eJournals Vox Romanica 52/1

Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
1993
521 Kristol De Stefani

Hugo Glättli

121
1993
Gerold Hilty
vox5210404
Hugo Glättli 29. November 1910 -18. Juni 1992 Unter den Schweizer Romanisten war Hugo Glättli eine markante Persönlichkeit. Mit Carl Theodor Gossen, Ernest Schüle, Konrad Huber, Johannes Hubschmid, Wilhelm Egloff und zahlreichen anderen Studienkameradinnen und -kameraden gehörte er zu einer Zürcher Romanistengeneration, deren Studium ganz in die dreißiger Jahre fiel oder doch in den dreißiger Jahren begonnen hatte. Die prägende Lehrerpersönlichkeit war damals Jakob Jud. Hugo Glättli ist diesem seinem Hugo Glättli, 29. November 1910- 18. Juni 1992 405 Lehrer zeitlebens in Verehrung und Bewunderung verbunden geblieben. Seine Dankbarkeit Jakob Jud gegenüber ging so weit, daß er auf die Publikation einer Studie verzichtete, in der er in den vierziger Jahren Juds Erklärung des Ortsnamens Grabs kritisch beleuchtete und die mit den Sätzen schloß: «Das sind einige Fragen, die sich dem aufmerksamen Leser der Arbeit Juds stellen. Sie sind vielleicht geeignet, seine Deutung des Namens Grabs als nicht endgültig erscheinen zu lassen» 1 • Da Jakob Jud nach der Lektüre der Studie seinem Schüler sagte, er habe nicht mehr die Zeit und die Kraft, um sich nochmals mit dem komplexen Problem zu befassen, ließ Hugo Glättli das Manuskript in einer Schublade seines Schreibtisches verschwinden. Daß sich Hugo Glättli in den vierziger Jahren mit der Deutung eines Ortsnamens befaßte, war kein Zufall. Während seines Studiums hatte ihn Jakob Jud für Probleme der Toponomastik zu begeistern gewußt. So behandelte er in seiner Dissertation, mit der er 1936 promovierte, Probleme der kirchlichen Toponomastik der Westschweiz und Ostfrankreichs (Bibliographie Nr. 1). Es handelt sich dabei um eine äußerst sorgfältige, kenntnis- und materialreiche Darstellung der Namen, die auf eine Bezeichnung für 'Friedhof' zurückgehen (vor allem *MARTURETUM, aber auch *TUMBETUM und ATRIUM), die ein Element SANCTUS und DOMNUS enthalten oder deren Grundlage durch BASILICA oder MONASTERIUM gebildet wird. Mit der ihm eigenen Akribie geht Hugo Glättli der Geschichte und der Verbreitung dieser Namenstypen in der Westschweiz und in den angrenzenden Gebieten Ostfrankreichs nach. Schon am Ende seines Studiums hatte Hugo Glättli begonnen, als Hilfslehrer an Zürcher Mittelschulen Französisch zu unterrichten. Nach dem Studienabschluß setzte er diese Tätigkeit fort und verbrachte kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs noch ein Semester in Florenz, um seine ltalienischkenntnisse zu vertiefen. 1943 wurde er als Hauptlehrer für Französisch und Italienisch an die damalige Oberrealschule (heute: Mathematisch-Naturwissenschaftliches Gymnasium) gewählt. Hugo Glättli war einer jener Mittelschullehrer, in denen das feu sacre der Wissenschaft mit der Übernahme einer dauernden Lehrtätigkeit auf Mittelschulebene nicht erlosch. Wie das Schriftenverzeichnis zeigt, beschäftigte er sich in den vierziger Jahren weiterhin wiederholt mit Problemen der Toponomastik (Nm. 2, 3, 4 und 6), ganz abgesehen von der erwähnten Grabs-Studie. Bezeichnenderweise gelten auch drei seiner letzten Veröffentlichungen Namenproblemen, nämlich der Erklärung der Namen Küsnacht (Nr. 36), Meilen (Nr. 38) und Intragna (Nr. 39). Daneben hatten die wissenschaftlichen Studien von Hugo Glättli mehr und mehr Probleme der französischen Grammatik zum Gegenstand. Bei seinen ausgedehnten Lektüren legte er sich umfangreiche Exzerpte an, korrespondierte mit bekann- 1 Cf. G. HrLTY, «Zur Herkunft des Ortsnamens Grabs», in: Melanges offerts a Carl Theodor Gossen, vol. I, Bern/ Liege 1976, p. 363-94, besonders 363, 367-69. 