Vox Romanica
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2941-0916
Francke Verlag Tübingen
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Kristol De StefaniCHRISTOPH STROSETZKI (ed.), Geschichte der spanischen Literatur, Tübingen (Niemeyer) 1991, XII+ 404 p.
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A. Schor
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Besprechungen - Comptes rendus 395 seine vielsprachige Formulierungsgabe (nur die italienischen Beiträge sind übersetzt), sowie nicht zuletzt seine ohne allen Fanatismus bekundete Liebe zur katalanischen Kultur. Der Abschnitt übers Mittelalter ist von der Figur des Raymundus Lullus erfüllt, dem er schon 1954 eine Monographie gewidmet hatte. Er hebt dessen «Theologie und Methodologie der Missionstätigkeit» hervor, die sich gegen zeitgenössische Ansichten und Verhaltensweisen abgrenzt und nur mit den «Waffen_ des Geistes» vorgehen will, aber immerhin Kreuzzüge zwar nur zur Sicherung der christlichen Evangelisierungsfreiheit in islamischen Ländern nicht ausschließt. Im Abschnitt über die Renaissance deckt der Autor Beziehungsgeflechte zwischen verschiedenen Dichtern und Denkern auf. Im Barock-Kapitel zeigt sich u. a. seine Gabe zur Synthese. Im letzten Abschnitt skizziert er ein «Portrait de l'Espagne», drückt seine erfrischend klare Meinung zum spanischen Bürgerkrieg aus (schon früh exiliert, stellte er sich mit Jacques Maritain, dem späteren Freiburger Kardinal Charles Journet und Don Luigi Sturzo entschieden gegen die religiös-nationalistische Vereinnahmung des Bürgerkriegs durch Franco) und weiß als offizieller «Laien-Auditor» beim II. Vatikanischen Konzil dessen weiterführende Grundlinien klar zu bezeichnen. Man wird bedauern, daß verschiedene Artikel nicht aktualisiert worden sind, sei es durch Überarbeitung oder durch einen entsprechenden Zusatz als Nachbemerkung; auch Überschneidungen hätten vermieden werden können. Geradezu liederlich ist die typographische Gestaltung: es finden sich weit über 100 Druckfehler, sei es im Text, sei es in den bibliographischen Angaben; nicht einmal die Widmung (6) ist ansprechend gegliedert (die Zeilen sind schlecht eingemittet), die Tabula gratulatoria ist unsorgfältig gedruckt, ja sogar das Buch von R. Sugranyes über R. Lullus ist bei jeder Zitierung (mit oder ohne Druckfehler) anders erwähnt. Diese Kritik ist kaum dem Autor, wohl aber den Herausgebern anzulasten. I. Baumer * CHRISTOPH STROSETZKI (ed.), Geschichte der spanischen Literatur, Tübingen (Niemeyer) 1991, XII+ 404 p. Es ist bestimmt kein leichtes Unterfangen, auf knapp vierhundert Seiten einen Abriß der spanischen Literatur vom Mittelalter bis zur Gegenwart zu präsentieren, wie dies der von mehreren Autoren unter dem Herausgeber Christoph Strosetzki geschriebene Band tut. Er wendet sich an alle, die sich mit dem Thema als «interessierte Laien, Studenten oder Fachkollegen beschäftigen». Der Umfang des Werks macht, wie der Herausgeber im Vorwort selbst bestätigt, eine Beschränkung auf das Wesentliche sowohl in der Darstellung wie auch in der jedem Kapitel angefügten Bibliographie nötig. Um den Zusammenhang zur politischen Geschichte zu gewährleisten, wird jeweils vor jeder Epoche ein knapper Überblick über die wichtigsten Ereignisse geboten. Das Mittelalter wird von ALBERT GIER, «12.-14. Jahrhundert: Lyrik, Epik, Roman und Drama», DIETRICH BRIESEMEISTER, «Mittelalterliche Fachprosa» und KARL KoHuT, «Das 15. Jahrhundert» behandelt und nimmt etwa ein Fünftel des Bandes ein. Die am meisten diskutierten Probleme der spanischen Literatur des Mittelalters, die Entstehung der Jarchas, die Datierung des Poema del Mio Cid und die Autorenschaft des Libro de Alexandre werden im ersten Kapitel behandelt. Bei den Jarchas gibt Gier den Standpunkt von Hilty und Frenk Alatorre wieder, nach dem die Jarchas schon früh Produkte einer Kunstdichtung und nicht Überreste von mozarabischen Volksliedern