eJournals Tribologie und Schmierungstechnik 63/5

Tribologie und Schmierungstechnik
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expert verlag Tübingen
1001
2016
635 Jungk

Einfluss des tribochemischen Schichtaufbaus auf die Ausbildung elektrisch induzierter Wälzlagerschäden

1001
2016
Benjamin Pohrer
Manuel Zürcher
Eberhard Schlücker
Stephan Tremmel
Sandro Wartzack
Gleichstrombelastete Wälzlager zeigen bereits bei sehr geringen Stromdichten unter bestimmten Bedingungen Schädigungen der Laufbahnoberflächen oder Veränderungen des Gefüges. Erste Untersuchungen deuten darauf hin, dass diese Phänomene im Zusammenhang mit der Ausbildung isolierend wirkender, tribochemischer Schichten im Wälzkontakt stehen. Dieser Schichtaufbau kann anhand der elektrischen Eigenschaften des Prüflagers und einer begleitenden in-situ IR-Analyse des Schmierstoffs während des Betriebs nachvollzogen werden.
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32 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 5/ 2016 1 Einleitung Das Auftreten von Stromdurchgangsschäden an Wälzlagern infolge von Lagerströmen ist seit langem ein bekanntes Phänomen. Klassische Lagerströme treten in Elektromotoren beispielsweise infolge von Asymmetrien im Magnetfluss oder unzureichender Verkabelung auf. Als weitere Quelle potentiell schädlicher Lagerströme sind in den letzten Jahrzehnten drehzahlgeregelte Asynchronmotoren hinzugekommen. Besonders beim Betrieb von Motoren oder Generatoren mit schnell schaltenden Frequenzumrichtern kann es aufgrund steiler Spannungsflanken am Wechselrichterausgang zu hochfrequenten Lagerströmen und in der Folge zu kapazitiven Entladungen über den Schmierspalt kommen [1]. Abhängig von der im Kontakt wirksamen Stromdichte kann dies zu punktuellen Aufschmelzungen in der Laufbahnoberfläche und bei längerer Belastung zur Ausbildung von Riffelmarken führen. Darüber hinaus ist bei Stromdurchgang infolge der hohen lokalen Temperaturen mit einer beschleunigten Alterung und einer deutlich verkürzten Lebensdauer des Schmierstoffes zu rechnen [2]. In diesem Zusammenhang werden Stromdichten kleiner 0,1 A/ mm 2 in der Literatur allgemein als unkritisch eingestuft [3-5]. Neuere Untersuchungen zeigen jedoch, dass auch bei geringeren Stromdichten (0,04 A/ mm 2 ) bereits Stromdurchgangsschäden auftreten können [6]. Bisher kaum untersucht sind die Zusammenhänge zwischen Wälzlagerschäden und geringen Gleichstrombelastungen, wie sie beispielsweise infolge elektrostatischer Aufladungen an Riementrieben oder Walzen auftreten können. Aktuellen Studien zufolge kann es bereits bei extrem geringeren Stromstärken (< 100 µA) unter vermeintlich unkritischen Bedingungen zu frühzeitigen Lagerausfällen und Gefügeveränderungen in Zusammenhang mit White Structure Flaking kommen [7, 8]. Die bisherigen Untersuchungen belegen, dass die genannten Grenzwerte aus der Literatur unter derartigen Bedingungen nicht anwendbar sind. Im Rahmen dieser Arbeit wird erstmals untersucht, inwieweit der Aufbau von tribochemischen Oberflächenschichten mit der Ausbildung solcher elektrisch induzierter Lagerschäden in Zusammenhang steht. Aus Wissenschaft und Forschung * Dr.-Ing. Benjamin Pohrer Technische Fakultät, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) Manuel Zürcher Prof. Dr.-Ing. Eberhard Schlücker Lehrstuhl für Prozessmaschinen und Anlagentechnik 91058 Erlangen Dr.-Ing. Stephan Tremmel Prof. Dr.