Tribologie und Schmierungstechnik
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0724-3472
2941-0908
expert verlag Tübingen
0601
2016
633
JungkElektrisch leitfähige Schmierstoffe für adaptive Tribosysteme – Synthese und tribologisches Verhalten unter dem Einfluss von elektrischen Potenzialen
0601
2016
Andreas Kailer
Christian Dold
Thomas Schubert
Maria Ahrens
Philipp Altmann
Stefan Grundei
Claus Enekes
Elektrisch leitfähige Schmierstoffe bieten eine Reihe von Vorteilen für verschiedenste Einsatzbereiche. Am offensichtlichsten ist hierbei die Möglichkeit der Vermeidung von Elektropitting, verursacht durch elektrische Entladungen zwischen Lager-Laufflächen. Ein weiterer interessanter Ansatz besteht in der Nutzung elektrisch leitfähiger Schmierstoffe für adaptive Tribosysteme, in denen die Beeinflussung tribochemischer Vorgänge durch elektrische Oberflächenpotenziale zur stark verbesserten Reibungs- und Verschleißeigenschaften führen kann. Ziele der Arbeiten waren die Entwicklung elektrisch leitfähiger Schmierstoffe mit Hilfe von ionischen Flüssigkeiten und die Ableitung von Konzepten zu deren Nutzung in tribologischen Anwendungen.
In diesem Beitrag werden zunächst die Entwicklungsarbeiten zur Synthese geeigneter ionischer Flüssigkeiten und Schmierstoffe präsentiert. Im Vordergrund steht dabei die Entwicklung toxikologisch unbedenklicher Substanzen, die mit Ölen gut mischbar sind und nicht korrosiv auf Metalloberflächen einwirken. Hauptsächlich wurden dafür Phosphonium-basierte ionische Flüssigkeiten synthetisiert.
Außerdem werden Ergebnisse zur tribologischen Untersuchung leitfähiger Schmierstoffe unter elektrischen Potenzialen vorgestellt, die zeigen, dass in einfachen Gleitreibungsexperimenten (Stift-Scheibe, Kugel-Scheibe, SRV) sowohl Reibung als auch Verschleiß sehr deutlich beeinflusst werden können. Untersucht wurden sowohl reine ionische Flüssigkeiten als auch Mischungen mit Ölen. Es werden auch die relevanten Mechanismen (Adsorption, Chemisorption, tribochemische Reaktionen, elektrokinetische Effekte) vorgestellt und diskutiert.
Die Untersuchung von elektrisch leitfähigen Schmierstoffen zur Vermeidung elektrischer Aufladungen in Lagern sowie deren Nutzung für elektrochemisch beeinflussbare Wälzlager ist Gegenstand weiterer Untersuchungen [1].
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Aus der Praxis für die Praxis 38 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 3/ 2016 * Dr. Andreas Kailer, Christian Dold, Fraunhofer IWM, Freiburg Dr. Thomas Schubert, Dr. Maria Ahrens Iolitec GmbH, Heilbronn Dr. Philipp Altmann, Dr. Stefan Grundei, Dr. Claus Enekes, Klüber Lubrication München SE & Co. KG München Elektrisch leitfähige Schmierstoffe für adaptive Tribosysteme - Synthese und tribologisches Verhalten unter dem Einfluss von elektrischen Potenzialen A. Kailer, C. Dold, T. Schubert, M. Ahrens, P. Altmann, S. Grundei, C. Enekes* Elektrisch leitfähige Schmierstoffe bieten eine Reihe von Vorteilen für verschiedenste Einsatzbereiche. Am offensichtlichsten ist hierbei die Möglichkeit der Vermeidung von Elektropitting, verursacht durch elektrische Entladungen zwischen Lager-Laufflächen. Ein weiterer interessanter Ansatz besteht in der Nutzung elektrisch leitfähiger Schmierstoffe für adaptive Tribosysteme, in denen die Beeinflussung tribochemischer Vorgänge durch elektrische Oberflächenpotenziale zur stark verbesserten Reibungs- und Verschleißeigenschaften führen kann. Ziele der Arbeiten waren die Entwicklung elektrisch