eJournals Vox Romanica 58/1

Vox Romanica
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0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
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1999
581 Kristol De Stefani

Antonio de Nebrija, Introduciones latinas contrapuesto el romance al latín (c. 1488), ed. Miguel ángel Esparza/Vicente Calvo, Münster (Nodus) 1996, XXXII + 206 p. (Materialien zur Geschichte der Sprachwissenschaft und der Semiotik)

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1999
Th.  Baldischwieler
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Antonio de Nebrija, Introduciones latinas contrapuesto el romance al latín (c. 1488), ed. Miguel ángel Esparza/ Vicente Calvo, Münster (Nodus) 1996, xxxii + 206 p. (Materialien zur Geschichte der Sprachwissenschaft und der Semiotik) Die Feiern zum fünfhundertsten Geburtstag der Grammatica de la lengua castellana (im folgenden GC abgekürzt) des Elio Antonio de Nebrija, wie er sich nannte, haben den Strom der Publikationen stark anschwellen lassen. Dabei wurde das umfangreiche Gesamtwerk des spanischen Humanisten gewürdigt und die 1492 erschienene Grammatik in einigen Beiträgen als Höhepunkt einer Entwicklung beschrieben, die bei einer lateinischen Grammatik, den Introductiones latinae (im folgenden IL abgekürzt) im Jahre 1481 ansetzt. Als wichtigste Station auf diesem Weg zur volkssprachlichen Grammatik sind die Introduciones latinas contrapuesto el romance al latín (vermutlich 1486) einmal mehr gewürdigt worden. Um so verwunderlicher ist die Tatsache, daß diese zweisprachige Grammatik auch im Jubiläumsjahr in keiner modernen Ausgabe vorlag. Diese Lücke versuchten nun Miguel Ángel Esparza und Vicente Calvo mit ihrer 1996 erschienenen Ausgabe zu schließen. Der Verfasser dieser Rezension arbeitet selbst seit einigen Jahren an einer Ausgabe, deren Erscheinen sich allerdings aus beruflichen Gründen leider immer wieder verzögert hat. Sie soll so auch fortgeführt werden, da die Ausgabe von Esparza und Calvo mit so zahlreichen Mängeln, Irrtümern und Fehlern behaftet ist, daß eine zweite Ausgabe keinesfalls überflüssig geworden ist. Betrachten wir zunächst die Einleitung. Nach einem kurzen Lebensabriß des Autors, bibliographischen Angaben zur Inkunabel und einer Einordnung des Werks in das Gesamtwerk beschäftigt sie sich vor allem mit dem Aufbau, dem epistemologischen Hintergrund und den Quellen des Werks. Das Kapitel Las «Introduciones» en la tradición gramatical (xviiss.) beginnt mit einer Einteilung des grammatischen Schrifttums des Mittelalters in vier Gruppen: «las gramáticas versificadas, los comentarios, las gramáticas erotemáticas y la síntesis del método proverbiandi» (xviii). Hier ist zu fragen, wo die nicht versifizierten Grammatiken, die des Papias, des Giovanni Balbi und viele andere mehr unterzubringen sind, und ob hier nicht auch die Modisten zu nennen gewesen wären, zumal im Kapitel Fuentes von modistischem Einfluß die Rede ist. Da der vierten Gruppe Texte zuzurechnen sind, die hauptsächlich im 15. Jahrhundert entstanden sind, ist ferner zu fragen, ob es sinnvoll ist, sie zusammen mit früh- und hochmittelalterlichen Werken zu nennen. Das Kapitel selbst handelt nicht etwa, wie zu erwarten gewesen wäre, von der spätantiken, der mittelalterlichen und der humanistischen Grammatikographie - das wird aus nicht recht einleuchtenden Gründen in einem späteren Kapitel nachgeholt - sondern hauptsächlich von den von den Herausgebern so genannten grammaticae proverbiandi. Eher beiläufig werden gegen Schluß des Kapitels ein paar Sätze zu Lorenzo Valla, Mancinelli und Veronese nachgetragen, ohne daß einsichtig würde, was Nebrija aus den Werken der drei Genannten übernimmt. Auf den fundamentalen Unterschied