-Ing Sandro Wartzack Lehrstuhl für Konstruktionstechnik, 91058 Erlangen Einfluss des tribochemischen Schichtaufbaus auf die Ausbildung elektrisch induzierter Wälzlagerschäden B. Pohrer, M. Zuercher, S. Tremmel, S. Wartzack, E. Schlücker* Eingereicht: 13. 9. 2015 Nach Begutachtung angenommen: 1. 11. 2015 Gleichstrombelastete Wälzlager zeigen bereits bei sehr geringen Stromdichten unter bestimmten Bedingungen Schädigungen der Laufbahnoberflächen oder Veränderungen des Gefüges. Erste Untersuchungen deuten darauf hin, dass diese Phänomene im Zusammenhang mit der Ausbildung isolierend wirkender, tribochemischer Schichten im Wälzkontakt stehen. Dieser Schichtaufbau kann anhand der elektrischen Eigenschaften des Prüflagers und einer begleitenden in-situ IR-Analyse des Schmierstoffs während des Betriebs nachvollzogen werden. Schlüsselwörter IR-Spektroskopie, Schmierstoffe, Additive, Wälzlagerschäden, Tribochemie, Schichtaufbau Under specific conditions, rolling bearings exposed to direct currents show surface damages on the raceway or microstructural changes even at very low current densities. Initial investigations indicate that these phenomena are related to the formation of insulating tribochemical layers in the rolling contact. These surface processes can be understood with reference to the electrical properties of the bearing and an accompanying in-situ IR analysis of the lubricant. Keywords IR-Spectroscopy, Lubricants, Additives, Roller bearing failures, Tribochemistry, Tribolayers, White Structure Flaking Kurzfassung Abstract T+S_5_16 29.07.16 11: 27 Seite 32 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 5/ 2016 2 Material und Methoden Für die Untersuchungen an gleichstrombelasteten Lagern wurde ein eigens hierfür konstruierter Wälzlagerprüfstand eingesetzt. Vor jedem Versuchslauf werden zwei Rillenkugellager vom Typ 6203 mit Hilfe von Tellerfedern mit einer Last von 1.200 N axial gegeneinander vorgespannt und bei Drehzahlen bis maximal 5.500 min -1 unter kontrollierten Bedingungen gefahren. Die Prüflager werden während des Versuchslaufs über eine Druckumlaufschmierung mit Öl versorgt. Der Schmierstoff wird über eine Dosierpumpe durch eine Öffnung im Lagerträger direkt in den Hohlraum zwischen die Prüflager gefördert. Von dort aus verteilt sich das Öl weitgehend gleichmäßig auf beide Prüflager und fließt anschließend zurück in den Ölsumpf. Sowohl Prüflager als auch der Schmierstoff können während der Versuche unabhängig voneinander temperiert werden. Bild 1 zeigt einen schematischen Überblick des Schmierstoffkreislaufs und das Schaltbild der elektrischen Zusatzbelastung. Zur Überwachung der Prüflager können Lagertemperatur, Axialkraft, das resultierende Drehmoment sowie Beschleunigungswerte erfasst werden. Das Schmiersystem kann darüber hinaus anhand der Messwerte des Volumenstroms, der Temperatur und der Viskosität überwacht werden. Zusätzlich wurde eine ATR-Infrarot-Sonde zur Online-Analyse der chemischen Zusammensetzung des Schmierstoffs im Kreislauf installiert. Die Sonde befindet sich unmittelbar am Ölaustritt des vorderen Prüflagers, so dass der Schmierstoff direkt nach Verlassen des Kontakts analysiert werden kann. Dies ist notwendig, da mögliche Reaktionsprodukte oder minimale Veränderungen der Schmierstoffzusammensetzung bei Rückvermischung im Ölsumpf oft nicht mehr nachgewiesen werden können. Um neben der mechanischen Belastung auch eine elektrische Belastung der Prüflager zu ermöglichen, sind beide Lageraußenringe über elektrische Kontakte mit einer Gleichstromquelle verbunden (Bild 1b). Der resultierende Stromkreis wird über die Innenringe und die Welle geschlossen. Zwischen dem stirnseitigen Lager und dem Minuspol wurde zusätzlich ein 500 kΩ-Widerstand installiert um die Stromstärke im Stromkreis zu begrenzen. Sowohl die an den Prüflagern als auch die am Widerstand abfallende Spannung werden während der Versuche aufgezeichnet. