eJournals Vox Romanica 55/1

Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
1996
551 Kristol De Stefani

GEORGES KLEIBER, Anaphores et pronoms, Louvain-la-Neuve (Duculot) 1994, 229 p. ( Champs linguistiques)

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1996
P. W.
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354 Besprechungen - Comptes rendus und ist stets bemüht, zwischen den verschiedenen Ebenen zu differenzieren (dabei verhehlt sie nicht, daß die Unterscheidung von systematischer Bedeutung und von Redebedeutungstypen mitunter, z.B. bei contre, extrem schwierig ist). Sie stellt etwa fest, daß «[d]ie Grenzüberschreitung bei sur und sous ... nicht in gleicher Weise konstitutiv [ist] wie bei extrabzw. hors (de) oder ultrabzw. au-dela de. Sie hängt bei sur vom Standpunkt des Beobachters ab und ist in der Rede durch den Kontext gegeben» (196). Bezüglich der präpositionalen Elemente a-, de- und enkommt sie zu dem Ergebnis, daß zwar auf der Systemebene der Präpositionen eine Opposition zwischen a und de besteht, daß jedoch nur wenige Wortbildungen diese Opposition widerspiegeln und es wesentlich mehr Belege gibt, in denen en und deein Oppositionspaar bilden. An diesem Beispiel kann man auch erkennen, daß die Verf. stets genau abklopft, bis zu welchem Grad sich die Verhältnisse bei den Präpositionen und bei den Wortbildungen entsprechen. Nur sehr selten verhakt sich die Verf. ein wenig. Während sie auf p.236s. feststellt, daß archiquantifiziert, ohne zu qualifizieren und die Qualifikation erst durch die Basis oder den Kontext erfolgt, sagt sie wenig später, daß im Bereich des politischen Wortschatzes auch Bildungen mit archizu finden seien, da archi- «eine Affinität zu negativen Basen bzw. Kontexten» (238) besitze. In den großen Linien lehnt sich die Verf. sehr nah an Coseriu, Pottier und Lang an. Doch mitunter löst sie sich auch von ihnen. So benennt sie bei der Modifizierung Coserius Verfahren der Partialisierung um in Situierung, und während Coseriu die Partialisierung dem Verfahren der Quantifizierung unterordnet, stellt Weidenbusch die beiden Verfahren der Situierung und der Quantifizierung nebeneinander. Auch in Einzelinterpretationen wählt sie z.T. eine andere Lösung als die genannten Autoren, etwa wenn sie, wie gesehen, a und en im Unterschied zu Pottier und Lang zusammen behandelt. Zudem kommt sie dadurch, daß sie sich nicht auf Coserius funktionelle Sprache beschränkt, zu interessanten Ergebnissen beispielsweise im Hinblick auf die Unterschiede von Fach- und Allgemeinsprache. Insgesamt zeigt sich, daß ein inhaltsbezogener Ansatz für die Erfassung des Phänomens der Präfigierung sehr aufschlußreich ist. Yvonne Stark * GEORGES KLEIBER, Anaphores et pronoms, Louvain-la-Neuve (Duculot) 1994, 229 p. ( Champs linguistiques) Der vorliegende Band der von Dominique Willems und Marc Wilmet herausgegebenen Reihe Champs linguistiques sollte ursprünglich wohl einen Untertitel tragen: «Etudes de pragma-semantique referentielle» der Untertitel ist sowohl auf der Klappe als auch auf der Innentitelei entfallen, aber «leider» ist ein Verweis im Inneren des Buches (11) stehen geblieben. Wir haben es hier wohl mit einem Manöver des Verlags im letzten Moment zu tun, das verschleiern soll, daß es sich nicht um eine Monographie, sondern um eine Aufsatzsammlung handelt. Derartige Taktiken hat Kleiber nun aber wahrlich nicht nötig: eine Aufsatzsammlung aus seiner Feder ist allemal lesenswert; und wenn sie, wie die hier vorgelegte, von einer geradezu außerordentlichen Homogenität ist, tut man dem Verfasser unwiderruflich Unrecht. Dabei hat Kleiber nicht einmal versucht, die verschiedenen Texte zu glätten und aufeinander abzustimmen; außer einer Zusammenfassung der Literaturverweise am Schluß und einer formalen Vereinheitlichung hat er seine ursprünglichen Texte nicht weiter modifiziert und so den dokumentarischen