Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
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1996
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Kristol De StefaniEVA AHLSTEDT, André Gide et le debat sur l'homosexualite, de L'Immoraliste (1902) à Si le grain ne meurt (1926), Surte (Acta Universitatis Gothoburgensis) 1994, 291 p. (Romanica Gothoburgensia 43)
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1996
Ursula Bähler
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302 Besprechungen - Comptes rendus En resume on peut dire qu'il etait une tres banne idee de traduire Je Tournoiement Antechrist et que Ja traductrice s'est acquittee de la täche de fa�on tres honorable. On peut acheter le livre pour cela. Le probleme reside dans l'ed. Wimmer, telle qu'elle existe et, en particulier, telle qu'elle est imprimee en regard. II est difficile de faire une traduction fiable sans texte de base fiable, et l'edition Wimmer meme expurgee par celle de Bender ne l'est pas et ne Je sera jamais. En ce qui concerne l'«ed. Wimmer 1994», je laisse au lecteur Je soin de juger de Ja valeur scientifique d'un texte a propos duquel Mussafia rappelait en 1888 «dass mit dem Publiciren von Texten und Erläuterungen, welche allzu zahlreicher Berichtigungen bedürftig sind, der Wissenschaft kein sonderlicher Dienst geleistet wird» (408), quand on l'ampute, de surcroit, de son apparat critique. On ne peut que souhaiter que Stephanie Orgeur ait Je courage d'entreprendre un jour Je travail d'editer ce texte qu'elle nous a deja rendu familier gräce a sa belle traduction. R. Trachsler * EVA AHLSTEDT, Andre Gide et le debat sur l'homosexualite, de L'Immoraliste (1902) a Si Je grain ne meurt (1926), Surte (Acta Universitatis Gothoburgensis) 1994, 291 p. (Romanica Gothoburgensia 43) Neun Jahre nach Erscheinen ihrer Dissertation unter dem Titel La Pudeur en Crise 1 veröffentlicht Ahlstedt eine zweite, gleichartige Studie. Im ersten Buch ging es um die moralische Debatte, welche die Werke Prousts in der Presse auslösten. In der vorliegenden Arbeit beschäftigt sich die Verf. mit der Diskussion um Moral und Homosexualität, wie sie in über tausend Besprechungen (und besprechungsähnlichen Beiträgen) ausgewählter Bücher Gides (L'lmmoraliste, Corydon, Les Faux-monnayeurs, Si le grain ne meurt) ihren Niederschlag fand. Die Einführung (7-14) skizziert die Fragestellung und die materiellen Aspekte der Studie und situiert ganz knapp die methodische Behandlung der «critique journalistique» in einer rezeptionsgeschichtlichen Perspektive. Nicht die theoretischen Überlegungen von Jauss und Iser zum impliziten Lesesubjekt nimmt Ahlstedt als Basis ihrer Arbeit, sondern die Methode und die Resultate, welche Jurt 1980 in seiner Untersuchung La reception de la litterature par la critique journalistique 2 formulierte. Im Zentrum steht der konkrete historische Leser, genauer gesagt: der Rezensent. Das erste, sehr kurze Kapitel (15-18) beschäftigt sich mit der Zeit vor dem Erscheinen des lmmoraliste (1902), als Gide noch fast durchwegs als ein Moralist angesehen wird. Ich zitiere hier die einzige Definition, die Ahlstedt zum Begriff «Moralist» liefert (dazu kommt nur noch eine vage Definition Beauniers [54]): «Le terme de <moraliste> a plusieurs sens en fran�ais et peut avoir des connotations aussi bien positives que negatives. Les critiques de Ja fin du xrx e et du debut du xx e siede se servent du mot pour decrire un auteur qui depeint ! es mceurs ou les caracteres de son temps, qui reflechit sur Ja condition de l'homme et sur ! es mecanismes sociaux. Dans ce sens-la, Je mot a evidemment une signification positive. Mais Je mot peut aussi avoir un sens negatif; par Je terme <moraliste> on peut designer un ecrivain pedant et ennuyeux, qui confine la litterature dans une sphere qui n'est pas Ja sienne propre» (17). Man kann davon ausgehen, daß es in der Folge beim Gebrauch des Begriffs <Moralist> meistenteils um den ersten Sinn geht. Aber die Ausführungen der Verf. sind diesbezüglich einfach zu mager. Überhaupt, dies sei hier nur nebenbei erwähnt, ist die 1 EvA AHLSTEDT, La Pudeur en crise. Un aspect de l'accueil d'A la recherche du temps perdu de Marcel Proust, 1913-1930, Göteborg 1985. 