Vox Romanica
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0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
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Kristol De StefaniMarc Wilmet, Grammaire critique du français, Paris/Bruxelles (Duculot/Hachette) 21998, 704 p.
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P. W.
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ruhen. Hierzu zählen antanaklastische Paradoxa (als eng verwandt mit der Tautologie) und antonymische Paradoxa der Form «X - (negatives Präfix + X)». Darüber hinaus unterhält das Paradoxon unterschiedliche Beziehungen zum Kotext: Es tritt sowohl isoliert als Maxime oder Aphorismus auf (dann erscheint es in der Regel im Text der Essais als Zitat), als auch als Ausgangs- oder Endpunkt für eine kotextuelle Argumentation. Eine philologische Studie zu Teilen der Entwicklungsgeschichte des Begriffs Paradoxon liefert Marc van der Poel («Paradoxon et adoxon chez Ménandre le Rhéteur et chez les humanistes du début du xvi siecle»), mit dem Ziel, zu belegen, daß die Charakterisierung der Declamatio von Agrippa von Nettesheim (1530) zu Unrecht als paradoxer, ambivalenter bis ironisch-burlesker Text gedeutet wurde und wird. Diese Fehlinterpretation ziehe sich (auf der Basis der Paradoxon-Definition bei Menander [3. Jhd. n. Chr.], der die paradoxale Lobrede, da sie nicht nur vom durch den sozial-theologischen Konsens bestimmten «reinen Guten» spricht, unter die zweifelhaften Arten der Lobrede reiht) vom 16. Jhd. bis in die moderne Sekundärliteratur. Im Lichte der Apologia Agrippas müsse die Declamatio jedoch vielmehr als ernsthafte Polemik mit dem Ziel einer Reform des Geistes- und Theologielebens gelesen werden. Der Band schließt mit Françoise Douay-Soublins Gegenüberstellung von Definitionen des Paradoxons bzw. verwandter Begriffe wie Oxymoron, Opposition, Kontrast, Gegenteil, Antithese, Antanaklasis im 18. Jhd. in der Encyclopédie Diderots und d’Alemberts sowie in der Encyclopédie Méthodique, deren Bände zu Grammaire & Littérature von Beauzée und Marmontel erstellt wurden. Für denjenigen, der sich vom Titel des Buches keine Linguistik und Literaturwissenschaft gleichermaßen bedienende einheitliche Theorie des Parodoxons erwartet - und davor warnt ja auch der Herausgeberindex «textes recueillis» - bieten die gesammelten Texte eine Fülle inhaltsreicher Aufsätze zum Thema, die, bei aller Verschiedenheit, gut aufeinander abgestimmt wurden (auch mit gegenseitigen Querverweisen). Deshalb: Prädikat «empfehlenswert». Simone Roggenbuck H Marc Wilmet, Grammaire critique du français, Paris/ Bruxelles (Duculot/ Hachette) 2 1998, 704 p. Leider hat die Vox Romanica keine Besprechung der ersten Auflage (1997) von Marc Wilmets monumentaler Grammaire critique publizieren können; deshalb ergreife ich die Gelegenheit, dies für die zweite Auflage hier nachzuholen, die bereits rund ein Jahr später auf den Markt kam. Sie hat den großen Vorteil, daß zahlreiche Druckfehler und Inkonsequenzen im Satz, die dem Autor großen Ärger bereitet hatten, inzwischen behoben sind. Zudem profitiert die Neuauflage von zahlreichen Erweiterungen und Ergänzungen, die das Werk nochmals wertvoller machen. Was uns jetzt vorliegt, ist eine hervorragende, in jeder Hinsicht umfassende Darstellung der französischen Grammatik und ihrer Probleme vor dem Hintergrund der langen Tradition der französischen Grammatikographie, die aus der persönlichen Sicht des Verfassers aufgearbeitet, kritisch analysiert und, wo immer möglich, zu einer Synthese geführt wird. Für jeden, der sich mit Problemen der französischen Grammatik befaßt, ist dieses Werk eine unschätzbare Fundgrube von höchstem Wert 1 . 