eJournals Vox Romanica 58/1

Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
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581 Kristol De Stefani

Ronald Landheer/Paul J. Smith (ed.), Le paradoxe en linguistique et en littérature, Geneve (Droz) 1996, 240 p.

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Simone  Roggenbuck
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s. m. cépage de la Savoie (Littré, Suppl.: 91c), das in seiner Vitalität noch in TLF 6: 172 ( cépage à raisins noirs, cultivé dans le sud-est de la France ) bezeugt wird. Hinsichtlich der Mikrostruktur ist vielleicht ein Kritikpunkt am offenkundigsten, und das ist die Beschreibung von Status und Verbreitung der Materialien. Handelt es sich um Regionalismen oder überregionale Fachtermini, und wenn das erste zutrifft, wo sind diese regional begrenzten Termini beheimatet? Die Antwort auf diese Frage geht zwar häufig aus den Zitaten hervor, aber man hätte sich der Übersichtlichkeit halber eine explizite, graphisch abgehobene Rubrik in der Mikrostruktur gewünscht, um diese Information in systematisierter Form vorliegen zu haben. Nur bei den angesprochenen synonymischen Bedeutungs-/ Sachbeschreibungen wird immer in der Definition auf das Verbreitungsgebiet verwiesen. Auch diachrone Markierungen, d. h. der Verweis auf durch das Schwinden der Sache bedingte Alterungsprozesse von Termini (wie z. B. bei abouriou [Zitat 1], carmenère oder malbec), hätten deutlicher vergeben werden und nicht nur durch Zitate erschließbar sein sollen. Die Etymologie wird verständlicherweise nur im Sinne der «etimologia prossima» beschrieben, was mit sich bringt, daß der Bezug auf das FEW z. B. bei Italianismen wie carcajolo (102) fehlt. Die Querverweise sind nicht immer vollständig, vor allem in der Gruppe der älteren Zitate; es fehlen z. B. Verweise auf Belege für: muller thurgau (31 s. abondant), macabèou (46 s. aramon), (petit) meslier (49 s. arbois, 54 s. aubaine) etc. Manchmal entgehen so Varianten: chalosse noire (38 s. alicante), plant de Chypre (42 s. altesse), plantde-dame (52 s. arruf(f)iac) etc. Selten fehlt auch schon einmal ein Verweis auf eine lexikographische Quelle, so s. bouteillan (Littré, Suppl.: 49c). Das Wörterbuch überzeugt trotz der ein oder anderen Kritik im Detail in seinen Grundstrukturen rundum: auf der Basis einer reichhaltigen Mikrostruktur liefert es eine durch seinen Materialreichtum ebenso wie durch die ausgewogene und kritische etymologische Diskussion bestechende lexikographische Aufarbeitung. Wenn auch die historische Perspektive dieses Terminologiesektors vertieft werden kann, so verfügt man mit dem jetzt vorliegenden Werk über eine zuverlässige Inventarisierung des gegenwärtigen Sprachgebrauchs. J. Lengert H Ronald Landheer/ Paul J. Smith (ed.), Le paradoxe en linguistique et en littérature, Geneve (Droz) 1996, 240 p. Die von Ronald Landheer und Paul J. Smith herausgegebene Aufsatzsammlung bietet viele verschiedene Lösungsansätze zum für Logik und Semantik gleichermaßen «anstößigen» Problem des Paradoxons. Die überwiegende Zahl der Aufsätze befaßt sich mit dieser linguistisch-logischen Seite des Paradoxons, ein gutes Drittel mit philologischen Beiträgen zu Paradoxa in der Literatur. Den gemeinsamen Hintergrund der linguistischen Beiträge bilden Autoren wie Ducrot, Martin, Rastier, Russell, Sperber/ Wilson, um nur einige zur Orientierung zu nennen. Die gemeinsame Fragestellung ist: Wie kann die aus der Widersprüchlichkeit sich