eJournals Vox Romanica 52/1

Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
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1993
521 Kristol De Stefani

ANITA GUERREAU-JALABERT, Index des motifs narratifs dans !es romans arthuriens en vers (Xlle-XIIIe siècles) (Motif-Index of French Arthurian Verse Romances [XIIth-XIIIth Cent.]), Geneve (Droz) 1992, 506 p. (Publications Romanes et Franr;aises 202)

121
1993
H. Klüppelholz
vox5210335
Besprechungen - Comptes rendus 335 Für den nur mit dem Bündnerromanischen, nicht aber mit dem Sorbischen vertrauten Leser bietet das Buch zunächst einmal Informationen über diese slavische Kleinsprache. Es zeigt darüber hinaus Parallelen auf in der Situation zweier Minderheitensprachen, ohne daß die vergleichende Sichtweise die durchaus deutlichen Unterschiede verwischen würde. Überhaupt muß dem Autor ein differenzierter und kritischer Umgang mit seinem Gegenstand attestiert werden. Dennoch würde man sich wünschen, daß den jeweils unterschiedlichen Gegebenheiten deutlicher Rechnung getragen würde. __ Wer schweizerische Verhältnisse kennt, wird Marti kaum folgen in seinem Vorschlag, das Bündnerromanische durch ein staatlich finanziertes Radio zu fördern. Ebenso unrealistisch erscheint die Forderung, eine bündnerromanische Tageszeitung müßte mit staatlichen Mitteln ermöglicht werden. Was das Sorbische angeht, fühlt sich der Leser in bezug auf das Niedersorbische an die Verhältnisse in der bündnerischen Sutselva erinnert, ohne daß Marti diese Parallele explizit machen würde. Nach seiner Darstellung ist der Bedrohungszustand dieser Sprachgruppe weit fortgeschritten. Die von ihm vorgeschlagene Therapie in Form einer polynormierten Standardisierung (79-84) ist genau das, was in Graubünden in der Surselva und in der Sutselva in der jüngsten Vergangenheit gültig war, was aber nicht verhindern konnte, daß in der Sutselva das Romanische dramatisch zurückging und alle Stützungsversuche (man denke an die Aktion scolettas) scheiterten. Denkt man an diese Erfahrungen zurück, so scheint einem sogar der «bestenfalls gedämpfte Optimismus» Martis (86) als zu positiv. Und vor allem wird nicht klar, was der Sprachwissenschaftler konkret zu den (wie auch Verf. unterstreicht) von vorwiegend außersprachlichen Faktoren abhängigen Entwicklungen beitragen könnte. R. L. * ANITA GUERREAU-JALABERT, Index des motifs narratifs dans ! es romans arthuriens en vers (Xll'-XIIJ' siecles) (Motif-Index of French Arthurian Verse Romances [XII th -XIII th Cent.]), Geneve (Droz) 1992, 506 p. (Publications Romanes et Franr;aises 202) Das vorliegende Werk setzt sich zum Ziel, ein Verzeichnis der Erzählmotive aus den französischen Artusromanen des 12. und 13. Jahrhunderts in Versform bereitzustellen. Während die älteren Bereiche der irischen, isländischen, englischen sowie spanischen und italienischen Literatur bereits über solche Bestandsaufnahmen verfügen, schließt Anita Guerreau-Jalabert mit ihrer Übersicht eine seit langem klaffende Lücke, zumal es der altfranzösischen Literatur nicht an kritischen Texteditionen mangelt, die zur Auswertung bereitgestanden hätten. Folglich lag nichts näher, als ihren überaus reichen Schatz an motifs narratifs zu sichteri und zu ordnen. Dabei kam der Autorin durchaus zupasse,'daß die bis dahin bestehenden Veröffentlichungen ähnlicher Art sich ausschließlich auf den bekannten Motif-lndex of Folk-Literature 1 von STITH TttüMPSON stützen. Eine Einbettung in ein Netzwerk, das sich zudem des Englischen bedient, versprach nicht zuletzt von den Kollokationsfeldern der Einträge her eine gewisse Harmonisierung. Vergebens wird man allerdings in der recht ausführlichen, französischsprachigen «Introduction» (1-19) nach einer Definition der Arbeitsgrundlage suchen. Dies meint, daß zwar der Begriff des motif litteraire als subjektive Kategorie erwähnt, gerade deswegen aber als 1 Cf. ST. THOMPSON, Motif-lndex of Folk-Literature, Helsinki, 1932-36. Daß sich hier ebenfalls Querverbindungen zu der von K. RANKE