406 Gerold Hilty ten Grammatikern in Frankreich und Belgien und wurde selbst zu einem der beachteten Spezialisten in französischer Grammatik.Von den sechziger Jahren an galt sein besonderes Interesse der Verwendung des subjonctif (Nm.14, 18, 19, 27, 28, 29, zum Teil 31, 35) und dem Auftreten des ne expletif (Nrn.15, 26, 37).Aber auch ganz andere Probleme interessierten ihn. So publizierte er 1948 mit seinem Freund Carl Theodor Gossen zusammen eine Sammlung von 400 Gallizismen für die Gymnasien der Deutschen Schweiz. Louis Wittmer wollte er helfen, den Entwurf auszuführen, den Charles Bally im Appendice zum zweiten Band seines Traite de stylistiquefranr;aise in Form eines «Tableau synoptique des termes d'identification et de leurs principaux synonymes » vorgelegt hatte. Daraus sollte ein Dictionnaire ideologique de la langue franr;aise werden, von dem aber leider nur ein Specimen erschienen ist (Nr.8). Die wissenschaftlichen Publikationen von Hugo Glättli wuchsen zu einem beträchtlichen Teil aus seiner Lehrtätigkeit heraus. Von dieser Lehrtätigkeit sagte der ehemalige Rektor der Oberrealschule, Bruno Quadri, an der Trauerfeier für seinen Freund und Kollegen sehr treffend: «Als hervorragender Kenner der französischen Sprache und ihrer Strukturen war er stets bestrebt, seinen Schülern eine solide sprachliche Grundlage zu vermitteln. Seine Arbeit war geprägt von hohem Pflichtgefühl, von Gründlichkeit und absoluter Zuverlässigkeit.An einer Maturitätsschule des Typus C, die keine alten Sprachen lehrt, kam nach seiner Auffassung dem Französischen, als Ersatz für das Latein, die Rolle zu, in den Schülern das Gefühl für Logik und sprachliche Ordnungsstrukturen zu wecken und zu vertiefen. Er war ein fordernder und deshalb für die Schüler nicht immer bequemer Lehrer.Er hat viele Jahrgänge von Maturanden maßgebend gefördert. » Hugo Glättli war ein Mensch mit Grundsätzen. Was er einmal als richtig erkannt hatte, stand für ihn fest. Das galt sowohl im Wissenschaftlichen als auch im Menschlichen. Wenn er aber das Gefühl hatte, in der Forschung würden Tatsachen nicht mit der nötigen Sorgfalt gewürdigt, Aussagen mißverstanden oder sogar verdreht, konnte er scharf reagieren. So verwahrte er sich gegen eine Rezension seiner Dissertation durch E.Gamillscheg, zu der er schrieb: «Eine sorgfältigere und in objektiverem Geiste geführte Nachprüfung der Ergebnisse meiner Arbeit hätte G. zweifellos davor bewahrt, in offenbare Irrtümer zu verfallen und gewisse Behauptungen aufzustellen, für die er auch nicht den Schatten eines Beweises anführt. Auf diese Besprechung wünsche ich im Interesse der Forschung zu antworten. » Die Antwort umfaßt dann gegen zwanzig Seiten (Nr.4). Später hat Hugo Glättli mit Moritz Regula und Peter Wunderli über Probleme der Konjunktivverwendung und -deutung diskutiert (Nrn.19, 27, 28). Diese Diskussionen ließen zwei Wesensmerkmale von Hugo Glättli deutlich in Erscheinung treten: seinen Glauben an sprachliche Normen und sein Mißtrauen großen abstrakten Theorien gegenüber.Er wollte die Verwendung des subjonctif auf dem sicheren Boden von unbestreitbaren Fakten und anerkannten Wertvorstellungen erklären. Hugo Glättli, 29. November 1910 - 18. Juni 1992 407 Ich habe angedeutet, daß Hugo Glättli auch im Menschlichen unverrückbar zu dem stand, wozu er einmal «ja» gesagt hatte. Das durften alle seine Freunde erfahren. Auf den Verstorbenen war absolut Verlaß. Und mehr noch: Hugo Glättli war von einer großen Hilfsbereitschaft. Legte man ihm grammatikalische Fragen vor, erhielt man rasch eine fundierte Antwort mit Belegen aus seinen umfangreichen Sammlungen. Er war auch stets bereit, Manuskripte zu lesen und mit kritischen Anmerkungen zu versehen. Schon als Student durfte er Jakob Jud bei der