waren. Das Poema del Mio Cid datiert er auf das 13. Jahrhundert, in Anlehnung an Deyermond, ohne allerdings beispielsweise die Studie von Lapesa, der dahin tendiert, daß bereits 1140-1170 eine erste, nicht überlieferte Version des Textes existierte und somit indirekt 396 Besprechungen - Comptes rendus Menendez Pidal recht gibt, zu erwähnen 1 . Die Autorenschaft des Libro de Alexandre wird offengelassen, Berceo nicht ausdrücklich als dessen Verfasser ausgeschlossen. Das von Dietrich Briesemeister verfaßte Kapitel über Fachprosa im spanischen Mittelalter ist äußerst kurz geraten und kann deshalb die einzelnen Werke und Strömungen nur streifen und in einen knappen Kontext zueinander stellen. Die anschließende Bibliographie enthält lediglich allgemeine Literatur, nichts zu den einzelnen Werken. Der Absicht des Herausgebers folgend, sind auch keine Ausgaben aufgeführt. Gerade bei mittelalterlichen Texten wäre der Leser, der sich näher mit den Werken befassen will, vielleicht doch froh über entsprechende Angaben. Eine reichhaltige, in Werkausgaben und Sekundärliteratur unterteilte Bibliographie schließt sich hingegen an Karl Kohuts Kapitel über das 15. Jahrhundert an. Neben der Lyrik und der Prosa behandelt Kohut auch auf knapp zweieinhalb Seiten das Theater dieser Epoche. Davon ist der größte Teil der Celestina gewidmet, wobei auch die Frage zur nach wie· vor umstrittenen Gattung dieses Textes aufgeworfen wird. Eine befriedigende Erklärung dazu gibt meiner Meinung nach Francisco Ruiz Ram6n im ersten Band seiner spanischen Theatergeschichte 2 , die man in der Bibliographie ebensowenig findet wie diejenige von Angel Valbuena Prat, obwohl beide Autoren dem mittelalterlichen Theater jeweils ein Kapitel widmen. Ruiz Ram6n unterscheidet zwischen obra dramatica und obra escenica, wobei er die Celestina ersterer zuweist, weil ihr Autor nicht an ihre Aufführbarkeit gedacht hat. Als Vergleich aus dem 20. Jahrhundert verweist er auf die von der Länge her fast unaufführbaren Stücke Comedias barbaras und Divinas palabras von Valle-Inclan und Le soulier de satin von Claudel. Zudem ist fraglich, inwieweit die Celestina noch zur Literatur des 15. Jahrhunderts gehört und ob sie nicht besser zusammen mit den Dramatikern des frühen 16. Jahrhunderts behandelt wird. Tatsächlich findet man im von MICHAEL RöSSNER verfaßten Kapitel über das Theater der Siglos de Oro (sie! ) noch einmal anderthalb Seiten über die Celestina. Diese Doppelspurigkeiten (mit entsprechenden Querverweisen in den Fußnoten) findet man im besprochenen Buch auch anderswo; sie sind wohl eine Folge davon, daß es von mehreren Autoren geschrieben wurde. Angesichts der ansonsten gerafften Darstellung stellt sich dennoch die Frage, ob man sie nicht hätte vermeiden können und sollen. Über die den Leser dieser Zeitschrift weniger interessierenden Abschnitte über die neuere Literatur soll an dieser Stelle nicht viel gesagt werden. GEORGES GüNTERT schreibt sehr fundiert über die Lyrik des 16. und 17. Jahrhunderts; die Darstellung wird durch eine ausführliche, fünfseitige Bibliographie abgerundet. DIETRICH BRIESEMEISTER widmet der religiösen Literatur dieser Zeit einige Seiten, und mit dem Roman befaßt sich der Herausgeber. Das 18. und das 19. Jahrhundert werden jeweils in einem Kapitel von MANFRED TIETZ, bzw. HANS-JOACHIM LOPE abgehandelt. In den von MANFRED LENTZEN, KLAUS DrnscHERL und WILFRIED FLOECK verfaßten Teilen über den Roman, die Lyrik und das Drama des 20. Jahrhunderts muß am Ende naturgemäß vieles offenbleiben, da sie versucht haben, die neuesten Strömungen zu berücksichtigen, über die das Urteil der Geschichte noch aussteht. Ausgeklammert bleibt die südamerikanische Literatur, weil sie den Rahmen dieser Darstellung wohl gesprengt hätte. Zusammenfassend kann man sagen, daß das vorliegende Werk zwar geeignet ist für einen ersten Überblick über die spanische Literaturgeschichte, aber keineswegs die mehrbändigen großen Werke etwa von Jones oder Deyermond ersetzen kann und will. Diese 1 R. LAPESA, «Sobre el <Cantar de Mio Cid>. Critica de criticas. 