Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
1993
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Kristol De StefaniLUDO MELIS, La voie pronominale. La systématique des tours pronominaux en français moderne, Paris/Louvain-la-Neuve (Duculot) 1990, 157 p. ( Champs lir(guistiques)
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1993
Martina Nicklaus
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Besprechungen - Comptes rendus 365 Verfüge N 1 jedoch über keine feste Merkmaimarkierung, so würden diese durch N 2 festgelegt (171s.). Es dürfte kein Zweifel daran bestehen, daß die neun Beiträge, welche die vorliegende Sammlung der Travaux de linguistique dem Rezipienten zum Thema der sekundären Prädikation vorstellt, alle gleichermaßen gelungene Annäherungsversuche an diesen äußerst komplexen Gegenstandsbereich darstellen. Während sich die einzelnen Beiträge einen jeweils perspektivisch individuellen Zugang zur gewählten Thematik verschaffen, vermag die Sammlung in ihrer Gesamtheit den Leser in den wohl kaum als traditionell zu bezeichnenden Gegenstandsbereich einzuführen. Letzteres dürfte wohl auch an der Zeit sein, da der Begriff der predication seconde künftig, u.a. im Bereich der Computerlinguistik, von zunehmender Relevanz sein wird. K. Hansen * Luno MELIS, La voie pronominale. La systematique des tours p_ronominaux en fran9ais moderne, Paris/ Louvain-la-Neuve (Duculot) 1990, 157 p. ( Champs lir(guistiques) Es mag zunächst aussehen, als verlängere dieser Band die ohnehin schon lange Liste von Arbeiten zum Thema reflexive Verben um eine weitere Variante. Auf den zweiten Blick scheint Melis' Beitrag aber durchaus gerechtfertigt, denn er ist ein Lösungsvorschlag für ein in bisherigen Ansätzen gerne umgangenes Grundproblem: Sind die verbes pronominaux syntaktisch-funktional oder eher lexikalisch-semantisch zu erfassen? Melis bietet einen Mittelweg an. Er argumentiert stringent, zuweilen geradezu spannend; die vorliegende Monographie ist interessante, wenngleich stellenweise sehr anstrengende Lektüre. Ob die begeisterten Laien («les amoureux de Ja langue», Klappentext), die von der Reihe Champs linguistiques u.a. angesprochen werden, bis zum Ende durchhalten, scheint mir allerdings zweifelhaft. Im Titel verweist der Autor auf die entscheidenden Aspekte seines Ansatzes: Für ihn konstituieren die reflexiven Verben kein drittes Genus verbi, d.h. keine dritte voix zwischen voix active und voix passive, wie sie etwa Stefanini 1 für das Alt- und Mittelfranzösische erkennt; mit der Wahl von tour als Oberbegriff versucht Melis den oben angesprochenen Widerspruch terminologisch aufzulösen. In klassischen Konzeptionen wird einerseits von verbes (pronominaux) und andererseits von voix (pronominale) gesprochen, also sowohl Lexikonzugehörigkeit (wie sie für ein Verb gilt), als auch Produktivität (wie bei einer grammatischen Periphrase) postuliert. Bereits 1983 2 beschreibt der Autor im Rahmen der semantique phrastique das Verb explizit als «element structurant de Ja phrase» und nicht als «element du vocabulaire» (MELIS 1983: 111), ein Ansatz, den er hier wieder aufgreift. Das sorgfältig strukturierte erste Kapitel («Pistes de recherche») mag, trotz der Informationsdichte, mitunter zur Annahme verleiten, es handele sich um ein Einführungswerk, das Studienanfängern zu empfehlen ist. Hier werden in sinnvoller, nicht rigide chronologischer Reihenfolge traditionelle Ansätze vorgestellt. Melis verzichtet ausdrücklich auf Vollständigkeit, versucht lediglich, Fragestellungen und Probleme, freilich im Hinblick auf seine Lösungsvorschläge, zu beleuchten. Kapitel 2 («Principes de classement»), 3 («Les tours subjectifs») und 4 («Les tours objectifs») ergänzen sich zu einer differenzierten 1 Cf. J. STEFANINI, La voix pronominale en ancien et en moyen fran<; ais, Aix-en-Provence 1962. 2 Cf. L. MELIS, Les circonstants et la phrase. Etude sur Ja classification et la systematique des complements circonstanciels en fran9ais moderne, Leuven 1983. 