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, den Spannungsverlauf am Lager über ein Oszilloskop zu verfolgen. Der Widerstand wurde so gewählt, dass die maximale Stromstärke einen Wert von 10 µA nicht überschreitet. Auf diese Weise können direkte Stromschäden durch Aufschmelzen der Laufbahnoberflächen infolge kapazitiver Entladungen ausgeschlossen werden. Um elektrische Einflüsse aus dem Antriebsstrang auszuschließen, ist der Servomotor über eine berührungslose Magnetkupplung mit der Antriebswelle gekoppelt. Während der Versuchsläufe wurde den Lagern ein Schmierstoffvolumen von 60 ml/ min bei einer Temperatur von 40 °C zur Verfügung gestellt. Nach Abschluss jedes Versuchslaufs wurden die Prüflager ausgebaut, Wälzkörper und Lagerkäfig entfernt, die Lagerringe halbiert, gereinigt und die Laufflächen begutachtet. Im Anschluss wurden die Lagersegmente durch einen weiteren Umfangsschnitt geteilt und das Gefüge unterhalb der Laufbahn metallografisch untersucht. Die Lagersegmente wurden hierfür in Kunststoff eingebettet, geschliffen, poliert und nach dem Anätzen mit Nital lichtmikroskopisch begutachtet. IR-Spektroskopie des Schmierstoffes Als Schmierstoff wurde ein handelsübliches teilsynthetisches Schaltgetriebeöl eingesetzt. Dieses enthält neben mineralischen und synthetischen Basisölen VI- Improver und eine Reihe weiterer funktionsgebender Additive. Durch den Einsatz der IR-Spektroskopie können auch geringfügige Veränderungen der Schmierstoffzusammensetzung nachvollzogen werden. Die folgenden 33 Aus Wissenschaft und Forschung Bild 1: Schematischer Aufbau des Wälzlagerprüfstands (a) und elektrische Schaltung der Gleichstromquelle (b) T+S_5_16 29.07.16 11: 27 Seite 33 34 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 5/ 2016 Untersuchungen beziehen sich auf die Aktivität der, an der tribochemischen Schichtbildung beteiligten, Zinkdialkyl-dithiophosphate (ZDDP) und basischen Kalziumsulfonate sowie auf die chemische Alterung des Schmierstoffes. Diese können anhand der beteiligten funktionellen Gruppen in charakteristischen Wellenzahlbereichen des Infrarotspektrums nachgewiesen werden. Bild 2 zeigt das Extinktionsspektrum des eingesetzten Schmierstoffs. Zinkdialkyldithiophosphate werden heutzutage aufgrund ihrer sehr guten Antiwear- und milden Extreme-Pressure- Eigenschaften sowie ihrer guten Antioxidanswirkung in sehr vielen kommerziell verfügbaren Schmierstoffen als multifunktionale Additive eingesetzt [9]. Sie führen bei thermischer oder mechanischer Aktivierung zur Ausbildung schützender, glasähnlicher Schichten und wirken im Misch- und Grenzreibungsbereich verschleißmindernd. Auch Kalziumsulfonate, welche hauptsächlich als Detergent- und Korrosionsschutzadditive wirken, besitzen gute Extreme-Pressure-Eigenschaften und sind am Schichtaufbau im Kontakt beteiligt [10]. Neben diesen schichtbildenden Additiven ist der Spektralbereich der Carbonylbande von besonderem Interesse, da dieser Rückschlüsse auf die Ölalterungsprozesse im Tribokontakt zulässt [11]. Sind die metallischen Oberflächen durchgängig mit schützenden Schichten bedeckt, stehen kaum