eJournals Vox Romanica 58/1

Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
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1999
581 Kristol De Stefani

Dante [Alighieri], OEuvres complètes. Traduction nouvelle sous la direction de Christian Bec. Traductions et notes de Christian Bec, Roberto Barbone, François Livi, Marc Scialom et Antonio Stäuble, Paris (Librairie Générale Française) 1996, 1024 p. (La Pochothèque)

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1999
R.  L.
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Dante [Alighieri], Œuvres complètes. Traduction nouvelle sous la direction de Christian Bec. Traductions et notes de Christian Bec, Roberto Barbone, François Livi, Marc Scialom et Antonio Stäuble, Paris (Librairie Générale Française) 1996, 1024 p. (La Pochothèque) Das gewichtige Taschenbuch, das hier angezeigt werden soll, verdient in mancher Hinsicht die Aufmerksamkeit der Fachwelt. Zunächst darf man sich darüber freuen, daß hier erstmals wieder, seit der schwer verständlichen Übersetzung von André Pézard aus dem Jahre 1965 (cf. p. 596, «l’absconse et géniale traduction d’André Pézard»), die Gesamtheit der Werke Dantes in französischer Sprache in einem Band präsentiert wird. Ferner legen die Übersetzer Texte vor, die in ihrer sprachlichen Form einen direkten Zugang zu den Originalen erlauben. Die Qualitäten der Übersetzung im Einzelnen zu werten, kann und will sich die Rezensentin, die nicht französischer Muttersprache ist, nicht anmaßen. Dennoch soll versucht werden, einen Eindruck zu vermitteln von den Zielen, die die Mitarbeiter der vorliegenden Ausgabe sich gesteckt haben, und von den Erträgen ihrer Arbeit. Die Herausgeber sind sehr zurückhaltend in bezug auf Auskünfte über ihre Arbeitsweise und die Konzeption, die hinter der Ausgabe steht. Eine Einleitung («Avant-propos», 9- 20) orientiert in konziser Form über die Lebensumstände Dantes, die historische Situation und die Einbettung der einzelnen Werke Dantes in diesen Rahmen. Die «Bibliographie sommaire» (21s.) verzeichnet einige bibliographische Studien, die wichtigsten Werkausgaben (hier fehlen die Namen der Herausgeber, was besonders - aber nicht nur - bei der maßgeblichen kritischen Ausgabe von Giorgio Petrocchi 1966s. störend wirkt), die bisherigen französischen Übersetzungen und eine (bei der Flut der critica dantesca notwendigerweise beschränkte) Auswahl aus der Sekundärliteratur. P. 23s. folgt eine nützliche chronologische Übersicht über die Lebensdaten Dantes. Hilfreich für den Leser sind ebenfalls die schematischen Darstellungen der danteschen Kosmologievorstellungen. P. 597 illustriert die für das Paradiso konstitutive Ordnung der um die Erde konzentrisch angeordneten Himmel, vom Mondhimmel bis zum Primo mobile, mit dem alles umfassenden Empireo, dem immateriellen Sitz Gottes und der Seligen. Auf der folgenden Seite (598) erläutern eine coupe de la terre und eine coupe générale de l’Enfer et classification des péchés Dantes Vorstellung von der Topographie der Erde, der Hölle, des Purgatoriums und von der Verteilung der Sünder auf die verschiedenen Höllenkreise. Willkommen wäre auch ein entsprechendes Schema für das Purgatorium gewesen. Ein schwieriger Entscheid lag für die Herausgeber darin, wie weit sie im Bereitstellen von Verständnishilfe für den Leser in der Form von Anmerkungen gehen wollten. Grundsätzlich haben sie dieses Problem in einer vernünftigen Weise gelöst, indem sie in äußerst knapper Form Erklärungen zu Sachlichem (Historisches, Mythologisches, Philosophisches etc.), Quellenangaben zu Zitaten, seltener Erläuterungen zu einer bestimmten Übersetzung liefern, wo es ihnen nötig scheint. Sicher ist keine Anmerkung überflüssig; eher wird man da und dort eine fehlende Erklärung vermissen. Ich kann mir zum Beispiel nicht vorstellen, was ein Leser mit der Aussage im 7. Kapitel des 1. Buches von De vulgari eloquentia anfängt, die in der französischen Übersetzung lautet: «Mais, en s’inspirant du proverbe ‹tu ne monteras à cheval avant la troisième fois›, on