herauskatapultierende Sinnwirkung des Paradoxons erklärt werden? Kann «Wahrheit» der natürlichen Sprache in logischen Begriffen erfaßt werden? Was können die linguistischen Ansatzpunkte Denotation, Konnotation, Ko(n)text der logischen Beschreibung entgegensetzen? Wie lassen sich die Ansätze kombinieren? Hierfür werden mit unterschiedlicher Fokussierung unterschiedlich weitreichende Antworten geboten, über die ein kurzer Überblick folgt, bei dem auch die literaturwissenschaftlichen Beiträge nicht fehlen sollen. Das autoreflexive Paradoxon des Lügners macht Béatrice Godart-Wendling (« Je mens : Histoires sémantique et logique d’un paradoxe») zum Prüfstein für die Angemes- 310 Besprechungen - Comptes rendus senheit logischer Semantik für natürliche Sprachen. Die logischen Ansätze von Russell über Kripke und Strawson bis Martin scheitern nach Godart-Wendling an diesem Paradoxon, weil es sie entweder zum Schluß der Absurdität veranlaßt (Russell) oder zum Schluß auf Mängel in der Wahrheitsprädikation natürlicher Sprachen (Kripke) oder zum Postulat der inexistenten Proposition (Strawson, Martin). Obwohl Russell bereits zur Lösung des Paradoxons einen Wahrheitswert zweiter Ordnung einführt, Kripke die Reflexivität natürlicher Sprachen einbezieht, und Strawson neben einer zitathaften Reflexivität auch den Identifikationswillen des Redepartners des «Lügners» einbezieht, gelingt es nicht, die Oszillation der Wahrheitswerte im «je mens» anzuhalten. Godart-Wendling schlägt deshalb zur Auflösung des Paradoxons ein linguistisches Modell vor, das die katapultartige Zickzackbewegung des Paradoxons einbezieht, die einer binären Formalisierung nach Wahrheitswerten entgehen muß. Hierzu werden drei Größen eingeführt, die in den logischen Modellen nicht erscheinen: 1.) die Zeit, in der sich das Wechseln der Wahrheitswerte vollzieht, und mit der die einfache Widersprüchlichkeit des Paradoxons in eine Oszillation übertritt, 2.) der Gesprächspartner des «Lügners» und dessen «Wille zur Wahrheit» (présomption de vérité), der überhaupt erst den Nachvollzug des Paradoxons auslöst («Wenn es wahr ist, was er sagt, dann . . . »), und 3.) eine Metaebene des interprétant, der die Oszillation von außen betrachtet, ihre Schritte nachvollzieht und das Paradoxon lösen kann. Dies ist ihm aber nur möglich, wenn er von der Prämisse ausgeht, daß der Lügner lügt und der Zuhörer an die Wahrheit der Aussage glaubt. Unter dieser Voraussetzung läßt sich das Paradoxon schrittweise hin zur Stabilisierung des Wertes «wahr» auflösen. Das Paradoxon des Lügners ist deshalb, so die Schlußfolgerung, kein Beleg für eine mangelhafte Wahrheitsprädikation natürlicher Sprache. Und damit gelingt es Godart-Wendling, von logischer Seite kommend, eine Brücke zu schlagen zwischen der Absurdität dieses Paradoxons für die zweiwertige Logik und der sprachlichen Erfahrung, daß es paradoxen Sinn gibt, nämlich dort, wo ein hermeneutischer Wille sich in der Zeit entfalten kann und nicht auf einen a-zeitlichen Binarismus beschränkt wird. Der Beitrag zum «paradoxe de l’imperfectif» von Anne Reboul beschäftigt sich mit dem (nicht im strengen Sinne paradoxen) Phänomen, daß bei den verbes d’accomplissement, im Gegensatz zu den verbes d’achèvement, für den Imperfektiv nicht dieselbe Implikationsanalyse angewendet werden kann wie für den Progressiv: Während der Progressiv-Satz (a) Marie est en train de construire une maison als dann und nur dann wahr gelten kann, wenn zugleich gilt (b) Marie