eJournals Vox Romanica 55/1

Vox Romanica
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2941-0916
Francke Verlag Tübingen
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1996
551 Kristol De Stefani

Synkopeabstufungen im Spanischen

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1996
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200 Volker Noll jemanden, der an dem bis zum 17. Jh. florierenden Handel mit dem Brasilholz beteiligt war 32 . Der Beleg, auf den wir uns beziehen, fällt in eine Zeit, in der sich brasileiro semantisch bereits in Richtung auf eine Herkunftsbezeichnung verschiebt: 1663 nennt Padre Belchior Pires seine in Brasilien geborenen Mitbrüder brasileiros undverärgert sie dadurch (LEITE 1965: 238). Somit wurde brasileiro in seiner neuen Bedeutung offensichtlich zunächst von außen zur Konkretisierung einer Unterscheidung eingeführt, für die die Betroffenen selbst in dieser Form noch keine Notwendigkeit sahen. Die Aufgabe der Unterscheidung in Portugiesen der alten Welt und portugueses do Brasil zugunsten einer allgemeinen Verwendung von brasileiros für die gesamte Bevölkerung Brasiliens ergab sich verbindlich erst im Zuge der Unabhängigkeit des Landes 1822 und des Entstehens einer neuen Nation 33 • Göttingen Volker Noll Bibliographie ABREU, J. CAPISTRANO DE 1929: 0 descobrimento do Brasil, Rio de Janeiro AzEVEDO, A.J. DA SILVA D' 1967: Este nome: Brazil. Estudo e ensaio sobre uma restituü; ao etimol6gica, Lisboa Barca 1518: G1L VICENTE, Auto da Barca do Purgat6rio, in: Obras completas, com prefäcio e notas do prof. Marques Braga, vol. 2, Lisboa 1942: 83-123 BARRoso, G. 1941: 0 Brasil na lenda e na cartografia antiga, Sao Paulo/ Rio de Janeiro/ Recife/ Porto Alegre BAXTER, J.H. et al. 1955: Medieval Latin Word-Listfrom British and Irish Sources, London BEAUVILLE, V. DE 1881: Recueil de documents inedits concernant la Picardie, publies d'apres ! es titres originaux conserves dans son cabinet, vol. 4, Paris BERTOLUCCI P1zz0Russo, V. (ed.) 1982: MARCO POLO, Milione. Versione toscana de! Trecento, 2Milano BoERIO, G. 1856: Dizionario del dialetto veneziano, 2 Venezia CARDOSO, A. LEVY 1961: Toponfmia brasilica, Rio de Janeiro CoRDEIRO, C. 1941: «Os fundamentos econ6micos nas origens dos nomes Brasile America», Revista do Arquivo Municipal de Säo Paula 7: 79-102. CoRTESÄO, J. 1994: A expedü:;äo de Pedro Alvares Cabral e o descobrimento do Brasil. Obras completas, vol. 6, Lisboa Decada 1552 = BARRos, J. DE: Decadas. Selecyao, prefäcio e notas de ANTONIO BAIÄO, vol.1, Lisboa 31982 DECH = CoROMINAS, J./ P ASCUAL, J. A.: Diccionario crftico etimol6gico castellano e hispdnico, 6 vol., Madrid 1980-91 DEI= BATTISTI, C./ ALESSIO, G.: Dizionario etimologico italiano, 5 vol., Firenze 1950-57 32 Leider stehen für das 16. und 17. Jh. keine Belege für diese Bedeutung zur Verfügung. Die Behauptung von SA NUNES (1952: 306), FREI V1cENTE DO SALVADOR (1982) habe die Form brasileiro in seiner Hist6ria do Brasil 1627 gebildet, erweist sich bei Lektüre des Werkes als falsch. 33 Noch im Krieg um die La Plata Provinz 1827 sprechen die Argentinier von «los portugueses inimigos (sie] nuestros» (LEITE 1965: 238). Brasil: Herkunft und Entstehung eines Toponyms 199 TEYSSIER (1959: 489s.) hat in Erklärung dieser Textstelle darauf hingewiesen, daß Brasilien unter wirtschaftlichen Aspekten in den ersten Jahren nach der Entdekkung im Vergleich mit den Reichtümern Südostasiens als unerschlossenes Land keine besondere Anziehungskraft auf die Portugiesen ausübte 27 • Die zurückhaltende wirtschaftliche Einschätzung steht im Kontrast zu einer dokumentierten schwärmerischen Charakterisierung der Natur Brasiliens 28• Aus historischer Sicht bleibt anzumerken, daß sich Portugal erst um 1530, d.h. dreißig Jahre nach der Entdeckung angesichts französischer Prätentionen zur Kolonisierung des Landes und damit zur Sicherung seiner Ansprüche entschloß. Die Geschichte des Wortes brasil ist mit der Entstehung der toponymischen Bedeutung keineswegs abgeschlossen. Mit der Besiedlung des Landes und den wachsenden Beziehungen zwischen Portugiesen, jesuitischen Missionsvätern und der indianischen Urbevölkerung steht auch sie am Beginn einer neuen Entwicklung. Die in Brasilien geborenen Weißen wurden portugueses oder portugueses do Brasil genannt. Dagegen bezeichneten sich die ab 1549 mit der Missionierung der Indianer beauftragten Jesuiten ungeachtet ihrer unterschiedlichen europäischen Herkunft als brasilienses (LEITE 1965: 238 ).Auf die Jesuiten geht auch das als Name für die indianische Bevölkerung vor allem zu Beginn der Kolonialzeit neben indios und negros gebräuchliche brasis (pl.) zurück 29• Gleichermaßen wurde die Sprache der Indianer, das Tupi (lingua brasilica, lfngua brasiliana, lingua geral), zunächst auch einfach brasil genannt: «as vezes lhe fallava hornen portuguez e elle respondia brasil» (Cartas Avulsas 1562, zit. nach FRIEDERICI 1960: 99b ). FREI VICENTE oo SALVADOR (1982: 169 ) berichtet in seiner Hist6ria do Brasil 1627 über einen getauften Indianer: «Seu nome brasil foi Ararib6ia e no batismo se chamou Martim Afonso de Sousa ...». Im 17.Jh. ist auch brasileiro erstmals belegt 30 • Da -eiro als Agenssuffix im Portugiesischen in der Regel nicht zur Bildung einer Herkunftsbezeichnung dient 31, erklärt sich die Form aus der ursprünglichen Bezeichnung des Wortes für 27 Cf. PRADO JR. (1993: 31): «...ninguem se interessa va pelo Brasil.A näo ser os traficantes de madeira ...». 