katalytisch wirksame, freie Oberflächen zur Verfügung, so dass es nur in geringem Umfang zu Ölalterungsprozessen kommt. Stehen jedoch ausreichend freie Oberflächen und Energie zur Verfügung, können Alterungsprozesse anhand der Carbonylbande nachvollzogen werden. Zur Auswertung der Infrarotspektren wurden die jeweiligen Flächensummen der Absorptionsbanden im Bereich von 966-1.020 cm -1 (ZDDP), von 1.100-1.200 cm -1 (Sulfonate) und von 1.700-1.800 cm -1 (Carbonylbande) auf eine Referenzbande (1.400-1.490 cm -1 ) bezogen und über der Laufzeit dargestellt. Hierdurch werden zeitliche Veränderungen der funktionalen Gruppen im Schmierstoff am Ausgang der Kontaktzone sichtbar. 3 Ergebnisse Im Folgenden wird zunächst auf den Aufbau tribochemischer Schichten beim Einlauf eines Wälzlagers und das Verhalten der Additive bei Drehzahlwechseln eingegangen. Im Anschluss wird das Verhalten der Prüflager bei elektrischer Zusatzbelastung dargestellt und dessen Einfluss auf die Ausbildung von Wälzlagerschäden beispielhaft anhand von zwei Versuchsläufen aufgezeigt. Additivverhalten während des Einlaufs eines Rillenkugellagers In Bild 3 sind die zeitlichen Verläufe der ZDDP-Bande, der Sulfonatbande und der Carbonylbande während der tribochemischen Einlaufphase eines Prüflagers dargestellt. Die Prüflager wurden ohne Vorbehandlung bei maximaler Drehzahl (5.500 min -1 ) über einen Zeitraum von 300 Stunden betrieben. Während des gesamten Versuchslaufs befinden sich die lasttragenden Kontakte zwischen den Wälzkörpern und Laufbahnen im Bereich der Vollschmierung bei einem Viskositätsverhältnis von ca. κ = 4,7, so dass Festkörperkontakte der Oberflächen weitestgehend ausgeschlossen werden können. Anhand der gemessenen IR-Spektren lässt sich der Versuchsablauf in drei verschiedene Phasen einteilen. In der ersten Phase (1) werden die vom Lagerhersteller ab Werk aufgetragenen Korrosionsschutzschichten zunächst abgetragen und im Anschluss durch stabilere tribochemische Schichten ersetzt. In diesem Zeitraum ist am Prüflager ein starker Abfall der lokalen Konzentration schichtbildender Additive festzustellen, während das Niveau der Carbonylbande und somit der Ölalterung aufgrund der vermehrt zur Verfügung stehenden freien Oberflächen langsam ansteigt. Nach einem Zeitraum von ca. 25 Stunden ist die ursprüngliche Korrosionsschutzschicht weitestgehend abgetragen und die darauffolgende zweite Phase (2) wird durch den Aufbau einer neuen, scherstabileren Triboschicht bestimmt. In diesem Versuchsabschnitt steigt die lokale Konzentration der Zinkdithiophosphate wieder an, bis sich nach ca. 140 Stunden ein Aus Wissenschaft und Forschung Bild 2: Infrarotspektrum des Schmierstoffes mit charakteristischen Banden T+S_5_16 29.07.16 11: 27 Seite 34 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 5/ 2016 näherungsweise konstantes Niveau ausgebildet hat. Da im weiteren Verlauf das Niveau der Carbonylbande nicht weiter ansteigt, kann ab diesem Zeitpunkt davon ausgegangen werden, dass sich eine geschlossene Schicht auf den Oberflächen ausgebildet hat. In der anschließenden dritten Phase (3) kommt es zu keinen weiteren Veränderungen im zeitlichen Verlauf der Additivbanden. Da das ursprüngliche Konzentrationsniveau von ZDDP und Sulfonaten im Kontakt nicht mehr erreicht wird, kann davon ausgegangen werden, dass die Additive in geringem Umfang weiterhin an tribochemischen Reaktionen im Kontakt beteiligt sind und die Schichtbildung verlangsamt fortschreitet. Additivverhalten