die Neigung zum Verstopfen von Einspritzdüsen, bei Heizölen zum Verkoken der Brennerdüsen und bei Schmierölen zur Entstehung von Rückständen zu. Bei Verdichterölen nach DIN 51506 VDL bestehen besonders hohe Anforderungen an eine niedrige Verkokungsneigung. Hier muss die Entstehung von Ölkohle vermindert werden, um die Gefahr der Selbstentzündung zu minimieren. Der Test selbst läuft wie folgt ab: Der zu prüfende Stoff wird unter Luftmangel verschwelt. Der dabei entstehende Koks wird in Prozent, bezogen auf die Einwaage der Probe angegeben. 11.3 Oxidationsstabilität (Alterungsbeständigkeit) Die Oxidation von Stoffen ist auf der Erde ein, wenn auch langsamer (bei moderater Temperatur), allgegenwärtiger Vorgang. Bei höheren Temperaturen läuft dieser Vorgang deutlich schneller ab. Als Faustregel gilt, dass ab 70 °C aufwärts sich die Reaktionsgeschwindigkeit eines Systems alle 10 K verdoppelt. Damit halbiert sich die Halbwertszeit des betrachteten Systems in den genannten Temperaturinterwallen. Viele Schmierstoffe sind bei ihrer Verwendung höheren Temperaturen ausgesetzt und somit ist die Oxidationsbeständigkeit von großer Wichtigkeit. Hinzu kommt, dass viele Schmierstoffe im Gebiet der sogenannten Mischreibung zum Einsatz kommen, also mit feinstem Metallabrieb zu rechnen ist. Dieser feine Abrieb wirkt als Katalysator beschleunigend auf die Oxidation. Aus diesem Grund wird der katalytische Einfluss bei Tests zur Oxidationsstabilität mit berücksichtigt. Um alle Einflüsse gleichzeitig testen zu können, wurde der sogenannte Tosttest nach DIN 51387 entwickelt. Bei diesem Test wird das zu prüfende Öl mit Wasser versetzt, es wird je eine frisch geschliffene Stahl- und Kupferspirale eingesetzt und über die gesamte Testdauer bei 95 °C reiner Sauerstoff eingeblasen. Beurteilt wird das Öl (Neutralisationszahl, Alterungsbanden im IR, Verfärbungen, Viskositätsänderungen etc.), Verfärbungen an den Spiralen und ob Schlammbildung auftritt. Ein anderer Test, speziell für leicht biologisch abbaubare Systeme, ist der Baader-Test. Unter Oxidationsbeständigkeit von Schmierfetten nach Norm DIN 51508 wird die Widerstandsfähigkeit von Schmierfetten gegen die Aufnahme von Sauerstoff, gemessen als Druckabfall, verstanden. Die zu prüfende Schmierfettprobe wird in ein genormtes Druckgefäß gegeben, das mit Sauerstoff bis zu einem Druck von 7,0 bar gefüllt wird. Das befüllte Druckgefäß wird in ein Heizbad von 99 °C gestellt, wobei der Druck im Gefäß auf 7,7 bar infolge der Temperatur ansteigt. Der Druckabfall nach einer festgelegten Prüfdauer wird als Maß für die Sauerstoffaufnahme durch das Schmierfett, also dessen Oxidation benutzt. Je geringer der Druckabfall oder je später dieser einsetzt, umso größer ist die Oxidationsbeständigkeit eines Schmierfettes. Diese Oxidationsbeständigkeit gibt Hinweise auf das Verhalten von Schmierfetten, die unter statischen Bedingungen über lange Zeit dem Einfluss der Atmosphäre ausgesetzt werden, wie z. B. in dünnen Schichten in Wälzlagern und anderen Maschinenteilen. Sie Aus Wissenschaft und Forschung T+S_1_16 21.12.15 10: 54 Seite 46 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 1/ 2016 sagt dagegen nichts über die Lagerungsbeständigkeit von Schmierfetten in handelsüblichen Gebinden und über die Oxidationsbeständigkeit unter dynamischen Praxisbedingungen aus. Die Ergebnisangabe erfolgt z. B. Druckabfall nach 100 Stunden 0,35 bar DIN 51808. Unadditivierte PAO zeigen ein schlechteres Oxidationsverhalten als Mineralöle, d. h. sie oxidieren schneller. Eine Erklärung für diesen Umstand ist im schon genannten Fehlen von Heteroverbindungen (Schwefel- / Stickstoffverbindungen) in den PAO zu suchen. Bei volladditivierten Produkten sind PAO-basierte Formulierungen denen auf Mineralölbasis überlegen. Das ist ein starker Hinweis, dass PAO die Wirkung von Additiven, in diesem Fall Antioxidantien, weniger in ihrer Wirkung beeinflussen als Mineralöle (additive response) (Tabelle 8). 