Tribologie und Schmierungstechnik
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0724-3472
2941-0908
expert verlag Tübingen
0401
2018
652
JungkBiotribologie im Spannungsfeld des Vorbilds natürlicher gleitender Oberflächen und ihrem Ersatz bei technischen Implantaten
0401
2018
Ulrich Witzel
In einem einleitenden Überblick werden der Aufbau, die anatomischen Grundlagen und Funktionen biologischer Gleitlager beschrieben. Die grundsätzliche Inkongruenz der Gelenke fordert eine Vergrößerung der Kontaktflächen durch leicht verschiebliche Kongruenzhilfen und eine straffe Band- und Muskelführung. Die Synovialflüssigkeit als hocheffektives Ernährungs- und Schmiermittel erfährt bei Gelenkbewegungen eine Volumenverschiebung durch sämtliche Gelenkstrukturen und ermöglicht damit zugleich den Ausscheidungsvorgang der Abbauprodukte. Die einzelnen Spezialisierungen der Gelenke bedingen angepasste Freiheitsgrade zur Realisierung aller notwendigen Skelettbewegungen. In den Gelenken werden alle Knorpeloberflächen durch die jeweilige Gelenkresultierende der zu übertragenden Kräfte senkrecht und damit schubfrei belastet, damit Knorpeleinrisse verhindert werden können. Die unbelasteten Knorpelflächen sind glatt und erhalten unter Belastung durch hydrostatischen Druck eine depotgeeignete Topologie, durch die der Reibungsbeiwert zusätzlich verbessert wird. Abschließend wird die derzeitige und zukünftige Endoprothesenentwicklung aufgezeigt.
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Biologische Gleitlager in ihrem allgemeinen Aufbau und ihrer Funktion. Auf stark vaskularisierter Spongiosa, dem weichen Knochen, vorwiegend an den äußeren Enden der Langknochen, den Epiphysen, liegt unterhalb der eigentlichen Gelenkflächen eine lastadaptierte knöcherne Schicht, die subchondrale Lamelle. Auf ihr liegt der Gelenkknorpel, der im Gegensatz zum Faserknorpel als hyaliner Knorpel bezeichnet wird. Hyaliner Knorpel erträgt eine zulässige Druckkraft von p zul = 1,2 N/ mm 2 . Er verliert während der frühen Individualentwicklung seine ernährende Blutversorgung und muss daher durch die Gelenkflüssigkeit versorgt werden. Aus Wissenschaft und Forschung 31 Tribologie + Schmierungstechnik · 65. Jahrgang · 2/ 2018 Biotribologie im Spannungsfeld des Vorbilds natürlicher gleitender Oberflächen und ihrem Ersatz bei technischen Implantaten U. Witzel* Eingereicht: 14. 11. 2017 Nach Begutachtung angenommen: 1. 12. 2017 In einem einleitenden Überblick werden der Aufbau, die anatomischen Grundlagen und Funktionen biologischer Gleitlager beschrieben. Die grundsätzliche Inkongruenz der Gelenke fordert eine Vergrößerung der Kontaktflächen durch leicht verschiebliche Kongruenzhilfen und eine straffe Band- und Muskelführung. Die Synovialflüssigkeit als hocheffektives Ernährungs- und Schmiermittel erfährt bei Gelenkbewegungen eine Volumenverschiebung durch sämtliche Gelenkstrukturen und ermöglicht damit zugleich den Ausscheidungsvorgang der Abbauprodukte. Die einzelnen Spezialisierungen der Gelenke bedingen angepasste Freiheitsgrade zur Realisierung aller notwendigen Skelettbewegungen. In den Gelenken werden alle Knorpeloberflächen durch die jeweilige Gelenkresultierende der zu übertragenden Kräfte senkrecht und damit schubfrei belastet, damit Knorpeleinrisse verhindert werden können. Die unbelasteten Knorpelflächen sind glatt und erhalten unter Belastung durch hydrostatischen Druck eine depotgeeignete Topologie, durch die der Reibungsbeiwert zusätzlich verbessert wird. Abschließend wird die