eJournals Vox Romanica 58/1

Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
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1999
581 Kristol De Stefani

Peter Stein, Untersuchungen zur Verbalsyntax der Liviusübersetzungen in die romanischen Sprachen, Tübingen (Niemeyer) 1997, 604 p. (Beih. ZRPh. 287)

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1999
C. Wittlin
vox5810241
wenn man sich hier nicht wie vor allem im phonetisch-phonologischen und morphologischen Bereich auf umfassende panromanische Darstellungen 7 stützen kann - der grundsätzliche Verzicht auf die Einbeziehung zumindest einiger salienter syntaktischer Phänomene und das Sich-Bescheiden mit einer bloßen Inventarisierung von Formen eigentlich keine gültige Option mehr sein kann. In einem kurzen Schlußwort («Conclusions», 251-56) fassen R & T noch einmal stichpunktartig jeweils besonders charakteristische Merkmale der fünf behandelten romanischen Sprachen im phonologischen, phono-graphematischen und morphologischen Bereich zusammen und erörtern die Stellung des Französischen im Gesamtbild der romanischen Sprachen und in der Beziehung zur Urprungssprache Latein. Drei Annexe - eine Tabelle verwendeter phonetischer Symbole (Annex 1) 8 , eine dem zweiten Kapitel zuzuordnende Übersicht über Diphthonge in den romanischen Sprachen (Annex 2) und eine nach den einzelnen Sprachen geordnete tabellarische Erfassung von Verbalendungen (Annex 3.1) sowie eine ebenfalls nach den einzelnen Sprachen differenzierte Darstellung der regelmäßigen Verbparadigmen (Annex 3.2) - beschließen ein in den Bereichen, die abgedeckt werden, solide gemachtes Buch, in dem mit Sicherheit ein beträchtliches Quantum an Arbeit steckt 9 und das einen im ganzen gelungenen Überblick über zentrale Gemeinsamkeiten sowie auffällige Unterschiede zwischen den fünf großen romanischen Sprachen vermittelt und die wesentlichen Entwicklungslinien aufzeigt, die sie jeweils an ihren lateinischen Ursprung zurückbinden. A. Gather H Peter Stein, Untersuchungen zur Verbalsyntax der Liviusübersetzungen in die romanischen Sprachen, Tübingen (Niemeyer) 1997, 604 p. (Beih. ZRPh. 287) Daß die Syntax das Stiefkind der philologischen Forschung ist, ist schon oft bedauert worden. Stein beginnt seine «Einleitung» (1-41) mit einer Liste von Gründen für diese Vernachlässigung und fährt dann mit Überlegungen zu «syntaktische Normveränderung versus stilistische Normabweichung» fort. Die Frage, ob sich Übersetzungen als Grundlage für Syntaxstudien eignen, schließt sich logisch an. Einflüsse von seiten des übersetzten Textes und von früheren Übersetzungen sind zweifellos Störfaktoren. Werden aber, wie dies Stein tut, genügend Materialien verarbeitet, sind - weil sich Übersetzer selten um stilistische Originalität bemühen - die resultierenden Untersuchungsresultate sicherer als solche, die auf Vergleichen von literarischen Kreationen beruhen. Da Bibelübersetzungen seit je Sondersprachen gebrauchen, hat sich Stein für einen römischen Historiker entschieden, Titus Livius, von dem ihm vierzig Übersetzungen in sechs romanische Sprachen zur Verfügung standen (14 fr., 9 it., 1 alt-kat., 6 sp., 3 neu-port., 5 neu-rum. ). Er beschreibt diese Texte bibliographisch im zweiten Kapitel (45-77). Es versteht sich, daß weder der ganze Livius, noch alle vierzig Übersetzungen gleich intensiv untersucht werden konnten. Nur Kap. 1-14 des ersten 241 Besprechungen - Comptes rendus 7 Wie z. B. H. Lausberg, Romanische Sprachwissenschaft. vol. 1-3, Berlin 1956ss., die in der Bibliographie von R & T in der spanischen Übersetzung angegeben wird. 8 Dankenswerterweise folgen R & T dem A. P. I.-Gebrauch - gerade in sprachhistorischen Darstellungen leider immer noch keine Selbstverständlichkeit. 