Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
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1992
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Kristol De StefaniMICHELLE SZKILNIK, L’Archipel du Graal. Etude de l'«Estoire de! Saint Graal», Genève (Droz) 1991, 147 p. (Publications Romanes et Françaises 196)
121
1992
Richard Trachsler
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272 Besprechungen - Comptes rendus ist eine zweite, «vertikal» ausgerichtete, verbunden: die nach der Abgrenzbarkeit der fraglichen Dialektgebiete von den jeweils südlich anschließenden Sprachregionen. Pellegrini hat dieser Problematik zahlreiche, im Verlauf von mehr als 45 Jahren entstandene Arbeiten (cf. die 35 Titel in der Bibliographie, p. 61-63) gewidmet. Das Resultat ist bekannt: Die Übergänge zwischen den «rätoromanischen» und den angrenzenden oberitalienischen Dialekten sind fließend. Es gibt keine scharfen Grenzen, oder wenn es heute solche gibt, sind sie das Resultat späterer Entwicklungen, einer Verwischung des ursprünglichen Typs der oberitalienischen Dialekte durch Einflüsse, die von Süden her kamen. Pellegrini gibt zunächst einen Überblick über die vorwissenschaftliche und die wissenschaftliche Diskussion zum Thema(§ 4-31, p. 3-26). Als verantwortlich für die Einheitstheorie werden Ascoli und vor allem Gartner bezeichnet. Carlo Battisti als dem prominentesten Gegner dieser Position ist eine durchwegs zustimmende Darstellung gewidmet. Pellegrini betont, daß die sachlichen Argumente Battistis von gegnerischer Seite kaum je ernsthaft diskutiert wurden. Im übrigen teilt der Autor die Forscher, die sich mit der «questione ladina» befaßt haben, in «objektive» und andere ein: Tagliavini, Francescato, Zamboni, Kramer, Pfister, Elwert, Iliescu und Hubschmid wird Objektivität attestiert, während Kuen, Rohlfs, Redfern und vor allem diejenigen Romanisten, die der Zeitschrift Ladinia nahestehen, negative Zensuren erhalten. In einem zweiten Teil(§ 32-54, p. 26-44) legt Pellegrini seine eigene Position dar. Er greift die wichtigsten Punkte der Diskussion noch einmal auf, untermauert früher vorgebrachte Argumente mit neuen Fakten und diskutiert neuere Literatur. Auf einzelnes soll weiter unten eingegangen werden. In den Paragraphen 55-57(44-46) äußert sich Pellegrini zum Einfluß der linguistischen Theorien auf das Sprachbewußtsein und das Selbstverständnis der zur Diskussion stehenden Sprachgemeinschaften. In bezug auf das Bündnerromanische und auf das Friulanische ist der Autor zurückhaltend, während er im Falle des Dolomitenladinischen eine sehr pointierte Haltung einnimmt, die in der Formulierung gipfelt: «i Ladini de! Sella possono anche oggi definirsi pienamente tirolesi» (45). Der letzte Paragraph (58, p. 46-47) faßt die Aussagen des Buches in sechs Thesen zusammen: 1) Verantwortlich für die Zementierung eines nach Pellegrini unangebrachten Gesamtbegriffs «Rätoromanisch» sind die gängigen romanistischen Handbücher. 2) Die Argumente für eine «unita ladina» stützen sich auf eine Übereinstimmung von (wenigen) konservativen Zügen in den betreffenden Dialektgebieten. 3) Die Sonderstellung des Friulanischen ist unübersehbar. Der lexikalische Befund bestätigt die in anderen Sektoren der Sprachbeschreibung gewonnenen Resultate. Zudem ist eine spontane Verständigung zwischen Friulanern und Dolomitenladinern resp. Bündnerromanen nicht gegeben. 4) Es gibt keine sprachliche Grenze zwischen «ladino» und den südlich anschließenden «italienischen» Dialektgebieten. Die Sella-Mundarten sind die archaischen und peripheren Ausläufer «di un particolare cisalpino» mit beträchtlichen tirolisch-deutschen Einflüssen. 