derzeitige und zukünftige Endoprothesenentwicklung aufgezeigt. Schlüsselwörter Gelenkknorpel, Inkongruenz der Gelenkflächen, Gelenkflüssigkeit, biegespannungsfreie Druckstrukturen, Freiheitsgrade von Gelenken, Endoprothesenentwicklung, knöcherner Leichtbau In an introductory overview the structure, the anatomical fundamentals, and functions of biological sliding contact bearings are described. The fundamental incongruence of the joints calls for an expansion of the contact surfaces by means of easily displaceable congruence aids and a tight band and muscular guidance. During joint movements synovial fluid as a highly effective nutrient and lubricant is shifting through all articular lacunae. At the same time it facilitates the removal process of the degradation products. The individual specializations of the joints require adapted degrees of freedom to realize all necessary skeletal movements. In the joints, all the cartilage surfaces are strained perpendicularly and thus thrustfree by the respective joint resultant of the forces to be transmitted, so that cartilage tears can be prevented. The unloaded cartilage surfaces are smooth and change to a depot-suitable topology under hydrostatic compressive load, which additionally improves the coefficient of friction. Finally, the current and future development of endoprostheses is shown. Keywords Articular cartilage, incongruence of joint surfaces, synovial fluid, compression structures without bending stress, degrees of freedom in joints, development of endoprosteses, lightweight construction of bones Kurzfassung Abstract * Prof. Dr.-Ing. Ulrich Witzel, Forschungsgruppe Biomechanik, Institut für Konstruktionstechnik, Fakultät Maschinenbau, Ruhr-Universität Bochum, 44801 Bochum T+S_2_2018_.qxp_T+S_2018 08.02.18 15: 35 Seite 31 Die Inkongruenz der knorpeligen Gelenkflächen würde zu punktuellen Druckspannungsspitzen führen, wenn nicht in jedem Gelenk eine Kongruenzhilfe zur Vergrößerung der jeweiligen Kontaktfläche integriert wäre. Das sind Gelenkzotten bei den Finger- und Zehengelenken, kollagenfaserverstärkte Lippen um Schulter- und Hüftgelenke gelegen, C-förmige Menisken im Kniegelenk (Bild 1) und in jedem Kiefergelenk ein Diskus. Die Gelenke sind durch die Muskulatur trotz ihrer Inkongruenz während der Bewegung straff geführt und durch Bänder gesichert. Nach einer Adduktion (Bild 2) sammelt sich die Synovialflüssigkeit in einer entstehenden Falte der Gelenkkapsel und wird bei der anschließenden Abduktion wieder durch den Gelenkraum hindurch auf die Gegenseite ausgepresst, um die sich dort bildende Gelenkfalte zu füllen. Bei großen Gelenken reichen einfache Gelenkfalten nicht mehr aus. Die Synovia wird in Bursen aufgenommen, die sich in kommunizierender Anordnung durch das Gelenk hindurch wechselseitig füllen und ausgepresst werden (Bild 1a). Diese bewegungsabhängige Volumenverschiebung stellt einen Pumpvorgang für die Synovialflüssigkeit dar, um einerseits die Knorpelernährung im gesamten Kniebinnenraum zu sichern und andererseits Reibung und Verschleiß zu minimieren. Konsequenterweise führt Immobilisation zur Versteifung eines Gelenks. Die reinen biegespannungsfreien Druckstrukturen als knöcherner Leichtbau Der menschliche Stütz- und Bewegungsapparat ist gekennzeichnet durch eine Vielzahl unterschiedlich ausgeformter und nach ihrer Funktion optimierter Knochenstrukturen, die durch Gelenke verbunden sind. Sämtliche Gelenke sind mit ihren Tragstrukturen durch äußere Belastungen und Muskelkräfte beansprucht, die