leitfähiger Schmierstoffe mit Hilfe von ionischen Flüssigkeiten und dieAbleitung von Konzepten zu deren Nutzung in tribologischen Anwendungen. In diesem Beitrag werden zunächst die Entwicklungsarbeiten zur Synthese geeigneter ionischer Flüssigkeiten und Schmierstoffe präsentiert. Im Vordergrund steht dabei die Entwicklung toxikologisch unbedenklicher Substanzen, die mit Ölen gut mischbar sind und nicht korrosiv auf Metalloberflächen einwirken. Hauptsächlich wurden dafür Phosphonium-basierte ionische Flüssigkeiten synthetisiert. Außerdem werden Ergebnisse zur tribologischen Untersuchung leitfähiger Schmierstoffe unter elektrischen Potenzialen vorgestellt, die zeigen, dass in einfachen Gleitreibungsexperimenten (Stift-Scheibe, Kugel-Scheibe, SRV) sowohl Reibung als auch Verschleiß sehr deutlich beeinflusst werden können. Untersucht wurden sowohl reine ionische Flüssigkeiten als auch Mischungen mit Ölen. Es werden auch die relevanten Mechanismen (Adsorption, Chemisorption, tribochemische Reaktionen, elektrokinetische Effekte) vorgestellt und diskutiert. Die Untersuchung von elektrisch leitfähigen Schmierstoffen zur Vermeidung elektrischer Aufladungen in Lagern sowie deren Nutzung für elektrochemisch beeinflussbare Wälzlager ist Gegenstand weiterer Untersuchungen [1]. Schlüsselwörter Ionische Flüssigkeiten, Mischungen, Reibung, Verschleiß, Elektrisches Potenzial, Leitfähigkeit Electrically conductive lubricants offer a variety of benefits for both automotive applications and in the fields of power generation and industrial manufacturing technology. One obvious advantage is their possibility to avoid electric discharges that lead to bearing failures. A further idea is to use the electrical conductivity for the development of functional tribological systems, in which friction, wear and rolling contact fatigue may be influenced by electric fields or electric potentials. The aim of the present project was to develop electrically more conductive lubricants on the basis of ionic liquid additives and to evaluate their potential benefits for different applications. In this paper, we present a selection of results on the synthesis of ionic liquids and electrically conductive lubricants, which need to be non-toxic, miscible and non-corrosive. Moreover results of the investigation of electrically conductive lubricants under the influence of electric potentials are included. They show that electrochemical effects have a significant influence on friction and wear. The investigation of electrically conductive lubricants for bearings is reported in a separate publication [1]. Keywords Ionic liquids, mixtures, friction, wear, electric potential, conductivity Kurzfassung Abstract 1 Einleitung und Ziele Um die Reibungs- und Verschleißeigenschaften tribologischer Systeme zu verbessern, werden Additive in Schmierstoffen verwendet. Neuartige ionische Flüssigkeiten T+S_3_16 05.04.16 09: 01 Seite 38 Aus der Praxis für die Praxis (ILs) sind für diese Zwecke sehr geeignet [2,3]. Nicht zuletzt durch ihre außergewöhnlichen physikalisch-chemischen Eigenschaften, wie niedriger Dampfdruck, hohe thermische und chemische Stabilität, Mischbarkeit mit Ölen, ist den ILs ein hohes Einsatzpotenzial zuzuschreiben. Ihre elektrische Leitfähigkeit, aufgrund des ionischen Charakters, bietet die Möglichkeit einer aktiven externen elektrischen Beeinflussung, um ein intelligentes tribologisches System zu generieren. Anwendungen, in denen diese Eigenschaften vorteilhaft zur Anwendung kommen