eJournals Vox Romanica 51/1

Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
1992
511 Kristol De Stefani

WILHELM POETTERS, Begriff und Struktur der Novelle. Linguistische Betrachtungen zu Boccaccios «Falken», Tübingen (Niemeyer), 1991, 216 p.

121
1992
J.-C. Mühlethaler
vox5110263
Besprechungen - Comptes rendus 255 Von der Neigung zur Synkope her gesehen ermittelt Verf. die folgende Hierarchie der Konsonantenkonstellationen als Rahmen eines potentiell synkopierbaren Vokals (49): Diff. Silbenkontakt Silbenstrukturänderung 3 LIQ-PLOS keine 2 LIQ-FRIC NAS-PLOS keine 1 LIQ-NAS NAS-FRIC FRIC-PLOS keine 0 LIQ-LIQ NAS-NAS FRIC-FRIC PLOS-PLOS keine/ Ambisyllabierung -1 NAS-LIQ FRIC-NAS PLOS-FRIC Ambisyllabierung -2 FRIC-LIQ PLOS-NAS Ambisyllabierung -3 PLOS-LIQ Resyllabierung Daran schließt eine ausgedehnte Diskussion der einzelnen Konstellationen und ihrer Behandlung in der Romania an, wobei auch weitere Faktoren wie Gleichheit/ Verschiedenheit des Artikulationsortes usw. mitberücksichtigt werden; besondere Aufmerksamkeit wird der Konstellation K vok . bzw. der Natur des auf Kfolgenden Vokals gewidmet, sowie dem Verhalten des Synkopevokals A (77ss.). Das Kapitel schließt mit der Feststellung: Die beschriebenen Prozesse haben alle eine Optimierung des Silbenkontakts, d. h. eine Verbesserung des Stärkeverhältnisses im Silbenkontakt zum Ziel und sind damit funktional zu begründen. Veränderungen in der genetischen Stärke wurden bisher in dieser Hinsicht wenig beachtet und sind für die Romania noch nicht systematisch untersucht. Die Anpassung der genetischen Stärke bei Konsonantenkontakten und vor allem das Auftreten «unorganischer» Konsonanten wurden nicht als prosodisch bedingte Prozesse erkannt, weshalb die Belege analogisch erklärt oder anderen Etyma zugeordnet werden mußten. (89) Kapitel 3 ist dann der Entwicklung von A[ gewidmet (90ss.). Auch hier leitet ein kurzer Forschungsbericht die Erörterungen ein. Geisler vertritt die Auffassung, die Entwicklung A[---+ e habe als Diphthongierung zu gelten 17, die durch die Akzentdruckzunahme ausgelöst wurde allerdings wegen der großen «genetischen» Stärke von A und der sich daraus ergebenden Resistenzfähigkeit erst relativ spät. Nacheinander werden die Verhältnisse unter dem Hauptton (93ss.) sowie in neben- und nachtoniger Silbe (96ss.) diskutiert sowie die möglichen Einflüsse der phonologischen Umgebung und anderer Faktoren erörtert (97ss.). Mit dem 4. Kapitel, das der Palatalisierung von K gewidmet ist (123ss.), kommen wir zur Behandlung von Sekundärprozessen im Obstruktionsbereich. Auch wird die Diskussion mit einem Forschungsbericht eröffnet, der von Morf 1911 bis zu Coseriu 1974 und Straka 1979 führt und zum Schluß gelangt, daß es sich bei der Palatalisierung nicht nur um eine Anpassung an die palatale Umgebung handeln kann diese ist zwar eine notwendige, keineswegs aber eine ausreichende Bedingung, denn Palatalisierungen finden sich nur bei koartikuliertem (d. h. starkem) Kund überdies nur in Phasen der Silbenanlautstärkung (124s.). Weiter werden die unterschiedlichen Palatalisierungsgrade erörtert (126), die in der Romania in ganz unterschiedlichen Konstellationen auftreten; daß das Palatalisierungsphänomen im französischen Sprachraum am stärksten vertreten ist, überrascht wohl niemanden. Die Diskussion des Einflusses der vokalischen Umgebung führt dann zu folgender Hierarchie (129): 17 Auch das ist nicht neu, meiner Meinung nach aber unabweisbar. 256 Besprechungen - Comptes rendus Letztlich kann man in der Romania vier Palatalisierungskonstellationen ermitteln: 1. K e / i entwickelt sich zu einer alveolar-präpalatalen Affrikate [tf], während K 3 erhalten bleibt: Rumänien, Mittel- und Süditalien, Teile der Lombardei, Pikardie und Normandie. 2. K e / i wird zu einer postdentalen Affrikate [ts] (u. U. auch zu [s]), während K 3 erhalten bleibt: Westromania, Okzitanisch, z. T. auch Norditalien.. 3. K e / i wird zu einer alveolar-präpalatalen Affrikate [tf], während sich K 3 zu einem mediopalatalen Quetschlaut entwickelt: rätoromanischer Raum, Friaul und gewisse galloitalienische Dialekte. 