314 Besprechungen - Comptes rendus 1 Was für den Inhalt gilt, gilt leider nicht für die Präsentation des Bandes (und diese Kritik richtet sich an die Adresse des Verlags): Das Layout des Bandes ist eine Katastrophe. Das Schriftbild ist unruhig, wirkt überfrachtet und ist durch ein Schriftenwirrwarr von überhaupt nicht zu einander In einem kurzen Avant-propos (7ss.) skizziert Wilmet die Genese der Arbeit. Hinter ihr stehen dreißig Jahre linguistischer und grammatischer Forschung, die immer wieder zu isolierten Entdeckungen und Erkenntnissen geführt hat, die dann oft weitere Probleme und Problemlösungen nach sich zogen. Es ergab sich so über die Jahre hinweg ein Spiel von Anstößen und Echos, die langsam den Wunsch nach einer Systematisierung und umfassenden Synthese entstehen ließen. 1986, bei der Überreichung des Prix Francqui, war es dann soweit: Wilmet ließ sich zu dem Versprechen hinreißen, diese Synthese nun in Angriff zu nehmen, und er hat dieses Versprechen mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit in mühsamer zehnjähriger Arbeit auch eingelöst. Ausgangspunkt waren die eigenen Studien zum Verb und zu den Determinanten, zwei Bereiche, die er über die Jahre hinweg vertieft analysiert hatte. Der ganze Rest dagegen war weitgehend Neuland. - Im Vorwort verteidigt Verf. das Terrain der Grammatik auch mit Vehemenz gegen konkurrierende Disziplinen wie Psychologie, Logik, Pragmatik, kognitive Semantik und v. a. gegen die «Bindestrich-Linguistiken»; er wehrt sich (wie schon Ferdinand de Saussure) gegen die Vermischung der Disziplinen und plädiert für eine «harte» Linguistik auf allgemein-sprachwissenschaftlicher Basis, die sich nicht zu dem billigen «l’exception confirme la règle» hinreißen läßt, sondern eingesteht, daß Ausnahmen die Regeln aushöhlen und deshalb versucht, durch möglichst differenzierte Regelformulierungen die Zahl der (meist historisch zu begründenden) Ausnahmen zu minimieren. Dies gelingt umso besser, je umfassender die Perspektive ist, immer nach dem Prinzip: «Les meilleurs spécialistes sont les généralistes». - Der Avant-propos schließt mit Danksagungen an all die, die Wilmet bei der Realisierung und Optimierung seines großartigen Werkes unterstützt haben. Das erste Hauptkapitel (12ss.) ist mit Introduction überschrieben und diskutiert vier Themenbereiche: Die Einheit und die Vielheit des Französischen (variationslinguistische Dimension), das Verhältnis von Linguistik und Grammatik bzw. Grammatikographie, den Status der wissenschaftlichen Grammatik im Unterricht und das dornige Terminologieproblem. Von hier an folgt dann der Aufbau in groben Zügen demjenigen des Bon Usage von Grevisse/ Goosse. Die Abweichungen sind geringfügig: Die 1 ère partie des Bon Usage (Les sons, les signes écrits, les mots) fehlt (zu Recht) fast ganz; nur das Kapitel Le mot (cf. unten) hat überlebt. Ebenso fehlen Entsprechungen zu den folgenden Kapiteln des Bon Usage: vii. La préposition; viii. La conjonction de subordination; ix. La conjonction de coordination; x. L’introducteur 2 . Dies läßt sich dadurch rechtfertigen, daß die entsprechenden Kapitel im Grevisse v. a. lexikologisch