Charakter für die Entwicklung seiner Gedanken bewahrt (10). Der Band kreist um drei eng miteinander verflochtene Themen: das Problem der Anapher im allgemeinen, das Personalpronomen il in seinen verschiedenen acceptions und die Besprechungen - Comptes rendus 355 Demonstrativa celui-ci! celui-la, die über weite Strecken zu il in Konkurrenz stehen. Im einzelnen enthält er die folgenden bereits anderweitig publizierten Beiträge 1 : - «L'anaphore: d'un probleme a l'autre» (Kap. 2, 21ss.) [FM 60 (1992): 1-22) - «Reference pronominale: comment analyser le pronom il? » (Kap. 3, 4lss.) [LALIES 13 (1994): 79-141] - «Cap sur les topiques avec le pronom il» (Kap. 4, 105ss.) [L 'information grammaticale 54 (1992): 15-25] - «Y a-t-il un il ostensif? » (Kap. 5, 125ss.) [in: R.LoRENZO (ed.), Actes du xnc Congres international de linguistique et de philologie romanes, vol. 3: Linguistique pragmatique et sociolinguistique, A Coruna 1992: 485-504] - «Ils ont encore augmente les impots ou Sur le ils dit collectif» (Kap. 7, 163ss.) [in: L. TASMOWSKr/ A. ZRrnr-HERTZ, De la musique a la linguistique. Hommages a Nicolas Ruwet, Gent 1992: 327-44] - «Celui-ci! -la. Comment montrer du nouveau avec du deja connu» (Kap. 8, 179ss.) [Revue Quebecoise de linguistique 21 (1991): 123-70] Nicht publiziert sind dagegen Kap. 6, «Sur quelques emplois textuels non paradigmatiques de il» (143ss.) sowie das gewissermaßen zusammenfassende Einleitungskapitel «En matiere de reference anaphorique: une introduction» (7ss.). Dazu kommt noch die reichhaltige Gesamtbibliographie (213-24), während leider ein äußerst wünschenswerter - Index fehlt. Wie immer bei Kleiber sind diese Studien im Rahmen der Fragestellung ausgezeichnet dokumentiert und repräsentieren den neuesten Stand der Forschung; und wie immer sprüht Kleiber von Ideen, an denen er uns großzügig teilhaben läßt auch auf die Gefahr hin, daß zu einem späteren Zeitpunkt das eine oder andere vielleicht noch revidiert werden muß (19). Da die Studien bereits publiziert und bekannt sind, will ich hier nicht im Detail auf sie eingehen, sondern mich vielmehr auf den allgemeinen Rahmen (Kap.1) konzentrieren, der so etwas wie eine vorangestellte Konklusion darstellt. Kleiber unterscheidet zwischen personaler, räumlicher und zeitlicher Lokalisierung (7s.), wobei die entsprechenden sprachlichen Instrumente sowohl deiktisch als auch anaphorisch genutzt werden können; er lehnt also die v.a. in der amerikanischen Linguistik verbreitete radikale Trennung von Deixis und Anapher ab und sieht den Unterschied zwischen den beiden Verfahren nicht im Prozeß als solchem, sondern vielmehr in der jeweils affizierten Verweisebene (Konbzw. Kotext). Aufgrund meiner eigenen Untersuchungen in diesem Bereich 2 kann ich ihm in diesem Punkt nur zustimmen. Weniger glücklich bin ich dagegen über die Tatsache, daß er die lokale Deixis nicht auf die personale zurückführt ('Lokalisierung in Bezug auf eine Kommunikationsperson') und überdies auch die Possessiva ('Relationierung zu einer Kommunikationsperson') nicht mit einbezieht 3 . Allerdings hat dieser Punkt für die hier zur Diskussion stehenden Probleme und Kleibers Argumentation keine weiteren Folgen. Daß man über diese Kategorien eine ganze Menge bezüglich der Textinterpretation leisten kann, ja daß es mit ihnen z. T. sogar möglich ist, Texte als Ganzes zu klassifizieren, wird nicht bestritten - und trotzdem ist in den letzten Jahren immer wieder darauf hingewiesen worden, daß das Instrumentarium insofern ungenügend sei, als die Frage, wie denn das richtige Kon- oder Kotextelement ermittelt werde, eine mögliche Anapher eine situa- 1 In eckigen Klammern jeweils der ursprüngliche Publikationsort. 2 Cf. zuletzt P. WuNDERLI, «Neutrales il im Französischen», in: FS Figge (erscheint demnächst). 3 Cf. hierzu (u. P. WuNDERLI, «La deixis personnelle dans ! es langues romanes», VRom. 49/ 50: 32-56. 