2 s Vespucci vermittelt 150 2 einen Eindruck von Brasilien, der an die Darstellung der Neuen Welt im Bordbuch des Kolumbus erinnert: «Questa terra e molto amena e piena d'infiniti albori verdi ... tanto ehe infra me pensa vo esser presso al paradiso teresto» (Pozzr 1984: 78s.). 29 CAPISTRANO DE ABREU (1929: 117ss.; 240ss.) gebraucht die Bezeichnung in diesem Sinne noch im 20. Jh. Heute versteht man unter brasis in der Regel 'as terras do Brasil'. 30 Die Belege für brasileiro werden von den etymologischen Wörterbüchern des Portugiesischen ungenügend rezipiert. CuNHA (1992, s.v.) datiert brasileiro auf 18 3 3, MACHADO (1977, s.v.) nimmt mit Vorbehalt einen Beleg im 18.Jh. an. NASCENTES (1966) verzeichnet brasileiro überhaupt nicht. 31 Herkunftsbezeichnungen auf -eiro entsprechen einer sekundären Entwicklung, so z.B. mineiro 'aus der Region Minas Gerais stammend'. Minas Gerais (heute Bundesstaat ) wurde als Region im 18.Jh. durch den Reichtum seiner Gold- und Diamantminen bekannt. 198 Volker Noll Gil Vicente erwähnt 1510 im Auto da Fama eine «terra do Brasil». Der Kontext thematisiert die portugiesischen Entdeckungen in ironisierender Anspielung auf den absteigenden Stern Venedigs: Come9ai de navegar, 1 ireis ao porto de Guine; 1 perguntai-lhe cujo e, 1 que o nao pode negar. 1 Com ilhas mil I dexai a terra do Brasil; 1 ... E nao fique I perguntar a Mo9ambique 1 ... Ormuz, Quiloa, Momba9a, 1 Sofala, Cochim, Melinde, 1 ... E chegareis I a Goa e perguntareis I se e inda sojugada 1 ... Perguntai a populosa, 1 pr6spera e forte Malaca 1 .... (Fama 1510: 126s.) MACHADO (1965: 194) bleibt im Zweifel darüber, ob sich «terra do Brasil» in diesem Kontext auf Brasilien bezieht, da der beschriebene Seeweg nach Südostasien zunächst keine Verbindung zu Brasilien herzustellen scheint. Eine neue Perspektive ergibt sich bei der Lektüre der ersten Decada von Joäo de Barros, der Cabrals Entdeckungsfahrt nachzeichnet. Schließlich befand sich auch Cabral auf dem Weg nach Indien, als er in Vermeidung der Flauten vor der Küste Guineas nach Westen auswich: Junta a frota, depois que passou o temporal, por fugir da terra de Guine, onde as calmarias lhe podiam empedir seu caminho, empregou-se muito no mar, por lhe ficar seguro poder dobrar o Cabo de Boa Esperan9a. ... os mais dos pilotos se afirmavam ser alguma ilha, assim como as terceiras, e as que se acharam por Cristovao Colon, que eram de Castela a que os castelhanos, comumente chamam Antilhas. (Decada 1552: 106s.) Ein Gewässer der «ilhas mil», wie es bei Gil Vicente auf der Fahrt zwischen Guinea und dem Kap der Guten Hoffnung erwähnt wird, ist vor der Küste Afrikas unbekannt. Bei Joäo de Barros erfolgt an der entsprechenden Stelle im Text ein Verweis auf die Antillen. Vor diesem amerikanischen Hintergrund bezieht sich «terra do Brasil» bei Gil Vicente im Sinne einer umfänglichen Aufzählung portugiesischer Entdeckungen und als Zwischenstation auf dem Weg nach Indien eindeutig auf Brasilien. Im Livro da Nau Bretoa, dem Bericht einer Brasilienreise aus dem Jahre 1511, erfolgt eine klare Zuweisung des Namens: «Do dya que partimos da cydade de de (ita) llysboa para ho brazyll ate que tornamos a purtugall» (Nau Bretoa 1511: 96). 1511 wird Brasil durch den Venezianer Marini erstmals auf einer Karte als Bezeichnung des Landes vermerkt ( Grande Enciclopedia 1936ss., Brasil; BARRoso 1941: 18). 1513 spricht auch der portugiesischen König D. Manuel in einem Brief an Ferdinand von Kastilien offiziell von «nossa terra do Brasyl» (MACHADO 1965: 194). Zu jener Zeit ist Brasil als Toponym so geläufig, daß es in selektiver Verwendung sogar eine negative Konnotation entwickelt hat, wie folgender Bezug in Gil Vicentes Auto da Barca do Purgat6rio von 1518 belegt: Vedes outro perrexil! 1 E marinheiro sodes v6s? 1 Ora assim me salve Deos I e me livre do Brasil, 1 que estais sutil. (Barca 1518: 99) Brasil: Herkunft und Entstehung eines Toponyms 197 italienischen Anonymus von 1502 verzeichnet «Terra Sancte Crucis» mit einem Hinweis bezüglich der Besonderheiten des Landes: « ... in ea est maxima copia ligni bresilli etiam inuenitur cassia grossa ut brachium hominis aues papagi magni ut falcones ...» (KRETSCHMER 1892b: VIII,2). Die großen Rotholzbestände der brasilianischen Küstenregionen führten gegen die offizielle Bezeichnung zu einer Generalisierung des Namens Brasil. Dabei erwies sich als unerheblich, daß es sich bei dem brasilianischen Rotholz ( Caesalpinia echinata), das bei den Eingeborenen ibirapitanga hieß, um eine andere Spezies handelt als bei der aus Asien eingeführten und bis dahin als brasil bezeichneten ( Caesalpinia sappan). Die toponymische Verlagerung der christlich motivierten terra de Santa Cruz auf das profane