Vox Romanica
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0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
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Kristol De StefaniCORINNA J. WERNITZ, Bedingungen und Voraussetzungen für Sprachwechsel. Eine Untersuchung zum Sprachwechsel bei bilingualen Marokkanern in Frankreich, Frankfurt a. M. etc. (Lang) 1993, 365 p. (Europäische Hochschulschriften 13/186)
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V. Noll
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Besprechungen - Comptes rendus 357 definiter Beschreibung ausgehen müsse(und auch darin hat er sicher wieder recht), weshalb auch dieses Argument hinfällig wird (16s.). Offen bleibt allerdings die Frage, was denn der sens descriptif von il ist; er dürfte auf jeden Fall sehr dürftig sein und vor der Instruktionsbedeutung deutlich in den Hintergrund treten 6 . Aus dem Dualismus von deskriptiver und instruktioneller Bedeutung erklärt sich nach Kleiber nun die Tatsache, daß ein gegebener Referent oft auf unterschiedliche Weise «erfaßt» werden kann(> mode de donation). Unter Berufung auf Frege betont er, daß mit der Identifikation des Referenten bei weitem noch nicht alles über die Leistung von Referenzoperatoren gesagt sei, sondern der Art und Weise der Identifikation(Erfassung) bei gewissen Oppositionsstrukturen oft viel mehr Gewicht zukomme. Illustriert wird dies anhand des Gegensatzes le! ce(18). Die Rahmendarstellung schließt mit einem dezidierten Plädoyer für eine linguistique cumulative (man könnte auch sagen: ein undogmatisch-eklektisches Vorgehen), das die Leistung anderer auch älterer� Ansätze nicht einfach ignoriert, sondern deren Erfolgen Rechnung trägt und primär einmal versucht, die Schwächen, Lücken und Mißerfolge auf anderem Wege und im Sinne einer Komplementarität zu korrigieren - und dabei kann er sich auch einen bissigen Seitenhieb anf die amerikanische Linguistik, die ständig das Rad neu erfindet, nicht verkneifen (19). Ich brauche wohl nicht zu sagen, daß er mir damit aus der Seele spricht! Die beste Illustration für diese Haltung sind die folgenden (bereits bekannten) Untersuchungen, die alle in dem post festum entstandenen einleitenden Rahmen bleiben. Der Band von Kleiber ist ein in jeder Hinsicht lesenswertes Buch, das für den(mit der Problematik vertrauten) Linguisten manchen Lesegenuß bereithält. P.W. * CORINNA J. WERNITZ, Bedingungen und Voraussetzungen für Sprachwechsel. Eine Untersuchung zum Sprachwechsel bei bilingualen Marokkanern in Frankreich, Frankfurt a. M. etc. (Lang) 1993, 365 p. (Europäische Hochschulschriften 13/ 186) Die von J. Schmidt-Radefeldt betreute Kieler Dissertation aus dem Jahre 1993 analysiert den Sprachwechsel (code-switching) zwischen Arabisch und Französisch bei marokkanischen Studenten an der Universität Lille anhand einer Fragebogenuntersuchung und von Sprachaufnahmen. Die Arbeit fügt sich in eine Reihe von Untersuchungen ein, die sich vor allem in neuerer Zeit mit dem Thema arabisch-französischer Sprachkontakte beschäftigen 1. Wernitz gliedert ihre Arbeit in einen Forschungsbericht zum Bilinguismus(9-38), eine Übersicht über das marokkanische Bildungssystem (49-68), eine Charakterisierung des Sprachwechsels(69-102), die Auswertung des Fragebogens zum persönlichen und sprachlichen Hintergrund der vierzehn herangezogenen Informanten(103-28), die Analyse des 6 Cf. hierfür auch P. WuNDERLI, «Les structures du <pronom personnel> en fran�ais», ZFSL 99: 130-41, sowie die in N2 zitierte Arbeit. 1 Cf. L. BRUN0T, «Emprunts dialectaux arabes a la langue fran9aise dans les cites marocaines depuis 1912», Hesperis 36 (1949): 347-430; A. BE:'ITAHILAIE. DAVIS, «The Syntax of Arabic- French Code-Switching», Lingua 59 (1983): 301-30; Z. CHAABANI, Der Einfluß des Französischen auf das Arabische in Tunesien, Frankfurt a. M. etc. 1983; J. HEATH, From Code-Switching to Borrowing: Foreign and Diglossie Mixing in Moroccan Arabic, London/ New York 1989; G. CHRIST, Arabismen im Argot. Ein Beitrag zur französischen Lexikographie ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. etc. 1991. 