11.4 Viskositäts-Temperatur-Verhalten (V/ T-Verhalten) PAO zeigen gegenüber Mineralölen vergleichbarer Viskosität ein deutlich besseres V/ T-Verhalten (Bild 8). Das bessere Tieftemperaturverhalten von PAO (tiefere Pourpoints, höhere Viskositätsindices, niedriger Tieftemperatur-Viskositäten) ist durch die verzweigte Struktur und das Fehlen von hochmolekularen Bestandteilen zwanglos zu erklären. Durch den höheren VI werden bei höheren Temperaturen auch vergleichsweise dickere Schmierfilme ausgebildet als bei Mineralölen in gleicher Viskosität. Bei PAO-basierten Schmierfetten wirken sich die guten Tieftemperatur-Eigenschaften ebenfalls positiv aus. Somit sind erweiterte Gebrauchstemperaturbereiche möglich, d. h. diese Schmierfette besitzen niedrigere Fließdrücke, niedrigere dynamische Viskositäten und Tieftemperaturdrehmomente bei gleichzeitig höherer oberer Gebrauchstemperatur. 11.5 Verhalten gegenüber Elastomeren PAO gelten gegenüber Elastomeren als schwach quellend, ganz ähnlich wie paraffinische Mineralöle. Aufgrund des besseren Tieftemperaturverhaltens können auch kältebeständige Elastomere zum Einsatz kommen, die in Mineralölen stärker quellen würden. Allerdings ist es nicht auszuschließen, dass aus diesen Elastomeren Weichmacher, Antioxidatien und andere Bestandteile herausgelöst werden, wodurch eine Schrumpfung (Verhärtung) der Elastomere eintreten kann. In der Praxis wird daher einer PAO-basierten Formulierung oft ein Anteil von synthetischen Estern hinzugegeben, die alleine einen Quelleffekt hervorrufen würden. Schrumpfung und Quellung heben sich im Idealfall auf. 11.6 Ökotoxizität Wie schon unter Kapitel 3 erwähnt, enthalten PAO keine aromatischen Verbindungen bzw. Anteile, die mit dem Test auf PCA gemäß IP 346 nachzuweisen wären. 47 Aus Wissenschaft und Forschung Tabelle 8: Differential-Thermoanalyse (DSC), dynamisch; Einwaage: 10 mg; Heizrate: 1 K/ min-1; Heizbeginn: 100 °C, Sauerstoffstrom Temperatur des Oxidationsbeginn [°C] PAO 6 169 PAO 10 146 PAO 40 175 Solvent Raff P 68/ 40 158 Solvent Raff P 220/ 40 169 CLP 220 (Mineralöl) 205 CLP 220 (PAO) 232 Bild 8: VI verschiedener Grundöle T+S_1_16 21.12.15 10: 54 Seite 47 48 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 1/ 2016 PAO sind weder hautnoch augenreizend und haben einen hohen LD50-Wert von deutlich größer 2000 mg/ kg (Ratte, oral). Die Wasserlöslichkeit ist als sehr gering einzuschätzen. Polyalphaolefine gelten als nicht sensibilisierende Substanzklasse. Sie entfetten aber die Haut wie jeder andere Kohlenwasserstoff auch, was zu einer Reizung der entfetteten Hautpartie führen kann. Die biologische Abbaubarkeit nach 21 Tagen gemäß CEC-L-33-A-94 Test beträgt für die niedrig viskosen PAO 2 und PAO 4 75-90 % bzw. 50-70 %. Je höher der Polymerisationsgrad wird, desto schlechter ist ein PAO abbaubar. Die Wassergefährdungsklasse von PAO ist mit 1 (schwach wassergefährdend) festgelegt. 