Vox Romanica
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Francke Verlag Tübingen
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1996
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Kristol De StefaniEPHARAǏM MIKHAËL, Poemes en vers et en prose. Edités par MATTHEW SCREECH, Genève (Droz), 235 p. (TLF 447)
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1996
A. Arens
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304 Besprechungen - Comptes rendus gehenden Bücher des Autors aus, und insbesondere über L'lmmoraliste, in dem man nun zweifelsfrei die sexuellen Neigungen Gides gespiegelt sieht. - All dies schließt nicht aus, daß einige Kritiker die literarischen Qualitäten des Werkes loben. Die im «Epilogue» (165-83) untersuchten Besprechungen zeigen, daß die moralische Debatte um Gide noch lange nach Si le grain ne meurt weiterläuft, auch da, wo die Bücher des Autors (z.B. Voyage au Conga) eigentlich keinerlei Anlaß dazu geben. Ende der zwanziger Jahre, als verschiedene Kritiker versuchen, einerseits dem Werk Gides gerecht zu werden und andererseits die Frage der Homosexualität in der Literatur allgemeiner darzustellen (z.B. L'Amour qui n'ose pas dire son nom von Porche [1927]), prallen die Argumente für und gegen Gide als Moralisten noch einmal hart aufeinander. Auch mit der Nobelpreisverleihung 1947 findet die Diskussion nur ein vorläufiges Ende. Im 8. Kapitel (185-204) versucht Ahlstedt, die von ihr benutzten Rezensionen nach einigen von JuRT 1980 definierten außerliterarischen Kriterien - und in erster Linie nach dem Kriterium der politischen Zugehörigkeit der Zeitungen und Zeitschriften, in denen die Besprechungen erscheinen zu untersuchen. Sie kommt zum Schluß, daß bei der Rezeption der Werke Gides der politische Faktor nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Weit wichtiger scheint in den meisten Fällen das persönliche Verhältnis des Rezensenten zum Autor oder ganz einfach die individuelle Haltung des Kritikers zur Homosexualität zu sein. «En guise de conclusion generale» (205-11) faßt übersichtlich die einzelnen Kapitel zusammen. Eine Bibliographie, welche die untersuchten Rezensionen (213-80), die benutzten Bücher und Briefwechsel Gides (280-82) und einige Werke der Sekundärliteratur (283-86) enthält, sowie ein Personenregister (287-91) beschließen den Band. In der Einleitung äußert sich Ahlstedt wie folgt: «II nous semble difficile de presenter le resultat de nos recherches d'une maniere qui soit a la fois methodique et agreable a la lecture. Le mode de presentation que nous avons choisi, celui de reprendre ! es articles par ordre chronologique, peut donner une impression de ,catalogue" qui est esthetiquement rebutante, mais ce procede facilite la täche de celui qui desire reperer tel ou tel campte rendu dans l'ensemble du corpus» (13). Die Befürchtungen der Verf. erweisen sich meiner Ansicht nach als begründet. Das Buch ist eher ein durchaus nützliches - Nachschlagewerk denn eine Studie. Die einfache Aneinanderreihung von Zitaten aus Rezensionen und oft sehr redundanten Bemerkungen der Verf. läuft jederzeit Gefahr, den Leser zu ermüden. Wäre es nicht viel interessanter gewesen, die Besprechungen statt nach chronologischen nach problemorientierten Kriterien zu ordnen und zu untersuchen? Solche Themenkomplexe hätten etwa das oft diskutierte Verhältnis zwischen Aesthetik und Ethik (cf. z.B. 27s., 45, 149, 159, 162s.) und die ebenfalls häufig angesprochene Beziehung zwischen dem «Autor» und dem «Menschen» Gide (cf. z.B. 181, 195, 208s.) abgeben können. Ursula Bähler * ErHRAi'M MrKHAEL, Poemes en vers et en prose. Edites par MATTHEW ScREECH, Geneve (Droz), 235 p. (TLF 447) In den gängigen Literaturgeschichten und Lexika wird man wohl vergeblich nach dem Namen von Ephrai:m Mikhael suchen, dessen Werl in der hier anzuzeigenden Arbeit, die im Jahre 1989 von der Universität London als Dissertation angenommen wurde, ediert wird. Es handelt sich nämlich um einen «auctor minor», der in seiner Zeit zwar eine recht beachtliche Resonanz fand und sogar in den Salons von Mallarme und Leconte