358 Besprechungen - Comptes rendus anhand von Sprachaufnahmen erstellten Korpus (129-202) und die Zusammenfassung der Ergebnisse (203-08). Im Anhang werden ein Muster des Fragebogens (213-19) und Ausschnitte aus dem Korpus (220-360) vorgestellt. Die Arbeit ist klar strukturiert. Das Kapitel über den Bildungshintergrund in Marokko bietet eine interessante Übersicht über die Entwicklung des marokkanischen Bildungssystems, die allerdings auf Literaturnachweise verzichtet. Im Kapitel zur Charakterisierung des Sprachwechsels ist in bezug auf die Handhabung von Literatur zu kritisieren, daß etliche Beiträge der Fachliteratur aus zweiter Hand vorgestellt und kommentiert werden (z.B. Poplack, Woolford, Joshi, Pfaff, 83-87; Giles/ Taylor/ Bourhis, 164; Appel/ Muysken, 205). Da diese Arbeiten auch nicht im Literaturverzeichnis erscheinen, sind sie ohne Angaben zu Titel und Publikation nicht direkt zu identifizieren. Dies betrifft selbst die grundlegenden Aufsätze von PFAFF 1979 und PoPLACK 1980 2• Bisweilen ergeben sich im Zuge der Arbeit Unsicherheiten in der Darstellung allgemeiner und vergleichender Sachverhalte. So nähert sich die Sprecherzahl des Portugiesischen nicht der «100 Mio. Grenze» (3), denn allein das brasilianische Portugiesisch wird heute schon von mehr als 150 Mio. Menschen gesprochen. Das Katalanische muß in Katalonien nicht als Unterrichtssprache durchgesetzt werden (27), es ist in allen Bildungsbereichen aufgrund gesetzlicher Regelungen aus den Jahren 1978 und 1983 bereits gleichberechtigt. Man kann auch nicht global behaupten, daß sich spanische Immigranten in Frankreich aufgrund einer größeren sprachlichen Nähe zum Französischen besser integrierten als Marokkaner (28), die bereits überwiegend frankophon sind. Marokko ist unter den arabischen Ländern im Bildungsbereich keinesfalls als vergleichsweise «unterentwickelt» (67) zu bezeichnen, denn die Maghrebstaaten verfügen zusammen mit Ägypten über das am besten entwickelte Bildungssystem in der arabischen Welt. In terminologischer Sicht wäre «mohammedanisch» (39) durch moslemisch zu ersetzen. Die Bezeichnungen «klassisches An1bisch» und «Hocharabisch» können nicht beliebig ausgetauscht werden, wie dies im Laufe der Arbeit öfters geschieht (z.B. «daß die zwei Drittel der Analphabeten in Marokko das klassische Arabisch nicht beherrschen», 48). In bezug auf die heutige arabische Hochsprache ist der Terminus Hocharabisch zu verwenden. Die Frage nach dem Gebrauch der Hochsprache im Fragebogen wäre in französischer Terminologie dementsprechend auch nicht mit «arabe classique» (216), sondern mit «arabe litteral» zu formulieren. In diesem Zusammenhang müßte eine Erläuterung der allgemeinen Stellung des Dialektes im arabischen Sprachraum erfolgen. Einerseits bedient sich in der arabischen Welt im privaten Umfeld niemand der Hochsprache. Andererseits verfügt das Arabische im Hinblick auf seine klassische Form als Sprache des Korans, Träger der religiösen Überlieferung und sprachliches Bindeglied aller Moslems bei seinen Sprechern über ein unantastbares Prestige, wie dies bei kaum einer anderen Kultursprache festzustellen ist. Die Diskrepanz zwischen hochsprachlicher Performanz und dialektaler Realität führt in der arabischen Welt beständig zu sprachlichen Kompromissen. So ist es auch bei offiziellen Reden oft üblich, die ersten Sätze quasi als Referenz an die Hochsprache in Hocharabisch zu formulieren und dann in den Dialekt überzugehen. Eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Dialekt oder eine Offizialisierung des Dialektes steht in arabischen Ländern aufgrund der Bedeutung der Hochsprache für den Islam jedoch nicht zur Diskussion. 