konzipiert sind und die mit den dort besprochenen Einheiten in Zusammenhang stehenden grammatiko-syntaktischen Probleme (wie bei Wilmet) anderweitig behandelt werden. Daraus resultiert dann die folgende Kapitelstruktur: 1. Le mot (33ss.); 2. Le nom (49ss.); 3. L’article (89ss.) 3 ; 4. L’adjectif (95ss.); 5. Les déterminants (113ss.); 6. Le pronom (247ss.); 7. Le Verbe (283ss.); 8. L’adverbe (425ss.); 9. La phrase (439ss.). Es folgt dann eine kurze Postface (593s.), in der nochmals die Zielsetzung der 315 Besprechungen - Comptes rendus passenden Typen gekennzeichnet. Zudem sind Absetzungen, typographische Differenzierungen usw. meist mehrfach übermarkiert. Das ist vielleicht leserfreundlich intendiert, wirkt aber letztlich nur abstoßend. Vieles ist auch absolut unfunktional. So sind die Seitenzahlen groß und fett gehalten, die Paragraphenzahlen dagegen winzig und dünn auf dem Rand - und dies, obwohl sich alle Verweise und der Index auf die Paragraphen beziehen. Nicht einzusehen ist auch, was die komische Grauunterlegung der Lauftitel am Seitenkopf soll, die mal nur einen Teil der Überschrift abdeckt, mal sie (unterschiedlich stark) überragt, in jedem Fall aber die Lesbarkeit beeinträchtigt. Das Layout ist schlicht unprofessionell und spricht jeder europäischen Buchgestaltungstradition Hohn. Man hat den Eindruck, daß hier jemand am Werk war, der seinen Spieltrieb nicht zähmen konnte und einfach die Möglichkeiten seines schönen neuen Computers ausreizen mußte. 2 Dazu zählen neben voici/ voilà und est-ce que auch Präpositionen und Konjunktionen. 3 Ein entsprechendes Kapitel fehlt im Bon Usage. Grammaire critique hervorgehoben wird, eine umfassende Bibliographie (595ss.), ein Index raisonné (625ss.) und die Table de matières (691ss.). Die unterschiedliche Länge der Kapitel läßt auf den ersten Blick erkennen, welches Wilmets «Hausdomänen» sind, denen nach wie vor sein vordringlichstes Interesse gilt: die Determinanten und das Verb 4 . In diesen Bereichen wird die jeweilige Problematik am gründlichsten durchgearbeitet, hier sind die wichtigsten (z. T. die am meisten Widerspruch auslösenden) Resultate zu finden, sie tragen am deutlichsten die persönliche Handschrift Wilmets. Das soll die anderen Kapitel keineswegs abwerten.Auch ein Forscher, auch ein Grammatiker hat das Recht, seine eigenen Vorlieben bevorzugt zu pflegen. Inhaltlich ein derartiges Werk durchgängig zu besprechen, ist so gut wie unmöglich - man würde ein fast ebenso dickes Buch schreiben. Deshalb seien hier nur (relativ pauschal) zwei Sektionen exemplarisch präsentiert: das Kapitel über den Artikel (L’article, 90ss.) und der Teil über die Adjektivstellung (der sich - nicht ganz einfach zu finden - in Kapitel 5 [Les déterminants] im Unterkapitel 2.4. [Disposition] versteckt [204-19]). Das Kapitel über den Artikel bereitet dem Leser zuerst einmal eine Enttäuschung, denn es umfaßt nur vier Seiten; die eigentliche Behandlung der Problematik ist in das Kapitel Les déterminants (115-246) ausgelagert, in dem die artikelähnlichen Determinanten mit den adjektivähnlichen zusammen behandelt werden. Damit wird auch schon die Problematik des hier angewendeten Determinationsbegrifs deutlich, denn er schließt zwei grundverschiedene Dinge ein: 1. die Reduktion der Extension ohne intensionale Ergänzung (≈ Artikel), und 2. die Erhöhung der Intension und einer sich daraus ergebenden Einschränkung der Extension (≈ Adjektiv). Dieses Problem wirkt sich auch nachhaltig auf Wilmets Behandlung der Adjektivstellung aus 5 . - Das Artikelkapitel selbst zerfällt in die drei Sektionen Naissance, Constitution und Mort (de l’article). Im ersten Teil wird die Etymologie diskutiert, dann übergeleitet zur Feststellung des Fehlens des Artikels im Latein und den daraus resultierenden Schwierigkeiten für die Grammatiker im Mittelalter und der Renaissance. Es folgt dann ein Zitat von Bacon, das einer Arbeit von Lusignan entnommen ist 6 und das belegen soll, daß die Artikelproblematik schon früh erkannt wurde. Das tut das Zitat meiner Ansicht nach allerdings nicht: Es geht in dem betreffenden Kontext nicht um den Artikel, sondern um das Zweikasus-System, das anhand der Opposition li maistres/ le maistre illustriert wird: Die Artikelproblematik ist hier bestenfalls indirekt angesprochen. Über die eigentliche Konstitution des Artikelkonzepts bei Lorenzo Valla, Niccolò Perrotti, Nebrija, Meigret, Ramus usw. erfährt der Leser dagegen nichts, denn es wird in der Sektion Constitution direkt zu zwei Zitaten von Beauzée (1767) und Noël (1861) gesprungen. La mort de l’article wird anhand des Bon Usage von 1936 bis 1980 illustriert; zudem finden sich Zitate von Bonnard, Arrivé und Goosse. Wilmet insistiert auf die Annäherung der Kategorien Artikel und Adjektiv bei Grevisse, denn dies scheint weitgehend seiner eigenen Position zu entsprechen. Das exzellente Zitat von Goosse (1986), das im wesentlichen meiner eigenen Position entspricht, wird so behandelt, als ob es sich ohne Probleme mit der Auffassung von Grevisse verbinden ließe. - Nicht ganz unproblematisch sind auch zwei Querverweise. Bei der Erwähnung des Teilungsartikels (91) wird auf einen «prétendu article indéfini des» verwiesen; an der Verweisstelle (120) wird dann deutlich, daß Wilmet des nicht als Plural von un betrachtet, sondern als eigentlichen Partitiv. Die Tatsache, daß der Partitiv nur bei nicht pluralisierbaren mass nouns und Abstrakta vorkommt, des aber ein pluralisierbares Nomen voraussetzt, bleibt vollkommen außer Betracht. Stellt man diese 316 Besprechungen - Comptes rendus 4 Und an dieses anschließend der Satz. 5 Cf. unten. 6 Im Text wird die Arbeit auf 1987 datiert, in der Bibliographie dagegen auf 1986 . . . Sachverhalte gebührend in Rechnung, bleibt nur eine Schlußfolgerung möglich: Der sog. Teilungsartikel ist eine kontextgebundene Variante von un vor nicht pluralisierbaren Substantiven, und des ist der Plural von un. Widerspruch erhebt sich auch dort, wo von einem article zéro die Rede ist (121, 151ss.). Die angeführten Beispiele gehören zwei unterschiedlichen Kategorien an: Es handelt sich entweder um Archaismen im Rahmen von locutions, oder aber um das, was man mit Lucien Tesnière (desubstantivische) Translationen nennen kann. Die erste Gruppe ist im Rahmen einer Grammatik des Modernfranzösischen irrelevant, denn sie repräsentiert einen längst verflossenen Sprachzustand (Afr.). Was die zweite Gruppe angeht (Translationen), so handelt es sich um die Überführung eines ursprünglichen Substantivs in eine andere Wortart (Adjektiv, Adverb, Verb); da der Artikel aber als Kennzeichnung einer substantivischen Verwendung der betreffenden Lexie zu gelten hat, kann nicht von einem Null-Artikel die Rede sein: Es würde sich dann um einen inhaltsseitig vorhandenen, ausdrucksseitig aber nicht markierten Artikel handeln, und damit