12 PAO als Basisflüssigkeit für lebensmitteltaugliche Schmierstoffe Lebensmitteltaugliche Schmierstoffe sind Produkte, die zur Schmierung von Maschinen dienen, mit denen Lebensmittel hergestellt, abgefüllt oder verpackt werden und an denen es zu einem zufälligen, technisch unvermeidbaren Kontakt zwischen Lebensmittel und Schmierstoff kommen kann. Diese Schmierstoffe dürfen aber nicht bewusst dem Lebensmittel beigefügt werden. In früheren Jahren wurden medizinische Weißöle als Basisflüssigkeit für diesen Anwendungsbereich verwendet. In den letzten Jahren haben Regierungsämter, die mit Vorschriften für Nahrungsmittel und Nahrungsmittelzusätze befasst sind, damit begonnen, die mögliche Gefahr für die menschliche Gesundheit neu zu bewerten, die durch die Verwendung von Nahrungsmittelzusätzen und Schmiermitteln, die vom Erdöl stammen, für Maschinen zur Nahrungsmittelherstellung entstehen. Im Februar 1989 empfahl das „United Kingdom Ministry of Agriculture, Fisheries and Food“ praktisch alle direkten Anwendungen von mineralischen Kohlenwasserstoffen, einschließlich weißen Mineralölen, bei Nahrungsmitteln zu verbieten. Diese Entscheidung in Großbritannien basierte zum großen Teil auf toxikologischen Erkenntnissen, von denen die Industrie kürzlich bei Paraffinöl im Zusammenhang mit Ratten berichtet hatte. Erkenntnisse aus den kürzlich von der Industrie durchgeführten Toxizitätsuntersuchungen bei Ratten führten zu einigen Gesundheitsbedenken (P. Watts, Mineral hydrocarbons in food - a ban? , BIBRA Bulletin, 28: 59-65, (1989)). Eine wiederholte Verabreichung von herkömmlichen Paraffinölen in der Nahrung (über 90 Tage) führt zu einer Anreicherung von Öltropfen in den Lymphknoten, der Leber, der Milz und anderen Zielgeweben in Tieren. Bei hohen Dosen wurde das von der Entstehung eines Granuloms begleitet, was als toxikologisch bedeutungsvoll angesehen wird. Bei diesen Untersuchungen wurden auch Anomalien der hämatologischen und klinischen Chemie beobachtet, die auf mögliche nachteilige Gesundheitswirkungen hinweisen. Neben den gewünschten Schmiermitteleigenschaften können hydrierte Poly(α-olefin)-Materialien gegenüber herkömmlichen Paraffinölen auf andere Weise einen Vorteil zeigen. Aufgrund ihrer polymeren Natur und ihres hohen Molekulargewichts wird erwartet, dass Poly(αolefin)- Materialien schlecht absorbiert werden, wenn sie oral aufgenommen werden. Weil hydrierte Poly(αolefine) nicht absorbiert werden, wird die Wahrscheinlichkeit ihrer Anreicherung in Geweben minimiert, und somit wird die Möglichkeit nachteiliger Einflüsse (zum Beispiel die Entstehung eines Granuloms) in Geweben geringer, was folglich zu einem sicheren, nichttoxischen Produkt führt. Die Bemerkung „nichtabsorbierbare“ polymere Nahrungsmittelzusätze wurde in der Literatur dokumentiert (J. P. Brown und T. M. Parkinson, Nonabsorbable food additives through polymeric design, Drug Metabolism Reviews, 16: 3 89-422(1985)) und stellt einen neueren Versuch in Richtung der Entwicklung von Nahrungsmittelsubstanzen dar, die eine größere Sicherheit bieten. (Quelle: Feuston, Maureen et al. Exxonmobil Oil Corp.) Aus den oben genannten Gründen sind schon einige PAO von der FDA (Food and Drug Administration) in den USA freigegeben worden. 13 Andere Praxisanwendungen Bis auf einige wenige Ausnahmen orientieren sich PAO am Bereich der Automotiven Schmierstoffe und damit an den üblichen Viskositäten von Motorenölen, also eher im niedrigviskosen Bereich. Höherviskose PAO spielen eine eher untergeordnete Rolle. Aufgrund der vorab geschilderten guten Ergebnisse im Vergleich mit Mineralölen, bei aber vergleichbarer Chemie erlebten die Verbräuche an PAO in Europa in den letzten Jahren deutliche Steigerungen. Nachfolgend sollen einige Anwendungsbeispiele aufgezeigt werden: Metallbearbeitung Die geringe Verdampfungsneigung, auch oder gerade im niedrigviskosen Bereich prädestinieren z. B. PAO 2 für den Einsatz als Basisflüssigkeit für Schleiföle. Auch der Gute VI und die hohe Scherstabilität wirken sich positiv aus. Ein großer Vorteil ist die gute Verträglichkeit mit den üblicherweise sonst eingesetzten Elastomeren. D. h. PAO-basierte Metallbearbeitungsflüssigkeiten können ohne Probleme