2 C. PFAFF, «Constraints on language mixing: intrasentential code-switching and borrowing in Spanish/ English», Language 55 (1979): 291-318; S. PoPLACK, «'Sometimes I'll start a sentence in Spanish Y TERMINO EN ESPANOL': towards a typology of code-switching», Linguistics 18 (1980): 581-618. Besprechungen - Comptes rendus 359 Für die vorliegende Arbeit bedeutet dies, daß die Aussagen der marokkanischen Informanten über persönlichen Hintergrund und Sprachverwendung, die über den Fragebogen bereits subjektiv angelegt sind, bezüglich der Verwendung der Hochsprache zusätzlich einer Beeinflussung unterliegen und stark relativiert werden müssen. Die Darstellung, jemand habe «bis zum Alter von 10 Jahren 30% seiner gesamten Kommunikation auf hocharabisch geführt» (117), ist in diesem Zusammenhang völlig abwegig. Es fällt auf, daß es sich bei den für die Untersuchung herangezogenen Personen ausschließlich um männliche Informanten handelt, ohne daß dies im besonderen begründet würde. Im Hinblick auf die bekannten Variationen zwischen männlichem und weiblichem Sprachverhalten sowohl hinsichtlich des Dialektgebrauchs als auch in Diglossiesituationen wie beispielsweise der alternierenden Verwendung des Okzitanischen und Französischen bedeutet dies eine Schmälerung der Basis für eine spätere Auswertung der Ergebnisse. Im analytischen Teil ihrer Arbeit sowie im Korpus verwendet Wernitz für die Wiedergabe der marokkanisch-arabischen Textabschnitte eine Umschrift. Es muß festgestellt werden, daß diese Umschrift keinen wissenschaftlichen Kriterien folgt. Die Autorin orientiert sich nach eigener Aussage phonetisch an der API Lautschrift(131), verzeichnet aber weder die emphatischen Konsonanten des marokkanischen Arabisch (t, 4, �, Q, 111, ,: , l) noch velare und pharingale Frikative(�, fJ). Vokallänge, Timbre und Gemination werden unzureichend notiert. Dabei besteht für das maghrebinische Arabisch schon seit langer Zeit ein wissenschaftliches Transkriptionssystem in orthographischer Verwendung, wie es im übrigen auch in der von der Autorin angeführten Esquisse grammaticale de l'arabe maghrebin (364) eingesetzt wird. Außerdem stehen für das marokkanische Arabisch Wörterbücher in Umschrift zur Verfügung 3. Stellvertretend für unzählige Fehler, die sich aus der vorliegenden Transkription ergeben, seien die folgenden angeführt: lies 'iindna statt ['Edna] (136), dyqlna statt [djrna] (137), 'iimmi statt ['Emi] (211), tfJgl[ statt [thul] (242). In der Präsentation des Korpus verwendet Wernitz zur Wiedergabe der marokkanisch-arabischen Textabschnitte in Ergänzung ihrer Transkription die arabische Schrift, die sich zur Darstellung des Dialektes grundsätzlich nicht eignet und deshalb in der Regel auch nicht eingesetzt wird. So ist bei [djEl lc' Ern lifät] (360) das dialektale Relativpronomen gl[i bereits in der Transkription nicht erkennbar und wird in der arabischen Schrift schließlich mit der Präposition li verwechselt. Der zitierte Halbsatz muß lauten: dyql g[-cam g/ li fqt 'von letztem Jahr'. Bei dem Verbalsuffix -ti für die 2. Pers. Sg. Maskulinum handelt es sich nicht um eine Besonderheit des Dialektes von Casablanca (212), sondern um ein allgemeines Charakteristikum des marokkanischen Arabisch. Der Name des marokkanischen Berberstammes der Chleuh leitet sich nicht von «Silb» [! ] (40), sondern von dem zugehörigen Plural sl{JlJ ab.Obwohl sich die vorliegende Dissertation weder als Beitrag zur Arabistik versteht, noch einen etymologischen Schwerpunkt setzt, kann man das Vorgehen der Autorin in der Behandlung des Arabischen nicht billigen. Hinsichtlich des Sprachwechsels zwischen Arabisch und Französisch ist hervorzuheben, daß es sich bei der vorliegenden Arbeit für das französische Sprachgebiet um die erste umfassende Untersuchung handelt. Sie wurde mit großem Aufwand betrieben, denn dem ausgewerteten Korpus liegt ein Material von über 1500 transkribierten Seiten zugrunde, von denen knapp 150 im Anhang reproduziert werden. Aus der