eJournals Tribologie und Schmierungstechnik 67/4

Tribologie und Schmierungstechnik
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0724-3472
2941-0908
expert verlag Tübingen
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2020
674 Jungk

GfT-Förderpreis Dissertation

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Stefan Thielenhttps://orcid.org/https://orcid.org/0000-0003-3310-7659
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Nachrichten 49 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 4/ 2020 Entwicklung eines TEHD-Tribosimulationsmodells für Radialwellendichtringe Stefan Thielen * Zusammenfassung Im Rahmen der Dissertation wurde ein TEHD-Tribosimulationsmodell für Radialwellendichtringe entwikkelt. Um den gestiegenen Anforderungen an die Lebensdauer und die Energieeffizienz von Radialwellendichtringen (RWDR) gerecht werden zu können, sind detaillierte mikroskalige Simulationen des Dichtkontakts nötig. Dafür kommen typischerweise (T)EHD Simulationen zum Einsatz. Der Umfang veröffentlichter Simulationsmodelle zu diesem Thema reicht von eher einfachen EHD Simulationen bis hin zu sehr detaillierten TEHD Modellen. Nur wenige Simulationsmodelle berücksichtigen die Rauheit und/ oder Mikrostruktur beider Kontaktflächen, da dies die Berücksichtigung transienter Effekte notwendig machen würde. Daher wurde ein transientes TEHD Modell zur Simulation des Dichtkontaktes von RWDR entwickelt und vorgestellt. Untersuchungen des Dichtkontaktes und gezielter Mikrostrukturierung sowie eine experimentelle Validierung wurden durchgeführt. Abstract In this Dissertation, a TEHL-Tribosimulation model for radial shaft seals has been developed. Regarding the increasing demand in seal lifetime and energy efficiency, a detailed microscopic simulation is necessary - as an addition to experimental investigations - to better understand and improve radial shaft seals. For this purpose, typically TEHL simulations are used. The published models range from rather simple EHL models to very sophisticated TEHL models. Only very few models take into account the roughness or micro-structure of both contact surfaces, though, since this would require the consideration of transient effects. Therefore, a transient TEHL model for the contact of radial shaft seals has been developed and presented. Studies of the sealing contact, targeted microstructuring and an experimental validation were conducted. 1 Einleitung Radialwellendichtringe (RWDR) werden zur Abdichtung von rotierenden Wellen eingesetzt. Auf Grund von gestiegenen Anforderungen an Energieeffizienz und Lebensdauer [1] wird eine sorgfältige Auswahl und Auslegung des Dichtsystems unumgänglich. Dabei können sich weder Hersteller noch Anwender nur auf experimentelle Untersuchungen verlassen. Geeignete Simulationswerkzeuge erlauben die Untersuchung der Wirkmechanismen von RWDR auch auf der Mikroskala. Darüber hinaus ermöglichen sie eine eingeschränkte Vorhersage des Dichtsystemverhaltens. Neben makroskopischen Simulationen mit Hilfe von Finite Elemente Modellen kommen dazu auch elastohydrodynamische GfT-Förderpreis Dissertation * Jun. Prof. Dr.