Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
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1999
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Kristol De StefaniGratiani Decretum. La traduction en ancien français du Décret de Gratien, édition critique par Leena Löfstedt, 4 vol., Helsinki (Societas Scientiarum Fennica) 1992-97, 213 + 276 + 275 + 224 p. (Commentationes Humanarum litterarum 95, 99, 105, 110)
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1999
St. Dörr
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Gratiani Decretum. La traduction en ancien français du Décret de Gratien, édition critique par Leena Löfstedt, 4 vol., Helsinki (Societas Scientiarum Fennica) 1992-97, 213 + 276 + 275 + 224 p. (Commentationes Humanarum litterarum 95, 99, 105, 110) Die Concordantia Discordantium Canonum, auch Gratiani Decretum genannt, stellt eine Sammlung kirchlicher Gesetze dar, die von einem Kanonisten namens Gratian verfaßt worden war. Von dessen Lebensumständen ist wenig bekannt. Sicher ist nur, daß er um 1140 Kirchenrecht in Bologna lehrte. Das nach ihm benannte Decretum bildet eine systematische, nach Themen geordnete und in Frage- und Antwortform aufgebaute Zusammenstellung des Kirchenrechts, deren letzte Redaktion auf ca. 1140 zu datieren ist 1 . Der von Frau Löfstedt edierte altfranzösische Text ist in vier Bänden 1992, 1993, 1996 und 1997 erschienen und umfaßt insgesamt 962 Seiten (! ) (DEAF-Sigel: GratienbL). Da weder Einleitung noch sprachliche Erläuterungen noch Glossar vorliegen, ist eine wissenschaftliche Bewertung des Textes kaum möglich. Geplant sind noch drei weitere Bände, wann diese erscheinen werden, ist aber unklar 2 . Somit muß man sich weiterführende (zum Teil aber divergierende) Informationen aus Zeitschriftenaufsätzen der Herausgeberin zusammensuchen 3 . Der Text ist auf ca. 1170 zu datieren; er wird von der Handschrift Bruxelles BR 9084 überliefert, die auf das 13. Jahrhundert zu datieren ist (cf. auch N3). Die Sprache des Autors ist anglonormannisch, die des Kopisten verweist auf das Gebiet um Orléans oder auf den Südwesten der Champagne. Als Übersetzer möchte Frau Löfstedt den Erzbischof von Canterbury, Thomas Becket, ausmachen. Es gibt viele Indizien, die diese Zuordnung rechtfertigen (so die Verteilung der Dialektmerkmale: agn. für den Autor, Südwesten der Champagne, bzw. Orléans für die Sprache des Kopisten [Thomas war 1166-70, also zum Zeitpunkt der Entstehung der Übersetzung, im Exil in Pontigny]; ebenso die Tatsache, daß sich in Briefen, die auch in der gereimten Biographie des Erzbischofs durch Garnier überliefert sind [= SThomGuern], Passagen des Decretum finden; etc.). Vorsicht sollte man aber walten lassen, wenn es darum geht, anhand des Vokabulars den Text in das juristische Umfeld Englands zu stellen. Ein Beispiel aus Frau Löfstedts Aufsatz «La traduction de Gratian en ancien français et le monde des Plantagenêts» 4 : «Dans le droit fr. continental, rat ne semble avoir que le sens de viol ( femme efforcier , cf.T-L s. col. 330, 39s., auquel on peut ajouter Est. S. Louis I 27, Raz si est fame efforcier)». Im Gegensatz hierzu möchte Frau Löfstedt rat mit der Bedeutung «Frauenraub behufs Ehe» auf das anglonormannische Sprachgebiet beschränken. Diese Aussage ist zu korrigieren: 1. T-L 8: 330 gibt als Definition «Entführung», das nicht durch «viol» wiedergegeben werden darf. Die Anspielung auf femme efforcier bezieht sich auf zwei Belege: Beauman 1 . 30,95 (= pikardisch 1283, BeaumCoutS 926) und RoisinM §171. Der größere Kontext in BeaumCout zeigt, daß es sich um Frauenraub handelt. 2. DC 7, 17b verzeichnet weitere sichere kontinentale Belege für lt. raptus Raub ; auch wenn hier zugegebenermaßen nicht von Frauen die Rede ist, so ist zumindest dieses Beispiel untauglich. Die Edition folgt der vom lateinischen Original vorgegebenen Ordnung, die sich wie folgt auf die Bände verteilt: Distinctiones, vol. 1; Causae 1-14, vol. 2; Causae 15-29, vol. 3; Causae 30-36 und De Consecratione, vol. 4. Leider ist nicht ganz ersichtlich, nach welchen 262 Besprechungen - Comptes rendus 1 LexMa 4: 1658; alle verwendeten Sigel sind die des DEAF. 2 Schreiben vom 21.5.1993. 