Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
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1996
551
Kristol De StefaniSpeculatio Carolina
121
1996
vox5510038
Speculatio Carolina Variationen des Karlsbildes in der altfranzösischen Epik* 0. Die altfranzösische Literatur ist in ihrer frühen Phase ohne jeden Zweifel die reichste unter den romanischen Literaturen, und sie beginnt geht man von den überlieferten Texten aus fast (wenn auch nicht ganz) mit einem Paukenschlag: mit der Chanson de Roland, die (obgleich «nur» in einem rund hundert Jahre jüngeren Manuskript überliefert) allgemein gegen Ende des 11. Jahrhunderts datiert wird. Dieser so weit oben in der französischen Literaturüberlieferung stehende Text ist ohne jeden Zweifel bereits ein Meisterwerk, der Höhepunkt einer Gattung, die gerade wegen seiner Leitfunktion eine außerordentliche Blüte erleben sollte: bis weit ins 13. Jahrhundert hinein erfreut sie sich größter Beliebtheit, von der eine Fülle von überlieferten Texten beredtes Zeugnis ablegt. Trotz ständiger inhaltlicher und formaler Adaptation an die sich wandelnden soziokulturellen Gegebenheiten wird jedoch die Größe des den Anfang der Überlieferungstradition markierenden Rolandslieds nie mehr erreicht. 0.1 Die Masse der Heldenepen wird seit Bertrand de Bar-sur-Aube, Autor des zwischen 1205 und 1225 entstandenen Girart de Vienne, in drei Zyklen eingeteilt 1: die Karlsgeste, die Wilhelmsgeste und die Empörergeste. In der Karlsgeste wird der Kampf Karls des Großen gegen die Heiden und für die Konsolidierung des Reichs dargestellt. Die Wilhelmsgeste befaßt sich mit den Taten des königstreuen Vasallen Guillaume d'Orange zum Schutze und zur Erhaltung von Karls Erbe unter dem (nach der epischen Tradition) vollkommen unfähigen Nachfolger Ludwig (auch «der Fromme» genannt). In der Empörergeste schließlich steht der Kampf des Königs (je nachdem Karl oder Ludwig) gegen eine Reihe von unbotmäßigen Vasallen im Vordergrund, die von innen her die Einheit des Reiches gefährden und sich der Oberhoheit des Monarchen auf vielfältige Weise zu entziehen versuchen. Zu den ersten beiden Zyklen kommt dann in der Spätphase der Gattung noch eine Reihe von Texten hinzu, in der die Kindheit der Zentralfigur und die Geschichte ihrer Vorfahren dargestellt wird. * Eine Kurzfassung dieser Studie ist erschienen in HECKER 1990: 59-79. 1 Cf. hierzu z.B. KöHLER 1985: 7h.; ADLER 1975: 19; etc. -Für den Text von Bertrand de Barsur-Aube cf. Girart de Vienne, ed. YEANDLE 1930, v. llss., 46ss. Speculatio Carolina 39 0.2 In der Karlsgeste und der Empörergeste spielt Karl der Große eine ganz zentrale Rolle im zweiten Fall wenigstens insoweit, als die dargestellten Ereignisse seiner Regierungszeit zugewiesen werden.In der Wilhelmsgeste dagegen tritt er nur im ersten Text des Zyklus, dem Couronnement Louis, als handelnde Person in Erscheinung, und auch hier nur am Anfang des Textes. Was die an das Couronnement anschließenden Epen angeht, so dient Karl hier nur als Kontrastfolie für die Bedeutungslosigkeit und Schwäche Ludwigs. Wenn wir gesagt haben, Karl spiele in der Karls- und der Empörergeste eine wichtige Rolle, so heißt dies keineswegs, daß er im Zentrum des Geschehens steht, die Hauptfigur ist ganz im Gegenteil: mit wenigen Ausnahmen (wie z.B. der Chanson d'Aspremont) bleibt Karl meistens eine Figur des zweiten oder dritten Gliedes. Sehr treffend hat Frantisek Graus darauf hingewiesen, daß in der altfranzösischen Chanson de geste im Gegensatz etwa zum antiken Drama - «si le souverain y joue en general un certain röle, ce n'est pas, la plupart du temps, le röle principal, et le roi se trouve relegue un peu au second plan» 2 • Trotz dieses Zurücktretens ins zweite Glied bleibt aber seine Person der Kristallisationspunkt, das Zentrum, um das herum sich die Vordergrundshandlung organisiert. Allerdings muß gleich von allem Anfang an darauf hingewiesen werden, daß der Karl, der uns in den altfranzösischen Epen entgegentritt, kaum etwas mit dem historischen König und Kaiser zu tun hat. Zu Recht unterstreicht Graus, daß «on ne saurait trop insister sur l'importance de l'enseignement affirmant qu'a aucun degre de son evolution et dans aucune de ses manifestations, la litterature n'est l'image mecanique de la realite» 3 . Alfred Adler präzisiert diese Position noch dahingehend, daß «die epische Fabel in diesem wichtigen Aspekt einer mythischen vergleichbar - ... nicht den historischen Faktor 'an dem sie hängt', von dem sie abhängt, [definiert]. Sie überspitzt diesen Faktor spekulativ» 4 • Dies ergibt sich schon daraus, daß historisch identifizierbare Ereignisse, die nachweislich in die Regierungszeit von Pipin oder Karl Martell fallen, oft Karl dem Großen zugeschrieben werden. Darüber hinaus werden aber auch wirtschaftliche, kulturelle und politische Gegebenheiten aus der Entstehungszeit der Epen auf das Umfeld des epischen Karl projiziert, und nicht anders ergeht es der Figur Karls selbst, dem oft Züge der zeitgenössischen Könige (Philippe I, Louis VI, Louis vn, Philippe n Auguste) zugewiesen werden 5 . Was uns so in der Literatur entgegentritt, ist ein (aus historischer Sicht) verfremdeter Karl, eine Figur, die je nachdem idealisierend überhöht oder aber auch verteufelt wird eine Figur, die wenig über den historischen Karl aussagt, dafür aber umso mehr über das Königsbild im 12. und 13. 2 Cf. GRAus 1969: 25s. 3 Cf. GRAUS 1969: 15; cf. auch p. 51. 4 Cf. ADLER 1975: 21. - Für ähnliche Stellungnahmen cf. BECKER 1978, in: KRAuss 1978: 85- 129, bes. p.119; BEZZOLA 1978, in: KRAUSS 1978: 130-63, bes. p.130s.; KRAUSS 1978: 4; etc. 5 Cf. auch KRAuss 1978: 8. 40 Peter Wunderli Jahrhundert. Dieses Bild ist je nachdem Wunsch- oder Zerrbild und manchmal auch beides zusammen; welche Optik jeweils gewählt wird, hängt einerseits von der ideologischen Position des Autors, andererseits aber auch von derjenigen des Publikums, an das er sich richtet, ab 6• «Historische Wahrheit» und «dichterische Wahrheit» sind so aus der Sicht des Wissenschaftlers nicht identisch. Es wäre nun aber vollkommen abwegig, den mittelalterlichen Dichter der «Geschichtsfälschung» zu bezichtigen: für ihn sind poeta und historicus identisch, ja er lebt sogar in dem Glauben, die entschiedene Behauptung der dichterischen Wahrheit werde die historische Wahrheit modifizieren - und z. T. ist dies zumindest in bezug auf die Geschichtsschreibung auch tatsächlich geschehen 7 • Wie wir sehen werden, ist diese «dichterische Wahrheit» für den epischen Autor allerdings bedeutend weniger selbstverständlich und homogen als etwa die Wahrheit des höfischen Dichters 8• 0.3 Wichtig ist einleitend auch noch, darauf hinzuweisen, daß die altfranzösischen Epen keineswegs zumindest ursprünglich nicht! - Schreibtischprodukte sind; sie waren anfangs für den oralen Vortrag bestimmt, für ein breites, in sich ungeschiedenes Publikum 9 : sie waren, wie Jean Rychner sagt, ein article de foire 10 • Vom jongleur meist über mehrere Tage hinweg in kleineren Portionen vorgetragen, erweist sich der in ihnen behandelte Stoff als außerordentlich variabel und flexibel: die einzelnen Episoden werden als Versatzstücke gehandhabt, die praktisch an beliebigen Stellen eingesetzt werden können. Durchaus zu Recht spricht deshalb P. Aebischer von einem «bric-a-brac epique», d.h. wir haben nichts anderes als eine mittelalterliche Ausbildung des berühmten bricolage von Roland Barthes 11 • Die schriftliche Fixierung der Epen beginnt erst relativ spät, in größerem Umfang sicher erst im Laufe des 12. Jh.s. Natürlich läßt eine solche Fixierung die ursprünglich sich ständig verformende Masse erstarren. Die Existenz von verschiedenen, oft erheblich voneinander abweichenden Versionen des gleichen Stoffes, sowie das Auftreten gleicher Episoden in ganz verschiedenen Epen und Kontexten legen aber weiterhin beredtes Zeugnis vom ursprünglichen Zustand der matiere epique ab. 1. Wenn wir uns nun nach diesen einleitenden Bemerkungen dem Karlsbild in der altfranzösischen Epik zuwenden, dann kann es unmöglich darum gehen, die ganze Masse der chansons de geste aufzuarbeiten. Ich werde mich vielmehr darauf 6 Cf. hierzu auch GRAUS 1969: 16, 51; BENDER 1965/ 66: 36; PARIS 1865a: 16s. 7 Cf. hierzu z.B. KRAuss 1978: 5; KöHLER 1978a: 5; LOT 1958: passim. s Cf. KÖHLER 1978b: 12-38, bes. p.17s. 9 Cf. KÖHLER 1978a: 4-6; KöHLER 1978b: 17. 10 Cf. hierzu v.a. RYCHNER 1955. - Cf. ferner KÖHLER 1978a: 6; KöHLER 1985: 72-76; KRAuss 1978: 10. 11 Cf. hierzu unten. Speculatio Carolina 41 beschränken müssen, auf einige für unsere Fragestellung besonders interessante Werke ausführlicher einzugehen und einige andere gewissermaßen hilfsweise heranzuziehen; viele werden dagegen unerwähnt bleiben. Gleichwohl hoffe ich, meine Auswahl so getroffen zu haben, daß die ganze Spannweite des Karlsbildes in den Blick tritt. 1.1 Das Rolandslied, in seiner «klassischen» Fassung Ende des 11. Jh.s entstanden und in einer rund hundert Jahre jüngeren, in Oxford aufbewahrten Handschrift überliefert, kann mit Gaston Paris als «le type le plus complet» der chanson de geste bezeichnet werden 12 • Entsprechend gilt das Bild Karls, das uns im Rolandslied vorgeführt wird, allgemein als Idealbild: schön, majestätisch, weise, überlegt, kriegstüchtig, initiativ, gerecht all dies sind Attribute, mit denen der König normalerweise charakterisiert wird; v.a. aber ist er auch ein in jeder Hinsicht vorbildlicher Lehnsherr 13• Allerdings bleibt seine Beschreibung immer recht unpräzise und pauschal, wie das folgende Zitat zeigt 14 : Desuz un pin, delez un eglenter, Un faldestoed i unt fait tut d'or mer: La siet li reis ki dulce France tient. Blanche ad Ja barbe e tut flurit le chef, Gent ad Je cors e le cuntenant fier: S'est kil demandet, ne l'estoet enseigner. Roland 114-19 15 Darstellungen dieser Art sind keineswegs isoliert 16; sie rechtfertigen alle das Urteil von Frantisek Graus, wonach «le nombre des propres moyens litteraires dont dispose un ecrivain pour caracteriser ... un bon souverain est bien ... restreint» 17 . Gleichwohl ergibt sich aus diesen Darstellungen eine Reihe von gewissermaßen topischen Zügen des Karlsbildes bzw. des Bildes des «guten» Herrschers überhaupt 18 . Karl ist somit majestätisch, stolz und schön 19 , und er ist v.a. mächtig 20 • Noch viel blumiger werden diese Qualitäten in der Chronik des Pseudo-Turpin dargestellt, einer Fälschung, die wohl zwischen 1130 und 1140 unter Rückgriff auf die altfranzösischen chansons de geste (und insbesondere auf das Rolandslied) 12 Cf. PARIS 1865a: 18. - Für eine ausführliche Zusammenfassung cf. z.B. GRÖBER 1902: 463- 65; HoRRENT 1981: 5ss.; KöHLER 1985: 36-38. 13 Cf. z.B. BENDER 1967: 9, 21. 14 Cf. auch PARIS 1865a: 345; BEZZOLA 1978: 133, 162; KöHLER 1985: 45. 1s Zitiert nach BEDIER 1922. 16 Cf. z.B. Chanson de Roland 2987-96, 3115s. 17 Cf. GRAUS 1969: 43. 1s Interessanterweise wird auch Baligant auf sehr ähnliche Weise charakterisiert (cf. ADLER 1975: 65)aber auch er ist letztlich ein guter Herrscher, sieht man einmal davon ab, daß ihm eben der richtige Glaube fehlt! 19 Cf. auch Roland 28. 20 Cf. auch op.cit., v. 94, 375s., 460. 42 Peter Wunderli entstanden sein dürfte 21 • Ich zitiere nach der deutschen Übersetzung von H.-W. Klein 22: Karl hatte dunkelbraunes Haar, ein rotes Gesicht, einen wohlgeformten und schönen Körper, aber einen durchdringenden, drohenden Blick. Er war acht Fuß groß, gemessen nach dem Maß seiner eigenen, sehr großen Füße, breitschultrig, mit kräftigen Hüften, einem entsprechenden Leib, starken Armen und Beinen, überhaupt mit sehr starken Gliedmaßen begabt, ein kühner Kämpfer. Sein Gesicht maß in der Länge anderthalbe Spanne, der Bart eine und die Nase etwa eine halbe. Seine Stirn maß einen Fuß, seine Augen funkelten und blitzten wie die eines Löwen. Die Augenbrauen maßen eine halbe Spanne. Jeder Mensch erschrak zutiefst, wenn er ihn voller Zorn mit weit aufgerissenen Augen ansah. Der Gürtel, den er um den Leib trug, war acht Spannen lang, ohne die Riemenenden, die noch herabhingen. Bei den Mahlzeiten aß er wenig Brot, aber einen Viertel Hammel, oder zwei Hühner, oder eine Gans, oder eine Schweineschulter, oder einen Pfau oder einen Kranich, oder einen ganzen Hasen . . . Eine wahrlich i n jeder Hinsicht beeindruckende Erscheinung, die i n ihrer Überzeichnung schon fast komisch wirkt. Von dieser Komik ist allerdings im Rolandslied noch nichts zu spüren 23 • In einem Punkt ist der Autor des Pseudo-Turpin allerdings «realistischer» als das Rolandslied: er stellt Karl als einen im besten Alter stehenden Mann dar, während er im Rolandslied als ehrwürdiger Greis erscheint: weißer Bart und Silberhaar kennzeichnen ihn, cf. auch v. 3503: Blanche ad la barbe cume flur en avril. Und immer wieder wird darauf insistiert -v.a. wenn er in die Schlacht reitet-, daß sein wallender weißer Bart auf die Rüstung fällt: Mult gentement li emperere chevalchet. Desur sa bronie fors ad mise sa barbe. Roland 3121s. 24 Das hohe Alter Karlsebenso wie seine äußeren Attributesind geradezu ein «Markenzeichen» des Kaisers, auf das der Autor immer wieder hinweist: obwohl er faktisch zum Zeitpunkt der Schlacht von Roncevaux erst gut 30 Jahre alt war, wird immer wieder betont, er stehe bereits im biblischen Alter von über 200 Jahren 25• So sagt z.B. Marsilius zu Ganelon: De Car! emagne vos voeill oi'r parler. II est mult vielz, si ad sun tens uset; Men esci:ent dous cenz anz ad passet. 21 Cf. hierzu PARIS 1865b. Roland 522-24 2 6 22 Cf. KLEIN 1986: 91. � Für den lateinischen Text cf. KLEIN 1986: 90. 23 Wohl aber in andern Texten, cf. hierzu unten. 24 Cf. auch v. 3123, 3316-19, usw. 25 Cf. hierzu auch PARIS 1865a: 346; CURTIUS 1978: 76s.; BEZZOLA 1978: 134s.; BENDER 1967: 25; usw. 26 Cf. auch Roland 538-44, 550-56, 1768-72. Speculatio Carolina 43 Wie sehr das hohe Alter Karls zum geradezu unabdingbaren Topos geworden ist, illustriert v.a. der späte, auf das Jahr 1205 datierte 27 Doon de Mayence. In ihm tritt uns ein Karl entgegen, der eben gerade frisch zum König gekrönt worden ist (768) also ein richtig «junger Spund». Während der Vorbereitung seines Dänemarkzugs (der eine zentrale Episode dieses Heldenliedes darstellt und den er zusammen mit Doon de Maience und Garin de Monglane ohne jegliches Heer durchführt) findet sich eine Szene, die fast schon komisch wirkt: Karl läßt sich von einem Friseur künstlich alt machen, und auf Geheiß eines ihm im Traum erscheinenden Engels müssen sich auch seine beiden Weggefährten der gleichen Prozedur unterziehen 28: 0 le roy ot .r. mestre qui (le] fist tresmuer Et palir et cangier et viel homme sembler, Les cheveus canuir et la barbe mesler Et la chiere fronchir, ! es epaules combrer Et la barbe canue a son menton gluer. N'ot pas .xxv. ans, mes bien cuidast jurer Plus de .c. en eust, qui l'en veist aler. Doon de Maience 224 29 Dieses face lifting «a l'envers», dieser topische Greisenhabitus bleibt aber rein äußerlich; nicht nur im Doon de Mayence, wo ja die Maskerade offengelegt wird, sondern auch im Rolandslied, wo Karl vom Äußeren her als de natura alt erscheint, ist er ein mächtiger Kriegsherr und ein großartiger Kämpfer; dies wird auch vom Sarazenen Bramimunde vorbehaltlos anerkannt: Li emperere est ber e cumbatant: Meilz voelt murir que ja fuiet de camp; Suz ciel n'ad rei qu'il prist a un enfant. Carles ne creint nuls hom ki seit vivant. Roland 2737-40 30 Neben diesen physischen, z.T. requisitenhaften Zügen kennzeichnen Karl auch eine Reihe von typischen Gesten und Verhaltensweisen. Wenn z.B. ein Problem auftaucht, dann entscheidet er nicht spontan oder redet, er senkt vielmehr den Kopf und denkt nach: Li empereres en tint sun chef enciin. De sa parole ne fut mie hastifs, Sa custume est qu'il parolet a leisir 27 Cf. LEVY 1957: 46. 