2 J.JuRT, Lectures de Bernanos 1926-1936, Paris 1980. Besprechungen - Comptes rendus 303 Abhandlung Ahlstedts sowohl begriffsals auch kulturgeschichtlich schwach verankert. Man erfährt z.B. auch nichts Genaues zur Rolle der Literaturkolumnisten in der Zeit von 1900-50. L'Immoraliste, dessen Rezeptionsgeschichte das zweite Kapitel (19-39) gewidmet ist, findet im großen und ganzen Zustimmung in der Presse. Michel wird zwar oft als ein Immoralist gesehen, dabei wird aber meistens klar zwischen Protagonist und Autor unterschieden. In einer solchen Sicht schließt das vermutete unsittliche Wesen Michels nicht aus, daß Gide ein moralisches Buch schreiben wollte. Die so postulierte Moral der Erzählung wird von einigen Kritikern bereits als eine den gängigen Vorstellungen widersprechende wahrgenommen. Auf die Homosexualität der Hauptperson wird im allgemeinen nur diskret hingewiesen. (Als Ausnahme kann man hier etwa die Besprechung Rachildes erwähnen [19-21].) Kurz nach Erscheinen des Immoraliste beginnen in breiteren Kreisen Gerüchte über die Homosexualität Gides zu zirkulieren, was Folgen für die weitere Rezeption seiner Bücher haben sollte. In einem mit «Interlude» überschriebenen Kapitel (41-70) behandelt die Verf. summarisch einige im Bezug auf die Fragestellung der Arbeit wenig ergiebige Publikationen Gides, welche zwischen L'Immoraliste und Corydon erschienen (La Porte etroite, Isabelle, Les Caves du Vatican, La Symphonie pastorale, Saül). Den Rezensenten wird mehr und mehr bewußt, daß Gide ein sehr komplexer Autor ist, dem man mit den Etiketten «moralisch», «unmoralisch» nicht gerecht wird. Und doch scheinen sich nach und nach Lager von Gide-Anhängern und Gide-Gegnern zu bilden (in der katholischen Presse z.B. sieht man im Autor mehr und mehr eine Gefahr für Sitten und Moral [57, v.a. Massis, 62ss.]). Viertes Kapitel: «Corydon devant la critique» (71-93). Der Dialog zwischen einem Ich- Erzähler und einem homosexuellen Intellektuellen, erschienen 1924, wird als Apologie der gleichgeschlechtlichen Liebe gelesen, als ein philosophisch-medizinisches Traktat und nicht als ein literarisches Werk. Die Meinungen sind sehr gespalten. Ärzte, die sich in die Diskussion einmischen, verurteilen die im Buch geäußerten sexuellen Theorien. Freunde Gides, die ihm von der Publikation dieses seit einigen Jahren schon fertiggestellten Werkes abgeraten haben, können darin eigentlich nur noch den Mut zur offenen Diskussion bewundern. «L'Accueil des Faux-monnayeurs» ist Untersuchungsgegenstand des folgenden Kapitels (95-130). Die Urteile sind hier im allgemeinen negativ, auch wenn die Diskussionen nun viel komplexer und auch ausgewogener werden, in dem Sinne, daß die literarische Frage öfters als vorher gleichberechtigt neben die moralische gestellt oder gar von dieser losgelöst betrachtet wird. Das Buch kann so durchaus auch von Rezensenten als ein ästhetisches Werk gewürdigt werden, die der Debatte um die Homosexualität negativ gegenüberstehen, ihr auch langsam überdrüssig werden - und dies ist bei immer mehr Kritikern der Fall, wie eine Umfrage der Revue Les Marges von 1926 unter anderem zeigt - oder sie ganz einfach ignorieren. (Aber auch ein negatives künstlerisches Urteil ist hier natürlich möglich). Häufig stößt man sich allerdings insbesondere noch an der Gestalt Eduards, die in einigen Besprechungen mit Gide identifiziert wird. Wie ambivalent das Argument der Unmoral ist, kommt auch in den die Faux-monnayeurs betreffenden Besprechungen wieder zum Vorschein: Gide kann entweder als Propagandist der Unsittlichkeit oder als diesbezüglicher Warner der Jugend gesehen werden. Der häufig angestellte Vergleich zwischen Proust und Gide fällt in den meisten Fällen zu Ungunsten des letzteren aus. Im Zentrum des 6. Kapitels (131-64) steht die autobiographische Erzählung Si le grain ne meurt. Daß jemand nicht nur in der dritten, sondern auch in der ersten Person über die Homosexualität