Brasil wird von Joäo de Barras in der ersten Decada heftig kritisiert (1539, gedruckt 1552) 26. MACHADO (1965: 193) kommentiert mit Bezug auf den Text von 1539: «... por esta epoca ja se generalizara o nome Brasil para as terras de Santa Cruz». Angesichts der Existenz früherer Belege für eine toponymische Verwendung von Brasil könnte der Eindruck entstehen, es habe eine längere Konkurrenz beider Bezeichnungen gegeben. Brasil wurde jedoch quasi mit der Entdeckung des Landes als volkstümlicher Name verwandt, wobei terra de Santa Cruz zu Anfang im offiziellen Gebrauch der christlichen Motivation Genüge tat und in späterer Zeit nur noch gelegentlich auftrat wie 1576 in Gandavos Hist6ria da Provfncia de Santa Cruz a que Vulgarmente Chamamos Brasil. Bereits 1504 berichtet der Florentiner Giovanni da Empoli in einem Brief über seine Reise mit Afonso de Albuquerque von 1503: «... navigando pure in detta volta, ci trovammo tanto avanti per mezo la terra della Vera Croce, over del Bresil cosf nominata, altre volte discoperta per Amerigo Vespucci, nella qual si fa buona somma di cassia e di verzino» (RAMUSIO 1978: 744). Ebenfalls aus dem Jahre 1504 stammt die Beschreibung der Meerfahrt von Lissabon nach Calacut, die von einer «terra nova de Prisilli» berichtet (KRETSCH- MER 1892a: 309 Nl) und Brasilien erstmals im Deutschen als Landesbezeichnung belegt. Um 1507-08 entstand die Copia der Newen Zeytung auß Presillg Landt, eine Flugschrift über die Reise eines Agenten der Fugger im ersten Jahrzehnt des 16.Jhs., die allerdings erst um 1514 bekannt wurde (cf. KRETSCHMER 1892a: 314s.; RIBEIRo/ ARAUJO MoREIRA NETO 1993: 112-14). 26 «Por o qua! nome, Santa Cruz, foi aquela terra nomeada os primeiros anos, e a cruz arvorada alguns durou naquele lugar. Porem, como o dem6nio, por sinal da cruz, perdeu o dominio que tinha söbre n6s, mediante a paixao de Cristo Jesus consumada nela, tanto que daquela terra comen9ou de vir o pau vermelho chamado brasil, trabalhou que este nome ficasse na boca do povo, e que se perdesse o de Santa Cruz.... E por honra de tao grande terra chamemos-lhe provincia, e digamos a Provincia de Santa Cruz, que söa melhor entre prudentes, que Brasil posto por vulgo sem considera9ao e nao habilitado para dar nome as propriedades da real coröa (Decada 1552: 111s.). 196 Volker Noll de Vera Cruz 20 • Vaz de Caminha selbst spricht von der «jlha de Vera Cruz» 21 . Dies entspricht auch der ersten kartographischen Darstellung Amerikas von Juan de la Cosa aus dem Jahre 1500, der Brasilien als «ysla descubierta per portugal» bezeichnet (KRETSCHMER 1892b: vn). In der Diskussion um die Namengebung Brasiliens erhebt sich an dieser Stelle die Frage nach der seit dem 14. Jh. auf Seekarten im nördlichen und mittleren Atlantik an unterschiedlichen Punkten zum Teil mehrfach verzeichneten mythischen Insel Brasil. Die erste Erwähnung von 1325 («insula montonis sive obrazil») situiert die Insel auf einer Breite südwestlich von Irland (VIDAGO 1968: 432). Bereits KRETSCHMER (1892a) hat auf die Beliebigkeit dieser Eintragungen hingewiesen 22 . VmAGo führt die Bezeichnung der Insel schließlich gegen die These von L'HorsT (1940) 23 überzeugend auf den früher geläufigen und in verschiedenen Varianten auftretenden irischen Namen O 'Brazil zurück. Eine Übertragung dieses Namens in Verbindung mit dem Rotholz oder Brasilien ist somit ausgeschlossen. In einem Brief an die Reyes Cat6licos von 1501 führt der portugiesische König D. Manuel Santa Cruz als offizielle Bezeichnung Brasiliens ein 24 • Die Varianten terra de Vera Cruz und terra de Santa Cruz stehen in der Tradition einer verbreiteten hagiophilen Namengebung in der Neuen Welt 25 • Auf der Karte Cantinos von 1502 wird Brasilien als Land der Papageien («Terra dagli Papaga») bezeichnet (KRETSCHMER 1892a: 373). Cantino und die mit ihm weitgehend übereinstimmende Karte Cane.rios von 1502 erwähnen in der Beischrift mit Bezug auf Cabral auch den Namen Vera Cruz: «A uera crus chamada per nome aquall achou pedralvares cabral» (KRETSCHMER 1892b: vm/ l). Auf der Karte Canerios erscheint Brasil in der Bezeichnung eines Flusses erstmals als Name: «rio de Brazil» (KRETSCHMER 1892b: vm/ 1). Die Karte eines 20 «... e neeste dia, a oras de bespera, ouvemos vista de tera, saber: primeiramente d huum gramde monte muy alto e redomdo, ...ao qua! monte alto o capitam pos o nome Pascoal, e aa tera a tera de Vera Cruz» (CüRTESÄo 1994: 127). 21 «Beijo as maäos de Vosa Alteza. D este Porto Seguro da vosa jlha de Vera Cruz oje sesta feira primeiro dia de Mayo de 1500» (CüRTESÄO 1994: 141). 22 «So wenig aber die Existenz des Eilandes gesichert war, so verblieb es nach wie vor auf den Karten, und noch im xvrr. und xvm. Jahrhundert ist es auf ihnen zu finden» (KRETSCHMER 1892a: 220).Noch im 19.Jh. verzeichnen Admiralitätskarten westlich der Südspitze Irlands einen Brasil Rock (KRETSCHMER 1892a: 221).Auf der Ilha Terceira (Azoren) trägt nahe der Stadt Angra ein Berg den Namen Brasil. 23 L'Hoist vertrat die Ansicht, Brasil gehe auf eine Übertragung des Namens jener mythischen Insel zurück. 