2s Cf. ADLER 1975: 154s. 29 Cf. Doon de Maience, ed. PEY 1859. 30 Cf. auch Roland 2115-18, 3443-50, 3564-620. 31 Cf. auch BENDER 1967: 48. Roland 139-41 31 44 Peter Wunderli heißt es, nachdem ihm Blancadrin die Botschaft von Marsilius über dessen angebliche Bereitschaft zur Unterwerfung vorgetragen hat. - Und während Karl überlegt, zögert, seine Entscheidungen abwägt oder eine andere Lösung sucht als die, die ihm seine Berater vorgeschlagen haben, streicht er sich normalerweise gedankenverloren den langen weißen Bart und dreht sich den Schnauz: Li emperere en tint sun chef enbrunc, Si duist sa barbe, afaitad sun gernun, Ne ben ne mal ne respunt sun nevuld Roland 214-16 3 2 lesen wir, nachdem Roland ihm geraten hat, das Friedensangebot von Marsilius nicht ernst zu nehmen und den Krieg gegen die Sarazenen bis zur Eroberung von Saragossa fortzuführen. - Darüber hinaus erweist sich der Bart auch als unerläßliches Requisit, wenn Karl meist mehr oder weniger wütend schwört, daß er irgendetwas vollenden oder verhindern werde. So antwortet er auf das Angebot Naimes', die gefährliche Botschaft bei Marsilius zu übernehmen: ... : Vos estes saives hom. Par ceste barbe e par cest men gernun, Vos n'irez pas tan de mei si luign. Alez sedeir, quant nuls ne vos sumunt! Roland 248-51 Und wenn sich Roland und Olivier anschließend um die Übernahme der Gesandtschaft streiten, antwortet Karl nicht weniger autoritär: ... : Ambdui vos en taisez! Ne vos ne il n'i porterez ! es piez. Par ceste barbe que veez blancheier, Li duze per mar i serunt jugez! Roland 259-62 Genau wie die Muselmanen beim Barte des Propheten zu schwören pflegen, so schwört Karl bei seinem eigenen Barte (oder Schnauz)! - Und schließlich noch eine letzte typische Verhaltensweise Karls: erfährt er von Mißerfolgen, Schicksalsschlägen usw., dann weint und jammert er. So heißt es z.B. über die Schlacht bei Roncevaux: Karies li magnes en pluret, si se dementet Roland 1404 eine Reaktion, die sicher nicht Schwäche, Weichheit oder Feigheit bedeutet, sondern vielmehr die tiefe Betroffenheit des Herrschers symbolisiert 33 , eine Betroffenheit, die angesichts des leblosen Körpers von Roland bis zum Ohnmachtsanfall gehen kann: 32 Cf. auch v. 242ss. et passim; cf. ferner PARIS 1865a: 346; BENDER 1967: 48; KöHLER 1985: 46. 33 Zu den den Herrschern in der Literatur im allgemeinen zugeschriebenen Qualitäten cf. GRAUS 1969: 38ss. Speculatio Carolina Descent a pied, aled i est pleins curs. [Si prent Je cunte] entre ses mains ansdous, Sur lui se pasmet, tant par est anguissus. Roland 2878-80 45 Reaktionen dieser Art pflegt man heute v. a. als für Frauen typisch zu betrachten; in der altfranzösischen chanson de geste kennzeichnen sie dagegen gerade die großen Führergestalten und Helden, die man am allerwenigsten mit dem Attribut 'weibisch' belegen kann. Und gleichwohl: der König war so etwas wie die «Mutter der Nation» ... Mit diesen Verhaltensweisen sind wir bereits in einen Bereich vorgestoßen, den man mit «moralische Qualitäten Karls» überschreiben könnte. So wichtig die äußeren Attribute, die topischen Verhaltensweisen für die gewissermaßen «optische» Karlspräsentation sind für den Handlungsfortgang, als Motor der Ereignisse sind seine moralischen Eigenschaften viel wichtiger. Von den bereits erwähnten Zügen, die sich in Beschreibungstopoi niederschlagen, repräsentieren sicher Bedächtigkeit und Überlegtheit des Königs eine moralische Qualität. In diesen Zusammenhang gehört zweifellos auch die Tatsache, daß Karl vor schwierigen Entscheidungen seine Barone um Rat fragt. Nach dem Friedensangebot von Marsilius ist eine solche Situation gegeben: Desuz un pin en est li reis alez, Ses baruns mandet pur sun cunseill finer: Par cels de France voelt il de! tut errer. Roland 165-67 Obwohl de facto ein französischer König im 11. Jh. wohl überhaupt nicht in der Lage war, etwas ohne die Zustimmung seiner Feudalherren zu unternehmen 34, erlaubt es die Umprojektion der zeitgenössischen Verhältnisse auf den mythisierten Karl, diese Zustimmungsbedürftigkeit als moralische Qualität zu begreifen: der König erscheint so nicht als schwächlicher (kapetingischer) Herrscher, sondern als aufgeklärter (karolingischer) Despot! Zu den moralischen Qualitäten Karls gehört auch seine Ritterlichkeit gegenüber Frauen, v.a. aber gegenüber der Witwe des besiegten Marsilius, die zwar als Gefangene mit ihm nach Frankreich ziehen muß, «mais n'ad talent que li facet se bien nun» 35 . Darüber hinaus ist Karl von großer Frömmigkeit. Er steht regelmäßig früh auf und hört dann zuerst die Messe: Li empereres est par matin levet; Messe e matines ad li reis escultet. 34 Cf. AUERBACH 1967: 99; BEZZOLA 1978: 138. 35 Cf. Roland 3681. 36 Cf. auch Roland 163s. et passim. Roland 669s. 36 46 Peter Wunderli Bevor er in den Kampf zieht, bittet er Gott um Hilfe und Unterstützung, und nach dem errungenen Sieg dankt Karl als erstes Gott. Nachdem er die Armee von Marsilius am Ebro vernichtet hat, fällt er zuerst einmal auf die Knie: Quant Carles veit que tuit sunt mort paiens, Li gentilz reis descendut est a piet, Culchet sei a tere, sin ad Deu graciet. Roland 2476-81 Diese Frömmigkeit ist nun aber nicht einfach Unterwürfigkeit, ritualisierte Ergebenheit in eine höhere, unsichtbare Macht. Vielmehr besteht zwischen Karl und Gott so etwas wie eine Feudalbeziehung, die auf dem do ut des-Prinzip aufbaut und in der Karl die Rolle des Vasallen, Gott die Rolle des Herrschers spielt. Wenn Karl einerseits Gott dient, dann ist Gott andererseits verpflichtet, ihn für diesen Dienst zu belohnen -und er tut dies, indem er ihm im Schlaf Träume und Visionen schickt, die ihm die Zukunft künden 37 ; als göttlicher Bote fungiert meist der Erzengel Gabriel. Der eindeutigste Beleg für diesen «heißen Draht» Karls zu Gott, für diese «Gottesunmittelbarkeit» ist jedoch die Schlacht am Ebro, in der Karl den Tod Rolands, Oliviers und Turpins rächt. Die Nacht naht, die Sarazenen sind noch nicht vernichtet, das Hereinbrechen der Dunkelheit könnte ihre totale Niederlage verhindern. In dieser Situation wendet sich Karl wiederum an Gott, bittet um ein Wunder der Erzengel Gabriel signalisiert göttliches Einverständnis, und das Wunder geschieht. Doch lassen wir den Text selbst sprechen: Quant veit li reis le vespres decliner, Sur ! 'erbe verte descent li reis en un pred, Culchet sei a tere, si priet Damnedeu Que li solei:lz facet pur lui arester, La nuit targer e le jur demurer. Ais li un angle ki od lui soelt parler, Isnelement si li ad comandet: «Charle, chevalche, car tei ne falt clartet. La flur de France as perdut, 1,0 set Deus. Venger te poez de la gent criminel. » A icel mot est l'emperere muntet. Pur Karlemagne fist Deus vertuz mult granz, Car li soleilz est remes en estant. Roland 2447-59 Sicher, Karl ist ein Vasall Gottes, aber er ist ein Vasall ganz besonderer Art: er ist ein Erwählter, denn Gott erfüllt ihm gegenüber nicht nur seine Fürsorgepflicht, er tut vielmehr Wunder für ihn 38 . 37 Cf. Roland 717ss., 2525ss., 2555ss., 3993ss. 38 Cf. BENDER 1967: 16, 18s.; BENDER 1965/ 66: 39s., 42, 45; ADLER 1975: 60; KÖHLER 1985: 46. Speculatio Carolina 47 Bis hierher ist das Bild, das von Karl gezeichnet wird, geradezu ideal, durch die göttliche Hilfestellung in einen geradezu mythischen Idealisierungsbereich entrückt. Mit dieser Feststellung geben sich die meisten Autoren, die sich mit dem Karlsbild im Rolandslied in der einen oder anderen Form befaßt haben, zufrieden. Sie unterschlagen dabei, daß der Text Elemente enthält, die ein ganz anderes Karlsbild wenn nicht zeichnen, so doch durchschimmern lassen. Das fängt damit an, daß Ganelon Karl zwar einerseits gegenüber Marsilius in höchsten Tönen lobt, andererseits aber auch durchblicken läßt, er könne sein Reich nur dank der Hilfe von Roland (und Olivier) zusammenhalten, sei also von diesen beiden abhängig, und überdies sei er habgierig, ja geradezu bestechlich 39 • Dies könnte man noch als gewollte Verzeichnung aus der Perspektive eines Feindes von Karl abtun, obwohl man nicht vergessen darf, daß der Sarazene Bramimunde ein durchaus positives Bild von ihm gezeichnet hat! Dazu kommt noch, daß auch aus auktorialer Sicht - und dem Autor verdanken wir die bisher aufgezeigten positiven Aspekte des Karlsbilds - Züge genannt werden, die nicht so recht zum bisher entworfenen Idealbild passen. Dies beginnt damit, daß der Autor zugesteht, daß man Karl durchaus täuschen kann. Bei der Ankunft der Boten von Marsilius bemerkt er: Vindrent a Charles, ki France ad en baillie: Nes poet guarder que alques ne l'engignent. Roland 94s. Wie verträgt sich dies mit dem Bild eines idealen Herrschers, der überdies noch Gottes Fürsorge und Hilfe gewiß sein kann? Und wie kann es dazu kommen, daß Roland ihm, dem absoluten (wenn auch aufgeklärten) Herrscher, heftig widersprechen darf, als er durchblicken läßt, er könnte geneigt sein, das Friedensangebot von Marsilius anzunehmen 4 0? Wird dadurch seine Autorität nicht kompromittiert 41 - und dies umso mehr, als er einen heftigen Streit zwischen Roland und Ganelon über diese Frage zuläßt? Und wie steht es um den unermüdlichen Krieger und strahlenden Helden, wenn nach der Ankündigung neuer Kriegszüge durch Gabriel der Text mit den Versen endet: Li emperere n'i volsist aler mie: «Deus», dist li reis, «si penuse est ma vie! » Pluret des oilz, sa barbe blanche tiret. Roland 3999-4001 Tritt uns hier nicht ein müder, erschöpfter, einsamer und verzweifelter Karl entgegen, von dessen bisherigem Glanz kaum mehr etwas übrig geblieben ist 4 2? Karl ist auch nicht immer weise. Auf das Friedensangebot von Marsilius hin 39 Cf. Roland 520-579; cf. auch AUERBACH 1967: 102. 40 Cf. Roland 193ss. 41 Cf. BEZZOLA 1970: 89-114, v.a. p. 98s. 42 Cf. auch KÖHLER 1985: 47. 48 Peter Wunderli reagiert er mit übertrieben harten Bedingungen: Marsilius soll sich nicht nur taufen lassen, er soll die Hälfte seines Reiches an Roland abtreten (der ihm gleichzeitig auch noch als unangenehmer Nachbar präsentiert wird), und die andere Hälfte soll er als Lehen von Karls Gnaden empfangen. Und dann folgt auch gleich noch eine Drohung: wenn er diesem «Angebot» nicht zustimmt, wird Karl ihn gefangen nehmen, auf einem miesen Packpferd nach Aachen transportieren lassen und ihm dort den Prozeß machen 4 3• Wahrlich kein diplomatisches Meisterstück eines weisen Herrschers! - Instinkt-, ja Gefühllosigkeit zeigt Karl auch, nachdem er die Leichen der gefallenen Franken entdeckt hat: er befiehlt zwar, sie zu bewachen, kümmert sich aber nicht weiter um sie und setzt die Verfolgung von Marsilius fort. Und auch nachdem er diesen geschlagen hat, bedarf es noch der Mahnung von Geoffroy d'Anjou, daß er den Befehl gibt, die eigenen Toten zu bestatten 44 ! Weitaus am bedenklichsten scheint mir aber Karls Verhalten in der Beratung über die Gesandtschaft zu Marsilius 4 5 und im Ganelonprozeß 46 zu sein. Erich Köhler hat gezeigt, daß historisch gesehen die Institution des conseil des barons insofern einer Realität entsprochen hat, als der König bei schwierigen Entscheidungen verpflichtet war, sich durch seine Barone beraten zu lassen und deren Einverständnis einzuholen. Gleichwohl ist er keineswegs in dem Ausmaße an die Entscheidungen des Feudaladels gebunden wie im Falle des jugement des barons, das im Sinne des judicium parium der königlichen Rechtswillkür einen Riegel vorschieben soll. Eine funktionelle Identität von conseil und jugement des barons hat es offensichtlich nie gegeben, und selbst der schwächste kapetingische König hätte sich wohl entschieden gegen einen derartigen Eingriff seiner Vasallen in seine Befugnisse verwahrt 4 7: die im Rolandslied geschilderte Situation stellt somit ein Wunschbild, eine Zielprojektion aus der Sicht der mächtigen Fürsten dar, die danach strebt, die Handlungsfreiheit der realiter ohnehin schon schwachen kapetingischen Könige noch weiter einzuschränken. Dieser Aspekt stellt zweifellos einen Bruch gegenüber dem bisher festgestellten hohen Idealisierungsgrad des Karlsbildes dar. Wir halten dies einfach einmal fest und beschränken uns vorerst ganz vordergründig auf das dargestellte Verhalten Karls in den beiden Situationen. Was geht nun bei der Botschafterwahl vor sich? Die Barone haben den Vorschlag Naimes' angenommen, auf das Friedensangebot von Marsilius einzugehen (v. 230-43), und es geht nun darum, einen Abgesandten zu bestimmen. Naimes bietet sich selbst für dieses Himmelfahrtskommando an - und Karl lehnt unwirsch ab (v. 244-51). Gleichermaßen verfährt er mit den Angeboten von Roland und Olivier und fügt dann auch gleich noch bei, daß er keinen der 12 Pairs in dieser 43 Cf. Roland 469-83. 44 Cf. Roland 2425-39, 2945-49; cf. BENDER 1967: 23. 45 Cf. Roland 179ss. 46 Cf. Roland 3750ss. 47 KöHLER 1978c: 368-412; KöHLER 1985: 51-62. Speculatio Carolina 49 Rolle sehen wolle (v. 252-63). Damit ist bereits eine entscheidende Weichenstellung erfolgt: Karl hat die eigentlichen Stützen seiner Macht, die Franken im engeren Sinne, von dem gefahrvollen Unternehmen ausgeschlossen, und es ist nur konsequent, daß er auch auf das Angebot von Turpin in gleicher Weise reagiert. Als dann Roland seinen Stiefvater Ganelon vorschlägt, schweigt Karl und wartet den Beifall der Barone ab was er bisher immer durch eine rasche Intervention zu verhindern gewußt hat (v. 274ss.). Er hört sich auch das anschließende Wortgefecht zwischen Roland und Ganelon und dessen Racheschwüre ruhig an, um dann einfach zu entscheiden: Ganelon geht (v. 298). Nun: Ganelon ist eben kein Pair, er ist kein Franke im engeren Sinne: Maganzese, nur ein «barun de la marche» (v. 275), und dazu noch der wenig geliebte Schwager Karls! Offensichtlich hat Karl seinen conseil des barons manipuliert: er hat alles verhindert, was nicht zu seinen Plänen paßte, er hat ihn geschickt dorthin gebracht, wo er ihn haben wollte. Sein Abwägen, Überlegen, Nachdenken war nur Schau; voreingenommen gegen Ganelon hat er mit List seine Absicht realisiert. All dies paßt nicht zu dem idealen Karlsbild, das wir eingangs gezeichnet haben: Karl ist nicht gerecht, er unterzieht sich seinen Pflichten als Feudalherrscher nicht und macht die Institutionen, denen er sich eigentlich verpflichtet fühlen müßte, zu Requisiten einer Komödie 48. Als noch eklatanterer Rechtsbruch muß Karls Verhalten im Ganelonprozeß (v. 3750ss.) erscheinen, denn hier wäre er nach dem Feudalrecht auf jeden Fall verpflichtet, dem Ratschluß seiner Vasallen zu folgen. Ganelon verteidigt sich mit dem Argument, er habe keineswegs den Kaiser verraten, sondern mit Roland eine persönliche Fehde ausgetragen und an diesem Rache genommen für sein heimtükkisches Verhalten bei der Bestimmung des Abgesandten. Sein Verwandter Pinabel macht sich zu seinem Anwalt, und auch bei den Baronen findet er Gehör: sie bitten Karl fast einmütig um Gnade für den Verräter. Karl setzt eine finstere Miene auf und schweigt - und gibt so seinem (und Rolands) getreuen Gefolgsmann Thierry d'Anjou Gelegenheit, ein Gottesurteil zu fordern. Damit setzt er den Beschluß der Fürsten außer Kraft, und es kommt doch noch zur Hinrichtung Ganelons einer Hinrichtung, die übrigens wiederum rechtlich anrüchig ist: Nach der Niederlage Pinabels im Zweikampf mit Thierry läßt Karl Ganelon vierteilen, bevor dieser seine Schuld gebeichtet hat; überdies läßt er das ganze Gefolge von Ganelon an den nächsten Bäumen aufknüpfen. All dies kann nur in einem Sinne interpretiert werden: Karl hat erneut seine Ratsversammlung manipuliert und ein pseudoobjektives Urteil provoziert, das seinen eigenen Interessen Rechnung trägt 49. Er handelt in beiden Fällen nicht wie ein mächtiger karolingischer Herrscher, sondern 48 Cf. ADLER 1975: 53; KöHLER 1978c: 376ss. - Ungelöst ist immer noch das Problem, warum Karl nicht gleichermaßen listig die Ernennung Rolands zum Führer der Nachhut verhindert: Obwohl er durch zwei Träume gewarnt ist (v. 717ss.), tappt er voll in die Falle von Ganelon (v. 740ss.). Cf. hierzu AUERBACH 1967: 97-99; KöHLER 1978c: 394. 