auf Maschinen zum Einsatz gelangen, die nur für Mineralöl-basierte Produkte zugelassen sind. Das ist ein großer Vorteil gegenüber Ölen auf Basis von synthetischen Estern, die spezielle Elastomere benötigen. Bei allen Vorteilen schreckt aber oft der Einstandspreis Aus Wissenschaft und Forschung T+S_1_16 21.12.15 10: 54 Seite 48 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 1/ 2016 potentielle Kunden ab und damit den Einsatz solcher Öle ein. Industriegetriebeöle Getriebeöle auf synthetischer Basis (PAO) gewinnen zunehmend an Bedeutung. Gründe hierfür gibt es viele: Sie haben hervorragende Verschleißschutz-Eigenschaften in Zahnrädern und Wälzlagern. Außerdem besitzen sie ein großes Potenzial, die innere und äußere Reibung zu minimieren und damit die Ölsumpftemperatur abzusenken. Die Reduzierung der Ölsumpftemperatur führt zu einem erheblichen Rückgang der thermischen und oxidativen Belastung des Getriebeöls, gleichzeitig wird die Viskosität und damit die Tragfähigkeit des Schmierfilms erhöht. Folge: Die Öl-Wechselfristen können verlängert werden, die operativen Kosten des Betreibers sinken. Dem Mehrpreis der synthetischen Getriebeöle können Einsparungen durch eine deutliche Anhebung der Lebensdauer im Vergleich zu Mineralölen und die damit verbundene Reduzierung der Gesamtkosten gegengerechnet werden. (Quelle: Bock Fuchs Europe Schmierstoffe) Motorenöle Die technischen Vorteile von synthetischen Motorenöle Auf Basis PAO sind: • Messbar bessere Leistung bei niedrigen und hohen Temperaturen • Bessere chemische Stabilität • bessere Scherstabilität • niedrige Verluste durch Verdampfung • gute Oxidationstabilität, • Stabilität gegen thermischen Abbau und Ölschlamm • Verlängerte Ölwechselintervalle • Verringerter Kraftstoffverbrauch • bessere Kaltstarteigenschaften KfZ-Getriebeöle Schmierstoffe für KfZ-Getriebe müssen einen höheren Verschleißschutz als für Industriegetriebe haben. Das ist darin begründet, dass in ortsbeweglichen Systemen die Getriebe kleiner gebaut werden müssen, um Platz und Gewicht zu sparen. Das führt natürlich zu einer höheren Belastung des Getriebes, die vom Öl kompensiert werden sollte. Polyalphaolefine haben sich in allen Typen von Getrieben (Schaltgetriebe, Automatikgetriebe und Hypoidgetriebe) bewährt. Neben den schon oben ausführlich besprochenen Vorteilen, können durch den Einsatz von PAO Wirkungsgrade durch Absenkung der Reibung gesteigert werden. Dadurch gelingt es wegen der vergleichsweise niedrigeren Ölsumpftemperaturen die Lebensdauer des Öls zu verlängern. Das gilt sowohl für Getriebeöle, die komplett auf PAO basieren, als auch für Mischprodukte (PAO/ Mineralöl). Hydrauliköle Ein wichtiges Auswahlkriterium für moderne Hydraulikflüssigkeiten für Baumaschinen ist neben der oxidativen und thermischen Beständigkeit und dem guten Verschleißschutz die Scherstabilität von Mehrbereichs- Hydraulikölen (HVI-Hydrauliköle, VI >140). Polyalphaolefinbasische Hydrauliköle, sind absolut scherstabil. Kompressorenöle Die schon oben angesprochenen Eigenschaften der PAO, geringe Rückstandsbildung (Verkokung) und gute Oxydationsstabilität prädestinieren diese Öle für die Formulierung von Verdichterölen. Dadurch wird eine höhere Betriebssicherheit gewährleistet. Darüber hinaus sind verlängerte Wartungsintervalle möglich, was den Mehrpreis gegenüber mineralölbasierten Produkten aufwiegt. Schmierfette PAO pur und Abmischungen von PAO mit Mineralöl sind mit allen gängigen Verdickersystemen für Schmierfette kompatibel. Gegenüber Produkten auf reiner Mineralölbasis sind PAO-Fette durch den stark erweiterten Temperaturbereich (sowohl nach unten, als auch nach oben) überlegen. 