9 Davon zeugen schon allein die insgesamt 95 Tabellen, zahlreichen Übersichten, schematisierten Darstellungen und Beispiellisten. Hinzu kommt, daß eine solche Arbeit schon aufgrund der damit beinahe notwendig einhergehenden hohen Fehleranfälligkeit zu einem aufwendigen Unternehmen geraten muß. Buches der ersten Dekade wurden unter die Lupe genommen, aber diese bieten etwa tausend Verben. Auf p. 277-604 werden diese Kapitel Satz für Satz synoptisch auf Lateinisch und in den vierzig Übersetzungen transkribiert. Während Stein mit größter Akribie Handschriften und Drucke abschrieb, konnte er ermitteln, auf welches Dutzend Übersetzungen er die intensive Bearbeitung beschränken konnte, ohne befürchten zu müssen, daß wichtige Entwicklungen ihm durch ein zu großes Sieb fallen. Seine methodischen Überlegungen zu Textkorpus, Datenerfassung und Datenaufbereitung legt er p. 31-41 vor. Lesern sei empfohlen, danach gleich die «Exemplarische Analyse eines Satzes» (104-19) zu studieren, da der Anfang des Kapitels über «Anzahl, Form und Funktion der Verben» (81ss.) einem den Mut nehmen könnte, sich durch die Statistiken hindurchzuarbeiten. Diese führen aber schon p. 95-103 zu überzeugenden Schlüssen über «Text und zeitspezifische Charakteristika» und «Sprachspezifische Charakteristika» der Übersetzungen.Das Kapitel «Die Verben in den abhängigen Satzfunktionen» (120-245) stellt große Anforderungen. Man möge zuerst solche Seiten studieren, die dem Leser näher vertraute Fragen behandeln: etwa, wie lateinische Accusativus-cum-infinitivo-Konstruktionen übersetzt worden sind (137ss., 147ss. nach verba sentiendi, 152ss. nach kausativem «faire»), oder wie Verbalperiphrasen verwendet werden (169ss., 182ss. mit «aller» und «venir»). Das kurze Schlußkapitel (246-52) beginnt mit einem «Methodischen Rückblick» - in dem Stein seine Ausgangshypothese, «Syntaktische Veränderungen lassen sich nicht am Einzelfall untersuchen, sondern nur an einer größeren Menge von Fällen, ausgehend von der Verwendungshäufigkeit der verfügbaren und miteinander konkurrierenden Möglichkeiten», als bestätigt wiederholt -, resümiert dann die wichtigsten Ergebnisse bezüglich diachronischer Tendenzen und sprachtypischer Merkmale und endet mit dem «Versuch einer (Selbst-)Kritik». Alle Leser werden mit dem Autor einig gehen, daß diese Habilitationsschrift äußerst «material- (lies zeit- und energie-) aufwendig» war. Daß es sich aber «nur um einen ersten Versuch handelt» (33), ist bestimmt eine allzu bescheidene Einstufung. Man mag Steins Antwort auf die selbstkritische Frage, «ob der Aufwand in einem angemessenen Verhältnis zum Ergebnis steht», teilen oder nicht, es steht fest, daß jeder, der ein Textkorpus für historisch-vergleichende Syntaxstudien zusammenstellen will, sich mit Steins Methode vertraut machen muß. Es könnte durchaus möglich sein, daß eine ebenso groß angelegte diachronische Untersuchung von literarischen Originaltexten andere Resultate zu Tage brächte. Dies würde aber keineswegs Steins Ergebnisse entwerten, sondern allenfalls die Diskussion über die noch unentschiedene Frage anregen, wie weit angewandte Syntax (das heißt die relative Frequenz syntaktischer Konstruktionen in Texten) von der sprachlichen Norm (dem Systemzwang) oder vom persönlichen Stil der Autoren abhängig ist. Auch Übersetzer können ihren eigenen (Syntax-) Stil haben, und die Geschichte der (nationalen) Übersetzungsstile ist möglicherweise von der Geschichte der literarischen Stile unabhängig. Dies stellt die Repräsentativität sowohl von Übersetzungen als auch von Originaltexten für das syntaktische System einer Sprache sehr in Frage. Eines aber steht außer Zweifel: Mit dem Abdruck seiner Sammlung von Texten hat uns Stein ein vielfältig verwertbares Forschungsmaterial zur Verfügung gestellt. Die über dreihundert Seiten Parallel-Texte können bestens für allerlei Studien und Seminarübungen verwendet werden. Die synoptische Darstellung erleichtert es, z.B. das Auftauchen von Latinismen zu beobachten. Patria findet sich in den Sätzen 1: 8 und 9: 15; Penates in Satz 1: 9 (eine frühe rum. Übersetzung zeigt «Penati», drei spätere aber «zeii casei», vielleicht weil sie von einer älteren it. Übersetzung beeinflußt sind: «Iddij familiari»); opulens in den Sätzen 2: 3 und 3: 3 (zunächst glossiert: fr. «puissant et opulente»; nicht im Rum.; der Latinismus wurde im zweiten Satz viel seltener gebraucht); opimus in 10: 6 und 10: 7 (außer in den frühesten Übersetzungen durchgehend fr. «opimes», sp. «opimos» [Ausnahme 1987: «grandes»], port. «opimos», it. «opime» [Ausnahme 1972: «ricche»], aber rum. 1860: «spoliele opime», rum. 1959 und 1976: «trofee»). 