construit une maison, gilt dies für den Imperfektiv-Satz (c) Marie était en train de construire une maison nicht: er impliziert nicht, daß (d) Marie a construit une maison wahr ist. Ursache ist der ontologische Aspekt, daß aus einem accomplissement nicht zwingend die Existenz des produit accompli abgeleitet werden kann. Diese Widersprüchlichkeit stellt die Analysemethode in Frage. Die von Dowty vorgeschlagene Lösung der monde d’inertie, in der sich der Verlauf von Progressiv und Imperfektiv gleichermaßen immer zum achèvement vervollständigt (im Gegensatz zur monde réel), ebenso wie die von Parsons vorgeschlagene Lösung, daß der Wahrheitswert eines Progressiv-Satzes nicht von der Vollendung, sondern nur vom Anhalten der Tätigkeit abhänge, bergen für Reboul zu viele Unwägbarkeiten. Sie schlägt deshalb eine Unterscheidung von état initial und état final vor. Für den état initial ergeben sich für (c) und (d) gleiche Implikationsmengen. Für den état final unterscheiden sich die Implikationsmengen mindestens dadurch, daß die Existenz des objet accompli von (c) nicht impliziert wird, während dies für (d) der Fall ist. Der Progressiv wirkt für den Endzustand also vergleichbar einem zeitlichen Modifikator oder einem Modifikator des Typs faux, pseudo-, jouet etc. Der Vorteil dieses Implikationsmengen-Ansatzes liegt darin, daß problematische Definitionen des «Ereignisses» und der Extension (von Progressiv vs. Non-Progressiv) umgangen werden können. Unhinterfragt bleibe aber auch bei diesem Ansatz, so Reboul, noch die einem accomplissement stets unterstellte Kausalität. 311 Besprechungen - Comptes rendus Das Versprechen als paradoxen Sprechakt analysieren Franc Schuerewegen und Liliane Tasmowski-De Ryck («Paradoxe de la promesse: l’exemple de Dom Juan»). Im Anschluß an Searle und Vanderveken werden folgende Charakteristika des Versprechens herausgearbeitet: das Versprechen ist die Antwort auf eine (unausgesprochene) Bitte; formal unterscheidet sich das Versprechen nicht von der behauptenden Aussage (i.d.R. Futur), inhaltlich-psychologisch unterscheiden sie sich jedoch dadurch, daß in der Behauptung die Herbeiführung eines zukünftigen Zustandes als sicher angenommen wird, während das Versprechen als eine den Sprecher auf seine Intention, einen bestimmten Zustand herbeizuführen, verpflichtende «Aussage» bereits einen Zweifel an der Möglichkeit der Erfüllung des Versprochenen impliziert. Versprechen beinhaltet also einerseits Verpflichtung zur Erfüllung des (antizipierten, unausgesprochenen) Wunsches des Gegenübers, andererseits die Gewärtigung der Möglichkeit des Scheiterns dieser Wunscherfüllung - Garantie und Befürchtung.Am Beispiel der Variationen des Versprechens in Molieres Dom Juan werden die paradoxen Pole des Versprechens in den Personen verankert. Die Wunscherfüllung situiert sich beim Gegenüber («c’est l’autre, la femme séduite, qui s’est pour ainsi dire promis une promesse»): das ausgesprochene (Heirats-)Versprechen des Dom Juan ersetzt bereits (nahezu) die reale Wunscherfüllung. Der versprechende Dom Juan jedoch ist sich der Unwahrscheinlichkeit der Einhaltung des Versprechens bewußt. Die logische Folgerung müßte m. E. dann sein, daß die sincérité als definitorische Eigenschaft des Versprechens immer nur graduell sein kann, denn die Nichterfüllung der Intention wird bereits immer mitgedacht. Der Übergang zur Lüge wird damit fließend. Mariana Tutescu schlägt mit «Paradoxe, univers de croyance et pertinence argumentative» eine im