366 Besprechungen - Comptes rendus Typologie. In Kapitel 5 («La grammaire des tours pronominaux») schließlich formuliert Melis seinen Vorschlag zur Erfassung der tours pronominaux und spätestens hier, bei den Formalisierungen, wird die Liebe eines amoureux de la langue auf eine harte Probe gestellt. Die erste piste de recherche zu den tours pronominaux markiert Dangeau im 18.Jh.: Am Vorhandensein eines Reflexivpronomens und an der Bildung der zusammengesetzten Tempora mit etre erkennt Dangeau ein reflexives Verb. Er unterscheidet vier Typen von verbes pronominaux und begründet damit eine Sicht, die, so Melis, bis in heutige Schulgrammatiken weiterbesteht. Es wird unterschieden zwischen den reflechis (Typ: s'imposer), reciproques (Typ: se battre), neutres (Typ: se rouiller) und den passifs (Typ: se vendre). Während Dangeau in seiner vorwiegend semantischen Argumentation noch äußerst vage bleibt er orientiert sich an der aktiven oder passiven «Natur» des Verbs -, verlagern seine Nachfolger die Diskussion auf funktionale Merkmale: Transitivität/ Intransitivität des Verbs und Argumentfunktion des Pronomens oder Produktivität/ Improduktivität. Die neutres werden in diesen Ansätzen als Idiosynkrasien dem Lexikon zugewiesen. Erst das von Zribi-Hertz favorisierte Prinzip der Vergleichskonstruktion reduziert die Menge der neutres, indem es einige, wie etwa se rouiller, als ergative pronominale Verben charakterisieren kann. Zuse rouiller läßt sich folgende Reihe konstruieren: L'humidite a rouille la grille. - La grille est rouillee. - La grille se rouille. In anderen Theorien wird die Verbindung Reflexivpronomen - Verb als rezessive Konstruktion aufgefaßt in den reflechis z.B.haben zwei unterschiedliche syntaktische Rollen denselben Referenten. Die voix pronominale wird auch über ihren aspektuellen Wert charakterisiert. Nach dieser überaus dichten Präsentation bereitet Melis im zweiten Kapitel seine Alternative vor. Um Voreingenommenheit durch theoretische Prämissen zu vermeiden, ermittelt er seine Untersuchungsbasis mithilfe muttersprachlicher Informanten. Er legt den Probanden Phantasieverben in unterschiedlichen Kontexten und unterschiedlichen Konstruktionen(«...il se pratele ...» - «...il le pratele ...») vor und läßt sie interpretieren. Die Tests führen zu zwei Resultaten: Einerseits werden die Reflexivkonstruktionen tatsächlich im Vergleich zu den nicht-pronominalen Konstruktionen typisiert (womit das Verfahren von Zribi-Hertz bestätigt wird), andererseits beeinflußt der Kontext die Kommentare der Probanden (wie: «Verb der Bewegung, nicht transitiv»), so daß für die angestrebte Typologie grundsätzlich von unscharfen Übergängen und subtilen Differenzierungen ausgegangen werden muß wenn solchen intuitiven, vagen Faktoren überhaupt Rechnung getragen werden soll. Obwohl sie trivial klingt, ist die zweite Erkenntnis für den neuen Aspekt an Melis' Ansatz verantwortlich: Er bemüht sich darum, solche tours, die durch gängige Raster fallen, nicht vorschnell dem Lexikon zuzuschreiben. Er versucht vielmehr, möglichst viele Versionen des tour pronominal zu erfassen. Ein Beschreibungsmodell, das neben den Konstanten auch den Idiosynkrasien gerecht werden kann, findet Melis in der Prototypentheorie(er verweist zur Einführung u.a. auf Kleiber 3 ). Ein Prototyp wird als die Schnittmenge aus mehreren Merkmalsmengen definiert. Übertragen auf die toufs bedeutet das: Die tours subjectifs bilden die Schnittmenge aus tours objectifs und tours datifs. Die drei Kategorien reflektieren die möglichen syntaktischen Einbindungen der tours (emplois) und sind von den Probandenkommentaren bestätigt worden. Die ersten beiden Kategorien gehen aus dem Vergleich mit nicht-pronominalen Konstruktionen hervor: Bei den subjectifs stimmen die Subjekte der pronominalen und der nicht-pronominalen Vergleichskonstruktion überein(s.o. «il se pratele»), bei den objectifs nicht. Die datifs entsprechen dem Schema rse - Verb - Objekt 7 . Die Festlegung der tours subjectifs als Prototyp ist an dieser Stelle noch Hypothese, wird aber in den folgenden Analysen der einzelnen Kategorien(ab 2.3) durch Überschneidungen bestätigt. 