3 Zuletzt: «Etude syntaxique de la traduction française du Décret de Gratien», NM 99 (1998): 313-39 (woher «Ende 13. Jh.» für das Datum der Hs.? ); «La vie de S. Thomas Becket par Garnier de Pont-Sainte-Maxence», NM 98 (1997): 161-77; der ausführlichste Beitrag ist: «Une traduction médiévale française du Décret de Gratien», VRom. 48 (1989): 108-43; siehe auch die positive und gehaltvolle Besprechung durch Pierre Hamblenne, Scriptorium 50 (1996): 213-18. 4 NM 93 (1992): 325-36; besonders p. 328. Einheiten zitiert werden soll. Für Distinctiones wohl D + Nr., Kanon (c) + Nr., Zeile, also: D79 c2,9; für Causae C + Nr., Q + Nr., Kanon (c) + Nr., Zeile, also: C1 q1 c28,1 (cf. vol. 2, «Note de l’éditeur»), aber auch C33 q3 d1 c1,2. Wie aber für den De consecratione genannten Teil (vol. 4: 165ss.), für den die Herausgeberin das gleiche Sigel (D) wie für die Distinctiones gewählt hat (manchmal kursiv, manchmal nicht [D1; D43])? Der Text ist entsprechend den heute üblichen Regeln ediert, die Foulet/ Speer 5 dargelegt haben, und macht eine zuverlässigen Eindruck 6 . Eine kursorische Lektüre zeigt, daß das Alter und die Textsorte GratienbL aus lexikographischer Sicht zu einer wahren Fundgrube machen. Hier nur einige Beispiele für Erstbelege: septuagesime, D 1 c55,4, zu FEW 11: 484b: erster Beleg Ende 12. Jh.; hoitieves de noel, D3 c1,6, zu FEW 7: 303b: erster Beleg ca. 1210; Asforismes, D5 c29,12, erster Beleg ca. 1270, IntrAstrD II 2, FEW 25: 6b; libelle, C2 q8 c5,9; 12; 18; etc., zu FEW 5, 296a: erster Beleg 1283 (BeaumCout); restitution, C3 Grat. 1; 12; C3 q1 Grat.1; etc., zu FEW 10: 324a: erster Beleg 1251; procurateur, C3 q1 c2,20, zu FEW 9: 416b: erster Beleg 13. Jh. (1180, BarbProc 1,97: SEvroulD, zu korrigieren, cf. DEAFBibl; Städtler, ZRPh. 111 [1995] 295-99); induces, C3 q2 c5,1, zu FEW 4: 655b: erster Beleg ca. 1224; subscripcion, C3 q3 c3,33, zu FEW 12: 352a: erster Beleg 1389; (fill) adoptif, C30 q3,1, zu FEW 24: 176b: erster Beleg 13. Jh.; (chose) venial, C32 q2 c2,20, zu FEW 14: 239b: erster Beleg 13. Jh. Wir wünschen dem Text und seiner Herausgeberin das baldige Erscheinen der fehlenden Bände, damit alle Schätze geborgen werden können. Wichtigstes Hilfsmittel wird ein ausführliches Glossar sein, das den Wortschatz in die Geschichte der französischen Sprache integriert und ein vollständiges Textverständnis ermöglicht. Mit Freude haben wir zur Kenntnis genommen, daß sich Takeshi Matsumura dieser umfangreichen und verantwortungsvollen Aufgabe stellen wird. St. Dörr H La copie de Guiot fol. 79v-105r du manuscrit f.fr. 794 de la Bibliothèque Nationale. «li chevaliers au lyeon» de Crestien de Troyes, édité par Kajsa Meyer, Amsterdam/ Atlanta (Rodopi) 1995, 342 p. + Faksimile (Faux Titre. Etudes de langue et littérature françaises 104) Chrétien de Troyes ist und bleibt Gegenstand philologischer Fingerübungen. Das jüngste Opus, das sich seinem vierten Werk, dem Yvain, widmet, stammt aus der Feder von Kajsa Meyer (DEAF-Sigel: YvainM). Hierbei handelt es sich nicht - wie der Titel vermuten ließe (. . . éditée par . . .) - um eine kritische Edition, sondern um einen rein diplomatischen Abdruck des Textes nach der Handschrift B. N. fr. 794, die der Fachwelt als Guiot-Handschrift bekannt ist. Die Herausgeberin definiert eindeutig ihr Ziel: « . . . je me suis proposé une tâche provisoire et par beaucoup plus modeste: celle de publier la reproduction et la transcription d’un seul manuscrit, celui du copiste Guiot, dont les mérites ont été souvent exagérés mais qui constitue, incontestablement, un document de premier ordre . . . » (8). Diese Aufgabe wäre aller Ehren wert, verfügten wir nicht schon über zwei Ausgaben der Guiot-Fassung des Textes, die Mario Roques 1960 (YvainR) und William K. Kibler 1985 (YvainK) besorgt haben. Von der ersten ist weder im «Avant-Propos» (7s.) noch in der materiellen und philologischen Beschreibung der Handschrift die Rede. Erst im Kapitel «Les éditions 1887-1994» (323-28) findet sich ein Kommentar. Wir zitieren: «Le sommet du 263 Besprechungen - Comptes rendus 5 A. Foulet/ Mary B. Speer: On Editing Old French Texts, Kansas 1979. 6 Warum m’lt und lb’ nicht aufgelöst werden, ist nicht klar (trotz vol. 1: 2); ruile, ruille D3 c1-2,1; 3 l. riule, bzw. riulle, cf. Stone 652a; wie ist die Passage in C2 q7 c58,1-3 zu verstehen?