könnten, sind z. B. Wälz- und Gleitlagerungen. So erzielte Reibungs- und Verschleißvorteile können zu einer erhöhten Lebensdauer der Systeme führen. Im Rahmen des vom BMBF geförderten Projekts „SchmiRmaL - Schaltbare, intelligente Tribosysteme mit minimalen Reibverlusten und maximaler Lebensdauer“ wurden für diesen Ansatz elektrisch leitfähige Schmierstoffe entwickelt und die Möglichkeiten der elektrischen Beeinflussung von Reibung und Verschleiß untersucht. Gegenstand dieses Beitrags ist eine Übersicht über die im Rahmen dieser Zusammenarbeit durchgeführten Entwicklungen zur Synthese und Charakterisierung von ionischen Flüssigkeiten, Synthese und Charakterisierung von Modellschmierstoffen sowie eine Untersuchung der Möglichkeiten der elektrochemischen Beeinflussbarkeit von tribochemischen Wechselwirkungen in der Gleitfläche, durch die Reibung und Verschleiß deutlich gesenkt werden sollten. Hierfür wurden im Projekt geeignete experimentelle Methoden entwickelt, mit denen der Einfluss elektrischer Potenziale auf Reibung und Verschleiß untersucht wurde. 2 Entwicklung ionischer Flüssigkeiten für tribologische Anwendungen Ionische Flüssigkeiten sind eine neuartige Materialklasse, die vollständig aus Ionen besteht und sich durch außergewöhnlich niedrige Schmelzpunkte auszeichnet [4]. Typische Strukturmotive zeichnen sich durch die Kombination organischer Kationen mit anorganischen oder manchmal auch organischen Anionen aus (Bild 1). Die Hauptursachen für den niedrigen Schmelzpunkt sind die geringe Symmetrie der Kationen und/ oder Anionen sowie die Delokalisierung der Ladung. Die vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten von Kationen und Anionen führen zu einer großen Anzahl strukturell unterschiedlicher ionischer Flüssigkeiten mit einstellbaren physikalischen und chemischen Eigenschaften. Viele ionische Flüssigkeiten zeichnen sich durch einen vernachlässigbar geringen Dampfdruck, eine hohe thermische und elektrochemische Stabilität, eine hohe Leitfähigkeit und einen tensidartigen Charakter aus. Dabei ist die Polarität der ionischen Flüssigkeiten durch die Auswahl funktioneller Gruppen sehr gut einstellbar. Einige ionische Flüssigkeiten eignen sich zudem als Korrosionsinhibitoren [5]. Aufgrund der einzigartigen Kombination der verschiedenen Eigenschaften stellen ionische Flüssigkeiten interessante Additive für Schmiermittel dar [5,6]. Auch die Eignung von ionischen Flüssigkeiten als Leitfähigkeitsadditive wurde für verschiedene Basisöle untersucht. Eine besondere Herausforderung stellte dabei die Additivierung von PAO-Öl dar. Es konnten einige ionische Flüssigkeiten identifiziert werden, die zumindest in geringen Mengen mit dem PAO-Öl mischbar sind (Bild 2, Tabelle 1). Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 3/ 2016 39 © Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM www.mikrotribologiecentrum.de 1 1. Generation 2. Generation 3. Generation N R 1 R 3 R 4 R 2 N R 4 R 1 R 2 R 4 N R 1 R 2 R 2 S R 3 R 1 P R 4 R 1 R 2 R 4 Imidazolium- Pyridinium- Ammonium- Pyrrolidinium- Sulfonium- Phosphonium- N N R 1 R 3 R 2 N O R 1 R 2 Morpholinium- N N R 1 R 2 O R 3 N N R 1 R 2 N R 3 functionalized Imidazolium- R 4 Kationen AlCl 4 Hal: Cl, Br, I PF 6 BF 4 H 3 C S O O O R O S O O O S N S O O F 3 C O O CF 3 F 3 C S O O O H 3 C S O O O NC N CN SCN H F F F F S O O O Anionen Kationen Kationen Anionen Anionen Bild 1: Beispiele typischer Anionen und Kationen ionischer Flüssigkeiten P 13 5 5 5 O P O O O 3 3 P 13 5 5 5 P O O P 13 5 5 5 (CF 3 SO 2 ) 2 N P 3 3 3 O P O O O 3 3 N 7 7 7 O P O O O 3 3 N N 11 O P O O O 3 3 N N 3 (CF 3 SO 2 ) 2 N N 3 (CF 3 SO 2 ) 2 N P SO 3 N 7 7 7 (CF 3 SO 2 ) 2 N P 666(14) DEHP P 666(14) Phosphinat P 666(14) BTA P 666(14) DEHP OMA DEHP DodecMIM DEHP BMIM BTA BMPyrr BTA P 14i4i4i OTs OMA BTA Bild 2: Ausgewählte ionische Flüssigkeiten T+S_3_16 05.04.16 09: 01 Seite 39 Aus der Praxis für die Praxis Von den ausgewählten ionischen Flüssigkeiten besitzt P 1444 DEHP die beste Löslichkeit in PAO-Öl. Aber auch P 666(14) DEHP, P 666(14) Phosphinat, OMA DEHP und DodecMIM DEHP sind in geringen Mengen (bis zu 2,5 m%) gut mit dem PAO-Öl mischbar. P 666(14) BTA ist dagegen erstaunlicher Weise nicht einmal in einer Konzentration von 0,5 m% in dem PAO-Öl löslich. Für die Anwendung von ionischen Flüssigkeiten als Leitfähigkeitsaddtive für verschiedene Basisöle sind neben der Mischbarkeit der ILs in den Basisölen auch die Materialverträglichkeit und die Korrosivität der ionischen Flüssigkeiten von entscheidender Bedeutung. Daher wurden auch für interessante ionische Flüssigkeiten Korrosionsraten von verschiedenen Materialien mittels Tafelplotanalyse bestimmt. Wie in Tabelle 2 dargestellt, ist die Korrosionsrate von Kupfer in den ausgewählten ionischen Flüssigkeiten mit BTA-, Phosphinat- und DEHP-Anionen mit 10 -3 bzw. 10 -2 mm/ a sehr gering. Lediglich BMIM BTA und BMPyrr BTA besitzen mit 3,9 · 10 -1 mm/ a bzw. 8,5 · 10 -1 mm/ a eine geringfügig höhere Korrosionsrate. In den Untersuchungen wurde zudem festgestellt, dass die Korrosionsrate sehr stark von der Konzentration der Verunreinigungen sowie der Art der Verunreinigungen in der IL abhängt. 3 Schmierstoffentwicklung Bei der Entwicklung von Schmierstoffen mit ionischen Flüssigkeiten muss zuvorderst auf ihre gute Löslichkeit in den entsprechenden Grundölen geachtet werden. Aufgrund ihres ionischen Charakters stellt die Suche nach geeigneten ILs für Polyglykol- oder Esteröle aufgrund deren hoher Polarität nur ein geringes Problem dar. Es ist eine große Anzahl von ILs für Schmieröle und -fette einsetzbar, um den Widerstand 3 bis 4 Größenordnungen abzusenken. Wichtig für die technische Umsetzung ist zudem, dass sich bis auf den elektrischen Widerstand die anderen Fettparameter (Korrosionsschutz, Wasserbeständigkeit, Lebensdauer etc.) nicht wesentlich verändern. Anspruchsvoller ist die Identifizierung von in Polyalphaolefin (PAO) löslichen ILs. Vor allem, wenn diese unpolaren Öle in höheren Viskositäten vorliegen. In Bild 3 sind die Widerstandswerte eines höherviskosen PAO-Öls (320 mm 2 / s) in Reinform und mit zusätzlicher IL-Additivierung dargestellt. Untersucht wurden die Phosphonium basierten ILs P 666(14) BTA, P 666(14) DEHP und P 666(14) Phosphinat. Man erkennt, dass die ILs in purem PAO den Widerstand kaum absenken. Erst beim Zusatz anderer Schmierstoffadditive 40 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 3/ 2016 0 50 100 150 200 250 300 350 400 450 PAO 320 mm²/ s PAO + P666(14) BTA PAO + P666(14) DEHP PAO + P666(14) Phosphinat PAO 320 mm²/ s + Addi! ve PAO + Addi! ve + P666(14) BTA PAO + Addi! ve + P666(14) DEHP PAO + Addi! ve + P666(14) Phosphinat spez. Widerstand [*10^9 Ohm*cm] Bild 3: Widerstand von IL-PAO (320 mm 2 / s)-Mischungen Tabelle 1: Mischbarkeit von verschiedenen ILs mit PAO-Öl IL PAO-Öl ist mischbar mit 0,5 m% 1 m% 2,5 m% 5 m% P 666(14) DEHP P 666(14 ) Phosphinat P 666(14) BTA - - - P 1444 DEHP OMA DEHP DodecMIM DEHP P 14i4i4i OTs - - Tabelle 2: Korrosionsrate von Kupfer in