pourrait dire que tu préféras, malheureuse, monter sur un malheureux cheval . . .» (393). Hier wäre ein Hinweis auf die mögliche (allerdings nicht bewiesene) Deutung des Sprichwortes als Anspielung auf mittelalterliches Schulwesen (beim dritten Vergehen wird der Fehlbare bestraft, wobei das «Reiten» seine Stellung auf einem anderen Schüler oder einem Bock [ital. cavalletto] meint; cf. den Kommentar zur Stelle bei Mengaldo 1979) angezeigt. Besonders schwierig ist der Entscheid für oder gegen eine Anmerkung im Falle der Divina Commedia. Bei der Komplexität des Textes und der Umstrittenheit vieler Lesarten 246 Besprechungen - Comptes rendus könnte ein Herausgeber versucht sein, den Leser mit einer Flut von Anmerkungen zu versorgen. Daß die für die vorliegende Ausgabe Verantwortlichen das nicht getan haben, ist sicher positiv zu werten. Allerdings würde man eine Information über die grundsätzlich befolgte Strategie begrüßen. Zum Beispiel wird Inf. 5/ 96, « . . . tant que le vent, comme à présent, se tait . . . », offensichtlich die Lesart si tace zugrunde gelegt, während die kritische Ausgabe von Petrocchi, die man nach der Bibliographie p. 21 als Ausgangstext annehmen muß, ci tace hat. Offensichtlich haben die Herausgeber es als zu kompliziert und einer Taschenbuchausgabe nicht angemessen betrachtet, den Leser über ihr Vorgehen in diesem und ähnlichen Fällen zu orientieren. Während gegen dieses Verfahren nichts einzuwenden ist, erscheint mir eine Praxis, die vor allem in der Übersetzung des Traktats De vulgari eloquentia auffällt, philologisch problematisch. Hier wird verschiedentlich in den Text der Übersetzung integriert, was eigentlich Inhalt einer Anmerkung sein müßte. So heißt es p. 398 (De vulg. I/ ix) «Ce fut là le point de départ des inventeurs de la grammaire (c’est-à-dire du latin) . . . » als Übersetzung von «Hinc moti sunt inventores gramatice facultatis . . . ». Im unmittelbar folgenden Kapitel x spielt Dante mit der Periphrase «Biblia cum Troianorum Romanorumque gestibus compilata» höchstwahrscheinlich auf die Histoire ancienne jusqu’à César an, vielleicht aber zusätzlich auch auf die oft in den Manuskripten mit dieser vereinigten Fet des Romains (cf. den Kommentar von Mengaldo zur Stelle). Selbst wenn Dante nur die Histoire ancienne gemeint haben sollte, wäre es unzulässig, den von ihm nicht genannten Titel, gefolgt von einem erklärenden Zusatz in Klammern, in die französische Version zu setzen, wie das hier p. 398s. geschieht: « . . . à savoir l’Histoire ancienne jusqu’à César (basée sur la Bible et sur les gestes des Troyens et des Romains) . . . ». Das erklärte Hauptziel der vorliegenden Ausgabe, dem französischsprachigen Leser eine genaue und lesbare Übersetzung der Werke Dantes zu bieten (cf. p. 22), darf aber trotz punktueller Vorbehalte als erreicht bezeichnet werden. Das gilt für die Prosa wie für die Dichtung. Eine besondere Herausforderung stellt natürlich die Übersetzung der Divina Commedia dar. Marc Scialom, der diese Aufgabe übernommen hat, betont in seiner «Note sur la traduction» (595s.), daß nebst der Lesbarkeit des Textes die Treue zum Original («la redoutable exigence du poème d’être écouté d’abord . . . à sa lointaine source», 596) seine Zielvorstellung war. Wie schwierig diese Aufgabe in der Praxis ist, wird jeder anerkennen, der sich je mit dem Text der Divina Commedia auseinandergesetzt hat. Vollends die Wiedergabe der spezifisch dichterischen Qualitäten des Originals («rendre perceptible la force poétique d’un tel texte», 595) ist ein Anspruch, den auch die beste Übersetzung nicht einlösen kann. Vergleicht man aber die Resultate Scialoms mit denen früherer Übersetzer, etwa Pézard 1965 oder (für das Inferno) Jacqueline Risset 1985, wird man ohne Zweifel eingestehen, daß seine Leistung einen wesentlichen Fortschritt bedeutet. Gesamthaft darf die neue französische Dante-Ausgabe als gelungenes und willkommenes Resultat der Zusammenarbeit kompetenter Interpreten und Übersetzer bezeichnet werden. R. L. H 247 Besprechungen - Comptes rendus