-Ing. Stefan Thielen Lehrstuhl für Maschinenelemente und Getriebetechnik, Technische Universität Kaiserslautern, 67663 Kaiserslautern, Orcid-ID: https: / / orcid.org/ 0000-0003-3310-7659 Bild 1: Verschiedene Simulationsmethoden für den Schmierspalt von RWDR auf der Mikroskala. V. l. n. r.: Hydrodynamische Simulation ohne Verformungsberechnung, Thermo-Hydrodynamik, Elastohydrodynamik, Thermo-Elastohydrodynamik, Simulation der Wellenstruktur mit glattem Gegenkörper (Dichtkante) und durch transiente Elastohydrodynamik. Nachrichten 50 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 4/ 2020 (EHD) Simulationen zum Einsatz. Wird auch die Temperaturverteilung im Schmierfilm betrachtet, so spricht man vom Thermo-Elastohydrodynamik (TEHD). Die existierenden Modelle unterscheiden sich deutlich in ihrem Umfang. Nur wenige Modelle erlauben eine Temperaturberechnung. Bei der Untersuchung von gezielter Strukturierung wird zudem meist angenommen, dass der andere Kontaktkörper glatt ist, um transiente Effekte zu vernachlässigen (vgl. Bild 1). Zum Zeitpunkt der Dissertation existierte noch kein Modell, das sowohl thermische Effekte als auch die transienten Vorgänge im Dichtkontakt gleichzeitig simuliert. 2 Simulationsstrategie Um die Geometrie und Oberflächenrauheiten von Welle und Dichtkante zu berücksichtigen, wurde zum einen die Geometrie und die dominante Rauheit der Dichtkante (in der Regel deutlich größer als die der Welle) in der Schmierspaltgleichung mit Hilfe von Sinusfunktionen nachgebildet. Das Simulationsgebiet wurde dabei mit Periodizitätsrandbedingungen in Umfangsrichtung auf eine Wellenlänge der Dichtkantenrauheit reduziert. Sekundäre Anteile der Dichtkantenrauheit, die hier nicht berücksichtigt werden konnten, sowie die Rauheit der Welle wurden indirekt mit Festkörperkontaktdruckkurven und Flussfaktoren berücksichtigt. Zur Beschreibung der Hydrodynamik kam die allgemeine R EYNOLDS gleichung mit Flussfaktoren und masseerhaltendem Kavitationsmodell zu Einsatz. Die Verformung wurde mit Hilfe der Halbraum-Theorie berechnet. Dabei waren Korrekturen zur Berücksichtigung der Periodizität des Simulationsgebietes in Umfangsrichtung und der Strukturdeformation der Dichtkante nötig. Die Temperaturberechnung im Schmierspalt erfolgte mit Hilfe der Energiegleichung und üblichen Randbedingungen. Die Wärmeableitung über die Welle wurde mit Hilfe eines einfachen Thermischen Netzwerkes realisiert. 3 Simulationsergebnisse Das Modell erlaubt eine umfassende Analyse der Vorgänge im Dichtkontakt und des Betriebsverhaltens von RWDR. Am Beispiel eines RWDR der Bauform BAUM 5X7 80-100 -10 aus 75 FKM 585 in Kombination mit einer geschliffenen Welle und einem unadditivierten Modellschmierstoff auf PAO Basis der SAE Klasse 0W-20 werden im Folgenden ausgesuchte Simulationsergebnisse vorgestellt: So wurde beispielsweise der Schmierfilmaufbau bei verschiedenen Drehzahlen untersucht. In Bild 2 l ist der Schmierfilm im Wellenstillstand und für verschiedene Wellendrehzahlen dargestellt. Im Wellenstillstand wird die Rauheitsspitze flach an die Wellenoberfläche gepresst und abgeplattet. Durch die Wellenrotation und den damit verbundenen Aufbau eines hydrodynamischen Tragdruckes im konvergenten Spalt vor der Rauheitsspitze bildet sich schon bei sehr geringen Drehzahlen ein keilförmiger Spalt zwischen Rauheitsspitze und Wellenoberfläche aus. Die Oberflächen werden folglich schon teilweise durch einen tragenden Schmierfilm getrennt. Anfänglich steigt die Schmierfilmhöhe schnell an, bis sie sich allmählich asymptotisch einem Grenzwert nähert. Es zeigt sich, dass der RWDR sich auch bei hohen Drehzahlen noch im Mischreibungsgebiet befindet, da noch ca. 10 % der Radialkraft durch Rauheitskontakt getragen werden. Bild 2: Links: Aufbau eines Schmierfilms zweiter Ordnung unter den Rauheitskuppen im Dichtkontakt. Dargestellt als Höhenprofil des Schmierspaltes in einem axialen Schnitt, rechts: Temperatur, Hydrodynamischer Druck und Spalthöhe im Simulationsgebiet bei 4500 min -1 . Nachrichten 51 Tribologie + Schmierungstechnik · 67. Jahrgang · 4/ 2020 Neben der Umlenkung des Schmierstoffs um die Rauheitsspitzen im Dichtkontakt (s. Bild 3 l) lässt sich mit dem TEHD Modell auch die