herausgegebenen Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung, Berlin/ New York 1977ss., ergeben, liegt auf der Hand. 336 Besprechungen - Comptes rendus vermeintlich unklassifizierbar abgetan werden kann (6). Die bereits anderweitig erfolgte Beschreibung des literarischen Motivs als stoffliche Einheit, die mit ihrem Verweis auf eine Situation bereits einen Ansatz zur Fabel herstellt 2 , wird mithin völlig außer acht gelassen. Die Autorin versucht, diesem Dilemma mit einem choix Zarge der Einträge (9) zu begegnen. Dabei zeigt sie sich nicht nur der Schwierigkeit ihres Ansatzes bewußt, sondern weist gleichsam als nachgeholte Ehrenrettung auf die von den mittelalterlichen Autoren bewußt gesuchte Ambivalenz narrativer Strukturen hin, aus denen dann keine Eindeutigkeit mehr für das jeweilige literarische Motiv zu entwickeln sei (lOs.). Ihre gezielt unternommene Darstellung jener von ihr herbeigewünschten generalite bei der Auswahl der Begriffe, die <wohlverstanden> die jeweils erforderliche Trennschärfe · dem Benutzer andient, führt zu einer Überfülle von Motiven, die ebenfalls nicht hilft, den hermeneutischen Zirkel von Text- und Motivart zu durchbrechen. Sie hilft allenfalls dem fremdsprachigen Benutzer, sich in diesem nicht mit muttersprachlicher Genauigkeit zu erschließenden «Index des motifs» (23-210) zurechtzufinden. Doch dies ist nicht alles; denn ausführliche «References par textes» (211-368) schlüsseln jeden der benutzten Texte nach Motiven auf, die durch eine «Concordance» (369-501) wiederum den jeweiligen Artusromanen zugeordnet werden können. Damit kann aus drei verschiedenen Richtungen gearbeitet werden, ergeben sich doch ein motivischer, ein textueller und ein alphabetischer Wortzugriff. Die Materialbasis 3 verdient ebenfalls einen ausführlicheren Kommentar. Es ist begrüßenswert, daß umfänglichere Romangebilde, wie die zum Graal-Stoff gehörige Continuations de Perceval, durch die vorgelegten Verzeichnisse mit rasch erfolgender Übersichtlichkeit erschlossen werden können. Ein Vergleich mit dem Standardwerk von Jean Frappier und Reinhold R. Grimm zu Le roman jusqu'a la fin du Xlll e siecle 4 soll hier endgültige Klarheit zu den Textgrundlagen verschaffen. Aus dem 12. Jahrhundert werden der Tristan-Stoff, die Romane des Chretien de Troyes, außer des ihm lediglich zugeschriebenen Guillaume d'Angleterre 5 , der bereits erwähnte Graal-Stoff nebst seinen Fortsetzungen erfaßt. Die Vertreter aus dem 13. Jahrhundert erscheinen hiermit verglichen in spärlicher Anzahl; denn es werden lediglich die Gauvain-Romane, außer der fragmentarischen Enfances Gauvain, und die Queste-Romane sowie die den declin du merveilleux belegenden Werke berücksichtigt. Völlig unberücksichtigt läßt die Verfasserin die Strömung des roman realiste sowie die nachfolgenden großen romans d'aventure et d'amour. Damit aber spart sie ein noch weitgehend wenig erforschtes Korpus von Texten aus, denen gerade ein erleichternder Zugang über die literarischen Motive hätte zudienen können, zumal diese Untergattung sich einerseits noch des decor des herkömmlichen Artusromans bedient, andererseits nicht unbeeinflußt vom courant realiste seiner unmittelbaren Nachfolger ist 6 . Zumindest bei dieser Auswahl kann Anita Guerreau-Jalabert Konsequenz bescheinigt werden. Insgesamt erfüllt das vorliegende Werk sein Ziel mit einigen Einschränkungen bei der Trennschärfe des zugrundeliegenden Motiv-Begriffs wie auch der Auswahl des zugrundeliegenden Text-Korpus. Unbestritten aber kommt der Autorin das Verdienst zu, mit einer 2 Nach ELISABETH FRENZEL, Stoff-, Motiv- und Symbolforschung, Stuttgart 2 1963, p. 27. 3 Nicht unerwähnt bleiben soll, daß die Autorin ebenfalls auf Lais der Marie de France sowie Lais unbekannter Herkunft zurückgreift. 4 J. FRAPPIERIR. R. GRIMM (ed.), Le roman jusqu'a la fin du Xlll e siecle, t.1: Partie historique, Heidelberg 1978 (GRLMA IV/ 1), vom Rez. besprochen in VRom. 44 (1985), 336-39. 