hätten wir doch wieder eine substantivische Verwendung. Man darf nicht einfach Null-Artikel und absence d’article gleichsetzen! Einen wirklichen Nullartikel gibt es im Französischen nur im kollektiven Bereich (z. B. Hommes, femmes et enfants étaient assis autour de la cheminée). Trotz vieler positiver Aspekte bleibt hier also doch vieles ungelöst oder unbefriedigend. Wie bereits oben erwähnt, ist die Darstellung der Adjektivstellung im Französischen relativ schwer zu finden (Punkt 2.4. [La disposition] im Kapitel Les caractérisants) und interferiert in nicht unerheblichem Ausmaß mit der Diskussion der Determinanten (≈ Artikel). Wilmet gibt zuerst einen gerafften Überblick über die bisherige Behandlung der Problematik, wobei er drei Argumentationsrichtungen unterscheidet: 1. die Orientation empirique, unter die die meisten bisherigen Ansätze fallen, und in deren Bereich es semantische, stilistische, psycho-philosophische, historische und kulturwissenschaftliche Schwerpunkte gibt; besonders hart geht er mit mißglückten und vollkommen untauglichen Syntheseversuch von Grevisse ins Gericht; 2. die Orientation expérimentale (Wilmet 1980, Forsgren 1978); 3. die Orientation théorique (Reiner 1968, 1976, Waugh 1977, Moignet 1981 usw.) 7 . Daran schließt sich dann als viertes Unterkapitel ein eigener Syntheseversuch an. Wilmet unterscheidet bei den caractérisants des Nomens drei Typen: die caractérisants non stricts (Artikel im weitesten Sinne AN), die caractérisants stricts indirects (um mit Tesnière zu sprechen: Adjektivtranslate jeglicher Art NA) sowie die caractérisants stricts directs (Adjektive im traditionellen Sinne), die sich je nachdem wie die erste oder die zweite Gruppe verhalten würden. Als Normalfall wäre NA zu betrachten. All dies besagt vorerst nichts anderes, als daß das Adjektiv vor- oder nachgestellt werden kann und bringt uns in eine gewisse Nähe zu Weinrich 1966, nach dem vorangestellte als Morpheme zu gelten hätten. Wilmet hütet sich allerdings, sich einfach dieser Theorie anzuschließen. Vielmehr argumentiert er auf der Grundlage der Mengenlehre, wobei im Falle von AN ein Inklusionsverhältnis zwischen Nomen und Adjektiv bestehen würde, bei NA dagegen ein Intersektionsverhältnis (d. h.: die beiden Konstruktionen lassen sich mit einem explikativen bzw. determinativen Relativsatz vergleichen). Das reichlich beigegebene Beispielmaterial illustriert, daß dieser Ansatz über weite Strecken auch trägt. Gleichwohl sieht sich Wilmet gezwungen, noch ausführlich auf die Faktoren einzugehen, die eine Abkehr vom Normalfall NA und eine Favorisierung von AN bewirken können. Da wäre zuerst einmal die Art des Adjektivs: Präfix in-, «relative» Bedeutung eines Adjektivs (eine interne Norm voraussetzend, cf. petit éléphant vs. grande souris), übertragene Bedeutung von kontradiktorischen Adjektiven. An zweiter Stelle spielt die Konstitution des groupe nominal eine Rolle, wobei zwischen einfacher und mehrfacher Charakterisierung zu unterscheiden ist. Bei einfacher 317 Besprechungen - Comptes rendus 7 Nirgends wird allerdings mein dynamischer Erklärungsversuch erwähnt (Wunderli 1987). Charakterisierung favorisieren semische Redundanz ebenso wie semische Diskordanz innerhalb der Gruppe AN (z. B. verte prairie; vieille fille) eine Voranstellung des Adjektivs. Bei Mehrfachcharakterisierung benennt Wilmet zwar eine Reihe von Faktoren, die eine Rolle spielen können: Art