de Lisle verkehrte, der dann aber im 20. Jahrhundert «sombre lentement dans l'oubli» (10). Besprechungen - Comptes rendus 305 Ephrai"m Mikhael, der bis 1884 den Namen Georges Michel trug, wurde 1866 in Toulouse als Sohn jüdischer Eltern geboren. Nachdem sich die Familie 1881 in Paris niedergelassen hatte, besuchte er dort das Lycee Fontanes, das er 1884 nach Ablegung des «baccalaureat» verließ. Schon während seiner Gymnasialzeit gründete er mit etlichen Freunden, zu denen u. a. Rene Ghil zählte, einen literarischen Zirkel, der eine literarische Revue herausgab und in der dann auch seine ersten Gedichte erschienen. Das Jahr 1884 bedeutet in mehrfacher Hinsicht einen Wendepunkt in der Vita des Dichters. Zum einen nimmt er in diesem Jahr den semitischen Namen Ephrai"m Mikhael an - und dies wohl, «pour se montrer solidaire de son peuple face au climat souvent anti-semite de la France de l'epoque» (15). Zum anderen tritt er ab diesem Zeitpunkt in engen Kontakt mit «la vie litteraire parisienne» (15) und pflegt freundschaftlichen Kontakt u. a. mit A, Villiers de l'Isle- Adam, Gustave Kahn, Henri de Regnier und Maurice Maeterlinck. Und schließlich setzt mit dem Jahre 1884 eine intensive literarische Schaffensperiode von Ephrai'm Mikhael ein: er schreibt Gedichte und Prosastücke, von denen zahlreiche in zeitgenössischen Revuen publiziert werden, sowie (z. T. mit anderen gemeinsam) Theaterstücke, deren Aufführungen jedoch ein nicht nur positives Echo finden. Am 12. Mai 1890 stirbt Mikhael, schon zuvor von schwerer Krankheit gezeichnet, im Alter von nur 44 Jahren. - Er hat ein in den Jahren zwischen 1882 und 1890 entstandenes Werk von 32 Vers-, 11 Prosagedichten, mehreren Fragmenten von Vers- und Prosagedichten, 3 Theaterstücken und zwei literaturkritischen Artikeln hinterlassen. Mehrere seiner Freunde edierten zwar noch im Todesjahr 1890 bei Lemerre in Paris eine Auswahl seiner Werke, die aber heute kaum noch zugänglich ist. Es ist nur zu begrüßen, daß es sich Screech zur Aufgabe gestellt hat, die Vers- und Prosagedichte dieses heute nahezu vollkommen vergessenen Dichters hier in ihrer Gesamtheit herauszugeben. Denn philologische Forschung soll und darf sich nicht nur mit den «Großen» der Literatur begnügen; oft gibt auch gerade das Werk der «Kleinen» bedeutende Aufschlüsse über eine Epoche. Screech stellt seiner Edition eine als sehr gelungen zu bezeichnende «Introduction» (9- 49) und eine mit größter Sorgfalt zusammengetragene «Bibliographie» (51-56) voran. Die Einleitung informiert zunächst (9-21) über das Werk und die Vita des Dichters. Sodann (21-39) wird Mikhaels Dichtung in den geistes- und literarischhistorischen Kontext eingeordnet. Die in aller Gründlichkeit angestellten Vergleiche zwischen Mikhael einerseits und A. Villiers de l'Isle d'Adam (23-28), dem «symbolisme wagnerien» (28s.), Spinoza, Baudelaire, Mallarme und Verlaine (30-39) andererseits sind mehr als überzeugend: Sie zeigen, daß Mikhael nicht nur, wie es in der zeitgenössischen Kritik mal geäußert worden war, ein simpler Plagiator, sondern ein Dichter von Originalität war, was sich u. a. in seiner «Loslösung» von Baudelaire und Mallarme (cf. 33-37) zeigt. - Sehr schön ist auch der Abschnitt der Einleitung, in dem Screech die «evolution litteraire de Mikhael» (39-47) aufzeigt und nachweist, daß der Dichter sich allmählich mehr und mehr von den «techniques conventionelles» (40) löst und seinen eigenen Weg findet. Die Edition selbst (57-231) bietet dann alle von Mikhael geschriebenen Vers- und Prosagedichte, zu denen am Ende des jeweiligen Textes Angaben zum «etat publie» und wenige leider viel zu wenige - Kommentare zu inhaltlichen Problemen gemacht werden. Zusammenfassend stelle ich fest: Screech hat eine sehr solide Edition vorgelegt und ihr eine von großer Sachinformiertheit und Forscherfleiß zeugende Einleitung vorangestellt. Man kann nur hoffen, daß die von ihm angekündigte (9 N2) Edition der Theaterstücke Mikhaels auch bald folgen wird. Diese liefern nämlich interessante «Einblicke» in die Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts. A.Arens *