5) Es gibt keine «unita dialettale retoromanza», da eine solche weder auf historischer noch auf linguistischer Ebene gerechtfertigt werden kann. 6) Die ursprünglich rein dialektologische Problemstellung ist von extralinguistischen, vor allem politischen, Faktoren verfälscht worden. Diesen Thesen, die das konzentrierte Resultat zahlreicher Einzeluntersuchungen darstellen, kann man(jedenfalls die Rezensentin) nur zustimmen(ausgenommen vielleicht der Bemerkung zur nicht gegebenen gegenseitigen Verständlichkeit von Friulanisch und Dolomitenladinisch resp. Bündnerromanisch, die zwar materiell richtig, für die Frage nach der Einheitlichkeit jedoch irrelevant ist (cf. etwa Sizilianisch und Bergamaskisch innerhalb Besprechungen - Comptes rendus 273 des italienischen Dialektsystems). Ich würde persönlich lieber noch weiter gehen und die auf fragwürdigen Prämissen beruhenden Einheitsetiketten «rätoromanisch» oder «ladinisch» als Bezeichnungen der Gesamtheit der drei fraglichen Dialektgebiete über Bord werfen 1 . Wenn der Terminus «Rätoromanisch» z.B. in der Bibliographie von M. Iliescu und H. Siller-Runggaldier (Romanica Aenipontana 13 [1985)) weiterhin als Oberbegriff für die drei Dialektgebiete verwendet wird, so trägt dies genau wie die von Pellegrini kritisierten Handbuchdarstellungen zur Zementierung eines Terminus bei, dem die Autoren selbst die Berechtigung absprechen (cf. die von Pellegrini positiv gewertete Skepsis Iliescus in bezug auf die «unita ladina», hier p. 26). Warum Pellegrini selbst seiner kritischen Abrechnung mit der «traditionellen» Position den Titel La genesi del retoromanzo (o ladino) gegeben hat, ohne «cosidetto» oder wenigstens Anführungszeichen beizufügen, ist mir nicht klar. Ebensowenig verstehe ich, was der Autor meint, wenn er von «genesi del nostro linguaggio» (32) spricht. Ein «cisalpino», zu dem sowohl die «traditionell rätoromanisch/ ladinischen Dialekte» wie auch die angrenzenden oberitalienischen Dialekte gehören? Die mehrfach wiederholte Forderung des Autors, es sei streng zwischen Linguistischem und Extralinguistischem zu scheiden, verdient volle Unterstützung. Auf dem Hintergrund einer so definierten Haltung erstaunt dann allerdings die Tatsache, daß Pellegrini sich so schwer tut mit dem Resultat der außerlinguistischen Entwicklung, derzufolge sich die Dolomitenladiner heute als eine von ihren südlichen Nachbarn verschiedene Sprachgruppe verstehen. Es klafft hier eine Lücke zwischen dem theoretisch Geforderten und dem selbst Praktizierten. Dasselbe gilt in bezug auf die Haltung des Wissenschaftlers, der seinen Gegenstand «sine ira et studio» untersuchen soll. Pellegrini betont, daß die Thematik seiner Schrift «con obiettivita scientifica» angegangen werden müsse (1) und daß es nötig sei, «affrontare qualsiasi discussione senza un briciolo di passionalita» (1). Mit diesem Programm verträgt sich der ironisch-polemische Ton, mit dem der wissenschaftliche Gegner Hans Goebl angegangen wird, sehr schlecht. Ich verweise auf die beiden letzten Abschnitte von p. 45, wo Goebl (fälschlich als Göbl zitiert) als selbstherrlicher «arbitro per qualsiasi questione relativa al 'retoromanzo'» qualifiziert wird, ohne daß eine Auseinandersetzung mit den Arbeiten des so Angegriffenen auch nur in einer Andeutung geleistet würde. Konsequenterweise (! ) fehlt Goebl denn auch in der Bibliographie. Während diese «Aussparung» auf ein bewußtes Totschweigen zurückzuführen ist, müssen andere Lücken in der Bibliographie als Unsorgfältigkeit des Autors gewertet werden. Einige Titel, auf die im Text Bezug genommen wird, sucht man vergeblich in der Literaturliste 2 . Gewisse Literaturangaben sind ungenau 3 oder weichen von den sonst praktizierten technischen Normen ab 4. Besonders störend sind die unkorrekte Einfügung deutscher Zitate in den italienischen Text und die oft fehlerhafte Wiedergabe der deutschen Zitate 5. 1 Warum ich die zwar umständliche, der sprachlichen Wirklichkeit jedoch besser Rechnung tragende Lösung bevorzuge, jeweils von Bündnerromanisch (oder Rätoromanisch), Dolomitenladinisch und Friulanisch zu sprechen, habe ich in einem Forschungsbericht auf der Gartner- Tagung in Vill/ Innsbruck 1985 begründet. Cf. Romanica Aenipontana 14 (1987), 54-56. 2 PFISTER 1982 (zit. p. 27); CRAFFONARA 1977 (zit. p. 6). PELLEGRINI 1986 (zit. p. 41) scheint PELLEGRINI 1986b zu meiIJen; ob aber 1986 a, b, c oder d gemeint ist, wird nicht präzisiert. 3 Mit «RrscH, ERNST, Die Räter als sprachliches Problem, 22-36» kann niemand etwas anfangen, der die Publikation nicht anderweitig kennt. 4 Unter DAUSES, AUGUST 1989 sind Vor- und Nachnamen der Herausgeber ERNST und STEFE- NELLI vertauscht. Statt GERHARD (ERNST) steht GERHART. 5 Z.B. p.6.: il marebbano, il badiotto e il gardenese, connessi «der ultramontaner Dialekten»; p.7.: il Bacher riteneva ehe «die ladinische Sprache für dieselbe, die weiland der tuskische Heerführer Rhätus ... gesprochen». Weitere Beispiele p. 13, 26.