den gesamten Körper in jeder stabilen Position im Gleichgewicht halten. Grundsätzlich verlaufen alle resultierenden Kraftvektoren im knöchernen System durch die Flächenschwerpunkte sämtlicher Querschnittsflächen, insbesondere der Röhrenknochen. Diese biologische Regelleistung wird neurologisch durch Sensoren und Nervenleitungen in Reflexbögen über das Rückenmark bis hin zu Muskelfaseraktivierungen vollbracht und hält dabei das Skelett frei von Biegespannungen. Ingenieurwissenschaftlich betrachtet haben wir hier die Erkenntnis gewonnen, dass im Bereich der Vertebraten, der Wirbeltiere, reine knöcherne Druckstrukturen vorliegen, die absoluten Leichtbau repräsentieren, was energetisch äußerst sinnvoll erscheint. Der beschriebene Druckkraftverlauf durch die Flächenschwerpunkte aller knöcherner Querschnitte bedeutet für die Gelenke einen Kraftverlauf in jeder Gelenkstellung durch ihre Krümmungsmittelpunkte und damit einen senkrechten schubfreien Kraftdurchtritt durch die hyalinen Gelenkknorpelflächen, die nur so im physiologischen Fall ohne Arthrose überdauern. Aus Wissenschaft und Forschung 32 Tribologie + Schmierungstechnik · 65. Jahrgang · 2/ 2018 Biologische Gelenkpartner aus hyalinem Knorpel sind grundsätzlich inkongruent (Bild 1) und besitzen hierdurch keilförmige Gelenkspalte. Mit Hilfe der benetzenden Synovialflüssigkeit erreichen diese Gelenke schon bei geringsten Relativgeschwindigkeiten einen Reibungsbeiwert von 0,002, wie er technisch nur bei hydrodynamischen und hydrostatischen Gleitlagern zu erreichen ist (Bild 4). Die Spalträume der biologischen Gelenke und deren umgebende Gelenkkapseln beherbergen die Synovialflüssigkeit, die von der Synovialmembran, der zottigen Innenauskleidung der jeweiligen Gelenkkapsel gebildet und im ständigen Austausch auch wieder resorbiert wird. Bild 1: Kinematisch geführte Makrobewegungen, Roll-Gleit-Bewegung im Kniegelenk a) Semisagittaler Längsschnitt durch die laterale Kondyle, b) Aufsicht auf das Tibiaplateau, schraffierte Flächen sind Kontaktflächen im Kniegelenk, feinschraffierte Flächen sind Querschnitte der Kreuzbänder b a T+S_2_2018_.qxp_T+S_2018 08.02.18 15: 35 Seite 32 Einteilung der biologischen Gelenke nach Freiheitsgraden mit einem Einblick in das Evolutionsgeschehen Neben Syndesmosen, den bandhaften Verbindungen zweier Knochen durch kollagenes oder elastisches Bindegewebe, gibt es die Diarthrosen, die eigentlichen Gelenke. Von denen kommen die Scharniergelenke mit einem Freiheitsgrad (FG) am häufigsten im Skelettsystem vor. Es sind zunächst die Finger- und Zehengelenke, gefolgt vom Olecranon, dem Kopf des Ellenbogens. Das Olecranon als Mehrflächengleitlager mit Schmiernut (Bild 3b) besitzt einen FG, da weitere FGe durch eine prismenförmige Gleitfläche (Bild 3a, c) und eine Stützfläche des Speichenkopfs (Radiuskopf) verhindert werden. Bemerkenswert ist, dass sich der Radiuskopf, in einem Ligamentring geführt, um 270° drehen kann, um eine ebensolche Drehung der Hand zu ermöglichen (Bild 3c). Gelenke mit zwei FGen finden bei uns seltene Anwendung, z. B. im Sattelgelenk des Daumengrundgelenks. Ein modifiziertes Ellipsoidgelenk, ebenfalls mit zwei FGen, erforschen wir z. Zt. im Schulter- und Hüftgelenk von Plesiosaurus, der als vierflossiger Unterwasserflieger vor 160 Ma lebte. Kondylengelenke, wie in Kniegelenken, weisen mindestens zwei FGe auf, bei Flexion kommt noch ein rotatorischer FG hinzu. Kugelgelenke in den Hüftgelenken und den Schultergelenken besitzen drei FGe, bzw. vier FGe. Die angesprochenen