eJournals Tribologie und Schmierungstechnik 63/1

Tribologie und Schmierungstechnik
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expert verlag Tübingen
0201
2016
631 Jungk

Verbesserung der Betriebssicherheit hydrodynamischer Kippsegment- Radialgleitlager

0201
2016
Gerd Franz Hermes
Kippsegment-Radialgleitlager werden häufig für beidseitige Drehrichtung ausgelegt. Bei der Inbetriebnahme oder der Änderung der Betriebszustände zeigen sich in manchen Fällen unzulässig hohe Lagertemperaturen. Um diesen Fällen kurzfristig zu begegnen, wird eine systematische, einfach zu handhabende Methode zur nachträglichen Änderung auf einseitige Drehrichtung mit erheblicher Reduzierung der Lagertemperatur vorgestellt. Dabei wird auch die Auswirkung auf die dynamischen Eigenschaften berücksichtigt und kritisch betrachtet.
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Aus der Praxis für die Praxis 1 Einleitung Bei der Inbetriebnahme von rotierenden Maschinen gibt es Fälle, in denen die tatsächliche vor Ort gemessene Lagertemperatur in Kippsegment-Radialgleitlagern das mit Hilfe von Berechnungsprogrammen vorhergesagte Niveau überschreitet. Der gleiche Effekt tritt ein, wenn beispielsweise die zu übertragende Leistung eines Getriebes erhöht wird, da die Lagerkräfte eines Getriebes nicht nur aus dem konstanten Rotorgewicht bestehen, sondern auch von der über den Zahneingriff übertragenen Last abhängig sind. Dies kann neben der Erhöhung der Lagerkräfte unter Umständen zu einer Änderung der Lastrichtung, bezogen auf die geometrische Anordnung der Kippsegmente, führen. Die Reduzierung der Lagertemperatur erhöht nicht nur die Zuverlässigkeit des Lagers, es reduziert sich auch das Risiko von Ölkohlebildung auf den Gleitflächen der Segmente. Gerade die Ölkohlebildung ist ein sich selbst beschleunigender Prozess, der die Lagertemperatur aufgrund der fortschreitenden Lagerspielreduzierung progressiv erhöht, bis es zum vollständigen Versagen kommt. Es soll hier eine Methode vorgestellt werden, mit der durch einen relativ einfachen Eingriff ein für beidseitige Drehrichtung, d. h. mit mittiger Segmentabstützung ausgelegtes Kippsegment-Radialgleitlager, auf eine einseitige Drehrichtung geändert werden kann. 2 Schäden durch Überhitzung An Kippsegment-Lagern können Schäden durch zu hohe Lagertemperaturen auftreten, die sich in erster Linie durch die Bildung von Ölkohle als Belag andeuten. In der Regel wird durch den Ölkohlebelag das Lagerspiel reduziert, was den Prozess weiter fortschreiten lässt. Ein typisches Abbild der Isothermen des Schmierfilms zeigt das Kippsegment in Bild 1. In den Zonen höchster Temperaturen ist der Belag schwarz gefärbt und geht in Bereichen abnehmender Temperatur über braun in gelb über. Wird das Lagerspiel durch einen relativ dicken Belag von Ölkohle extrem reduziert, so kann ein Sekundärschaden auftreten, wie in Bild 2 dargestellt. In diesem Fall ist der ganze Segmentsatz betroffen, wie die Anlaufspuren auf den Laufflächen der unbelasteten Seg- Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 1/ 2016 51 * Dr.