4. K e / i entwickelt sich zu [ts], K 3 dagegen zu [tf]. Dieser Typ kommt nur im Französischen (bzw. Altfranzösischen), im Frankoprovenzalischen und in gewissen galloitalienischen Dialekten vor. Im Anschluß an diesen typologischen Überblick werden dann exemplarisch noch der galloromanische, der rätoromanische und der galloitalienische Raum durchdiskutiert. Das letzte Materialkapitel schließlich befaßt sich mit der Behandlung von intervokalischem K im Altfranzösischen (141ss.) auch dies eine exemplarische Darstellung, überdies mit starker räumlicher und zeitlicher Begrenzung. Nach Geisler muß das intervokalische K im Lat. als koartikuliert gelten und ist deshalb geschützt. Erst aufgrund der im Anschluß an die Akzentdruckverstärkung stattfindenden Ausgleichsphänomene wird es zu einem späteren Zeitpunkt ambisyllabiert, und zwar zuerst in der Haupttonsilbe; von hier aus hätte sich die Erscheinung dann auf die andern Silbentypen ausgedehnt. Da der Plosiv aufgrund seiner «genetischen» Stärke aber für eine Ambisyllabierung wenig geeignet ist, sind «Optimierungen» in der Form eines Abbaus des Plosivstatus notwendig, d. h. Sonorisierungen, Frikativierungen usw. 18. Die Ausgestaltung der Modifikationen ist in hohem Maße von der Stellung zum Akzent und von der vokalischen Umgebung abhängig, wie aus der anschließenden Detailbehandlung der verschiedenen Typen deutlich wird. Auch hier kommt es zu keinen neuen Erkenntnissen: Es wird nur längst Bekanntes reformuliert. * Geislers Versuch leistet sicher eine interessante Integration von bisher isoliert betrachteten Phänomenen und wirkt so einer seit der Zeit der Junggrammatiker verbreiteten Atomisierung von Fakten und Phänomenen entgegen. Viele seiner Überlegungen sind auch durchaus einleuchtend, wenn sie auch oft weitgehend hypothetischen Charakter haben oder auf einer zirkulären Argumentationsstruktur beruhen. Allerdings ist es keineswegs so, daß sich im Rahmen von Geislers Ansatz der gesamte Lautwandel erklären ließe aber dies hat er auch selbst nie behauptet. Auffälliger ist, daß selbst in Bereichen, die er für seinen Ansatz in Anspruch nimmt, das Erklärungsmuster keineswegs immer greift. So muß er z. B. bei der Diphthongierung von A[ selbst darauf hinweisen, daß es auch andere Erklärungsmöglichkeiten wie die Einwirkung von Palatalen, Umlauten usw. gebe (42). Bei der Affrikatenbildung bleibt die doch entscheidende Frage offen, ob es sich nun um einen Verstärkungs- oder Abschwächungseffekt handele (42). Die Tatsache, daß in der Umgebung Nas.-Nas. die Synkope im Spanischen weiter geht als im Portugiesischen und Katalanisch/ Okzitanischen, verleitet Geisler zu einer schwer nachvollziehbaren Hypothese über eine genetische Stärkeveränderung von n und m vor der Synkopierung, damit das allgemeine Bild einer von Nordfrankreich ausstrahlenden und sich gegen die Peripherie der Romania immer mehr abschwächenden Entwicklung nicht gestört wird (69). Und bei den verwirrenden Ergebnissen für A[ mit Liquidobstruktion (SALEM---+ sei, TALEM -, tal/ tel, VALET---+ valt usw.) fällt ihm nichts anderes mehr ein, als unterschiedliche Entwicklungen in verschiedenen Dialekten anzunehmen, die dann in einem größeren Raum ausgeglichen worden 18 Die Frage scheint allerdings berechtigt zu sein, ob hier nicht das Pferd am Schwanz aufgezäumt wird. Der stark teleologische Charakter von Geislers Ansatz läßt ihm aber wohl keine andere Wahl, als die Ambisyllabierung an die erste Stelle der Anpassungsphänomene zu setzen. Besprechungen - Comptes rendus 257 wären (104s.). Wie wäre es mit der viel traditionelleren Sicht, daß man bei tal! tel, al!el, mal/ mel mit einer neben- und einer haupttonigen Entwicklung rechnen muß, wobei zu einem späteren Zeitpunkt die Funktionsdifferenzierung aufgegeben wird, und daß -m eben viel früher verstummt als -t und so grundlegend andere Bedingungen für die Entwicklung im vokalischen Bereich entstehen? Und schließlich wäre auch noch darauf hinzuweisen, daß bei der Diphthongierung A[---+ ae (---+ e) für die Schließung des zweiten