zwischen Vallas Elegantiae linguae latinae und der durch Mancinelli und Guarino Veronese repräsentierten Renaissancegrammatik wird gleich gar nicht erst hingewiesen. Unter grammaticae proverbiandi verstehen die Herausgeber, so muß man ihre wenig präzisen Ausführungen resümieren, Grammatiken, die mit vulgärsprachlichen Glossen versehen sind, oder solche, deren lateinischer Text teilweise in ein vulgärsprachliches Idiom übersetzt ist, vor allem aber solche, die in einem Anhang Regeln für die Übersetzung ins Lateinische enthalten. (Wenn, wie gesagt wird, diese Texte in der Zeit unmittelbar vor dem Humanismus entstanden sind, ist es natürlich Unsinn zu sagen, das Wort romance in dem Sinn, in welchem es Pastrana, Nebrija und andere gebrauchten, sei von den Verfassern dieser Texte geprägt worden.) Im großen und ganzen handelt es sich also um ein Textcorpus, das Emilio Ridruejo in seinem wichtigen Aufsatz «Notas romances en gramáticas latino- 347 Besprechungen - Comptes rendus españolas del siglo xv» 1 bereits gewürdigt hat. H.-J. Niederehe erwähnt eine 1427 in Valencia erschienene Grammatik, die den Titel Grammatica proverbiandi trägt, die keine Grammatik im eigentlichen Sinne sei, vielmehr für Verben und Partizipien Valencianische Entsprechungen enthält 2 . Ob die Herausgeber diesen Titel verallgemeinert haben, wird nicht klar. In einer Fußnote wird p. xix das für diese Grammatiken typische Aufbauschema angegeben, das sich aber mit Ausnahme der suppletio, worunter kontrastive Syntax zu verstehen ist, in nichts von dem von allen Grammatiken des Mittelalters befolgten Schema unterscheidet und insofern auch kaum für diesen Typ von Grammatik charakteristisch sein dürfte. Denn wenn es sich um Grammatiken mit Teilübersetzungen handelt, in denen sich auch Übersetzungsanleitungen finden, dann ist nichts zu deren Eigenart mit einem Hinweis zur Gliederung des lateinischen Textes gesagt. Daß dieser dem üblichen Schema verpflichtet ist, versteht sich von selbst. Unklar bleibt auch, welcher Zusammenhang zwischen der suppletio und den Übersetzungsanleitungen besteht. Da im Kapitel suppletio das Latein als defizitäre Sprache fungiert - eine für das 15. Jahrhundert reichlich ungewöhnliche Perspektive - hätte man hier gerne mehr Informationen. Daß diese Texte für die Introduciones eine gewisse Rolle spielen, dürfte klar sein. Nebrija betritt mit seiner zweisprachigen Ausgabe nicht völliges Neuland. Grammatische Termini sind bekanntlich schon wesentlich früher in die Volkssprache übersetzt worden. Aber bei Nebrija fehlen die Übersetzungsübungen und ein eigenes Kapitel suppletio, in welchen Teilen die Herausgeber Kernstücke dieser Texte sehen. Wäre also Nebrija dieser Tradition stärker verpflichtet, enthielten auch seine Darstellungen der lateinischen Sprache solche Kapitel. Das kurze Kapitel am Schluß der Ausgabe der Introductiones von 1482 zu Grundproblemen der Übersetzung ins Latein scheint uns zu marginal zu sein. Man sollte auch grundsätzlich zwischen Grammatik und Übungsbuch unterscheiden. Die Bedeutung der vulgärsprachliche Glossen und Übersetzungen enthaltenden Grammatiken wird von den Herausgebern deshalb so nachdrücklich unterstrichen, weil sie nun gerade in der Einbeziehung des Kastilischen die nova ratio Nebrijas sehen. Dabei nehmen sie an, bei Nebrija habe von Anfang an ein Zusammenhang zwischen der Didaktik des Lateins und der Notwendigkeit der Abfassung einer volkssprachlichen Grammatik bestanden, mit den Introduciones habe er das Erscheinen der GC vorbereiten wollen (xiiis.). Dazu ist folgendes zu bemerken: - Die nova ratio, von der im Prolog der IL 3 die Rede ist, und unter der Nebrija die für alle nachantiken Grammatiker notwendig gewordene methodische Neubesinnung versteht, ist sowohl in der