3 Cf. G. KLEIBER, «Prototype, stereotype: un air de famille? », DRLAV 38 (1988), 1-61. Besprechungen - Comptes rendus 367 Jede der drei Analysen schließt mit einer graphischen Darstellung, in der überlappende Rechtecke Merkmalskombinationen repräsentieren. Damit ist es möglich, Sonderfälle, die keinem der klassischen Typen zuzuordnen sind, die aber gewisse Züge mit anderen tours verbinden, einzuordnen. So lassen sich die Konstruktionen vom Typ: «Justin s'envoie chaque matin trois tasses de cafe. » (Bsp. 54) als tours datifs beschreiben, da sie von den sieben für diese Kategorie festgestellten Merkmalen immerhin drei aufweisen, darunter ein besonders signifikantes, die Austauschbarkeit des Pronomens mit lui. Sogar ein typischer Kandidat für die Einordnung ins Lexikon, s'apercevoir (Bsp. 86), erhält einen definierten Platz bei den tours subjectifs (83). Das von Melis vorgeschlagene Verfahren hat einen beruhigenden Effekt: Die Möglichkeiten der Charakterisierung scheinen unerschöpflich, keine Variante muß als idiosynkratisch ausgeklammert werden. Ein wenig beunruhigend dagegen ist die Gleichbehandlung von produktiven und nicht-produktiven tours. Während etwa Bsp. 54 Repräsentant eines «modele particulierement vivant» (50) ist, gehört Bsp. 86 zur Klasse der verbes deaccusatifs (79ss.), von der Melis sagt: «Le grand nombre d'irregularites montre qu'il n'existe pas de categorie productive de verbes deaccusatifs en frarn;:ais moderne » (82). Beide Beispiele werden in Subkategorien aufgenommen. Beim Blick auf die in vielerlei Hinsicht aufschlußreichen Diagramme zu den Kategorien sollte man also nicht vergessen, daß hier grundsätzlich statisch beschrieben wird, die dynamische Seite mancher tour-Typen bleibt unbeachtet. In den Typologien hat Melis mit Parametern wie Transitivität, Agensposition etc. die externen Eigenschaften der tours besprochen. Die durchaus subtile Analyse über Vergleichskonstruktionen vermag zwar Gruppen von tours zusammenzustellen, die Übergänge jedoch bleiben fließend, die Merkmalskombinationen scheinen geradezu beliebig, wenn sich auch einige Prototypen herauskristallisieren. Zuweilen versagen die erarbeiteten Kriterien gänzlich: Das Beispiel «Le judai:sme se caracterise par l'iconophobie » (121) läßt sich, je nach Vergleichskonstruktion, als tour subjectif, als tour objectif converse (passivisch, resultativ) oder als tour objectif medio-passif (Agens implizit) analysieren bei gleichbleibender Bedeutung. Nach Feststellung der eingeschränkten Zuverlässigkeit der bisher verwandten externen Kriterien versucht Melis in Kapitel 5, ausgehend vom verbalen Kern, eine interne Charakterisierung. Nur die Konstanten der tours werden beobachtet: Subjekt, assoziiertes Pronomen, Verb. Ziel ist die Einbeziehung der tours pronominaux in Melis' Modell zur Beschreibung des nreud actanciel. Dieses Modell ist eine Formel, in der die verbalen Merkmale, die für die Selektion der Aktanten verantwortlich sind, als Prädikate und die Aktanten als deren Argumente definiert sind. Es gibt bei Konstruktionen mit direktem Objekt zwei Argumente: 1. Ein externes Argument, das den Prozeß kontrolliert, in Gang setzt (Prädikat: ± controle) und ihn in bestimmter Weise realisiert (Prädikat: realisation, steht für einen Merkmalskomplex); im allgemeinen entspricht dieses Argument dem Subjekt. 2. Ein internes Argument, das den Prozeß limitiert und von den telischen (Prädikat: ± telique) sowie von den spezifischen lexikalischen Merkmalen des Verbs (Prädikat: proces specifique, steht für einen Merkmalskomplex) seligiert wird; bei den tours entspricht diesem Argument das Reflexivpronomen und damit wieder das Subjekt. Obwohl diese Formel eine unerläßliche Ergänzung zur bis dahin praktizierten Methode der Vergleichskonstruktionen sein könnte, wird sie nur kurz erläutert und nur auf die Grundtypen der tours angewandt. Der Abschnitt ist beendet, wenn man sich gerade an die Formalisierung gewöhnt hat. Der Vergleich mit dem Gebrauch der Reflexivkonstruktionen im Altfranzösischen (5.3) unterstreicht die Richtigkeit der verbzentrierten Betrachtung; durch sie wird deutlich, daß die Bindung Subjekt-Reflexivpronomen im Altfranzösischen stärker ist als im heutigen Französisch. Im Altfranzösischen steht das Reflexivpronomen nicht beim Infinitiv und wird bei Koordination nicht wiederholt. Die enge Bindung zwischen Subjekt und Reflexivpronomen wird sogar als Stilmittel eingesetzt. 