Anschluß an Martin und Lupasco geformte Ablösung der zweiwertigen Logik durch ein dreiwertiges Modell von Glaubensuniversen vor. Sprachliche Wahrheit definiert sich über die Entscheidbarkeit eines Satzes innerhalb eines Glaubensuniversums. An der katapultartigen Sinnwirkung des Paradoxons in der Rede sind drei Glaubensuniversen in einer «Polyphonie» (Ducrot) beteiligt: eines, das die Proposition als real oder möglich («wahr») bestätigt, ein zweites, das die Proposition als irreal («falsch») beurteilt, und schließlich ein drittes heterogenes Glaubensuniversum, das die signification implicative du «non-dit», d. h. das raisonnement (wie bei Godart-Wendling) ermöglicht. Letzteres erzeugt jenseits der Widersprüchlichkeit der beiden ersten Universen und jenseits der reinen Information eine force argumentative supérieure (pertinence argumentative im Sinne von Wilson/ Sperber), einen Metalogismus. Zur logischen Erforschung dieses Metalogismus empfiehlt Tutescu das Modell der dynamischen (dreiwertigen) Logik von Lupasco. Ronald Landheer («Le paradoxe: un mécanisme de bascule») konstatiert auf der Basis der den Paradoxa zugrundeliegenden Sinnrelationen vier Typen, denen auf verschiedene Weise jeweils ein Binarismus zugrundeliegt, der über einen Ko(n)text in einem tertium aufgelöst wird. Als Prototyp des Paradoxons gilt Landheer das antonymische Paradoxon, wie z. B. Less is more. Im interpretativen Prozeß erfolgt zunächst eine Dissimilation auf denotativer Ebene (das für less und more gemeinsame Denotat «materiell» wird abgelöst durch «materiell» für less bzw. «immateriell» für more), an die sich eine Assimilation auf konnotativer Ebene anschließt (die verschiedenen Konnotate «negativ» für less und «positiv» für more werden auf Basis der denotativen Uminterpretation von einem gemeinsamen Konnotat «positiv» abgelöst). Der Kontext ermöglicht es, interpretativen Sinn aus denotativem Widersinn zu erzeugen. Zweiter Paradoxon-Typ ist die verneinte Wiederholung, z. B. c’est bien choisir de ne choisir pas. (Auflösung durch denotative Dissimilation über Hyponomie oder Polysemie-Relationen und Assimilation der konnotativen Werte.) Dritter Typus ist das Paradoxon auf Basis von (Para-)Synonymen, wie z. B. C’est trahison de se marier sans s’espouser. (Auflösung durch Dissimilation auf konnotativem Niveau, kontextuelle Unterdrückung der denotativen Synonymie.) Vierter Typus ist das hyponymische Parado- 312 Besprechungen - Comptes rendus xon der Form Il y a A et B, wobei B ein Hyponym von A ist, z. B. Il y a des chocolats et il y a Lindt. (Auflösung durch denotative Assimilation von Hyponym und Hyperonym, die A und B zunächst gleichsetzt, bevor durch eine wertende konnotative Opposition die Dissimilation erfolgt.) Treibende Ursache der Auflösung des Paradoxons bleibt immer ein antistereotypes Interpretationsverhalten und der Glaube an ein tertium datur. François Rastier («Chamfort: le sens du paradoxe») schlägt ein komplexes Modell der Paradoxon-Konstitution vor, das alle Komponenten in sich vereint: denotativenWiderspruch (Bereich des thématique) sowie konnotativen Widerspruch und unterschiedliche Glaubensuniversen (Bereich des dialogique). Im Bereich des Thematischen geht Rastier davon aus, daß eine graduelle Opposition vorliegt (z. B. brûlant, . . ., glacial).Im Bereich des Dialogischen werden in diese Opposition Akzeptanzschwellen eingezogen, die negative von neutraler oder positiver Evaluation (entsprechend der Konnotation bei Landheer) trennen. Die