der Verknüpfung, Abfolge der Adjektive, Möglichkeit zur Aufteilung der Adjektive auf den prä- und postnominalen Bereich usw.; angesichts der Komplexität der Faktoren verzichtet er aber darauf, spezifische Regeln zu formulieren. Auf einer dritten Ebene ist dann auch der Konstitution des syntagme nominal Rechnung zu tragen: der «bestimmte» Artikel (ebenso wie die mit ihm kommutierenden «erweiterten» Artikel [Possessivum, Demonstrativum]) favorisieren die Voranstellung bis zu einem gewissen Grade. Und schließlich muß auf einem vierten und fünften Niveau auch noch dem Kotext und dem Kontext Rechnung getragen werden. Eine Fülle von vielfältigen Faktoren also, die den Verf. schließlich resigniert feststellen lassen, daß wohl nur ein Computer diese geballte Ladung von Informationen bzw. Einflußfaktoren verarbeiten könnte. Auch Wilmet hat somit das dornige Problem der Adjektivstellung nicht gelöst, aber er hat (v. a. für den Kernbereich) eine Reihe von interessanten Anregungen und Anstößen geliefert, die die Diskussion weiter voranbringen werden. Die Grammaire critique ist eine Fundgrube, sowohl was die Aufarbeitung der bisherigen Forschung, die eigenen Stellungnahmen des Verfassers als auch das Beispielmaterial angeht. Gekennzeichnet durch absolute Ehrlichkeit, höchsten Informationsgrad und dezidiertes Zurücknehmen des theoretischen Impetus vor der übermächtigen Aussagekraft des Materials ist sie für jeden an der französischen Sprache (und der Sprachwissenschaft im allgemeinen) Interessierten ein ständiger Quell der Erkenntnis und der Anregung. Daran ändert die Tatsache auch nichts, daß der Rezensent sich eine Reihe der vertretenen Positionen nicht zu eigen machen kann. P. W. H Ulrich Detges, Nominalprädikate. Eine valenztheoretische Untersuchung der französischen Funktionsverbgefüge des Paradigmas «être Präposition Nomen» und verwandter Konstruktionen, Tübingen (Niemeyer) 1996, xiv + 290 p. (Linguistische Arbeiten 345) Produktiv, nur durchsichtig oder doch phraseologisch? Funktionsverbgefüge 1 haben schon geradezu widersprüchliche Kategorisierungen erfahren. Einmal sind sie «Produkte von Wortbildungsverfahren», ein anderes Mal «periphrastische Streckformen» oder «komplexe Nominalprädikate» und schließlich werden sie noch als «phraseologisch fixierte Mehrwortlexeme» angesehen. Hinter diesen Benennungen verbergen sich bestimmte «Positionen der Forschung» (32), die Ulrich Detges in seinem Forschungsüberblick (Kap. 2: 32-97) zu den Funktionsverbgefügen diskutiert und in den weiteren Kapiteln des vorliegenden Bandes um die eigene, durchaus neue und in jedem Fall überzeugend präsentierte Position bereichert. Detges erkennt für das Französische drei Haupttypen von FVG: 1. avoir N (FVG) (Typ: avoir patience); 2. faire N (FVG) (Typ: faire usage [de]); 3. être PRÄP N (FVG) (Typ: être en révolte). Varianten des letzten, in Detges’ Analyse zentralen Typs sind z. B. mettre PRÄP N (FVG) , se mettre PRÄP N (FVG) , tenir PRÄP N (FVG) etc. Insgesamt umfaßt Detges’ Darstellung neun Kapitel und eine Bibliographie (Kap. 10: 281-90). In der «Einleitung» (Kap. 1: 1-32) spielt Detges sämtliche die bisherige Diskussion bestimmende Kriterien zur Identifizierung von FVG durch (z. B. Nicht-Pronominalisierbarkeit und Nicht-Anaphorisierbarkeit des Nomens) und schlägt eine eigene Definition vor. 318 Besprechungen - Comptes rendus 1 «Funktionsverbgefüge» wird im folgenden abgeküzt als FVG.