verschiedenen ionischen Flüssigkeiten Kupfer in IL Korrosionsrate [mm/ a] BMIM BTA 3,9 · 10 -1 P 666(14) Phosphinat 1,4 · 10- 2 P 666(14) DEHP 1,7 · 10 -2 P 666(14) BTA 3,1 10 -2 BMPyrr BTA 8,5 · 10- 1 OMA BTA 4,5 · 10 -3 T+S_3_16 05.04.16 09: 01 Seite 40 Aus der Praxis für die Praxis gelingt mit zweien der ILs ein signifikante Absenkung. Aufgrund der besseren Löslichkeit in niedrig viskosem PAO (18 mm 2 / s) und der höheren Ionenbeweglichkeit lässt sich der Widerstand durch den Einsatz von ionischen Flüssigkeiten deutlich besser absenken als in hochviskosem PAO (Bild 4). Mit einer hohen Konzentration an IL lassen sich hier Widerstände erreichen, die fast 4 Größenordnungen unter dem von PAO ohne IL liegen. Die anderen Ölparameter bleiben durch den Zusatz der IL praktisch unberührt. Exemplarisch ist dies für die Viskosität, das Tieftemperaturverhalten (Pour Point) und die Kupferkorrosion in Tabelle 3 dargestellt. Probe als eine Elektrode geschaltet (Arbeitselektrode). Zusätzlich tauchen in den Schmierstoff (Elektrolyt) eine Gegenelektrode (Platin) und eine Referenzelektrode (Ag/ AgCl) ein. Das elektrische Potenzial wird mit einem Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 3/ 2016 41 Tabelle 3: Ausgewählte Öldaten für PAO-IL-Mischungen Viscosity Pour Cu-Corr. (40 °C) Point (100 °C, [mm 2 / s] [°C] 24 h) PAO +Additives 18 -75 1 + P666(14) DEHP 19 -75 1 + P666(14) 19 -72 1 Phosphinate + P666(14) DEHP 22 -75 1 (high conc.) + P666(14) 20 -72 1 Phosphinate (high conc.) AAA VVV Elektrolyt Gegen- Elektrode Referenz- Elektrode Potenziostat Arbeits- Electrode Elektr. Potenzial: E=U-U ref Bild 5: Prüfprinzip eines Reibversuchs mit elektrischer Potenzialbeaufschlagung 0.01 0.1 1 10 100 PA O + A dditive PA O + A dditive + P666(14) DEHP PA O + A dditive + P666(14) Phosphinat PA O + A dditive + P666(14) DEHP (high conc. ) PA O + A dditive + P666(14) Phosphinat (high conc. ) spez . W idersta nd [* 10^9 O hm* cm] Bild 4: Widerstand IL-PAO (18 mm 2 / s)-Mischungen 4 Methodenentwicklung zur Untersuchung von Potenzialeinflüssen Zur Untersuchung des Einflusses elektrischer Potenziale wurde eine Versuchsmethodik entwickelt, mit der verschiedene Reibkontakte und bewegungen unter definierten Potenzialen untersucht werden können (Bild 5). Diese Anordnungen bestehen aus einer tribologischen Prüfgeometrie, z. B. Stift-Scheibe, bei der zumindest der Reibkontakt in einen elektrisch leitfähigen Schmierstoff eintaucht (Bild 5). Probenhalter und Behälter sind aus elektrisch nichtleitendem Material. Elektrische Potenziale werden aufgebracht, indem ein elektrochemisches Drei-Elektroden-System eingerichtet wird. Dabei wird das Probenpaar über die nicht bewegte v v Bild 6: Elektrisch modifizierte Prüfanordnungen; links: SRV, rechts: Tribomesszelle T+S_3_16 05.04.16 09: 01 Seite 41 Aus der Praxis für die Praxis Potenziostaten eingestellt und kontrolliert. Bei Versuchen unter Potenzial wird der Stromfluss gemessen. Zudem kann im laufenden Versuch ohne Potenzial das Korrosionspotenzial gemessen werden. Nach diesem Versuchsprinzip wurden ein Stift-Scheibe-Versuch (TRM 1000, Wazau), ein reversierender Gleitversuch (SRV-IV, Optimol Instruments) und eine Tribomesszelle (Anton Paar) modifiziert (Bild 6). Tribologische Untersuchungen unter elektrischen Potenzialen wurden mit diesen Anordnungen durchgeführt, um die Einflussmöglichkeiten von elektrischen Potenzialen auf die Haft- und Gleitreibung und auf den Verschleiß zu beschreiben. Es wurden sowohl reine ionische Flüssigkeiten als auch Mischungen von ILs mit in Anteilen im höheren %-Bereich in verschiedenen Basisölen untersucht. Die untersuchten Fluide und Prüfbedingungen werden jeweils im Ergebnisteil genannt. 