Gelenkformen haben eine ungewöhnlich lange Evolutionsgeschichte. Bei terrestrischen Wirbeltieren konnte ich gerade identische Formen und Funktionen an einem Fund von Bradysaurus feststellen, der vor 263 Ma südlich des Äquators gelebt hatte. Es handelt sich also bei sämtlichen Gelenken um optimierte biologische Entwicklungen, die mindestens über 263 Ma Bestand hatten und uns heute noch dienlich sind. Das Schmier- und Ernährungssystem der Gleitflächen aus hyalinem Knorpel Schmierung und Ernährung von hyalinem Knorpel werden durch die Synovia, einem Dialysat des Blutplasmas, realisiert. Wie bereits ausgeführt, wird sie durch die Synovialmembran in den Gelenkbinnenraum eingeleitet und ständig ausgetauscht. Bei großen Gelenken, z. B. beim Kniegelenk, handelt es sich um ein Volumen von ca. 4 - 6 ml. Da der freie Gelenkraum wesentlich mehr Volumen aufweist, wird er zur Kniescheibe hin durch den sog. Hoffa’schen Fettkörper aufgefüllt, der sich zwischen Synovialmembran und Gelenkkapsel (Membrana fibrosa) befindet (Bild 1). Dieser Fettkörper ist stark durchblutet und mit Nervenfasern und Sensoren versehen. Er wird hierdurch ebenfalls bei Kniebewegungen dazu beitragen, die jeweilige Resultierende sämtlicher Krafteinwirkungen auf das Skelettsystem so zu positionieren, dass optimale Biegespannungsfreiheit eintritt. Die Synovia ist hochviskös und je nach Belastung und Bewegung von unterschiedlicher Viskosität. Bei zunehmender Scherbewegung nimmt die Viskosität ab und die Gelenkreibung verringert sich. Bei steigender Druckbelastung knäulen sich die hochmolekularen Anteile der Synovia zu Kugeln, die sich dann an der Knorpeloberfläche anheften. Sie ist zusammengesetzt aus Proteinen (Eiweiß), Glucose (Traubenzucker), Fetttröpfchen, Hya- Aus Wissenschaft und Forschung 33 Tribologie + Schmierungstechnik · 65. Jahrgang · 2/ 2018 Bild 2: Rechtes Schultergelenk a) die Synovialflüssigkeit befindet sich bei Adduktion in der unteren Gelenkfalte, b) bei 90° Abduktion verschiebt sie sich in die obere Gelenkfalte a b T+S_2_2018_.qxp_T+S_2018 08.02.18 15: 35 Seite 33 In Bild 5a ist eine Umzeichnung einer REM-Aufnahme dargestellt, auf der beispielhaft zwei Chondrozyten über kollagene Fasern fixiert sind. Nahe der Oberfläche eines solchen Knorpelbereichs sind in einer Hauptschubrichtung, z. B. unter einem Meniskus Deckfasern angeordnet. Bei einer leichten Austrocknung der Knorpelober- Aus Wissenschaft und Forschung 34 Tribologie + Schmierungstechnik · 65. Jahrgang · 2/ 2018 luronsäure (C 14 H 21 O 11 N); sie ist der entscheidende Faktor für die Wasserspeicherung und die Druckbeständigkeit des Knorpels, 0,5 % Mucine (zentrale Proteinkette mit langen Seitenketten aus Polysacchariden), 94 % Wasser. Der pH-Wert liegt im neutralen Bereich von 7,3 - 7,4. Bild 3: Flexions- und Rotationsbewegungen im Ellenbogengelenk, a) Unterarmknochen mit Gelenkflächen b) Schnitt durch das Ellenbogengelenk, Mehrflächengleitlager mit Schmiernut, die in Verbindung mit der Gelenkkapsel steht c) Ringband zur Führung der rotierenden Speiche um 270° und Draufsicht auf die geteilte Gleitfläche des Ellenbogengelenks mit Zuströmnut für die Gelenkflüssigkeit. Bild 4: Hydrostatisches a) und hydrodynamisches Gleitlager b) Reibungsbeiwert = 0.002 a b T+S_2_2018_.qxp_T+S_2018 08.02.18 15: 35 Seite 34 fläche unter dem Mikroskop prägen diese Deckfasern die Oberfläche in einem regelmäßigen Profilbild (Bild 5b). In der physiologischen Situation ist die Knorpeloberfläche natürlicherweise glatt, besitzt jedoch durch die