sehr übersichtlichen und didaktisch sehr durchdachten Präsentation des überlieferten Materials zu sehen, als auch darin, daß Nebrija Neuerungen der italienischen Renaissancegrammatiken in der Darstellung der Syntax übernimmt. - Nebrija fertigt nicht aus eigenem Antrieb, vielmehr auf Bitten der Königin die zweisprachige Ausgabe an. Er bemerkt im Vorwort zu derselben, er habe sich geirrt, als er glaubte, das Kastilische sei unfähig, grammatische Sachverhalte in gleicher Differenziertheit wie das Lateinische darzustellen. Nun, da er sehe, daß seine Zweifel unbegründet waren, bedaure er es, diese Form der Lehre nicht von Anfang an genutzt zu haben 4 . Nebrija bereitet 348 Besprechungen - Comptes rendus 1 Emilio Ridruejo, «Notas romances en gramaticas latino-españolas del siglo xv», RFE 59 (1977): 47-80. 2 Hans-Josef Niederehe, «El castellano y la gramática, objetos de estudio antes de la gramática de Nebrija», in: Antonio de Nebrija, Gramática de la lengua castellana, vol. 3: Estudios Nebrisenses, ed. Manuel Alvar, Madrid 1992: 97-115, hier: 101s. 3 Cf. Introductiones latinae, Salamanca 1481: f. 1r°a. 4 Cf. Introduciones latinas contrapuesto el romance al latín, Salamanca 1486: f. 2r°. also wohl kaum mit den Introduciones die angeblich schon davor geplante GC vor. Denn wenn er an der Tauglichkeit der Volkssprache nach Erhalt des Auftrags noch gezweifelt hat, kann er nicht gut schon Pläne gehabt haben, die über dieses Projekt hinausführen. - Die aufgrund der Introduciones erst möglich gewordene GC soll neben zwei anderen Zielen dem Ziel dienen, die Erlernung des Lateins zu erleichtern. Die Introduciones werden in diesem Zusammenhang als ein den Übergang vom Kastilischen zum Latein vermittelndes Werk gewürdigt, aufgrund dessen die Erlernung der Grammatik des Lateins in wenigen Monaten, ja Tagen möglich sei 5 . Erst hier kann also von dem Konzept die Rede sein, das nach Meinung der Herausgeber Nebrija schon vor der Abfassung der Introduciones gehabt haben soll. Aber so vollkommen eindeutig ist dieser Zusammenhang dennoch nicht. Denn warum hat dann Nebrija diesen so erfolgversprechenden Weg schnell wieder verlassen und ist zur einsprachigen Lateingrammatik zurückgekehrt? Bekanntlich möchte er ja auch die Introduciones einige Jahre später nicht mehr unter seine Werke rechnen 6 . - Was die GC angeht, so geht sie zumindest teilweise andere, neue Wege. Ihr ganz anderer Aufbau, ihre völlig andere Gewichtung der Teilbereiche der Grammatik weisen darauf hin, daß ihre propädeutische Funktion nicht zentral ist. Mit diesen Fragen hängt aber auch die Datierung der Introduciones zusammen. Die Herausgeber datieren sie auf das Jahr 1488, hierin der Datierung folgend, die Nebrija in der dritten Auflage seiner Introductiones latinae, der Recognitio, gibt (x). Das aber bedeutet, daß sie noch gar nicht in Angriff genommen waren, als Nebrija 1486 der mit ihrem Gemahl von einer Pilgerfahrt von Santiago de Compostela zurückkehrenden Königin einen Entwurf seiner GC zeigte. Die Introduciones sind aber eine wichtige Vorstufe der GC. Denn mit der Entdeckung der Ebenbürtigkeit der Volkssprache geht eine andere Entdeckung einher, die nämlich, daß der übersetzte Text, über seinen eigentlichen Zweck hinausweisend, zu weiten Teilen bereits eine in sich geschlossene Darstellung auch des Kastilischen ist. An der Datierung der Introduciones auf das Jahr 1486, wie sie Conrad Haebler vorschlägt, ist darum unbedingt festzuhalten 7 . Wie Emilio Ridruejo, ein entschiedener Verfechter der Priorität der Introduciones, in diesem Zusammenhang bemerkt, sind die Datierungen Nebrijas häufig falsch 8 . Das recht dürftige, kaum etwas richtig entfaltende Kapitel Fuentes (xxvs.) beschränkt Nebrijas eigentliche Quellen auf die Grammatiken der