24 «EI dicho mi capitan con trece naos parti6 de Lisboa il. nueve de Marzo de! afio pasado. En las octavas de Ja pascua siguiente lleg6 il. una tierra que nuevamente descubri6, a Ja cual puso nombre de Santa Cruz, ... » (CoRTESÄO 1994: 181). 2s Hierin verbinden sich Glaube und die Verpflichtung zur Missionierung der entdeckten Länder, die eine Konsequenz aus der päpstlich sanktionierten Aufteilung der Neuen Welt zwischen Spanien und Portugal ist.Die in diesem Zusammenhang maßgeblichen Dokumente sind die Bulle Romanus Pontifex von 1454, die Bulle Inter Coetera von 1493 und der Vertrag von Tordesillas von 1494 (cf. RIBEIRo/ ARAUJO MoREIRA NETO 1993: 65-74). Brasil: Herkunft und Entstehung eines Toponyms 195 l'Arabie' beschrieben, welche als 'poudre rouge-grenade' («rouge d'Adrianople») bekannt war (MEYERHOF 1940: 60) 19• Es wird deutlich, daß wars hinsichtlich seiner Farbgebung mehrdeutig ist. Bei der Entlehnung des Wortes stand somit nicht das Ausgangsprodukt, sondern die Charakterisierung einer Färbewirkung im Vordergrund. Daher ergibt sich aus der offenkundigen Zweideutigkeit in der gelb-rot Komponente auch kein Widerspruch. Safran, das kräftigste Gelbfärbemittel des Mittelalters (Pwss 1962: 62), hat purpurfarbene Blüten und wird in rötlichen Fäden verkauft; das Extrakt aus der ebenfalls zum Gelbfärben verwandten Kurkuma ist rot. Neben dem echten Safran gibt es wilden Safran, genannt Saflor, aus dem man je nach Behandlung gelben oder auch roten Farbstoff gewinnt. Auch in der Familie brasile ergeben sich Bedeutungserweiterungen, die sich analog zu wars an der Färbewirkung orientieren. So bezeichnet prisilje im Frühneuhochdeutschen sowohl Rotholz als auch den rot oder gelb färbenden Saflor (Pwss 1962: 154). Da die für die Einfuhr von Waren aus dem Orient maßgeblichen italienischen Seerepubliken in jeweils unterschiedlichen Handelsverbindungen standen, wird deutlich, warum wars über spezifische Handelskontakte von den Venezianern übernommen werden konnte. Die für die Entlehnung des Wortes entscheidende Färbewirkung bildet die Voraussetzung für die von Venedig ausgehende Verbreitung von verzino als Synonym für brasile im Italienischen. Der Konnex zwischen Farbe und Bezeichnung unter Ausklammerung des Ausgangsproduktes kommt bei der venezianischen Ableitung verzela 'fleischfarben' erneut zum Tragen (cf. BoERIO 1856, s.v.). Entsprechendes gilt für sp. brasil, das Nebrija als 'color de afeyte', d.h. 'Karminrot, Schminke' definiert (Vocabulario 1516, s.v.). Angesichts der zahlreichen farborientierten Bedeutungsverschiebungen erweist sich die von Drnz (1887, brasile) in der Diskussion als volksetymologisch zurückgewiesene Verbindung zwischen germ. *brasa 'glühende Kohle' und der roten Farbe keineswegs als abwegig, sie entspricht vielmehr einer motivierten Bezeichnung. Das von Diez als Ausgangspunkt für die etymologische Favorisierung von wars eingeführte Argument ist somit entkräftet. Da eine Entwicklung von warslverzino > brasile auch unter zeitlichen und phonetischen Aspekten ausgeschlossen wurde, liegt der Ursprung von brasile als Bezeichnung des Rotholzes und Brasiliens in *brasa. Nach den Aufzeichnungen Vaz de Caminhas nannte Cabral Brasilien nach der Entdeckung am 22. April des Jahres 1500 unter dem Eindruck des Osterfestes terra 19 Eine Rückkopplung zu verzino ergibt sich in diesem Zusammenhang durch den arabischen Beleg warsfn bei Dä.wüd im 16. Jh., den sich MEYERHOF (1940: 61) in bezug auf die Endung -in nicht erklären kann. Es handelt sich hier offensichtlich um die arabische Rückentlehnung der italienischen Form verzino, welche die Vitalität im Austausch mediterranen Wortschatzes unterstreicht. 194 VolkerNoll das unter den Erstbelegen in Venezien im mittellateinischen Kontext auftretende verzin deutlich als volkssprachlich zu erkennen (cf. BoERIO 1856, verzin). Im Glossario latino italiano gibt es darüber hinaus mit virginium, Imola 1334 (SELLA 1937, s.v.), einen interessanten Beleg für die erfolgte Latinisierung. Bei vir(gi-) nium handelt es sich offensichtlich um eine Ableitung aus der venezianischen Grundform verzin, denn (gi) entspricht in toskanisch-italienischer Aussprache [d3i] venezianischem [dz, z] (cf. it. gente, venez. zente). Im Venezianischen liegt auch die Erklärung für die direkte Entwicklung von ar. [w-] zu [v-], denn das Venezianische reflektiert analog germ. [w-] als [v-] (germ. *wardön > venez. vardar). Nach erfolgter etymologischer Abgrenzung zwischen verzino und brasile stellt sich die Frage nach dem Grund für ihren synonymen Gebrauch in der Bezeichnung eines roten Färbestoffes im Italienischen. Wars ist als Etymon von it. verzino zwar arabischer Herkunft, das Arabische selbst verwendet als Bezeichnung des Farbholzes jedoch baqqam (cf. Dozy 1881/ l: 104b; Sigel 1950: 21a), das im malaiischen sapang eine Entsprechung findet und auf die ursprünglich südostasiatische Herkunft des Holzes hinweist (cf. Caesalpinia sappan, pg. sapiio). Das Türkische übernahm ar. baqqam 17 als bakam, belegt im mehrsprachigen Codex Cumanicus zu Beginn des 14. Jhs. (baqam mit der lateinischen Entsprechung bra1; ile; cf. BERTO- LUCCI