bei variierender Drehzahl Bild 4 zeigt das Verhalten der schichtbildenden Additive bei einer gezielten Änderung des Kontaktzustandes. Nach einer 250-stündigen Einlaufphase, wie sie im vorangehenden Versuch diskutiert wurde, wird nun der Reibungszustand der Prüflager durch eine zeitweise Absenkung der Drehzahl verändert. Hierbei wurde die Drehzahl alle zwei Stunden schrittweise bis auf 1.500 min -1 abgesenkt, bis die Prüflager im moderaten Mischreibungsbetrieb arbeiten (κ = 2,5). Anschließend wurde die Drehzahl wieder schrittweise bis auf den Ausgangswert erhöht. Die Reaktion der ZDDP- und der Carbonylbande 35 Aus Wissenschaft und Forschung Bild 4: Charakteristischer zeitlicher Verlauf der Drehzahl und der Intensitäten der ZDDP- und der Carbonylbande im Infrarotspektrum bei schrittweiser Drehzahländerung Bild 3: Charakteristischer zeitlicher Verlauf der ZDDP-Bande, der Sulfonatbande und der Carbonylbande während des tribochemischen Einlaufs der Prüflager T+S_5_16 29.07.16 11: 27 Seite 35 36 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 5/ 2016 im IR-Spektrum des Schmierstoffes während des gezielt herbeigeführten Mischreibungsbetriebs sind in Bild 4 dargestellt. Der rechnerische Übergang von Vollschmierung in den Mischreibungsbereich und umgekehrt bei κ = 4 wurde durch Markierungen gekennzeichnet. Zu Beginn des Versuchs zeigt sich ein hohes Konzentrationsniveau an ZDDP und eine geringe Intensität der Carbonylbande im Schmierstoff. Dies spricht dafür, dass im Kontakt vollständig ausgebildete Oberflächenschichten vorliegen und zu diesem Zeitpunkt kaum schichtbildende Additive verbraucht werden. Bei fallender Drehzahl kommt es zur Absenkung des ZDDP-Konzentrationsniveaus, während die Bildung ölalterungsbedingter Carbonylverbindungen im Kontakt immer weiter zunimmt. Erst kurz nach Durchfahren der geringsten Drehzahl kommt es erstmals zu einer Abnahme des Additivverbrauchs im Kontakt und zu einer Verringerung der gemessenen Alterungsprozesse. Obwohl sich beide Konzentrationsniveaus in der Folge wieder ihrem Ausgangswert annähern, wird der ursprüngliche Zustand vor dem Mischreibungsbetrieb nicht wieder erreicht. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die tribochemischen Oberflächenschichten infolge vermehrter Festkörperkontakte während des Mischreibungsbetriebs stark geschert und teilweise abgetragen werden. Hieraus erklärt sich auch der begleitende Anstieg der Carbonylbande, da es infolge teilweise freigelegter Oberflächen zu einer verstärkten katalytischen Ölalterung kommt. Auch nach der Rückkehr zur Vollschmierung verharren die Konzentrationsniveaus der schichtbildenden Additive auf einem mittleren Niveau, während die Ölalterung nach dem Durchschreiten eines kurzzeitigen Minimums einen sehr hohen Wert einnimmt. Die erhöhte Aktivität der schichtbildenden Additive und die starke Ausschüttung von Carbonylverbindungen bei der Rückkehr zu hohen Drehzahlen sind vermutlich auf den damit verbundenen erhöhten Energieeintrag zurückzuführen. Am Verlauf der IR-Banden ist klar ersichtlich, dass sich bereits bei kurzfristigem Mischreibungsbetrieb messbare Änderungen in der tribochemischen Aktivität des Wälzkontaktes ergeben und dieser folglich in verändertem Zustand vorliegt. Elektrisches Verhalten der Prüflager Bei zusätzlicher Belastung der Lager mit Gleichstrom kommt es infolge der Ausbildung eines trennenden Schmierfilms und der tribochemischen Isolationsschichten auf den Laufbahnoberflächen zu einem elektrischen