49 Cf. BENDER 1967: 60; ADLER 1975: 67-69; KöHLER 1978c: 400ss.; KöHLER: 1985: 60-62. 50 Peter Wunderli wie ein mickriger kapetingischer König, der nicht die Interessen des Reiches in den Vordergrund stellt, sondern auf krummen Wegen Hausmachtpolitik betreibt, indem er die rechtlichen Institutionen des Feudalwesens zur Elimination widerspenstiger Fürsten einsetzt 50 . Bleibt noch ein letzter Punkt, der ein nicht sehr günstiges Licht auf Karl wirft. Im Rolandslied läßt sich eigentlich nur schwer erklären, warum Karl sich derart für Roland einsetzt er ist zwar ein Neffe, ein Verwandter Karls, aber familiäre Bande ähnlicher Art gibt es noch zu zahlreichen andern epischen Figuren, ohne daß sie eine gleichermaßen bevorzugte Behandlung erfahren würden. Obwohl im Rolandslied hierzu jede Andeutung fehlt, gibt es in der mittelalterlichen Epik eine relativ breite und solide Tradition, die eine durchaus plausible Erklärung für die Sonderstellung Rolands liefern würde eine Tradition, die besagt, daß Roland der Sohn aus einer inzestuösen Beziehung Karls mit seiner Schwester Gisele sei; um diesen Fehltritt zu vertuschen, hätte Karl dann seine schwangere Schwester mit Milon d'Angers verheiratet; nach dessen Tod und der erneuten Verheiratung Giseles mit dem Maganzesen Ganelon wäre dieser so zum Stiefvater von Karls Sohn geworden 51 • Obwohl im Rolandslied kein direkter Hinweis auf diese Verfehlung Karls zu finden ist, bin ich mit Rita Lejeune und Alfred Adler der Meinung, daß dieses Element der bibliographie privee sowohl dem Autor als auch seinem Publikum bekannt gewesen sein muß, gewissermaßen stillschweigend vorausgesetzt werden konnte: Nur so läßt sich die Sonderstellung Rolands und die Heftigkeit von Karls Reaktionen in bezug auf alles, was Roland betrifft, erklären 52 • Kommen wir zum Schluß unserer Überlegungen zum Rolandslied. Karl erscheint zuerst als der ideale, wunschbildhafte Herrscher, der alle Qualitäten zu haben scheint, die man sich nur wünschen kann. Bei näherem Zusehen zeigen sich aber Risse in dieser glatten Oberfläche 53 , Züge, die keineswegs zu der Leitfigur einer «idealen Projektgemeinschaft» 54 passen. Sicher - und wir werden es noch sehen sind die späteren Epen «realistischer»; aber auch im Rolandslied sind wir nicht nur in einem Traumland der Zielprojektionen: Bei näherem Hinsehen kollidiert das Ideal bereits deutlich mit den Realitäten der Kapetingerzeit, und dies sogar in der Person von Karl. so Cf. KöHLER 1978b: 404ss. 51 Cf. PARIS 1865a: 378, 38ls.; BEZZOLA 1978c: 101ss.; ADLER 1963: 264; ADLER 1975: 53-55, 59s.; LEJEUNE 1961: 339-71, bes. p.361ss. 52 Am explizitesten ist der Hinweis auf Karls Verfehlung in der nordischen Karlamagnus-Saga (zw. 1230 u. 1280), aber auch im um 1216 entstandenen afr. Huon de Bordeaux findet sich eine deutliche Anspielung, die kaum anders interpretiert werden kann (cf. ed. RuELLE 1960, v. 10267- 80). - Cf. hierzu auch PARIS 1865a: 381; ADLER 1963: 264. 53 Es scheint mir deshalb nicht möglich zu sein, mit ERICH KÖHLER (1985: 77) von einer wunschbildhaften Harmonie zwischen König und Vasallen zu sprechen. 54 Cf. WALTZ 1965: 15; BENDER 1967: 60; KÖHLER 1985: 77. Speculatio Carolina 51 1.2 In den nun zu besprechenden Epen werden Züge Karls, die wir bereits kennen, je nachdem abgeschwächt oder akzentuiert. Besonders interessant ist in dieser Hinsicht der Anseis de Carthage, ein Text, der dem zweiten Viertel des 13. Jh.s zugewiesen wird und einen zweiten Kreuzzug Karls nach Spanien beschreibt 55 • Der König wird hier ganz ähnlich beschrieben wie im Rolandslied, wenn auch immer wieder die geradezu mustergültige Gerechtigkeit des Kaisers unterstrichen wird, der in vorbildlicher Weise Recht spricht und Unrecht verhindert 56 ein deutlicher Unterschied zu dem (wie wir gesehen haben) doch recht fragwürdigen Rechtsverhalten Karls im Rolandslied. Der Hauptunterschied zwischen den beiden Epen liegt aber in der Tatsache, daß in Anseis Karl nicht nur äußerlich eine ehrwürdige Gestalt ist, sondern auch als tatsächlich alt und schwach, als richtiger Schlottergreis präsentiert wird 57 . Als er den Hilferuf von Ansei:s erhält, wird er folgendermaßen dargestellt: Quant Karles l'ot, mout en est abosmes, Tenrement plore, li cuers li est seres, L'eve li cort fil a fil ! es le nes. «He, diex,» dist il, «vrais rois de mai"stes, Bien a .vrr. ans acomplis et pases, Ke de mon lit ne levai par santes! Anseis 9270-75 Und das Thema wird gleich mehrmals mit Variationen wieder aufgenommen; nachdem ihm im Traum ein Engel erschienen ist, der ihn aufforderte, Ansei"s zu Hilfe zu eilen, sagt Karl: «He dex», dist Karies, «ki naistre me fesis! Bien a .vn. ans pases, ke jou languis; Or me convient ostoier, ehe m'est vis, Mais tant sui foibles et de fort mal aquis, Ne m'a mestier palefrois ne ronchis A moi porter, trop sui vieus et aflis. Or ferai faire un car, ki iert faitis, Caroies iere, quant jou serai sus mis. » Anseis 9318-25 Sowohl das Hinfälligkeits- 5 8 als auch das Wagenthema 5 9 werden immer wieder angesprochen und begleiten Karl fast wie ein Leitmotiv. Der Autor wird nicht müde zu unterstreichen, wie außergewöhnlich es sei, daß ein hinfälliger Herrscher von seinem Wagen aus sein Heer kommandiere: 55 Cf. HoRRENT 1978: 27-57; HoRRENT 1981: 38ss.; cf. ferner ADLER 1975: 167s. und GRÖBER 1902: 545. - Für eine ausführliche Inhaltsangabe cf. die Ausgabe ALTON 1892: 499-570. 56 Cf. z.B. Anseis 10809-40, 10841-57, 10860ss., 11148ss. 57 Cf. auch ADLER 1975: 166, 168. 58 Cf. z.B. AnseYs 9367 usw. 59 Cf. z.B. Ansei's 9354-56, 9465s. usw. 52 Peter Wunderli Onques mais hon n'o1 en son vivant Parler de roi, ki alast gueroiant En tel maniere, k'on le va caroiant. Anseis 9630-32 Karl ist jedoch nicht nur physisch hinfällig, auch seine Autorität scheint angeschlagen zu sein. Als er zum Kriegszug nach Spanien aufruft, zeigen sich seine Barone äußerst widerspenstig: sie wollen nicht unter einem alten und kranken König kämpfen, der besser das Bett hüten sollte; Gian de Biacler will sich eher die Glieder abschlagen lassen, als über die Pyrenäenpässe ziehen - Ansei"s kann ja schließlich in die Bretagne zurückkehren, wo er herkommt. Und alle Barone erklären gemeinsam: «Ja en Espagne ne querrons mais entrer » 60 • Karl weint wieder einmal und schlägt den Baronen dann einen Pakt vor: «Seignor baron, un don vous vuel rover, Ke vous m'aidies Espaigne a aquiter Et ke jou puisse Anse"is retrover, Par teus convens, con ja m'orres conter: Mais en ma vie ne vous ruis remuer. » Anseis 9409-13 Naimes läßt Karl dann bei Sankt Audomarus (Saint Omer) schwören, so daß der Feldzug doch stattfinden kann 61 • So weit ist es mit der Machtfülle Karls gekommen: Er muß sich die Hilfe seiner Vasallen bereits erkaufen! Andererseits hat sich Karl aber seine Gottesunmittelbarkeit bewahrt. Diese beruht auf einem unerschütterlichen Vertrauen in Gott, so z.B., wenn er den Hilferuf von Anse"is erhält: «Seignor baron » , dist Karies, «or oes! De maladie sui durement greves, Mais se jou puis et il vient dieu en gres, Secorus iert vos jovenes corones. » Anseis 9284-87 Und Gott erhört ihn auch: Er schickt ihm den Erzengel Gabriel, der ihm befiehlt, nach Spanien zu ziehen, gleichzeitig aber auch ankündigt, daß er nach seiner Rückkehr nur noch ein Jahr zu leben habe («Quant revenus seres, soies tous fis, / K'un taut seul an ne seras apres vis. » ) 62• Und Gott tut auch Wunder für ihn. Als Karl mit seiner Armee an die Gironde kommt, befinden sie sich in einer verzweifelten Situation: Sie wissen nicht, wie sie ans andere Ufer gelangen könnten. Karl geht in ein nahes Kloster und betet: Wie beim Zug des Volkes Israel durch das Rote Meer soll Gott die Wassermassen teilen, so daß sie trockenen Fußes durchziehen 60 Cf. Anseis 9390-405. 61 Cf. Ansei: s 9414-19. 62 Anseis 9303-14. Speculatio Carolina 53 können - und das Wunder geschieht 63• Und als er schließlich die von Marsilius belagerte Festung erreicht, in der Ansei:s eingeschlossen ist, bittet er Gott um Kraft, damit er wieder reiten und Waffen tragen könne, um die Sarazenen in Stücke zu hauen 64• Und wieder geschieht ein Wunder: Dex a 01 de! roi le desirier; Li rois se sent vertueus et legier; II s'estent si, k'il fait croistre et froisier Les flans de! car et ! es archons brisier; Li rois s'escrie et comenche a hucier: «Or tost as armes, franc baron cevalier! Mes armes vuel por moi apareillier. » Ansei:S 10027-33 Von dem Moment an ist Karl wieder der alte große Kriegsheld: Er reitet durch die Reihen seiner Truppen und organisiert die Schlacht 65, er stellt sich Marsilius zu einem ersten und einem zweiten Zweikampf und besiegt diesen schließlich auch 66• Anschließend bringt er das spanische Reich wieder in Ordnung, setzt Ansei"s erneut in seine Herrschaftsrechte ein und zieht schließlich über die Pyrenäen zurück. Nach Alfred Adler ist diese Rückkehr aber letztlich eine Aufhebung des Sieges 67 : Karl ist bei seiner Schlußrede wieder alt und schwach; nach Aachen zurückgekehrt, wird er krank und stirbt schließlich innerhalb der ihm von Gott verkündeten Frist 68. Ein alter, schwacher, in einem Wagen in den Krieg ziehender Karl paßt schlecht zu dem großen Helden des Rolandslieds, selbst wenn er mit Gottes Hilfe und einigen Wundern schließlich nochmals siegt. Sicher, Karl ist auch im Rolandslied von Gott abhängig, aber im Anseis de Carthage nimmt diese Abhängigkeit ein Ausmaß an, die den König zu einem Nichts, fast zu einer Marionette werden läßt. Das gleiche Motiv allerdings mit gewissen Variationen findet sich auch im Aiquin 69 , einer chanson de geste, die Ende des 12. oder Anfang des 13. Jh.s entstanden ist, und die von einem Feldzug Karls in die Bretagne berichtet: Er erobert das von den Heiden unter Aiquin besetzte Gebiet zurück und restauriert so die Macht des Erzbischofs Isore de Dol 7° . Auch hier ist Karl nicht mehr fähig, selbst zu reiten und am Kampf teilzunehmen, allerdings nicht aufgrund von Altersschwäche, sondern weil er beim Sturm auf Gardaine eine schwere Verletzung 63 Cf. Ansei:S 9500-48. 64 Cf. Anseis 1017-26. 65 Cf. Anseis 10187ss. 66 Cf. Ansei:S 10360-408, 10690-742. 67 Cf. ADLER 1975: 171. 68 Cf. Anseis 11566ss. 69 Cf. ed. JACQUES 1979. 70 Für den Inhalt cf. JACQUES 1979: x-xiv; HoRRENT 1978: 39s.; HORRENT 1981: 41-43; ADLER 1975: 172ss., v.a. p.175. 54 Peter Wunderli davongetragen hat 7 1• Auf den Rat von Naimes setzt Karl den Krieg dann in einem mit Kissen gepolsterten Wagen fort 72 , was allerdings nicht ganz ohne Probleme abgeht: Bei einer Flußüberquerung wird Karl ohnmächtig, so daß seine Leute schon glauben, er sei gestorben 73 . Seine Verletzung ist so schwerwiegend, daß er den Endkampf nicht bestreiten kann und diesen dem getreuen Naimes überlassen muß 74 • In einem gewissen Sinne scheint die Thematik gegenüber dem Anseis abgeschwächt zu sein, andererseits ist sie aber sicher auch verschärft: Die sonst doch fast ausnahmslos gültige Unverletzbarkeit Karls ist aufgehoben (was im Anseis nicht der Fall war), und es geschieht auch kein Wunder, das Karl wieder kampffähig macht (obwohl sonst Wunder nicht fehlen 75 ). Die Gottesunmittelbarkeit Karls, Gottes Eintreten für den Verteidiger von Christentum und Nation erscheinen so in bedenklicher Weise geschwächt sie sind prekär geworden. Gemeinsam istAnseis undAiquin, daß sie einen kranken bzw. verletzten König darstellen, der aus eigener Kraft nicht mehr in der Lage ist, die Herrscherpflichten (in diesem Falle die Kriegsführung) auszuüben. Der König bzw. die Institution Königtum geht deswegen aber noch nicht unter: Gott oder ein getreuer Vasall bringen die Rettung, was mit Alfred Adler vielleicht dahingehend interpretiert werden kann, daß sich die Institution Königtum trotz eines unfähigen Monarchen sogar in extremen Situationen noch selbst trägt 7 6. 1.3 Sowohl das Thema des hohen Alters von Karl als auch dasjenige eines weitgehend handlungsunfähigen Herrschers (der aber nicht mit Karl identisch ist) spielen auch in dem etwas älteren Couronnement Louis eine zentrale Rolle. Der Text ist wohl nach 1152, aber noch in der Regierungszeit von Louis vn (t 1180) entstanden 77 und stellt sieht man von den Enfances ab das erste Werk der Wilhelmsgeste dar, in der es v.a. darum geht, daß Karl nicht nur (wie in allen anderen chansons de geste) als ein an Kindern äußerst armer Vater erscheint, sondern auch als ein Vater, der mit seinem Nachfolger keinen Staat machen kann 78 . Karl spielt in diesem Text nur noch am Anfang eine Rolle. Er erscheint als alt und verbraucht, weshalb er sich von den Staatsgeschäften zurückziehen will 7 9• So erklärt der Erzbischof anläßlich der Krönung Ludwigs: n Cf. Aiquin 2514-600. n Cf. Aiquin 2779-98. 73 Cf. Aiquin 2800-17. 74 Cf. Aiquin 2859. 1s Cf. z.B. die Zerstörung von Gardaine durch ein gewaltiges Unwetter auf ein Gebet von Karl hin (Aiquin 2632ss.). 76 Cf. ADLER 1975: 169. 