356 Besprechungen - Comptes rendus tionelle (deiktische) Abstützung erfahre, auf diese V-leise nicht zu beant\ x ,1orten sei. Dies ist auch die Meinung von Kleiber (8), doch stimmt er bereits den Konsequenzen, die man in den letzten Jahren meist aus diesen Tatsachen gezogen hat, nicht mehr zu. Im Rahmen der Euphorie für die Pragmatik und die kognitive Linguistik wurden die festen und konventionellen Regeln beim Gebrauch sprachlicher Einheiten (und insbesondere von Deiktika und Phorika) immer mehr abgewertet und durch inferentielle Verfahren auf der Grundlage des Äußerungskontextes und des «savoir partage» (der «Kenntnis von Welt») ersetzt. Die Bedeutung dieser Verfahren wird auch von Kleiber nicht bestritten, aber er warnt mit Entschiedenheit davor, das Kind mit dem Bade auszuschütten: auch der Semantik kommt eine wichtige Rolle zu (10s. ). Obwohl es auf den ersten Blick ökonomischer zu sein scheint, alles (oder fast alles) aufgrund allgemeiner pragmatischer Prinzipien zu erklären, impliziert die Anwendbarkeit dieser Prinzipien auf jede sprachliche Situation noch nicht automatisch eine Erklärung: die Prinzipien sind nur allzu oft viel zu allgemein und damit zu mächtig für den partikulären Fall. Kleiber demonstriert dies sehr schön anhand des principe de saillance von Levinson und Reboul, das es zwar erlaubt, den semantischen Gehalt der Referenzoperatoren praktisch auf Null zu reduzieren, dann aber in die Aporie führt, daß man das unterschiedliche Verhalten von il und ce in Verbindung mit etre (un) linguiste 5 nicht mehr erklären kann. Kleiber zieht daraus den korrekten Schluß, daß man einseitig kognitive Analysen vermeiden muß; ganz offensichtlich operiert die Pragmatik über einer semantischen Basis (12s.). Damit setzt sich Kleiber in entschiedenen Gegensatz zu den Pragmatikern und Kognitivisten, die die Bedeutung eines Ausdrucks auf seinen Wahrheitswert und den Repäsentationsgehalt (sens descriptif) reduzieren möchtenalles weitere wäre pragmatischer Natur, was zur Folge hätte, daß bei den Referenzoperatoren praktisch alles aus dem Äußerungskontext zu deduzieren wäre. Dabei verwischt sich in der Regel vollkommen die Grenze zwischen dem, was einheitsspezifisch ist und dem, was aus der Anwendung der allgemeinen (pragmatischen) Prinzipien resultiert (14). Kleiber hält dem entgegen- und ich kann ihm nur beipflichten-, daß auch morphosyntaktische Einheiten und Referenzoperatoren ihren eigenen semantischen Gehalt haben, der neben dem sens descriptif (denotative Komponente) auch eine argumentative und eine instruktionelle Komponente (sens procedural oder computationnel) unterschiedlichen Umfangs umfaßt oder umfassen kann. Damit wendet er sich gleichzeitig auch gegen den Ansatz von Lars Fant, der Wahrheitswert und deskriptive Komponente ganz eliminieren möchte, und Gleiches gilt auch für A. Reboul, der bei Anaphorika auf jeglichen sens representationnel verzichten will. Vor allem mit letzterem setzt sich Kleiber ausführlich auseinander und demontiert mit großem Geschick seine Argumente gegen das Vorhandensein einer deskriptiven Bedeutung. Das Ambiguitätsargument (z.B. bezüglich il) erweist sich deshalb als unhaltbar, weil es voraussetzt, daß der sens descriptif eine totale Determination des Referenten leiste; nimmt man dagegen eine nur partielle Determination an, so ist es durchaus möglich, daß bei nicht hinreichend leistungsfähigem Kotext Ambiguitäten innerhalb des durch die deskriptive Bedeutung vorgegebenen Rahmens bestehen bleiben. Das Argument der insensiblite aux contextes opaques besagt, daß der semantische Gehalt sehr nahe einer definiten Beschreibung liegen müsse und deshalb il nicht einen Eigennamen oder eine description definie ersetzen könne, wenn es den gleichen Referenten bezeichne; da dies aber gleichwohl möglich sei, könne il gar keinen semantischen Gehalt haben. Kleiber hält dem entgegen, daß man prinzipiell von einer deutlichen Verschiedenheit von semantischem Gehalt und 4 «Plus le sens (representationnel ou computationnel) d'une expression referentielle est reduit et plus accessible ou saillant doit etre son referent» (12). 