Potentialaufbau zwischen den Lagerringen und den Wälzkörpern. Ist ein ausreichend hohes Potential vorhanden, so kann dies zur Ionisierung des Schmierstoffs und nachfolgend zur elektrischen Entladung über den Schmierspalt führen. Um das Spannungsverhalten der Prüflager während des Betriebs zu analysieren, werden daher wiederholt elektrische Kennfelder aufgenommen. Hierbei wird die Spannung am Netzteil alle 10 Sekunden schrittweise um 0,2 V erhöht und das Spannungsverhalten an den Lagern aufgezeichnet (Bild 5a). Zu Beginn steigt die Spannung an den Lagern linear mit der angelegten Versorgungsspannung an. Die Differenz aus angelegter Netzspannung und Lagerspannung fällt vollständig am Widerstand ab. Ab dem Erreichen einer Grenzspannung treten erste Entladungen über den Schmierspalt auf. In diesem Bereich kommt es zu relativ wenigen Entladungen mit vergleichsweise hohen Spannungsamplituden. Bei weiterem Spannungsanstieg erhöht sich die Frequenz der Entladungen, während die Spannungsamplitude und somit die Stärke der einzelnen Entladungen abnimmt. Dieses Verhalten wurde bereits wiederholt in der Literatur beschrieben [7, 8]. Die Höhe der Grenzspannung, ab der erste Entladungen auftreten können, ist einerseits von Schmierstoffparametern wie der chemischen Struktur, Viskosität, Dichte und den zugesetzten Additiven abhängig. Zum anderen besitzen auch Systemgrößen wie Drehzahl, Art des Wälz- Aus Wissenschaft und Forschung Bild 5: Darstellung eines elektrischen Kennfeldes mit Oszilloskopaufnahmen (a) und zeitlicher Verlauf der gemessenen Durchlagsspannung (b) T+S_5_16 29.07.16 11: 27 Seite 36 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 5/ 2016 lagers oder anliegende Pressung einen großen Einfluss [2]. So bewirkt z. B. ein Anstieg der Drehzahl auch einen Anstieg der Filmdicke und erhöht somit die Isolationswirkung des Schmierfilms. Jedoch ist in einem realen System auch bei Konstanz aller genannten Einflussfaktoren während des Betriebs eine Verschiebung der Durchschlagspannung zu beobachten. Dies ist wahrscheinlich auf den fortlaufenden Auf-, Ab- und Umbau tribochemischer Schichten an den Laufbahnoberflächen zurückzuführen. Bild 5b zeigt den zeitlichen Verlauf der gemessenen Grenzspannung während eines einfachen tribochemischen Lagereinlaufs analog zu dem in Bild 3 dargestellten Versuch. Der Anstieg des gemessenen Durchschlagspunktes ist auf die zunehmende Ausbildung isolierender Reaktionsschichten im Kontakt zurückzuführen. Zum Vergleich sind Messdaten zweier weiterer Versuchsläufe mit erhöhter Schmierfilmdicke (geringere Last) und Basisöl ohne Additivzusätze (Basisöl) dargestellt. Es zeigt sich, dass bei den Versuchen mit vollständig formuliertem Öl erwartungsgemäß höhere Grenzspannungen erzielt werden. In allen drei Fällen ist jedoch ein deutlicher Anstieg der Durchschlagsspannung infolge sich ausbildender Reaktionsschichten festzustellen. Im Fall des Basisöls kann dieser Anstieg vermutlich auf Ölalterungsprodukte und im System verbliebene Additivreste zurückgeführt werden, die beim Spülen des Rohrleitungssystems nicht vollständig entfernt wurden. Auswirkung des tribochemischen Schichtaufbaus bei elektrischer Zusatzbelastung Um den Einfluss und die Auswirkungen des tribochemischen Schichtaufbaus bei elektrischer Zusatzbelastung darzustellen, werden im Folgenden zwei Versuchsläufe verglichen. Bei beiden Läufen wurden mit Ausnahme des gefahrenen Drehzahlprofils die gleichen Versuchsparameter eingehalten und eine konstante