lokale Schmierstofftemperatur bestimmen (s. Bild 2 r). Die Maximaltemperatur liegt deutlich über der für den gesamten Schmierspalt gemittelten Temperatur, was eine Erklärung für die immer wieder beobachtete Ölkohlebildung im Dichtkontakt von RWDR sein könnte. Am Beispiel einer mikrostrukturierten Wellenoberfläche konnte gezeigt werden, dass das TEHD-Tribosimulationsmodell transiente Effekte simulieren kann. Bild 3 r zeigt den Verlauf des Reibmoments bei 1000 min -1 . Die Spalthöhe verändert sich periodisch mit jedem Durchlauf der Struktur durch das Simulationsgebiet. Umgekehrt verhält sich das Reibmoment. Es zeigt sich eine Abhängigkeit von der relativen Position zwischen Wellenstruktur und Dichtkante, wobei das Reibmoment mit steigender Schmierspalthöhe erwartungsgemäß sinkt. Sobald die Struktur den Druckberg vor den Rauheitsspitzen auf der Dichtkante passiert, steigt die mittlere Schmierspalthöhe schnell an und fällt wieder ab, sobald die Struktur in den nächsten Druckberg einläuft. Die Wirkung der Struktur scheint somit im divergenten Spaltbereich hinter dem Spaltminimum am größten zu sein. Im Vergleich mit dem Reibmoment im unstrukturierten Fall ist eine deutliche Reibmomentreduzierung zu erkennen. Eine Validierung der Simulationsergebnisse durch Reibmomentmessungen zeigte, dass im unteren Drehzahlbereich, bei kleinen Spalthöhen und hohem Festkörperkontakt das Reibmoment leicht unterschätzt und dass bei sehr hohen Gleitgeschwindigkeiten das Reibmoment leicht überschätzt wird. Bei kleinen Spalthöhen sind Hysteresereibungseffekte sehr dominant und bei hohen Drehzahlen kann es zu Scherverdünnung im Schmierstoff kommen. Beide Effekte wurden noch nicht im Modell berücksichtigt, was die Abweichungen erklärt. Die Integration in das Modell ist im Rahmen zukünftiger Arbeiten geplant. 4 Zusammenfassung und Ausblick In Rahmen der Dissertation wurde ein TEHD-Tribosimulationsmodell für RWDR entwickelt, mit dem die lokalen Schmierstofftemperaturen und auch transiente Effekt berücksichtigt werden können. Mit diesem Model konnten grundlegende Untersuchungen zum Betriebsverhalten eines Dichtsystems mit RWDR durchgeführt werden. Außerdem wurde nachgewiesen, dass das Modell die Berücksichtigung von transienten Effekten erlaubt. Darüber hinaus soll durch eine Erweiterung des TEHD- Tribosimulationsmodells um eine Beschreibung von Hysteresereibungsanteilen, einem Nicht-N EWTON ’schen Schmierstoffmodell und Wandschlupfeffekten die Vorhersagegüte weiter verbessert werden. Danksagung Die Arbeiten im Rahmen der Dissertation wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert - Project-ID 172116086 - SFB 926. Literatur Aus Platzgründen wurde im Rahmen dieses Kurzbeitrages auf die Angabe von Details und weitreichender Literaturstellen verzichtet. Genauere Informationen zum Simulationsmodell und der verwendeten Literatur können der Dissertation und den dazugehörigen Veröffentlichungen entnommen werden: [1] Thielen, S.: „Entwicklung eines TEHD-Tribosimulationsmodells für Radialwellendichtringe“. Dissertation, TU Kaiserslautern, 2019 [2] Thielen, S.; Magyar, B.; Sauer, B.: „Thermo-Elasto- Hydrodynamic Lubrication Simulation of Radial Shaft Sealing Rings“. ASME Journal of Tribology, May 2020; 142(5): 052301. https: / / doi.org/ 10.1115/ 1.4045802 [3] Thielen, S., Sauer, B.: „Thermo-Elastohydrodynamische Simulation von Radialwellendichtringen“. Tribologie und Schmierungstechnik 67, 3, S. 5-14, (2020). Bild 3: Links: Fluidumlenkung durch die Rauheitsspitzen im Dichtkontakt (skaliert), rechts: Reibmomentverlauf einer mikrostrukturierten Welle. Der Beitrag von Herrn Dr. Thielen wurde bereits in der TuS 3/ 2020 in voller Länge veröffentlicht.