eingebetteten Deckfasern ein Steifigkeitsprofil, das unter Gelenkdruck Schmierrillen ausbilden kann. Schmierrillen, Schmiertaschen und Schmierstoffdepots sind in den Bildern 5c und 6 im Rahmen ihrer technischen Anwendungen bei Gleit- und Verbundgleitlagern ersichtlich. Gleitflächen aus hyalinem Knorpel setzen, wie eingangs ausgeführt, zwingend kommunizierende Reservoire in einem geschlossenen Synovialraum innerhalb einer ebenfalls geschlossenen und stabilen Gelenkkapsel voraus, um einen sicheren Transport und Austausch der Sy- Aus Wissenschaft und Forschung 35 Tribologie + Schmierungstechnik · 65. Jahrgang · 2/ 2018 Bild 5: Gelenkknorpel, a) Chondrozyten, b) angetrocknetes Gelenkknorpel-Präparat mit Deckfaserausprägung, c) Beispiele von Oberflächenstrukturen bei technischen Lagern Bild 6: Mikro- und Makroschmiertaschen, Gleitlager und Metall-Polymer-Verbundgleitlager ggt gleit-technik ag, 2014 a) Gleitelemente mit Festschmierstoffdepots, b) Lageraufbau mit Gleitschicht aus POM mit eingeprägten Schmiertaschen (0,3 - 0,5 mm), mit poröser Schicht aus Sinterbronze (0,2 - 0,35 mm), mit Korrosionsschutzschicht aus Kupfer oder Zinn a b b a T+S_2_2018_.qxp_T+S_2018 08.02.18 15: 35 Seite 35 ration. Wir fanden theoretisch und numerisch den mechanischen Grund in der hohen mechanischen axialen Steifigkeit der Metallschäfte relativ zur knöchernen Diaphyse, die eine Kraftleitung bis in das untere Schaftdrittel erbrachte und erst hier die Krafteinleitung in das Knochenrohr ermöglichte. Proximal verursachte also der Prothesenschaft ein unphysiologisches Stressshielding für den Knochen 1) . Die Folge dieser Untersuchungen war die Entwicklung unserer Gleitlagerprothese 2) , deren Schaft in seiner unteren 2/ 3 Länge ein zylindrisches Loslager besitzt, das keinen axialen Kraftübertritt erlaubt. Der Kraftfluss in den Knochen muss damit proximal in physiologischer Art und Weise erfolgen und verhindert damit jegliche Atrophie. Das Gleitlagerprinzip zur Atrophieverhinderung wird mittlerweile weltweit bei sämtlichen Prothesenschäften in abgewandelter Form realisiert. Die Schäfte sind proximal strukturiert, um zur Kraftübertragung einheilen zu können und distal glatt und poliert, um gegenüber dem Knochen bei einer Hüftgelenkbelastung eine Relativbewegung ohne Axialkraftübertritt und ohne Einheilung ausführen zu können (Bild 7b). Damit hat das Festlager - Loslager - Prinzip der Konstruktionstechnik Anwendung in der Endoprothesenentwicklung gefunden. Aus Wissenschaft und Forschung 36 Tribologie + Schmierungstechnik · 65. Jahrgang · 2/ 2018 novia zu gewährleisten. Erst dann sind die Ernährung, gute Schmierung mit sehr geringen Reibungsbeiwerten und geringer Verschleiß des hyalinen Knorpels gesichert. Eine Unterbrechung des hydraulischen Synoviasystems z. B. durch eine Abdeckung der Knorpeloberfläche durch ein Implantat, wie es die Bild 7a nach der Implantation einer Duokopfprothese zeigt, führt zur Arthrose in der natürlich belassenen Hüftgelenkpfanne. Eine Hinterhornläsion eines Meniskus im Kniegelenk kann die hintere Gelenkkapsel beschädigen und zu einer Gewebeaussackung, der sog. Baker-Zyste führen 1) . Die damit verbundene Vergrößerung des Synoviavolumens bis zu 400 % führt zu einer entzündlichen Reaktion der Synovialzellen mit einem gleichzeitig verminderten Nährsubstanzgehalt der Synovia. Mit fortschreitender Gelenkentzündung nimmt die Demaskierung der kollagenen Fasern zu mit einhergehender Vergröberung der Knorpeloberfläche. Bei Gelenkpunktaten beobachteten wir ein Absinken des