242 Besprechungen - Comptes rendus Umgekehrt kann auch die Nicht-Annahme von Latinismen beobachtet werden. Cf. z.B. blanditiae im Satz 9: 16 («les blandices» nur in der ersten fr. Übersetzung und zweimal in deren Druck von 1514; it. «blandizie» nur 1952); antistites im Satz 7: 14 (erste fr. Übersetzung «evesques et chappelains», die zweite von 1548 «Antistites», spätere «ministres du culte» und Ähnliches; die meisten it. Übersetzungen: «sacerdoti», aber die von 1952: «antistiti»); armillae in 11: 8 (erste fr. Übersetzung und deren Druck «armilles», imitiert von alt-kat. «armilles» und alt-sp. «armillas»; später in sp., port. und it. Übersetzungen: «manillas, manilhas» oder «maniglie», aber it. 1952: «armille»); incolume in den Sätzen 3: 1 und 3: 2 (nur sp. 1982 wiederholt «incólume»; port. 1902 nur im ersten Satz «incolume»; it. 1952, 1982 und 1984: «incòlume» jeweils nur im zweiten Satz). Dank Steins Materialfülle kann man sich darin üben zu untersuchen, welche früheren, auch anderssprachigen, Übersetzungen gewisse denkfaule Übersetzer beeinflußt haben. Satzkonstruktionen (Syntax! ) bieten hier sicherere Indizien als die Wortwahl, da Übersetzer gerne ihre «Plagiate» durch Auswechseln von Synonymen vertuschen. Hier Beispiele zu geben, ist nicht möglich, eben weil Beobachtungen zum Satzbau viel Platz beanspruchen; gewiß einer der Hauptgründe, weshalb Syntax das Stiefkind der historisch-vergleichenden Philologie ist und - trotz elektronischer Datenspeicherung und -verarbeitung - bleiben wird. Weiter auf dieses Thema einzugehen, wäre auch unangebracht: Es würde von der Arbeit Steins ablenken. Es möge ihn aber freuen zu sehen, daß sein beeindruckendes und wertbeständiges Buch weit über das Thema der Verbalsyntax hinaus Anregungen geben kann. C. Wittlin H Alberto Vàrvaro, Apparizioni fantastiche. Tradizioni folcloriche e letteratura nel medioevo: Walter Map, Bologna (Il Mulino) 1994, 252 p. Alberto Vàrvaro gehört zu den immer seltener werdenden Romanisten, deren Interesse gleichermaßen der Linguistik, der Philologie und der mittelalterlichen Literatur gilt. Das hier anzuzeigende Buch ist mit dem letzten dieser Bereiche befaßt, genauer mit der literarischen Gestaltung von volkstümlichen Stoffen, die das Hereinragen von Übernatürlichem in die reale Welt zum Thema haben, bei Autoren des 12. Jh. Im Zentrum steht die Sammlung von Erzählungen und Anekdoten, die den Titel De nugis curialium (= DNC) trägt, das nicht zu einer definitiven Redaktion verarbeitete Werk des englischen (genauer: walisischen) Hofmanns Walter Map, der 1209 oder 1210 gestorben ist. Ein Anhang («Appendice», 217- 27) gibt Auskunft über alles, was zu Person, Werken und Umfeld dieses Autors bekannt ist. Das Anliegen des Buches, das aus einer Vorlesung entstanden ist, die der Autor im akademischen Jahr 1991/ 92 an der Universität Neapel gehalten hatte, ist in erster Linie ein kulturhistorisches: Anhand der Erzählungen Walters, die Begegnungen mit Übernatürlichem enthalten, soll der Übergang von volkstümlichem Erzählgut aus der Mündlichkeit in die Schriftlichkeit illustriert werden, ein kulturgeschichtlicher Prozeß, den Verf. wesentlich im 12. Jh. angesiedelt sieht. In acht Kapiteln, eingerahmt von einer «Introduzione» (7-19) und einer «Conclusione» (195-213), geht Verf. dem Thema der literarischen Verarbeitung mündlich überlieferter Stoffe durch Walter Map nach. Die Verknüpfung von Geschichte und Legende, von Realem und Irrealem oder Übernatürlichem, von Christlichem und Heidnischem, von Antikem und Zeitgenössischem wird anhand der interpretierten Texte von Walter Map, zuweilen auch solcher anderer Autoren des 12. Jh. (etwa Johannes de Alta Silva,Autor des Dolopathos), analysiert. Bei der Fülle der besprochenen Episoden ist eine detaillierte Behandlung der einzelnen Kapitel im Rahmen einer Rezension nicht möglich. Wir greifen nur Einzelnes heraus. 243 Besprechungen - Comptes rendus