11 Cf. BENDER 1967: 50s. 1s Cf. PARIS 1865a: 398-405; BEZZOLA 1970: 92; ADLER 1975: 43. - Für eine Zusammenfassung der Handlung cf. FRAPPIER 1967: 9s.; cf. ferner KöHLER 1985: 84s.; GRÖBER 1902: 467s. 79 Cf. ADLER 1975: 28. Speculatio Carolina « . . . Charles li maines a molt son tens use, Or ne puet plus ceste vie mener. II ne puet plus la corone porter: II a un fill a cui Ja vuelt doner. » Couronnement 53-56 80 55 Und wir erfahren im Text auch, daß Karl nach der Krönung nur noch 5 Jahre leben wird 8 1. Im Gegensatz zum Anseis de Carthage 82 wird im Couronnement der Tod Karls allerdings nicht geschildert: nach der Rom-Episode wird aufgrund eines Botenberichts einfach mitgeteilt, daß Karl gestorben ist (v. 1434-36) der Tod des Kaisers bzw. Königs ist in der Chanson de geste ganz offensichtlich kein Thema 83 . Die wesentliche Rolle Karls im Couronnement Louis ist, daß er seinem Sohn einen Herrscherspiegel vorträgt, in dem mit aller Deutlichkeit gesagt wird, was ein König zu tun und zu lassen hat 84• Ein König muß vor allem tapfer sein und sich im Kampf gegen die Heiden hervortun: «Filz Loois, ... Tu puez en ost bien mener cent mile omes, Passer par force les aives de Gironde, Paiene gent craventer et confondre, Et la lor terre deis a la nostre joindre. » Couronnement 72-77 Der König muß aber nicht nur tapfer, sondern auch tugendhaft sein: Unrecht, Wollust und Sünde müssen ihm verhaßt sein, er darf nie Verrat üben und Waisen nie um ihr Erbe bringen: « . . . Tort ne luxure ne pechie ne mener, Ne trai:son vers nului ne ferez, Ne orfelin son fie ne li toldrez; . . . » Couronnement 65-67 Darüber hinaus muß der König gegenüber den Armen und Schwachen Demut zeigen, ihnen mit Rat und Tat beistehen und ihnen zu ihrem Recht verhelfen (v. 182-85); ganz besonders gilt dies für Witwen und Waisen (v. 153s. ). Schließlich 80 Cf. ed. LANGLOIS 1966. st Cf. Couronnement 163: «Cinc anz vesqui puis Charles et ne mais » . - Für eine ähnliche Prophezeiung in Anseis cf. oben. 82 Cf.: Et l'emperere est de Loon partis Et vint a Ais, s'i est amaladis; Mors fu au terme, ke dex li ot promis A graut duel fu en la caiere asis. Anseis 11600-03 83 Cf. hierzu auch PARIS 1865a: 425s.; GRAUS 1969: 49-51; SuBRENAT 1978: 205-13, v.a. p.208s., 213. R4 Cf. Couronnement 65-214. - Cf. hierzu v.a. FRAPPIER 1978: 338-57, bes. p.339-41; ferner PARIS 1865a: 352; BENDER 1967: 49ss.; BEZZOLA 1978: 144, 146; ADLER 1975: 28s. 56 Peter Wunderli soll sich der König auch in den Dienst der Kirche stellen und v. a. nicht versäumen, seine Ritter angemessen für ihre Dienste zu belohnen: << ••• Tes chevaliers pense de chiers tenir; Par els seras onorez et serviz, Par totes terres et amez et cheriz. » Couronnement 157-59 Die wichtigste der königlichen Tugenden ist aber ohne Zweifel die, daß der Herrscher sich seine Vertrauten und Ratgeber gut aussucht und sich nicht mit Leuten niedriger Herkunft umgibt, die alle immer käuflich sind; vielmehr soll er auf die Dienste seiner hohen Fürsten vertrauen: «... Et altre chose te vueil, filz, acointier, Que, se tu vis, il t'avra grant mestier: Que de vilain ne faces conseillier, Fill a prevost ne de fill a veier: II boisereient a petit por loier; Mais de Guillelme le nobile guerrier, Fill Aimeri de Narbone le fier, Frere Bemart de Brubant le guerrier: Se il te vuelent maintenir et aidier, En lor servise te puez molt bien fiier. » Couronnement 204-13 Karl erweist sich hier als weiser alter Mann, der versucht, seine z. T. bitteren Erfahrungen an seinen Sohn weiterzugeben: seine Abgeklärtheit, die Ausgewogenheit des von ihm verkündeten Tugendkatalogs machen ihn so zum besten aller Könige 8 5• Doch Karl weiß bei seinen guten Ratschlägen bereits, daß sie fruchtlos bleiben werden, denn Ludwig hat bereits versagt: Als er ihm die Krone angeboten hat, hat er feige gekniffen (v. 87) und seinen Vater maßlos enttäuscht (v. 113ss.). Nur die dezidierte Intervention Guillaumes konnte die Situation noch retten: gerade von der Jagd zurückgekehrt, knallt er dem von usurpatorischen Gelüsten beseelten und nach der Regentschaft strebenden Ameis von Orleans die harte Faust unters Kinn, nimmt die Krone vom Altar und drückt sie Ludwig kurzerhand auf den Kopf (v. 113-46) 8 6. Guillaume erweist sich hier (und auch im folgenden) als der Garant des legitimen Königtums von Gottes Gnaden 87 • Er weigert sich, einer Dissoziation zwischen der Person des Herrschers und der Institution Königtum zuzustimmen 88 : Er verteidigt ihre Untrennbarkeit auch unter dem erbärmlichen ss Cf. BENDER 1967: 51. - Zu den Quellen dieses Tugendkatalogs cf. CuRTrus 1950: 342-49; fRAPPIER 1978: 34ls. 86 Cf. auch BEZZOLA 1978: 144. 87 Cf. FRAPPIER 1978: 342; ADLER 1975: 29. ss Cf. FRAPPIER 1978: 346; BENDER 1967: 53s.; ADLER 1975: 30. Speculatio Carolina 57 Ludwig 89 bis aufs letzte. Selbst wenn Ludwig besser zum Pfaffen oder Mönch geeignet zu sein scheint 90 , verschwendet er keinen Gedanken darauf, ob er nicht dem König vielleicht die Gefolgschaft aufkündigen sollte. Realpolitischer Hintergrund dürfte die Auseinandersetzung zwischen den Anhängern des Erbkönigtums und denen des Wahlkönigtums im 12. Jh. sein 91 , die in Frankreich (anders als in Deutschland) zugunsten der ersten Monarchieform ausging. Hinsichtlich des Thronerben liegen die Dinge auch im Huon de Bordeaux 92 ähnlich, nur heißt hier der Thronanwärter nicht Louis, sondern Charlot 9 3• Auch in diesem Epos erklärt sich Karl als alt, schwach, nicht mehr fähig, die Staatsgeschäfte zu führen; allerdings wird auf eine «biblische Überhöhung» des Alters verzichtet: Seit Karls Krönung sollen 60 Jahre verflossen sein, was noch im Bereich des Möglichen und Normalen liegt 9 4. Allerdings steht dazu die Aussage in eklatantem Widerspruch, er habe seinen mißratenen Sohn Charlot (auf Befehl des Erzengels Michael) erst im Alter von 100 Jahren gezeugt 9 5 ! - Karl schlägt nun seinen Baronen vor, Charlot zum Nachfolger zu bestimmen, obwohl dieser nichts tauge: - «Baron, dist Karies, por Diu, car l'eslisies, Se vous l'aisies, le fil de ma moillier, Karlot l'enfant, que jou aimme et tien chier, Et neporquant il ne vaut un denier . . . » Huon de Bordeaux 83-86 Es folgt dann eine lange Liste von Charlots Untaten 96, gleichzeitig aber auch der Hinweis, daß er in einem Zweikampf mit Ogier durch eine göttliche Intervention vor dem sicheren Tod gerettet worden ist 97 - und dies obwohl «il ne vaut le monte d'un denier» 98 . Die Rede Karls schließt dann mit folgendem Appell an seine Barone: << ••• Et ne porquant, por Diu, je vous requier Q'en facies roi, je vous en veul proier, Car c'est li oirs de France, ehe sacies. » Huon de Bordeaux 194-96 89 Cf. BEZZOLA 1970: 89s. -Die Figur des jämmerlichen Königs ist in der afr. Epik nicht selten, doch wird diese Rolle in aller Regel nicht Karl zugewiesen. Eine Ausnahme in dieser Hinsicht macht das Epos von Lion de Bourges; cf. hierzu KrnLER 1978: 281-90. 90 Cf. hierzu z.B. Le charroi de Nimes 162-68 (ed. PERRIER 1931); cf. auch BENDER 1967: 62. 91 Cf. FRAPPIER 1978: 344ss.; ADLER 1975: 30. 92 Ed. RuELLE 1960. 93 Cf. ADLER 1963: 257. - Gröber, Grundriss II/ 1: 549s. 94 Cf. Huon de Bordeaux 54-61. 95 Cf. Huon de Bordeaux 87-94. 96 Cf. Huon de Bordeaux 98ss. 97 Cf. Huon de Bordeaux 174-81. 98 Cf. Huon de Bordeaux 185. 58 Peter Wunderli Obwohl Karl zugeben muß, daß sein Sohn nichts taugt 99 , soll er also König werden. Gegenüber dem Couronnement Louis in der Kontrastsetzung nochmals kräftig akzentuiert, haben wir hier erneut ein entschiedenes Plädoyer für das Erbkönigtum. Nur: wo bleibt da Karls Fürsorgepflicht gegenüber seinem Reich und seinen Feudalherren? Wie kann er es wagen, einen ausgesprochenen Taugenichts und Tunichtgut zu seinem Nachfolger vorzuschlagen? Das Plädoyer für die Erbmonarchie gerät hier fast schon zur Parodie! Darüber hinaus finden sich im Huon de Bordeaux eine Reihe weiterer Charakterzüge Karls, auf die wir noch zurückkommen werden: Er hat häufig Wutanfälle 100 , er ist ungerecht und rachsüchtig 101 und verlangt von Huon eine durch nichts gerechtfertigte Buße 102 • 1.4 Verlassen wir nun die Linie des alternden, ja steinalten Karls und seiner dekadenten Nachfolger, und kehren wir zurück zum idealen, im Zenit seiner Leistungsfähigkeit stehenden König. Im Rolandslied hatten wir eine Reihe von Rissen in der glatten Oberfläche des Karlsbildes festgestellt. Diese Risse fehlen nun in der wohl kurz vor dem 3. Kreuzzug 10 3 entstandenen Chanson d'Aspremont 104 ; der Text liefert uns ein fast ideales Karlsbild, an dem zwar ebenfalls gewisse Abstriche zu machen sind, deren Tragweite aber bedeutend geringfügiger ist und die von ganz anderer Natur sind 105 . Die Darstellung Karls entspricht weitestgehend dem idealtypischen Bild, das man in bezug auf den großen Führer der Christenheit erwarten kann und das wir bereits aus dem Rolandslied kennen: Er ist reich 10 6, von vorbildlicher Großzügigkeit 10 7, ein großartiger Kämpfer gegen Aumont (obwohl Roland ihn in extremis retten muß und so letztlich zum Vollstrecker wird 108 ), und v.a. ist er von äußerst majestätischem Aussehen 1 0 9 . Eindrücklich ist in dieser Hinsicht v.a. die Schilderung von Balan, die dieser vor Agolant gibt: - Vei:s tu Carle? - Par Mahomet, oal. A Ais, son sie, a une fieste anval, Corones fu et pozes en estal. Pros est li rois, fort et fier et vassal. 99 Cf. ADLER 1975: 44, 69 und 1963: 263. 100 Cf. ADLER 1963: 265, 287s. 101 Cf. ADLER 1963: 267. 102 Cf. ADLER 1963: 260, 266. 103 Cf. KÖHLER 1978c: 380; BECKER 1978: 85-129, v.a. p. 85. 104 Cf. ed. BRANDIN 1924. ios Für den Inhalt cf. BECKER 1978: 85s., 120-24; cf. auch GRÖBER 1902: 540s.; HoRRENT 1981: 20-23; HORRENT 1978: 34-36. 106 Cf. Aspremont 408-24. 107 Cf. Aspremont 133-39, 140-42, 160-63; cf. auch BECKER 1978: 120. 10s Cf. Aspremont 5874-6070; cf. auch PARIS 1865a: 853; BENDER 1967: 133s.; ADLER 1975: 96. 109 Cf. Aspremont 427ss. Speculatio Carolina Sos ciel n'a home, s'il l'esgarde par mal Ki fust jamais en cest siede loial. Desor tols pules est li siens general Com est ors cuis sor kevre et sor meta! . Aspremont 565-72 59 Im Gegensatz zum Rolandslied macht er auch keine gravierenden Fehler 110 , und v. a. bestimmt er nicht einen Großvasallen zum Abgesandten bei Agolant: Klug und vorsichtig stellt er vielmehr die Bedingung, daß für diesen Auftrag nur ein junger und unbedeutender Ritter in Frage kommen könne: « . . . Jo ne voel pas a paiens envoier Haut home nul qui tiere ait a ballier, Que ne l'ocYent eil gloton paltonier. Dont n'avons nos nul povre chevalier Qui nos peüst cest message noncier ...? Aspremont 1767-73 1ll Daß dann Naimes eigenmächtig an die Stelle des unbedeutenden Richier tritt, ändert nichts an Karls Weitblick ganz im Gegenteil: Naimes gerät genau in die Schwierigkeiten, die der König vorhergesehen hat, und kann nur dank der Hilfe des edlen Balan entkommen. Gleichwohl ist das Karlsbild nicht makellos. Bei aller kriegerischen Tüchtigkeit gerät er z. B. im Zweikampf mit Aumont in eine hoffnungslose Situation: Er wäre verloren gewesen ohne die Intervention von Jung-Roland, der seinen Onkel im letzten Moment noch heraushaut 11 2 - und dies wird vom Autor auch mit aller Deutlichkeit gesagt: Or poes dire, et bien le vos creant, Que ja mais Karies, a jor de son vivant, En dolce France ne fust mais repairant Ne ne portast corone d'or luisant, Se Dex ne fust et son neveu Rollant. Aspremont 6071-75 Karl ist somit von Roland abhängig, und gleichermaßen ist er es auch von Girart de Fraite, der nicht nur den entscheidenden Schlußkampf gegen Agolant bestreitet 113 , sondern auch schon vorher Karl entscheidende Hilfe in der ersten Schlacht gegen Aumont leistet 114 • Und der Autor zögert nicht festzustellen: 110 Cf. auch BECKER 1978: 105, 108-10. 111 Cf. auch KÖHLER 1978b: 389s. 112 Cf. Aspremont 5977ss.- Cf. dazu auch schon Roland 544, 557, 596s. m Cf. Aspremont 10408ss. 114 Cf. Aspremont 4760ss. 60 Peter Wunderli Cel jor fust Karies vergondos et iros, Se Dex ne fust et dans Girars li ros. Aspremont 4796s. Karl ist aber nicht nur von Girart abhängig, dieser verachtet ihn auch und macht ihn und seine Ahnen schlecht und klein. So fordert er z.B. seine Söhne und Neffen auf 115 : Jo vos comant, quant jo serai fenis, Ne tenes rien de Carlon al fier vis. Ses pere fu uns dolans nains caitis; Enbloit as grans et toloit as petis. Aspremont 1433-36 Diese Mißachtung überträgt sich auch auf die Sarazenen, für die er ein «petit vels canu», ein «petit viel sor un ceval ferrant (! )» ist 11 6• Und Agolant nimmt gewissermaßen die Worte Girarts wieder auf, wenn er zu Sorbrin sagt 117 : «Fus tu en France, fix de bon Sarrazin, Por espiier Carlon, le fil Pepin? Conois le tu, le malvais, le frarin? . . . » Aspremont 2489-91 Überhaupt könnte das Problem Karls im Aspremont darauf zurückgeführt werden, daß er Girart de Fraite neben sich hat. Sicher: Karl ist ein großer König, der von großen Fürsten umgeben ist, aber Girart ist immer noch ein bißchen größer 118 • Dies fängt damit an, daß Karl nur seinen Neffen Roland hat, den er eigentlich wegen seines jugendlichen Alters gar nicht mit in den Krieg ziehen lassen will, während Girart zwei kriegstüchtige Söhne und zwei ebensolche Neffen hinter sich weiß 11 9; und dies endet damit, daß es schließlich Girart mit seinem Neffen Clairon ist, der Agolant besiegt und Karl den Kopf des Sarazenen überbringen kann 1 20• Charakteristisch ist in dieser Hinsicht auch, wie der Spion Sorbrin vor Agolant das Verhältnis zwischen Karl und Girart beschreibt: << • • • Mais Carles a un molt riche voisin; Gerart d'Eufrate l'apielent Limosin. Tant par est riches de tieres et d\Jr fin Trente cites sont bien a lui aclin. S'ils fust a Carle ne ami ne cosin, Bien vos peüssent eil doi metre al cemin. rn Cf. auch Aspremont 1124-37. IJ6 Cf. Aspremont 6187, 6780. m Cf. auch ADLER 1975: 93s, 100s. 11s Cf. auch ADLER 1975: 99. 119 Cf. Aspremont 1514ss. 120 Cf. Aspremont 10647-56. Speculatio Carolina 61 Mais ne feroit por lui un romesin; Plus het ! 'uns l'autre que tri'acles venin.» Aspremont 2503-10 Dieser mächtige Girart (u. U. eine epische Nachbildung von Henri II Plantagenet 121 ) kann es sich leisten, gegenüber Turpin, der ihn zum Feldzug nach Italien auffordert, zu erklären: « . . . Ja vostre rois n'estra de moi ame, S'il ne s'est ainz a mon pie acline.» Aspremont 1176s. Denn, so führt er weiter aus, er ist nur Gott verpflichtet, nicht aber irgendeinem anderen Menschen 122 . Aus diesem Grunde lehnt er es denn auch entschieden ab, Karl nach Kalabrien zu begleiten, und sicherheitshalber nimmt er seinen Söhnen auch gleich noch das Versprechen ab, auch sie würden Karl nach dem Tode ihres Vaters nie dienen 1 2 3. Zwar kann seine kluge Frau Hermeline ihn dann doch noch dazu bewegen, im Interesse der Nation nach Italien zu ziehen 12 4 aber Girart tut es auf eigene Faust und unabhängig von Karl; als Alibi dient ihm die Tatsache, daß ohnehin längst eine Pilgerfahrt nach Rom fällig sei. Als er dann in Kalabrien mit Karl zusammentrifft, erklärt er sich zwar im Interesse der Sache bereit, sich dem Oberbefehl des Königs zu unterstellen, betont aber ausdrücklich, daß jeder nach dem Kriege wieder in sein eigenes Reich zurückkehren werde und daß er von Karl Dankbarkeit für seine Hilfestellung erwarte 1 2 5. Und am Schluß des Epos erklärt er nochmals mit aller Deutlichkeit: << • • • En Ja batalle vos trais a avoe Et de ma boce fustes sire clame. Ne me doit estre en grant cort reprove: Qanque j'ai fait en fis par amor De. Ne sui vostre om ne li vostre jure Ne ne serai ja jor de mon ae.» Aspremont 11341-46 Girart ist somit ein widerspenstiger und störrischer Fürst, der auf das peinlichste auf seinen eigenen Ruhm und seine Unabhängigkeit bedacht ist 12 6. Diese Unabhängigkeit Girarts ist ein großes Ärgernis für den König und seine Getreuen. So kann es denn nicht überraschen, daß auch mit Tricks versucht wird, Girart den Vasallenstatus aufzudrängen. Wie z.B. Karl und Girart sich in Kalabrien begeg- 121 Cf. BENDER 1967: 129 N43. 122 Cf. Aspremont 1181-84. 123 Cf. Aspremont 1428-36. 124 Cf. Aspremont 1438-511. 125 Cf. Aspremont 4177-89. 126 Cf. auch BECKER 1978: 103-05. 119; BF.NDER 1967: 130; HoRRENT 1978: 36; ADLER 1975: 91. 