pH-Werts auf < 7. Die Autoren gaben die Empfehlung, Baker-Zysten operativ zu entfernen, um jede Störung des synovialen und hydraulischen Systems des Kniegelenks zu beseitigen. Bis ca. 1990 wurden in der Hüftendoprothetik lange Prothesenschäfte eingesetzt, die größtenteils über ihre gesamte Länge auf ihrer Oberfläche stark strukturiert waren. Das führte p. o. innerhalb eines Jahres zu einer distalen Einheilung (am unteren Ende) und einer proximalen hochgradigen Atrophie und Auslockerung (am oberen Ende) mit der Notwendigkeit einer Wechselope- Bild 7: Hüftendoprothesen, a) endoprothetische Versorgung nach fehlgeschlagener Osteosynthese mit einer Duokopfprothese, bei der eine große Kopfschale dem kleineren eigentlichen Prothesenkopf als Gelenklager dient, b) Totalendoprothese für eine zementfreie Implantation mit einem rauen proximalen Schaftbereich für eine knöcherne Einheilung. Kopf/ Pfannenlager aus Keramik und Polyethylen (Zimmer Biomed) 1) W. K. Krudwig, U. Witzel, Die Baker-Zyste, ein präarthrotischer Faktor? Unfallchirurgie 20 (1994) 1) U. Witzel, Dreidimensionale Spannungsanalyse von Hüftendoprotheseneinbettungen und Synthese einer Gleitlagerprothese als neuartige Verbundprothese, VDI-Berichte Nr. 514, 1984, VDI-Verlag 2) U.Witzel, Zur Biomechanik der Hüftendoprothetik unter besonderer Berücksichtigung der Gleitlagerprothese. In B. Maaz und H. Gierse (Hrsg), Aktueller Stand der zementfreien Hüftendoprothetik, Georg Thieme Verlag (1989) a b T+S_2_2018_.qxp_T+S_2018 08.02.18 15: 35 Seite 36 In der Bild 7b ist ebenfalls das mechanische Hüftgelenk einer Totalendoprothese dargestellt. Es besteht aus dem Prothesenkopf aus Aluminium-Oxid-Keramik mit innerem Morsekonus, über den die Verbindung zum Schaft hergestellt wird. Dieser Kopf artikuliert mit einem Hüftpfanneninlay aus Polyethylen (UHMWPE), das zum äußeren Abriebschutz in eine hemisphärische Titanschale mit Außenstruktur drehsicher eingerastet ist. Während der Entwicklung solcher Totalendoprothesen sind u. a. dynamische Untersuchungen auf Hüftgelenksimulatoren vorgeschrieben. Dabei sind auch Abriebuntersuchungen nach ISO 14242 durchführbar, die bei einer baugleichen Prothese unter 3 kN Belastung z. B. 22 mg/ 10e6 Zyklen PE Abrieb in Bovine Serum ergab 1) . Obwohl die praktizierte Tribologie mit Reibungs-, Schmierungs- und Verschleißforschung bei heutigen Endoprothesenentwicklungen auf wichtigen Erkenntnissen aufbauen kann, bleibt jedoch neben dem Wunsch nach einer dauerhaften Implantat-Knochen-Integration das Ziel einer weiteren Annäherung an die natürlichen Vorgaben der Biotribologie bestehen. Diese Vorgaben sind noch längst nicht erreicht.1980 konnten Endoprothesen 7,5 Jahre im Durchschnitt im Körper verbleiben; heute rechnet man mit 15 Jahren mittlerer Tragzeit bis ein Implantat endgültig versagt. Der operative Austausch von Verschleißmodulen wird propagiert, kann aber nicht die endgültige Lösung sein. Vielmehr sollte das Studium der natürlichen Vorbilder, von denen einige wenige in diesem Beitrag behandelt sind, für uns einen starken Forschungsanreiz geben. Aus Wissenschaft und Forschung 37 Tribologie + Schmierungstechnik · 65. Jahrgang · 2/ 2018 1) C. Kaddick und M. A. Wimmer, Hip simulator wear testing according to the newly introduced standard ISO 14242, Proc Instn Mech Engrs Vol 215 Part H, 2001 Bestellcoupon Tribologie und Schmierungstechnik „Richtungsweisende Informationen aus Forschung und Entwicklung“ Bestellcoupon (0 71 59) 92 65-20 " T+S_2_2018_.qxp_T+S_2018 08.02.18 15: 35 Seite 37