368 Besprechungen - Comptes rendus Zurück zu den modernen tours. Melis definiert sie jetzt in Abgrenzung zu aktiven und passiven Konstruktionen: Der tour neutralisiert gewissermaßen den Gegensatz zwischen dem Element, das den Prozeß auslöst (argument externe) und jenem, das den Prozeß begrenzt (argument interne). So wird nicht die Kontrolle über den Prozeß (wie im Aktiv) oder das Ende eines Prozesses (wie beim Passiv) herausgestellt, sondern der Verlauf des Prozesses. Bei der Reflexivkonstruktion wird damit lediglich die Perspektive auf den Prozeß verschoben und der Wert der beiden vorhandenen Kategorien ausgenutzt. Eine autonome voix kann die Reflexivkonstruktion daher nicht genannt werden. Melis spricht hier noch nicht alle Probleme der Reflexivkonstruktion an wichtig wäre z.B., die Formalisierung an den traditionell idiosynkratischen Fällen durchzuspielen -, aber er hat ein solides Fundament für weiterführende Diskussionen geliefert. So könnte eine auf der Prototypentheorie basierende Typisierung womöglich für den ebenfalls zwischen Lexikon und Syntax angesiedelten Bereich der Phraseologie sinnvoll sein. Martina Nicklaus * SUSANNE LEISCHNER, Die Stellung des attributiven Adjektivs im Französischen, Tübingen (Narr) 1990, 281 p. (Romanica Monacensia 31) Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine Münchner Dissertation, die von Georg Bossong betreut wurde. Das von der Verfasserin bearbeitete Thema hat im Rahmen der Romanistik nicht gerade Seltenheitswert, und wollte man eine erschöpfende Bibliographie (nur zum Französischen) vorlegen, dann käme weit mehr zusammen als die spärlichen 17 Titel, die uns Leischner liefert 1 . Trotz der keineswegs desolaten Forschungslage glaubt Verf., in diesem Bereich noch Neues zu sagen zu haben - und dies gelingt ihr in der Tat, wenn auch nicht ganz in dem Umfang, wie sie selbst glaubt. Leischner wirft der bisherigen Forschung u.a. vor, sie habe zwar erkannt, daß die Adjektivstellung durch weit mehr als nur einen Faktor beeinflußt werde, doch habe sie dann gleichwohl immer einen dieser Faktoren verabsolutiert. Dies ist weitgehend (wenngleich mit gewissen Einschränkungen) richtig: Wir haben hier eine ganz ähnliche Situation wie beim Konjunktiv 2. Für Verf. ist die Adjektivstellung ein äußerst komplexes Positionsprinzip, in das eine Fülle von Faktoren eingeht, die ihrerseits wiederum (zumindest zum Teil) voneinander abhängen (9). Ihr Ziel ist es, eine abstrakte Theorie zu entwickeln, die diese Faktorenvielfalt möglichst umfassend integriert. Ein derartiges Vorhaben ist gezwungenermaßen auf einer sehr hohen Akstraktionsebene angesiedelt. Wenn die Theorie einer empirische Überprüfung zugänglich sein soll - und genau das ist das Ziel Leischners -, dann muß sie in einem zweiten Schritt konkretisiert, d.h. auf ein weniger hohes Abstraktionsniveau zurückgeführt werden. An diese Arbeitsschritte soll dann die Entwicklung eines empirischen Prüfverfahrens angeschlossen werden, das die Abbildung des Faktorengeflechts bzw. der darauf beruhenden Regeln auf den Rechner erlaubt. Mit dessen Hilfe sollen die Adjektivstellungen in einem gegebenen Korpus errechnet und die Ergebnisse anschließend mit der tatsächlichen Positionierung verglichen werden (9s.). Auf diese Weise sollen sowohl monokausale Erklärungen (12s.) als auch ad hoc-Erklärungen (15) vermieden werden. 1 Cf. hierfür auch unten. 2 Cf. hierfür z.B. P. WuNDERLI, Modus und Tempus, Tübingen 1976: lss. und m., Die Teilaktualisierung des Verbalgeschehens (Subjonctif) im Mitte/ französischen, Tübingen 1970: lüss.