-Ing. Gerd Franz Hermes John Crane Bearing Technology GmbH 37079 Göttingen Verbesserung der Betriebssicherheit hydrodynamischer Kippsegment- Radialgleitlager G. F. Hermes* Kippsegment-Radialgleitlager werden häufig für beidseitige Drehrichtung ausgelegt. Bei der Inbetriebnahme oder der Änderung der Betriebszustände zeigen sich in manchen Fällen unzulässig hohe Lagertemperaturen. Um diesen Fällen kurzfristig zu begegnen, wird eine systematische, einfach zu handhabende Methode zur nachträglichen Änderung auf einseitige Drehrichtung mit erheblicher Reduzierung der Lagertemperatur vorgestellt. Dabei wird auch die Auswirkung auf die dynamischen Eigenschaften berücksichtigt und kritisch betrachtet. Schlüsselwörter Kippsegment-Radialgleitlager, Überhitzung, Temperaturabsenkung, außermittige Segmentabstützung, Tragfähigkeit, Relative Exzentrizität, Kleinste Spaltweite, Reibkraftkennzahl, Hydrodynamischer Seitenfluss, Steifigkeitskoeffizienten, Dämpfungskoeffizienten Tilting pad journal bearings are often designed for bidirectional rotation. During commissioning or alteration of operating conditions in some cases unacceptable high bearing temperatures occur. To address these cases in short terms, a systematic, easy to handle method for retrospective change to unidirectional rotation is presented with a significant reduction of the bearing temperature. Thereby also, the effects on the dynamic properties have to be considered and critically examined. Keywords Tilting pad journal bearing, overheating, temperature reduction, offset pivot pad support, load capacity, relative eccentricity, smallest film thickness, friction ratio, hydrodynamic side flow, stiffness coefficient, damping coefficient Kurzfassung Abstract T+S_1_16 21.12.15 10: 54 Seite 51 Aus der Praxis für die Praxis mente zeigen. Ein Sekundärschaden kann aber auch dann auftreten, wenn die Temperaturen neben der Ölkohlebildung zu Hitzerissen in der Lauffläche des Lagermetalls führen und letztendlich ein Ermüdungsschaden auftritt, mit der Ablösung des Lagermetalls bis zur Bindungszone zum Stahlgrundkörper. 3 Hydrodynamische Kippsegment-Radialgleitlager im Turbomaschinenbau Gleitlager in Turbomaschinen unterliegen aufgrund hoher Drehzahlen und damit verbundenen hohen Gleitgeschwindigkeiten hinsichtlich der rotordynamischen Ansprüche und der zu übertragenden Kräfte besonderen Anforderungen. Die zunehmende Leistungsdichte und steigende Gleitgeschwindigkeiten haben dazu geführt, dass in vielen Bereichen des Turbomaschinenbaus das früher übliche Mehrgleitflächenlager durch das Kippsegment-Radiallager verdrängt wurde. Speziell Getriebekompressoren, Schnelllaufgetriebe, Radialverdichter und Expansionsturbinen sowie schnelllaufende Dampf- und Gasturbinen werden in den meisten Fällen mit Kippsegment-Radiallagern ausgestattet. Kippsegment-Radiallager bieten neben hoher Tragfähigkeit und der Möglichkeit sehr guter Wärmeabfuhr bei der Anwendung gelenkter Schmierung eine besondere Eigenschaft hinsichtlich Stabilität. Dies ist bei idealem Kippverhalten der Segmente das Entfallen der gekoppelten Steifigkeits- und Dämpfungswerte, die als Störgrößen in der Schwingungsrechnung auftreten. Kippsegment-Radialgleitlager werden mit vier oder fünf Segmenten verwendet, in seltenen Fällen mit drei Segmenten. Lager mit fünf Segmenten werden im Getriebebau bevorzugt, während Lager mit vier Segmenten bevorzugt bei der Lagerung von Turbinen oder einwelligen Radial- und Axialverdichtern eingesetzt werden. Die Viersegment-Lager haben zudem eine besondere Eigenschaft, ein isotropes Steifigkeits- und Dämpfungsverhalten, wenn der Lastvektor genau in die Lücke bzw. in die