5 Ergebnisse und Diskussion der elektrotribologischen Untersuchungen Nachfolgend wird eine kleine Auswahl von Ergebnissen der tribologischen Untersuchungen unter elektrischen Potenzialen dargestellt. Als Probenmaterial wurde gehärteter Stahl 100Cr6 (HRC > 60) verwendet. Die Ergebnisauswahl beschränkt sich auf Ergebnisse zur ionischen Flüssigkeit [P666(14)][BTA]. Untersuchung der Reinsubstanzen Anhand eines experimentell bestimmten Ruhepotenzials im offenen Stromkreis (Open Circuit Potential, OCP) wurden relativ zu diesem elektro-tribologische Untersuchungen in einem Potenzialbereich von ± 500 mV versus OCP durchgeführt (Bild 7). Für alle sich vom OCP unterscheidenden Potentiale ist eine Beeinflussung der Reibung und des Verschleißes erreicht worden. Die Verwendung eines anodischen Potenzials (+500 mV) zeigte im Vergleich zum Referenzexperiment (OCP) die deutlichste Reibungsminimierung über den gesamten untersuchten Geschwindigkeitsbereich. Diese maximale Reibungsverringerung betrug 35 %. Somit ist der Einfluss elektrischer Potenziale auf die Reibung deutlich nachweisbar. Bezüglich der Mechanismen, die zu einer Verminderung der Reibung führen, gibt es folgende Hypothesen [7-9]: • Elektrokinetischer Effekt: Jede Oberfläche, die von einem elektrisch leitfähigen Medium umgeben ist, besitzt eine elektrochemische Doppelschicht, in der die Konzentration elektrischer Ladungen erhöht ist. Bei Scherung dieser Doppelschicht im Reibspalt werden elektrische Ladungen bewegt, wodurch letztendlich die oberflächennahe Viskosität erhöht wird. Dadurch erhöht sich in tribologischen Systemen unter Mischreibung der hydrodynamische Traganteil. • Anlagerung von ionischen Flüssigkeiten in mehreren Monolagen an die Oberfläche: Dadurch entsteht ein guter Schutz vor Festkörperkontakten. • Tribochemische Reaktionen: Dadurch werden tribologisch aktive Schutzschichten gebildet. Es ist anzunehmen, dass sich diese drei Mechanismen überlagern, wobei je nach Potenzial deren Wirkung verändert wird. Die Untersuchungen des Verschleißes ergaben, dass abhängig vom eingestellten Potenzial sowohl eine deutliche Erhöhung als auch eine deutliche Verminderung des Verschleißes möglich ist (Bild 8). Während bei anodischen Potentialen eher eine Verschleißerhöhung beobachtet wurde, war bei kathodischen Potenzialen der Verschleiß meist geringer als im potenzialfreien System. Es wurde 42 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 3/ 2016 Bild 7: Reibungskoeffizienten als Funktion der Gleitgeschwindigkeit unter verschiedenen Potenzialen (Stift-Scheibe, RT, Prüfkraft: 100 N) Bild 8: Verschleiß nach potenzialbeaufschlagten Versuchen (Stift-Scheibe, 100 N, 0,2 m/ s, RT, 3 Stunden) T+S_3_16 05.04.16 09: 01 Seite 42 Aus der Praxis für die Praxis beobachtet, dass der Verschleiß umso niedriger ist, je geringer der Stromfluss während des Reibversuchs ist. In einem (hier nicht dargestellten) Versuchsmodus, in dem durch automatische Anpassung des Potenzials der Stromfluss minimiert wird, war der Verschleiß am niedrigsten. Um die aus der tribochemischen Beanspruchung unter elektrischen Potenzialen resultierenden chemischen Reaktionen zu beschreiben, wurden chemische Oberflächenanalysen mit der Röntgenphotoelektronenspektroskop (XPS) durchgeführt. Die Ergebnisse weisen bei unterschiedlichen elektrischen