PIZZORUSSO 1982: 512; 565), und gab es an das Griechische (ngr. µn:axaµL) und Rumänische (bacan) weiter. Wars bezeichnet im Arabischen den indischen Safran (Kurkuma, Gelbwurzel; cf. Dozy 1881, s.v.). Das Wort kennt darüber hinaus eine verbale Ableitung tawarrasa in der Bedeutung 'jaunir, devenir ou etre jaune' (Dozy 1881, s.v.). Es handelt sich also weder um Holz noch um einen Stoff zur Rotfärbung. Die Verbindung mit Indien bestätigt sich in der Reisebeschreibung Marco Polos von 1298: «Or sachies qu'il hi naist le ben; i coilomin 18 , que mout est buen» (RoNCHI 1982: 579). In der toskanischen Übersetzung Marco Polos heißt es: «Qui nasce i merobolani embraci» (RoNCHI 1982: 259). Merobolani als Entsprechung für berc,;i bezeichnet eine pflaumenähnliche indische Frucht, die zum Färben verwandte Gerbsäure enthält. LoKOTSCH (1927, s.v.) definiert ar. wars als 'sesamähnliche gelbe Pflanze aus Jemen, aus der ein Waschwasser gegen Sommersprossen und eine gelbe Farbe bereitet werden'. Das Osmanisch-Türkische kennt neben dem zitierten bakam in entsprechender Bedeutung auch vers: 'The plant that yields the yellow-berries of commerce, rhamnus amygdalinus, r. tinctorius; 'The plant rottlera tinctoria' (REDHOUSE 1890, s.v.). Meyerhof weist darauf hin, daß arabische Ärzte und Botaniker wars als 'matiere colorante rouge provenant des Indes et de 17 Cf. engl. camwood 'afrikanisches Rotholz'. 1s Coilomin bezieht sich auf die Stadt Quilon in Kerala, an der südwestindischen Malabarküste. Brasil: Herkunft und Entstehung eines Toponyms 193 in offener Silbe im Altfranzösischen lautgerecht zu brese, was sich auch in der Ableitung Bresil reflektiert. Die Verbindung mit -ilel-il entspricht keiner erbwörtlichen Entwicklung, da das Wort erst gebildet wurde, als man das Holz aus dem Orient, wahrscheinlich zur Zeit des ersten Kreuzzuges zu Ende des 11. Jhs., einführte. Bei der Suffigierung handelt es sich um eine Interferenz mit mlat. -ilis, die durch die Führung der Handelsregister auf Latein und analoge Formen in der Gemeinsprache verständlich wird. Die adjektivische Form des Wortes erklärt sich aus einer Ellipse (cf. lignum brasile). Aus den Belegen in der Iberoromania ergibt sich eine Chronologie, die eine handelsbedingte Verbreitung des Wortes nach Westen mittelbar unterstreicht: den italienischen und französischen Erstbelegen im 12. Jh. folgen 1221 kat. brasill (DECH, brasil), 1267 sp. brasil (GuAL CARAMENA 1968: 240) und 1377 pg. brasill (DELP, brasil). Die Handelsverbindung über die italienischen Seerepubliken, namentlich über Venedig, Genua, Pisa, Amalfi und Bari (cf. HEYD 1971/ 1: 104-38), widerspricht der von NASCENTES (1952; 1966, Brasil) und CoRTELAZZo/ ZoLLI (DELI, brasile) angenommenen französischen Filiation des Wortes, die einen unmotivierten Reimport des Rohstoffes und seiner Bezeichnung über den Norden Frankreichs voraussetzen würde. Da auch ein Wandel von vortonigem [e > a] im Iberoromanischen jeder Grundlage entbehrt, gehen die Formen auf der Iberischen Halbinsel nicht auf afr. bresil zurück, sondern auf it. brasile. Die Entwicklung von ar. wars zu it. verzino beinhaltet ein phonetisches Problem, das in der etymologischen Diskussion bis jetzt nicht diskutiert worden ist. Anlautendes, bilabiales ar. [w-] wird im Romanischen analog zu germ. [w-] teilsubstituiert und führt in der Regel zu [gw-, g-] (cf. hisp.-ar. wäd > sp. Guad-, in Flußnamen; germ. *wardön > fr. garder). BATTisn/ ALESSIO sprechen mit Bezug auf die kalabrischen Formen virz'idda, biz'z'idda, virz'ilu (DEI, brasile) von der Möglichkeit einer Direktentlehnung aus dem Arabischen, die durch eine analoge Entwicklung von germ. [w-] > [v-] in Kalabrien gestützt werden könnte 16 • Allerdings weisen die ersten Belege für verzino nach Venedig, während für Kalabrien die Frage nach einer direkten Handelsverbindung mit dem Orient offenbleibt. Auch die von MACHADO angenommene mittellateinische Zwischenstufe verzinum (DELP, brasil) böte über schriftliche Adaptation von ar. (w) an lat. (v) eine Möglichkeit, die sich letztlich jedoch als unwahrscheinlich erweist. Da das Wort über den Mittelmeerhandel entlehnt wurde, mußte die Übernahme mündlich erfolgen. Die schriftliche Fixierung entspricht einer Latinisierung. So ist bereits 16 Eine Entsprechung von germ. [w-] und it. [v-] tritt gelegentlich auch im Altpaduanischen, Mailändischen, Tessinischen, Altrömischen, Abruzzesischen, Neapolitanischen, Kalabresischen und Sizilianischen auf, wobei sich die Formen jedoch zum Teil über [gw-] entwickelten (cf. ROI-ILFS 1949-54, §168). 192 VolkerNoll dem 11.Jh., sondern aus dem 13. Jh. stammt ( es folgen zwei französische Übersetzungen aus dem 13. Jh. und von 1401). Für verzino gestaltet sich die Dokumentation früher Belege bei weitem nicht so reichhaltig wie für brasile. Der Nachweis im Mittellatein beschränkt sich auf das Glossario latino italiano mit dem Erstbeleg 1243 in Venedig «vermeio ... quod non misetur verzi». Es folgen 1251 aus Viterbo «salma verzini» und 1317 wiederum aus Venedig «verzin in stellis» (SELLA 1944, verzinum). Kein weiteres mittellateinisches Wörterbuch oder Glossar verzeichnet verzinum 14 • Der Erstbeleg für verzino im Italienischen stammt nach BATTisn/ ALESSIO im 13.Jh. aus Florenz (DEI, verzino) 15• Sowohl im Mittellatein als auch im Französischen undItalienischen ist brasile in weiter geographischer Verbreitung (Italien, Frankreich, England, Flandern) ein Jahrhundert vor verzinum/ verzino belegt.Unter diesem Aspekt erscheint es wenig einsichtig, daß ein aus ar. wars latinisiertes verzinum über volkssprachliches verzino Ausgangsform für brasile sein kann. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der implizierten Kette komplexer phonetischer Entwicklungen. Ausgehend von der nach den Erstbelegen bestehenden venezianischen Grundform verz1n wären in dieser Abfolge vorauszusetzen: ein Betazismus für die Entwicklung [v > b] ( berzi), die Metathese von [r] (* bresi), eine Substitution des Suffixes -in, -ino durch -ile (*bresile) und der spontane Wandel von vortonigem [e > a] ( brasile), wobei die Zwischenform* bresile ins Französische hätte entlehnt werden müssen, bevor die Endform brasile mit [a] Verbreitung in derIberoromania fand. Während einzelne Zwischenschritte dieser Entwicklung durchaus denkbar sind, so der für das Norditalienische zwar ungewöhnliche, durchIneichen im Serapion für das Paduanische aber belegte Betazismus (INEICHEN 1962-66/ 2: 372), bildet die Komplexität des vorausgesetzten Wandels in Verbindung mit der belegten Chronologie für brasile ein entscheidendes Argument gegen die Entwicklung verzino > brasile. Darüber hinaus muß berücksichtigt werden, daß das punktuelle Auftreten von verzinumlverzino in keinem Verhältnis zu der weiten Verbreitung von brasile im Romanischen steht. Aus den vorgenannten Gründen muß die von BATTISTIIALESSIO (DEI, brasile) und MACHADO (DENF, brasil) angenommene etymologische Herleitung von brasile aus verzino verneint werden. Es liegen im Italienischen zwei verschiedene Etyma zugrunde. Die Entwicklung von brasile aus *brasa findet in den ungleichen Formen des Italienischen und Französischen eine Bestätigung.* Brasa entwickelte sich mit [a] 14 Es ist zu beachten, daß die Werke für Katalonien, dieNiederlande, Böhmen, Ungarn, Polen sowie die British Sources (LATHAM 1975ss.) und das Wörterbuch der Bayerischen Akademie (PRINZ 1967ss.) den Buchstaben ( v) noch nicht erreicht haben. 15 Für das 14. Jh. cf. PEGOLOTTI (1936). Brasil: Herkunft und Entstehung eines Toponyms 191 In den etymologischen Wörterbüchern galt als Erstbeleg bis jetzt das für 1163 bei Du Cange vermerkte «de kerka Brisilli » (Du Cange, brisillum) aus einem Marktprivileg für die Stadt Nieuport in Flandern 12 • In Folge liegen 1191 brazilis aus Ligurien (LEI, HubschmidMat) sowie die ebenfalls aus Italien stammenden Belege Brasile von 1193 (Du Cange, brasile) und «Soma zaffrani et Braxilis » von 1306 vor (Du Cange, braxile). Den Erstbeleg im Italienischen geben BATTISTIIALESSIO für das 12. Jh. in Norditalien in der Bedeutung 'sorta di legno rosso orientale da tintori' an (DEI, brasile). Diese Datierung ist als volkssprachliche Replik auf die im Mittellatein belegten Formen zu werten. Auch der französische Erstbeleg fällt in das 12. Jh. (TLF, bresil: [1168]). Er stammt aus der Pikardie, die wie Flandern ein Zentrum mittelalterlicher Tuchfärberei war. Das als «Travers de Boves» betitelte Dokument aus einer Handschrift des 13. Jhs. (cf. DRüPPEL 1984: 118) legt einen Wegezoll für Einfuhrwaren fest: «Cascune carque d'alun, de graine 13 , de bresil, de poivre, de comin, d'enchens, de cotoun, et de tous avoir de poise a cheval ou a carete doit XVI deniers » (BEAUVILLE 1881: 4). Einen wesentlich früheren Beleg für das Französische glaubt NASCENTES (1952, Brasil) ohne Quellenangabe in einem Zollregister aus Saint-Omer zu kennen, das aus dem Jahre 1085 stamme und die Form bersil belege. Da die frühesten französischen Urkunden im Original erst zu Beginn des 13. Jhs. vorliegen (cf. DRÜPPEL 1984: 5), muß es sich angesichts einer so frühen Datierung um einen lateinischen Text handeln. Auch MACHADO (1966: 150) bezieht sich auf den Beleg von 1085 und gibt als intermediäre Quelle O Brasil na lenda e na cartografia antiga an (BARROSO 1941), das seinerseits keine weiterführenden Informationen enthält. Die Auflösung der Filiation findet sich schließlich in der Histoire de la ville de Saint-Omer (GrRY 1877), einer umfangreichen Sammlung von Dokumenten zur mittelalterlichen Stadtgeschichte, die den entsprechenden lateinischen Text mit der Form bersil beinhaltet: «142. Quicumque transit per justitiam de Sancto Audomaro cum mercatu suo debet nobis theloneum. - 143. Kerka bersil dabit iiij d. » (GIRY 1877: 489). Es handelt sich um eine Zollverfügung (tonlieu), deren lateinisches Original allerdings nicht aus nus accepi a te bonoiohanne malfuasto tantum ex tuis rebus de quibus debeo tibi apud alexandriam bisancios centum decim ad pensum alexandrie mundos et eos debeo portare ad tuum resicum apud babiloniam et implicare in lacca uel brazili siluatico et adducere ad tuum resicum in naui quam uenero» (HPM 1853: 344). Beleg 1157: «preterea tibi promitto quod nisi uicinus tune erit alexandrie implicabo tibi eos bisancios in pipere et brazili siluatico» (HPM 1853: 418). 