62 Peter WunderJi nen, umarmen sie sich, wobei Karls Hut zu Boden fällt. Girart bückt sich sofort, um ihn aufzuheben ein Anlaß für den Fuchs Turpin, gleich zu Papier zu bringen, Girart habe sich vor Karl verneigt und ihm somit gehuldigt 127 . Derartige Listen verfangen allerdings nicht, und Karl muß letztlich selbst zugeben, daß Girart ein durchaus würdiger König wäre, was Girart jedoch bescheiden ablehnt: «Baron » , dist Karies, «par foi, mervelles voi Que si fais om a tant de bien en soi. Sire Girars, por qoi ne fustes roi? » Respont Ji dus: «N'est pas remes en moi. Je ne vaJ tant ne n'en ai Je pouoir; Mais em pais tieng ce que je tenir doi. » Aspremont7153-58 12 8 Gleichwohl sind die Handlungen Girarts durchaus von königlichem Zuschnitt, sowohl im Kampf, als auch, wenn er in Reggio eine Abtei gründet 129 , wenn er Karl dreizehn gefangene Königinnen zum Präsent macht 130 oder dem jungen Florent ganz zum Schluß einen Königspiegel präsentiert 131 • Gerade dieser Königspiegel hat es nun in sich. Er enthält die folgende Passage: Ne faire mie de ton serf ton segnor. Lai Je viJain a faire son Jabor, Car Ji viJains n'a que faire d'onor; A sa nature revient aJ cief de! tor. Aspremont11223-26 Diese Passage ist letztlich eine Ohrfeige für Karl, der für seinen Feldzug und die einzelnen Schlachten schließlich Hinz und Kunz mobilisiert hat; Naimes hat ihm zu diesem Vorgehen geraten, und Karl hat es ausführlich praktiziert 132 . Die beiden eindrücklichsten Stellen bezüglich des undifferenzierten Vorgehens von Karl sind die beiden folgenden: «Vignent avant Ji baceJier Jegier, Keu de cuisine, senescaJ, botellier, Et damoiseax, jogJeor et harpier, Et tos icex qui se poront aidier, L'auberc vestu et Je hiaJme d'achier, L'espee yaindre et monter en destrier: En cest besoing seront tuit chevaJier. S'en dolce France poions repairier, Je Jor ferai ! es fies d'aJberc ballier; Tos lor Jignages i avra recovrier.» 121 Cf. Aspremont4142-63. 12s Cf. auch Aspremont10726-34, 10813-23. 129 Cf. Aspremont10567ss. 130 Cf. Aspremont11086ss. 131 Cf. Aspremont11180-254, v.a. 11212-26. Aspremont7270-79 132 Cf. Aspremont73-8l, 98-103, 133-39, 845-63, 4943-63, 7380-83, 7683-85. Speculatio Carolina EI tref Eaumon fu Karle et son barnage. Chevalier fist le jor de maint lignage. Por qoi il sace proece et vaselage, Onques ne fu acontes li parages. Se il est sers,quites est del servage; Ja nel donra ne lui ne son lignage Ne par sa terre ne treü ne servage. Qanque il doivent est cuite a iretage, Car Karlemaines les cuite son aage; Aspremont 7442-50 63 Karl erhebt also der Not gehorchend ohne Ansehen der Abkunft alles in den Ritterstand, was ihm nützlich sein kann; und die so «Beförderten» fühlen sich ihm auch entsprechend verpflichtet 133; so sagen sie z.B. untereinander: ...: «Molt nos poons prisier: Nos esti:ons garfon et paltonier; Bien devons Karle amer et tenir cier Qui nos a fait del servage lascier. Ja de cavage ne donrons mais denier; Cascun de nos a il fait chevalier. Ains nos lairons tos les membres brisier Que lasfons Karle honir ne vergognier. » Aspremont 9656-63 Ganz anders verhält sich in diesem Punkt Girart: zwar betreibt auch er «Beförderungspolitik», aber es kommen für ihn hierfür nur Adlige in Frage 134. Nicht etwa, daß er den Einsatz von Nichtadligen in der Schlacht ablehnen würde er stimmt diesem Verfahren sogar ausdrücklich zu 135; von einer Erhebung in den Adelsstand kann für ihn aber keine Rede sein. Aus dieser Sicht erklärt sich dann auch Girarts (indirekte) Kritik im Königspiegel: eine Allianz des Königs mit den Nichtadligen, ein Einreißen der sozialen Schranken sind für diesen «reinrassigen» Fürsten vollkommen unannehmbar 136• Fassen wir zusammen. Girart ist geprägt von Mißtrauen und Distanz zu Karl, und zwar betreffen seine Vorbehalte nicht die Institution des Königtums, sondern die Person des Königs: Im Gegensatz zu Guillaume d'Orange haben wir hier also eine Dissoziation von Institution und Amtsträger 137. Dieses Mißtrauen gründet v. a. in dem absolut gesetzten Unabhängigkeitswillen des Fürsten 138, der seine Ziele mit derartiger Leidenschaft verfolgt, daß er selbst ein Zerbrechen der feudalweltli- 133 Cf. auch Aspremont 9668-76,9678-88,9725-30. 134 Cf. Aspremonf 7254-65. -Cf. hierzu auch Guillaume d'Orange im Charroi de Nimes 637-56. rn Cf. Aspremont 7403-07. 136 Cf. hierzu auch PARIS 1865a: 353; BENDER 1967: 69,119,120,122ss.; ADLER 1975: 95s.,98. - Das gleiche Motiv findet sich auch im Jehan de Lanson (cf. unten) 365,520-28; cf. auch ADLER 1975: 141. 137 Cf. ADLER 1975: 95. 138 Cf. BENDER 1967: 130ss.; ADLER 1975: 102. 64 Peter Wunderli chen Einheit in Kauf nimmt 1 39• Diese extreme Haltung scheint ihm u. a. auch dadurch gerechtfertigt zu sein, daß der Herrscher selbst die ursprüngliche Verbundenheit mit dem Hochadel aufgibt und sich mit den Nichtadligen verbündet 140 ganz offensichtlich ein Reflex der politischen Situation unter Philippe II Auguste, der erstmals eine Allianz zwischen Königtum und Bürgertum realisierte und damit den Hochadel ins Abseits drängte! 1.5 Der Girart de Vienne ist eine der wenigen chansons de geste, deren Autor wir kennen: Wir verdanken dieses Werk Bertrand de Bar-sur-Aube, der es wohl zwischen 1205 und 1225 geschrieben hat. Es stellt inhaltlich und von der Handlung her eine Art Fortsetzung der Chanson d'Aspremont dar und wird dort am Ende auch schon angekündigt 141 : Die distanzierte Haltung des Girart de Fraite gegenüber dem König wird bei Girart de Vienne zur offenen Rebellion, weshalb dieses Werk (im Gegensatz zu Aspremont) zur Empörergeste gerechnet werden muß 142 • Was die Charakterisierung des Königs angeht, so fällt sie im Girart de Vienne bedeutend negativer aus als bisher, wenn er auch keineswegs verteufelt wird. Aber immerhin: Karl wird gefangengenommen, was sicher kein Ruhmesblatt ist, und den entscheidenden Schlußkampf bestreitet nun Roland (anders als in Aspremont) ganz allein. Darüber hinaus fehlen Karl auch gewisse Qualitäten, die bis dahin selbstverständlich waren. Da wäre zuerst einmal seine mangelnde Großzügigkeit zu nennen, womit er seine Pflicht als Herrscher verletzt: Auf das Angebot von Renier und Girart, die ihm ihre Vasallendienste zur Verfügung stellen 14 3, sagt er einige freundliche Worte über die Familie, erklärt, ihrer Dienste im Moment nicht zu bedürfen und versucht, sie mit einer bescheidenen Gabe abzufertigen: « . . . Chascun de vos donre .r. garnement Et .xxx. livres entre or fin et argent. En vos pats en iroiz lieement. De moi diroiz ennor et biau senblant. » Girart de Vienne 687-90 Die beiden Brüder reagieren darauf wütend: sie wollen umgehend abreisen, dennsagen sie sie seien keine Krämer; wenn Karl ihre Dienste nicht wolle, dann würden sie sich eben einen anderen Herrn suchen 14 4• Der Hof bittet nun Karl, auf seine Entscheidung zurückzukommen (v. 708ss.) und erzwingt schließlich eine 139 Cf. BENDER 1967: 134ss.; KöHLER 1985: 78. 140 Cf. BENDER 1967: 124ss. 141 Cf. BECKER 1978: 90. 142 Für den Text cf. YEANDLE 1930. - Für den Inhalt cf. auch GRÖBER 1902: 559; ADLER 1978: 85ss. 143 Cf. Girart de Vienne 664ss. 144 Cf. Girart de Vienne 69lss. Speculatio Carolina 65 etwas großzügigere Haltung: Karl will Renier zum Ritter schlagen, Girart zu seinem Knappen machen und beide gebührend ausrüsten (v. 727ss.). Aber auch dies ist noch zu wenig, zumal Karl den großen Einsatz Reniers in seinem Dienste in keiner Weise belohnt. Zu Recht wirft dieser ihm deshalb vor: «Sire, quel el avez trovee? Quele cite nos avez or donee? Ne quele terre quel fie ne quel contree? Vos m'adoubates, c'est verite provee, Mes je n'en ai eü autre sodee De vostre terre que vos ai aquitee . . . » Girart de Vienne 975-80 Über diese mangelnde Großzügigkeit kommt es dann zum Konflikt zwischen Herrn und Vasall (v. 993ss.) 145, der in einer Schlägerei gipfelt. Die Fürsprache von Henri d'Orleans kann jedoch Karl besänftigen, der Renier schließlich Genvres zum Lehen gibt (v. 1101-38); Girart wird zum Ritter geschlagen (v. 1236-45), ja später sogar mit einem Lehen versehen allerdings gewissermaßen als Ersatz für die Herzogin von Burgund, die Karl lieber selbst heiratet (v. 1950-58). Damit kommen wir zu einem weiteren Mangel Karls, den wir zwar bereits aus dem Rolandslied kennen, der dort aber bei weitem nicht in dieser Schärfe hervortritt, so daß er lange Zeit von der Kritik überhaupt übersehen werden konnte: Karls mangelhaftes Rechtsempfinden bzw. seine Ungerechtigkeit. Sicher, Girart hatte die allzu forsche, vielleicht recht mannstolle Herzogin zuerst einmal abblitzen lassen (v. 1342ss.) aber dies gibt Karl noch lange nicht das Recht, Girart die ihm bestimmte Frau einfach auszuspannen (v. 1246-438), zumal seine Werbungsversuche schon lange vor Girarts Affront einsetzten. Und schließlich gereicht es Karl auch nicht zur Ehre, daß er sich in der Fußkuß- Szene von seiner frisch angetrauten Frau hereinlegen läßt (v. 1460-76): Die Szene wirkt außerordentlich komisch, und Karl wird hier zum ersten Mal lächerlich gemacht 146; deshalb kann auch Karl über den Streich seiner Frau nicht lachen (v. 2217). Insgesamt gesehen kann man nicht sagen, Karl werde im Girart de Vienne negativ dargestellt aber der Glanz fehlt eindeutig: knickerig, ohne die nötige Weitsicht, mit einem nicht ganz einwandfreien Rechtsempfinden behaftet und leicht das Opfer der Streiche seiner Frau, fällt er definitiv ins Mittelmaß zurück. Der Autor dürfte weder profeudal noch proköniglich gewesen sein: er stellt zwar das Königtum nicht in Frage, aber er bricht auch keine Lanze für den König 147 • 145 Cf. auch GRAUS 1969: 46; KöHLER 1972: 11s. 146 Cf. auch ADLER 1975: 87. 147 Cf. auch ADLER 1975: 86s. 66 Peter Wunderli 1.6 Die erwähnten Züge (und einige Negativa, denen wir schon früher begegnet sind) werden nun im Jehan de Lanson 148 akzentuiert. Dieses Empörerepos, dessen Hauptfigur ein Neffe von Ganelon ist, dürfte dem 1. Drittel des 13. Jh.s zuzuweisen sein 149_ Dieses Epos ist sicher kein Meisterwerk, aber bezüglich des in ihm gezeichneten Karlsbilds hat es einen nicht unwichtigen Platz in unserem Spektrum. Das Karlsbild schlägt hier erstmals eindeutig ins Negative um. Karl erweist sich gleich zu Beginn des Textes als stur und jähzornig. Als Roland Vorbehalte gegenüber dem Feldzug anmeldet, erklärt Karl: «Vous y venrez o moy ou vous veuillez ou non! », um gleich noch einige anzügliche Bemerkungen über die schöne Aude, Rolands Verlobte, anzuschließen. Roland wirft ihm umgekehrt seine Alterssturheit vor (v. 77ss.): «Puis que ly hons vit trop, il n'a sens ne raison» (v. 80) - Worte, die im Rolandslied, im Couronnement Louis, im Aspremont vollkommen unmöglich wären! Auch hier lösen sie bei Karl noch einen Wutanfall 150 aus: Charlez ot Roland se fait eiere de lyon; Ossi vermaulz devint comme fu de carbon. II rouaille ! es yeulz, chiere fait de griffon. Par mault fier mautalent vot saisir ung baston; Ja en ferist Rolant parmy Je quief enson Quant il y acoururent Allemant et Frison Qui le roy destournerent de ferir le baron Iehan de Lanson 83-89 Karl ist nicht nur stur und jähzornig, er ist auch ungerecht und tyrannisch: Wer nicht bereit ist, freiwillig als Bote zu Jehan zu gehen, wird einfach unter Einsatz aller zur Verfügung stehenden Machtmittel dazu verdonnert 151 d.h. letztlich müssen alle zwölf Pairs sich auf den Weg machen. Karl mißachtet damit auf rüde Weise die Empfehlung seines conseil des barons, und da es sich um eine Kriegsentscheidung handelt, tritt er so das Feudalrecht mit Füßen. Sein Verhalten ist aber nicht nur rechtswidrig, es ist v.a. auch unklug: Da es sich bei dem Gang zu Jehan um ein «Himmelfahrtskommando» handelt, ist es Wahnsinn, alle seine zwölf Pairs aufgrund einer reinen Trotzreaktion dieser Gefahr auszusetzen. Karl sieht dies später allzu spätauch ein: Als ihm Basin die Nachricht von der Belagerung der zwölf Pairs im Turm bei Lanson überbringt, stellt er nach einem langen Klagelied fest: 148 Ed. MYERS 1965. 149 Cf. MYERS 1965: xns. - Für die Handlung cf. MYERS 1965: xxxvm-xun; ADLER 1975: 135-38. 1so Jähzornig ist Karl auch bereits in der Entree d'Espagne, wo er Roland nach der Eroberung von Nobles ins Gesicht schlägt; cf. ADLER 1975: 57. 1s1 Cf. Iehan de Lanson 121-23. - Vgl. auch ADLER 1975: 136. Für ein ähnliches Verhalten Karls im Fierabras cf. BENDER 1967: 96. Speculatio Carolina Toz vos a morz Jehanz se il en ot puissance! Quant a lui vos tramis, molt par fis graut anfance. Jehan de Lanson 3209s. 67 Bereits unsere vorhergehenden Ausführungen haben ahnen lassen, daß es um Karls Autorität nicht zum Besten bestellt ist. Dieser Autoritätsverfall wird geradezu eklatant in der Szene, wo Ganelons Leute Basin vor den Augen Karls angreifen, um so den Feldzug nach Italien doch noch zu verhindern (v. 3576-615). Karl kann Basin mit Mühe vor dem Tod bewahren - und der Übeltäter geht letztlich straffrei aus. Dies alles ist aus feudalrechtlicher Sicht unerhört. Und schließlich erscheint Karl auch noch als träge und vergnügungssüchtig. Als er mit seinem Heer nach Italien ziehen soll, leiht er nur allzu leicht sein Ohr denen, die ihn mit Schmeicheleien und falschen Ratschlägen von diesem aufwendigen und gefährlichen Unternehmen abzuhalten versuchen (v. 3530ss., 3774ss.): Man hat den Eindruck, Karl suche nur nach einem Vorwand, um nicht ins Feld ziehen zu müssen. - Und als er dann Lanson belagern muß, wird er der Angelegenheit schon bald überdrüssig und geht jagen (v. 5758-859): Ohne Basins magische Künste hätte seine Gefangennahme wohl zu einer totalen Katastrophe geführt 1 5 2• Fassen wir zusammen. In Iehan de Lanson erscheint Karl als stur, jähzornig, unklug, leicht beeinflußbar, leichtsinnig und v. a. als mit dem Feudalrecht auf dem Kriegsfuß stehend. Im Vergleich mit dem Rolandslied könnte man ihn bereits als heruntergekommen bezeichnen aber es kommt noch schlimmer! 1.7 Eine weitere Verschärfung des negativen Karlsbildes findet sich im Daure! et Beton 153 ; dieser Text, der nur in einer altprovenzalischen Version überliefert ist, dürfte um 1200 entstanden sein 154 also zu einer Zeit, für die Rebellenepen geradezu typisch sind. Die schauerliche Mordgeschichte in diesem Text (v. 394ss.) 1 55 müßte einen gerechten Kaiser dazu veranlassen, seine Pflicht als oberster Richter wahrzunehmen aber er tut nichts. Gui, der zum Erben des von ihm ermordeten Boeve eingesetzt werden will, besticht vielmehr den Kaiser mit dem Versprechen, ihm seinen Schatz zu überlassen: ...: «Ieu tenh las eretatz Qu'ero de! duc que de! segle es anatz: Reis, se vos plas, a mi las autreas. L'aur e ! 'argen vos er tot aportatz. Daure/ 570-73 152 Cf. hierzu auch PARIS 1865a: 366ss.; ADLER 1975: 138, 141; GRAus 1969: 46. 153 Cf. ed. MEYER 1880. 154 Cf. MEYER 1880: XXVIII-XXIX. 155 Cf. ADLER 1975: 160-62. - Für eine ausführliche Zusammenfassung cf. MEYER 1880: m-xrx. 68 Peter Wunderli Und er fügt gleich bei, er wolle auch die Witwe haben: Er wäre dann Karls Schwager, und da er so reich sei, könne er ja viel zum Glanz des Kaisers beitragen: «Das mi Ja dona, serai vostre conhatz; Amar vos ai mai c'om de maire natz. Ieu so rix hom, be i seres onratz; Serai el loc del duc qu'es traspasatz. » Daure! 