Antike und der Renaissance. Das ist völlig inakzeptabel. Nebrija verdankt dem Mittelalter mehr, als er zuzugeben bereit ist. Die heftige Polemik gegen das Mittelalter ist ein Grundmotiv des humanistischen Schrifttums, das über die Tatsache der Unentbehrlichkeit der im Mittelalter weiterentwickelten grammatischen Terminologie nicht hinwegtäuschen darf. Zwar wird in einer Fußnote (xxv) nachgetragen, daß man den Einfluß des Mittelalters mit seinen verschiedenen Methodologien und die Bedeutung der Modisten nicht vergessen dürfe. Das kann aber so auch nicht stehen bleiben. Ob gerade die Modisten einen Einfluß auf Nebrija ausgeübt haben, ist sehr fraglich. Man findet zwar in der GC den Terminus manera de significar als Übersetzung des lateinischen Begriffs modus significandi. Aber auch vor dem Erscheinen der Traktate der Modisten wird dieser Begriff gebraucht. Schließlich taucht dann aber doch ein mittelalterlicher Grammatiker, Giovanni Balbi, als wichtige Quelle auf. Und zwar wird er als Begrün- 349 Besprechungen - Comptes rendus 5 Cf. Gramatica de la lengua castellana, ed. Antonio Quilis, Madrid 1980: 101. 6 Cf. Vocabulario español-latino, Salamanca 1495: f. 3v°a. 7 Cf. C. Haebler, Bibliografía ibérica del siglo XV. Enumeración de todos los libros impresos en España hasta el año de 1500, La Haya/ Leipzig 1904: Nr. 462. 8 E. Ridruejo «De las Introductiones latinae a la Gramática castellana», in: R. Escavy Zamora et al. (ed.), Actas del congreso internacional de historiografía lingüistica. Nebrija V centenario, vol. 1: 485-98, hier: 487s. N5. der der Tradition der «clasificación de los géneros de los verbos» (xxv) gesehen. Wenn damit die Einteilung der genera, oder wie sie auch genannt werden, der significationes der Verben in verbum activum, passivum, neutrum, commune, deponens gemeint ist, was die Formulierung nahelegt, ist die Feststellung falsch. Balbi ordnet die genera nicht anders als schon Priscian. Was bei ihm aber neu ist und was bei Guarino Veronese und Perotti weiterentwickelt wird, um dann von Nebrija übernommen zu werden, ist die Darstellung der Valenzklassen (species) der einzelnen genera. Insgesamt ist in dieser Einleitung der Blick zu sehr auf teilweise nicht recht einleuchtende Abhängigkeiten Nebrijas gerichtet. Die grammatica proverbiandi ist fast allgegenwärtig. Wesentlich reizvollere Perspektiven, wie etwa die Frage nach dem inneren Zusammenhang zwischen den Introduciones und der GC werden werden so gut wie ausgeklammert. Ärgerlich sind auch hier schon etliche Irrtümer, Nachlässigkeiten und Mängel: - Bei der Vorstellung und Beschreibung der Inkunabel wird angegeben, sie umfasse 79 Blätter (xi). In der vorliegenden Ausgabe umfaßt sie aber 77 Blätter, was auf einem Irrtum besonderer Art beruht, auf den noch einzugehen sein wird. Ein Blick in den Gesamtkatalog der Wiegendrucke oder die Bibliografía ibérica von Conrad Haebler, ja ganz einfach das schlichte Durchzählen der Blätter der Inkunabel aus dem British Museum hätte genügt, um diesen Fehler zu beheben. Außerdem zitieren die Herausgeber die auf dem Deckblatt der Inkunabel angebrachte Notiz, derzufolge sie 76 Blätter umfaßt. - Die Grammatik des Bartolomé Mates wird p. xix erwähnt, ohne daß der Leser ihren Titel erführe und ohne daß ein bibliographischer Hinweis in Form einer Fußnote gegeben würde. Zwar wird ersteres in der Bibliographie nachgeholt, aber die Schreibung des Titels ist falsch. Zum Text der Ausgabe ist sehr viel zu sagen. Beginnen wir mit dem spanischen Teil (Prolog, Inhaltsangabe und jeweils rechte Spalte der Grammatik): - Die Wiedergabe des Textes verzichtet außer der Groß- und Kleinschreibung, der einheitlichen Setzung der Tilde und der Interpunktion auf eine Modernisierung. So unterscheidet sie beispielsweise