spricht, empfinden die meisten Zeitgenossen als schockierend - Si le grain ne meurt erntet nur wenig Komplimente. Einige betonen zwar den Mut Gides zur Selbstdarstellung und zur Offenheit, den meisten geht das Ganze jedoch zu weit. Die autobiographische Schrift löst zudem bei vielen ein retrospektiv negatives Urteil über die vorher- 304 Besprechungen - Comptes rendus gehenden Bücher des Autors aus, und insbesondere über L'lmmoraliste, in dem man nun zweifelsfrei die sexuellen Neigungen Gides gespiegelt sieht. - All dies schließt nicht aus, daß einige Kritiker die literarischen Qualitäten des Werkes loben. Die im «Epilogue» (165-83) untersuchten Besprechungen zeigen, daß die moralische Debatte um Gide noch lange nach Si le grain ne meurt weiterläuft, auch da, wo die Bücher des Autors (z.B. Voyage au Conga) eigentlich keinerlei Anlaß dazu geben. Ende der zwanziger Jahre, als verschiedene Kritiker versuchen, einerseits dem Werk Gides gerecht zu werden und andererseits die Frage der Homosexualität in der Literatur allgemeiner darzustellen (z.B. L'Amour qui n'ose pas dire son nom von Porche [1927]), prallen die Argumente für und gegen Gide als Moralisten noch einmal hart aufeinander. Auch mit der Nobelpreisverleihung 1947 findet die Diskussion nur ein vorläufiges Ende. Im 8. Kapitel (185-204) versucht Ahlstedt, die von ihr benutzten Rezensionen nach einigen von JuRT 1980 definierten außerliterarischen Kriterien - und in erster Linie nach dem Kriterium der politischen Zugehörigkeit der Zeitungen und Zeitschriften, in denen die Besprechungen erscheinen zu untersuchen. Sie kommt zum Schluß, daß bei der Rezeption der Werke Gides der politische Faktor nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Weit wichtiger scheint in den meisten Fällen das persönliche Verhältnis des Rezensenten zum Autor oder ganz einfach die individuelle Haltung des Kritikers zur Homosexualität zu sein. «En guise de conclusion generale» (205-11) faßt übersichtlich die einzelnen Kapitel zusammen. Eine Bibliographie, welche die untersuchten Rezensionen (213-80), die benutzten Bücher und Briefwechsel Gides (280-82) und einige Werke der Sekundärliteratur (283-86) enthält, sowie ein Personenregister (287-91) beschließen den Band. In der Einleitung äußert sich Ahlstedt wie folgt: «II nous semble difficile de presenter le resultat de nos recherches d'une maniere qui soit a la fois methodique et agreable a la lecture. Le mode de presentation que nous avons choisi, celui de reprendre ! es articles par ordre chronologique, peut donner une impression de ,catalogue" qui est esthetiquement rebutante, mais ce procede facilite la täche de celui qui desire reperer tel ou tel campte rendu dans l'ensemble du corpus» (13). Die Befürchtungen der Verf. erweisen sich meiner Ansicht nach als begründet. Das Buch ist eher ein durchaus nützliches - Nachschlagewerk denn eine Studie. Die einfache Aneinanderreihung von Zitaten aus Rezensionen und oft sehr redundanten Bemerkungen der Verf. läuft jederzeit Gefahr, den Leser zu ermüden. Wäre es nicht viel interessanter gewesen, die Besprechungen statt nach chronologischen nach problemorientierten Kriterien zu ordnen und zu untersuchen? Solche Themenkomplexe hätten etwa das oft diskutierte Verhältnis zwischen Aesthetik und Ethik (cf. z.B. 27s., 45, 149, 159, 162s.) und die ebenfalls häufig angesprochene Beziehung zwischen dem «Autor» und dem «Menschen» Gide (cf. z.B. 181, 195, 208s.) abgeben können. Ursula Bähler * ErHRAi'M MrKHAEL, Poemes en vers et en prose. Edites par MATTHEW ScREECH, Geneve (Droz), 235 p. (TLF 447) In den gängigen Literaturgeschichten und Lexika wird man wohl vergeblich nach dem Namen von Ephrai:m Mikhael suchen, dessen Werl in der hier anzuzeigenden Arbeit, die im Jahre 1989 von der Universität London als Dissertation angenommen wurde, ediert wird. Es handelt sich nämlich um einen «auctor minor», der in seiner Zeit zwar eine recht beachtliche Resonanz fand und sogar in den Salons von Mallarme und Leconte de Lisle verkehrte, der dann aber im 20. Jahrhundert «sombre lentement dans l'oubli» (10).