Mitte zwischen den Abstützungen von zwei Segmenten gerichtet ist. Das wesentliche Merkmal von Kippsegment-Radiallagern ist, wie auch bei Mehrgleitflächenlagern, dass der Krümmungsradius der Gleitflächen R B größer ist als der Lagerradius R. Dadurch erreicht man einen stets konvergenten Schmierspalt auch bei zentrischem Lauf der Welle mit dem Wellenradius R S . Die Krümmungsdifferenz zwischen Segmentlauffläche und Welle wird bezeichnet als ΔR B . Bezieht man das radiale Lagerspiel C R als Differenz zwischen Lager- und Wellenradius in die Überlegungen mit ein, so gelangt man zur Profilierung nach DIN 31657 Teil1[1]: (1) International gebräuchlich und auch im deutschen Turbomaschinenbau angewendet wird der Preload-Wert: 52 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 1/ 2016 Bild 1: Kippsegment mit Ölkohlebelag aus einem Getriebelager Bild 2: Kippsegmentsatz aus einem Getriebelager mit Ölkohle auf den Last-segmenten und Sekundärschäden an den unbelasteten Segmenten Bild 3: Kippsegment mit starkem Ölkohlebelag und Sekundärschaden durch Hitzerisse und Weißmetallablösung T+S_1_16 21.12.15 10: 54 Seite 52 Aus der Praxis für die Praxis (2) Übliche Preload-Werte liegen zwischen 0.3 und 0.5. Das relative Lagerspiel ψ wird nach DIN 31657 Teil 4 [2] als Funktion der Wellendrehzahl N J berechnet: (3) Daraus folgt das radiale Lagerspiel: (4) Übliche Lagerspiele für Kippsegment-Radiallager liegen zwischen 1.5 10 -3 und 3 10 -3 in Abhängigkeit von der Wellendrehzahl. Mit zunehmenden Gleitgeschwindigkeiten kommen immer häufiger Kippsegment-Radialgleitlager mit außermittiger Segmentunterstützungskoordinate x f >0.5 aufgrund der dadurch erzielten besseren Kühlung durch einen erhöhten hydrodynamischen Seitenfluss zum Einsatz. Bevorzugt wird hier in der Regel ein Wert von x f = 0.6, d. h., dass die Winkelkoordinate der Abstützung in Drehrichtung 10 % hinter der Mitte der Gleitfläche liegt. In vielen Fällen wird aber eine mittige Segmentabstützung wegen der Eignung für beide Drehrichtungen bevorzugt. Gerade in solchen Fällen kann die hier beschriebene Methode als nachträgliche, kurzfristig realisierbare Korrekturmaßnahme zur Verbesserung eingesetzt werden. 4 Methode zur Änderung von Radial-Segmenten von beidseitiger auf einseitige Drehrichtung Der Grundgedanke ist, wie bereits erläutert, den Flächenschwerpunkt der Gleitfläche gegen die Drehrichtung vor die Winkellage der Segmentabstützung zu verschieben. Eine bewährte und seit der erstmaligen Einführung Mitte der 1990er-Jahre vielfach praktizierte Methode zur Reduzierung der Lagertemperatur ist das Anbringen einer großen Abschrägung an der Auslaufkante der Kippsegmente. Dadurch wird der Schwerpunkt der Gleitfläche gegen die Drehrichtung vorschoben, während die Abstützstelle des Segments seine Lage beibehält. So wird aus einem Kippsegment-Radiallager mit beidseitiger Drehrichtung ein einseitig drehendes Lager. Die Methode ist vor Ort mit einfachsten Mitteln durchführbar. Da sich das Lagermetall sehr gut bearbeiten lässt, reicht im einfachsten Fall eine Feile, um diese Fase zu erzeugen. Die Vorgehensweise bei einer geplanten Unterstützungskoordinate von x f = 0.6 ist in Bild 6 beschrieben, eine praktische Ausführung ist in Bild 7 dargestellt. Es ist allerdings unbedingt empfehlenswert, das modifizierte Segment mit einem Drehrichtungspfeil zu kennzeichnen, um dem