Durchsicht wissenschaftlicher Arbeiten helfen, und was er für unsere Zeitschrift Vox Romanica getan hat, ist im einzelnen kaum abzuschätzen. Schon in der Gründungszeit hat er den Herausgebern durch das Lesen der Korrekturen geholfen. In zwei Bänden wird sein Name im Zusammenhang mit der Herstellung der Indices erwähnt (12 [1951-52], 425; 13 [1953-54], 452). Während zehn Jahren war er Mitglied der Herausgeberkommission (1969-1979), sieben davon als deren Präsident. Nicht nur seine Schweizer Freunde durften Hugo Glättlis Hilfsbereitschaft erfahren, sondern zum Beispiel auch Georges Gougenheim, mit dem er freundschaftlich verbunden war. Im dritten Band von Gougenheims Les mots franr; ais dans l'histoire et dans la vie (Paris 1975) findet sich ein Index des mots cites von fast 20 Seiten, den Hugo Glättli zusammengestellt hat. Auch nach seinem Rücktritt aus der Herausgeberkommission blieb der Verstorbene unserer Zeitschrift verbunden und hat auch in den letzten Jahren noch Druckbogen mitgelesen. Am 14. Mai 1992, einen guten Monat vor seinem Tod, hat mir Hugo Glättli eine letzte Sendung zurückgeschickt und dazu geschrieben: «Die Durchsicht der Druckbogen empfand ich als schwere Belastung . . . Dein Rücktritt von der Leitung der Vox Romanica erinnert mich daran, daß ich schon zu Juds und Steigers Zeiten Druckbogen der Vox korrigierte. Band 51 werde ich nicht mehr erhalten. Meine Mitarbeit an der Zeitschrift hat ihr Ende gefunden.» Hugo Glättli hat nicht einmal mehr das Erscheinen des Doppelbandes 49/ 50 erlebt. In uns und in unserer Zeitschrift wird aber die Erinnerung an diesen unbeirrbaren Lehrer und Forscher und hilfsbereiten Menschen weiterleben. Bibliographie von Hugo Glättli 2 l. Probleme der kirchlichen Toponomastik der Westschweiz und Ostfrankreichs, Paris/ Zürich und Leipzig 1937 (RH 5), 170 p. 2. ''PAUL AEBISCHER,«Sur les noms de lieu composes de domnus et d'un vocable hagiographique et singulierement sur Donneloye et Donatyre», Revue d'histoire suisse 16 (1936), 36-67; VRom. 3 (1938), 192-96 2 Die folgende Zusammenstellung verdanke ich weitgehend Frau Nelly Agazzi-Glättli. 408 Gerold Hilty 3. «Zur Frage des Suffixes -ETUM nach Palatal», in: Sache, Ort und Wort. Jakob Jud zum sechzigsten Geburtstag (12.Januar 1942), Geneve/ Erlenbach-Zürich 1943 (RH 20), p.173-81 4. «Martroi < *MARTUR + ETUM (Zu einer Rezension von Prof. E. Gamillscheg, Berlin, in der ZFSL», VRom. 7 (1944), 244-63 5. «Französische Sprache», in: Schweizer Lexikon III, Zürich 1946, p.574 6. *FERDINAND LoT, Que nous apprennent sur le peuplement germanique de la France [es recents travaux de toponymie? , Paris 1945; VRom. 9 (1946/ 47), 347-50 7. 400 Gallicismes, mit C.TH. GOSSEN, 1948, 53 p. 8. Dictionnaire ideologique de la languefran1;;aise. Impression d'un paragraphe specimen, § 82 VIE: MORT, avec Lours WITTMER, Zurich 1951, 36 p. 9. *ROBERT PICCARD/ EMILE THILO/ ERNEST STEINER, Dictionnaire juridique, Zürich 1950; VRom. 12 (1951/ 52), 383-88 10. *RENE GEORGIN, Pour un meilleurfranr,;ais, Paris 1951; VRom. 13 (1953/ 54), 125-28 11. «Apropos de la syntaxe des interrogatifs quel et lequel en frans;ais moderne», VRom. 14 (1954/ 55), 62-71 12. *E.FROMAIGEAT, Deutsch-Französisches Satzwörterbuch, Zürich 1944-51; VRom. 14 (1954/ 55), 350-52 13. «Apropos du pretendu barbarisme usite par>>, RLiR 22 (1958), 317-23 14. «L'emploi du mode apresjusqu'ii ce que», RLiR 24 (1960), 69-89 15. «Apropos dune expletif apres sans que», VRom. 19 (1960), 300-18 16. «Apropos d'une publication recente sur le frans;ais en Suisse» (*E.G.TmLo, Cours pratique defran<;;ais), VRom. 21 (1962), 323-26 17. *VERENA BRINK-WEHRLI, Englische Mode- und Gesellschaftsausdrücke im Französischen; 19. 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