Vox Romanica
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2941-0916
Francke Verlag Tübingen
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Kristol De StefaniSUSANNE KOLB, Sprachpolitik unter dem italienischen Faschismus. Der Wortschatz des Faschismus und seine Darstellung in den Wörterbüchern des Ventennio (1922-1943), München (Vögel) 1990, 220 p. (Schriften der Philosophischen Fakultäten der Universität Augsburg 40)
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1993
Edeltraud Werner
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332 Besprechungen - Comptes rendus bei Feitknecht/ Pozzi nun endlich ans Licht gehobenen Anteil italienischer Dozenten in Freiburg verloren wurde. Die wohlwollend-ironische Deutung durch G. Pozzi nämlich als Ausdruck («via negationis et in absentia») der katholischen Internationalität, mit dem peripheren, extravaganten und unwiederholbaren Charakter, der dieser Universität eigen war und ist muß ja wohl um das Epitheton «unverständliche Blindheit» erweitert werden. - Auch das politische Engagement der Dozenten wird nicht verschwiegen: das profaschistische von Arcari sowenig wie die klare Distanzierung von Monteverdi und Contini. Im engeren wissenschaftlichen Bereich schenkt Pozzi den selbständigen Arbeiten, den Texteditionen und den Zeitschriftengründungen gleiche Aufmerksamkeit; seine Darstellung gründet aber nicht nur auf diesen Tätigkeiten, sondern auch auf den größeren Artikeln und kleineren Aufsätzen, ja sehr stark auch auf den Rezensionen. In diesem Zusammenhang bringt er p. 35 eine knappe Definition und Beschreibung dieses Genus (das zwar kein G. litterarium ist) und somit auch eine Ehrenrettung dieser oft verachteten, als subsidiär angesehenen Tätigkeit; in bestimmten Fällen bringt sie die Forschung weiter. Da Pozzi seinem Lehrer Contini ganz besonders nahe steht und ihn charakterisiert anhand einer kurzen Berichterstattung über einen internationalen Kongreß in Genf über «L'Esprit europeen» (1946) eine Berichterstattung, die Pozzi geradezu einen «Conte philosophique» nennt - , zeigt, daß der Fachmann im Idealfall seine Zuständigkeit überschreitet, ja überschreiten muß, wenn ihn die kulturelle (bzw. politische) Situation herausfordert. Eine stark verkürzte Fassung seines Beitrags hat Pozzi im dreibändigen Werk Geschichte der Universität Freiburg Schweiz, Freiburg 1991, Band 2: 737--47, veröffentlicht. I. Baumer * SUSANNE KoLB, Sprachpolitik unter dem italienischen Faschismus. Der Wortschatz des Faschismus und seine Darstellung in den Wörterbüchern des Ventennio (1922-1943), München (Vögel) 1990, 220 p. (Schriften der Philosophischen Fakultäten der Universität Augsburg 40) Die Augsburger Dissertation ist um es vorweg zu nehmen ein gelungener Beitrag zur Sprachpolitik und speziell zur Geschichte der Begrifflichkeit und der Begriffsbildung im Zeitalter des italienischen Faschismus sowie zum Niederschlag, den faschistisches Vokabular in der zeitgenössischen Lexikographie gefunden hat. Die Arbeit gliedert sich in fünf Teile: 1. Einleitung (13-17), 2. Methodendiskussion - Politischer Wortschatz - Sprachpolitik - Sprache des Faschismus (19-65), 3. Erstellung eines für den faschistischen Wortschatz relevanten Korpus auf der Basis ausgewählter Texte aus der faschistischen Regierungszeit (1922-1943) (67-135), 4. Analyse einsprachiger italienischer Wörterbücher aus faschistischer Regierungszeit auf der Grundlage des erarbeiteten Korpus (137-82) und 5. Zusammenfassung (183-98). Sie schließt mit einer Bibliographie, gegliedert nach Quellenmaterial, Nachschlagewerken und Sekundärliteratur, die noch einmal nach thematischen Bereichen ausdifferenziert ist (199-215), sowie mit einem Wortregister zu den behandelten Schlüsselbegriffen und deren Umfeld (217-20). Nach der Einleitung, in der Sprache als Herrschafts- und Machtinstrument generell thematisiert und speziell in bezug auf den italienischen Faschismus knapp umrissen wird, kommt die Verf. zu ihrem ersten Themenkomplex. Die Feststellung, daß die Sprachwissenschaft bislang noch keine kanonisierte Methode zur Erfassung speziell auch des politischen Wortschatzes entwickelt habe trotz einer Reihe