Missverständnis vorzubeugen, dass es sich um eine Einlauffase handelt. Obwohl die tragende Gleitfläche des Lagers reduziert wird, ist die Wirkung der Temperaturabsenkung dominierend. Die dynamischen Eigenschaften der modifizier- Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 1/ 2016 53 Bild 4: Kippsegmentlager mit vier Segmenten und gefluteter Schmierung zum Einsatz in einer Industriedampfturbine Bild 5: Kippsegmentlager mit 5 Segmenten und gelenkter Schmierung zur Verwendung in einem Getriebeverdichter T+S_1_16 21.12.15 10: 54 Seite 53 Aus der Praxis für die Praxis ten Lager in Bezug auf Steifigkeit und Dämpfung sind gesondert zu betrachten. Erfahrungsgemäß erzielt man durch die Modifizierung höhere Steifigkeitskoeffizienten insbesondere quer zur Lastrichtung, während die Dämpfungskoeffizienten in erster Linie durch die reduzierte Segmentfläche kleiner werden. Hier ist in einer rotordynamischen Analyse zu prüfen, ob die Dämpfung für das Schwingungsverhalten des zu lagernden Rotors noch ausreicht. Der Effekt beruht bei asymmetrischer Segmentabstützung auf einem vergrößerten Eintrittsspalt an der Segmenteintrittskante mit der Folge eines wesentlich höheren hydrodynamischen Seitenflusses, der hauptsächlich für die Kühlung verantwortlich ist. Dieser Effekt der steileren Anstellung des Segmentes kann, wie später erläutert, anhand des Vergleichs von Wellenverlagerung und kleinster Schmierspaltweite h min * gezeigt werden. Die Schmierspaltweite fällt etwas geringer aus als bei mittiger Segmentabstützung, aber auch die relative Exzentrizität ε wird kleiner. Der Gesamtschmierstoffdurchsatz kann in der Regel bei Lagern mit modifizierten Segmenten beibehalten werden. Natürlich sollte eine mögliche rotordynamische Auswirkung geprüft werden, bevor irgendwelche Änderungen der Lager durchgeführt werden. 5 Nachweis der Veränderung anhand von Kennzahlen nach DIN 31657 Die Norm DIN 31657 [1] beinhaltet ein Berechnungsverfahren zur Auslegung hydrodynamischer Mehrgleitflächen- und Kippsegment-Radialgleitlager. In dieser Norm sind die erforderlichen dimensionslosen Kennzahlen sowie der Rechengang nach dem sogenannten Mittelwertverfahren definiert. Die Datenbasis zur Berechnung bilden zahlreiche DIN-Tabellen, die die Kennzahlen in Abhängigkeit der Sommerfeldzahl unter Berücksichtigung unterschiedlicher geometrischer Parameter variieren. Diese Tabellen können z. B. mit dem Berechnungsprogramm ALP3T ermittelt werden. Dabei ist es dem Anwender überlassen, diese DIN-Tabellen unter den angegebenen Voraussetzungen auch selbst zu erzeugen. Von besonderem Interesse sind hier die Kennzahlen für Tragfähigkeit, Reibung und Öldurchsatz, deren Auswirkungen durch die hier beschriebene geometrische Veränderung der Kippsegmente hervorgerufen werden. Die Sommerfeldzahl ergibt sich aus der spezifischen Belastung F/ (B D), dem relativen Lagerspiel ψ, der dynamischen Viskosität η und der Winkelgeschwindigkeit der Welle ω zu: (5) Die Reibkraftkennzahl F f * ergibt sich aus dem Reibwert f, der Sommerfeldzahl So und dem relativen Lagerspiel ψ zu: (6) Alle Ölströmungen, welche die Gleitflächen betreffen, werden mit der Bezugsölmenge Q 0 , die vom Lagerradius R, von der Winkelgeschwindigkeit der Welle ω J und dem relativen Lagerspiel ψ abhängt, in eine dimensionslose Form gebracht: (7) Bei unserer Betrachtung ist der hydrodynamische Seitenfluss