574-77 Und wie reagiert Karl? Man wird zuerst essen und dann zu Ermengart gehen; die Habgier hat ihn offensichtlich geblendet, und der Autor zögert auch nicht zu unterstreichen, daß der Reichtum den Schmerz um Boeve schlagartig ausgelöscht habe: «Ades irem can nos aurem dinatz. » Cant au l'aver que es tan desmesuratz. Lo dol de! dux es trastot oblidatz; Daurel 579-81 Als Karl und Gui zu Ermengart kommen, beschuldigt diese den Verräter offen des Mordes (v. 595ss.). Gui stellt sie als hysterisches Frauenzimmer hin (v. 601ss.), was Ermengart ihrerseits veranlaßt, einen Gottesbeweis für die Richtigkeit ihrer Behauptung zu fordern (v. 607-14). Karl lehnt all dies barsch ab: ...: «C'est conte11dre laissas: Per tot aiso 11011 er lo duc cobratz; El loc del duc Guis vos sia do11atz. . . . » Daure[ 615-17 Ermengart beschuldigt ihren Bruder der Bestechlichkeit: « . . . Ben grans aver cre vonh sia do11atz. Aital ric rey si fo en bo11 ponh natz Que per aver de sa sor fai mercatz! » Daure[ 621-26 Aber alle ihre Vorhaltungen nützen nichts: Karl bleibt bei seinem Beschluß und beendigt jede Debatte mit der Aufforderung an Gui: «Coms, dese l'espozatz» (v. 635). Alle Anwesenden murren heimlich, aber keiner wagt den Mund aufzumachen: Tuh la ragardo li gran e 1i menor, Non i a .j. 11ois plore de dolor, Car a tos peza fors de l'emperador; No l'auzo dir, car de luy an pahor. Daure[ 644-47 Speculatio Carolina 69 Was für ein gewandeltes Karlsbild tritt uns hier entgegen! Der Herrscher ist habgierig, bestechlich, gefühllos und tyrannisch. Am schlimmsten ist aber zweifellos die Tatsache, daß er seine verwitwete Schwester trotz allen Widerstands dazu zwingt, den Mörder ihres Gatten zu heiraten. Sicher steht ihm im feudalen Rahmen das Wiederverheiratungsrecht für die Witwe eines hohen Vasallen zu, aber ebenso steht fest, daß dies nicht ohne die Zustimmung der betreffenden Dame geschehen darf 156 • Durch sein tyrannisches Verhalten mißbraucht, ja pervertiert er dieses Recht 157 ; kein Wunder, wenn um einen solchen Tyrannen herum nur noch Furcht herrscht. 1.8 Kommen wir zur Krone der Rebellenepen, den Quatre fils Aymon, auch unter dem Namen Renaut de Montauban bekannt. Dieses gewaltige, fast 20000 Verse umfassende Epos dürfte kurz vor 1200 entstanden sein 158. Auch hier haben wir es mit einem keineswegs idealen Karl zu tun: Er ist wortbrüchig und bedient sich der Verrätersippe der Maganzesen zur Durchführung seiner durch nichts mehr gerechtfertigten Rache (v. 1439-72); Ungerechtigkeit, Sturheit und Rachsucht kennzeichnen dann auch sein weiteres Verhalten 1 59: Karl hat ganz offensichtlich seine Idealität als Lehnsherr verloren, und so kann er auch nicht mehr der von Gott Erwählte sein 160 ; diese Funktion ist vielmehr an seinen Gegner Renaut übergegangen. Hier nur ein paar Beispiele für Karls Fehlverhalten. Karl hat auch im Renaut de Montauban seine Wutanfälle, so z.B., wenn Ydelon de Baviere ihm in einer langen Rede zur Versöhnung mit Renaut rät: Quant Charlemaignes l'ot, s'a tot le sanc mue; Si rougi et mua com carbon alume. II a estraint ! es dens, si a Je cief crolle Ni a baron tant rice qui ne [s]oit esfree. Renaut 5587-90 Und die Szene schließt mit einer wilden Beschimpfung seines Ratgebers und der Drohung, er werde jeden ins Gefängnis werfen oder aufhängen, der Renaut in der Schlacht schone (v. 5593-603). Ydelon hat hier ganz offensichtlich nicht genügend in Rechnung gestellt, was er doch selbst zu Beginn seiner Rede als charakteristischen Mangel im kaiserlichen Verhalten bezeichnet hatte: 156 Cf. hierzu KRAUSS 1980: 131ss. 151 Cf. auch BENDER 1967: 89, 92; ADLER 1975: 161. - Eine ähnliche Szene findet sich auch in Aye d'Avignon (ed. S.J. BoRG, Geneve 1967, v. 3176ss.): Karl wird hier von dem Ganeloniden Milon bestochen, damit er seine Nichte Aye, die Witwe des von ihm ermordeten Garnier zwingt, ihn zu heiraten. 158 Cf. KöHLER 1985: 91. - Für den Inhalt cf. KÖHLER 1985: 90s. - Cf. auch die Ed. CASTETS 1909: 16-36; GRÖBER 1902: 547-49; ADLER 1975: 144s.; ADLER 1963: 31, 33s. 159 Cf. PARIS 1865a: 357; KöHLER 1985: 92; BENDER 1967: 69, 96. 160 Cf. hierzu auch BENDER 1967: 97s., in bezug auf Fierabras und Aye d'Avignon. 70 Peter Wunderli « . . . Il n'est hom qui puist mie devant vo cors paller, S'i ne dist tot vo uen et tot vo volente Qu'il ne soit par vos sempres de trai"son rete. . . . » Renaut 5552-54 Karl ist also eingebildet, überheblich und schlägt jeden Ratschlag seiner Barone in den Wind 161: der conseil des barons ist zur Farce geworden. Dies muß unweigerlich zur Rebellion der Barone führen 162• Ein erster Aufstand findet statt, als Karl sie dazu zwingen will, Richard, den jüngsten Bruder Renauts, hinzurichten: Einer nach dem anderen lehnt ab, und schließlich verlassen sie gemeinsam und unter Protest das Zelt des Kaisers (v. 9934-10316) 16 3. Die Hauptrebellion findet sich aber gegen Ende des Epos im Kampf um Dortmund. Karl weigert sich immer noch, auf die Friedensangebote Renauts einzugehen, obwohl dieser inzwischen Richart de Normandie gefangen genommen hat und droht, ihn als Geisel zu benutzen. Dies beeindruckt den Kaiser nicht im geringsten: De Richart n'a il garde, par lui soit vergoignie; Mieux voudroit de sa teste avoir .r. ceil sachie. Renaut l4986s. Er will Renaut zwingen, ihm seinen Cousin Maugis, den verhaßten Zauberer, auszuliefern, und dafür ist er auch bereit, einen seiner Getreuesten zu opfern. Damit verletzt er in eklatanter Weise seine Fürsorgepflicht gegenüber einem Vasallen. Dies veranlaßt dann einen nach dem anderen seiner Barone, sich von ihm loszusagen und ihn zu verlassen (v. 15017-69), so daß Karl gar nichts anderes mehr übrig bleibt, als schließlich doch einzulenken (v. 15107-15) 1 6 4. In dieser Szene wird auch ein weiterer Grundzug von Karls Charakter deutlich: seine Ungerechtigkeit sowohl gegenüber seinen Feinden als auch gegenüber seinen Freunden. Er will Richard, den Bruder Renauts, ungerechterweise hinrichten lassen, und ebenso ungerecht ist er, wenn er Richart de Normandie opfern will. Ungerechtigkeit des Kaisers löst letztlich auch den Streit mit dem jungen Renaut aus: Renaut und Bertolai spielen Schach, Bertolai verliert und beschimpft Renaut massiv, der ihm eine runterhaut. Bertolai, des Kaisers Neffe, läuft zum großen Onkel und beklagt sich, worauf Karl (ohne Abklärung des Sachverhalts) Renaut beschimpft, der nun seinerseits dem König den Verrat an seinem Onkel Beuve vorhält. Karl schlägt Renaut ins Gesicht, Renaut läuft weg, begegnet aber leider Bertolai, den er noch schnell mit dem Schachbrett erschlägt (v. 1905-45) - und das Verhängnis nimmt seinen Lauf 165 . Wir haben also eine Kettenreaktion, eine 161 Cf. auch ADLER 1963: 49s. 162 Cf. hierzu auch die Revolte Rolands im Fierabras, cf. BENDER 1967: 95. 163 Cf. auch ADLER 1975: 58s. 164 Cf. auch BENDER 1967: 152,154. 165 Cf. auch ADLER 1963: 37. Speculatio Carolina 71 Lawine, letztlich ausgelöst durch eine Kleinigkeit. Hätte Karl sich korrekt und gerecht verhalten, wäre überhaupt nichts passiert; so aber wirkt seine Ungerechtigkeit wie ein Katalysator (im traditionell chemischen Sinn! ). - Ungerecht ist schließlich auch sein Verhalten gegenüber Bayard, dem Pferd von Renaut, an dem sich der Kaiser gewissermaßen stellvertretend für seinen Herrn rächen will: Er bindet ihm einen Mühlstein um den Hals und stürzt es in Lüttich von der Brücke in die Maas. Seine Barone halten mit Kritik nicht zurück: «Ogier, dist l'arcevesques, par Diex lo roi am[l]ant Molt est cruelx mes sires, ge m'en vois merveillant, Quant une beste mue maine par tel samblant.» «Fols est», dist Oliviers. «Voire», ce dist Rollant. Ains n'i ot nus des pers, bien lo vos acreant, Ne plorast por Baiart, lo bon cheval corrant. Renaut 15313-18 Allerdings entkommt Bayard: Er zertrümmert den Mühlstein mit den Hufen, durchschwimmt den Fluß und flieht in die Ardennen. Zurück bleibt ein wutschäumender Karl (v. 15294-341) 166• Und noch ein anderer Zug, der Karl als unwürdigen Herrscher erscheinen läßt: Er ist geizig, er zählt seine deniers 167 ; im Krieg gegen die Aymoniden ist seine größte Sorge, daß der listige Maugis ihn beklauen könnte (v. 5678-80). Ein Kaiser mit einer Krämerseele wird aber lächerlich, und eine lächerliche Figur gab ja Karl letztlich auch schon gegenüber dem listigen Hengst Bayard ab. Und dies ist sogar ein spezifischer Zug des Renaut de Montauban, der uns bisher nicht (oder zumindest nicht in diesem Ausmaß) begegnet ist: Karl wird immer wieder und schon fast systematisch lächerlich gemacht, und zwar vor allem durch Renauts Cousin 168, den Zauberer Maugis, aber auch durch Renaut selbst. In Paris wird auf den Rat von Naimes ein Pferderennen veranstaltet, bei dem ein hoher Preis ausgesetzt und die Krone Karls ausgestellt wird; Ziel ist es, Renaut in eine Falle zu locken und sich Bayards zu bemächtigen (v. 4760ss.). Der verkleidete Renaut mit seinem unkenntlich gemachten Bayard gewinnt natürlich das Rennen - und klaut Karl noch so nebenbei die Krone (v. 4951-53). Zurück bleibt ein jammernder Karl, der um seine Krone bettelt und Renaut alles mögliche verspricht (v. 4956-59) 169• Nicht viel besser geht es Karl in seinem Zweikampf mit Renaut (v. 10878-1064). Nachdem Renaut nochmals ein Friedensangebot gemacht und Karl mit der unannehmbaren Forderung nach einer Auslieferung von Maugis geantwortet hat, den er schändlich hinrichten lassen will, schlägt Karl Renaut zuerst einmal nieder. 166 Cf. auch BENDER 1967: 158; ADLER 1963: 67. 167 Cf. ADLER 1963: 48-50. 168 Cf. ADLER 1975: 128; 1963: 61s. 169 Cf. auch ADLER 1963: 42. 44. 72 Peter Wunderli Wieselflink spring Renaut auf, packt Karl um die Hüften, lädt ihn sich auf die Schultern und rennt mit dem strampelnden, um Hilfe rufenden Kaiser Richtung Bayard, um seine «Beute» in Sicherheit zu bringen, die ihm aber im letzten Moment noch von Roland und seinen Leuten abgejagt wird (v. 11011-53) 170• - Diese Szene findet ihre Wiederholung unter der Regie von Maugis (v. 12530-57). Der listige Cousin Renauts schleicht sich eines Nachts bei Karl ein, spricht eine Zauberformel und bringt den wehrlosen Kaiser huckepack zu Renaut nach Montauban (der ihn allerdings später freiwillig wieder freiläßt) 171: Maugis vint a Charlon, droit au Jit ou il ert; A son col l'encarja, o Jui J'en a porte. Charles ne pot parler ne .I. sol mot soner. Maugis vint a Baiart, es archons l'a pose; Puis est saillis derriere, atant s'en est tornes. Venus est a Ja sale, s'avaJe ! es degres. En .r. lit cordei:s coJva Charlon soef; Devant lui aluma .1. grant cierge enbrase; Molt a Je roi de France servi et honore. Renaut 12549-57 Auffällig ist auch das Ritual, das Maugis mit Karl aufführt: Er wird behandelt wie ein toter Kaiser, und ein toter Kaiser wäre wohl schon wieder ein guter Kaiser(! ). - Maugis hatte übrigens kurz zuvor Karl einen ähnlichen Streich gespielt, in dem es allerdings nicht um die Person des Kaisers ging: Von diesem gefangengesetzt, wendet Maugis wieder einmal einen seiner Zaubertricks an, so daß um Mitternacht die ganze Mannschaft (Karl und die zwölf Pairs eingeschlossen) einschläft. Mit einem zweiten Zauber öffnet er dann alle Riegel, Türen, Kettenschlösser usw. und spaziert ungehindert aus seinem Gefängnis nicht ohne Karl und den zwölf Pairs ihre Schwerter zu stehlen(v. 11610-51) 172• Der Höhepunkt der Komik wird aber sicher in der Pilgerszene erreicht. Nachdem Karl Renauts Bruder Richard gefangengenommen hat und diesen hinrichten lassen will, verkleidet sich Maugis als Pilger, um ihn zu befreien(was letztlich auch gelingt). Trotz des Ernstes der Lage kann es Maugis aber nicht unterlassen, mit Karl sein Spielchen zu treiben. Er gibt sich als von den vier Haimonskindern und Maugis übel behandelter, schwer maltraitierter und kranker Mann aus, dem in einem Traum offenbart worden sei, daß er nur genesen könne, wenn Karl ihn, vor ihm knieend, füttere. Und in der Tat, er bringt den Kaiser dazu, auf sein Ansinnen einzugehen(v. 9480ss.) 173: 110 Cf. auch ADLER 1963: 54, 61. 111 Cf. auch ADLER 1963: 47. 172 Cf. ADLER 1963: 58. m Cf. auch ADLER 1963: 57s. Speculatio Carolina A genoillons se met l'emperere Charlon; Puis a pris .r. coutel, si desfait le paon; Puis a pris .1. morsel, si fist bene"ü,:on. «Paumier, crvre la bouce et nos le te donron. » Maugis crvre la geule a guisse de grifon Et Charles li mist ens le morse! a bandon. Sachies qu'il n'i failli, se molt petittet non, Que Maugis ne le prist as dens par le doiton Renaut 9650-57 73 Dieser Höhepunkt der ganzen Komödie ist derart geschickt und ausführlich vorbereitet, daß kein Leser die parodistische Intention des Autors verkennen kann. Ein derartiges Karlsbild ist das pure Gegenteil dessen, was wir im Rolandslied angetroffen haben 174 : ein cholerischer, uneinsichtiger, ungerechter und lächerlicher Tyrann 17 5, der kaum mehr einen Gedanken an den Krieg gegen die Heiden verschwendet, sondern sich ausschließlich in internen (letztlich von ihm selbst verschuldeten) Querelen mit seinen Vasallen verzehrt 176 . Karl ist hier zum Antiideal geworden, zum Vorbild dafür, wie ein Herrscher nicht sein sollte. Einern solchen König muß natürlich jeder mythische Zug abgehen, und dementsprechend kann es in Renaut de Montauban auch keine göttlichen Interventionen zugunsten des Königs geben ganz im Gegenteil: Wenn Gott eingreift, dann tut er dies zugunsten seiner Gegner und verdeutlicht damit, auf wessen Seite das Recht ist 177. Macht und Recht, König und Vasall sind hier zu fast unvereinbaren Gegensätzen geworden, die alte dialektische Einheit des Feudalstaates ist zerbrochen 178 • Dies bedeutet allerdings nicht, daß das Königbzw. Kaisertum als solches in Frage gestellt würde; die vier Haimonskinder usurpieren nie die Königswürde, nutzen ihre Erfolge nie aus 1 79: Renaut gibt Karl die geklaute Krone (irgendwie und heimlich, wir erfahren es im Text nicht) wieder zurück, und wenn die Rebellen den Kaiser einmal in ihre Gewalt bringen, lassen sie ihn nachher wieder unversehrt laufen. Was in Frage gestellt wird, ist offensichtlich nicht die Institution, sondern die Person des Herrschers eine Haltung, die geradezu typisch für die Zeit um 1200, für das kapetingische Königtum unter Philipp n. Auguste, ist 180 . 174 Cf. BENDER 1967: 165. 11s Cf. BENDER 1967: 153s., 172. 176 Cf. BENDER 1967: 171. rn Cf. BENDER 1967: 167s. 11s Cf. KÖHLER 1985: 78, 92; BENDER 1967: 145ss., 156. 179 Cf. BENDER 1967: 100s.; KöHLER 1985: 91s.; ADLER 1963: 34, 70; ADLER 1975: 130s. 1so Cf. ADLER 1963: 70s. 74 Peter Wunderli 1.9 Kommen wir zum letzten Text, der hier berücksichtigt werden soll: es handelt sich um die sogenannte Karlsreise 181 , ein kurzes Werk von nur 870 Versen, das meist der 2. Hälfte des 12. Jh.s zugewiesen wird 182 • Dieser Text ist anders als die bisherigen; was dort tragico more dargestellt wurde, wird hier comico more präsentiert; dieser Unterschied gilt letztlich auch in bezug auf Renaut de Montauban, in dem zwar die komischea Elemente nicht fehlten, aber eben nur Einschlüsse in einem anders gearteten Basistext darstellten. Hier aber haben wir es mit einer durchgängigen Lächerlichmachung zu tun: Es liegt eine Parodie vor 183 , in der die Größe Karls destruiert wird 184 • Sicher ist Karl nicht ohne eine gewisse Majestät, und Gott erhört ihn auch, wenn er ihn um Hilfe bittet bei der Ausführung der gabs (Prahlereien): Er schickt ihm den Erzengel Gabriel, der ihm seine Hilfe ankündigen soll (v. 668ss.); gleichwohl wird er lächerlich gemacht, und dies gilt auch für seine Barone, ja letztlich sogar für Hugo von Konstantinopel 185 • Der komische Tenor ist also durchgängig und damit die Grundvoraussetzung für eine Klassifikation als Parodie gegeben. Komisch-parodistisch ist schon der Anfang: ein aufgeblasener, eitler Karl präsentiert sich an einem Festtage im vollen Schmuck seiner Herrscherwürde und erwartet, daß alle vor seiner Schönheit und Größe in Ohnmacht fallen werden (v. lss.) aber seine Angetraute spielt das Spiel nicht mit und verletzt seine Eitelkeit in nicht gerade kluger Weise (v. 13ss.): Anlaß der ganzen Geschichte ist also nichts weiter als ein handfester Ehekrach 186. Und nicht weniger disproportioniert sind die Ereignisse in Jerusalem 18 7• Es beginnt damit, daß Karl sich-vollkommen unbedarft und naiv-auf den Stuhl Christi setzt und seine zwölf Pairs um sich herum auf den Stühlen der Apostel plaziert (v. 112-22). Für diese Tölpelhaftigkeit wird er anschließend vom Patriarchen mit dem Titel «der Große» geehrt: E dist li patriarches: «Sire, mult estes ber! Sis as en la chaere u sist mei:mes Deus: Aies nun Charlemaine sur tuz reis curunez! » E dist Ii emperere: «Cin cenz merciz de Deu! . . . » 181 Ed. AEBISCHER 1965. Voyage 156-59 1s2 Anders FAVATI 1965: 124, der sich für die 2. Hälfte des 13. Jh.s ausspricht. - Für eine Zusammenfassung cf. KöHLER 1985: 78-81; cf. auch HORRENT 1981: 43s. 183 Cf. ADLER 1975: 69; KÖHLER 1985: 81; AEBISCHER 1956: 160, 162; HEINERMANN 1936: 511, 548, 550, 562; NEUSCHÄFER 1959: 78-103. 