nicht zwischen u und v, i und j. Sie behält auch die Schreibung in einem Wort in folgenden Fällen bei: 1. Präposition + Artikel: del, al, dela, ala, conla, enla usw. 2. Präposition + Pronomen: del, della, deste usw. 3. Verb + nachgestelltem Pronomen: z. B. sacase 4. que + Verb: z. B. los libros en questan escriptas las artes 5. que + Artikel: z. B. quelos iuristas 6. que + Pronomen: z. B. aquella lengua quellos deprendieron Was die Fälle 1 und 3 betrifft, so kann man hier der Schreibweise Nebrijas folgen, wie dies auch andere moderne Editoren tun, in den Fällen 4-6, den Verschmelzungen von que mit dem Verb, dem Artikel, dem Pronomen, wie sie im Prologo vorkommen, sollte man aber doch um der Lesbarkeit willen vom Apostroph Gebrauch machen. Im Fall 2 würde eine apostrophierte Schreibung ebenfalls der Lesbarkeit zugute kommen. - Die abgekürzten Schreibweisen des Originals werden natürlich aufgelöst, aber weder im spanischen noch im lateinischen Text als solche gekennzeichnet, worin ein wesentlicher Mangel der Ausgabe zu sehen ist. - Die Transkriptionsfehler im spanischen Text beruhen zu einem großen Teil darauf, daß der lateinische Text nicht verstanden oder gedankenlos transkribiert wird, so z. B. p. 189 (69v°), wo lutum mit lobo statt lodo wiedergegeben wird. Die Wiedergabe des lateinischen Textes ist das eigentliche Ärgernis an dieser Ausgabe. Wir können hier nicht alles einzeln aufführen, sondern müssen uns auf die gravierendsten Mängel beschränken. 350 Besprechungen - Comptes rendus - Die Transkription des lateinischen Textes möchte ebenso wie die des spanischen ein Bild der ungeregelten humanistischen Orthographie geben. Sie betrachtet sämtliche Abweichungen von der klassischen Norm als humanistische Lizenzen. Natürlich sollte man Schreibungen wie foemininum, loetum, huber, sydus, lynther usw. stehen lassen. Aber man sollte doch überall dort, wo es um Bedeutungsunterschiede geht, den Text korrigieren, also etwa zwischen caedo und cedo unterscheiden. Was Schreibungen wie amittere anstelle von admittere, ars anstelle von arx betrifft, so ist eher zu vermuten, daß es sich um Fehler handelt. Unbedingt zu korrigieren ist in Fällen wie impuuis anstelle von impubis. - Der Text wird vorlagengetreu zweispaltig wiedergegeben, links der lateinische, rechts der spanische Text. Dabei wird aber nicht nur auf eine seitenidentische, sondern auch, sofern es sich nicht um untereinander geschriebene Wörter handelt (Paradigmen, Aufzählungen), auf eine zeilenidentische Wiedergabe verzichtet. Und noch etwas: Nebrija hat im Unterschied zu seinen Vorgängern seinen Text so strukturiert, daß Sinneinheiten jeweils durch Ausrücken des am Anfang stehenden Wortes markiert sind. Dieser Semantik des Textbildes folgen die Herausgeber grundsätzlich nicht und verschenken damit ein wichtiges Ordnungsprinzip des Textes. Aber auch innerhalb solcher Abschnitte verändern sie nicht selten die Textgestalt. Handelt es sich z. B. bei solchen Sinneinheiten um Regeln mitsamt ihren im Original fortlaufend geschriebenen Ausnahmen, so kommen die Ausnahmen nun eingerückt untereinander zu stehen, nicht aber der etwa mit et habentia oder ähnlichen Wendungen verknüpfte Nachtrag. Dieser beginnt wieder am normalen Zeilenanfang. Da zudem noch das verknüpfende et groß geschrieben wird, ist der Sinnzusammenhang nicht mehr so ohne weiteres erkennbar. Außerdem ist der jeweils folgende Sinnzusammenhang seinerseits nicht mehr klar genug abgehoben. Beispiele hierfür besonders im 5. Buch. Vollkommen inakzeptabel sind aber Stellen, wo Eingriffe dieser oder ähnlicher Art zur Folge haben, daß linke und rechte Zeilen einander nicht mehr entsprechen, wie p. 182s. (67v°), wo folgendes steht: I ante m in dysillabis longa est, ut ui- I ante m enlos