5 Zum Verhältnis von Artusroman und Hagiographie siehe in Vfs. Ausgabe von CHRESTIEN, Guillaume d'Angleterre, München 1987 (KTRMA 24), die «Einleitung», sowie Vfs. Aufsatz «Zur Deutung der Jagdepisoden im Guillaume d'Angleterre», ASNS 227 (1990), 298-305. 6 CF. FRAPPIERIGRIMM 1978: 454. Besprechungen - Comptes rendus 337 umfassenden Übersicht über die entsprechenden motifs narratifs den Zugang zu eben jenen altfranzösischen Artusromanen des 12. und 13. Jahrhunderts zu erleichtern, aus denen sie ihr Material gewinnt. Daß sie ihr Werk in ein Netz von Veröffentlichungen gleicher Vorgehens- und ähnlicher Aufschlüsselungsweise einbindet, gestattet die komparatistische Perspektivierung über den Bereich der Galloromania hinaus. Insofern darf sich Anita Guerreau-Jalaberts Index nicht nur als künftiges Hilfsmittel, sondern überdies als Ansporn zu weiterführenden Forschungen verstehen. H. Klüppelholz * DüROTHEA KuLLMANN, Verwandtschaft in epischer Dichtung. Untersuchungen zu den französischen Chansons de geste und Romanen des 12. Jahrhunderts, Tübingen (Niemeyer) 1992, 370 p. (Beih.ZRPh. 242) La famille, nudeaire ou etendue (! in, lignie, lignage, etc.), et les parents, proches ou eloignes, jouent un röle important dans la litterature epique du XII e s. Se basant sur de solides connaissances theoriques et un vaste corpus, utilises d'une maniere systematique, D. Kullmann illustre l'evolution de la definition et du röle de la famille, a partir des epopees anciennes du debut du siede, par les romans qui surgissent des le milieu du siede, jusqu'aux epopees recentes a partir de la seconde moitie du siede. Le livre, qui comble une veritable lacune, est bien mene et va rendre de grands services. L'auteur elle-meme considere que le resultat le plus important de sa recherche est d'avoir demontre que la representation des relations familiales depend du caractere litteraire des textes examines et n'est nullement un simple reflet des relations sociales contemporaines ou plus anciennes. Elle met en evidence que l'ancienne epopee fäodale, qui decrit surtout les batailles et la prouesse guerriere des chevaliers, opere avec des familles «horizontales»: le heros est entoure et aide de multiples parents qui ont a peu pres la meme äge que lui. C'est cela qui contribue a expliquer, selon elle (94), la frequence remarquable du groupe compose d'un ou plusieurs neveux; en effet les ondes, souvent des freres cadets et non encore maries, n'etaient pas beaucoup plus äges que les fils de leurs sceurs al: nees qui, elles, avaient ete mariees jeunes. Alors que ! es patronymes restent sans consequence et peuvent etre donnes a loisir (p.ex. Chanson de Roland 1594: Malquiant le filz al rei Malcud), la mention de l'onde d'un jeune heros implique, dans l'epopee ancienne, qu'on parle de cet onde dans la meme chanson (28s.). D'ailleurs, la relation de l'onde a son neveu est celle du seigneur fäodal a un important chef de son armee. La famille nudeaire ne devient interessante que dans le roman; enfant unique de ses parents, le heros y est toujours l'heritier inconteste. La relation onde-neveu subsiste, mais c'est le jeune neveu qui est le heros principal (205s.); et l'onde peut aussi etre dote de nieces (176). Les romans connaissent beaucoup de protagonistes fäminins et la description des heroi:nes (belles en regle generale et susceptibles de maitriser quelques procedes magiques) est vaguement calquee sur celle des protagonistes masculins (172s.). Les parents des protagonistes principaux sont issus de grandes familles. La famille «verticale» gagne de l'importance dans l'epopee de la fin du xn e s. Pour ajouter aux deux generations que le public connaissait de nom du moins on dresse des arbres genealogiques pour donner au heros d'autres parents virtuellement interessants (212). La parente spirituelle n'est pas negligee non plus; en effet, l'epopee Orson de Beauvais illustre ! es complications resultant des relations qu'entretient le parrain avec la mere de son filleul (218). Le culte de la jeunesse, observe dans les romans, se manifeste aussi dans ces epopees: si les paires onde-neveu existent toujours, ! es heros en sont les