184 Cf. FAVATI 1965: 31 et passim. - Anderer Ansicht ist in diesem Punkt HoRRENT 1961, der aus dem Text eine «histoire de piete» im Rahmen einer «aventure imaginaire» machen will; er scheint jedoch diese Interpretation in HoRRENT 1981: 43s. selbst aufgegeben zu haben. - Zur Bewertungsgeschichte im allgemeinen cf. FAVATI 1965: 10-13. iss Cf. FAvATI 1965: 21s., 44ss., 63ss. 186 Cf. auch AEBISCHER 1956: 161; NEUSCHÄFER 1959: 84; KÖHLER 1985: 82. 187 Cf. AEBISCHER 1956: 162s.; NEUSCHÄFER 1959: 88ss.; KÖHLER 1985: 82. Speculatio Carolina 75 Komisch war auch der Jude, der die Barone auf den Abendmahlsstühlen entdeckt hatte (v. 129ss.): Der Schreck fährt ihm in die Glieder (v. 130), er fällt beinahe hin, flieht, geht zum Patriarchen, um ihm zu berichten, und verspricht ihm, sich nun taufen zu lassen (v. 136) denn er hält die dreizehn für Gott und die zwölf Apostel: « . . . Duze cuntes vi ore en cel muster entrer: Oveoc euls le trezime, unc ne vi si formet! Par le men esc'ientre, �o est ma'imes Deus: Il e li duze apostle vus venent visiter! » Voyage 137-40 Der Höhepunkt der Komik wird aber beim Inventar der übergebenen Reliquien erreicht, die da sind (v. 162ss.): der Arm des Hl. Simon; der Kopf des HI. Lazarus; Blut von St. Stefan; das Schweißtuch Christi; einer der Nägel, die Christus bei der Kreuzigung durch den Fuß geschlagen wurden; die Dornenkrone Christi; der Abendmahlskelch und die Abendmahlsschale; das Messer, mit dem Christus gegessen hat; Bart- und Kopfhaare von Petrus; Muttermilch von Maria und ein Stück ihres Hemdes. Vielleicht sollte man sich gar nicht zu sehr an den einzelnen Reliquien aufhalten, denn im christlichen Reliquiengeschäft ist (fast) alles möglich; eindeutig komisch ist aber die Häufung der Reliquien, die geradezu an Rabelais erinnert, und dann auch ihre Funktion im folgenden: Sie heilen nicht nur Kranke, sondern lassen auch vor den Franken auf dem Weg nach Konstantinopel alle Wasser zurückweichen, so daß der Zug trockenen Fußes überall hingelangen kann 188: Les reliques sunt forz; granz vertuz i fait Deus, Qu'il ne venent a ewe, n'en partissent les guet, Ne n'encuntrent aveogle, ne seit reluminet; Les cuntrez i redrescent e les muz funt parler. Voyage 255-58 Die Komik setzt sich in Konstantinopel ungebrochen fort. Da ist zuerst einmal der von seiner Sänfte aus mit goldenem Gerät pflügende Hugo, ein Bild, das die biederen Franken in den Grundfesten ihrer Überzeugungen erschüttert (v. 283ss.) 189. Ein erster Höhepunkt wird aber mit dem Chateau tournant 190 , das sich plötzlich im Winde zu drehen beginnt, erreicht (v. 354ss.): Karies vit Je palais turneer e fremir: II ne sout que ceo fud, ne ! 'out de luign apris. 188 Cf. auch FAvATI 1965: 51ss., bes. p. 56. 189 Cf. auch AEBISCHER 1956: 164s.; KöHLER 1985: 82s. 190 Zur Thematik des Chateau tournant und ihrer Tradition cf. CrGADA 1961: 576-606. - Cf. ferner auch FAVATI 1965: 23s. 76 Peter Wunderli Ne pout ester sur pez: sur le marbre s'asist. Franceis sunt tut versez: ne se poent tenir, E covrirent ! ur chef e adenz e suvin, E dist li uns al altre: «Mal sumes entrepris! Les portes sunt uvertes: si n'en poüm issir! » Voyage 385-91 Die Komik der Szene wird noch dadurch akzentuiert, daß Hugo von dem ganzen Geschehen unbeeindruckt unter den Franken herumspaziert und dem verzweifelten Karl ganz ruhig erklärt, er solle sich doch etwas gedulden (v. 394-99). - Kaum hat sich der Wind gelegt, setzt man sich auch schon zu Tisch: Die Franken gehen nahtlos von der Todesangst zu größter Freßlust über (v. 399ss.). Schon beim Essen beginnt die gewaltige Sauferei, die dann im Schlafgemach fortgesetzt wird und zu einer Reihe von maßlosen Prahlereien führt (v. 448ss.). Nach der Prahlerei kommt auch gleich wieder der Sturz ins Gejammer: durch einen Spion informiert, verlangt Hugo die Einlösung der großmäulig verkündeten Heldentaten (v. 643ss.). Keine Entschuldigung hilft, weder der Verweis auf den Vollrausch noch die Behauptung, derartige Prahlereien seien in Frankreich in Männergesellschaften eben üblich: Die Franken können nur ihr nostra culpa singen: «Seignurs, dist l'emperere, mal nus est avenud: Dei vin e de! claret tant eümes beüd, E desimes tel chose que estre ne deüst! » E ad fait les reliques aparter devant lüi: A ureisuns se getent, unt ! ur culpes batud, E prient Deu de! cel e la sue vertud, Dei rei Hugun le fort que ! es garisset üi, •••>> Voyage 664-70 Und die von Gott durch seinen Boten Gabriel zugesagte Hilfe schlägt gleich wieder in Komik um: Die herbeigesehnten Wassermassen sind so mächtig, daß nicht nur Hugo auf seinen Turm, sondern auch Karl und seine Barone wie die Affen auf eine alte Pinie fliehen müssen 191; Desur un pin antif est Charles al vis fer, II e li duze pers, li barun chevaler, E prient Damne Deu que d'eauls il ait pited. Voyage 780-82 Und Gott hat dann schließlich auch ein Einsehen und läßt die Wassermassen zurückweichen (v. 791s.). Für die in der Karlsreise erzählten Ereignisse gibt es mit Sicherheit keinen konkreten historischen Hintergrund 192, allerhöchstens einen indirekten Anlaß, 191 Cf. auch FAVATI 1965: 24ss. 192 Cf. auch AEBISCHER 1956: 154; KöHLER 1985: 81. Speculatio Carolina 77 den die einen im 2. Kreuzzug von Louis VII sehen 1 9 3, andere in Karls Heiligsprechung in Aachen am 8.Januar 1166 194 usw. Ich ziehe es mit Guido Favati vor, gar kein konkretes derartiges Ereignis anzunehmen 19 S , ebensowenig wie ich an eine direkte Parodie des Rolandslieds (oder irgendeines anderen identifizierbaren Epos) glaube 196 • Dagegen spricht auch nicht die Tatsache, daß sich im Text - und dies ist durchaus zu Recht immer wieder herausgestellt worden 19 7 besonders viele Anspielungen auf das Rolandslied finden: schließlich war dieses Epos so etwas wie der idealtypische Leittext der chanson de geste im allgemeinen und der Karlsgeste im besonderen. Allerdings geht es wohl etwas weit, von einer Destruktion des Epos als Gattung zu sprechen 1 9 8, denn soweit ich sehe, fehlen Anspielungen auf die Wilhelms- und Empörergeste: Anvisiert ist nur die Karlsgeste, d.h. wir hätten eine Parodie auf den proköniglichen Epenzyklus - und somit erneut eine Destruktion des Karlsbildes. Erreicht wird diese Destruktion durch das, was Aebischer sehr treffend als brica-brac epique bezeichnet 1 99 : Traditionelle Motive der chanson de geste und v.a. des Karlszyklus werden verfremdet, umgelenkt 200 , dadurch, daß sie in einen unerwarteten (d. h. parodistischen) Kontext eingebettet werden; es handelt sich nicht mehr um den Kontext «Christentum-und-Vaterland», sondern um den banalen Bereich eines Ehekrachs. Die enttäuschte Publikumserwartung läßt so den (fast) idealen Herrscher zu einem hemdsärmeligen Pantoffelhelden werden 201 • 2.0 Obwohl wir nur einige ausgewählte Texte aus dem Bereich der altfranzösischen Epik vorgestellt haben, ist uns darin ein Karlsbild begegnet, das von der (fast) idealen Karlsfigur im Rolandslied bis hin zum Tyrannen des Renaut de Montauban reicht. Zwischen diesen Extremen gibt es praktisch jede beliebige Menge von Zwischenpositionen, ja würde man das ganze überlieferte Epenmaterial auswerten, so müßte der Eindruck eines Kontinuums zwischen den beiden Polen entstehen. Dazu kommt noch, daß sowohl der «gute» als auch der «böse» Karl keineswegs immer ernst genommen, sondern beide oft verulkt oder sogar durchgängig parodiert werden, was die Sachlage nur noch verkompliziert. Wie ist nun dieser verwirrende Befund zu interpretieren, wie können wir dieses widersprüchliche Bild erklären? 193 Cf. HEINERMANN 1936: 550. 194 Cf. NEUSCHÄFER 1959: 100s.; KÖHLER 1985: 83. 19s Cf. FAVATI 1965: 68ss. 196 Cf. AEBISCHER 1956: 161; HEINERMANN 1936: 511. 197 Cf. v.a. HEINERMANN 1936. 198 Cf. NEUSCHÄFER 1959: 80, 95; KÖHLER 1985: 83; FAVATI 1965: 38ss. 199 Cf. AEBISCHER 1956: 176. 200 Cf. NEUSCHÄFER 1959: 82s. 201 Cf. NEUSCHÄFER 1959: 83, 89. 78 Peter Wunderli 2.1 Ganz wesentliche Erklärungsinstrumente verdanken wir den literatur-soziologischen Überlegungen von Erich Köhler, für den die altfranzösischen Epen aus den Gegebenheiten der Feudalgesellschaft im 11. und 12. Jahrhundert zu interpretieren sind und nur vor diesem Hintergrund angemessen bewertet werden können 202 . Die große Zeit des Hochadels waren das 10. und das frühe 11. Jh. gewesen, in denen die Grafen eine unerhörte Machtfülle erreicht und den König zu einer weitgehenden Statistenrolle verdammt hatten 203 . Daneben hatte sich seit dem 9. Jh. eine Klasse von Kastellanen und Baronen herausgebildet, die von den Grafen abhängig waren. Diese Aftervasallen verarmen nun im Laufe des 10. Jh.s zunehmend, da sie sich kräftig vermehren und ihre Einkünfte aufgrund der Erbteilung immer geringer werden. Die ökonomische Auszehrung geht so weit, daß diese Schicht schon bald mit dem im 10./ 11. Jh. entstandenen Stand der Berufskrieger, die den niedrigen und vollkommen besitzlosen Adelsstand darstellen, zusammenfällt. Der Hochadel muß sich nun vorerst gegen die Ansprüche des niedrigen Adels wehren, der es aber gleichwohl schafft, Mitte des 12. Jh.s von einer classe de fait zu einer classe de droit zu werden 2 04, wodurch das zweite feudale Zeitalter eingeleitet wird. Andererseits sieht sich der Hochadel auch bald vom Königtum bedroht, das sich in seiner Machtlosigkeit nicht wohlfühlen konnte: Es strebte danach, durch Stärkung der eigenen Position von den großen Feudalherren weitestgehend unabhängig zu werden, deren Macht und Einfluß auf die Zentralgewalt zu brechen und so den nationalen Interessen den Vorrang vor den partikulär-regionalen zu verschaffen. Dies mußte natürlich zum Konflikt zwischen dem König und den mächtigen Feudalherren führen, die mit der Schaffung von regionalen höfischen Zentren auf die Zentralisierungsbestrebungen antworten 205 . Diese Bestrebungen erwiesen sich vor allem im Süden als relativ erfolgreich, waren doch hier der Einfluß der Krone traditionell gering und die Feudalherren praktisch unabhängig. Der Süden wurde so zur feudalen Hochburg 20 6 - und nicht umsonst stammen die Helden der Empörergeste vorwiegend aus dem Süden Frankreichs, wo sich auch meist die Handlung (oder zumindest ein wichtiger Teil der Handlung) abspielt. Die Entstehungszeit der altfranzösischen chanson de geste (Ende 11. Jh. bis Anfang 13. Jh.) fällt nun genau mit dieser Krisen- und Umbruchszeit zusammen. Wir haben es in den rund 150 Jahren, die uns interessieren, mit vier kapetingischen Königen zu tun 20 7: Philippe r (1052-108/ 1060-108), Louis v1 «le Gros» (1081- 137/ 1108-37), Louis VII «le Jeune» (1120-80/ 1137-80) und Philippe II Auguste 202 Cf. KÖHLER 1978c: 368s. 203 Cf. hierfür und für das Folgende KöHLER 197b: 20ss. 204 Cf. BLOCH 1968; vgl. auch KöHLER 1978a: 3s. 20s Cf. zum Konflikt zwischen dem König und den unabhängigen Feudalherren LEMARIGNIER 1965. 206 Cf. auch KöHLER 1972b: 26. 201 Das erste Paar von Jahreszahlen gibt die Lebensdaten, das zweite die Regierungszeit an. Speculatio Carolina 79 (1165-223/ 1180-223). Philippe r war noch ein ausgesprochen schwacher König gewissermaßen ein typischer Frühkapetinger -, und ähnliches kann man auch noch von seinen beiden Nachfolgern sagen. Gleichwohl: Sie betrieben im Rahmen ihrer Möglichkeiten durchaus zielstrebig eine königliche Stärkungs- und Zentralisierungspolitik, die zwar immer wieder Rückschläge hinnehmen mußte, aber dennoch kleine Fortschritte brachte. Der Durchbruch gelang schließlich Philippe n Auguste durch eine antifeudale Allianz mit der Funktionärsschicht und dem Bürgertum im allgemeinen. Diese Allianz setzte sich in einem erbitterten Kampf, der bis 1214 dauerte, schließlich durch: in der Schlacht von Bouvines gelang es Philippe II Auguste, mit Hilfe von städtisch-bürgerlichen Truppen die mit Otto rv. verbündeten Großvasallen vernichtend zu schlagen 208 ; die Barone waren nun entmachtet, dem Ausbau und der weiteren Stärkung der Zentralgewalt stand nichts mehr im Wege. Geht man nun davon aus, daß sich die politischen Verhältnisse der kapetingischen Zeit in der Karlsfigur spiegeln, und nimmt man an, das Rolandslied sei in der Oxforder Version während der Regierungszeit von Philippe I entstanden, dann bietet sich die Erklärung für das Karlsbild an, das wir im Rolandslied angetroffen haben. Philippe I ist noch ein schwacher kapetingischer König, der an der Spitze eines von inneren Fehden zerrissenen Feudalstaates steht und der seinen Feudalherren weitgehend ausgeliefert ist. Diese realpolitische Situation schlägt sich u. a. im Verhalten Karls im conseil des barons und im Ganelonprozeß nieder. Andererseits zeichnet uns der Autor das Karlsbild eines sowohl äußerlich als auch von seiner moralischen Struktur her idealen, mächtigen Weltkaisers, der, von Nationalgefühl und christlichem Sendungsbewußtsein durchdrungen, auch in der Lage ist, seine Vorstellungen durchzusetzen 2 09 also ein Wunschbild, eine Zielprojektion aus proköniglicher Sicht, oder wie Erich Köhler es formuliert: Unser Dichter hat unter den Möglichkeiten, die seine Zeit enthielt, jene gesichtet, an deren Verwirklichung er auf Grund einer universalhistorisch-christlichen Konzeption der Monarchie zu glauben vermochte. Göttliche Intervention mußte legitimieren, was in der geschichtlichen Konstellation nur erst als Chance, aber noch nicht als Gewißheit bereitstand. Was den Dichter überhaupt erst zu diesem Entwurf ermächtigte, war die Existenz der zwei sozial und politisch relevanten Gruppen, an deren Interessenkonflikt und dessen Utilisierung sich das Schicksal der kapetingischen Monarchie entscheiden mußte. (KÖHLER 1972b: 411) Das Rolandslied ist somit im wesentlichen proköniglich, doch dringen die profeudalen Positionen gleichwohl vereinzelt durch, wenn Karl als die feudalen Rechtsnormen unterlaufend dargestellt wird: Unter der scheinbar glatten Oberfläche 208 Cf. BENDER 1967: 115, 119; KÖHLER 1985: 91. 