beispielgestützten Klassifizierung dieses Materials ergeben sich interessante Belege. Wernitz unterscheidet bei den Gründen für einen Sprachwechsel zwischen referentieller Funktion, Gesprächsthema, Verbesserung bzw. Sicherung der Kommunikation, Ausgleich sprachlicher Inkompetenz, 3 Cf. D. FERRE, Lexique marocain-.franr;ais, Imprimerie de Fedala s.d. 360 Besprechungen - Comptes rendus metalinguistischer und stilistisch-rhetorischer Funktion, passe-partout-Formeln, Akkomodation, Zitat, Selbstdarstellung, sprachbedingter Motivation und außersprachlichen Faktoren. Eine Hierarchisierung der für den Sprachwechsel verantwortlichen Faktoren wird nicht vorgenommen. Im Hinblick auf die Begründung des Sprachwechsels bezüglich seiner Positionierung im Syntagma wird der Gesichtspunkt der Neutralisierung 4 ausgeklammert. Strukturelle Besonderheiten wie die arabische Affigierung französischer Wörter an der Schnittstelle (switch-point) des Sprachwechsels sind Gegenstand der Untersuc! mng. Interferenzen und Entlehnungen werden vom Phänomen des Sprachwechsels abgegrenzt. Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß die anerkennenswert umfängliche Materialauswertung und konkrete Einzelergebnisse der Dissertation im Gegensatz zu gewissen formalen und methodischen Unzulänglichkeiten der Arbeit stehen. V. Noll * ANNEGRET BoLLEE (ed.), Dictionnaire etymologique des creoles franr;ais de l'Ocean Indien, 2 e Partie: Mots d'origine non-franr;aise ou inconnue. Redaction: PHILIP BAKER, BARBARA DRESEL, SoNJA FucHs, ANGELA LÄRISCH-SCHÄBITZ, sous la direction de ANNEGRET BoLLEE, Hamburg (Buske) 1993, XL+597 p. (Kreolische Bibliothek 12) Das im Jahre 1979 gefaßte Vorhaben eines etymologischen Wörterbuches der französisch basierten Kreolsprachen ist mit vorliegendem Band der sich mit gutem Grund auf eine zur Zeit besonders erforschte Region beschränkt einer Aufarbeitung einen beträchtlichen Schritt näher gekommen. Das Wörterbuch, das auf zwei Bände ausgelegt ist, deren erster den französischen Elementen gewidmet sein wird, dokumentiert damit greifbar die Fortschritte, die die Kreolistik im zurückliegenden Vierteljahrhundert gemacht hat: von ersten vereinzelten wissenschaftlich relevanten Beschreibungen hin zur Möglichkeit grundlegender Synthesen des erreichten Forschungsstandes. Zu den Inhalten des Buches: An den Beginn ist eine kurze «Presentation» (rx-xm) gestellt worden, die neben allgemeinen Fragestellungen vor allem in die Artikelstruktur einführt, es schließen sich die Listen der Transkriptionszeichen und der Titelsiglen an, gefolgt von der Bibliographie (xxm-xxxvu) und abschließend dem Verzeichnis der Abkürzungen und konventionalisierten Zeichen. Der Hauptteil umfaßt das alphabetisch geordnete Wörterbuch (1-573); ihm folgt ein Wortindex, der die phonetischen Varianten und Wortbildungen auflistet (575-97). Die Mikrostruktur der einzelnen Artikel ist übersichtlich gegliedert: Nach dem fett gedruckten Lemma mit Bedeutungsangabe (aber ohne grammatische Beschreibung) folgen graphisch etwas eingerückt die dazugehörigen Kreolwörter mit Angabe der geographischen Verbreitung und der Bedeutung im Wortlaut der jeweils mit einem Kürzel zitierten exzerpierten Originalquelle. Die Abfolge der einzelnen Herkunftsregionen der aufgenommenen Wörter ist dabei stets gleichbleibend. Es folgen die Wortbildungen (zunächst Affigierungen, dann Komposita), die eingangs ebenso mit einem eigenen graphischen Symbol hervorgehoben werden wie das am Ende eines jeden Artikels stehende Etymon, das naturgemäß mit der Angabe der jeweiligen Herkunftssprache, gelegentlich aber auch weiteren Informationen aufgeführt wird. Bei Kreolwörtern, die in älteren Quellen belegt sind, folgt nach dem Lemma eine ebenfalls durch ein spezifisches Symbol markierte Rubrik mit älteren Quellennachweisen (unter denen sich neben Kreolisch auch Regional- 4 Cf. R. APPEL/ P. MuYSKEN, Language Contact and Bilingualism, London 1987: 124ss.