Q 3 von besonderem Interesse. Der Seitenfluss ist maßgeblich für die Wämeabfuhr aus den Gleitflächen verantwortlich. In den DIN Tabellen liegt der hydrodynamische Seitenfluss in dimensionsloser Form als Funktion der Sommerfeldzahl vor. (8) Es gilt daher zunächst zu betrachten, wie sich die geometrischen Veränderungen auf die Reibung und den Öl- 54 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 1/ 2016 Bild 7: Modifiziertes Radialsegment für ein Turbinenlager mit 4 Segmente Bild 6: Änderung eines Kippsegmen-tes von mittiger auf außermittige Ab-stützung mit x f = 0.6 Bild 6: Änderung eines Kippsegmen-tes von mittiger auf außermittige Ab-stützung mit x f = 0.6 ! & ' ! & $ ) ) # $ # T+S_1_16 21.12.15 10: 54 Seite 54 Aus der Praxis für die Praxis durchsatz bei den beiden hier betrachteten Lagertypen mit 4 und 5 Kippsegmenten auswirken. In realen Kippsegment-Radialgleitlagern treten neben den hier betrachteten Anteilen zwischen Welle und der Gleitfläche weitere, teils erhebliche, Reibungsverluste in den Segmentzwischenräumen auf, die in einer Gesamtbetrachtung nicht zu vernachlässigen sind. In Bild 8 sind die Ölströme eines Segmentes dargestellt. Am Eintritt des Segmentes tritt der Öldurchsatz Q 1 / Z in die Gleitfläche ein. Der hydrodynamische Druck verdrängt den hydrodynamischen Seitenfluss Q 3 / Z. Die Ölmenge Q 2 / Z tritt in den nachfolgenden Segmentzwischenraum ein und vermischt sich dort mit dem frisch zugeführten Öl. Die Größe Z ist in diesem Fall die Zahl der Segmente pro Lager. Ziel ist es, die Erkenntnisse hinsichtlich des hydrodynamischen Öldurchsatzes und Reibungsverhaltens zu durchleuchten. Es ist hierbei zu beachten, dass die sogenannten DIN- Tabellen isotherm ermittelt werden und Nebeneinflüsse der Segmentzwischenräume und die dort häufig auftretende Turbulenz keine Beachtung finden. Von besonderem Interesse sind hier die bereits vorgestellten beiden Lagertypen mit 4 und 5 Kippsegmenten. Bild 9 zeigt den Verlauf der Reibkraftkennzahl und des hydrodynamischen Seitenflusses als Funktion der Sommerfeldzahl. Durch die Verkürzung des Segmentumfangswinkels von 72° auf 60° wird die Reibkraftkennzahl etwa proportional reduziert. Durch die Veränderung von mittiger auf außermittige Segmentabstützung wird der hydrodynamische Seitenfluss ganz erheblich gesteigert, um etwa 50 % bei kleinen und etwa 130 % bei großen Sommerfeldzahlen. Bild 10 zeigt das Verhalten für ein 5-Segmentlager. Hier zeigt sich aufgrund der Verkürzung des Segmentumfangswinkels eine ebenfalls proportionale Reduzierung der Reibkraftkennzahl, aber aufgrund der Änderung auf eine außermittige Abstützung eine wesentliche Steigerung des dimensionslosen hydrodynamischen Seitenflusses nahezu unabhängig von der Sommerfeldzahl um etwa 150 %. Es gilt natürlich noch der Frage nachzugehen, welchen Einfluss die hier beschriebene Maßnahme auf die Tragfähigkeit hat. Hierbei erscheinen zwei Kennzahlen von Bedeutung, im klassischen Sinne die kleinste Schmierspaltweite h min *, aber auch die relative Exzentrizität ε. Beide Kennzahlen müs- Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 1/ 2016 55 Bild 8: Ölströmungen in einem Segment Bild 9: Reibkraftkennzahl und dimensionsloser hydrodynamischer Seitenfluss eines Kippsegment-Radiallagers mit 4 Segmenten Bild 10: Reibkraftkennzahl und dimensionsloser hydrodynamischer Seitenfluss eines