Extreme der graduellen Opposition bilden als Zonen extremer Evaluation mit geringem Inhaltsanteil paradoxale Bereiche mit negativer respektive positiver Evaluation, im Gegensatz zum doxalen Bereich der Mitte. (Diese Polarisierung gilt, so Rastier, für Lexien ebenso wie für Syntagmen oder größere Einheiten.) Hinzu kommen zwei unterschiedliche Glaubensuniversen, ein individuelles und ein soziales/ mehrheitliches. Die Evaluationsskala der graduellen Opposition im individuellen Glaubensuniversum steht dabei in inverser Relation zur Evaluationsskala des sozialen Universums. Das Paradoxon ist damit nach Rastier gekennzeichnet durch eine Interaktion zwischen thematischer Seite (Opposition) und dialogischer Seite (Evaluation). Die Interaktion unterliegt dabei den hermeneutischen Bedingungen des Textes - womit auch das Kriterium des Ko(n)textes, wie bei Landheer, einbezogen wird. Mit Michael Riffaterres Beitrag («Paradoxe et présupposition») beginnt die Konzentration auf die Literarizität des Paradoxons. Im Gegensatz zu den anderen Beiträgen fällt hier die Paradoxalität gerade nicht einer Auflösung «anheim», sondern behält ihre Widersprüchlichkeit trotz der Generierung einer spiralförmigen Sinnbewegung. Riffaterre variiert die gängigen Paradoxon-Definitionen (Überschreitung der doxa, des sozialen Konsensus) zu einer «Verknüpfung von Grammatikalität und Agrammatikalität», d. h. der Inakzeptabilität der Aussage für eine «normale» Sprecherkompetenz (Orecchioni). Die Besonderheit des Paradoxons im Vergleich zu anderen rhetorischen Figuren liegt darin, daß es keines Mikrokontextes bedarf (womit die kontextuelle Auflösung ausgeschlossen wird). Im Segment des Paradoxons innerhalb des Textes gelten nicht die gleichen Präsuppositionen wie im übrigen Text. Das Paradoxon wird isoliert und erfordert eine eigene Erforschung seiner Präsuppositionen, die zur Entmetaphorisierung des Widerspruches beitragen können. Das Paradigma der Präsuppositionen bildet nach Riffaterre jeweils einen eigenen individuellen Mikrotext, der dem Leser hilft, das zunächst isolierte Paradoxon in den Gesamttext einzugliedern. Die Kontextualisierung erfolgt also nachträglich. Zugleich wird durch die anfängliche Isolierung des Paradoxons im Text ein besonders starker literarischer Index vermittelt, da die Interpretation in besonderem Maße erschwert wird. Paul J. Smith (« J’honnore le plus ceux que j’honnore le moins . Paradoxe et discours chez Montaigne») analysiert die verschiedenen Paradoxalitätsschichten von Montaignes Essais. Zum einen präsentieren sich die Essais in der Tradition der beweisführenden Rhetorik als éloge paradoxal, weil sie das außerhalb der Akzeptanz liegende Thema des Ichs (c’est moy que je peins) aufnehmen. Zugleich äußert sich aber in Montaignes Vorliebe für Paradoxa sein Skeptizismus und Relativismus hinsichtlich des Vermögens menschlicher raison. Für die Untersuchung der Paradoxa geht Smith nur von lexikalischen Paradoxa aus (Antithesen und philosophische Paradoxa werden beiseite gelassen) und orientiert sich dabei an der Unterteilung Landheers (cf. o.). Smith gelangt so zu zwei Kategorien von Paradoxa bei Montaigne: 1.) Paradoxa, die auf Ellipsen beruhen. Zeitliche Abfolge oder aber paradiastolische Indikatoren werden ausgelassen. 