unterschiedlicher Ansätze -, führt die Verf. dazu, ihre eigenen Optionen vorzuführen. Die Beschränkung auf die lexikalische Ebene wird zwar nicht näher begründet, doch führt sie zu äußerst aufschlußreichen Ergeh- Besprechungen - Comptes rendus 333 nissen, die es wünschenswert erscheinen lassen, auch für andere sprachliche Rangstufen ähnlich kompetente und detaillierte Untersuchungen durchzuführen. Nach Ausführungen zu allgemeinen Fragestellungen, wie der Behandlung des politischen Wortschatzes durch die Sprachwissenschaft, die Definition von politischer Sprache sowie die diversen Formen der Sprachpolitik (Sprachlenkung und Sprachbeeinflussung), geht die Verf. dann über zur Kultur- und Sprachpolitik des Faschismus. Die Verflechtung der Intellektuellen mit den politischen Propagandainstrumenten und -institutionen wird klar herausgearbeitet und die Rolle der Reale Accademia d'Italia, der Societa Dante Alighieri, des Ufficio Stampa/ Minculprop sowie des Istituto Treccani und der Enciclopedia Italiana eindrücklich vorgeführt. Die zentralen Themen der faschistischen Sprachpolitik (Kampf gegen Dialekte und regionales Italienisch, Vorgehen gegen die Minderheitensprachen v. a. in Südtirol und im Aostatal, Kampagne gegen Fremdwörter, Feldzug gegen das «elitäre» Pronomen Lei sowie Bemühungen um die Verbreitung des Italienischen in den Kolonien) werden kurz, aber informativ umrissen. Doch geht die Verf. hier kaum über die Arbeit von Gabriella Klein hinaus. Ebenfalls von Informationswert sind die Darlegungen zu den sprachnormensetzenden Instanzen des italienischen Faschismus, so wie sie sich manifestieren im Neopurismus und seinem Organ Lingua Nostra, im Idiolekt Mussolinis, in Grammatiken, Wörterbüchern und Schulbüchern. Im Hinblick auf die Sprache des Faschismus selbst werden zunächst einige Quellen faschistischen Ideenguts aufgezeigt und kurz umrissen. Die Darstellung mündet ein in eine Beschreibung der Sprache Mussolinis, einschließlich der dort verwendeten rhetorischen Figuren. Abgeschlossen wird dieses äußerst sachkundig angelegte Kapitel mit einem Ausblick auf die Sprache der Partisanen- und Widerstandspresse. Dem eigentlichen Anliegen der Verf., der Darstellung des spezifisch faschistischen Wortschatzes, ist dann der 3. Teil gewidmet. Als Materialquelle dienen natürlich die Opera Omnia Mussolinis, das Dizionario Mussoliniano, die Enciclopedia Italiana, die Antologia di testi fascisti von Renzo de Felice, Eia Eia Alala, eine von Oreste del Buono zusammengestellte Antologie von Pressebeiträgen aus dem betrachteten Zeitraum, sowie Presseanweisungen zur Sprachnutzung und Lazzaris Le parole del fascismo. Das herausgelöste Vokabular wird in neun Sachgruppen eingeteilt (1. Der faschistische Staat und seine Institutionen, 2. Volk und Vaterland im Faschismus, 3. Ideale des Faschismus, 4. Idole und Mythen des Faschismus, 5. Idolfiguren, 6. Vom Futurismus, Vitalismus, und Dekadentismus inspirierte Wertvorstellungen, 7. Religion und Mystik, 8. Mittel zur Verwirklichung der faschistischen Revolution und 9. Feindbilder des Faschismus). Die einzelnen Begriffe (für den 1. Bereich etwa fascismo fascio fascista fascistico; capo duce condottiero; stato totalitario etico corporativo corporazione corporativismo; movimento partito regime; autarchia autarchico; famiglia) werden im Hinblick auf Erstauftreten, auf ihre Verwendung in präfaschistischer Zeit, sofern es sich nicht um Neologismen handelt, auf ihre Kraft, Basis für ein Wortfeld zu sein, usw. abgeklopft. Die Analysen der Verf. sind sorgfältig und kritisch ausgewogen. Die einzelnen Lexien werden umfassend in Originalkontexten vorgeführt und kommentiert. Der zweite zentrale Schritt, der unternommen wird, ist die systematische Betrachtung der Darstellung der herausgelösten Lexien in der zeitgenössischen Lexikographie, einschließlich der Enciclopedia Italiana. Um besser gewichten zu können, was spezifisch faschistischer Gebrauch bzw. Semantik ist, werden teils präfaschistische Auflagen einzelner Wörterbücher, teils Auflagen aus nach-faschistischer Zeit mit herangezogen. Als Ergebnis kann man dabei festhalten, daß der faschistische Sprachhabitus sehr rasch und