dysilabos luenga men. Excipitur: es, como por la uimbre. Sacase: Thymus, -i. Por muy mucho. Nimis, aduerbium. Por iunta mente. Simul, aduerbium. Por el estiercol. Fimus, fimi. Por el dios de las bodas. Hymen, Hymenis. Im Original steht thymus eine Zeile höher und wird nicht übersetzt, was den Herausgebern offenbar entgangen ist. Erst danach beginnt die Kolumne, insofern ist das Beispiel nicht ganz mit dem eben erwähnten Typ identisch. - Die Groß- und Kleinschreibung ist uneinheitlich. Lateinische Eigennamen werden gelegentlich nicht als solche erkannt und daher klein geschrieben (96, 184, 190). Manchmal werden sie im lateinischen Text klein, im spanischen aber groß geschrieben (97, 171, 188). - Ein unnötig umständliches, ebenfalls nicht konsequent gehandhabtes System zur Kennzeichnung von Metasprachlichem fällt auf. Ob es unbedingt nötig ist, einen Laut, ein Morphem, ein Wort in der Übersetzung nicht nur, wie im lateinischen Text, kursiv zu schreiben, sondern zusätzlich noch durch einfache Anführungszeichen als nicht-spanisch zu markieren, ist zu fragen. Jedenfalls wirkt dadurch das Schriftbild an manchen Stellen recht unruhig (95ss., 167). Inkonsequent ist es in jeden Fall, Bedeutungen von Wörtern im lateinischen Text durch Anführungszeichen kenntlich zu machen, im spanischen aber nicht immer (94s.). Gelegentlich werden Bedeutungen im lateinischen Text nicht markiert (164ss.). 351 Besprechungen - Comptes rendus Inkonsequenzen sind auch in der Kursivschreibung der Paradigmen zu beobachten (107, 109). - Die Interpunktion ist nicht selten sinnwidrig. Das mag der am Ende der Besprechung abgedruckte Satz verdeutlichen. - Fehler werden zwar (sofern es den Herausgebern möglich ist, sie zu erkennen) verbessert, in den meisten Fällen fehlen aber die entsprechenden Fußnoten oder Kennzeichnungen im Text. Das gilt auch für den spanischen Text. - Wo der Text den Herausgebern aus irgendeinem Grund unstimmig vorkommt, konsultieren sie den in Zamora 1492 oder 1494 erschienenen Nachdruck des Antonio de Centenera, der aber fast alle Irrtümer des Nebrijaschen Textes übernimmt. Der sorgfältig gearbeitete Text der IL vermag hingegen in fast allen Fällen Klarheit zu verschaffen, was den lateinischen Text betrifft. Ein Beispiel: F. 67v° (183) steht vipera als Beispiel für kurzes i vor p. Da vipera als erstes unter den Ausnahmen genannt wird, ist den Herausgebern aufgefallen, daß hier etwas nicht stimmt. Was tun, wenn auch Antonio de Centenera keinen Rat weiß? Dann hilft nur noch die Ausgabe des Bartolomé de Ulloa, die 1773 in Madrid erschienen ist, und dort findet sich stipes im Sinne von moneda . Das halten die Herausgeber für eine befriedigende Lösung, nicht merkend, daß stipes bereits unter den Ausnahmen steht, daß also wohl eher stips zu der Übersetzung paßt, was vermutlich in jener Ausgabe auch steht. In den IL, deren Existenz und leichte Zugänglichkeit (Faks. Universidad de Salamanca 1981) sie in solchen Fällen vollkommen vergessen, obwohl sie sie in der Bibliographie aufführen, steht piper, womit das Problem gelöst ist. - Für die Autorenzitate wird in den Fußnoten ein Stellennachweis geführt. Manches Zitat, z. B. f. 55r° (149) der bekannte Vers: spectatum admissi risum teneatis, amici? aus der Ars poetica des Horaz (Ars poetica, 5) wird einfach übergangen, zudem wird vorlagengetreu amissi geschrieben, während in den IL das richtige admissi steht und außerdem wird der Vers in beiden Texten nicht als Frage gekennzeichnet. Zu einem Serviuszitat wird angemerkt, man habe es nirgends finden können (158). Die Herausgeber fanden es nicht, weil ihnen ganz offensichtlich unbekannt ist, daß es von Servius nicht nur einen Donat- Kommentar gibt. - Folgenschwer ist das Versehen, das p. 75 passiert: Hier geht es nach