Potenzialen und bei gleichbleibenden tribologischen Parametern auf verschiedene Reaktionsprodukte und deren unterschiedliche Ausprägungen hin. Für den offenen Stromkreis (OCP) und die kathodischen Potenziale liegen nur geringfügige Veränderungen der chemischen Zusammensetzungen vor; für das anodische Potenzial +500 µV zeigt sich eine deutliche Veränderungen des karbidischen Kohlenstoffs und eine Härtezunahme von 35 %. Untersuchung der Mischungen Die Untersuchungen der Mischungen erfolgten überwiegend mit dem modifizierten SRV-Versuch. Nachfolgend sind Ergebnisse der Versuche an Mischungen von [P666(14)][BTA] mit Esteröl dargestellt. Der Verlauf der Reibungskoeffizienten ist für eine Mischung und verschiedene elektrische Potenziale dargestellt (Bild 9). Es ist deutlich zu erkennen, dass sowohl bei anodischer als auch bei kathodischer Potenzialbeaufschlagung die Reibung im Vergleich zum potenzialfreien System deutlich verringert ist. Die Messung des Verschleißes ergab, dass je nach Potenzial erhebliche Verschleißverminderungen möglich sind, wobei - im Unterschied zu den reinen ILs - positive (anodische) Potenziale zu den niedrigsten Verschleißraten führten. In Bild 10 ist die zeitliche Entwicklung des Verschleißes mit den daraus resultierende Flächenpressungen dargestellt. Aufgrund des Verschleißes bildet sich innerhalb kurzer Zeit aus dem ursprünglich Hertzschen Kontakt eine Kontaktfläche. Innerhalb von 10 Stunden nimmt dadurch die Flächenpressung auf etwa 1 GPa ab. Unter +500 mV Potenzial ist nach 5 Stunden Versuchsdauer ein deutlich niedrigerer Verschleiß erkennbar als beim Versuch ohne Potenzial. In Bild 11 sind die Verschleißwerte für Versuche unter verschiedenen Potenzialen dargestellt. Während bei ne- Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 3/ 2016 43 0 2 4 6 8 10 0 200 400 600 800 1000 1200 Verschleißtiefe, h [nm] Versuchsdauer, t [h] Potential vs OC P 0 mV +500 mV 1. 63 G Pa 1. 56 G Pa 1. 49 G Pa 1. 23 G Pa 1. 04 G Pa 0. 94 G Pa 1. 04 G Pa 1. 11 G Pa 1. 32 G Pa 1. 92 G Pa 1. 98 G Pa Bild 10: Zeitliche Entwicklung des Verschleißes bei Mischungen von Esteröl mit [P666(14)][BTA] (SRV, 200 N, 1 mm, RT) -2000 -1000 -500 OC 0A E corr 50010002000 0 1 2 3 4 5 6 7 8 Potential vs. OC P [mV] Verschleißvolumen [1* 10 4 µm³] Bild 11: Übersicht zu Verschleißwerten bei Mischungen von Esteröl mit [P666(14)] [BTA] (SRV, 200 N, 1 mm, RT, 10 h) 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 0,00 0,05 0,10 0,15 0,20 OC E corr 0 A - 500 mV vs. OC P +500 mV vs. OC P -1000 mV vs. OC P +1000 mV vs. OC P +2000 mV vs. OC P -2000 mV vs. OC P Reibungskoe! zient, µ [-] Versuchsdauer, t [h] Bild 9: Reibungskoeffizienten für Mischungen Esteröl mit [P666(14)][BTA] unter verschiedenen Potenzialen (200N, 20 Hz, RT, Schwingweite 1 mm) T+S_3_16 05.04.16 09: 01 Seite 43 Aus der Praxis für die Praxis gativem Potenzial nur geringe Änderungen bzw. sogar deutliche Verschlechterungen beobachtet wurden, waren bei Versuchen im Korrosionspotenzial und bei Potenzialen bis +1000 mV die Verschleißbeträge erheblich vermindert. Die niedrigsten Verschleißwerte wurden bei Potenzialen zwischen +500 mV und +1000 mV gemessen. Auch bei den Mischungen wurden durch die unterschiedlichen elektrischen Potenziale verschiedene tribochemische Reaktionen ausgelöst, die nach dem Versuch durch XPS gemessen wurden. Am auffälligsten waren hierbei die Bildung von Fe-Fluoriden bei kathodischer Beaufschlagung und ein erhöhter Oxidanteil sowie Kohlenstoffanteil im Fall der anodischen Beaufschlagung. 