12 «... de Kerca brisili quatuor denarios» (WARNKÖNIG 1837: 90). 13 Auch graine (mit. grana) bezeichnet einen roten Farbstoff, das Produkt der Kermesschildlaus, welches man in kleinen Klumpen sammelte, die beim Zerreiben rote Farbe abgeben. Mit. vermiculus (adj.) bezieht sich auf diese Farbe und hat sich neben einer weiten Verbreitung in der Romania (fr. vermeil, sp. bermejo etc.) in seiner volkstümlichen Form in port. vermelho zur allgemeinen Bezeichnung für 'rot' durchgesetzt. 19 0 Volker Noll [brasa]» 7 • Auf dieser Grundlage entscheiden sich sowohl MEYER-LÜBKE (REW, 1276) und WARTBURG (FEWI: 504a ss.; XV/ 1: 254a ss.) als auch Corominas/ Pascual für eine Rückführung von brasile auf *brasa. Angesichts der bestehenden Polarisierung stellt sich die Frage, wie die Rückführungen auf wars und *brasa einzuordnen sind. Bis jetzt bleibt ungeklärt, ob zwischen beiden Etymologien ein Zusammenhang besteht bzw. wie man sich eine etymologische Entwicklung von ar. wars zu it. verzino und gegebenenfalls zu brasile vorzustellen hat. Weiterhin wäre zu klären, wie es zu einem synonymen Gebrauch von brasile und verzino im Italienischen kam, während andere romanische Sprachen verzino in der vorliegenden Bedeutung nicht kennen 8 • Die frühesten Belege für brasile stammen mit regelmäßigen Nachweisen in unterschiedlichen Varianten aus dem Mittellatein: brasile, brasilium, bresillum, braxile, brazile, braxillum, brisiacum, brisillum (cf. Du Cange) bzw. Formen aus dem deutschen Sprachbereich mit [p-] wie prisilium, presilicum, presilicium, presilitium, presilitum, prisilium (cf. DIEFENBACH 1857). Den Erstbeleg verzeichnet das Liber iurium der Historiae patriae documenta in Form eines Statuts zur Besteuerung der städtischen Waagen aus dem Jahre 1140 in Genua 9 : Hoc modo accipitur pesatura de cantario et de rubo. per unumquemque sacum bambacii de sicilia denarios brunetos quatuor per cantarium. bambacii alexandrie et antiochie similiter denarios quatuor per centenarium. piperis brasili. indici. encensi. cimani. zimzabri lache similiter denarios quatuor per cantarium. (HPM 1854: 71 ) Ebenfalls aus Genua stammt der Beleg brazile von 1147 im Codex diplomaticus, Genova 1 (LEI, HubschmidMat 10 ). Der Dictionary of Medieval Latin from British Sources nennt für 1150 Brasil' (LATHAM 1975ss., brasillum). Es folgen in den Historiae patriae documenta wiederum aus Genua 1156 brazile und brazili sowie 1157 brazili 11 • 7 Für weitere Ableitungen siehe vor allem Wartburg (FEW I, *brasa und XV/ 1, *bras-) und Corominas/ Pascual (DECH, brasa). s Die von SrLVA o'AZEVEDO (1967: 407 ) mit verzino in Verbindung gebrachten sp. barcino 'dicese de los animales de pelo blanco y pardo, y a veces rojizo ; como ciertos perros, toros y vacas' (DRAE, s.v.) und pg. varzino 'gefleckt' (Hund) weisen nur von der Form her eine vermeintliche Übereinstimmung auf, gehen jedoch auf einen Terminus aus der arabischen Pferdezucht zurück: ar. baras 'kleine Flecken oder andersfarbige Haare beim Pferd' (WAHRMUND 1877, s.v.; cf. DECH, barcino). 9 Auf die Stelle weist eine bis jetzt unbeachtete Anmerkung in der Geschichte des Levantehandels im Mittelalter hin (HEYD 1971/ 2: 577 N3 ). 10 Bei HubschmidMat handelt es sich um Material des 1995 verstorbenen Romanisten Johannes Hubschmid, das vom LEI ausgewertet wird. 11 Beleg 1156: « ... accepimus a te belmusto tantum brazile unde promittimus dare tibi uel tuo certo misso libras quatuordecim denariorum usque octauam proximi pasce» (HPM 1853: 314). Beleg 1156: «Ego petrus de campo accepi a te ribaldo de saraphia libras quadraginta terciam in pipere terciam brazili saluatico terciam zucarino ...» (HPM 1853: 344). Beleg 1156: «Ego solima Brasil: Herkunft und Entstehung eines Toponyms 189 Darüber hinaus wird die Etymologie durch unterschiedliche Zuweisungen jedoch bis heute nicht nur in der Lusitanistik kontrovers diskutiert. Im folgenden soll die Geschichte des Wortes vom Appellativum zum Toponym unter Berücksichtigung zeitlicher, phonetischer und semantischer Aspekte nachgezeichnet werden 4 • Der 1986 in zweiter Auflage überarbeitete Dicionario etimol6gico Nova Fronteira nimmt eine Entlehnung von it. brasile an (DENF, brasil), ohne die weitere Filiation des Wortes zu verfolgen. Als umfangreichstes etymologisches Wörterbuch des Portugiesischen, dessen Verfasser MACHADO sich auch als Arabist einen Namen machte, favorisiert der Dicionario etimol6gico da lingua portuguesa (DELP, s.v.) ein arabisches Etymon. Machado führt das Wort in offensichtlicher Anlehnung an BATTISTIIALESSIO (DEI, brasile) auf ar. wars 'planta utilizada em tinturaria para dar o tom amareloavermelhado' zurück, das sich in Form des Relationsadjektivs warsf über mlt. verzinum im Italienischen zu dialektalem verzino entwickelt habe und Ausgangsform für ein volkstümliches brasile sei (DELP, brasil). Eine nähere Erläuterung der hier vorausgesetzten komplexen Entwicklungen geben weder Battisti/ Alessio noch Machado, der die Herkunft des Namens Brasil darüber