Kippsegment-Radiallagers mit 5 Segmenten T+S_1_16 21.12.15 10: 54 Seite 55 Aus der Praxis für die Praxis sen hier immer im Zusammenhang betrachtet werden, da durch eine Änderung des Kippverhaltens der Segmente eine steilere Anstellung der Segmente bei außermittiger Abstützung allein bezogen auf die kleinste Spaltweite h min * den Eindruck einer reduzierten Tragfähigkeit erweckt (Bilder 11 und 12). Betrachtet man aber gleichzeitig den Verlauf der relativen Exzentrizität ε, so wird dieser Eindruck widerlegt. Die Verlagerung der Welle aus dem Lagerzentrum ist bei außermittiger Segmentabstützung tatsächlich gleich beim 4-Segmentlager in Bild 11 oder geringer beim 5-Segmentlager nach Bild 12. In diesem Fall ist die Tragfähigkeit tatsächlich gesteigert. Zur Gesamtbetrachtung, die durch die Veränderung der Lager hervorgerufen wird, ist es insbesondere im Turbomaschinenbau unerlässlich, das Steifigkeits- und Dämpfungsverhalten der Lager zu analysieren. Diese Werte bestimmen entscheidend das Schwingungsverhalten des Rotors hinsichtlich der Lage der kritischen Drehzahlen und deren Abstand zur Nominaldrehzahl der Maschine. Kippsegmentlager mit vier Segmenten zeichnen sich durch ein isotropes Steifigkeits- und Dämpfungsverhalten aus. Trotz Reduzierung des Segmentumfangswinkels bei außermittiger Segmentabstützung nach Bild 13 zeigt sich eine deutliche Erhöhung der Steifigkeitskoeffizienten c 11 und c 22 . Der Unterschied der Dämpfungskoeffizienten d 11 und d 22 wird mit steigender Sommerfeldzahl größer. Das Kippsegmentlager mit 5 Segmenten zeigt im Gegensatz zum Lager mit 4 Segmenten ein anisotropes Steifigkeit- und Dämpfungsverhalten. Im oberen Teil von Bild 14 sind die Steifigkeitskoeffizienten c 11 und c 22 dargestellt. Durch die Veränderung auf außermittige Segmentabstützung werden die Koeffizienten erheblich gesteigert, insbesondere im Bereich sehr kleiner Sommerfeldzahlen. Dieser Effekt ist häufig, besonders im Leerlaufbetrieb bei sehr geringer Belastung, von besonderer Bedeutung für das problematische Schwingungsverhalten eines Rotors. Im unteren Teil von Bild 14 sind die Dämpfungskoeffizienten d 11 und d 22 dargestellt. Im Bereich extrem kleiner Sommerfeldzahlen nahe dem Wert 0 führt die Änderung auf eine außermittige Abstützung zu einer Erhöhung der Dämpfungskoeffizienten, mit zunehmender Sommerfeldzahl kehrt sich dieser Effekt allerdings um und die Dämpfungskoeffizienten werden geringer als bei mittig abgestützten und mit einem größeren Umfangswinkel ausgestatteten Segmenten. Dieser Effekt ist bei einer Änderung der Lager unbedingt zu berücksichtigen. 6 Übertragung auf reale Anwendungen Die bisher dargestellten Erkenntnisse sollen im Folgenden auf zwei konkrete Anwendungsfälle mit zu hoher Lagertemperatur übertragen werden. Es handelt sich hier um konkret realisierte Maschinen aus dem Bereich des Turbomaschinenbaus, einer Industriedampf- 56 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 1/ 2016 Bild 11: Relative Exzentrizität und Spaltweitenkennzahl für ein Kippsegment-Radiallager mit 4 Segmenten. Preload =0.4, Last auf Segmentlücke Bild 12: Relative Exzentrizität und Spaltweitenkennzahl für ein Kippsegment-Radiallager mit 5 Segmenten. Preload = 0.4, Last auf Segmentlücke T+S_1_16 21.12.15 10: 54 Seite 56 Aus der Praxis für die Praxis turbine und einen Getriebeverdichter. In beiden Fälle waren die