Spannung von 6,5 V an die Prüflager angelegt. In der Folge unterscheiden sich beide Versuchsläufe lediglich durch den unterschiedlichen Aufbau tribochemischer Reaktionsschichten. Im ersten Versuch (Bild 6) wurden die Prüflager einer sehr schnellen Abfolge von Drehzahlwechseln mit hohen Sprüngen unterzogen. Hierbei wiederholt sich eine bestimmte Drehzahlfolge mehrfach, unterbrochen durch Phasen in denen der Prüfstand bei maximaler Drehzahl betrieben wurde. Die Zeitspanne bis zum Aufbau einer geschlossenen Oberflächenschicht ist mit (1) gekennzeichnet. In dieser Phase kommt es laufend zu kapazitiven Entladungen über den Schmierfilm, da die Grenzspannung des Systems überschritten wird. Erst in der zweiten Versuchsphase (2) nach ca. 130 Stunden hat sich eine geschlossene Schicht aufgebaut, so dass die kombinierte Isolationswirkung des Schmierspalts und der Oberflächenschichten ausreicht um kapazitive Entladungen zu verhindern. Der Aufbau einer stabilen tribochemischen Reaktionsschicht kann auch anhand der Ölalterung im Kontakt nachvollzogen werden. Während die Menge an gebildeten Carbonylverbindungen mit zunehmender Ausbildung der tribochemischen Schichten immer weiter abnimmt, kommt es in den Phasen maximaler Drehzahl aufgrund des hohen Energieeintrags immer wieder zu erhöhter Carbonylausschüttung. Erst nach der Ausbildung geschlossener Oberflächenschichten in Abschnitt (2) ist bei hohen Drehzahlen keine erhöhte Ölalterung mehr zu verzeichnen. Im zweiten Versuch (Bild 7) wurde bei gleichen Bedingungen ein ähnliches Profil gefahren, das sich jedoch durch deutlich längere Haltezeiten der einzelnen Drehzahlen auszeichnet. Aufgrund der stabileren Schmier- 37 Aus Wissenschaft und Forschung Bild 6: Charakteristischer zeitlicher Verlauf der Drehzahl, der Intensität der Carbonylbande im IR-Spektrum und der Spannung am Prüflager bei schnellen Drehzahlwechseln T+S_5_16 29.07.16 11: 27 Seite 37 38 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 5/ 2016 verhältnisse am Lager kann sich unter diesen Bedingungen bereits nach weniger als 30 Stunden (1) eine vergleichbare isolierende tribochemische Schicht ausbilden. Im Anschluss kommt es in der zweiten Phase des Versuchs (2) zu einem Betriebszustand in dem sich die Lager kontinuierlich im Bereich der Grenzspannung bewegen und sich längere Phasen ohne Entladung mit Phasen seltener, jedoch intensiverer Entladungen abwechseln. Bild 8 zeigt Aufnahmen der metallografischen Schliffe der Versuchslager. Das Prüflager aus dem ersten Versuch (Bild 8a), das dem anspruchsvollen, schnellen Drehzahlprofil ausgesetzt war und dadurch nur sehr langsam eine vermeintlich schützende tribochemische Schicht aufbauen konnte, zeigt nur geringfügige Laufspuren. Trotz der zahlreichen elektrischen Entladungen während der ersten 130 Stunden des Versuchs sind weder am Innenring noch am Außenring klassische Stromdurchgangsschäden, Pittings oder anderweitige Schäden aufgetreten und lediglich eine leichte Laufspur ist in der Lastzone feststellbar. Auch bei der anschließenden Untersuchung konnten keine Gefügeveränderungen festgestellt werden. Im Gegensatz hierzu musste der zweite Versuchslauf mit dem moderaten Drehzahlprofil (Bild 8b) bereits nach 90 Stunden infolge massiver Lagerschäden abgebrochen werden. Die nachfolgende Untersuchung ergab starke Laufspuren an beiden Lagerringen sowie großflächige Ausbrüche und Schälungen Aus Wissenschaft und Forschung Bild 8: Aufnahmen der Laufbahnoberflächen und metallografischen Schliffe der Prüflager (a) Versuchslauf mit anspruchsvollem Drehzahlprofil aus Bild 6 (b) Versuchslauf mit langsamen Drehzahlwechseln aus Bild 7 Bild 7: Zeitlicher Verlauf der Drehzahl und der Spannung am Prüflager bei gemäßigtem Drehzahlprofil T+S_5_16 29.07.16 11: 28 Seite 38 Tribologie + Schmierungstechnik 63. Jahrgang 5/ 2016 am hochbelasteten Innenring. Darüber hinaus zeigten sich weiß anätzende Strukturen, sogenanntes White Structure Flaking, im Gefüge unterhalb der Lastzone. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Ausbildung isolierend wirkender tribochemischer Schichten mit dem Auftreten dieser Schadensbilder in Verbindung steht. 4 Zusammenfassung Erstmals konnte der Aufbau tribochemischer Reaktionsschichten in einem Wälzlager während des Betriebs indirekt anhand der chemischen Zusammensetzung des Schmierstoffes im Kontakt in-situ verfolgt werden. Obwohl die maximale Stromdichte mit weniger als 10 µA/ mm 2 während der Versuche weit unter den in den Literatur genannten Grenzwerten lag, konnten Schadensbilder nachgewiesen werden, die nicht auf klassische Stromdurchgangsschäden zurückzuführen sind. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass der Aufbau isolierender Schichten einen enormen Einfluss auf die Ausfallwahrscheinlichkeit gleichstrombelasteter Lager besitzt und es starke Hinweise darauf gibt, dass schichtbildende Additive wie Zinkdithiophosphate und Kalziumsulfonate an der Ausbildung von Gefügeschäden wie White Structure Flaking beteiligt sind. Besonders massive Schäden und Gefügeveränderungen konnten bei Betriebszuständen beobachtet werden, bei denen der Aufbau isolierender Schichten auf den Laufbahnoberflächen nachgewiesen werden konnte. Literatur [1] A. Muetze, Bearing Currents in Inverter-Fed AC Motors. Dissertation, Darmstadt, 2003. [2] H. Prashad, Tribology in Electrical Enviroments. Elsevier, Amsterdam, 2006. [3] H. Pitroff, Wälzlager im elektrischen Stromkreis. Elektrische Bahnen 1965, 39, 54-61. [4] FAG, Stromisolierende Lager, TPI 206, Schweinfurt, 2011. [5] G. Kure, W. Palmetshofer, Stromisolierte Wälzlager, Evolution 1996, 3, 22-24. [6] S. Noguchi, A. Korenaga, T. Kanada, Occurrence Condition of Electric Current Density in Electrical Pitting, Journal of Advanced Mechanical Design, Systems and Manufacturing 2010, 4 (2), 469-479. [7] B. Pohrer, M. Zürcher, W. Holweger, Y. Korth, M. Wolf, M. Goss, E. 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Trans. 2006, 49 (3), 410-418. 39 Aus Wissenschaft und Forschung Bestellcoupon Tribologie und Schmierungstechnik „Richtungsweisende Informationen aus Forschung und Entwicklung“ Getriebeschmierung - Motorenschmierung - Schmierfette und Schmierstoffe - Kühlschmierstoffe - Schmierung in der Umformtechnik - Tribologisches Verhalten von Werkstoffen - Minimalmengenschmierung - Gebrauchtölanalyse - Mikro- und Nanotribologie - Ökologische Aspekte der Schmierstoffe - Tribologische Prüfverfahren Bestellcoupon Ich möchte Tribologie und Schmierungstechnik näher kennen lernen. Bitte liefern Sie mir ein Probeabonnement (2 Ausgaben), zum Vorzugspreis von 7 39,-. So kann ich die Zeitschrift in Ruhe prüfen. Wenn Sie dann nichts von mir hören, möchte ich Tribologie und Schmierungstechnik weiter beziehen. Zum jährlichen Abo-Preis incl. Versand von 7 189,- Inland (incl. MwSt.) bzw. 7 198,- Ausland. (In der EU bei fehlender UID-Nr. zzgl. MwSt.). Die Rechnungsstellung erfolgt dann jährlich. 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