2.) Paradoxa, die auf Wiederholung be- 313 Besprechungen - Comptes rendus ruhen. Hierzu zählen antanaklastische Paradoxa (als eng verwandt mit der Tautologie) und antonymische Paradoxa der Form «X - (negatives Präfix + X)». Darüber hinaus unterhält das Paradoxon unterschiedliche Beziehungen zum Kotext: Es tritt sowohl isoliert als Maxime oder Aphorismus auf (dann erscheint es in der Regel im Text der Essais als Zitat), als auch als Ausgangs- oder Endpunkt für eine kotextuelle Argumentation. Eine philologische Studie zu Teilen der Entwicklungsgeschichte des Begriffs Paradoxon liefert Marc van der Poel («Paradoxon et adoxon chez Ménandre le Rhéteur et chez les humanistes du début du xvi siecle»), mit dem Ziel, zu belegen, daß die Charakterisierung der Declamatio von Agrippa von Nettesheim (1530) zu Unrecht als paradoxer, ambivalenter bis ironisch-burlesker Text gedeutet wurde und wird. Diese Fehlinterpretation ziehe sich (auf der Basis der Paradoxon-Definition bei Menander [3. Jhd. n. Chr.], der die paradoxale Lobrede, da sie nicht nur vom durch den sozial-theologischen Konsens bestimmten «reinen Guten» spricht, unter die zweifelhaften Arten der Lobrede reiht) vom 16. Jhd. bis in die moderne Sekundärliteratur. Im Lichte der Apologia Agrippas müsse die Declamatio jedoch vielmehr als ernsthafte Polemik mit dem Ziel einer Reform des Geistes- und Theologielebens gelesen werden. Der Band schließt mit Françoise Douay-Soublins Gegenüberstellung von Definitionen des Paradoxons bzw. verwandter Begriffe wie Oxymoron, Opposition, Kontrast, Gegenteil, Antithese, Antanaklasis im 18. Jhd. in der Encyclopédie Diderots und d’Alemberts sowie in der Encyclopédie Méthodique, deren Bände zu Grammaire & Littérature von Beauzée und Marmontel erstellt wurden. Für denjenigen, der sich vom Titel des Buches keine Linguistik und Literaturwissenschaft gleichermaßen bedienende einheitliche Theorie des Parodoxons erwartet - und davor warnt ja auch der Herausgeberindex «textes recueillis» - bieten die gesammelten Texte eine Fülle inhaltsreicher Aufsätze zum Thema, die, bei aller Verschiedenheit, gut aufeinander abgestimmt wurden (auch mit gegenseitigen Querverweisen). Deshalb: Prädikat «empfehlenswert». Simone Roggenbuck H Marc Wilmet, Grammaire critique du français, Paris/ Bruxelles (Duculot/ Hachette) 2 1998, 704 p. Leider hat die Vox Romanica keine Besprechung der ersten Auflage (1997) von Marc Wilmets monumentaler Grammaire critique publizieren können; deshalb ergreife ich die Gelegenheit, dies für die zweite Auflage hier nachzuholen, die bereits rund ein Jahr später auf den Markt kam. Sie hat den großen Vorteil, daß zahlreiche Druckfehler und Inkonsequenzen im Satz, die dem Autor großen Ärger bereitet hatten, inzwischen behoben sind. Zudem profitiert die Neuauflage von zahlreichen Erweiterungen und Ergänzungen, die das Werk nochmals wertvoller machen. Was uns jetzt vorliegt, ist eine hervorragende, in jeder Hinsicht umfassende Darstellung der französischen Grammatik und ihrer Probleme vor dem Hintergrund der langen Tradition der französischen Grammatikographie, die aus der persönlichen Sicht des Verfassers aufgearbeitet, kritisch analysiert und, wo immer möglich, zu einer Synthese geführt wird. Für jeden, der sich mit Problemen der französischen Grammatik befaßt, ist dieses Werk eine unschätzbare Fundgrube von höchstem Wert 1 . 314 Besprechungen - Comptes rendus 1 Was für den Inhalt gilt, gilt leider nicht für die Präsentation des Bandes (und diese Kritik richtet sich an die Adresse des Verlags): Das Layout des Bandes ist eine Katastrophe. Das Schriftbild ist unruhig, wirkt überfrachtet und ist durch ein Schriftenwirrwarr von überhaupt nicht zu einander