hinaus in zwei gesonderten Artikeln behandelt (MACHADO 1965; 1966). Nascentes spricht sich im zweiten Band des Dicionario etimol6gico da lingua portuguesa zu den Eigennamen (NASCENTES 1952, Brasil) sowie im Dicionario etimol6gico resumido (NASCENTES 1966, s.v.) für eine Entlehnung von fr. bresil aus, das sich ebenfalls von it. verzino ableite. Mit dieser Zuordnung schließt sich Nascentes parallel zu Machado dem zweiten großen etymologischen Wörterbuch des Italienischen von CoRTELAZZo/ Zonr (DELI, brasile) an. Die angenommene Rückführung auf ar. wars geht offensichtlich auf das Etymologische Wörterbuch der romanischen Sprachen zurück. Darin weist Diez das seit Du Cange in der Diskussion stehende germ. *brasa 'glühende Kohle' 5 und eine damit verbundene Assoziation mit roter Farbe als volksetymologisch zurück (Drnz 1887, brasile). Formen, die auf germ. *brasa 6 zurückgehen, sind in der Romania, wie das REW in Folge belegt, jedoch weit verbreitet: «Nordit. braza (> tosk. brace, bragia, brascia), afr. brese, nfr. braise, prov., kat., sp. brasa, pg. braza 4 Einen informativen Überblick über die Wortgeschichte bietet der Artikel Brasil in NASCEN- TES (1952). Von geringem Nutzen ist die der Problematik gewidmete Monographie von SrLVA D'AZEVEDO (1967). 5 «Unde autem hujus vocis origo? forte a Brasa, quia carbonum candentium colorem refert» (Du Cange, s. brasile). 6 Die von Corominas/ Pascual (DECH, brasa) geführte Diskussion um eine germanische, indogermanische oder präromanische (das sogenannte sorotaptische Subsubstrat erfährt bei Corominas grundsätzlich besondere Aufmerksamkeit) Herkunft von *brasa kann hier nicht weiter entwickelt werden. Allerdings sprechen die Nachweise in den germanischen Sprachen (cf. schwed. brasa 'Kaminfeuer') und die Verbreitung im Romanischen für eine germanische Herkunft des Wortes mit Ausstrahlung über das Vulgärlateinische. Brasil: Herkunft und Entstehung eines Toponyms In der mit dem Bordbuch des Kolumbus vergleichbaren Carta von Pero Vaz de Caminha, der die offizielle Entdeckung Brasiliens in Form eines Tagebuchs vom 26.April bis zum 1.Mai des Jahres 1500 für den portugiesischen König D. Manuel dokumentierte, wird an einer Stelle die Beladung der portugiesischen Schiffe mit Holz beschrieben: Andavam [os indios) todos tarn despostos e tarn bem feitos e galamtes com suas timturas, que pareciam bem; acaretavam d esa lenha quamta podiam com muy boas vomtades, e levavam na aos batees [ ...] (CoRTESÄo 1994: 138) Obwohl das Holz nicht näher bezeichnet wird, handelt es sich in Verbindung mit der erwähnten Bemalung der Indianer ohne Zweifel um das für Brasilien zu jener Zeit charakteristische Brasil-, Rot- oder Pernambukholz 1 (port. pau-brasil), das dem bei der Entdeckung zunächst auf terra de Vera Cruz getauften Land den eigentlichen Namen verlieh. So berichtet Amerigo Vespucci 1502 in einemBrief an Lorenzo di Pierfrancesco de' Medici über die Küste Brasiliens: «Trovamovi infinito virzino ['Brasilholz'] e molto buono da caricarne quanti navili ogi sono nel mare e sanza costo nesuno ...» (Pozzr 1984: 85).Im Jahr zuvor hatte Fernando de Noronha (Fernäo de Loronha ) bereits eine offizielle Konzession für den Handel mit dempau-brasil erhalten (PRADO JR. 1993: 26 ). In Europa war das bis dahin aus dem Orient eingeführte Holz, aus dem man einen begehrten roten Farbstoff gewann, schon lange bekannt 2 • Die Bezeichnung brasil ist im Portugiesischen mit einem Erstbeleg von 1377 (DELP, s.v.) deutlich vor der Entdeckung Brasiliens dokumentiert, so daß eine Ableitung aus dem Ländernamen grundsätzlich ausgeschlossen werden kann 3 • 1 Die Bezeichnung Pernambuk- oder Fernambukholz bezieht sich auf die Region Pernambuco (heute Bundesstaat) im Nordosten Brasiliens. Brasilien verfügt heute nur noch über geringe Rotholzbestände. 2 Die Araber kannten das Holz schon im 9. Jh. als Handelsware aus Sumatra (PLoss 1962: 55). Es wurde in dünnen Stämmen verschifft, zu kleinen Spänen geschnitzelt oder gemahlen (cf. fr. bresiller 'mettre en menus morceaux'; FEW XV/ 1: 258b) und in der weiteren Verarbeitung mit Wasser aufgekocht. Das daraus gewonnene Extrakt war unter anderem aufgrund einer im Mittelalter verbreiteten Mode des Rotfärbens in der Tuchfärberei begehrt und fand auch in der Buchmalerei sowie der Schönheitspflege Verwendung. 3 Eine solche Ableitung hatte Canepario 1619 vorgenommen (REBELLO 1839-40: 303). Zurückgewiesen ist demnach auch die von Rojas vertretene Etymologie, nach der Brasilien auf para-sil 'großes Wasser' aus dem indianischen Tupi zurückzuführen sei (cf. LoKOTSCH 1926, Brasilien). Synkopeabstufungen im Spanischen 187 VENNEMANN, T. 1982: «Zur Silbenstruktur der deutschen Standardsprache», in: rn. (ed. ), Silben, Segmente, Akzente, Tübingen: 261-305 VENNEMANN, T. 1986: Neuere Entwicklungen in der Phonologie, Berlin etc. VENNEMANN, T. 1988: Preference Laws for Syllable Structure and the Explanation of Sound Change (With Special Reference to German, Germanic, ltalian, and Latin), Berlin etc. WENDEL, H. 1906: Die Entwicklung der Nachtonvokale aus dem Lateinischen ins Altprovenzalische, Tübingen