14 Zusammenfassung zu PAO Alle Arten von Schmierstoffen basierend auf PAO sind vergleichbaren Produkten auf Mineralölbasis deutlich überlegen. • Messbar bessere Leistung bei niedrigen und hohen Temperaturen • Bessere chemische Stabilität • bessere Scherstabilität • niedrige Verluste durch Verdampfung • gute Oxidationstabilität, • Stabilität gegen thermischen Abbau und Ölschlamm • Verlängerte Ölwechselintervalle Durch diese Eigenschaften und den daraus resultierenden verlängerten Wartungsintervallen sowie den geringeren Energie-(Kraftstoff) Verbrauch, wird der höhere Einstandspreis der PAO-Produkte mehr als kompensiert. Auch die Verknappung des Erdöls stellt für die Synthese von PAO kein größeres Problem dar, da die Synthese auch auf andere Verfahren, z. B. BTL ausweichen kann. Die Möglichkeiten, die PAO als chemische Substanz bieten sind mit Sicherheit noch nicht ausgeschöpft. Mit der Weiterentwicklung der Antriebstechnik, aber auch der Metallbearbeitung steigen die Anforderungen an Schmierstoffe immer weiter, so dass letztlich nur 49 Aus Wissenschaft und Forschung T+S_1_16 21.12.15 10: 54 Seite 49 50 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 1/ 2016 Schmierstoffe auf synthetischer Basis in der Lage sind, diese Anforderungen zu erfüllen. 15 Zusammenfassung und Ausblick Die Schmierstoffindustrie kann heute schon für viele Anwendungsbereiche Schmierstoffe für längere Lebensdauer und Lifetime-Schmierung anbieten. Schmierstoffe für längere Lebensdauer und Lifetime-Schmierung sind in der Regel auf Basis synthetischer Komponenten aufgebaut. Diese sind in der Regel deutlich teurer als konventionelle Schmierstoffe auf Mineralölbasis. Dieser Mehrpreis kann durch eine deutliche Anhebung der Lebensdauer um den Faktor 2 bis 4 im Vergleich zu Mineralöl und die damit verbundene Reduzierung der Serviceleistungen, der Betriebskosten, der Entsorgungskosten, der Ausfallkosten kompensiert werden. Die höheren Schmierstoffkosten müssen, um vergleichbar zu sein, in einen Gesamtkostenvergleich unter Berücksichtigung aller Parameter einbezogen werden. In vielen Anwendungen werden durch den Einsatz von synthetischen Basisflüssigkeiten die schmierstoffbezogenen Gesamtkosten des Systems deutlich reduziert. Bei weiter steigenden Ölpreisen rücken die synthetischen Produkte immer mehr in bezahlbare Regionen. Ester werden die Rohstoffbasis der Zukunft für Schmierstoffe sein (Bild 9). Literatur [Seilnacht] http: / / www.seilnacht.com/ Lexikon/ ester.html [VDI 3035] VDI-Richtlinie 3035 Aus Wissenschaft und Forschung 2000 2050 Einsatz [%] Ester Solventraffinat Med. Weißöl Polyalphaolefin Aromatenfr. HC-Öl Bild 9: Rohstoffbasis der Schmierstoffe (Prognose) Dipl.-Ing. Alfred P. Thilow und 6 Mitautoren Entgrattechnik Entwicklungsstand und Problemlösungen 4. Auflage 2012, 215 S., 178 Abb., 11 Tab., 8 54,00, CHF 89,50 Kontakt & Studium 392 ISBN 978-3-8169-3152-2 Zum Buch: Dieser Themenband zeigt den aktuellen Stand der Entgrattechnik auf. Er stellt dar, welche Gratdaten als Entscheidungskriterien herangezogen werden können, wie sie beeinflussbar sind und welche Entgratverfahren sich im konkreten Fall eignen. So ist zum Beispiel der Einfluss auf die Gratausbildung durch die Auswahl der Fertigungsparameter und der Fertigungsfolge mitentscheidend für den nachträglichen Entgrataufwand bzw. für das anzuwendende Entgratverfahren. Es werden die Entgratverfahren vorgestellt und ihre Anwendungsbereiche und Einsatzgrenzen durch Eckdaten aufgezeigt. Abgerundet wird das Thema durch die Darstellung der weniger bekannten Entgratverfahren wie Druckfließläppen, magnetabrasive Feinstbearbeitung und Hochdruckwasserstrahlen. 71272 Renningen Wankelstraße 13 Anzeige T+S_1_16 21.12.15 10: 54 Seite 50