5 Cf. il est linguiste, c'est un linguiste, aber *il est un linguiste, *c'est linguiste. Besprechungen - Comptes rendus 357 definiter Beschreibung ausgehen müsse(und auch darin hat er sicher wieder recht), weshalb auch dieses Argument hinfällig wird (16s.). Offen bleibt allerdings die Frage, was denn der sens descriptif von il ist; er dürfte auf jeden Fall sehr dürftig sein und vor der Instruktionsbedeutung deutlich in den Hintergrund treten 6 . Aus dem Dualismus von deskriptiver und instruktioneller Bedeutung erklärt sich nach Kleiber nun die Tatsache, daß ein gegebener Referent oft auf unterschiedliche Weise «erfaßt» werden kann(> mode de donation). Unter Berufung auf Frege betont er, daß mit der Identifikation des Referenten bei weitem noch nicht alles über die Leistung von Referenzoperatoren gesagt sei, sondern der Art und Weise der Identifikation(Erfassung) bei gewissen Oppositionsstrukturen oft viel mehr Gewicht zukomme. Illustriert wird dies anhand des Gegensatzes le! ce(18). Die Rahmendarstellung schließt mit einem dezidierten Plädoyer für eine linguistique cumulative (man könnte auch sagen: ein undogmatisch-eklektisches Vorgehen), das die Leistung anderer auch älterer� Ansätze nicht einfach ignoriert, sondern deren Erfolgen Rechnung trägt und primär einmal versucht, die Schwächen, Lücken und Mißerfolge auf anderem Wege und im Sinne einer Komplementarität zu korrigieren - und dabei kann er sich auch einen bissigen Seitenhieb anf die amerikanische Linguistik, die ständig das Rad neu erfindet, nicht verkneifen (19). Ich brauche wohl nicht zu sagen, daß er mir damit aus der Seele spricht! Die beste Illustration für diese Haltung sind die folgenden (bereits bekannten) Untersuchungen, die alle in dem post festum entstandenen einleitenden Rahmen bleiben. Der Band von Kleiber ist ein in jeder Hinsicht lesenswertes Buch, das für den(mit der Problematik vertrauten) Linguisten manchen Lesegenuß bereithält. P.W. * CORINNA J. WERNITZ, Bedingungen und Voraussetzungen für Sprachwechsel. Eine Untersuchung zum Sprachwechsel bei bilingualen Marokkanern in Frankreich, Frankfurt a. M. etc. (Lang) 1993, 365 p. (Europäische Hochschulschriften 13/ 186) Die von J. Schmidt-Radefeldt betreute Kieler Dissertation aus dem Jahre 1993 analysiert den Sprachwechsel (code-switching) zwischen Arabisch und Französisch bei marokkanischen Studenten an der Universität Lille anhand einer Fragebogenuntersuchung und von Sprachaufnahmen. Die Arbeit fügt sich in eine Reihe von Untersuchungen ein, die sich vor allem in neuerer Zeit mit dem Thema arabisch-französischer Sprachkontakte beschäftigen 1. Wernitz gliedert ihre Arbeit in einen Forschungsbericht zum Bilinguismus(9-38), eine Übersicht über das marokkanische Bildungssystem (49-68), eine Charakterisierung des Sprachwechsels(69-102), die Auswertung des Fragebogens zum persönlichen und sprachlichen Hintergrund der vierzehn herangezogenen Informanten(103-28), die Analyse des 6 Cf. hierfür auch P. WuNDERLI, «Les structures du <pronom personnel> en fran�ais», ZFSL 99: 130-41, sowie die in N2 zitierte Arbeit. 1 Cf. L. BRUN0T, «Emprunts dialectaux arabes a la langue fran9aise dans les cites marocaines depuis 1912», Hesperis 36 (1949): 347-430; A. BE:'ITAHILAIE. DAVIS, «The Syntax of Arabic- French Code-Switching», Lingua 59 (1983): 301-30; Z. CHAABANI, Der Einfluß des Französischen auf das Arabische in Tunesien, Frankfurt a. M. etc. 1983; J. HEATH, From Code-Switching to Borrowing: Foreign and Diglossie Mixing in Moroccan Arabic, London/ New York 1989; G. CHRIST, Arabismen im Argot. Ein Beitrag zur französischen Lexikographie ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. etc. 1991.