der Transkription von f. 28r° irrtümlich mit 29v°, 30r° weiter, worauf dann ab p. 79 28v°, 29r° folgen. Ab p. 81 geht es mit 30v°, 31r° wieder normal weiter. Die Numerierung der Seiten wird zunächst (29v°, 30r°) wieder richtig gestellt - Absicht oder Versehen? - zählt dann aber für 28v° und 29r° 2 Blätter und ab 30v° ein Blatt zuviel, mit der Folge, daß die falsche Numerierung bis ans Ende der Ausgabe mitgeschleppt wird. Der dreimalige Bruch des Kontexts scheint nicht aufgefallen zu sein. Die Seitenfolge wird nämlich ganz offensichtlich für richtig befunden und stillschweigend als die des Originals hingestellt, wenn, um das Maß voll zu machen, p. 78 in einer Fußnote von einer Vertauschung von Seiten in der Ausgabe des Centenera die Rede ist, und diese Vertauschung aber als die richtige Reihenfolge beschrieben wird. Da zwischen Original und Nachdruck hierin kein Unterschied besteht, muß man sich fragen, welcher Vorlage die Herausgeber hier und vielleicht auch an anderen Stellen eigentlich gefolgt sind. Im übrigen sollten bei einer Ausgabe nach einem Erstdruck Abweichungen eines Nachdrucks keine Rolle spielen. - Anfangs ist es nur ein Verdacht, schnell wird es aber zur Gewißheit, daß hier zwei Herausgeber am Werk sind, deren Lateinkenntnisse mehr als unzuverlässig sind. Nur so läßt es sich erklären, daß nahezu alle Fehler und Irrtümer, die der lateinische Text enthält, und seien sie auch noch so grotesk, ganz einfach stehen bleiben. Die Fehler bei der Transkription des lateinischen Textes lassen sich in drei Klassen einteilen: 1. Der Text wird falsch transkribiert, besonders an Stellen, wo die Inkunabel schwer lesbar ist, oder wo aufgrund der abgekürzten Schreibweise etwas zu ergänzen ist. 2. Irrtü- 352 Besprechungen - Comptes rendus mer des lateinischen Textes werden nicht erkannt und bleiben unkorrigiert. 3. Der Text wird nicht verstanden, für fehlerhaft befunden und verändert. Ad 1: Weit über 100 Transkriptionsfehler sind diesem Typus zuzurechnen. Ein paar Beispiele (rechts jeweils die richtige Form): p. 16 quisquem, quequem, quodquem uel quisquam, quequam, quodquam vel quicquem quicquam p. 42 nomina tertia declinationis tertiae p. 55 les, leena leo p. 56 regula communes regulae p. 64 uates, -ris -tis p. 66 uicus, -eris ulcus p. 88 praeteritis perfectum praeteritum p. 89 uerba mittenda praeteritum mittentia p. 92 annus, -is, annui, annutum annuo p. 148 iter agendum oues inter p. 160 -ieus, ut equus, equuieus -leus, ut equus, equuleus Ad 2: F. 18v° führt Nebrija ein feminines Substantiv collis an und übersetzt es in der rechten Spalte mit la vihuela. Die Herausgeber übernehmen das ganz einfach (49), ohne eine Schwierigkeit zu bemerken. Ein feminines Substantivum collis ist in dieser Bedeutung aber nirgendwo belegt. Priscian gibt zwar eine Liste von Substantiven, bezüglich deren Geschlecht bei den Autoren der ältesten Zeit Konfusion geherrscht habe und erwähnt hier auch das als männlich und weiblich gebrauchte collis, aber er hebt nachdrücklich hervor, daß hierbei der Bedeutungsunterschied keine Rolle gespielt habe (Keil 1855: 169). Nebrija zitiert das Femininum collis auch nicht als Ausnahme, sondern als Beispiel für die Regel, wonach die Substantive auf -is weiblich seien. Unter die Ausnahmen von dieser Regel reiht er dann collis als Maskulinum und in der Bedeutung el cerro del monte ein. Die IL erwähnen ein feminines collis nicht. Es liegt nahe, collis durch chelys, was Leier bedeutet, zu ersetzen, zumal ein Eintrag im Glosario de Toledo lautet: «hec ljra por viuela o sulco» 9 . Im übrigen illustriert Nebrija des öfteren Regeln mit griechischen Lehnwörtern. Die Bearbeitung des lateinischen Textes für die zweisprachige Ausgabe ist nicht ganz ohne Unfälle verlaufen. So kann es passieren, daß