Vokalsegments eine Abschwächung der Artikulation gegen Ende der Dehnung hin angenommen werden muß; da wüßte man natürlich gerne, wie Geisler Diphthongierungen vom Typus offenes E[---+ ie und offenes 6[-- -+ uo erklärt. Detailkritik ähnlicher Art könnte noch in zahlreichen anderen Punkten vorgetragen werden. Schwerwiegender scheint mir jedoch die Tatsache, daß die Erklärung des Lautwandels durch Erhöhung des Akzentdruckes und damit verbundene Optimierungsverfahren so lange letztlich nichts erklärt, als Geisler uns die Antwort schuldig bleibt, warum es denn zu einer Akzentdrukkerhöhung kommt wir haben letztlich nur eine post festum-Beschreibung. Sollte Geisler hier an eine Einwirkung des germanischen Superstrats (das ja in der Romania ganz unterschiedlicher Natur ist) denken? Er sagt es nirgends, und doch legen die Ausführungen dies oft nahe, zumal er die Sonderstellung des normannisch-pikardischen Raumes bezüglich der Palatalisierung und der Entwicklung von A[ auf eine späte Schwächung der ursprünglichen Gegebenheiten durch den Einfluß der Normannen zurückführt. Gerechterweise muß man allerdings zugestehen, daß die Schwächen von Geislers Ansatz im Kernbereich der Arbeit nie größer sind als die konkurrierender Erklärungsversuche. Viel problematischer sind dagegen gewisse Aussagen, die eher den «Randbereich» betreffen und wo Geisler in verhängnisvoller Weise dazu neigt, traditionelle Klischees ohne weitere Hinterfragung zu übernehmen. So wird z. B. behauptet, der Übergang vom Lateinischen zum Romanischen falle mit einem Überg'ang von der OVzu einer VO-Struktur zusammen (4). Nur: daß das Lateinische eine OV-Sprache gewesen sei, ist mehr als fragwürdig. Selbst für die klassische Literatursprache kann allerhöchstens von einer gewissen Tendenz in diese Richtung gesprochen werden; sowohl im Altlatein als auch im Vulgärlatein dominiert aber VO, und da das Vulgärlatein auch in vielen andern Fällen die altlateinischen Gegebenheiten fortsetzt, müßte man eigentlich annehmen, dies gelte auch für das Sprechlatein der Zwischenphase. - Aufgrund der Entwicklung OV-+ VO wird auch eine (korrelative) Veränderung der Satzprosodie behauptet: Wir hätten einen Übergang von einem fallenden zu einem steigenden Intonationsverlauf (4). Derartige Behauptungen sind in den Kreisen um Vennemann nicht selten, doch werden sie dadurch nicht annehmbarer. Wer weiß denn wirklich etwas über die lateinische Intonation und kann dies auf einigermaßen überprüfbare Weise belegen? Wir bewegen uns hier im Bereich der vollkommen willkürlichen Spekulationen. - Nicht besser steht es um die Behauptung, wir hätten im gleichen Zusammenhang mit einem Übergang von einem melodischen zu einem expiratorischen Akzent zu rechnen (5). Auch dies ist ein traditionelles Klischee, für dessen auch nur annähernde Richtigkeit es nicht die Spur eines Beweises gibt. V. a. müßte auch in Rechnung gestellt werden, daß bei suprasegmentalen Phänomenen immer Intensität, Dauer und Tonhöhe beteiligt sind und diese Parameter in einer kompensatorischen Relation zueinander stehen; ein nur auf einem dieser Parameter beruhender Akzent ist somit von vornherein auszuschließen. - Als Illustration für die Rückwirkungen der veränderten Satzprosodie (fallend -, steigend) auf die Wortprosodie werden Beispiele wie lat. muro fr. au mur angeführt (5). Dies gilt allerdings höchstens für das Französische, denn im Sp., Port., lt. usw. gibt es keine vergleichbare Generalisierung der Oxytonie. - Im gleichen Zusammenhang (5) wird auch behauptet, der französische Akzenttyp eigne sich wegen seiner Druckstärke besonders dazu, wortübergreifende Akzenteinheiten zu schaffen und trage so zum Aufbau der prädeterminierenden Strukturen und zur Nachsilbenreduktion (und damit zum Abbau der Postdetermination) bei 19 . Nur: was weiß man denn über die Akzentverhältnisse in früheren Zeiten? Und was macht man mit der Tatsache, 19 Der Ausdruck Determination ist in diesem Zusammenhang obwohl verbreitet wenig glücklich, denn ein Determinationsverhältnis im Sinne von Bally, Hjelmslev usw. liegt gerade nicht vor.