Schmierfilmtemperaturen wesentlich höher als die zulässigen Erwartungen. Eine Analyse mit den Berechnungsprogrammen ALP3T und COMBROS bestätigen die tatsächlich aufgetretenen Lagertemperaturen, die für einen Dauerbetrieb insbesondere für das verwendete Öl die Gefahr einer Ölkohleablagerung erwarten lassen. Im Fall einer Industriedampfturbine wurde ein Kippsegment-Radiallager mit 4 Segmenten eingesetzt, wie in Bild 1 dargestellt, mit einem Lagerdurchmesser von 100 mm, einer Segmentbreite von 50 mm und einem Segmentumschließungswinkel von 72°. Das Ziel war, die im Probelauf gemessenen Temperaturen von deutlich über 100 °C zu senken. Eine Analyse mit Hilfe einer ALP3T- Rechnung (Tabelle 1) zeigt eine Maximaltemperatur von 102 °C. Eine kurzfristige Änderung des Lagers auf außermittige Segmentabstützung durch Anbringung einer großen Fase an der Auslaufkante der Segmente nach der hier erläuterten Methode führte zu einer deutlichen Temperaturabsenkung und Erfüllung der Probelauferwartungen. Die Steifigkeitskoeffizienten wurden erhöht, die geringfügige Reduzierung der Dämpfungswerte führte nicht zu Problemen der Rotordynamik. Im zweiten Fall eines Getriebeverdichters wurde ein Lager nach Bild 2 mit 5 Kippsegmenten mit einem Durchmesser von 160 mm, einer Segmentbreite von 140 mm und einem Segmentumschließungswinkel von 52° eingesetzt. Die Lagertemperatur von deutlich über 110 °C war auch hier wesentlich höher als erwartet und bedeutete insbesondere bei der Verwendung von Getriebeöl mit Extrem-Pressure-Additiven die Gefahr einer Ölkohlebildung im Dauerbetrieb. Auch hier wurde als kurzfristige Maßnahme das oben beschriebene Verfahren angewendet und führte zu einer deutlichen Temperaturabsenkung. Der Dämpfungsverlust führte in diesem Fall nicht zu Problemen in der Rotordynamik. Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 1/ 2016 57 Bild 13: Dimensionslose Steifigkeits- und Dämpfungswerte für ein Kippsegment-Radiallager mit 4 Segmenten. (Preload = 0.4, Last auf Segmentlücke) Bild 14: Dimensionslose Steifigkeits- (oben) und Dämpfungswerte (unten) für ein Kippsegment-Radiallager mit 5 Segmenten. (Preload = 0.4, Last auf Segmentlücke) T+S_1_16 21.12.15 10: 54 Seite 57 Aus der Praxis für die Praxis 58 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 1/ 2016 Durchmesser 100 mm 100 mm Segmentbreite 50 mm 50 mm Relative Unterstützungskoordinate 0,5 0,6 Segmentumfangswinkel 72 ° 60 ° Lagerspiel/ Relatives Lagerspiel 0,18 mm / 1,8 10-3 0,18 mm / 1,8 10-3 Preload 0,397 0,397 Drehzahl 10043 rpm 10043 rpm Last/ Spezifische Belastung 7945 N / 1,59 MPa 7945 N / 1,59 MPa Ölsorte ISO VG 46 ISO VG 46 Zulauftemperatur 45 °C 45 °C Zuführdruck 1,3 bar 1,3 bar Segmentwinkel / Unterstützung x f 4 x 72°/ 0,5 4 x 60°/ 0,6 Differenz Öldurchsatz 20 l/ min 20 l/ min 0% Max. Lagertemperatur 102 °C 94 °C - 8 °C Reibleistung 7,55 kW 7,12 kW -6% Sommerfeldzahl 0,337 0,291 -16% Kleinste Spaltweite 26 ! m 24 ! m -8% Cxx 286500 N/ mm 312700 N/ mm 8% Cxy = Cyx 0 N/ mm 0 N/ mm 0% Cyy 286500 N/ mm 312700 N/ mm 8% Dxx 288 Ns/ mm 275 Ns/ mm -5% Dxy = Dyx 0 Ns/ mm 0 Ns/ mm 0% Dyy 288 Ns/ mm 275 Ns/ mm -5% Lagervorgaben und Ergebnisse von ALP3T-Berechnungen Tabelle 1: Vergleich der Ergebnisse von ALP3T-Berechnungen bei einer Änderung eines Turbinenlagers mit 4 Segmenten auf eine außermittige Segmentabstützung Durchmesser 160 mm 160 mm