Klasse und Subklasse vertauscht werden: F. 31v°/ 32r° wird die Perfektbildung der Verben auf -sco behandelt. In der mit posco beginnenden Aufzählung der Ausnahmen finden sich dann aber auch ico, vinco, parco, dico, duco, Verben, die hier nicht hingehören. Der Abschnitt schließt mit glisco und den Inchoativa, die beide kein Perfekt bilden. Der Fehler liegt darin, daß die Verben auf -sco lediglich eine Subklasse der Verben auf -co darstellen und irrtümlich an erster Stelle genannt werden 10 . Hier muß der moderne Herausgeber auf jeden Fall tätig werden. Die Herausgeber haben den Irrtum nicht nur nicht bemerkt, sie machen einen weiteren Fehler (85): Sie fügen glisco den in Kolumne angeordneten perfektbildenden Verben hinzu, lassen eine Zeile frei und beginnen mit Et verba, quae dicuntur inchoativa einen neuen Zusammenhang. Daß glisco nicht in die Reihe paßt, daß Et gar keinen Sinn mehr ergibt, ist nicht aufgefallen. Weitere Fehler diese Art: p. 14 ii/ eaei ei p. 69 datiuo fit a genitivuo dativus p. 78 mare, mariae, maria maris 353 Besprechungen - Comptes rendus 9 Cf. A. Castro, Glosarios latino-españoles de la Edad Media, Madrid 1936: 24. 10 Cf. IL f. 20v°b. p. 90 pingo, -is, pupugi, punctum pungo p. 138 opitulor, -eris, opilatus sum -aris, opitulatus p. 147 ueni da soluendum ad p. 148 locaui faciendum sepultura faciendam sepulturam p. 150 sunt nomina participiis similis similia p. 153 regi Ferdinando Munda in deditionem uenit rege Christianorum p. 188 uligo, ulignus uliginis p. 197 sanguisugalgae sanguisuga Die Aufzählung ließe sich noch um ebenso viele Beispiele verlängern. Ad 3: Hier sei ein Beispiel vorgestellt, wo in beiden Texten etwas verändert wird. Nebrija leitet f. 55r° das Kapitel De supinis wie folgt ein: [Q]uod de gerundiis diximus, [L]o que diximos de los gerundiidem de supinis dici potest, os, aquello se puede dezir de los esse aliam ab octo partibus orasupinos, que son otra de las ocho partionis, nisi quod gerundia partites de la oracion, sino que los gerundios cipiis, supina verbis a numera se han de contar a los participios, ri debent. los supinos a los verbos Mag der Gebrauch von alius ab im Sinne unterschieden von auch ungewöhnlich sein, ebenso wie die wörtliche Übernahme durch otro de, so ist der Text beider Spalten in Ordnung, bis auf a numerari, was leicht in annumerari verbessert werden kann. Der Sinn ist klar: Gerundium und Supinum sind eigentlich eigene Redeteile, d. h. sie sind in den seit den römischen Grammatikern kanonisierten acht Redeteilen nicht enthalten. In seiner kastilischen Grammatik wird das Gerundium dann, ausgehend von dieser schon in den IL zu findenden Überlegung, als eigener Redeteil figurieren. Insofern markiert dieser Satz ein wichtige Vorstufe derselben. Die Herausgeber transkribieren wie folgt (148): Quod de gerundiis diximus, idem Lo que diximos delos gerundios, de supinis dici potest esse, aquello se puede dezir delos sualiam ab octo partibus orationis, pinos: que <no> son otra delas ocho nisi quod gerundia, participiis; supartes dela oracion; sino que los gepina, a uerbis numerari debent. rundios se han de contar alos participios, los supinos alos uerbos Die Interpunktion des lateinischen Satzes läßt die Erfassung eines Sinnes nicht mehr zu. Statt den Ausfall eines n zwischen a und numerari zu erkennen, wird a für eine am falschen Platz stehende Präposition gehalten. Im spanischen Text wird ein den Sinn ins Gegenteil verkehrendes no eingefügt. Natürlich gibt es auch Passagen, die einigermaßen fehlerfrei sind. Aber das entschädigt nicht für die unglaublich hohe Zahl von unglaublichen Fehlern. Man kommt nicht umhin, zu sagen, daß die Ausgabe in hohem Maße verbesserungsbedürftig ist. Th. Baldischwieler H 354 Besprechungen - Comptes rendus