6 Schlussfolgerungen Ziel der Untersuchungen war die Entwicklung von elektrisch leitfähigen Schmierstoffen, mit denen Reibung und Verschleiß mithilfe von elektrischen Potenzialen erheblich gesenkt werden können. Hierfür wurden im Rahmen dieses Projekts geeignete ionische Flüssigkeiten und Modellschmierstoffe entwickelt. Es wurden außerdem Methoden entwickelt und angewendet, mit denen durch Beaufschlagung von elektrischen Oberflächenpotenzialen im Bereich zwischen ±2000 mV chemische (elektro-)chemische Wechselwirkungen im Reibkontakt gezielt beeinflusst werden können, um die Reibung und den Verschleiß zu senken. Es wurde gezeigt, dass durch Auswahl geeigneter Schmierstoffe und ionischer Flüssigkeiten sowohl mit den Reinsubstanzen als auch mit Basisölen mit IL-Additiven sehr deutliche Verringerungen der Reibungs- und Verschleißwerte erreicht werden können. Beispielhafte Ergebnisse zeigen, dass mit der IL [P666(14)][BTA] bei negativen Potenzialen bzw. bei elektrochemischer Hemmung tribochemischer Reaktionen Reibung und Verschleiß am geringsten waren, während bei den Mischungen dieser ILs mit Esteröl bei anodischer Potenzialbeaufschlagung die günstigsten Reibungs- und Verschleißresultate erzielt wurden. Mit diesen Ergebnissen kann in verschiedenen Anwendungen eine Verbesserung des tribologischen Verhaltens erreicht werden. Durch geeignete elektrochemische Maßnahmen kann im Vergleich zum heutigen Stand der Technik eine weitere deutliche Verringerung von Reibung und Verschleiß in Systemen, die unter Mischreibungsbedingungen betrieben werden, erreicht werden. An Konzepten zur Übertragung der im Labor erfolgreichen Methoden auf reale Anwendungen wird derzeit gearbeitet. Weitere Ergebnisse zur anwendungsnahen Untersuchung elektrisch leitfähiger Schmierstoffe werden in einer separaten Publikation dargestellt [1]. Danksagung Diese Arbeiten wurden im Rahmen des vom BMBF geförderten Projekts „SchmiRmaL - Schaltbare, intelligente Tribosysteme mit minimalen Reibverlusten und maximaler Lebensdauer“ [Förderkennzeichen 03X4009] durchgeführt. Literatur [1] G. Dornhöfer, U. Dellwo, Elektrisch leitfähige Schmierstoffe für adaptive Tribosysteme und Vermeidung von Elektropitting, GfT-Fachtagung 2015, Vortrag Nr. 45 [2] M.D. Bermúdez, A.E. Jiménez, J. Sanes, F.J. Carrión, Ionic Liquids as Advanced Lubricant Fluids, Molecules 14 (2009) 2888-2908 [3] A.E. Somers, P.C. Howlett, D.R. MacFarlane, M. Forsyth, A Review of Ionic Liquid Lubricants, Lubricants 2013, 1(1), 3-21 [4] Wasserscheid, P., Welton, T., Ionic Liquids in Synthesis, Wiley-VCH, Weinheim (2007) [5] Schubert, T. J. S., Ionische Flüssigkeiten - eine Querschnittstechnologie, Nachr. Chem. (2005) 53: 1222-1226 [6] IOLITEC Ionic Liquids Technologies GmbH, http: / / www.iolitec.de [7] C. Dold, T. Amann, A. Kailer, Influence of electric potentials on friction of sliding contacts lubricated by an ionic liquid, Phys.Chem.Chem.Phys. 17 (2015) 10339 [8] A. Kailer, T. Amann, O. Krummhauer, M. Herrmann, U. Sydow, M. Schneider, Influence of electric potentials on the tribological behaviour of silicon carbide, Wear 271 (2011) 1922- 1927 [9] G. Xie, D. Guo, J. Luo, Lubrication under charged conditions, Tribology International 84 (2015) 22-35 44 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 3/ 2016 Nutzen Sie auch unseren Internet-Novitäten-Service: www.expertverlag.de mit unserem kompletten Verlagsprogramm, über 800 lieferbare Titel aus Wirtschaft und Technik Anzeige T+S_3_16 05.04.16 09: 01 Seite 44