sehr intensiv seinen Niederschlag in der Lexikographie gefunden hat und nach dem Niedergang des Faschismus ebenso rasch aus den einzelnen Wörterbucheinträgen auch wieder verschwunden ist, bzw. als spezifisch faschistisch indiziert worden ist. Sehr klug ist auch die Konfrontierung der Nutzungsentwicklung faschistisch geprägter Lexien oder Bedeutungen mit der Entwicklung der ideologischen, wirtschaftlichen und 334 Besprechungen - Comptes rendus politischen Verhältnisse und der gewandelten Zielsetzung faschistischer Bestrebungen. Und wichtig auch der Ausblick auf die Spuren faschistischen Sprachgebrauchs im heutigen Italienischen. Das lexikalische Inventar, das die Verf. als Korpus herausgelöst hat, ist ein guter Ausgangspunkt für eine solche Analyse. Faschistisches Vokabular ist heute nämlich keineswegs verschwunden bzw. marginalisiert. Und es ist ein Verdienst der Verf., für die Wahrnehmung eines solchen Sprachusus sensibilisiert zu haben in einer Zeit, in der dogmatische Splittergruppen für immensen Zündstoff sorgen ein hochaktuelles Buch also, nicht nur für Italien. Ob man allerdings so weit gehen sollte zu postulieren, solche «faschistischen» Elemente aus dem eigenen Wortschatz zu verbannen, halte ich für unpraktikabel angesichts der Tatsache, daß die «faschistische» Bedeutung häufig nur eine Nebenbedeutung innerhalb des Semantems einer Lexie ist, bzw. nur in bestimmten Kollokationen auftritt. Edeltraud Werner * ROLAND MARTI, Probleme europäischer Kleinsprachen: Sorbisch und Bündnerromanisch. München (Sagner) 1990, 94 p. (Vorträge und Abhandlungen zur Slavistik 18) Der Autor möchte mit seiner gedrängten Darstellung der sprachlichen Verhältnisse in zwei Minderheitensprachen, dem Bündnerromanischen und dem Sorbischen, einen Diskussionsbeitrag leisten zur Problematik von Kleinsprachen und zu den Möglichkeiten, Sprachenpolitik zugunsten bedrohter Minderheitensprachen einzusetzen. Marti ist überzeugt davon, daß die Sprachwissenschaft die Verpflichtung hat, auf diesem Gebiet aktiv zu werden. So schlägt er denn auch konkrete Strategien vor, die zur Erhaltung der bedrohten Kleinsprachen beitragen sollen (61-85). In einem einleitenden Teil entwirft Verf. den theoretischen Rahmen für die folgende Darstellung. Das Kapitel «Bündnerromanisch und Sorbisch im Überblick» (18-24) liefert die wichtigsten Informationen zur heutigen Situation der beiden Kleinsprachen, ein weiteres Kapitel «Vorgeschichte» (25-33) beschreibt deren historische Voraussetzungen. Im zweiten Teil seiner Ausführungen wendet sich Roland Marti der Sprachenpolitik in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu• («Sprachenpolitik» 34-48, «Veränderung der äußeren Faktoren in neuerer Zeit» 49-61, «Gegenwärtige und zukünftige Sprachenpolitik» 61-85). Der Autor, der sich zunächst mit dem Sorbischen befaßt hatte und dann auf die Parallelen zwischen der Situation dieser Kleinsprache und derjenigen des Bündnerromanischen aufmerksam wurde, hat sich im Bereich des Bündnerromanischen sorgfältig dokumentiert und ist zu einer im allgemeinen adäquaten Darstellung der bündnerromanischen Sprachsituation gelangt (was das Sorbische angeht, maße ich mir kein Urteil an) 1 . 1 Es ist mißlich, daß in der Tabelle, die die dialektalen Unterschiede innerhalb des Bündnerromanischen illustrieren soll (20 N2), mehrere Fehler ein irreführendes Bild entstehen lassen: statt Puter iffaunt steht iffannt, statt paun pann, ebenso Sursilvan und Rumantsch Grischun pann statt paun. Sutsilvan wäre richtig pan (Marti: pan). An dieser Stelle müßte auch darauf hingewiesen werden, daß im Puter / p�m/ und / iff�nt/ gesprochen wird. - Unpräzis ist die Formulierung «Schaffung des Sutsilvan» (21 N3) für «Schaffung einer sutselvischen Schriftsprache». - Nicht auf dem heutigen Stand sind die Angaben zu den alten romanischen Dorfordnungen (35). Hier müßte unbedingt die Rechtsquellenedition von A. ScHORTA (Rechtsquellen des Kantons Graubünden, 4 Bände, Aarau 1980-85,) zitiert werden. Für genauere Angaben cf. VRom. 49/ 50 (1991), 745s. - Als einziger Lehrstuhl für Rätoromanisch an einer Schweizer Universität wird Fribourg erwähnt (70 NS); Zürich wäre hier auch zu nennen.