2. Cuestiones historicas», in: ID, Estudios de historia lingüistica espanola, Madrid 1985. 2 F. Rurz RAMON, Historia del Teatro Espafidl I: Desde sus or{genes hasta 1900, Madrid 6 1986: 57-59. Besprechungen - Comptes rendus 397 liegen allerdings nur auf englisch bzw. spanisch vor.Auf deutsch lagen bisher die ausführliche Geschichte der spanischen Literatur von HANS FLASCHE und die Darstellungen des spanischen Romans und des spanischen Theaters von VOLKER RoLOFF und HARALD WENTZLAFF-EGGEBERT, sowie des Theaters bis zum Ausgang des 19.Jahrhunderts von KLAUS PöRTL vor. Insofern füllt Christoph Strosetzki mit seinem kurzen Abriß über die Entwicklung der spanischen Literatur also durchaus eine Lücke im deutschen Sprachraum. A. Schor * HEINZ-PETER ENDRESS, Don Quijotes / deale im Umbruch der Werte vom Mittelalter bis zum Barock, Tübingen (Niemeyer) 1991, 126 p. (mimesis 11) Von der Erkenntnis ausgehend, daß in der Forschung zwar stets von den Idealen der literarischen Figur des Don Quijote die Rede ist, diese indes bisher in ihrem Zusammenhang und Zusammenspiel noch unerforscht geblieben sind, setzt sich Endress nun diese längst fällige Untersuchung zum Ziel.Der Ritter mit der traurigen Gestalt kündigt in einer bisher kaum beachteten großen Rede zum Goldenen Zeitalter erstmals den für ihn gültigen Wandel des Ritterideals an und führt dabei den Umbruch der Werte vom Mittelalter bis zum Barock vor. Daß der Autor nicht davor zurückschreckt, in einem Anfangswie auch einem Schlußkapitel bereits bekannte Größen der Cervantes-Forschung zu benennen, um die Einbindung seiner Neusichten in deren Komplexität und Dynamik verständlich zu machen, ist ihm zugute zu rechnen, richtet er sich doch ausdrücklich zudem an ein literarisch interessiertes Publikum (4). In einem mit dem bescheidenen Titel «Grundlagen» versehenen Kapitel führt der Verfasser mit hoher Treffsicherheit für das Wesentliche die Parodie der Lektüreerfahrung von Ritterbüchern (6), die Dichotomie von Idealismus und Narretei beim Helden (7), den Hintergrund des sozialen wie auch wirtschaftlichen Abstiegs Spaniens bis hin zum Beginn des 17.Jahrhunderts (8-9) 1, Dulcinea als eine nach neuplatonischer Liebestheorie geschaffene Figur Don Quijotes (12), die von eben diesem gesuchte aventura als Ausweis für dessen Umwertung von Alltäglichem in Außergewöhnliches (18) auf. All diese Begleitumstände bedingen die Wandlung eines Protagonisten, in der der Umschwung von individueller Verrücktheit in soziale Hellsichtigkeit zum Ausdruck kommt. So liegt der sonderbare Reiz dieses Klassikers der Weltliteratur darin beschlossen, gleichzeitige Entstehung wie auch Vertiefung dieser Figur im Roman erlesbar vorzuführen (22) 2 . Die literargeschichtliche Scheidung in Realität und Fiktion macht Cervantes Meisterwerk als erstes deutlich, nämlich dadurch, «daß in ihr Fiktion zum Horizont von Welt und wiederum Welt zum Horizont von Fiktion werden kann» 3• «Das Ideal des Goldenen Zeitalters» erfährt in einem gesonderten Kapitel Beachtung und wird als seit Hesiod bestehender Topos zur ältesten Vorstellung vergangener Vollkommenheit entwickelt (26). Auch wenn Don Quijote sich hier als Mitglied einer fahren- 1 Der interessierte Leser hätte an dieser Stelle wahrscheinlich tiefere Einblicke in den Niedergang der Habsburgischen Universalmonarchie bevorzugt, als es die bloße Auflistung gesellschaftsbezogener Schwierigkeiten gestattet. 2 Cf. R.KLOEPFER, «Selbstverwirklichung durch Erzählen bei Cervantes», in: SUSANNE KNALLER/ EDITH MARA (ed.), Das Epos in der Romania. Festschrift für Dieter Kremers zum 65. Geburtstag, Tübingen 1986: 145-64, bes. p.162. 3 H.R. JAuss, «Zur historischen Genese der Scheidung von Fiktion und Realität», in: D.HENRICHIW. lsER (ed.), Funktionen des Fiktiven, München 1983: 423-31, bes. p. 430.