209 Cf. KÖHLER 1978c: 396, 411; KöHLER 1985: 44. - Cf. auch KRAUSS 1978: 9; AUERBACH 1967: 99; BEZZOLA 1978: 131; fRAPPIER 1978: 343s. 80 Peter Wunderli werden so die inneren Widersprüche und Spannungen der gegebenen Situation deutlich, denen sich eben auch Karl nicht entziehen kann und die aufgrund des Konfliktes Roland - Ganelon überhaupt als Motor des ganzen Geschehens anzusehen sind. Ganz anders liegen die Dinge für den um 1200 entstandenen Renaut de Montauban. Was unter Philippe r noch reines Wunschdenken war, hat sich unter Philippe n Auguste weitestgehend konkretisiert: An der Spitze Frankreichs steht jetzt ein glanzvoller, in zunehmendem Maße mächtiger werdender Herrscher, der in der Lage ist, die Einheit und das Funktionieren des Staates zu realisieren und zu garantieren. Der Feudaladel sieht seine Felle davonschwimmen, denn er konnte seine partikulären Interessen nur unter einem schwachen König durchsetzen. Für den Feudaladel mußte der Aufstieg des Königtums ein Werk des Teufels sein, der mächtige Herrscher konnte ihm nur als Tyrann erscheinen, der mit allen seinen Idealen widersprechenden (negativen) Zügen behaftet war. Literarischer Ausfluß dieser profeudalen Sicht der geschichtlichen Entwicklung ist die Rebellenepik, die im Renaut de Montauban kulminiert, ein Werk, das man geradezu als politisches Pamphlet des sich ins Abseits gedrängt fühlenden Feudaladels interpretieren könnte 210 . 2.2 Die «Stimmigkeit» dieser Extremwerte legt nun einen durchgängigen Parallelismus zwischen der Entwicklung der Feudalgesellschaft einerseits und den sich in der epischen Literatur spiegelnden politischen Themen andererseits nahe. Eine derartige Sicht ist z.B. von Bezzola und Becker 211, in ganz besonderem Ausmaß aber von Bender 2 1 2 vertreten worden, für den die chansons de geste direkt aus den politischen Ereignissen des 12. Jh.s heraus gedeutet werden müssen und der einen chronologischen Vergleich zwischen dem Entwicklungsstand von epischer und historischer Feudalgesellschaft versucht, ja einen Isochronismus zwischen den beiden Bereichen postuliert. Dabei gerät er aber sehr schnell in Schwierigkeiten, da es im postulierten Parallelismus zahlreiche Ungereimtheiten gibt. In bezug auf das Couronnement Louis muß auch Bender 2 13 einräumen, daß hier keine direkte Widerspiegelung von historischen Gegebenheiten vorliegt, denn Louis vn war im Vergleich zu seinem Vorgänger keineswegs ein schwächerer oder unfähigerer Herrscher; oder sollte die Tatsache, daß er noch als Kind auf den Thron kam, für diese Charakterisierung ausreichen? Dagegen spricht Benders eigene Annahme, der Text sei nach 1152, d.h. zu einem Zeitpunkt, wo Louis VII schon längst 210 Cf. KRAuss 1978: 9s.; KöHLER 1985: 91s. 211 Cf. BEZZOLA 1978; BECKER 1978, v.a. p.114-16. 212 Cf. BENDER 1967, v.a. p. 7s. m Cf. BENDER 1967: 60, 64ss. Speculatio Carolina 81 volljährig war, entstanden 2 14• Vor allem aber müßte man fragen: Wie steht es denn mit dem unfähigen Sohn Charlot im Huon de Bordeaux, einem Text, der auf 1216 datiert wird, also nach dem großen Sieg von Philippe n Auguste liegt? - Probleme hat Bender auch mit Aye d'Avignon, denn um seine These aufrecht zu erhalten, muß er eine Übertragung der Verhältnisse in der königlichen Domäne auf den Vasallenbereich annehmen 2 15• Auch die Übergriffe Karls im Fierabras bleiben für ihn ohne Bezug zu den aktuellen Verhältnissen 216 , usw. Auch die Ergebnisse unserer eigenen Untersuchung widersprechen der These vom vollkommenen Isochronismus zwischen geschichtlicher und epischer Entwicklung. Sicher: Die oben vorgenommenen Zuordnungen Rolandslied - Philippe I und seine Zeit, Renaut de Montauban - Philippe n Auguste und seine Zeit haben ihre Gültigkeit. Zu Renaut de Montauban kann man auch noch Daurel et Beton stellen, ein Werk, das mehr oder weniger gleichzeitig entstanden ist. Wie aber erklärt es sich, daß im Voyage Charlemagne, einem ebenfalls gegen Ende des 12. Jh.s entstandenen Werk, der Kaiser nicht verteufelt, sondern einfach lächerlich gemacht wird? Warum ist im Girart de Vienne und im Jehan de Lanson 2 17, die ins Ende der Regierungszeit von Philippe II Auguste (oder kurz danach) fallen, das von Karl gezeichnete Bild bedeutend weniger negativ als im Renaut de Montauban und in Daurel et Beton 2 18 ? Und wie erklärt es sich, daß in der gleichen Zeit mit Anseis de Carthage und Aiquin 219 zwei Epen entstehen können, in denen Karl zwar alt und schwach bzw. schwer verletzt erscheint, die in ihrer Grundhaltung aber durchaus proköniglich sind? Und was ist mit Aspremont, einem Text, der auf 1188 datiert wird und der somit bereits in der Regierungszeit des von allem Anfang an zielstrebig die Entmachtung der Feudalherren betreibenden Philippe II Auguste fällt? Sicher, Girart de Fraite ist immer ein bißchen größer und besser als Karl, aber Karl ist weitgehend fehlerfrei also ein Text, der keineswegs als antiköniglich angesehen werden kann. Probleme über Probleme! Halten wir fest: Es gibt zwei Texte, die so etwas wie Eckdaten markieren und die gewissermaßen das Gegenbild der historischen Wirklichkeit zu sein scheinen: auf der einen Seite haben wir das Rolandslied, das vor dem realpolitischen Hintergrund eines schwachen, den Feudalherren ausgelieferten Königtums das Idealbild eines weitgehend vollkommenen und mächtigen christlichen Weltkaisers entwirft; auf der anderen Seite steht der Renaut de Montauban, ein Text, der vor dem Hintergrund einer realpolitischen Situation, in der die Zielprojektionen von vor 214 Cf. BENDER 1967: 50. -Traditionell wird das Couronnement allerdings auf 1130/ 31 datiert (cf. KöHLER 1985: 84; LANGLOIS 1966: vn; LEVY 1957: 45; usw.), was sich aber mit einer Reihe von (guten) andern Argumenten Benders schlecht verträgt. 215 Cf. BENDER 1967: 90. 216 Cf. BENDER 1967: 97. 211 Zwischen 1205 und 1225, bzw. 1. Drittel 13. Jh. 21s Kurz vor 1200 bzw. um 1200. 219 2. Viertel 13. Jh., bzw. Ende 12./ Anfang 13. Jh. 82 Peter Wunderli hundert Jahren weitgehend eingelöst worden sind, den Widerstand der entmachteten Feudalherren artikuliert und in dem der (zu) mächtig gewordene Herrscher verteufelt wird. Und zwischen diesen beiden Polen gleichgültig, ob der Renaut de Montauban chronologisch vor- oder nachzuordnen ist gibt es eine Fülle von Texten, die in je unterschiedlicher Weise zwischen der extrem proköniglichen und der extrem profeudalen Position Stellung beziehen. 2.3 Wie ist nun aber dieser diffuse Übergangsbereich zwischen Rolandslied und Renaut de Montauban zu interpretieren, wie kommt diese scheinbar endlose Variation zwischen den extremen Polen zustande? Zur Lösung dieser Frage scheint mir Alfred Adler den entscheidenden Ansatz geliefert zu haben 220 . Nach Adler darf das gesamte Korpus der chansons de geste nicht auf seine chronologische Abfolge fixiert und in Abhängigkeit von ihr betrachtet werden 22 1; vielmehr hätte die Gesamtheit der Epenliteratur als ein Text zu gelten, d.h. die diachronische müßte einer synchronischen Betrachtungsweise weichen. Die Epenautoren würden prinzipiell die gesamte Stoffmasse überblicken und vor dem Hintergrund des Gesamtinventars gewisse Typen von Konstellationen exemplarisch behandeln, ja sie bis in ihre extremsten Konsequenzen ausspekulieren: In einer Art von Sandkastenspielen, in deren Rahmen grundlegende gesellschaftliche und politische Konstellationen in überspitzter Form simuliert werden, kommt man dann zu quasi-mythischen Problemlösungen, die eine kognitive und/ oder entlastende Funktion in bezug auf die Realität haben. Verstärkt würde diese didaktische Funktion der ausspekulierten Kasus durch die Technik der Gegenbildlichkeit, d.h. durch die Abhandlung von einander diametral entgegengesetzten Konstellationen in verschiedenen Epen. Vor diesem Hintergrund erscheinen die einzelnen Themen und Motive als Versatzstücke, die aufgrund unterschiedlicher Auswahl und variabler Kontexteinbettung einen in den einzelnen Epen jeweils unterschiedlichen Stellenwert erhalten: das, was Aebischer als bric-a-brac epique bezeichnet 222 , was man mit Roland Barthes bricolage epique nennen könnte, muß somit im Gesamtzusammenhang nicht nur der einzelnen Epen, sondern auch der Gattung in ihrer Gesamtheit gesehen werden 223 . Kommen wir nun zurück zu unserer Fragestellung betreffend den diffusen Zwischenbereich zwischen Rolandslied und Renaut de Montauban. Wir haben immer nur das Karlsbild analysiert, und dies ist sicher eine methodische Schwäche 220 Cf. ADLER 1975. - Cf. auch KöHLER 1977: 234-41; WUNDERLI 1988, v.a. p. 155ss.; WuN- DERLI 1987; KRAUSS 1978: 11; LIMENTANI 1978: 295-334, bes. p. 307. 221 Für eine derartige Betrachtungsweise spricht auch die Tatsache, daß die ganze Chronologie der altfranzösischen Epen nach wie vor äußerst fragwürdig ist und es wohl auch immer bleiben wird. 222 Cf. AEB! SCHER 1956: 170, 176. 223 Cf. auch KRAuss 1978: 6-8. Speculatio Carolina 83 unserer Untersuchung, denn das Karlsbild ist immer eine Funktion der übrigen Figuren des jeweiligen Epos und damit abhängig von dessen Gesamtstruktur. Gleichwohl lassen die differenzierten Ergebnisse erkennen, daß das Karlsbild Adlers Arbeitshypothese bestätigt: Zwischen den proköniglichen (Roland) und profeudalen (Renaut de Montauban) Extrempositionen kann dieses Bild endlos variiert und nuanciert werden, wobei diese Variation abhängig ist von der für das Epos gewählten Gesamtkonstellation.Das Ausspekulieren unterschiedlicher Ausprägungen der Relation Herrscher-Feudaladel schlägt somit auf das Karlsbild zurück, die epische Spekulation (Adler) wird zur speculatio carolina. Welche Konstellation für die verschiedenen Figuren gewählt wird, wie das Wertsystem beschaffen ist, in das sie integriert werden, hängt jeweils von der ideologischen Position des Autors und seines Zielpublikums ab 224 : Bei Gleichklang entstehen leicht extreme Darstellungen wie im Rolandslied oder im Renaut de Montauban, bei Divergenz kommen irgendwelche Zwischentöne zustande, wie sie uns ja reichlich begegnet sind. Dabei kann nicht übersehen werden, daß auch die jeweilige realpolitische Situation einen gewissen Einfluß auf das epische Wertsystem ausübt, und zwar v.a. als Kontrastfolie: Vor einem den Hochadel begünstigenden politischen Hintergrund kommen eher prokönigliche Konstellationen im Sinne einer idealen Zielprojektion zustande, vor einer das Königtum begünstigenden historischen Situation eher profeudale Literaturprodukte im Sinne einer Klage über ein entschwundenes «goldenes» Zeitalter allerdings ohne daß es sich hierbei um einen rigiden Determinismus handeln würde und nicht auch «atypische» Stellungnahmen möglich wären. Die Antinomien prokönigliche/ profeudale Haltung, Ideal/ Wirklichkeit, gerechter/ ungerechter König usw. 22 5 sind in ein außerordentlich kompliziertes Beziehungsgeflecht eingebunden, das oft nur mit Mühe zu rekonstruieren ist, das aber für die zwischen den beiden Polen Rolandslied/ Renaut de Montauban endlosen Variationen des Karlsbildes verantwortlich ist. 2.4 Bleibt noch der Voyage Charlemagne, ein Text, der vorerst nicht so recht in unser Erklärungsschema zu passen scheint.Andererseits vermag auch die Bewertung von Guido Favati nicht zu befriedigen 22 6, nach der es sich um «un'opera di puro divertimento, dovuta ad un letterato ehe sie dilettato di prendersi gioco di un insieme di situazioni epiche raggruppate ad un Carlomagno smanioso di eccellere, ...» handelt. Soweit Favati den bricolage, die Technik des Ausspekulierens und der Gegenbildlichkeit im Blick hat, pflichte ich ihm gerne bei aber dieses Spiel ist nicht ganz so unschuldig, wie es sich gibt, nicht einfach ein literarischer Zeitvertreib, sondern von höchster politischer Brisanz. Dies scheint sich mir schon daraus zu ergeben, daß Parodie und Komik sich ja nicht nur (durchgängig) im Voyage 224 Cf. GRAUS 1969: 16, 22; LIMENTANI 1978: 302. 22s Cf. auch GRAUS 1969: 16, 23s. 226 Cf. FAVATI 1965: 78. 84 Peter Wunderli finden, sondern (punktuell) auch eine wichtige Rolle in einer «ernsthaften» chanson de geste, dem fast gleichzeitig entstandenen Renaut de Montauban spielen 227• Für die Erklärung dieses Phänomens scheint sich mir die Theorie der Karnevalisierung von Michajl Bachtin anzubieten 22 8• Für Bachtin gibt es vom Altertum bis in die Renaissance eine Tradition des «populären Lachens», die weitgehend wenn auch nicht ausschließlich an die öffentlichen Plätze und das auf ihnen stattfindende Jahrmarktstreiben gebunden wäre. Funktion dieser Institution wäre es, eine Art karnevalistische Gegenwelt zur offiziell-feierlichen Welt von Kirche und Staat zu schaffen, einen Rahmen zu geben, in dem man sich ohne Furcht vor Strafe und Repressionen austoben, Kritik an der obrigkeitlichen Welt üben und seine Aggressionen gegen sie loswerden kann: Es eröffnet sich die Möglichkeit eines monde totalement autre, eines monde ii l'envers, einer «verkehrten» Welt, in der das Lachen oberstes Prinzip ist, ein Lachen, das einerseits kritisch-destruktiven Charakter hat, andererseits aber auch durchaus konstruktiv und zukunftsstiftend im Sinne einer Zielprojektion sein kann. In diesem Rahmen, meine ich, muß der Voyage Charlemagne gesehen werden. Zwar handelt es sich nicht um ein populäres, für die place publique bestimmtes Werk, sondern um ein literarisches Kunstprodukt elitären Charakters aber die Karnevalisierung hat schließlich auch anderweitig in den oberen Kreisen durchaus eine Rolle gespielt 22 9. Durch die Transposition vom populären in den elitären Bereich eröffnet sich so die Möglichkeit einer elitären Kritik an der offiziellen Ideologie und an ihrer «Image-Pflege»: Ebenso wie dies Alfred Adler für die komischen Szenen des Renaut de Montauban unterstrichen hat 230 , werden auch im Voyage das königliche Selbstverständnis und seine propagandistische Außendarstellung verunglimpft und parodiert. Allerdings glaube ich nicht, daß es sich dabei (so Adler) um parodistische Selbstironie handelt. Alles spricht vielmehr für eine karnevalistische Ideologiekritik an der proköniglichen Position aus der Sicht des Feudaladels. Da der Voyage Charlemagne durchaus in der Regierungszeit von Philippe II Auguste entstanden sein könnte, und da gerade dieser Herrscher das idealisierte Karlsbild ausgiebig als Propagandainstrument einsetzte 231 , fände eine karnevalistische Antwort auf die offiziellen Indoktrinationsversuche wie von selbst ihren Platz im literarisch gespiegelten Kräftefeld der Auseinandersetzungen zwischen den beiden Parteien. 221 Darüber hinaus finden sich komische Szenen auch in andern Epen. 22s Cf. v.a. BAKHTINE 1970. - Cf. auch WuNDERLI 1986b: 115-18; ferner LIMENTANI 1978: 326. 229 Cf. z.B. für die Cent Nouvelles Nouvelles und den burgundischen Hof WuNDERLI 1986b: 118. 230 Cf. ADLER 1963: 62s. 231 Cf. BECKER 1978: 109s. und v.a. KöHLER 1978c: 390, sowie BENDER 1967: 123ss., 133ss. Speculatio Carolina 85 2.5 Kommen wir zum Schluß. Wir sind mit einem außerordentlich vielfältigen, äußerst schillernden Karlsbild konfrontiert worden, das uns ein Reflex der Auseinandersetzung zwischen Königtum und Feudaladel ab Mitte des 11. bis Anfang des 13. Jh. s zu sein scheint. Die jeweilige Ausgestaltung der Karlsfigur ist abhängig von der ideologischen Position des Autors und dem Zielpublikum und variiert im Sinne der epischen Spekulation weitgehend chronologie-unabhängig zwischen der dezidiert proköniglichen (Roland) und der dezidiert profeudalen (Renaut de Montauban) Position. In diesem Gefüge finden auch partielle oder durchgängige Karnevalisierungen im Sinne von Bachtin ihren Platz. Angesichts der Variationsbreite und der Widersprüche bei der Bewertung der Herrscherfigur könnte man versucht sein, in der altfranzösichen chanson de geste so etwas wie die (freie) politische Presse einer längst vergangenen, deswegen an sozialen Spannungen aber keineswegs armen Epoche zu sehen. 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