Segmentbreite 140 mm 140 mm Relative Uterstützungskoordinate 0,5 0,6 Segmentumfangswinkel 52 ° 43 ° Lagerspiel/ Relatives Lagerspiel 0,267 mm / 1,669 10 -3 0,268 mm / 1,675 10 -3 Preload 0,419 0,417 Drehzahl 8673 U/ min 8673 U/ min Last/ Spezifische Belastung 53514 N / 2,39 MPa 53514 N / 2,39 MPa Ölsorte ISO VG 46 ISO VG 46 Zulauftemperatur 50 °C 50 °C Zuführdruck 2,5 bar 2,5 bar Segmentwinkel / Unterstützung x f 5 x 52°/ 0,5 5 x 43,5°/ 0,6 Differenz Öldurchsatz 80 l/ min 80 l/ min 0% Max. Lagertemperatur 111 °C 102 °C - 9 °C Reibleistung 48,5 kW 55,0 kW 13,4% Sommerfeldzahl 0,365 0,365 0% Kleinste Spaltweite 37 ! m 31 ! m -16% Cxx 1.082.191 N/ mm 1.318.141 N/ mm 22% Cxy = Cyx 0 N/ mm 0 N/ mm 0% Cyy 2.018.297 N/ mm 2.292.541 N/ mm 14% Dxx 921 Ns/ mm 680 Ns/ mm -26% Dxy = Dyx 0 Ns/ mm 0 Ns/ mm 0% Dyy 1.543 Ns/ mm 1.196 Ns/ mm -22% Lagervorgaben und Ergebnisse von COMBROS-Berechnungen Tabelle 2: Vergleich der Ergebnisse von COMBROS-Berechnungen bei einer Änderung des Lagers eines Getriebeverdichters mit 5 Segmenten auf eine außermittige Segmentabstützung T+S_1_16 21.12.15 10: 54 Seite 58 Aus der Praxis für die Praxis 7 Zusammenfassung Es wurde eine Methode erläutert, mit der das Temperaturverhalten von Kippsegment-Radiallagern nachträglich sehr einfach deutlich verbessert werden kann. Trotz Reduzierung der tragenden Segmentflächen wird die Tragfähigkeit nicht reduziert. Die Änderung des Steifigkeits- und Dämpfungsverhaltens muss allerdings rotordynamisch berücksichtigt werden. Es deutet sich aber an, dass dieses Verfahren besonders im Leerlaufverhalten das Potential einer Verbesserung des dynamischen Verhaltens besitzt. Literatur [1] DIN 31557-1: Hydrodynamische Radial-Gleitlager im stationären Betrieb, Teil 1: Berechnung von Mehrflächen- und Kippsegmentlagern, Beuth Verlag, Berlin, 1996 [2] DIN 31557-4: Hydrodynamische Radial-Gleitlager im stationären Betrieb, Teil 4: Betriebsrichtwerte für die Berechnung von Mehrflächen- und Kippsegmentlagern, Beuth Verlag, Berlin, 1996 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 1/ 2016 59 Falls Sie eine Veröffentlichung wünschen, bitten wir Sie, uns die Daten auf einer CD, zur Sicherheit aber auch als Ausdruck, zur Verfügung zu stellen. Schön ist es ferner, wenn die Bilder durchnummeriert und bereits an der richtigen Stelle platziert sowie mit den zugehörigen Bildunterschriften versehen sind. Da wir auf die Einheit von Text und Bild großen Wert legen, bitten wir, im Text an geeigneter Stelle einen sogenannten (fetten) Bildhinweis zu bringen. Das Gleiche gilt für Tabellen. Auch sollten die Tabellen unsere Art des Tabellenkopfes haben. Die Artikel dieses Heftes zeigen Ihnen, wie wir uns den Aufbau Ihres Artikels vorstellen. Vielen Dank. Bitte lesen Sie dazu auch unsere ausführlichen „Hinweise für Autoren“ (Seite 76). Aktuelle Informationen über die Fachbücher zum Thema „Tribologie“ und über das Gesamtprogramm des expert verlags finden Sie im Internet unter www.expertverlag.de Umzug oder Adressenänderung? Bitte T+S nicht vergessen! Wenn Sie umziehen oder Ihre Adresse sich aus sonstigen Gründen ändert, benachrichtigen Sie bitte auch den expert verlag. expert@expertverlag.de | Tel: (07159) 9265-0 | Fax (07159) 9265-20 T+S erreicht Sie dann ohne Verzögerung und ohne unnötigen Aufwand. Danke, dass Sie daran denken. 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